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Verbundene Rechtssachen T‑109/02, T‑118/02, T‑122/02, T‑125/02, T‑126/02, T‑128/02, T‑129/02, T‑132/02 und T‑136/02

Bolloré SA u. a.

gegen

Kommission der Europäischen Gemeinschaften

„Wettbewerb – Kartelle − Markt für Selbstdurchschreibepapier – Leitlinien für das Verfahren zur Festsetzung von Geldbußen – Dauer der Zuwiderhandlung – Schwere der Zuwiderhandlung – Erhöhung zu Abschreckungszwecken – Erschwerende Umstände – Mildernde Umstände – Mitteilung über Zusammenarbeit“

Leitsätze des Urteils

1.      Wettbewerb – Verwaltungsverfahren – Wahrung der Verteidigungsrechte – Akteneinsicht

(Art. 81 Abs. 1 EG; Verordnung Nr. 17 des Rates)

2.      Wettbewerb – Verwaltungsverfahren – Entscheidung der Kommission, mit der eine Zuwiderhandlung festgestellt wird – Ausschluss von Beweisen, die dem betroffenen Unternehmen nicht zur Kenntnis gebracht wurden

(Art. 81 Abs. 1 EG)

3.      Wettbewerb – Verwaltungsverfahren – Entscheidung der Kommission, mit der eine Zuwiderhandlung festgestellt wird – Abweichung der Entscheidung von der Mitteilung der Beschwerdepunkte – Verletzung der Verteidigungsrechte – Voraussetzung

(Art. 81 Abs. 1 EG; Verordnung Nr. 17 des Rates)

4.      Wettbewerb – Verwaltungsverfahren – Unanwendbarkeit von Art. 6 der Europäischen Menschenrechtskonvention – Anwendbarkeit der allgemeinen Grundsätze des Gemeinschaftsrechts

(Verordnung Nr. 17 des Rates, Art. 19 Abs. 2)

5.      Handlungen der Organe – Erlass von Handlungen in Ausübung eines Ermessens – Beachtung der den Bürgern gewährten Garantien

6.      Wettbewerb – Gemeinschaftsvorschriften – Von einer Tochtergesellschaft begangene Zuwiderhandlung – Zurechnung an die Muttergesellschaft – Voraussetzungen

(Art. 81 Abs. 1 EG)

7.      Wettbewerb – Verwaltungsverfahren – Entscheidung der Kommission, mit der eine Zuwiderhandlung festgestellt wird – Heranziehung von Erklärungen anderer an der Zuwiderhandlung beteiligter Unternehmen als Beweise

(Art. 81 EG; Verordnung Nr. 17 des Rates, Art. 11)

8.      Wettbewerb – Kartelle – Teilnahme eines Unternehmens an wettbewerbswidrigen Initiativen

(Art. 81 Abs. 1 EG)

9.      Wettbewerb – Kartelle – Zurechnung an ein Unternehmen

(Art. 81 Abs. 1 EG)

10.    Wettbewerb – Verwaltungsverfahren – Entscheidung der Kommission, mit der eine Zuwiderhandlung festgestellt wird – Beizubringende Beweise

(Art. 81 Abs. 1 EG)

11.    Wettbewerb – Kartelle – Abgestimmte Verhaltensweise – Begriff

(Art. 81 Abs. 1 EG)

12.    Wettbewerb – Gemeinschaftsvorschriften – Zuwiderhandlungen – Geldbußen – Festsetzung – Kriterien – Anhebung des allgemeinen Niveaus der Geldbußen

(Art. 81 Abs. 1 EG; Verordnung Nr. 17 des Rates, Art. 15 Abs. 2)

13.    Wettbewerb – Verwaltungsverfahren – Mitteilung der Beschwerdepunkte – Notwendiger Inhalt

(Art. 81 Abs. 1 EG; Verordnung Nr. 17 des Rates)

14.    Wettbewerb – Verwaltungsverfahren – Mitteilung der Beschwerdepunkte – Notwendiger Inhalt

(Art. 81 Abs. 1 EG und 229 EG; Verordnung Nr. 17 des Rates, Art. 17 und 19 Abs. 1)

15.    Wettbewerb – Kartelle – Verbot – Zuwiderhandlungen – Vereinbarungen und abgestimmte Verhaltensweisen, die als einheitliche Zuwiderhandlung eingestuft werden können

(Art. 81 Abs. 1 EG)

16.    Wettbewerb – Geldbußen – Höhe – Festsetzung – Kriterien – Schwere der Zuwiderhandlung

(Art. 81 Abs. 1 EG; Mitteilung 98/C 9/03 der Kommission)

17.    Wettbewerb – Geldbußen – Höhe – Festsetzung – Kriterien – Konkrete Auswirkungen auf den Markt

(Verordnung Nr. 17 des Rates, Art. 15 Abs. 2; Mitteilung 98/C 9/03 der Kommission)

18.    Wettbewerb – Geldbußen – Höhe – Festsetzung – Kriterien – Schwere der Zuwiderhandlung – Mildernde Umstände

(Verordnung Nr. 17 des Rates, Art. 15 Abs. 2; Mitteilung 98/C 9/03 der Kommission)

19.    Wettbewerb – Geldbußen – Höhe – Festsetzung – Kriterien – Schwere der Zuwiderhandlung

(Verordnung Nr. 17 des Rates, Art. 15 Abs. 2)

20.    Wettbewerb – Geldbußen – Höhe – Festsetzung

(Verordnung Nr. 17 des Rates, Art. 15 Abs. 2)

21.    Wettbewerb – Geldbußen – Höhe – Festsetzung

(Verordnung Nr. 17 des Rates, Art. 15 Abs. 2)

22.    Wettbewerb – Geldbußen – Höhe – Festsetzung

(Art. 81 Abs. 1 EG; Verordnung Nr. 17 des Rates, Art. 15 Abs. 2; Mitteilungen 96/C 207/04 und 98/C 9/03 der Kommission)

23.    Wettbewerb – Geldbußen – Höhe – Festsetzung

(Art. 81 Abs. 1 EG; Verordnung Nr. 17 des Rates, Art. 15 Abs. 2; Mitteilung 98/C 9/03 der Kommission)

24.    Wettbewerb – Geldbußen – Höhe – Festsetzung – Kriterien – Schwere der Zuwiderhandlung – Erschwerende Umstände

(Verordnung Nr. 17 des Rates, Art. 15 Abs. 2; Mitteilung 98/C 9/03 der Kommission, Nr. 2)

25.    Wettbewerb – Geldbußen – Höhe – Festsetzung – Kriterien – Schwere der Zuwiderhandlung – Mildernde Umstände

(Verordnung Nr. 17 des Rates, Art. 15 Abs. 2; Mitteilung 98/C 9/03 der Kommission, Nr. 3)

26.    Wettbewerb – Geldbußen – Höhe – Festsetzung – Kriterien – Schwere der Zuwiderhandlung – Mildernde Umstände

(Verordnung Nr. 17 des Rates, Art. 15 Abs. 2)

27.    Wettbewerb – Geldbußen – Höhe – Festsetzung – Kriterien – Schwere der Zuwiderhandlung – Mildernde Umstände

(Verordnung Nr. 17 des Rates, Art. 15 Abs. 2; Mitteilung 98/C 9/03 der Kommission, Nr. 3 dritter Gedankenstrich)

28.    Wettbewerb – Geldbußen – Höhe – Festsetzung – Nichtverhängung oder Herabsetzung der Geldbuße als Gegenleistung für die Zusammenarbeit des beschuldigten Unternehmens

(Verordnung Nr. 17 des Rates, Art. 15 Abs. 2; Mitteilung 96/C 207/04 der Kommission)

29.    Wettbewerb – Geldbußen – Höhe – Festsetzung – Kriterien – Herabsetzung der Geldbuße als Gegenleistung für eine Zusammenarbeit des beschuldigten Unternehmens

(Verordnung Nr. 17 des Rates, Art. 11 Abs. 4 und 5 und Art. 15 Abs. 2; Mitteilung 96/C 207/04 der Kommission, Abschnitt D Nr.  2)

30.    Verfahren – Beweisaufnahme – Antrag auf Vorlage von Schriftstücken

(Verfahrensordnung des Gerichts, Art. 65 und 66 § 1)

1.      In einem Verfahren zur Anwendung der Wettbewerbsregeln der Gemeinschaft muss die Kommission den betroffenen Unternehmen, damit diese sich gegen die ihnen in der Mitteilung der Beschwerdepunkte zur Last gelegten Beschwerdepunkte sachgerecht verteidigen können, die vollständige Ermittlungsakte zugänglich machen, mit Ausnahme der Schriftstücke, die Geschäftsgeheimnisse anderer Unternehmen oder sonstige vertrauliche Informationen enthalten, und der internen Vermerke der Kommission.

Außerdem muss das Recht der Unternehmen und Unternehmensvereinigungen auf Schutz ihrer Geschäftsgeheimnisse mit der Gewährleistung des Anspruchs auf Zugang zu den gesamten Akten in Einklang gebracht werden.

Ist die Kommission der Ansicht, dass bestimmte Unterlagen in ihrer Ermittlungsakte Geschäftsgeheimnisse oder sonstige vertrauliche Informationen enthalten, so muss sie daher nicht vertrauliche Fassungen dieser Unterlagen erstellen oder von den Unternehmen oder Unternehmensvereinigungen, von denen die fraglichen Unterlagen stammen, erstellen lassen. Erweist sich die Erstellung nicht vertraulicher Fassungen aller Unterlagen als schwierig, so muss sie den Betroffenen eine hinreichend genaue Liste der problematischen Unterlagen übermitteln, damit sie prüfen können, ob es angebracht ist, Zugang zu konkreten Schriftstücken zu verlangen.

(vgl. Randnrn. 45-46)

2.      Da Unterlagen, die den betroffenen Parteien in einem Verwaltungsverfahren in Wettbewerbssachen nicht übermittelt wurden, keine Beweismittel darstellen, die ihnen entgegengehalten werden können, sind Unterlagen, die nicht in der Ermittlungsakte enthalten waren und den Klägern nicht übermittelt wurden und in Bezug auf die sich herausstellt, dass die Kommission sich in der Endentscheidung auf sie gestützt hat, als Beweismittel auszuschließen.

Will sich die Kommission auf eine Stelle in einer Erwiderung auf eine Mitteilung der Beschwerdepunkte oder auf eine Anlage zu einer solchen Erwiderung stützen, um in einem Verfahren zur Anwendung von Art. 81 Abs. 1 EG das Bestehen einer Zuwiderhandlung nachzuweisen, so müssen die anderen Beteiligten an diesem Verfahren folglich in die Lage versetzt werden, sich zu einem solchen Beweismittel zu äußern.

(vgl. Randnrn. 56-57)

3.      Die Mitteilung der Beschwerdepunkte muss, sei es auch nur in gedrängter Form, so klar abgefasst sein, dass die Beteiligten tatsächlich erkennen können, welches Verhalten ihnen die Kommission zur Last legt. Nur unter dieser Voraussetzung kann die Mitteilung der Beschwerdepunkte nämlich den ihr durch die Gemeinschaftsverordnungen zugewiesenen Zweck erfüllen, der darin besteht, den Unternehmen und Unternehmensvereinigungen alle Angaben zur Verfügung zu stellen, deren sie bedürfen, um sich wirksam verteidigen zu können, bevor die Kommission eine endgültige Entscheidung erlässt.

Dieses Erfordernis wird nicht beachtet, wenn in einer Entscheidung eine Muttergesellschaft aufgrund der Teilnahme ihrer Tochtergesellschaft an einem Kartell und aufgrund der unmittelbaren Beteiligung der Muttergesellschaft an dem Kartell für eine Zuwiderhandlung haftbar gemacht wird, obwohl die Mitteilung der Beschwerdepunkte es der Muttergesellschaft nicht ermöglicht, vom Vorwurf ihrer unmittelbaren Beteiligung an der Zuwiderhandlung oder auch nur von den Tatsachen, auf die die Kommission ihn in der Entscheidung letztlich stützt, Kenntnis zu erlangen.

Selbst wenn die Entscheidung der Kommission neues tatsächliches oder rechtliches Vorbringen enthält, zu dem die betroffenen Unternehmen nicht gehört worden sind, so zieht der festgestellte Fehler jedoch nur dann die Nichtigerklärung der Entscheidung in diesem Punkt nach sich, wenn das betreffende Vorbringen auf der Grundlage anderer in der Entscheidung berücksichtigter Umstände, zu denen die betroffenen Unternehmen Stellung nehmen konnten, nicht rechtlich hinreichend bewiesen werden kann.

Soweit bestimmte Gründe der Entscheidung diese für sich genommen rechtlich hinreichend rechtfertigen können, wirken sich etwaige Mängel der übrigen Begründung des Rechtsakts zudem keinesfalls auf dessen verfügenden Teil aus.

(vgl. Randnrn. 67, 71, 77, 79-81)

4.      Auch wenn die Kommission kein Gericht im Sinne von Art. 6 der Europäischen Menschenrechtskonvention ist und die von ihr festgesetzten Geldbußen nicht strafrechtlicher Art sind, muss sie im Verwaltungsverfahren die allgemeinen Grundsätze des Gemeinschaftsrechts beachten.

Die Kommission ist jedoch, auch wenn sie natürliche oder juristische Personen anhören kann, sofern sie dies für erforderlich hält, nicht berechtigt, Belastungszeugen ohne deren Einverständnis vorzuladen. Außerdem stellt die Tatsache, dass die Kommission nach dem Wettbewerbsrecht der Gemeinschaft nicht verpflichtet ist, Entlastungszeugen vorzuladen, deren Anhörung beantragt wird, keinen Verstoß gegen die oben genannten Grundsätze dar.

(vgl. Randnrn. 86-87)

5.      Verfügen die Gemeinschaftsorgane über ein Ermessen, um ihre Aufgaben erfüllen zu können, so kommt der Beachtung der Garantien, die die Gemeinschaftsrechtsordnung in Verwaltungsverfahren gewährt, ganz besondere Bedeutung zu. Zu diesen Garantien gehört insbesondere die Verpflichtung des zuständigen Organs, sorgfältig und unparteiisch alle relevanten Gesichtspunkte des Einzelfalls zu untersuchen.

(vgl. Randnr. 92)

6.      Der Umstand, dass die Tochtergesellschaft eigene Rechtspersönlichkeit besitzt, schließt nicht aus, dass ihr Verhalten der Muttergesellschaft zugerechnet werden kann; dies gilt insbesondere dann, wenn die Tochtergesellschaft ihr Marktverhalten nicht autonom bestimmt, sondern im Wesentlichen Weisungen der Muttergesellschaft befolgt.

Insoweit ist die Tatsache, dass die Muttergesellschaft 100 % des Kapitals der Tochtergesellschaft hält, zwar ein starkes Indiz dafür, dass sie entscheidenden Einfluss auf das Marktverhalten der Tochtergesellschaft ausüben kann, reicht jedoch für sich genommen nicht aus, um die Muttergesellschaft für das Verhalten der Tochtergesellschaft verantwortlich machen zu können. Ein zusätzliches Element neben dem Beteiligungsgrad bleibt erforderlich, kann aber in Indizien bestehen. Dabei muss nicht unbedingt nachgewiesen werden, dass die Muttergesellschaft die Tochtergesellschaft tatsächlich angewiesen hat, an wettbewerbswidrigen Verhaltensweisen teilzunehmen.

(vgl. Randnrn. 131-132)

7.      Eine Erklärung, die ein der Beteiligung an einer Absprache beschuldigtes Unternehmen abgibt und deren Richtigkeit von mehreren anderen ebenfalls beschuldigten Unternehmen bestritten wird, kann nicht als hinreichender Beweis für die Begehung einer Zuwiderhandlung durch diese anderen Unternehmen angesehen werden, wenn sie nicht durch andere Beweismittel untermauert wird.

Im Übrigen sind Erklärungen, die den Interessen des Erklärenden zuwiderlaufen, grundsätzlich als besonders verlässliche Beweise anzusehen.

(vgl. Randnrn. 166-167)

8.      Weist die Kommission nach, dass das betreffende Unternehmen an Sitzungen teilnahm, bei denen wettbewerbswidrige Vereinbarungen getroffen wurden, ohne sich offen dagegen auszusprechen, so ist dies ein rechtlich ausreichender Beleg für die Teilnahme dieses Unternehmens am Kartell. Ist die Teilnahme an solchen Sitzungen erwiesen, so obliegt es dem fraglichen Unternehmen, Indizien vorzutragen, die zum Beweis seiner fehlenden wettbewerbswidrigen Einstellung bei der Teilnahme an den Sitzungen geeignet sind, und nachzuweisen, dass es seine Konkurrenten darauf hingewiesen hat, dass es an den Sitzungen mit einer anderen Zielsetzung als diese teilnahm.

Dieser Rechtsgrundsatz beruht auf der Erwägung, dass das Unternehmen, indem es an einer solchen Sitzung teilnahm, ohne sich offen von deren Inhalt zu distanzieren, den anderen Teilnehmern Anlass zu der Annahme gab, dass es dem Ergebnis der Sitzung zustimme und sich daran halten werde.

Überdies kann der Umstand, dass ein Unternehmen die Ergebnisse einer solchen Sitzung nicht umsetzt, es nicht von seiner Verantwortung für die Teilnahme an einem Kartell entlasten, sofern es sich nicht offen von dessen Inhalt distanziert hat.

Ist dieses System von Treffen Teil einer Reihe von Bemühungen der fraglichen Unternehmen, mit denen ein einziges wirtschaftliches Ziel verfolgt wird, nämlich die normale Preisentwicklung auf dem betreffenden Markt zu verfälschen, so wäre es gekünstelt, dieses durch eine einzige Zielsetzung gekennzeichnete Verhalten zu zerlegen und darin mehrere gesonderte Zuwiderhandlungen zu sehen.

(vgl. Randnrn. 188-189, 196, 312, 360, 424)

9.      Ein Unternehmen, das sich an einer vielgestaltigen Zuwiderhandlung gegen die Wettbewerbsregeln der Gemeinschaft durch eigene Handlungen beteiligt hat, die den Begriff der auf ein wettbewerbswidriges Ziel gerichteten Vereinbarung oder abgestimmten Verhaltensweise im Sinne von Art. 81 Abs. 1 EG erfüllen und zur Verwirklichung der Zuwiderhandlung in ihrer Gesamtheit beitragen sollen, kann für die gesamte Zeit seiner Beteiligung an der genannten Zuwiderhandlung auch für das Verhalten verantwortlich sein, das andere Unternehmen im Rahmen dieser Zuwiderhandlung an den Tag legen, wenn das betreffende Unternehmen nachweislich von dem rechtswidrigen Verhalten der anderen Beteiligten weiß oder es vernünftigerweise vorhersehen kann und bereit ist, die daraus erwachsende Gefahr auf sich zu nehmen.

Die bloße Tatsache, dass eine Vereinbarung, an der ein Unternehmen teilnimmt, und ein Gesamtkartell den gleichen Gegenstand haben, genügt nicht, um diesem Unternehmen die Beteiligung am Gesamtkartell zur Last zu legen. Nur wenn das Unternehmen, als es an dieser Vereinbarung teilnahm, wusste oder hätte wissen müssen, dass es sich damit in das Gesamtkartell eingliederte, kann seine Teilnahme an der betreffenden Vereinbarung Ausdruck seines Beitritts zum Gesamtkartell sein.

(vgl. Randnrn. 207, 209, 236)

10.    In Bezug auf die Beweisführung für eine Zuwiderhandlung gegen Art. 81 Abs. 1 EG obliegt es der Kommission, die von ihr festgestellten Zuwiderhandlungen zu beweisen und Beweise beizubringen, die geeignet sind, das Vorliegen der Tatsachen, die eine Zuwiderhandlung darstellen, rechtlich hinreichend zu belegen.

Die Kommission muss genaue und übereinstimmende Beweise beibringen, die die feste Überzeugung begründen, dass die Zuwiderhandlung begangen wurde. Jedoch muss nicht jeder der von der Kommission vorgelegten Beweise diesen Kriterien notwendig hinsichtlich jedes Merkmals der Zuwiderhandlung genügen. Es reicht aus, dass das von ihr angeführte Indizienbündel bei einer Gesamtwürdigung dieser Anforderung genügt.

(vgl. Randnrn. 256-258)

11.    Das den Wettbewerbsvorschriften des Vertrags innewohnende Erfordernis, dass jeder Wirtschaftsteilnehmer eine eigenständige Politik verfolgt, steht streng jeder unmittelbaren oder mittelbaren Fühlungnahme zwischen ihnen entgegen, durch die entweder das Marktverhalten eines tatsächlichen oder potenziellen Konkurrenten beeinflusst oder ein solcher Konkurrent über das Marktverhalten, zu dem man selbst entschlossen ist oder das man in Erwägung zieht, ins Bild gesetzt wird, wenn die Fühlungnahme bezweckt oder bewirkt, dass Wettbewerbsbedingungen entstehen, die nicht den normalen Bedingungen des relevanten Markts entsprechen. Insoweit gilt vorbehaltlich des den betroffenen Wirtschaftsteilnehmern obliegenden Gegenbeweises die Vermutung, dass die an der Abstimmung beteiligten und weiterhin auf dem Markt tätigen Unternehmen die mit ihren Konkurrenten ausgetauschten Informationen bei der Bestimmung ihres Marktverhaltens berücksichtigen.

(vgl. Randnr. 291)

12.    Die Tatsache, dass die Kommission für bestimmte Arten von Zuwiderhandlungen in der Vergangenheit Geldbußen in bestimmter Höhe verhängt hat, kann ihr nicht die Möglichkeit nehmen, die Geldbußen in den Grenzen der Verordnung Nr. 17 zu erhöhen, wenn dies erforderlich ist, um die Durchführung der gemeinschaftlichen Wettbewerbspolitik sicherzustellen.

Die wirksame Anwendung der gemeinschaftlichen Wettbewerbsregeln verlangt nämlich, dass die Kommission die Höhe der Geldbußen jederzeit den Erfordernissen dieser Politik anpassen kann.

Unternehmen, die von einem Verwaltungsverfahren betroffen sind, das zu einer Geldbuße führen kann, können nicht darauf vertrauen, dass die Kommission das zuvor praktizierte Bußgeldniveau nicht überschreiten wird.

(vgl. Randnrn. 376-377)

13.    Hat die Kommission die tatsächlichen und rechtlichen Umstände angegeben, auf die sich ihre Berechnung der Geldbußen stützen wird, so braucht sie in der Mitteilung der Beschwerdepunkte nicht zu erläutern, in welcher Weise sie jeden dieser Gesichtspunkte bei der Bemessung der Geldbuße heranziehen wird. Angaben zur Höhe der beabsichtigten Geldbußen wären nämlich eine nicht sachgerechte Vorwegnahme der Entscheidung der Kommission, solange den Unternehmen keine Gelegenheit gegeben wurde, zu den ihnen zur Last gelegten Beschwerdepunkten Stellung zu nehmen.

Die Kommission ist folglich auch nicht verpflichtet, den betroffenen Unternehmen während des Verwaltungsverfahrens mitzuteilen, dass sie eine neue Methode für die Berechnung der Geldbußen anzuwenden beabsichtigt.

(vgl. Randnrn. 392, 403)

14.    Die Kommission erfüllt daher ihre Verpflichtung zur Wahrung des Anspruchs der Unternehmen auf rechtliches Gehör, wenn sie in ihrer Mitteilung der Beschwerdepunkte ausdrücklich darauf hinweist, dass sie prüfen werde, ob gegen die betreffenden Unternehmen Geldbußen festzusetzen seien, und die für die etwaige Festsetzung einer Geldbuße wesentlichen tatsächlichen und rechtlichen Gesichtspunkte wie Schwere und Dauer der vermuteten Zuwiderhandlung sowie den Umstand anführt, ob diese vorsätzlich oder fahrlässig begangen wurde. Damit macht sie gegenüber den Unternehmen die Angaben, die diese für ihre Verteidigung nicht nur gegen die Feststellung einer Zuwiderhandlung, sondern auch gegen die Festsetzung einer Geldbuße benötigen.

Folglich sind bei der Bemessung der wegen Zuwiderhandlung gegen die Wettbewerbsregeln verhängten Geldbußen die Verteidigungsrechte der betroffenen Unternehmen gegenüber der Kommission dadurch gewahrt, dass sie sich zu Dauer, Schwere und Wettbewerbswidrigkeit des ihnen zur Last gelegten Sachverhalts äußern können. Außerdem verfügen die Unternehmen bezüglich der Bemessung der Geldbußen über eine zusätzliche Garantie, weil das Gericht mit Befugnis zu uneingeschränkter Nachprüfung entscheidet und u. a. die Geldbuße gemäß Art. 17 der Verordnung Nr. 17 aufheben oder herabsetzen kann.

(vgl. Randnrn. 397-398)

15.    Die Tatsache, dass sich ein Unternehmen nicht an allen Tatbestandsmerkmalen eines Kartells beteiligt hat, ist zwar für den Nachweis des Vorliegens einer Zuwiderhandlung irrelevant, aber bei der Beurteilung der Schwere der Zuwiderhandlung und gegebenenfalls bei der Bemessung der Geldbuße zu berücksichtigen.

(vgl. Randnr. 429)

16.    Im Rahmen der Bemessung der Geldbußen wegen Zuwiderhandlung gegen die Wettbewerbsregeln der Gemeinschaft ist bei der Beurteilung der Schwere einer Zuwiderhandlung insbesondere die Art der Wettbewerbsbeschränkungen zu berücksichtigen.

Die in der Festsetzung von Preisen und der Aufteilung von Märkten bestehenden Zuwiderhandlungen sind als besonders schwerwiegend anzusehen, da sie einen unmittelbaren Eingriff in die wesentlichen Wettbewerbsparameter auf dem betreffenden Markt bedeuten.

Die Einstufung als besonders schwere Zuwiderhandlung ist jedoch nicht vom Vorliegen einer Marktabschottung abhängig. Vielmehr besteht bei horizontalen Absprachen über Preiskartelle oder Marktaufteilungsquoten die Vermutung, dass sie das ordnungsgemäße Funktionieren des Binnenmarkts beeinträchtigen, und auch andere Praktiken, die geeignet sind, eine solche Wirkung zu entfalten, können so eingestuft werden.

Weder aus der Rechtsprechung noch aus den Leitlinien für das Verfahren zur Festsetzung von Geldbußen, die gemäß Art. 15 Abs. 2 der Verordnung Nr. 17 und gemäß Art. 65 Abs. 5 EGKS-Vertrag festgesetzt werden, geht nämlich hervor, dass die Einstufung als besonders schwere Zuwiderhandlung das Vorliegen mehrerer derartiger Verhaltensweisen voraussetzt. Eine horizontale Preisabsprache kann für sich genommen eine solche Zuwiderhandlung darstellen, wenn sie das ordnungsgemäße Funktionieren des Markts in Frage stellt.

Überdies ergibt sich weder aus der Rechtsprechung noch aus den genannten Leitlinien, dass ein Kartell, um als besonders schwere Zuwiderhandlung eingestuft zu werden, spezielle institutionelle Strukturen aufweisen muss.

(vgl. Randnrn. 434-437, 441)

17.    Nach den Leitlinien für das Verfahren zur Festsetzung von Geldbußen, die gemäß Art. 15 Abs. 2 der Verordnung Nr. 17 und gemäß Art. 65 Abs. 5 EGKS-Vertrag festgesetzt werden, sind bei der Ermittlung der Schwere eines Verstoßes seine Art und die konkreten Auswirkungen auf den Markt, sofern diese messbar sind, sowie der Umfang des betreffenden räumlichen Markts zu berücksichtigen. Die Schwere des Verstoßes wird somit in den Leitlinien nicht unmittelbar mit seinen Auswirkungen verknüpft. Die konkreten Auswirkungen stellen einen unter mehreren Gesichtspunkten dar, und sie sind sogar außer Acht zu lassen, wenn sie nicht messbar sind.

(vgl. Randnr. 447)

18.    Die bloße Tatsache, dass ein Markt rückläufig ist und dass bestimmte Unternehmen Verluste erleiden, kann weder der Errichtung eines Kartells noch der Anwendung von Art. 81 EG entgegenstehen. Überdies kann die schlechte Marktlage nicht bedeuten, dass ein Kartell keine Auswirkungen hatte. Vereinbarte Preiserhöhungen können es nämlich ermöglichen, den Preisverfall zu kontrollieren oder zu begrenzen, und dadurch den Wettbewerb verfälschen.

Wenn die Kommission einen Verstoß gegen die Wettbewerbsregeln der Gemeinschaft ahndet, ist sie auch nicht verpflichtet, die schlechte Finanzlage in der fraglichen Branche als mildernden Umstand zu behandeln, und sie muss nicht deshalb, weil sie in früheren Rechtssachen die wirtschaftliche Situation in der Branche als mildernden Umstand berücksichtigt hat, dies zwangsläufig auch weiterhin tun. Kartelle entstehen nämlich im Allgemeinen dann, wenn eine Branche in Schwierigkeiten ist.

(vgl. Randnrn. 462, 663)

19.    Zu den Gesichtspunkten für die Beurteilung der Schwere der Zuwiderhandlung können je nach den Umständen des Einzelfalls die Menge und der Wert der Waren, auf die sich die Zuwiderhandlung bezog, sowie die Größe und die Wirtschaftskraft des Unternehmens und damit der Einfluss gehören, den es auf den Markt ausüben konnte. Daraus ergibt sich zum einen, dass bei der Festsetzung der Geldbuße sowohl der Gesamtumsatz des Unternehmens, der – wenn auch nur annähernd und unvollständig – etwas über dessen Größe und Wirtschaftskraft aussagt, als auch der Teil dieses Umsatzes berücksichtigt werden darf, der mit dem Verkauf der Waren erzielt wurde, auf die sich die Zuwiderhandlung bezog, und der somit einen Anhaltspunkt für deren Ausmaß liefern kann. Zum anderen folgt daraus, dass weder der einen noch der anderen dieser Umsatzzahlen eine im Verhältnis zu den anderen Beurteilungskriterien übermäßige Bedeutung zugemessen werden darf, so dass die Festsetzung einer angemessenen Geldbuße nicht das Ergebnis eines bloßen, auf den Gesamtumsatz gestützten Rechenvorgangs sein kann.

(vgl. Randnr. 468)

20.    Die Kommission ist bei der Ermittlung der Höhe der Geldbußen anhand von Schwere und Dauer der fraglichen Zuwiderhandlung nicht verpflichtet, die Geldbuße ausgehend von Beträgen zu berechnen, die auf dem Umsatz der betreffenden Unternehmen beruhen, oder für den Fall, dass gegen mehrere an der gleichen Zuwiderhandlung beteiligte Unternehmen Geldbußen festgesetzt werden, dafür zu sorgen, dass in den von ihr errechneten Endbeträgen der Geldbußen der betreffenden Unternehmen alle Unterschiede in Bezug auf ihren Gesamtumsatz oder ihren Umsatz auf dem relevanten Produktmarkt zum Ausdruck kommen.

(vgl. Randnr. 484)

21.    Wenn die Kommission die betroffenen Unternehmen zur Festsetzung der Geldbußen in Kategorien einteilt, muss die Bestimmung der Schwellenwerte für jede der auf diese Weise gebildeten Kategorien schlüssig und objektiv gerechtfertigt sein. Da der Umsatz des Unternehmens mit dem Produkt im Europäischen Wirtschaftsraum und die Marktanteile Rückschlüsse auf die Bedeutung des Unternehmens zulassen, können sie von der Kommission in diesem Rahmen berücksichtigt werden.

Die Heranziehung der Marktanteile neben anderen Gesichtspunkten zwecks Differenzierung zwischen den Unternehmen würde gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung verstoßen, wenn sie nicht bei allen einbezogenen Unternehmen erfolgen würde.

(vgl. Randnrn. 504, 507, 511)

22.    Die Berücksichtigung der Abschreckungswirkung der wegen Zuwiderhandlung gegen die Wettbewerbsregeln der Gemeinschaft verhängten Geldbußen bei der Festsetzung des Ausgangsbetrags ist Bestandteil der Gewichtung der Geldbußen anhand der Schwere der Zuwiderhandlung.

Die Kommission kann gegen ein Unternehmen, dessen Handlungen sich auf dem Markt nachhaltiger ausgewirkt haben als die Handlungen anderer Unternehmen, die die gleiche Zuwiderhandlung begangen haben, da es dort eine entscheidende Stellung einnimmt, höhere Geldbußen verhängen. Eine derartige Berechnungsweise der Höhe der Geldbuße entspricht insbesondere dem Erfordernis einer hinreichenden Abschreckung.

Die Erhöhung der wegen Zuwiderhandlung gegen die Wettbewerbsregeln verhängten Geldbußen zu Abschreckungszwecken ist mit der Anwendung der Mitteilung über die Nichtfestsetzung oder die niedrigere Festsetzung von Geldbußen in Kartellsachen nicht unvereinbar, da sich diese beiden Elemente klar voneinander unterscheiden und ihre gleichzeitige Anwendung nicht als widersprüchlich angesehen werden kann. Die Erhöhung der Geldbuße zu Abschreckungszwecken gehört nämlich zu der Phase der Bußgeldberechnung, in der die begangene Zuwiderhandlung geahndet wird. Nach der Ermittlung dieses Betrags sollen dann durch Anwendung der Mitteilung über Zusammenarbeit diejenigen Unternehmen belohnt werden, die beschlossen haben, mit der Kommission zu kooperieren. Die Tatsache, dass ein Unternehmen beschlossen hat, an einer Untersuchung mitzuwirken, um eine Herabsetzung der ihm in diesem Rahmen auferlegten Geldbuße zu erreichen, gewährleistet keineswegs, dass es davon Abstand nehmen wird, künftig eine ähnliche Zuwiderhandlung zu begehen.

(vgl. Randnrn. 526, 540-541)

23.    Im Rahmen der Festsetzung von Geldbußen wegen Zuwiderhandlung gegen die Wettbewerbsregeln der Gemeinschaft kann die Kommission eine erste Erhöhung des Ausgangsbetrags der Geldbuße wegen der Bedeutung des Unternehmens auf dem relevanten Produktmarkt und dann zur Abschreckung eine zweite Erhöhung vornehmen, bei der sie die gesamte Tätigkeit des Unternehmens oder der Gruppe berücksichtigt, der es angehört, um seinen Gesamtressourcen Rechnung zu tragen. Bei diesen beiden Erhöhungen werden nämlich nicht die gleichen Gesichtspunkte berücksichtigt.

(vgl. Randnrn. 535-536)

24.    Wurde eine Zuwiderhandlung gegen die Wettbewerbsregeln der Gemeinschaft von mehreren Unternehmen begangen, so ist im Rahmen der Bußgeldzumessung zu prüfen, welches relative Gewicht der Beteiligung jedes einzelnen der Unternehmen zukommt, wofür insbesondere ihre jeweilige Rolle bei der Zuwiderhandlung während der Dauer ihrer Beteiligung daran zu ermitteln ist. Daraus ergibt sich u. a., dass für die Berechnung des Bußgeldbetrags die von einem oder mehreren Unternehmen im Rahmen eines Kartells eingenommene Rolle als „Anführer“ berücksichtigt werden muss, da Unternehmen, die eine solche Rolle gespielt haben, aus diesem Grund im Vergleich zu den anderen Unternehmen eine besondere Verantwortung zu tragen haben. In Einklang mit diesen Grundsätzen wird in Nr. 2 der Leitlinien für das Verfahren zur Festsetzung von Geldbußen, die gemäß Art. 15 Abs. 2 der Verordnung Nr. 17 und gemäß Art. 65 Abs. 5 EGKS-Vertrag festgesetzt werden, unter der Überschrift „Erschwerende Umstände“ eine nicht abschließende Liste der Umstände aufgestellt, die eine Erhöhung des Grundbetrags der Geldbuße rechtfertigen; dazu gehört u. a. die „Rolle als Anführer oder Anstifter des Verstoßes“.

(vgl. Randnrn. 561, 622)

25.    Auch wenn die in Nr. 3 der Leitlinien für das Verfahren zur Festsetzung von Geldbußen, die gemäß Art. 15 Abs. 2 der Verordnung Nr. 17 und gemäß Art. 65 Abs. 5 EGKS-Vertrag festgesetzt werden, aufgeführten Umstände gewiss zu denen gehören, die die Kommission gegebenenfalls berücksichtigen kann, ist sie doch nicht verpflichtet, automatisch eine zusätzliche Herabsetzung vorzunehmen, wenn ein Unternehmen Gesichtspunkte anführt, die auf das Vorliegen eines dieser Umstände hindeuten können. Denn die Angemessenheit einer etwaigen Herabsetzung der Geldbuße wegen mildernder Umstände ist unter Berücksichtigung aller relevanten Umstände im Wege einer Gesamtwürdigung zu beurteilen. Da sich aus den Leitlinien nichts dafür ergibt, dass die in Betracht kommenden mildernden Umstände zwingend berücksichtigt werden müssten, verbleibt der Kommission ein gewisses Ermessen, um über den Umfang einer etwaigen Herabsetzung der Geldbußen wegen mildernder Umstände im Wege einer Gesamtwürdigung zu entscheiden.

(vgl. Randnrn. 602, 624)

26.    Dass ein Unternehmen Drohungen und Druck ausgesetzt war, ändert nichts an der Tatsache und der Schwere einer Zuwiderhandlung gegen die Wettbewerbsregeln der Gemeinschaft und kann keinen mildernden Umstand darstellen. Denn ein Unternehmen, das sich mit anderen an wettbewerbswidrigen Tätigkeiten beteiligt, kann den Druck, dem es ausgesetzt ist, bei den zuständigen Behörden zur Anzeige bringen und bei der Kommission eine Beschwerde nach Art. 3 der Verordnung Nr. 17 einlegen, statt sich am Kartell zu beteiligen. Diese Erwägung gilt für alle an einem Kartell teilnehmenden Unternehmen, ohne dass zwischen ihnen anhand des Intensitätsgrads des behaupteten Drucks zu unterscheiden ist.

(vgl. Randnrn. 638-639)

27.    Die Beendigung der Verstöße nach dem ersten Eingreifen der Kommission gehört zu den in Nr. 3 der Leitlinien für das Verfahren zur Festsetzung von Geldbußen, die gemäß Art. 15 Abs. 2 der Verordnung Nr. 17 und gemäß Art. 65 Abs. 5 EGKS-Vertrag festgesetzt werden, ausdrücklich aufgezählten mildernden Umständen.

Die Kommission braucht jedoch generell weder eine Fortsetzung der Zuwiderhandlung als erschwerenden Umstand noch die Beendigung einer Zuwiderhandlung als mildernden Umstand zu berücksichtigen.

Liegt der Zeitpunkt der Beendigung einer Zuwiderhandlung vor dem ersten Eingreifen oder den ersten Nachprüfungen der Kommission, so würde im Übrigen durch eine Herabsetzung der Geldbußen die nach den Leitlinien bei ihrer Berechnung heranzuziehende Dauer der Zuwiderhandlungen doppelt berücksichtigt. Mit dieser Heranziehung wird gerade bezweckt, gegen Unternehmen, die über längere Zeit gegen die Wettbewerbsregeln verstoßen haben, strenger vorzugehen als gegen Unternehmen, deren Zuwiderhandlungen von kurzer Dauer waren. Würde eine Geldbuße herabgesetzt, weil ein Unternehmen sein rechtswidriges Verhalten vor den ersten Nachprüfungen der Kommission beendet hat, so würden die Verantwortlichen für kurzzeitige Zuwiderhandlungen hierdurch ein zweites Mal begünstigt.

(vgl. Randnrn. 643-646)

28.    Nach dem Wortlaut von Abschnitt B Buchst. b der Mitteilung über die Nichtfestsetzung oder die niedrigere Festsetzung von Geldbußen in Kartellsachen muss das „erste“ Unternehmen nicht alle Angaben gemacht haben, die sämtliche Einzelheiten der Funktionsweise des Kartells belegen, sondern es reicht aus, „Angaben“ von entscheidender Bedeutung zu machen. Insbesondere verlangt diese Bestimmung nicht, dass die gemachten Angaben für sich genommen zur Ausarbeitung einer Mitteilung der Beschwerdepunkte oder gar zum Erlass einer Endentscheidung „ausreichen“, mit der das Vorliegen einer Zuwiderhandlung festgestellt wird.

Im Übrigen geht aus der Mitteilung über Zusammenarbeit klar hervor, dass es für die Anwendung der Abschnitte B und C darauf ankommt, welches Unternehmen als erstes Angaben von entscheidender Bedeutung macht, nicht aber für Abschnitt D, der nicht darauf abstellt und keinen Bonus dafür gewährt, dass ein Unternehmen früher als ein anderes kooperiert hat.

(vgl. Randnrn. 692, 697)

29.    Eine Herabsetzung der Geldbuße wegen einer Zusammenarbeit im Verwaltungsverfahren ist nur dann gerechtfertigt, wenn das Verhalten des betreffenden Unternehmens der Kommission ermöglicht hat, eine Zuwiderhandlung leichter festzustellen und gegebenenfalls zu beenden.

Die Kommission verfügt insoweit über ein Ermessen, wie sich aus dem Wortlaut von Abschnitt D Nr. 2 der Mitteilung über die Nichtfestsetzung oder die niedrigere Festsetzung von Geldbußen in Kartellsachen ergibt.

Zudem und vor allem kann eine niedrigere Festsetzung auf der Grundlage der Mitteilung über Zusammenarbeit nur gerechtfertigt sein, wenn die gelieferten Informationen und allgemeiner das Verhalten des betreffenden Unternehmens insoweit als Zeichen seiner echten Zusammenarbeit angesehen werden können.

Mit Vorbehalten verbundene Eingeständnisse oder mehrdeutige Erklärungen sind nicht Ausdruck einer echten Zusammenarbeit und nicht geeignet, der Kommission ihre Aufgabe zu erleichtern, denn sie machen Nachprüfungen erforderlich. Dies gilt umso mehr, wenn sich diese Vorbehalte auf Punkte wie die Dauer der Zuwiderhandlung, die Verkaufsquoten, die Marktanteile oder den Austausch von Informationen beziehen.

(vgl. Randnrn. 716-717)

30.    Im Verfahren vor dem Gemeinschaftsrichter werden interne Unterlagen der Kommission, die ein Verfahren zur Anwendung der Wettbewerbsregeln der Gemeinschaft betreffen, den Klägern nur dann zugänglich gemacht, wenn sie ernsthafte Indizien dafür geliefert haben, dass außergewöhnliche Umstände des konkreten Falles dies erfordern.

(vgl. Randnr. 736)