Language of document : ECLI:EU:T:2022:301

URTEIL DES GERICHTS (Zehnte erweiterte Kammer)

18. Mai 2022(*)

„Staatliche Beihilfen – Deutscher Luftverkehrsmarkt – Von Deutschland an Condor Flugdienst gewährtes Darlehen – Beschluss, mit dem die Beihilfe für mit dem Binnenmarkt vereinbar erklärt wird – Art. 107 Abs. 3 Buchst. c AEUV- Leitlinien für staatliche Beihilfen zur Rettung und Umstrukturierung von Unternehmen in Schwierigkeiten – Schwierigkeiten des Unternehmens selbst, die nicht auf eine willkürliche Kostenverteilung innerhalb der Gruppe zurückzuführen sind – Schwierigkeiten, die so gravierend sind, dass sie von der Gruppe selbst nicht bewältigt werden können – Gefahr einer Unterbrechung der Erbringung eines wichtigen Dienstes“

In der Rechtssache T‑577/20,

Ryanair DAC mit Sitz in Swords (Irland), vertreten durch Rechtsanwälte E. Vahida und F.‑C. Laprévote, Rechtsanwältin V. Blanc sowie Rechtsanwälte S. Rating und I.‑G. Metaxas‑Maranghidis,

Klägerin,

gegen

Europäische Kommission vertreten durch L. Flynn und V. Bottka als Bevollmächtigte,

Beklagte,

unterstützt durch

Condor Flugdienst GmbH mit Sitz in Neu‑Isenburg (Deutschland), vertreten durch Rechtsanwalt A. Birnstiel und Rechtsanwältin S. Blazek,

Streithelferin,

erlässt

DAS GERICHT (Zehnte erweiterte Kammer)

unter Mitwirkung des Präsidenten A. Kornezov (Berichterstatter), des Richters E. Buttigieg, der Richterin K. Kowalik‑Bańczyk sowie der Richter G. Hesse und D. Petrlík,

Kanzler: I. Pollalis, Verwaltungsrat,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens,

auf die mündliche Verhandlung vom 7. Dezember 2021

folgendes

Urteil

1        Mit ihrer auf Art. 263 AEUV gestützten Klage beantragt die klagende Ryanair DAC, den Beschluss C(2019) 7429 final der Kommission vom 14. Oktober 2019 über die staatliche Beihilfe SA.55394 (2019/N) – Deutschland – Rettungsbeihilfe für Condor (ABl. 2020, C 294, S. 3, im Folgenden: angefochtener Beschluss) für nichtig zu erklären.

I.      Vorgeschichte des Rechtsstreits

2        Die Streithelferin, die Condor Flugdienst GmbH, ist ein Luftfahrtunternehmen, das Charterflüge durchführt und seinen Sitz in Neu‑Isenburg (Deutschland) hat. Hauptsächlich für Reiseveranstalter erbringt sie Luftverkehrsdienste von den Flughäfen Frankfurt, Düsseldorf, München und Hamburg (Deutschland) aus, wobei sie sich auf den Markt für Privatreisen konzentriert. Zum Zeitpunkt des Sachverhalts, der dem vorliegenden Rechtsstreit zugrunde liegt, war die Thomas Cook Group plc (im Folgenden: Thomas Cook Gruppe) zu 100 % Eignerin der Streithelferin.

3        Am 23. September 2019 wurde ein Liquidationsverfahren über die Thomas Cook Gruppe eröffnet, und sie stellte ihre Tätigkeit ein.

4        Folglich musste die Streithelferin am 25. September 2019 ihrerseits die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens beantragen.

5        Am selben Tag meldete die Bundesrepublik Deutschland bei der Europäischen Kommission eine Rettungsbeihilfe zugunsten der Streithelferin in Form eines Darlehens in Höhe von 380 Mio. Euro an, das von der Kreditanstalt für Wiederaufbau gewährt wurde; damit verbunden war eine Garantie, die das Land Hessen (Deutschland) in Höhe von 50 % und die Bundesrepublik Deutschland in Höhe von 100 % (im Folgenden: in Rede stehende Maßnahme) stellte.

6        Die in Rede stehende Maßnahme war auf sechs Monate begrenzt und zielte darauf ab, den regulären Luftverkehr aufrechtzuerhalten und die durch die Liquidierung ihrer Muttergesellschaft verursachten negativen Auswirkungen für die Streithelferin, ihre Fluggäste und ihre Mitarbeiter zu begrenzen, indem es der Streithelferin ermöglicht werden sollte, ihre Tätigkeit so lange fortzusetzen, bis eine Vereinbarung mit ihren Gläubigern erzielt und der Verkauf der Gesellschaft durchgeführt würde.

7        Am 14. Oktober 2019 erließ die Kommission, ohne das förmliche Prüfverfahren nach Art. 108 Abs. 2 AEUV einzuleiten, den angefochtenen Beschluss, mit dem sie feststellte, dass die in Rede stehende Maßnahme eine staatliche Beihilfe im Sinne von Art. 107 Abs. 1 AEUV darstelle und auf der Grundlage von Art. 107 Abs. 3 Buchst. c AEUV und der Leitlinien für staatliche Beihilfen zur Rettung und Umstrukturierung nichtfinanzieller Unternehmen in Schwierigkeiten (ABl. 2014, C 249, S. 1, im Folgenden: Leitlinien) mit dem Binnenmarkt vereinbar sei.

II.    Anträge der Parteien

8        Die Klägerin beantragt,

–        den angefochtenen Beschluss für nichtig zu erklären;

–        der Kommission die Kosten aufzuerlegen.

9        Die Kommission und die Streithelferin beantragen,

–        die Klage als unbegründet abzuweisen;

–        der Klägerin die Kosten aufzuerlegen.

III. Rechtliche Würdigung

10      Die Klägerin stützt ihre Klage auf fünf Klagegründe, mit denen sie erstens einen Verstoß gegen Rn. 22 der Leitlinien, zweitens einen Verstoß gegen Rn. 44 Buchst. b der Leitlinien, drittens einen Verstoß gegen Rn. 74 der Leitlinien, viertens eine Verletzung ihrer Verfahrensrechte und fünftens eine Verletzung der Begründungspflicht geltend macht.

A.      Zur Zulässigkeit

11      Die Klägerin macht geltend, dass sie als „Beteiligte“ im Sinne von Art. 108 Abs. 2 AEUV und von Art. 1 Buchst. h der Verordnung (EU) 2015/1589 des Rates vom 13. Juli 2015 über besondere Vorschriften für die Anwendung von Artikel 108 AEUV (ABl. 2015, L 248, S. 9) klagebefugt sei, weshalb sie zur Wahrung ihrer Verfahrensrechte eine Klage auf Nichtigerklärung des angefochtenen Beschlusses erheben könne, der ohne die Einleitung des förmlichen Prüfverfahrens erlassen worden sei.

12      Die Kommission und die Streithelferin treten der Zulässigkeit der Klage nicht entgegen.

13      Hierzu ist darauf hinzuweisen, dass die Kommission mit einem wie im vorliegenden Fall nach Art. 4 Abs. 3 der Verordnung 2015/1589 erlassenen Beschluss, keine Einwände zu erheben, nicht nur die fraglichen Maßnahmen für mit dem Binnenmarkt vereinbar erklärt, sondern implizit auch die Einleitung des in Art. 108 Abs. 2 AEUV und Art. 6 Abs. 1 dieser Verordnung vorgesehenen förmlichen Prüfverfahrens ablehnt (vgl. entsprechend Urteil vom 27. Oktober 2011, Österreich/Scheucher‑Fleisch u. a., C‑47/10 P, EU:C:2011:698, Rn. 42 und die dort angeführte Rechtsprechung). Stellt die Kommission nach einer vorläufigen Prüfung fest, dass die angemeldete Maßnahme Anlass zu Bedenken hinsichtlich ihrer Vereinbarkeit mit dem Binnenmarkt gibt, ist sie nach Art. 4 Abs. 4 der Verordnung 2015/1589 verpflichtet, einen Beschluss über die Eröffnung des in Art. 108 Abs. 2 AEUV und Art. 6 Abs. 1 dieser Verordnung vorgesehenen förmlichen Prüfverfahrens zu erlassen. Nach dem Wortlaut dieser letzteren Bestimmung werden in einem solchen Beschluss der betreffende Mitgliedstaat und die anderen Beteiligten zu einer Stellungnahme innerhalb einer Frist von normalerweise höchstens einem Monat aufgefordert (vgl. entsprechend Urteil vom 24. Mai 2011, Kommission/Kronoply und Kronotex, C‑83/09 P, EU:C:2011:341, Rn. 46).

14      Wird das förmliche Prüfverfahren wie im vorliegenden Fall nicht eingeleitet, wird den Beteiligten, die während dieser zweiten Phase hätten Stellung nehmen können, diese Möglichkeit genommen. Um dem abzuhelfen, wird ihnen das Recht zuerkannt, vor dem Unionsrichter die Entscheidung der Kommission anzufechten, kein förmliches Prüfverfahren einzuleiten. Daher ist eine Klage auf Nichtigerklärung einer Entscheidung nach Art. 108 Abs. 3 AEUV, die von einem Beteiligten im Sinne des Art. 108 Abs. 2 AEUV erhoben wird, zulässig, wenn der Kläger die Verfahrensrechte wahren möchte, die ihm nach dieser Bestimmung zustehen (vgl. Urteil vom 18. November 2010, NDSHT/Kommission, C‑322/09 P, EU:C:2010:701, Rn. 56 und die dort angeführte Rechtsprechung).

15      In Anbetracht von Art. 1 Buchst. h der Verordnung 2015/1589 gehört ein Unternehmen, das mit dem durch eine Beihilfemaßnahme Begünstigten in Wettbewerb steht, zudem unbestreitbar zu den „Beteiligten“ im Sinne von Art. 108 Abs. 2 AEUV (vgl. Urteil vom 3. September 2020, Vereniging tot Behoud van Natuurmonumenten in Nederland u. a./Kommission, C‑817/18 P, EU:C:2020:637, Rn. 50 und die dort angeführte Rechtsprechung).

16      Im vorliegenden Fall lässt sich nicht bestreiten, dass zwischen der Klägerin und der Streithelferin ein – wenn auch beschränktes – Wettbewerbsverhältnis besteht. Die Klägerin hat nämlich unwidersprochen geltend gemacht, dass sie seit mehr als 20 Jahren die Luftverkehrsanbindung von Deutschland sicherstelle, im Jahr 2019 mehr als 19 Millionen Fluggäste von und nach Deutschland befördert habe und dort über einen Anteil von ca. 9 % am Markt für Fluggastbeförderung verfüge, weshalb sie das zweitgrößte Luftfahrtunternehmen in Deutschland sei. Die Klägerin hat ferner darauf hingewiesen, dass ihr Flugplan für den Sommer 2020, der vor Ausbruch der Covid‑19‑Pandemie erstellt worden sei, 265 Strecken mit Abflug von 14 deutschen Flughäfen umfasst habe. Außerdem hat die Kommission in Rn. 7 des angefochtenen Beschlusses festgestellt, dass bestimmte von der Streithelferin angeflogene Zielorte auch von der Klägerin bedient würden und dass diese Luftfahrtunternehmen miteinander hinsichtlich des Verkaufs von Beförderungsplätzen direkt an Endkunden in Wettbewerb stünden. Auch wenn der Verkauf dieser Plätze nur einen geringeren Teil der Verkäufe der Streithelferin ausmacht, wird das Wettbewerbsverhältnis zwischen ihr und der Klägerin insoweit folglich nicht bestritten.

17      Die Klägerin ist somit eine Beteiligte, die ein Interesse daran hat, die Wahrung ihrer Verfahrensrechte aus Art. 108 Abs. 2 AEUV sicherzustellen.

18      Die Klage ist daher zulässig, soweit die Klägerin eine Verletzung ihrer Verfahrensrechte geltend macht.

19      Daher ist der vierte Klagegrund, der ausdrücklich auf die Wahrung der Verfahrensrechte der Klägerin gerichtet ist, zulässig.

20      Im Übrigen steht der Klägerin, um die Verletzung ihrer Verfahrensrechte in Anbetracht der Bedenken nachzuweisen, die die streitige Maßnahme hinsichtlich ihrer Vereinbarkeit mit dem Binnenmarkt hätte hervorrufen müssen, das Recht zu, Argumente vorbringen, um zu zeigen, dass die Feststellung der Vereinbarkeit dieser Maßnahme mit dem Binnenmarkt, zu der die Kommission gelangt sei, falsch gewesen sei; hierdurch lässt sich erst recht der Nachweis führen, dass Bedenken der Kommission bei ihrer Beurteilung der Vereinbarkeit dieser Maßnahme mit dem Binnenmarkt angezeigt gewesen wären. Folglich ist das Gericht befugt, die von der Klägerin im Rahmen ihres ersten, zweiten und dritten Klagegrundes vorgebrachten Sachargumente zu prüfen, auf die sie im Rahmen ihres vierten Klagegrundes verweist, prüfen, um festzustellen, ob diese geeignet sind, den von ihr ausdrücklich vorgebrachten Klagegrund bezüglich des Bestehens von Bedenken, die die Einleitung des Verfahrens nach Art. 108 Abs. 2 AEUV gerechtfertigt hätten, zu untermauern (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 13. Juni 2013, Ryanair/Kommission, C‑287/12 P, nicht veröffentlicht, EU:C:2013:395, Rn. 57 bis 60, und vom 6. Mai 2019, Scor/Kommission, T‑135/17, nicht veröffentlicht, EU:T:2019:287, Rn. 77).

21      Zum fünften Klagegrund, mit dem eine Verletzung der Begründungspflicht gerügt wird, ist darauf hinzuweisen, dass die Verletzung der Begründungspflicht den Vorwurf einer Verletzung wesentlicher Formvorschriften enthält und einen Gesichtspunkt darstellt, den der Unionsrichter von Amts wegen prüfen muss und der sich nicht auf die materielle Rechtmäßigkeit des angefochtenen Beschlusses bezieht (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 2. April 1998, Kommission/Sytraval und Brink’s France, C‑367/95 P, EU:C:1998:154, Rn. 67).

B.      Zur Begründetheit

22      Zunächst ist der vierte Klagegrund zu prüfen.

1.      Zum vierten Klagegrund: Verletzung der Verfahrensrechte der Klägerin

23      Im Rahmen ihres vierten Klagegrundes macht die Klägerin geltend, dass drei sich auf den Inhalt des angefochtenen Beschlusses beziehende, ihren ersten drei Klagegründen entsprechende Anhaltspunkte Aufschluss über die Bedenken gäben, die die Kommission bei der vorläufigen Prüfung der in Rede stehenden Maßnahme hätte haben müssen.

24      Zunächst ist auf die Grundsätze hinzuweisen, die für die Kontrolle der Rechtmäßigkeit eines Beschlusses, keine Einwände zu erheben, auf der Grundlage von Art. 263 AEUV gelten, bevor das von der Klägerin geltend gemachte Bündel von Anhaltspunkten geprüft wird.

a)      Anwendbare Grundsätze

25      Nach der Rechtsprechung ist die Kommission, wenn sie nach einer ersten Prüfung im Rahmen des Verfahrens von Art. 108 Abs. 3 AEUV nicht die Überzeugung gewinnen kann, dass eine staatliche Maßnahme keine „Beihilfe“ im Sinne von Art. 107 Abs. 1 AEUV darstellt oder dass sie, wenn sie als Beihilfe eingestuft wird, mit dem AEU‑Vertrag vereinbar ist, oder wenn dieses Verfahren es ihr nicht erlaubt hat, die ernsten Schwierigkeiten hinsichtlich der Beurteilung der Vertragskonformität der betroffenen Maßnahme auszuräumen, verpflichtet, das Verfahren gemäß Art. 108 Abs. 2 AEUV einzuleiten, ohne hierbei über einen Ermessensspielraum zu verfügen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 10. Mai 2005, Italien/Kommission, C‑400/99, EU:C:2005:275, Rn. 47). Diese Verpflichtung findet im Übrigen ausdrückliche Bestätigung in Art. 4 Abs. 4 in Verbindung mit Art. 15 Abs. 1 der Verordnung 2015/1589 (vgl. entsprechend Urteil vom 22. Dezember 2008, British Aggregates/Kommission, C‑487/06 P, EU:C:2008:757, Rn. 113).

26      Insoweit ist Art. 4 der Verordnung 2015/1589 zu entnehmen, dass die Kommission, soweit die von dem betreffenden Mitgliedstaat angemeldete Maßnahme tatsächlich eine Beihilfe darstellt, je nachdem, ob „Bedenken“ hinsichtlich der Vereinbarkeit dieser Maßnahme mit dem Binnenmarkt bestehen oder nicht, beschließen kann, nach ihrer vorläufigen Prüfung das förmliche Prüfverfahren zu eröffnen oder dies nicht zu tun.

27      Der in Art. 4 Abs. 3 und 4 der Verordnung 2015/1589 genannte Begriff der Bedenken ist seinem Wesen nach objektiv. Ob solche Bedenken vorliegen, ist anhand der Umstände des Erlasses des angefochtenen Rechtsakts sowie seines Inhalts in objektiver Weise zu beurteilen, wobei die Gründe des Beschlusses zu den Angaben in Beziehung zu setzen sind, über die die Kommission verfügen konnte, als sie sich zur Vereinbarkeit der streitigen Beihilfen mit dem Binnenmarkt äußerte. Die Rechtmäßigkeitskontrolle des Gerichts hinsichtlich der Frage, ob Bedenken vorgelegen haben, geht deshalb ihrem Wesen nach über die Prüfung offensichtlicher Beurteilungsfehler hinaus (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 2. April 2009, Bouygues und Bouygues Télécom/Kommission, C‑431/07 P, EU:C:2009:223, Rn. 63, und vom 10. Juli 2012, Smurfit Kappa Group/Kommission, T‑304/08, EU:T:2012:351, Rn. 80 und die dort angeführte Rechtsprechung). Bei den Informationen, über die die Kommission „verfügen konnte“, handelt es sich um diejenigen, die für die vorzunehmende Beurteilung erheblich erschienen und die sie im Vorprüfungsverfahren auf ihr Ersuchen hin hätte erhalten können (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 20. September 2017, Kommission/Frucona Košice, C‑300/16 P, EU:C:2017:706, Rn. 71). So kann es zwar erforderlich sein, dass die Kommission gegebenenfalls über eine bloße Prüfung der ihr zur Kenntnis gebrachten rechtlichen und tatsächlichen Gesichtspunkte hinausgeht, es obliegt aber nicht der Kommission, aus eigener Initiative, wenn keine dahin gehenden Anhaltspunkte vorliegen, alle Informationen zusammenzutragen, die einen Zusammenhang mit der Sache aufweisen könnten, mit der sie befasst ist, auch wenn solche Informationen öffentlich zugänglich sind (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 29. April 2021, Achemos Grupė und Achema/Kommission, C‑847/19 P, EU:C:2021:343, Rn. 49 und 50, und vom 2. September 2021, Kommission/Tempus Energy und Tempus Energy Technology, C‑57/19 P, EU:C:2021:663, Rn. 45).

28      Die Klägerin trägt die Beweislast dafür, dass Bedenken bestanden, und sie kann diesen Beweis durch ein Bündel übereinstimmender Anhaltspunkte erbringen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 19. September 2018, HH Ferries u. a./Kommission, T‑68/15, EU:T:2018:563, Rn. 63 und die dort angeführte Rechtsprechung).

29      Anhand dieser Rechtsprechung ist das Vorbringen der Klägerin zu prüfen, mit dem das Bestehen von Bedenken nachgewiesen werden soll, die die Kommission zur Einleitung des förmlichen Prüfverfahrens hätten veranlassen müssen.

b)      Zum Anhaltspunkt für einen Verstoß gegen Rn. 22 der Leitlinien

30      Die Klägerin macht im Wesentlichen geltend, die Kommission habe gegen Rn. 22 der Leitlinien verstoßen, was auf das Bestehen von Bedenken hinsichtlich der Vereinbarkeit der in Rede stehenden Maßnahme mit dem Binnenmarkt hindeute.

31      Rn. 22 der Leitlinien sieht Folgendes vor:

„Ein Unternehmen, das einer größeren Unternehmensgruppe angehört oder im Begriff ist, von einer größeren Unternehmensgruppe übernommen zu werden, kommt für Beihilfen auf der Grundlage dieser Leitlinien grundsätzlich nur dann in Frage, wenn es sich bei den Schwierigkeiten des betreffenden Unternehmens nachweislich um Schwierigkeiten des Unternehmens selbst handelt, die nicht auf eine willkürliche Kostenverteilung innerhalb der Gruppe zurückzuführen sind und die so gravierend sind, dass sie von der Gruppe selbst nicht bewältigt werden können. …“

32      Rn. 22 der Leitlinien sieht nach Ansicht der Klägerin drei verschiedene und kumulative Voraussetzungen für die Gewährung einer Rettungsbeihilfe an ein einer Unternehmensgruppe angehörendes Unternehmen vor, und zwar dass es sich erstens um Schwierigkeiten des Unternehmens selbst handele, dass diese zweitens nicht auf eine willkürliche Kostenverteilung innerhalb der Gruppe zurückzuführen seien und dass diese Schwierigkeiten drittens so gravierend seien, dass sie von der Gruppe selbst nicht bewältigt werden könnten. Die Kommission habe diese Randnummer rechtsfehlerhaft ausgelegt, indem sie die Auffassung vertreten habe, dass es sich bei den ersten beiden genannten Voraussetzungen nur um eine einzige Voraussetzung handele, die dahin zu verstehen sei, dass es sich dann um die Schwierigkeiten des Begünstigten selbst handele, wenn sie nicht auf eine willkürliche Kostenverteilung innerhalb der Gruppe zurückzuführen seien.

33      Außerdem sei im vorliegenden Fall keine der in Rn. 22 der Leitlinien angeführten Voraussetzungen erfüllt.

34      Die Kommission und die Streithelferin treten dem Vorbringen der Klägerin entgegen.

35      Zunächst ist festzustellen, dass die Streithelferin, die durch die in Rede stehende Maßnahme begünstigt wurde, zum Zeitpunkt des Erlasses des angefochtenen Beschlusses unstreitig einer Unternehmensgruppe im Sinne von Rn. 22 der Leitlinien angehörte. Daher ist zu prüfen, ob die Kommission Bedenken hätte haben müssen, ob die anderen in Rn. 22 angeführten Voraussetzungen erfüllt waren.

1)      Zur Frage, ob es sich um Schwierigkeiten der Streithelferin selbst handelt, die nicht auf eine willkürliche Kostenverteilung innerhalb der Gruppe zurückzuführen sind

36      Wie sich oben aus den Rn. 32 bis 34 ergibt, sind die Parteien sowohl im Hinblick auf die Auslegung von Rn. 22 der Leitlinien als auch im Hinblick auf deren Anwendung im vorliegenden Fall unterschiedlicher Ansicht.

37      Diese beiden Fragen sind daher nacheinander zu prüfen.

i)      Zur Auslegung von Rn. 22 der Leitlinien

38      Rn. 22 der Leitlinien enthält nach Ansicht der Klägerin insbesondere zwei verschiedene und voneinander unabhängige Voraussetzungen, nämlich zum einen, dass es sich um die Schwierigkeiten des Beihilfeempfängers selbst handele, und zum anderen, dass diese Schwierigkeiten nicht auf eine willkürliche Kostenverteilung innerhalb der Gruppe zurückzuführen seien. Nach Ansicht der Kommission und der Streithelferin handelt es sich hingegen nur um eine einzige Voraussetzung, die dahin zu verstehen sei, dass die Schwierigkeiten dann als die Schwierigkeiten des Begünstigten selbst anzusehen seien, wenn sie nicht auf eine willkürliche Kostenverteilung innerhalb der Gruppe zurückzuführen seien.

39      Nach ständiger Rechtsprechung sind bei der Auslegung einer Unionsvorschrift nicht nur deren Wortlaut zu berücksichtigen, sondern auch der Zusammenhang, in dem sie steht, und die Ziele, die mit der Regelung verfolgt werden, zu der sie gehört (vgl. Urteil vom 7. Juni 2005, VEMW u. a., C‑17/03, EU:C:2005:362, Rn. 41 und die dort angeführte Rechtsprechung).

40      Was als Erstes den Wortlaut von Rn. 22 der Leitlinien betrifft, ist darauf hinzuweisen, dass Vorschriften des Unionsrechts in mehreren Sprachen abgefasst werden und dass die verschiedenen Sprachfassungen gleichermaßen verbindlich sind, so dass die Auslegung einer Vorschrift des Unionsrechts einen Vergleich der Sprachfassungen voraussetzt (Urteile vom 6. Oktober 1982, Cilfit u. a., 283/81, EU:C:1982:335, Rn. 18, und vom 6. Oktober 2005, Sumitomo Chemical und Sumika Fine Chemicals/Kommission, T‑22/02 und T‑23/02, EU:T:2005:349, Rn. 42).

41      Hierzu ist zunächst festzustellen, dass die Struktur des Nebensatzes „nur …, wenn es sich bei den Schwierigkeiten des betreffenden Unternehmens nachweislich um Schwierigkeiten des Unternehmens selbst handelt, die nicht auf eine willkürliche Kostenverteilung innerhalb der Gruppe zurückzuführen sind und die so gravierend sind, dass sie von der Gruppe selbst nicht bewältigt werden können“ in zahlreichen Sprachfassungen – manchmal durch ein Komma getrennt – wie folgt zweistufig gegliedert ist: „nur, … wenn es sich … nachweislich [(erste Voraussetzung)] und [(zweite Voraussetzung)]“. Die durch Nebensatzpartikel markierte Gliedsatzaneinanderreihung deutet darauf hin, dass es sich somit um zwei Voraussetzungen handelt, wobei die erste sich auf die Schwierigkeiten des Begünstigten selbst bezieht, die nicht auf eine willkürliche Kostenverteilung innerhalb der Gruppe zurückzuführen sind, und die zweite darauf, dass diese Schwierigkeiten so gravierend sind, dass sie von der Gruppe selbst nicht bewältigt werden können. Bei dieser ersten Voraussetzung scheint es sich somit um eine einzige Voraussetzung zu handeln. Eine solche Satzstruktur ist u. a. in der tschechischen, der englischen, der französischen, der kroatischen, der italienischen, der maltesischen, der niederländischen, der polnischen, der portugiesischen, der rumänischen, der slowakischen und der slowenischen Sprachfassung festzustellen.

42      Sodann heißt es in der deutschen Sprachfassung ausdrücklich, dass als die Schwierigkeiten des Unternehmens „selbst“ solche Schwierigkeiten anzusehen sind, die nicht auf eine willkürliche Kostenverteilung innerhalb der Gruppe zurückzuführen sind („wenn es sich bei den Schwierigkeiten des betreffenden Unternehmens nachweislich um Schwierigkeiten des Unternehmens selbst handelt, die nicht auf eine willkürliche Kostenverteilung innerhalb der Gruppe zurückzuführen sind“). Die griechische und die bulgarische Sprachfassung weisen ebenfalls auf eine derartige Bedeutung hin.

43      Diese Beispiele zeigen, dass nach dem Wortlaut von Rn. 22 der Leitlinien in zahlreichen Sprachfassungen die Schwierigkeiten eines Begünstigten als ihm spezifische Schwierigkeiten anzusehen sind, wenn sie nicht auf eine willkürliche Kostenverteilung innerhalb der Gruppe zurückzuführen sind.

44      Soweit einige andere Sprachfassungen weniger explizit sind, ist schließlich daran zu erinnern, dass, wenn die verschiedenen Sprachfassungen einer unionsrechtlichen Vorschrift voneinander abweichen, die fragliche Vorschrift nach dem Kontext und den Zielen der Regelung ausgelegt werden muss, zu der sie gehört (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 24. Oktober 1996, Kraaijeveld u. a., C‑72/95, EU:C:1996:404, Rn. 28, vom 24. Februar 2000, Kommission/Frankreich, C‑434/97, EU:C:2000:98, Rn. 22, und vom 7. Dezember 2000, Italien/Kommission, C‑482/98, EU:C:2000:672, Rn. 49).

45      Als Zweites ist zum Kontext und zu den Zielen der Regelung, zu der Rn. 22 der Leitlinien gehört, darauf hinzuweisen, dass die in dieser Randnummer festgelegte Regel u. a. verhindern soll, dass eine Unternehmensgruppe den Staat die Kosten für eine Rettungs- oder eine Umstrukturierungsmaßnahme für eines der zu ihr gehörenden Unternehmen tragen lässt, wenn sich dieses Unternehmen in Schwierigkeiten befindet und der Ursprung dieser Schwierigkeiten aufgrund einer willkürlichen Kostenverteilung innerhalb der Gruppe bei ihr selbst liegt (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 13. Mai 2015, Niki Luftfahrt/Kommission, T‑511/09, EU:T:2015:284, Rn. 159).

46      Das Ziel dieser Rn. 22 besteht also darin, zu verhindern, dass sich eine Unternehmensgruppe ihrer Kosten, Schulden oder Verbindlichkeiten zulasten eines Unternehmens der Gruppe entledigt und somit dieses in eine Situation bringt, in der ihm eine Rettungsbeihilfe gewährt werden kann, obwohl es diese andernfalls nicht benötigen würde. Mit anderen Worten soll mit dieser Rn. 22 verhindert werden, dass die Vorschriften über staatliche Beihilfen durch innerhalb einer Unternehmensgruppe künstlich geschaffene Mechanismen umgangen werden. Dagegen besteht das Ziel dieser Randnummer nicht darin, ein Unternehmen, das einer Unternehmensgruppe angehört, allein deshalb vom Geltungsbereich der Rettungsbeihilfen auszuschließen, weil seine Schwierigkeiten auf den Schwierigkeiten der restlichen Unternehmensgruppe oder einer anderen Gesellschaft der Unternehmensgruppe beruhen, sofern diese Schwierigkeiten nicht künstlich geschaffen oder innerhalb dieser Unternehmensgruppe willkürlich verteilt worden sind.

47      Dem Vorbringen der Klägerin zu folgen, würde aber dazu führen, gegenseitige finanzielle Unterstützung innerhalb von Unternehmensgruppen zu unterbinden, indem eine leistungsstärkere Gesellschaft einer Unternehmensgruppe davon abgehalten würde, einer anderen Gesellschaft derselben Gruppe, die sich in finanziellen Schwierigkeiten befindet, beizustehen, da sie ansonsten selbst nicht mehr für die Gewährung einer Rettungsbeihilfe in Betracht käme, wenn diese Schwierigkeiten gerade wegen der von ihr gewährten Unterstützung auf sie selbst übergriffen.

48      Nach alledem ist festzustellen, dass der Satzbestandteil „nur …, wenn es sich bei den Schwierigkeiten des betreffenden Unternehmens nachweislich um Schwierigkeiten des Unternehmens selbst handelt, die nicht auf eine willkürliche Kostenverteilung innerhalb der Gruppe zurückzuführen sind“ in Rn. 22 der Leitlinien eine einzige Voraussetzung enthält, die dahin auszulegen ist, dass Schwierigkeiten eines einer Unternehmensgruppe angehörenden Unternehmens als ihm spezifische Schwierigkeiten anzusehen sind, wenn sie nicht auf eine willkürliche Kostenverteilung innerhalb dieser Gruppe zurückzuführen sind.

ii)    Anwendung auf den vorliegenden Fall

49      Erstens macht die Klägerin unter Verweis auf die Rn. 19 und 57 des angefochtenen Beschlusses geltend, dass es sich nicht um die Schwierigkeiten der Streithelferin selbst, sondern um jene der Gruppe handele, da sie vollständig auf Gründe zurückzuführen seien, die ihren Ursprung in der internen Organisation der Thomas Cook Gruppe hätten. Trotz der Schwierigkeiten der Gruppe habe die Streithelferin nämlich im Zeitraum 2017 bis 2019 ein positives Ergebnis vor Zinsen und Steuern auf ihre Tätigkeiten erzielt. Die Streithelferin sei somit ein rentables und wettbewerbsfähiges Luftfahrtunternehmen, das von ihrer Muttergesellschaft in Schieflage gebracht worden sei. Zweitens seien die Schwierigkeiten der Streithelferin auf eine willkürliche Kostenverteilung innerhalb der Gruppe zurückzuführen. Gemäß den Rn. 15 und 57 des angefochtenen Beschlusses sei nämlich ein erheblicher Teil der Liquidität, die die Streithelferin in den letzten Jahren generiert habe, im Zuge der Liquiditätsbündelung (cashpool) der Unternehmensgruppe, die nach Ansicht der Klägerin als künstliches und aufgezwungenes System anzusehen ist, an ihre Muttergesellschaft weitergeleitet worden.

50      Aus den Rn. 15 bis 17, 80 und 109 des angefochtenen Beschlusses geht hervor, dass die Schwierigkeiten der Streithelferin hauptsächlich auf die Liquidation der Thomas Cook Gruppe zurückzuführen sind, die u. a. zur Folge hatte, dass Forderungen in erheblicher Höhe in Wegfall gerieten, die die Streithelferin im Rahmen der Liquiditätsbündelung der Unternehmensgruppe gegenüber dieser hatte, dass die gruppeninterne Finanzierung eingestellt wurde und dass die Streithelferin ihren wichtigsten Kunden, nämlich die Reiseveranstalter der Thomas Cook Gruppe, verlor.

51      Erstens ist insoweit, wie die Kommission und die Streithelferin in der mündlichen Verhandlung vorgetragen haben, ohne dass die Klägerin dem widersprochen hätte, klarzustellen, dass die Liquiditätsbündelung innerhalb einer Gruppe eine gängige und verbreitete Praxis von Unternehmensgruppen ist. Diese Bündelung funktioniert wie eine gruppeninterne Bank, da die verschiedenen Gesellschaften der Gruppe im Fall von Liquiditätsbedarf gruppeninterne Darlehen aus diesem Fundus erhalten und im Fall von Liquiditätsüberschüssen Mittel in diesen gemeinsamen Fundus einbringen und im Gegenzug dazu eine sich gegen ihn richtende verzinsliche Forderung erwerben. Dieses System, das von einer zu diesem Zweck gegründeten gruppeninternen Einheit verwaltet wird, soll die Finanzierung der Unternehmensgruppe dadurch erleichtern, dass den Gesellschaften der Gruppe Einsparungen bei Finanzierungskosten ermöglicht werden. So kann im Allgemeinen jede Gesellschaft der Gruppe zu einem bestimmten Zeitpunkt von diesem gemeinsamen System profitieren, indem sie direkten Zugang zur Liquidität der Gruppe erhält, gleichzeitig aber zu diesen Mitteln beitragen muss, wenn sie über einen Liquiditätsüberschuss verfügt.

52      Was zweitens speziell die Liquiditätsbündelung der Thomas Cook Gruppe angeht, ist, wie die Streithelferin geltend macht, ohne dass die Klägerin dem widersprochen hätte, darauf hinzuweisen, dass dieses System vor mehreren Jahren eingeführt wurde und daher lange vor Auftreten der Schwierigkeiten der Gruppe genutzt wurde, so dass seine Einführung keinen Zusammenhang mit diesen Schwierigkeiten aufwies. So konnte die Streithelferin dieses System z. B. im Jahr 2016 nach mangelnder Liquidität infolge eines Rückgangs der Nachfrage nach Flügen in die Türkei in Anspruch nehmen.

53      Drittens geht aus Rn. 12 des angefochtenen Beschlusses, in der die Ursachen für die Schwierigkeiten der Thomas Cook Gruppe angeführt werden, hervor, dass diese nicht auf dieses System der Liquiditätsbündelung zurückzuführen waren. Diese Schwierigkeiten waren nämlich u. a. das Ergebnis eines äußerst hohen Verschuldungsgrads im Zusammenhang mit Übernahmen und Betriebsverlusten, einer schwachen Tätigkeit auf dem britischen Markt, verstärkt durch die Diskussionen über den Brexit, der negativen medialen Berichterstattung über die Umstrukturierung der Unternehmensgruppe sowie strukturelle Defizite in der Organisation der Gruppe.

54      Die Klägerin behauptet zwar, dass das System der Liquiditätsbündelung der Thomas Cook Gruppe „künstlich, schädlich oder aufgezwungen“ sei, doch trägt sie keinen konkreten Anhaltspunkt vor, der dieses Vorbringen stützen könnte.

55      Viertens wirft die Klägerin der Kommission vor, nicht geprüft zu haben, ob die Vereinbarung über die Liquiditätsbündelung zwischen der Streithelferin und der Thomas Cook Gruppe unter fairen Bedingungen geschlossen worden sei und ob die Risiken zu gleichen Teilen zwischen den verschiedenen Gesellschaften der Gruppe verteilt gewesen seien.

56      Im Licht der Rn. 117 bis 120 des angefochtenen Beschlusses, in denen das Vorbringen der Klägerin im Rahmen der Beschwerde zusammengefasst wird, die sie bei der Kommission gegen die in Rede stehende Maßnahme eingelegt hatte, ist jedoch festzustellen, dass sie in dieser Beschwerde keine unangemessene Anwendung der Liquiditätsbündelung der Gruppe gerügt hatte. Aus der oben in Rn. 27 angeführten Rechtsprechung ergibt sich jedoch, dass es nicht der Kommission obliegt, aus eigener Initiative, wenn keine dahin gehenden Anhaltspunkte vorliegen, alle Informationen zusammenzutragen, die einen Zusammenhang mit der Sache aufweisen könnten, mit der sie befasst ist, auch wenn solche Informationen öffentlich zugänglich sind. Unter Umständen wie denen des vorliegenden Falls, die oben in den Rn. 52 bis 55 zusammengefasst worden sind, ist folglich mangels konkreter Anhaltspunkte im gegenteiligen Sinne davon auszugehen, dass die Kommission nicht verpflichtet war, aus eigener Initiative weitere Erhebungen zur „Fairness“ des Systems anzustellen.

57      Fünftens beruft sich die Klägerin darauf, dass die Liquidität der Streithelferin nach Rn. 57 des angefochtenen Beschlusses „künstlich zur Neige gebracht“ worden sei, da diese gezwungen gewesen sei, erhebliche Geldbeträge an ihre defizitäre Muttergesellschaft zu überweisen. Jedoch ist festzustellen, dass in diesem Auszug von Rn. 57 des angefochtenen Beschlusses nur die Erklärungen von Deutschland zu der bei der Kommission eingelegten Beschwerde zusammengefasst werden und dieser somit nicht die rechtliche Würdigung der Kommission enthält. Diese ist u. a. in Rn. 80 des angefochtenen Beschlusses enthalten. Aus dieser Randnummer geht in Verbindung mit den Rn. 15 bis 17 des angefochtenen Beschlusses indessen hervor, dass die Streithelferin nach Ansicht der Kommission eine in ihren Grundfesten gesunde und gewinnbringende Gesellschaft war und dass ihre finanziellen Schwierigkeiten auf die ihrer Muttergesellschaft und nicht darauf zurückzuführen gewesen seien, dass die Unternehmensgruppe eine künstliche Gestaltung zur Schwächung der Streithelferin geschaffen habe.

58      Folglich ist festzustellen, dass die Klägerin nicht dargelegt hat, dass Bedenken hinsichtlich der Vereinbarkeit der in Rede stehenden Maßnahme mit der in Rn. 22 der Leitlinien festgelegten Voraussetzung bestehen, wonach es sich um die Schwierigkeiten der Streithelferin selbst handeln muss, die nicht auf eine willkürliche Kostenverteilung innerhalb der Gruppe zurückzuführen sind.

2)      Zur Frage, ob die Schwierigkeiten der Streithelferin so gravierend waren, dass sie von der Gruppe selbst nicht bewältigt werden konnten

59      Die Klägerin macht im Wesentlichen geltend, die Kommission habe im angefochtenen Beschluss nicht geprüft, ob die Thomas Cook Gruppe – wie in Rn. 22 der Leitlinien vorgesehen – nicht in der Lage gewesen sei, die Schwierigkeiten der Streithelferin zu bewältigen. Die Eröffnung des Liquidationsverfahrens über die Thomas Cook Gruppe bedeute nicht zwangsläufig, dass diese nicht in der Lage gewesen sei, die Schwierigkeiten ihrer Tochtergesellschaft zu bewältigen, da sie mehrere Maßnahmen wie den Verkauf der Streithelferin oder die Einstellung des Systems der Liquiditätsbündelung hätte ergreifen können.

60      Erstens ist festzustellen, dass aus den Rn. 10 bis 13 des angefochtenen Beschlusses hervorgeht, dass sich die Thomas Cook Gruppe, die alleinige Anteilseignerin der Streithelferin war, beim Erlass des angefochtenen Beschlusses in sehr schlechtem finanziellen Zustand befand. Diese Gruppe stellte ihre Tätigkeiten nämlich am 23. September 2019 mit sofortiger Wirkung ein und wurde anschließend mit Verbindlichkeiten in Höhe von etwa 1,7 Mrd. Pfund Sterling (GBP) (ungefähr 1,91 Mrd. Euro) gerichtlich abgewickelt.

61      Es ist daher festzustellen, dass, wie auch die Kommission ausgeführt hat, die Thomas Cook Gruppe nicht dazu fähig war, um die Schwierigkeiten ihrer Tochtergesellschaft zu bewältigen, da sie sich selbst in Liquidation befand und alle Tätigkeiten eingestellt hatte.

62      Zweitens geht aus Rn. 26 des angefochtenen Beschlusses hervor, dass die Kommission die Eventualität eines etwaigen Verkaufs der Streithelferin berücksichtigt hat, über den seit Februar 2019 mit mehreren interessierten Investoren verhandelt worden war und der innerhalb der folgenden drei bis sechs Monate hätte erfolgen können. Die Klägerin kann der Kommission daher nicht vorwerfen, nicht geprüft zu haben, ob die Thomas Cook Gruppe in der Lage gewesen sei, die Schwierigkeiten der Streithelferin – insbesondere durch deren Veräußerung – zu bewältigen. Da diese Verhandlungen aber zum Zeitpunkt des Erlasses des angefochtenen Beschlusses noch keine Früchte getragen hatten, konnte die Kommission ihre Beurteilung nicht auf eine künftige, jedoch ungewisse Lösung stützen. Angesichts der Dringlichkeit im Zusammenhang mit Rettungsbeihilfen deutet auch nichts darauf hin, dass die Kommission den Ausgang dieser Verhandlungen hätte abwarten müssen, bevor sie die Beihilfe genehmigte, da laufende geschäftliche Verhandlungen immer mit Unsicherheiten einhergehen.

63      Was drittens die Behauptung der Klägerin betrifft, dass die Thomas Cook Gruppe oder der Abwickler mehrere andere Maßnahmen, wie die Einstellung des Systems der Liquiditätsbündelung, hätte ergreifen können, um die Schwierigkeiten der Streithelferin zu bewältigen, so genügt es, wie die Streithelferin in der mündlichen Verhandlung ausgeführt hat, ohne dass ihr die Klägerin insoweit widersprochen hat, darauf hinzuweisen, dass die Streithelferin, nachdem sie von den finanziellen Schwierigkeiten ihrer Muttergesellschaft erfahren hatte, am 5. Februar 2019 von sich aus die Beteiligung an diesem System beendet hatte.

64      Nach alledem hat die Klägerin nicht nachgewiesen, dass für die Prüfung der in Rn. 22 der Leitlinien aufgestellten Voraussetzung durch die Kommission, wonach die Schwierigkeiten eines einer Gruppe angehörenden Unternehmens so gravierend sein müssen, dass sie von der Gruppe selbst nicht bewältigt werden können, Bedenken bestanden hätten.

65      Folglich ist es der Klägerin nicht gelungen, darzutun, dass für die Prüfung der in Rn. 22 der Leitlinien vorgesehenen Voraussetzungen Bedenken bestanden, die die Kommission hätten veranlassen müssen, das förmliche Prüfverfahren einzuleiten.

c)      Zum Anhaltspunkt für einen Verstoß gegen Rn. 44 Buchst. b der Leitlinien

66      Die Klägerin macht im Wesentlichen geltend, die Kommission hätte Bedenken haben müssen, ob die in Rede stehende Maßnahme den in Rn. 44 Buchst. b der Leitlinien dargelegten Anforderungen entspreche. Die Kommission habe nicht nachgewiesen, dass zum einen die Streithelferin einen wichtigen Dienst im Sinne dieser Randnummer erbringe und dass zum anderen dieser Dienst nur schwer von einem Wettbewerber übernommen werden könne.

67      Die Kommission und die Streithelferin treten diesem Vorbringen entgegen.

68      Zunächst ist in Anbetracht des Urteils vom 22. September 2020, Österreich/Kommission (C‑594/18 P, EU:C:2020:742), festzustellen, dass sich aus Rn. 43 der Leitlinien ergibt, dass eine staatliche Beihilfemaßnahme, um auf der Grundlage der Leitlinien für mit dem Binnenmarkt vereinbar erklärt zu werden, ein Ziel von gemeinsamem Interesse verfolgen muss. Gemäß dieser Randnummer kommt dieses Erfordernis in der Voraussetzung zum Ausdruck, dass eine solche Maßnahme „darauf [abzielen muss], soziale Härten zu vermeiden oder Marktversagen zu beheben“. Dies wird durch Rn. 44 dieser Leitlinien bestätigt, wonach die Mitgliedstaaten aufzeigen müssen, dass der Ausfall des begünstigten Unternehmens wahrscheinlich zu schwerwiegenden sozialen Härten oder zu schwerem Marktversagen führen würde. Inhaltlich hängt diese Anforderung somit mit der in Art. 107 Abs. 3 Buchst. c AEUV vorgesehenen Voraussetzung zusammen, dass die Beihilfemaßnahme – wie die Parteien im Übrigen in der mündlichen Verhandlung vorgetragen haben – zur Förderung der Entwicklung gewisser Wirtschaftszweige oder Wirtschaftsgebiete bestimmt sein muss.

69      Daraus folgt, dass schon der Wesensgehalt der in den Rn. 43 und 44 der Leitlinien vorgesehenen Anforderungen nicht im Widerspruch zu Art. 107 Abs. 3 Buchst. c AEUV steht, was im Übrigen von keiner der Parteien vorgetragen wird, und dass der Geltungsbereich dieser Bestimmung im Hinblick auf die Prüfung der Vereinbarkeit einer staatlichen Beihilfemaßnahme im Sinne des Urteils vom 22. September 2020, Österreich/Kommission (C‑594/18 P, EU:C:2020:742), durch diese Anforderung in den Leitlinien nicht unzulässig eingeschränkt wurde. Außerdem geht aus den Rn. 66 und 67 dieses Urteils hervor, dass der Umstand, dass die geplante Beihilfe die Behebung eines Marktversagens ermöglicht, einen maßgeblichen Gesichtspunkt für die Beurteilung der Vereinbarkeit dieser Beihilfe nach Art. 107 Abs. 3 Buchst. c AEUV darstellen kann.

70      Rn. 44 Buchst. b dieser Leitlinien sieht vor, dass die Mitgliedstaaten aufzeigen müssen, dass der Ausfall des begünstigten Unternehmens insofern wahrscheinlich zu schwerwiegenden sozialen Härten oder zu schwerem Marktversagen führen würde, als „die Gefahr einer Unterbrechung der Erbringung eines wichtigen Dienstes gegeben ist, der nur schwer zu ersetzen ist, wobei es für Wettbewerber schwierig wäre, die Erbringung der Dienstleistung einfach zu übernehmen (z. B. nationaler Infrastrukturanbieter)“.

71      Im vorliegenden Fall ist zu prüfen, ob die Kommission ohne Bedenken zu der Schlussfolgerung gelangen konnte, dass der in Rede stehende Dienst „wichtig“ und im Sinne von Rn. 44 Buchst. b der Leitlinien nur schwer zu ersetzen gewesen sei.

72      In den Rn. 81 bis 97 des angefochtenen Beschlusses ist die Kommission im Wesentlichen auf der Grundlage von zwei Gesichtspunkten zu dieser Schlussfolgerung gelangt, und zwar dass erstens die Organisation der Rückholung der im Ausland festsitzenden Fluggäste der Streithelferin durch andere Luftfahrtunternehmen schwierig gewesen wäre und dass es zweitens diesen Luftfahrtunternehmen nicht möglich gewesen sei, kurzfristig die Erbringung der Dienstleistung zu übernehmen, die die Streithelferin für Reiseveranstalter und unabhängige Reisebüros in Deutschland erbracht habe.

73      Zunächst ist der erste von der Kommission berücksichtigte Gesichtspunkt zu prüfen, nämlich die Gefahr einer Unterbrechung der von der Streithelferin erbrachten Personenverkehrsdienstleistungen, die zur Folge gehabt hätte, eine Rückholung der im Ausland festsitzenden Fluggäste vornehmen zu müssen.

74      Als Erstes ist festzustellen, dass die Leitlinien keine Definition des Begriffs „wichtiger Dienst“ enthalten.

75      Rn. 44 der Leitlinien enthält jedoch eine nicht abschließende Aufzählung von Umständen, unter denen die Kommission feststellen könnte, dass der Ausfall des begünstigten Unternehmens wahrscheinlich zu schwerwiegenden sozialen Härten oder zu schwerem Marktversagen führen würde. Einige dieser Beispiele beziehen sich auf die Gefahr „schwerwiegender sozialer Härten“, nämlich u. a. Buchst. a, in dem die Arbeitslosenquote berücksichtigt wird, oder Buchst. g, der auf „vergleichbare schwere Härtefälle, die … hinreichend zu begründen sind“, Bezug nimmt. Die anderen Beispiele beziehen sich eher auf die Gefahr eines schweren Marktversagens. Dies trifft für die Fallkonstellation in dem in der vorliegenden Rechtssache in Rede stehenden Buchst. b ebenso zu wie für Buchst. c, der auf den Marktaustritt eines „Unternehmens, das in einem bestimmten Gebiet oder Wirtschaftszweig eine wichtige systemrelevante Rolle spielt“ Bezug nimmt, und für Buchst. d, der auf die Gefahr einer Unterbrechung der kontinuierlichen Bereitstellung einer Dienstleistung von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse (DAWI) abstellt. Daraus folgt, dass es für die Einstufung des Dienstes als „wichtig“ weder erforderlich ist, dass das Unternehmen, das diesen erbringt, eine wichtige systemrelevante Rolle für die Wirtschaft eines Gebiets des betreffenden Mitgliedstaats spielt, noch, dass es mit der Erbringung einer DAWI betraut ist, da diese beiden Fälle von Rn. 44 Buchst. c bzw. d der Leitlinien erfasst werden.

76      Außerdem bedeutet entgegen dem Vorbringen der Klägerin die bloße Tatsache, dass in Rn. 44 Buchst. b „z. B.“ auf einen „nationale[n] Infrastrukturanbieter“ Bezug genommen wird, keineswegs, dass der Geltungsbereich dieser Randnummer auf Dienstleistungen beschränkt wäre, die auf nationaler Ebene von Bedeutung sind.

77      Folglich ist das Vorbringen der Klägerin zurückzuweisen, dass ein Dienst nur dann „wichtig“ sei, wenn er für die gesamte Wirtschaft eines Mitgliedstaats von Bedeutung sei.

78      Im Übrigen ist auch das Vorbringen der Klägerin, die Beförderung zu touristischen Zielen stelle keinen „wichtigen Dienst“ im Sinne von Rn. 44 Buchst. b der Leitlinien dar, als unerheblich zurückzuweisen. Die Kommission hat nämlich mitnichten die Auffassung vertreten, dass der in Rede stehende Dienst „wichtig“ sei, weil es sich um die Anbindung touristischer Ziele handele.

79      Als Zweites geht in Bezug auf die Frage, ob die von der Streithelferin erbrachten Dienstleistungen im Sinne von Rn. 44 Buchst. b der Leitlinien nur schwer zu ersetzen waren, aus den Rn. 82 und 85 des angefochtenen Beschlusses hervor, dass eine umgehende Rückholung der im Ausland festsitzenden Fluggäste der Streithelferin aufgrund des gleichzeitigen Eintritts mehrerer Ereignisse nicht kurzfristig von anderen miteinander im Wettbewerb stehenden Luftfahrtunternehmen hätte übernommen werden können. Zu diesen Ereignissen zählen die Stilllegung von insgesamt 669 Flugzeugen des Typs Boeing 737 MAX, wodurch sich die Verfügbarkeit gecharterter Flugzeuge mit Besatzung auf dem Markt verringert hat, und die gleichzeitig erfolgende Rückholung von 140 000 Fluggästen von Thomas Cook in das Vereinigte Königreich, bei der in einem Zeitraum von zwei Wochen nicht weniger als 50 Luftfahrtunternehmen mit insgesamt 746 Flügen zu 55 verschiedenen Zielen beteiligt waren. Im Vergleich dazu wäre eine etwaige Rückholung der Fluggäste der Streithelferin erheblich umfangreicher und komplexer gewesen, da sie ungefähr 200 000 bis 300 000 Fluggäste betroffen hätte, die auf 50 bis 150 verschiedene Ziele verteilt waren, davon etwa 20 000 bis 30 000 Fluggäste an weit entfernten Zielen, wofür ungefähr 1 000 bis 1 500 Flüge erforderlich gewesen wären. Außerdem würde nach Rn. 88 des angefochtenen Beschlusses die Kapazität der vier von der Streithelferin bedienten deutschen Flughäfen ebenfalls eine Hürde für eine etwaige Rückholaktion darstellen, wobei zum Vergleich die Rückholung der Fluggäste von Thomas Cook in das Vereinigte Königreich für sich genommen die Inanspruchnahme der zehn Heimatflughäfen von Thomas Cook erfordert gemacht hatte.

80      Hierzu ist das Gericht der Auffassung, dass die Kommission ohne Bedenken zu der Schlussfolgerung gelangen konnte, dass die Gefahr einer Unterbrechung der Erbringung eines wichtigen Dienstes gegeben war, der deshalb nur schwer zu ersetzen war, weil bei einem Marktaustritt der Streithelferin zahlreiche Fluggäste im Ausland festgesessen hätten, darunter einige an weit entfernten Zielorten, und weil ihre Rückholung durch andere Luftfahrtunternehmen aufgrund sämtlicher im angefochtenen Beschluss konkret und genau belegter Gesichtspunkte nur schwierig durchzuführen gewesen wäre. Aufgrund dieser Gefahr hätte der Marktaustritt der Streithelferin zu schwerem Marktversagen führen können.

81      Keines der Argumente der Klägerin ist geeignet, diese Schlussfolgerung in Frage zu stellen.

82      Erstens kann dem Vorbringen der Klägerin, es gebe während der „Wintersaison“ eine Überkapazität in der Luftfahrt, kein Erfolg beschieden sein. Zum einen steht fest, dass die Wintersaison im Luftverkehr von Ende Oktober bis Ende März dauert, während die etwaigen Rückholaktionen ab dem 23. September beginnen sollten und damit nicht in diese Saison fielen. Zum anderen ändert dies jedenfalls nichts daran, dass die Verfügbarkeit von Flugzeugen zu diesem Zeitpunkt erheblich verringert war, und zwar insbesondere durch zwei gleichzeitig eingetretene außergewöhnliche Ereignisse, nämlich die Stilllegung und die Lieferprobleme von mehreren Hundert Boeing 737 MAX und die Rückholung der Fluggäste von Thomas Cook in großem Umfang. Insoweit ist – wie es auch die Kommission getan hat – darauf hinzuweisen, dass die Organisation der Rückholung der Fluggäste der Streithelferin noch erheblich umfangreicher gewesen wäre als die der Fluggäste von Thomas Cook, die als „größte Rückholaktion in Friedenszeiten“ eingestuft wurde. Die oben in Rn. 79 angeführten unbestrittenen Angaben belegen dies.

83      Folglich hätten die Auswirkungen dieser beiden außergewöhnlichen und zeitgleichen Ereignisse auf die Verfügbarkeit von Flugzeugen etwaige Rückholaktionen erheblich verkompliziert, die von anderen Luftfahrtunternehmen gleichzeitig und unter Zeitdruck hätten durchgeführt werden müssen.

84      Insoweit ist hervorzuheben, dass Rn. 44 Buchst. b der Leitlinien nicht erfordert, dass ein wichtiger Dienst nicht ersetzt werden kann, sondern es genügt, dass er „nur schwer“ zu ersetzen ist.

85      Zweitens ist zum Vorbringen der Klägerin, die Kommission habe sich zu Unrecht allein auf die Kapazität der vier von der Streithelferin angeflogenen deutschen Flughäfen gestützt, festzustellen, dass die Kommission nicht in Abrede gestellt hat, dass für eine etwaige Rückholung auf Kapazitäten anderer, möglicherweise weniger überlasteter Flughäfen hätte zurückgegriffen werden können. Die begrenzten Kapazitäten der vier von der Streithelferin angeflogenen deutschen Flughäfen wurden von der Kommission in Rn. 88 des angefochtenen Beschlusses lediglich als Vergleich zu den zehn Heimatflughäfen von Thomas Cook angeführt, die zur Rückholung ihrer Fluggäste in Anspruch genommen wurden; damit wurde aufgezeigt, dass die Rückholung der Fluggäste der Streithelferin komplizierter gewesen wäre als die der Fluggäste von Thomas Cook.

86      Drittens ist zur Behauptung der Klägerin, die Kommission habe die Notwendigkeit eines Zeitraums von sechs Monaten für die Rückholung der Fluggäste der Streithelferin nicht begründet, darauf hinzuweisen, dass die Kommission zu keinem Zeitpunkt die Auffassung vertreten hat, dass ein solcher Zeitraum für diese Rückholung erforderlich gewesen wäre. Der Zeitraum von sechs Monaten entspricht in Wahrheit vielmehr der Dauer der in Rede stehenden Maßnahme. Wie die Kommission zu Recht ausführt, hängt die Dauer der in Rede stehenden Maßnahme aber in keiner Weise davon ab, wie viel Zeit für eine etwaige Rückholung benötigt worden wäre. Im Übrigen soll die sechsmonatige Dauer, wie in Rn. 60 der Leitlinien angegeben wird, dem Begünstigten ermöglichen, seine Liquidität wiederherzustellen.

87      Unter diesen Voraussetzungen ist festzustellen, dass der Umfang, die Komplexität und die Dringlichkeit der Rückholaktionen, die unter den Umständen des gleichzeitigen Eintritts außergewöhnlicher Ereignisse hätten durchgeführt werden müssen, für sich allein die Schlussfolgerung rechtfertigen, dass der Marktaustritt der Streithelferin die Gefahr einer Unterbrechung der Erbringung eines wichtigen Dienstes mit sich gebracht hätte, der unter den besonderen Umständen des vorliegenden Falles nur schwer zu ersetzen gewesen wäre.

88      Das Vorbringen der Klägerin, mit dem sie den zweiten von der Kommission herangezogenen Gesichtspunkt beanstandet, nämlich die Gefahr einer Unterbrechung der von der Streithelferin an Reiseveranstalter und unabhängige Reisebüros in Deutschland erbrachten Dienstleistungen, geht daher ins Leere.

89      Nach alledem ist festzustellen, dass auch der zweite Anhaltspunkt keine Bedenken zutage treten lässt.

d)      Zum Anhaltspunkt für einen Verstoß gegen Rn. 74 der Leitlinien

90      Die Klägerin macht im Wesentlichen geltend, die Kommission habe die in Rn. 74 der Leitlinien vorgesehene Voraussetzung der Einmaligkeit der Beihilfe unvollständig und unzureichend geprüft, da sie sich auf den Hinweis beschränkt habe, dass die Streithelferin und die von ihr kontrollierten Unternehmen in den letzten zehn Jahren keine Rettungsbeihilfe, Umstrukturierungsbeihilfe oder vorübergehende Umstrukturierungshilfe erhalten hätten, obwohl sie auch hätte prüfen müssen, ob die Thomas Cook Gruppe selbst keine Beihilfen erhalten habe.

91      Die Kommission und die Streithelferin treten diesem Vorbringen entgegen.

92      Rn. 74 der Leitlinien bestimmt: „Hat eine Unternehmensgruppe bereits eine Rettungsbeihilfe, Umstrukturierungsbeihilfe oder vorübergehende Umstrukturierungshilfe erhalten, so genehmigt die Kommission weitere Rettungs- oder Umstrukturierungsbeihilfen zugunsten der Gruppe oder einzelner Unternehmen dieser Gruppe normalerweise erst 10 Jahre, nachdem die Beihilfe gewährt, die Umstrukturierungsphase abgeschlossen oder die Umsetzung des Umstrukturierungsplans eingestellt worden ist (je nachdem, welches Ereignis als Letztes eingetreten ist).“

93      Im vorliegenden Fall genügt die Feststellung, dass die Klägerin, wie sie in der mündlichen Verhandlung ausdrücklich eingeräumt hat, nichts vorträgt, was belegen könnte, dass die Thomas Cook Gruppe in den letzten zehn Jahren irgendeine Rettungsbeihilfe, Umstrukturierungsbeihilfe oder vorübergehende Umstrukturierungshilfe erhalten hätte.

94      Daher kann der Kommission unter den Umständen des vorliegenden Falles mangels entsprechender Anhaltspunkte und in Anbetracht der oben in Rn. 27 angeführten Rechtsprechung nicht vorgeworfen werden, die in Rn. 74 der Leitlinien vorgesehene Voraussetzung der Einmaligkeit der Beihilfe unvollständig und unzureichend geprüft zu haben.

95      Folglich ist es der Klägerin nicht gelungen, darzutun, dass ein Anhaltspunkt für einen Verstoß gegen Rn. 74 der Leitlinien die Kommission zu Bedenken hinsichtlich der Vereinbarkeit der in Rede stehenden Maßnahme mit dem Binnenmarkt hätte Anlass geben müssen.

96      Nach alledem ist festzustellen, dass die Klägerin nicht nachgewiesen hat, dass Bedenken bestanden, die die Einleitung des förmlichen Prüfverfahrens hätten rechtfertigen können.

97      Folglich ist der vierte Klagegrund zurückzuweisen.

2.      Zum fünften Klagegrund: Verletzung der Begründungspflicht

98      Mit ihrem fünften Klagegrund macht die Klägerin im Wesentlichen geltend, die Begründung des angefochtenen Beschlusses sei mit einem Fehler oder einem Widerspruch behaftet.

99      Die Kommission und die Streithelferin treten diesem Vorbringen entgegen.

100    Nach ständiger Rechtsprechung muss die nach Art. 296 AEUV vorgeschriebene Begründung der Natur des betreffenden Rechtsakts angepasst sein und die Überlegungen des Unionsorgans, das den Rechtsakt erlassen hat, so klar und eindeutig zum Ausdruck bringen, dass die Betroffenen ihr die Gründe für die erlassene Maßnahme entnehmen können und das zuständige Gericht seine Kontrollaufgabe wahrnehmen kann. Das Begründungserfordernis ist nach den Umständen des Einzelfalls, insbesondere nach dem Inhalt des Rechtsakts, der Art der angeführten Gründe und dem Interesse zu beurteilen, das die Adressaten oder andere durch den Rechtsakt unmittelbar und individuell betroffene Personen an Erläuterungen haben können. In der Begründung brauchen nicht alle tatsächlich und rechtlich einschlägigen Gesichtspunkte genannt zu werden, da die Frage, ob die Begründung eines Rechtsakts den Erfordernissen des Art. 296 AEUV genügt, nicht nur anhand ihres Wortlauts zu beurteilen ist, sondern auch anhand ihres Kontexts sowie sämtlicher Rechtsvorschriften auf dem betreffenden Gebiet (vgl. Urteil vom 8. September 2011, Kommission/Niederlande, C‑279/08 P, EU:C:2011:551, Rn. 125 und die dort angeführte Rechtsprechung).

101    Erstens macht die Klägerin geltend, die Begründung in Rn. 80 des angefochtenen Beschlusses sei insofern widersprüchlich, als die Kommission zum einen behauptet habe, dass sich der dringende Liquiditätsbedarf der Streithelferin u. a. aus den zuvor innerhalb der Thomas Cook Gruppe anwendbaren finanziellen Mechanismen ergebe, und sie zum anderen festgestellt habe, dass die Schwierigkeiten der Streithelferin nicht auf eine willkürliche Kostenverteilung innerhalb der Gruppe zurückzuführen seien.

102    Anhand der Rn. 12, 15 bis 17, 80 und 109 des angefochtenen Beschlusses lässt sich jedoch nachvollziehen, warum die Kommission insbesondere der Auffassung war, dass die Liquiditätsbündelung der Gruppe keine solche willkürliche Kostenverteilung darstelle. Wie sich oben aus den Rn. 52 bis 57 ergibt, ist die Begründung des angefochtenen Beschlusses insoweit nicht mit einem Widerspruch behaftet.

103    Zweitens ist die Klägerin der Ansicht, dass der angefochtene Beschluss mit einem Begründungsmangel hinsichtlich der Frage behaftet sei, ob die Schwierigkeiten der Streithelferin so gravierend seien, dass sie – wie in Rn. 22 der Leitlinien festgelegt – von der Gruppe selbst nicht bewältigt werden könnten.

104    Wie oben in den Rn. 60 bis 63 ausgeführt, geht insoweit aus den Rn. 12 und 13 des angefochtenen Beschlusses hervor, dass die Thomas Cook Gruppe am 23. September 2019 ihre Tätigkeiten mit sofortiger Wirkung eingestellt hatte und das gerichtliche Liquidationsverfahren über sie eröffnet worden war. Außerdem hat die Kommission in Rn. 17 dieses Beschlusses betont, dass die Muttergesellschaft offensichtlich nicht in der Lage gewesen sei, die Streithelferin zu unterstützen, sondern vielmehr eine Belastung für diese dargestellt habe. In diesen Randnummern des angefochtenen Beschlusses werden somit klar und eindeutig die Gründe angegeben, aus denen die Kommission die oben genannte Voraussetzung der Rn. 22 der Leitlinien als erfüllt ansah.

105    Drittens macht die Klägerin geltend, im angefochtenen Beschluss würden nicht die Gründe genannt, aus denen die Dienste der Streithelferin als wichtig anzusehen seien und im Sinne von Rn. 44 Buchst. b der Leitlinien nicht von anderen Luftfahrtunternehmen ersetzt werden könnten.

106    Es ist jedoch festzustellen, dass die Rn. 81 bis 95 des angefochtenen Beschlusses eine ausführliche Darstellung der Gründe enthalten, aus denen die Kommission zu der Feststellung gelangt ist, dass die in Rn. 44 Buchst. b der Leitlinien vorgesehenen Voraussetzungen erfüllt seien. Sie hat diese Schlussfolgerung insbesondere auf den Umfang und die Komplexität etwaiger Rückholaktionen unter den Umständen gleichzeitig eingetretener außergewöhnlicher Ereignisse gestützt, wodurch die Organisation solcher Rückholungen durch andere Luftfahrtunternehmen erschwert worden wäre. Daher ist die Begründung des angefochtenen Beschlusses insoweit als ausreichend anzusehen.

107    Viertens hat die Kommission nach Ansicht der Klägerin nicht angegeben, weshalb sie der Auffassung sei, dass die in Rn. 74 der Leitlinien festgelegte Voraussetzung der Einmaligkeit der Beihilfe im vorliegenden Fall erfüllt sei.

108    Hierzu ist zum einen festzustellen, dass die Kommission in Rn. 112 des angefochtenen Beschlusses ausgeführt hat, dass weder die Streithelferin noch ein von ihr kontrolliertes Unternehmen in den letzten zehn Jahren eine Rettungsbeihilfe, eine Umstrukturierungsbeihilfe oder eine vorübergehende Umstrukturierungshilfe erhalten habe. Zum anderen musste die Kommission in Ermangelung jeglicher Anhaltspunkte dafür, dass die Thomas Cook Gruppe in den zehn Jahren vor der Gewährung der in Rede stehenden Maßnahme irgendeine Beihilfe erhalten hätte, insoweit keine ausführlichere Begründung anführen. Unter diesen Umständen hat die Kommission die Gründe hinreichend dargelegt, derentwegen sie der Auffassung war, dass die Voraussetzung der Einmaligkeit der Beihilfe im vorliegenden Fall erfüllt sei.

109    Folglich ist der fünfte Klagegrund als unbegründet zurückzuweisen.

110    Nach alledem ist die Klage insgesamt abzuweisen.

IV.    Kosten

111    Nach Art. 134 Abs. 1 der Verfahrensordnung des Gerichts ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da die Klägerin unterlegen ist, sind ihr gemäß dem Antrag der Kommission ihre eigenen Kosten und die Kosten der Kommission aufzuerlegen.

112    Die Streithelferin trägt gemäß Art. 138 Abs. 3 der Verfahrensordnung ihre eigenen Kosten.

Aus diesen Gründen hat

DAS GERICHT (Zehnte erweiterte Kammer)

für Recht erkannt und entschieden:

1.      Die Klage wird abgewiesen.

2.      Die Ryanair DAC trägt ihre eigenen Kosten sowie die Kosten der Europäischen Kommission.

3.      Die Condor Flugdienst GmbH trägt ihre eigenen Kosten.

Kornezov

Buttigieg

Kowalik‑Bańczyk

Hesse

 

      Petrlík

Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 18. Mai 2022.

Unterschriften


*      Verfahrenssprache: Englisch.