Language of document : ECLI:EU:C:2024:256

URTEIL DES GERICHTSHOFS (Siebte Kammer)

21. März 2024(*)

„Vorlage zur Vorabentscheidung – Umwelt – Maßnahmen der Union im Bereich der Wasserpolitik – Richtlinie 2000/60/EG – Umweltziele bei Oberflächengewässern – Verhinderung der Verschlechterung des Zustands aller Oberflächenwasserkörper – Anhang V Rn. 1.2.2 – Begriffsbestimmungen für den sehr guten, guten und mäßigen ökologischen Zustand von Seen – Kriterien für die Beurteilung der biologischen Qualitätskomponente ‚Fischfauna‘“

In der Rechtssache C‑671/22

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Verwaltungsgerichtshof (Österreich) mit Entscheidung vom 20. Oktober 2022, beim Gerichtshof eingegangen am 25. Oktober 2022, in dem Verfahren

T GmbH

gegen

Bezirkshauptmannschaft Spittal an der Drau

erlässt

DER GERICHTSHOF (Siebte Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten F. Biltgen sowie des Richters J. Passer (Berichterstatter) und der Richterin M. L. Arastey Sahún,

Generalanwalt: A. Rantos,


Kanzler: A. Calot Escobar,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

–        der T GmbH, vertreten durch Rechtsanwältin V. Rastner,

–        der österreichischen Regierung, vertreten durch A. Posch, J. Schmoll und M. Kopetzki als Bevollmächtigte,

–        Irlands, vertreten durch M. Browne, Chief State Solicitor, A. Joyce, D. O’Reilly und M. Tierney als Bevollmächtigte im Beistand von J. Doherty, SC, und E. McGrath, SC,

–        der Europäischen Kommission, vertreten durch C. Hermes und E. Sanfrutos Cano als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 16. November 2023

folgendes

Urteil

1        Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Anhang V Rn. 1.2.2 der Richtlinie 2000/60/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. Oktober 2000 zur Schaffung eines Ordnungsrahmens für Maßnahmen der Gemeinschaft im Bereich der Wasserpolitik (ABl. 2000, L 327, S. 1).

2        Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der T GmbH und der Bezirkshauptmannschaft Spittal an der Drau (Österreich) (im Folgenden: Verwaltungsbehörde) wegen deren Ablehnung, der Revisionswerberin des Ausgangsverfahrens die Bewilligung zur Errichtung einer Bootshütte in einem See zu erteilen.

 Rechtlicher Rahmen

 Unionsrecht

3        Der 25. Erwägungsgrund der Richtlinie 2000/60 lautet:

„Es sollten gemeinsame Begriffsbestimmungen zur Beschreibung des Zustandes von Gewässern sowohl im Hinblick auf die Güte als auch – soweit für den Umweltschutz von Belang – auf die Menge festgelegt werden. Umweltziele sollen sicherstellen, dass sich die Oberflächengewässer und das Grundwasser in der gesamten Gemeinschaft in einem guten Zustand befinden und eine Verschlechterung des Zustands der Gewässer auf Gemeinschaftsebene verhindert wird.“

4        Art. 1 („Ziel“) der Richtlinie 2000/60 bestimmt:

„Ziel dieser Richtlinie ist die Schaffung eines Ordnungsrahmens für den Schutz der Binnenoberflächengewässer, der Übergangsgewässer, der Küstengewässer und des Grundwassers zwecks

a)      Vermeidung einer weiteren Verschlechterung sowie Schutz und Verbesserung des Zustands der aquatischen Ökosysteme und der direkt von ihnen abhängenden Landökosysteme und Feuchtgebiete im Hinblick auf deren Wasserhaushalt;

…“

5        Art. 2 („Begriffsbestimmungen“) der Richtlinie 2000/60 sieht vor:

„Im Sinne dieser Richtlinie gelten folgende Begriffsbestimmungen:

17.      ‚Zustand des Oberflächengewässers‘: die allgemeine Bezeichnung für den Zustand eines Oberflächenwasserkörpers auf der Grundlage des jeweils schlechteren Wertes für den ökologischen und den chemischen Zustand;

18.      ‚guter Zustand des Oberflächengewässers‘: der Zustand eines Oberflächenwasserkörpers, der sich in einem zumindest ,guten‘ ökologischen und chemischen Zustand befindet;

21.      ‚ökologischer Zustand‘: die Qualität von Struktur und Funktionsfähigkeit aquatischer, in Verbindung mit Oberflächengewässern stehender Ökosysteme gemäß der Einstufung nach Anhang V;

22.      ‚guter ökologischer Zustand‘: der Zustand eines entsprechenden Oberflächenwasserkörpers gemäß der Einstufung nach Anhang V;

…“

6        Art. 4 („Umweltziele“) der Richtlinie 2000/60 bestimmt:

„(1)      In Bezug auf die Umsetzung der in den Bewirtschaftungsplänen für die Einzugsgebiete festgelegten Maßnahmenprogramme gilt folgendes:

a)      bei Oberflächengewässern:

i)      die Mitgliedstaaten führen, vorbehaltlich der Anwendung der Absätze 6 und 7 und unbeschadet des Absatzes 8, die notwendigen Maßnahmen durch, um eine Verschlechterung des Zustands aller Oberflächenwasserkörper zu verhindern;

ii)      die Mitgliedstaaten schützen, verbessern und sanieren alle Oberflächenwasserkörper, vorbehaltlich der Anwendung der Ziffer iii betreffend künstliche und erheblich veränderte Wasserkörper, mit dem Ziel, spätestens 15 Jahre nach Inkrafttreten dieser Richtlinie gemäß den Bestimmungen des Anhangs V, vorbehaltlich etwaiger Verlängerungen gemäß Absatz 4 sowie der Anwendung der Absätze 5, 6 und 7 und unbeschadet des Absatzes 8 einen guten Zustand der Oberflächengewässer zu erreichen;

…“

7        In Anhang V Rn. 1.2 („Normative Begriffsbestimmungen zur Einstufung des ökologischen Zustands“) der Richtlinie 2000/60 heißt es:

„Tabelle 1.2 Allgemeine Begriffsbestimmungen für den Zustand von Flüssen, Seen, Übergangsgewässern und Küstengewässern

Im Folgenden wird eine allgemeine Bestimmung der ökologischen Qualität gegeben. Zur Einstufung sind als Werte für die Qualitätskomponenten des ökologischen Zustands bei der jeweiligen Kategorie von Oberflächengewässern die Werte der nachstehenden Tabellen 1.2.1 bis 1.2.4 anzuwenden.

Komponente

Sehr guter Zustand

Guter Zustand

Mäßiger Zustand

Allgemein

Es sind bei dem jeweiligen Oberflächengewässertyp keine oder nur sehr geringfügige anthropogene Änderungen der Werte für die physikalisch-chemischen und hydromorphologischen Qualitätskomponenten gegenüber den Werten zu verzeichnen, die normalerweise bei Abwesenheit störender Einflüsse mit diesem Typ einhergehen.

Die Werte für die biologischen Qualitätskomponenten des Oberflächengewässers entsprechen denen, die normalerweise bei Abwesenheit störender Einflüsse mit dem betreffenden Typ einhergehen, und zeigen keine oder nur sehr geringfügige Abweichungen an.

Die typspezifischen Bedingungen und Gemeinschaften sind damit gegeben.

Die Werte für die biologischen Qualitätskomponenten des Oberflächengewässertyps zeigen geringe anthropogene Abweichungen an, weichen aber nur in geringem Maße von den Werten ab, die normalerweise bei Abwesenheit störender Einflüsse mit dem betreffenden Oberflächengewässertyp einhergehen.

Die Werte für die biologischen Qualitätskomponenten des Oberflächengewässertyps weichen mäßig von den Werten ab, die normalerweise bei Abwesenheit störender Einflüsse mit dem betreffenden Oberflächengewässertyp einhergehen. Die Werte geben Hinweise auf mäßige anthropogene Abweichungen und weisen signifikant stärkere Störungen auf, als dies unter den Bedingungen des guten Zustands der Fall ist.


Gewässer, deren Zustand schlechter als mäßig ist, werden als unbefriedigend oder schlecht eingestuft.

Gewässer, bei denen die Werte für die biologischen Qualitätskomponenten des betreffenden Oberflächengewässertyps stärkere Veränderungen aufweisen und die Biozönosen erheblich von denen abweichen, die normalerweise bei Abwesenheit störender Einflüsse mit dem betreffenden Oberflächengewässertyp einhergehen, werden als unbefriedigend eingestuft.

Gewässer, bei denen die Werte für die biologischen Qualitätskomponenten des betreffenden Oberflächengewässertyps erhebliche Veränderungen aufweisen und große Teile der Biozönosen, die normalerweise bei Abwesenheit störender Einflüsse mit dem betreffenden Oberflächengewässertyp einhergehen, fehlen, werden als schlecht eingestuft.

…“

1.2.2 Begriffsbestimmungen für den sehr guten, guten und mäßigen ökologischen Zustand von Seen

Biologische Qualitätskomponenten

Komponente

Sehr guter Zustand

Guter Zustand

Mäßiger Zustand

Fischfauna

Zusammensetzung und Abundanz der Arten entsprechen vollständig oder nahezu vollständig den Bedingungen bei Abwesenheit störender Einflüsse.

Alle typspezifischen störungsempfindlichen Arten sind vorhanden.

Die Altersstrukturen der Fischgemeinschaften zeigen kaum Anzeichen anthropogener Störungen und deuten nicht auf Störungen bei der Fortpflanzung oder Entwicklung irgendeiner besonderen Art hin.

Aufgrund anthropogener Einflüsse auf die physikalisch-chemischen und hydromorphologischen Qualitätskomponenten weichen die Arten in Zusammensetzung und Abundanz geringfügig von den typspezifischen Gemeinschaften ab.

Die Altersstrukturen der Fischgemeinschaften zeigen Anzeichen für Störungen aufgrund anthropogener Einflüsse auf die physikalisch-chemischen oder hydromorphologischen Qualitätskomponenten und deuten in wenigen Fällen auf Störungen bei der Fortpflanzung oder Entwicklung einer bestimmten Art hin, so dass einige Altersstufen fehlen können.

Aufgrund anthropogener Einflüsse auf die physikalisch-chemischen oder hydromorphologischen Qualitätskomponenten weichen die Fischarten in Zusammensetzung und Abundanz mäßig von den typspezifischen Gemeinschaften ab.

Aufgrund anthropogener Einflüsse auf die physikalisch-chemischen oder hydromorphologischen Qualitätskomponenten zeigt die Altersstruktur der Fischgemeinschaften größere Anzeichen von Störungen, so dass ein mäßiger Teil der typspezifischen Arten fehlt oder sehr selten ist.


…“

 Österreichisches Recht

8        § 30a Abs. 1 des Wasserrechtsgesetzes 1959 vom 16. Oktober 1959 (BGBl. 215/1959) in der Fassung vom 22. November 2018 (BGBl. I 73/2018) (im Folgenden: WRG) bestimmt im Wesentlichen, dass Oberflächengewässer derart zu schützen, zu verbessern und zu sanieren sind, dass eine Verschlechterung ihres Zustands verhindert wird, und dass der Zielzustand eines Oberflächengewässers dann erreicht wird, wenn sich der Oberflächenwasserkörper zumindest in einem guten ökologischen Potenzial und einem guten chemischen Zustand befindet.

9        Nach § 104a Abs. 1 Z 1 Buchst. b WRG sind Vorhaben, bei denen durch Änderungen der hydromorphologischen Eigenschaften eines Oberflächenwasserkörpers oder durch Änderungen des Wasserspiegels von Grundwasserkörpern mit einer Verschlechterung des Zustands eines Oberflächenwasser- oder Grundwasserkörpers zu rechnen ist, jedenfalls Vorhaben, bei denen Auswirkungen auf öffentliche Rücksichten zu erwarten sind.

10      Gemäß § 105 Abs. 1 WRG kann ein Antrag auf Bewilligung eines Vorhabens im öffentlichen Interesse abgewiesen werden, wenn eine wesentliche Beeinträchtigung des ökologischen Zustands der Gewässer zu besorgen ist oder wenn sich eine wesentliche Beeinträchtigung der aus anderen unionsrechtlichen Vorschriften resultierenden Zielsetzungen ergibt.

 Ausgangsrechtsstreit und Vorlagefragen

11      Am 7. November 2013 stellte die Revisionswerberin des Ausgangsverfahrens bei der Verwaltungsbehörde einen Antrag auf Erteilung einer Bewilligung für die Errichtung einer Bootshütte in einer Größe von 7 m x 8,5 m im Weißensee (Österreich). Dieser im Land Kärnten gelegene natürliche See hat eine Fläche von 6,53 km².

12      Nachdem dieser Antrag mit Bescheid vom 25. Mai 2016 abgewiesen worden war, erhob die Revisionswerberin Beschwerde an das Landesverwaltungsgericht Kärnten (Österreich), das den abweisenden Bescheid mit Erkenntnis vom 21. Februar 2020 bestätigte. Das Gericht hielt den allgemeinen Zustand der Oberflächengewässer des Sees wegen der Qualität der Fischfauna für „unbefriedigend“. Es war der Auffassung, dass es, auch wenn sich alle hydromorphologischen und physikalisch-chemischen Qualitätskomponenten sowie die biologischen Qualitätskomponenten „Phytoplankton“ und „Makrophyten“ in einem sehr guten Zustand befänden, eine Gesamtbeurteilung der Qualitätskomponenten vorzunehmen habe und als ausschlaggebendes Kriterium für die Einstufung das Kriterium mit dem schlechtesten Wert zugrunde zu legen habe. Der unbefriedigende Zustand der biologischen Qualitätskomponente „Fischfauna“ gehe auf eine schlechte Bewirtschaftung der Fischereiressourcen zurück, wobei die aktuelle Fischbestandserhebung darauf schließen lasse, dass von den acht ursprünglichen Fischarten nur noch sechs vorkämen, während neun Fremdfischarten hinzugekommen seien.

13      Nach Ansicht des Landesverwaltungsgerichts Kärnten ist es den Mitgliedstaaten wegen der ihnen nach der Richtlinie 2000/60 obliegenden Pflichten zur Verbesserung des Zustands der Oberflächengewässer und zur Erreichung eines guten Gewässerzustands versagt, Maßnahmen zu erlassen, die einer Verbesserung entgegenstehen könnten oder nicht zum Ziel hätten, zu einer Verbesserung beizutragen. Die Errichtung einer Bootshütte in Ufernähe des Sees bewirke zwar keine Veränderung des allgemeinen Zustands des Sees, führe aber nicht zu einer Verbesserung des Zustands seiner Oberflächengewässer, da sie die vorhandenen natürlichen Laichplätze beeinträchtige.

14      Das vorlegende Gericht, der mit der Revision der Revisionswerberin des Ausgangsverfahrens gegen das Urteil vom 21. Februar 2020 befasste Verwaltungsgerichtshof (Österreich), ist der Ansicht, dass die Richtlinie 2000/60 nicht dazu verpflichte, die Bewilligung von Vorhaben zu versagen, die zwar nicht zu einer Verschlechterung des Zustands der Wasserkörper führten, aber zu einem guten Zustand der Oberflächengewässer nichts beitrügen. Sie schreibe vielmehr lediglich die Versagung der Bewilligung von Vorhaben vor, die nicht unerhebliche Auswirkungen auf den Zustand der betreffenden Wasserkörper hätten.

15      Die Mitgliedstaaten sind dem vorlegenden Gericht zufolge nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs und insbesondere nach Rn. 51 des Urteils vom 1. Juli 2015, Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (C‑461/13, EU:C:2015:433), vorbehaltlich der Gewährung einer Ausnahme verpflichtet, die Genehmigung für ein konkretes Vorhaben zu versagen, wenn es eine Verschlechterung des Zustands eines Oberflächenwasserkörpers verursachen könne oder wenn es die Erreichung eines guten Zustands eines Oberflächengewässers bzw. eines guten ökologischen Potenzials und eines guten chemischen Zustands eines Oberflächengewässers gefährde. Das vorlegende Gericht weist auch auf die Rechtsprechung hin, wonach die Mitgliedstaaten bei der Beurteilung der Vereinbarkeit eines konkreten Programms oder Vorhabens mit dem Ziel, eine Verschlechterung der Wasserqualität zu vermeiden, die vorübergehenden negativen Auswirkungen dieser Programme oder Vorhaben auf die Wasserqualität nicht berücksichtigen dürften, wenn feststehe, dass diese Auswirkungen ihrem Wesen nach offensichtlich nur mit geringfügigen Folgen für den Zustand der betreffenden Wasserkörper einhergingen.

16      Im vorliegenden Fall hält es das vorlegende Gericht in dem bei ihm anhängigen Rechtsstreit für erforderlich, in einem ersten Schritt die vorgesehenen Maßnahmen zur Erreichung eines guten Zustands der Oberflächengewässer zu beurteilen und in einem zweiten Schritt zu prüfen, ob das Vorhaben diese Maßnahmen nicht nur geringfügig beeinträchtige. Eine solche Prüfung setze voraus, dass der Zustand der betreffenden Oberflächengewässer schlechter als „gut“ eingestuft werde. Daher fragt sich das vorlegende Gericht, ob die im Ausgangsverfahren in Rede stehende Beeinträchtigung der Fischfauna, die allein auf fischereiwirtschaftliche Maßnahmen und nicht auf anthropogene Einflüsse auf die physikalisch-chemischen oder hydromorphologischen Qualitätskomponenten zurückzuführen sei, dazu führe, dass der Zustand der Oberflächengewässer schlechter als „gut“ einzustufen sei.

17      Sofern bei der Bestimmung des ökologischen Zustands der Oberflächengewässer andere Ursachen als die anthropogenen Einflüsse auf die physikalisch-chemischen und hydromorphologischen Qualitätskomponenten zu berücksichtigen seien, sei der Zustand der Gewässer des betreffenden Sees als „unbefriedigend“ einzustufen. Für diesen Fall fragt sich das vorlegende Gericht, wie bei der Einstufung der biologischen Qualitätskomponente „Fischfauna“ zu verfahren sei und welche Stufe dieser Qualitätskomponente zugeordnet werden könne.

18      In diesem Zusammenhang hat der Verwaltungsgerichtshof beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

1.      Ist Anhang V Rn. 1.2.2 (Begriffsbestimmungen für den sehr guten, guten und mäßigen ökologischen Zustand von Seen) der Richtlinie 2000/60 dahin gehend auszulegen, dass unter „störenden Einflüssen“ in der Tabelle „Biologische Qualitätskomponenten“, Zeile „Fischfauna“, Spalte „Sehr guter Zustand“ ausschließlich anthropogene Einflüsse auf die physikalisch-chemischen und hydromorphologischen Qualitätskomponenten zu verstehen sind?

2.      Ist die genannte Bestimmung dahin gehend auszulegen, dass eine Abweichung der biologischen Qualitätskomponente „Fischfauna“ vom sehr guten Zustand, die auf andere störende Einflüsse als anthropogene Einflüsse auf die physikalisch-chemischen und hydromorphologischen Qualitätskomponenten zurückzuführen ist, dazu führt, dass die biologische Qualitätskomponente „Fischfauna“ auch nicht in einen „guten Zustand“ oder einen „mäßigen Zustand“ einzustufen ist?

 Zur Zulässigkeit

19      Zunächst weist die Europäische Kommission in ihren schriftlichen Erklärungen darauf hin, dass das vorlegende Gericht mit seinen Fragen davon ausgehe, dass es sich bei den Mängeln in der Bewirtschaftung der Fischereiressourcen und den „anthropogenen Einflüssen auf die physikalisch-chemischen oder hydromorphologischen Qualitätskomponenten“ im Sinne von Anhang V Rn. 1.2.2 der Richtlinie 2000/60 um zwei unterschiedliche anthropogene Einflüsse handele. Die Vorlagefragen wären unerheblich, wenn diese Mängel, die nach Ansicht der österreichischen Gerichte die Einstufung der betreffenden Oberflächengewässer als „unbefriedigend“ begründeten, als „anthropogene Einflüsse auf die physikalisch-chemischen oder hydromorphologischen Qualitätskomponenten“ im Sinne von Anhang V Rn. 1.2.2 dieser Richtlinie anzusehen wären.

20      Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs eine Vermutung für die Entscheidungserheblichkeit der Vorlagefragen eines nationalen Gerichts spricht, die es zur Auslegung des Unionsrechts in dem rechtlichen und sachlichen Rahmen stellt, den es in eigener Verantwortung festlegt und dessen Richtigkeit der Gerichtshof nicht zu prüfen hat. Die Zurückweisung des Ersuchens eines nationalen Gerichts ist dem Gerichtshof nur möglich, wenn die erbetene Auslegung des Unionsrechts offensichtlich in keinem Zusammenhang mit den Gegebenheiten oder dem Gegenstand des Ausgangsrechtsstreits steht, wenn das Problem hypothetischer Natur ist oder wenn der Gerichtshof nicht über die tatsächlichen und rechtlichen Angaben verfügt, die für eine zweckdienliche Beantwortung der ihm vorgelegten Fragen erforderlich sind (Urteil vom 25. Mai 2023, WertInvest Hotelbetrieb, C‑575/21, EU:C:2023:425, Rn. 30 und die dort angeführte Rechtsprechung).

21      Außerdem ist nach ebenfalls ständiger Rechtsprechung im Rahmen des Verfahrens nach Art. 267 AEUV, das auf einer klaren Aufgabentrennung zwischen den nationalen Gerichten und dem Gerichtshof beruht, allein das nationale Gericht dafür zuständig, den Sachverhalt des Ausgangsrechtsstreits festzustellen und zu würdigen sowie die genaue Bedeutung der nationalen Rechts- oder Verwaltungsvorschriften zu bestimmen. Die Zuständigkeit des Gerichtshofs beschränkt sich darauf, sich anhand der Sach- und Rechtslage, wie sie das vorlegende Gericht dargestellt hat, zur Auslegung oder zur Gültigkeit des Unionsrechts zu äußern, wobei er sie weder in Frage stellen noch deren Richtigkeit prüfen kann (Urteil vom 9. September 2021, Real Vida Seguros, C‑449/20, EU:C:2021:721, Rn. 13 und die dort angeführte Rechtsprechung).

22      Im vorliegenden Fall kann zwar nicht ausgeschlossen werden, dass die Fischerei Einflüsse auf die physikalisch-chemischen und möglicherweise hydromorphologischen Qualitätskomponenten der Oberflächengewässer haben kann, doch liefern die dem Gerichtshof vorliegenden Akten keinen Anhaltspunkt dafür, dass die Maßnahmen zur Bewirtschaftung der Fischereiressourcen jedenfalls Maßnahmen mit anthropogenen Einflüssen auf die physikalisch-chemischen und hydromorphologischen Qualitätskomponenten der Oberflächengewässer wären.

23      Die Vorlagefragen, deren Unerheblichkeit nicht ersichtlich ist, sind demnach zulässig.

 Zu den Vorlagefragen

24      Mit seinen Fragen, die zusammen zu prüfen sind, möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob Anhang V Rn. 1.2.2 der Richtlinie 2000/60 dahin auszulegen ist, dass sich in Bezug auf die Kriterien für die Beurteilung der biologischen Qualitätskomponente „Fischfauna“ die „anthropogenen Störungen“ in der Zusammensetzung und Abundanz der Fischarten im Vergleich zu den typspezifischen Gemeinschaften im Sinne dieser Randnummer nur aus „anthropogenen Einflüssen auf die physikalisch-chemischen und hydromorphologischen Qualitätskomponenten“ der Seen, nicht aber aus anderen anthropogenen Einflüssen wie Maßnahmen zur Bewirtschaftung der Fischereiressourcen ergeben können. Für den Fall, dass dies verneint wird, möchte es wissen, ob für die Einstufung des ökologischen Zustands der Fischfauna alle Störungsursachen von Bedeutung sind.

25      Sofern die Störungen als durch Maßnahmen zur Bewirtschaftung der Fischereiressourcen verursacht anzusehen seien, ist der ökologische Zustand der Gewässer des in Rede stehenden Sees nach Auffassung des vorlegenden Gerichts als „unbefriedigend“ einzustufen. In diesem Fall bedürfe es im Rahmen des Bewilligungsverfahrens für das im Ausgangsverfahren streitige Vorhaben der Entscheidung, ob die biologische Qualitätskomponente „Fischfauna“ einen „guten“ oder einen „sehr guten“ ökologischen Zustand aufweisen müsse, um einen guten Gesamtzustand der Gewässer des Sees zu erreichen. Für das vorlegende Gericht stellt sich zudem die Frage, welche Folgen sich für die Einstufung der biologischen Qualitätskomponente „Fischfauna“ aus der Berücksichtigung von gestörten Bedingungen ergäben, die nicht von anthropogenen Einflüssen auf die physikalisch-chemischen oder hydromorphologischen Qualitätskomponenten herrührten. Es fragt sich, ob diese Komponente dann allenfalls als „unbefriedigend“ eingestuft werden könne oder umgekehrt alle Stufen in Betracht kämen und dabei sämtliche Ursachen für die Abweichung vom „sehr guten“ ökologischen Zustand von Bedeutung seien.

26      Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs sind bei der Auslegung einer Unionsvorschrift nicht nur ihr Wortlaut, sondern auch ihr Zusammenhang und die Ziele zu berücksichtigen, die mit der Regelung, zu der sie gehört, verfolgt werden (Urteile vom 2. September 2015, Surmačs, C‑127/14, EU:C:2015:522‚ Rn. 28, und vom 16. November 2016, DHL Express [Austria], C‑2/15, EU:C:2016:880, Rn. 19).

27      Erstens hängt nach dem Wortlaut von Anhang V Rn. 1.2.2 der Richtlinie 2000/60 die Einstufung des ökologischen Zustands eines Sees, je nachdem, ob die biologische Qualitätskomponente „Fischfauna“ als „sehr gut“, „gut“ oder „mäßig“ eingestuft wird, u. a. davon ab, wie groß die Abweichung in Zusammensetzung und Abundanz der im See und in den typspezifischen Gemeinschaften vorkommenden Fischarten ist. In dieser Randnummer wird klargestellt, dass Zusammensetzung und Abundanz dieser Arten je nach Lage des Falls frei von „anthropogenen Störungen“ sind oder im Vergleich zu den typspezifischen Gemeinschaften wegen „anthropogener Einflüsse“ Änderungen aufweisen.

28      Somit wird bei der Begriffsbestimmung für alle ökologischen Zustände auf anthropogene Ursachen Bezug genommen, um zu bewerten, wie die Fischarten in Zusammensetzung und Abundanz von den typspezifischen Gemeinschaften abweichen. Der anhand des Ausmaßes dieser Abweichungen definierte „gute“ bzw. „mäßige“ ökologische Zustand macht jedoch deutlich, dass Ursachen bestimmter Art berücksichtigt werden. Aus der Begriffsbestimmung für diese beiden ökologischen Zustände ergibt sich nämlich, dass die geringfügigen oder mäßigen Abweichungen bei den in einem See vorkommenden Arten von den für diesen See typspezifischen Gemeinschaften von „anthropogene[n] Einflüsse[n] auf die physikalisch-chemischen oder hydromorphologischen Qualitätskomponenten“ herrühren müssen.

29      Die wörtliche Auslegung von Anhang V Rn. 1.2.2 der Richtlinie 2000/60 ließe somit den Schluss zu, dass es für die Einstufung eines Zustands nur auf derartige Einflüsse ankommt. Angenommen, dies wäre zutreffend, wären Änderungen der Zusammensetzung und Abundanz der Arten aufgrund von Maßnahmen zur Bewirtschaftung der Fischereiressourcen oder aufgrund von Maßnahmen, die nicht von anthropogenen Einflüssen auf die physikalisch-chemischen und hydromorphologischen Qualitätskomponenten herrühren, für die Beurteilung, ob ein Oberflächengewässer in einem „guten“ oder „mäßigen“ ökologischen Zustand ist, nicht von Bedeutung.

30      Zwar darf nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs die Auslegung einer Bestimmung des Unionsrechts im Licht ihres Zusammenhangs und ihres Zwecks nicht dazu führen, dem klaren und unmissverständlichen Wortlaut dieser Bestimmung jede praktische Wirksamkeit zu nehmen. Somit kann der Gerichtshof, wenn sich der Sinn einer Bestimmung des Unionsrechts eindeutig aus ihrem Wortlaut ergibt, nicht von dieser Auslegung abweichen (Urteil vom 13. Juli 2023, Mensing, C‑180/22, EU:C:2023:565, Rn. 34 und die dort angeführte Rechtsprechung).

31      Es ist jedoch festzustellen, dass Anhang V Rn. 1.2.2 der Richtlinie 2000/60, wie der Generalanwalt in den Nrn. 27 bis 31 seiner Schlussanträge im Wesentlichen ausgeführt hat, nicht ganz eindeutig ist.

32      Die Auslegung von Anhang V Rn. 1.2.2 der Richtlinie 2000/60 kann sich folglich nicht allein auf den Wortlaut dieser Randnummer stützen, sondern hat nach der in Rn. 26 des vorliegenden Urteils angeführten Rechtsprechung den Zusammenhang und die Ziele, die mit dieser Richtlinie verfolgt werden, zu berücksichtigen.

33      Zweitens sind daher der Zusammenhang von Anhang V Rn. 1.2.2 der Richtlinie 2000/60 und insbesondere die verschiedenen unter Anhang V Rn. 1.2 und den folgenden Randnummern dieser Richtlinie aufgeführten Tabellen zu prüfen. Diese Rn. 1.2, die in Rn. 7 des vorliegenden Urteils angeführt worden ist, enthält eine Tabelle 1.2 („Allgemeine Begriffsbestimmungen für den Zustand von Flüssen, Seen, Übergangsgewässern und Küstengewässern“), die allgemein die drei ökologischen Zustände dieser Gewässer – „sehr gut“, „gut“ und „mäßig“ – beschreibt, sowie drei Absätze, die bestimmen, was unter der Einstufung dieser Gewässer als „unbefriedigend“ bzw. „schlecht“ zu verstehen ist. Anhang V Rn. 1.2.1 bis 1.2.4 dieser Richtlinie enthält spezielle Begriffsbestimmungen für den ökologischen Zustand von Flüssen, Seen, Übergangsgewässern und Küstengewässern. Bei der Beurteilung des ökologischen Zustands jeder Art von Oberflächengewässern müssen die Mitgliedstaaten drei Kategorien von Qualitätskomponenten berücksichtigen, nämlich biologische Qualitätskomponenten, hydromorphologische Qualitätskomponenten und physikalisch-chemische Qualitätskomponenten, wobei jede dieser Qualitätskomponenten spezielle Parameter enthält.

34      So bezieht sich Anhang V Tabelle 1.2 der Richtlinie 2000/60 für die allgemeine Bestimmung, was unter einem „sehr guten Zustand“ von Oberflächengewässern zu verstehen ist, auf den Umstand, dass „[d]ie Werte für die biologischen Qualitätskomponenten des Oberflächengewässers … denen [entsprechen], die normalerweise bei Abwesenheit störender Einflüsse mit dem betreffenden Typ einhergehen, und … keine oder nur sehr geringfügige Abweichungen [anzeigen]“, und stellt klar, dass damit „[d]ie typspezifischen Bedingungen und Gemeinschaften … gegeben [sind]“.

35      In Bezug auf den „guten“ ökologischen Zustand sieht Anhang V Tabelle 1.2 der Richtlinie 2000/60 vor, dass „[d]ie Werte für die biologischen Qualitätskomponenten des Oberflächengewässertyps … geringe anthropogene Abweichungen [anzeigen], aber nur in geringem Maße von den Werten [abweichen], die normalerweise bei Abwesenheit störender Einflüsse mit dem betreffenden Oberflächengewässertyp einhergehen“, während diese Tabelle für den „mäßigen“ ökologischen Zustand darauf verweist, dass diese Werte „Hinweise auf mäßige anthropogene Abweichungen [geben] und … signifikant stärkere Störungen [aufweisen], als dies unter den Bedingungen des guten Zustands der Fall ist“, und „mäßig von den Werten [abweichen], die normalerweise bei Abwesenheit störender Einflüsse mit dem betreffenden Oberflächengewässertyp einhergehen“.

36      Demnach wird, wie der Generalanwalt in Nr. 38 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, in der allgemeinen Begriffsbestimmung für die ökologische Qualität von Oberflächengewässern nicht auf Störungen Bezug genommen, die mit speziellen Ursachen wie den anthropogenen Änderungen der Werte der physikalisch-chemischen und hydromorphologischen Qualitätskomponenten im Zusammenhang stehen.

37      Somit ergibt sich für die Kategorie „sehr guter“ ökologischer Zustand weder aus der allgemeinen Begriffsbestimmung für die ökologische Qualität in Anhang V Tabelle 1.2 der Richtlinie 2000/60 noch aus der Begriffsbestimmung für die biologische Qualitätskomponente „Fischfauna“ in Anhang V Tabelle 1.2.2 dieser Richtlinie, dass die anthropogenen Änderungen, anthropogenen Störungen oder Abweichungen, auf die Bezug genommen wird, nur die physikalisch-chemischen und hydromorphologischen Qualitätskomponenten betreffen.

38      Ebenso wäre es, wie der Generalanwalt in Nr. 40 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, bei den Kategorien „guter“ ökologischer Zustand und „mäßiger“ ökologischer Zustand, da sie in diesen beiden Tabellen auf der Grundlage derselben Indikatoren wie der „sehr gute“ ökologische Zustand anhand der festgestellten Abweichung von den Normalwerten definiert werden, widersprüchlich, bei der Beurteilung des „sehr guten“ Zustands jede Störung zu berücksichtigen und, wenn die Abweichung zwischen diesem Zustand und dem „guten“ bzw. dem „mäßigen“ Zustand zu bewerten ist, bestimmte Störungen nicht zu berücksichtigen.

39      Drittens steht eine solche Auslegung im Einklang mit den Zielen der Richtlinie 2000/60. Eine enge Auslegung des Kriteriums „bei Abwesenheit störender Einflüsse“ im Sinne von Anhang V Tabelle 1.2 dieser Richtlinie, die dazu führen würde, bei der Einstufung der biologischen Qualitätskomponente „Fischfauna“ bestimmte anthropogene Einflüsse wie Maßnahmen zur Bewirtschaftung der Fischressourcen nicht zu berücksichtigen, würde dem Endziel der Richtlinie, wie es sich aus dem 25. Erwägungsgrund und Art. 1 Buchst. a der Richtlinie herleiten lässt, zuwiderlaufen, nämlich durch eine konzertierte Aktion bis zum Jahr 2015 einen „guten Zustand“ aller Oberflächengewässer der Europäischen Union zu erreichen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 1. Juli 2015, Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland, C‑461/13, EU:C:2015:433, Rn. 35 bis 37).

40      Aus Art. 1 Buchst. a der Richtlinie 2000/60 geht nämlich hervor, dass deren Ziel in der Schaffung eines Ordnungsrahmens für den Schutz der Binnenoberflächengewässer, der Übergangsgewässer, der Küstengewässer und des Grundwassers zwecks Vermeidung einer weiteren Verschlechterung sowie Schutz und Verbesserung des Zustands der aquatischen Ökosysteme und der direkt von ihnen abhängenden Landökosysteme und Feuchtgebiete im Hinblick auf deren Wasserhaushalt besteht.

41      Die Umweltziele, die von den Mitgliedstaaten in Bezug auf Oberflächengewässer zu erreichen sind, sind in Art. 4 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 2000/60 aufgeführt, einer Bestimmung, die, wie der Gerichtshof klargestellt hat, zwei gesonderte, wenn auch eng miteinander verbundene Ziele vorschreibt. Zum einen führen die Mitgliedstaaten nach Art. 4 Abs. 1 Buchst. a Ziff. i dieser Richtlinie die notwendigen Maßnahmen durch, um eine Verschlechterung des Zustands aller Oberflächenwasserkörper zu verhindern (Pflicht zur Verhinderung der Verschlechterung). Zum anderen schützen, verbessern und sanieren die Mitgliedstaaten gemäß Art. 4 Abs. 1 Buchst. a Ziff. ii und iii der Richtlinie alle Oberflächengewässer mit dem Ziel, spätestens Ende des Jahres 2015 einen „guten Zustand“ der Gewässer zu erreichen (Verbesserungspflicht) (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 1. Juli 2015, Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland, C‑461/13, EU:C:2015:433, Rn. 39).

42      Sowohl die Verbesserungspflicht als auch die Pflicht zur Verhinderung der Verschlechterung des Zustands der Wasserkörper dienen zur Erreichung der vom Unionsgesetzgeber angestrebten qualitativen Ziele, nämlich der Erhaltung oder Wiederherstellung eines guten Zustands, eines guten ökologischen Potenzials und eines guten chemischen Zustands der Oberflächengewässer (Urteil vom 1. Juli 2015, Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland, C‑461/13, EU:C:2015:433, Rn. 41).

43      In diesem Zusammenhang beschränkt sich Art. 4 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 2000/60 nicht auf die programmatische Formulierung bloßer Ziele der Bewirtschaftungsplanung, sondern entfaltet – sobald der ökologische Zustand des betreffenden Wasserkörpers festgestellt ist – in jedem Abschnitt des nach dieser Richtlinie vorgeschriebenen Verfahrens verbindliche Wirkungen. Diese Bestimmung enthält somit nicht allein grundsätzliche Verpflichtungen, sondern betrifft auch konkrete Vorhaben (Urteil vom 5. Mai 2022, Association France Nature Environnement [Vorübergehende Auswirkungen auf Oberflächengewässer], C‑525/20, EU:C:2022:350, Rn. 24 und die dort angeführte Rechtsprechung).

44      Im Lauf des Verfahrens zur Genehmigung eines Vorhabens, und somit vor dem Erlass einer Entscheidung, sind die zuständigen nationalen Behörden nach Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 2000/60 verpflichtet, zu prüfen, ob das Vorhaben negative Auswirkungen auf die Gewässer haben kann, die den Pflichten zuwiderlaufen würden, die Verschlechterung des Zustands der Oberflächen- und Grundwasserkörper zu verhindern und diesen Zustand zu verbessern (Urteil vom 5. Mai 2022, Association France Nature Environnement [Vorübergehende Auswirkungen auf Oberflächengewässer], C‑525/20, EU:C:2022:350, Rn. 26 und die dort angeführte Rechtsprechung).

45      Der Schutz des ökologischen Zustands der aquatischen Ökosysteme ließe sich aber nicht gewährleisten, wenn bei der Beurteilung des Zustands der Seen anthropogene Störungen in der Zusammensetzung und Abundanz von Fisch- und sonstigen Arten, die nicht durch eine Änderung der physikalisch-chemischen und hydromorphologischen Qualitätskomponenten verursacht wurden, außer Acht gelassen werden dürften.

46      Im Übrigen würde eine enge Auslegung von Anhang V Rn. 1.2.2 der Richtlinie 2000/60, nach der bei dem „sehr guten“ ökologischen Zustand der Fischfauna bestimmte anthropogene Änderungen nicht berücksichtigt werden dürften, zur Bedeutungslosigkeit der biologischen Qualitätskomponente „Fischfauna“ führen. Angesichts der Ziele der Richtlinie 2000/60 stünde es zu diesen nämlich im Widerspruch, wenn bestimmte Verschlechterungen der Fischfauna (wie etwaige Verschlechterungen der Fischbestände) keinen Einfluss auf die Einstufung der Qualität der Fischfauna nach den einschlägigen Bestimmungen von Anhang V dieser Richtlinie hätten.

47      Wie sich aus Rn. 39 des vorliegenden Urteils ergibt, bestätigt die teleologische Auslegung der einschlägigen Bestimmungen, dass bei der Begriffsbestimmung für den ökologischen Zustand der Fischfauna alle Störungen in der Zusammensetzung und Abundanz der Fischarten sowie in den Altersstrukturen der Fischgemeinschaften zu berücksichtigen sind.

48      Nach alledem ist auf die Vorlagefragen zu antworten, dass Anhang V Rn. 1.2.2 der Richtlinie 2000/60 dahin auszulegen ist, dass zum einen hinsichtlich der Kriterien für die Beurteilung der biologischen Qualitätskomponente „Fischfauna“ unter „anthropogener Störung“ im Sinne dieser Randnummer jede Störung zu verstehen ist, der eine menschliche Tätigkeit zugrunde liegt, einschließlich jeder Änderung, die die Zusammensetzung und Abundanz der Fischarten beeinträchtigen kann, und dass zum anderen jede dieser Störungen für die Einstufung des ökologischen Zustands der Fischfauna von Bedeutung ist.

 Kosten

49      Für die Beteiligten des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren Teil des beim vorlegenden Gericht anhängigen Verfahrens; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.


Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Siebte Kammer) für Recht erkannt:

Anhang V Rn. 1.2.2 der Richtlinie 2000/60/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. Oktober 2000 zur Schaffung eines Ordnungsrahmens für Maßnahmen der Gemeinschaft im Bereich der Wasserpolitik

ist dahin auszulegen, dass

zum einen hinsichtlich der Kriterien für die Beurteilung der biologischen Qualitätskomponente „Fischfauna“ unter „anthropogener Störung“ im Sinne dieser Randnummer jede Störung zu verstehen ist, der eine menschliche Tätigkeit zugrunde liegt, einschließlich jeder Änderung, die die Zusammensetzung und Abundanz der Fischarten beeinträchtigen kann, und dass zum anderen jede dieser Störungen für die Einstufung des ökologischen Zustands der Fischfauna von Bedeutung ist.

Biltgen

Passer

Arastey Sahún

Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 21. März 2024.

Der Kanzler

 

Der Kammerpräsident

A. Calot Escobar

 

F. Biltgen


*      Verfahrenssprache: Deutsch.