Language of document : ECLI:EU:T:2008:595

URTEIL DES GERICHTS (Dritte erweiterte Kammer)

18. Dezember 2008(*)

„Staatliche Beihilfen – Vom Vereinigten Königreich angemeldete Beihilferegelung betreffend die Körperschaftsteuerreform der Regierung von Gibraltar – Entscheidung, die die Unvereinbarkeit der Beihilferegelung mit dem Gemeinsamen Markt feststellt – Regionale Selektivität – Materielle Selektivität“

In den Rechtssachen T‑211/04 und T‑215/04

Government of Gibraltar, Prozessbevollmächtigte: M. Llamas, Barrister, J. Temple Lang, Solicitor, sowie zunächst Rechtsanwälte A. Petersen und K. Nordlander, dann Rechtsanwalt K. Karl,

Klägerin in der Rechtssache T‑211/04,

unterstützt durch

Vereinigtes Königreich Großbritannien und Nordirland, zunächst vertreten durch M. Bethell als Bevollmächtigter im Beistand von D. Anderson, QC, und H. Davies, Barrister, dann durch E. Jenkinson und E. O’Neill als Bevollmächtigte,

Streithelfer,

Vereinigtes Königreich Großbritannien und Nordirland, zunächst vertreten durch M. Bethell, E. Jenkinson als Bevollmächtigte im Beistand von D. Anderson, QC, und H. Davies, Barrister, dann durch E. Jenkinson, E. O’Neill und S. Behzadi-Spencer als Bevollmächtigte,

Kläger in der Rechtssache T‑215/04,

gegen

Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch N. Khan und V. Di Bucci als Bevollmächtigte,

Beklagte,

unterstützt durch

Königreich Spanien, vertreten durch N. Díaz Abad, abogado del Estado,

Streithelfer,

wegen Nichtigerklärung der Entscheidung 2005/261/EG der Kommission vom 30. März 2004 über die Beihilferegelung, die das Vereinigte Königreich im Rahmen der Körperschaftsteuerreform der Regierung von Gibraltar beabsichtigt (ABl. 2005, L 85, S. 1),

erlässt

DAS GERICHT ERSTER INSTANZDER EUROPÄISCHEN GEMEINSCHAFTEN (Dritte erweiterte Kammer)

unter Mitwirkung des Präsidenten M. Jaeger sowie der Richterin V. Tiili, des Richters J. Azizi, der Richterin E. Cremona (Berichterstatterin) und des Richters O. Czúcz,

Kanzler: C. Kantza, Verwaltungsrätin,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 14. März 2007

folgendes

Urteil

 Rechtlicher Rahmen

I –  Gemeinschaftsrecht

1        Art. 87 Abs. 1 EG bestimmt:

„Soweit in diesem Vertrag nicht etwas anderes bestimmt ist, sind staatliche oder aus staatlichen Mitteln gewährte Beihilfen gleich welcher Art, die durch die Begünstigung bestimmter Unternehmen oder Produktionszweige den Wettbewerb verfälschen oder zu verfälschen drohen, mit dem Gemeinsamen Markt unvereinbar, soweit sie den Handel zwischen Mitgliedstaaten beeinträchtigen.“

2        Nach Punkt 2 der Mitteilung 98/C 384/03 der Kommission über die Anwendung der Vorschriften über staatliche Beihilfen auf Maßnahmen im Bereich der direkten Unternehmenssteuerung (ABl. 1998, C 384, S. 3, im Folgenden: Mitteilung über staatliche Beihilfen im Bereich der direkten Unternehmensbesteuerung) hat diese Mitteilung Klarstellungen zur Einstufung als Beihilfe gemäß Art. 87 Abs. 1 EG im Fall steuerlicher Maßnahmen zum Gegenstand.

3        Punkt 16 der Mitteilung über staatliche Beihilfen im Bereich der direkten Unternehmensbesteuerung bestimmt:

„Wesentlich für die Anwendung des Artikels [87] Absatz 1 [EG] auf eine steuerliche Maßnahme ist … vor allem, dass diese Maßnahme eine Ausnahme von der Anwendung des allgemein geltenden Steuersystems zugunsten bestimmter Unternehmen eines Mitgliedstaats darstellt. Demnach muss also zuerst festgestellt werden, welche allgemeine Regelung gilt. Anschließend muss geprüft werden, ob die Ausnahme oder die systeminternen Differenzierungen ‚durch die Natur oder den inneren Aufbau‘ des Steuersystems gerechtfertigt sind, das heißt, ob sie sich also unmittelbar aus den Grund- oder Leitprinzipien des Steuersystems des betreffenden Mitgliedstaats ergeben. Ist dies nicht der Fall, so handelt es sich um eine staatliche Beihilfe.“

4        Gemäß Art. 299 Abs. 4 EG findet der Vertrag auf die europäischen Hoheitsgebiete Anwendung, deren auswärtige Beziehungen ein Mitgliedstaat wahrnimmt.

II –  Status von Gibraltar

5        Gibraltar ist seit 1713 eine Kolonie (oder ein überseeisches Gebiet) der britischen Krone, und das Vereinigte Königreich Großbritannien und Nordirland ist für die auswärtigen Beziehungen von Gibraltar verantwortlich. Gibraltar ist nicht Teil des Vereinigten Königreichs.

6        Im entscheidungserheblichen Zeitraum wurde die öffentliche Gewalt in Gibraltar durch die Gibraltar Constitution Order 1969 (Verordnung von 1969 über die Verfassung von Gibraltar, im Folgenden: Verfassung von 1969) und die Accompanying Despatch (Begleitende Mitteilung) vom 23. Mai 1969 geregelt.

7        Die Exekutivgewalt wird von einem Gouverneur, der von der Königin ernannt wird und diese vertritt, und für bestimmte innere Angelegenheiten vom Ministerrat von Gibraltar ausgeübt. Der Ministerrat besteht aus dem Chief Minister und den Ministern, die der Gouverneur aus den gewählten Mitgliedern des House of Assembly ernennt.

8        Die Legislativgewalt liegt beim House of Assembly und beim Gouverneur. Das House of Assembly besteht aus dem Speaker, dem Attorney General, dem Financial and Development Secretary und fünfzehn gewählten Mitgliedern. Das House of Assembly wird grundsätzlich alle vier Jahre neu gewählt.

9        Für Gibraltar wurden eigene Gerichte geschaffen. Gegen die Entscheidungen des obersten Gerichts von Gibraltar kann jedoch vor dem Judicial Committee of the Privy Council (Rechtsausschuss des Privy Council) des Vereinigten Königreichs Rechtsmittel eingelegt werden.

10      Da das Hoheitsgebiet Gibraltar ein europäisches Hoheitsgebiet im Sinne von Art. 299 Abs. 4 EG ist, dessen auswärtige Beziehungen das Vereinigte Königreich wahrnimmt, finden die Bestimmungen des Vertrags auf Gibraltar Anwendung. Da gemäß Art. 28 der Akte über die Bedingungen des Beitritts des Königreichs Dänemark, Irlands und des Vereinigten Königreichs Großbritannien und Nordirland zu den Europäischen Gemeinschaften, die dem Vertrag über den Beitritt dieser Länder (ABl. 1972, L 73, S. 5) angehängt ist, die Rechtsakte der Organe der Gemeinschaft betreffend u. a. die „Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuer … auf Gibraltar nicht anwendbar [sind]“, sofern der Rat nicht etwas anderes bestimmt, sind die Wettbewerbsvorschriften des Gemeinschaftsrechts, einschließlich der Bestimmungen zu Beihilfen der Mitgliedstaaten, anwendbar.

 Sachverhalt

I –  Vorgeschichte der Körperschaftsteuerreform der Regierung von Gibraltar

11      Am 11. Juli 2001 eröffnete die Kommission das förmliche Prüfverfahren gemäß Art. 88 Abs. 2 EG im Hinblick auf zwei Regelungen, die in Gibraltar bei der Körperschaftsteuer angewandt wurden und „freigestellte Unternehmen“ (ABl. 2002, C 26, S. 13) bzw. „berechtigte Unternehmen“ (ABl. 2002, C 26, S. 9) betrafen.

12      Freigestellte Unternehmen waren nicht in Gibraltar niedergelassen, während berechtigte Unternehmen dort über eine tatsächliche Geschäftsstelle verfügten (a bricks and mortar presence) und in verschiedenen Bereichen tätig waren.

13      Für die Anerkennung als freigestelltes Unternehmen mussten mehrere Voraussetzungen erfüllt sein; dazu gehörte das Verbot der Ausübung einer gewerblichen oder sonstigen Tätigkeit in Gibraltar, ausgenommen Tätigkeiten mit anderen freigestellten oder berechtigten Unternehmen. Staatsangehörige und Bewohner von Gibraltar konnten an einem freigestellten Unternehmen nicht beteiligt sein und aus einer solchen Beteiligung keine Vorteile erlangen, es sei denn, mittels einer Aktiengesellschaft als deren Aktionär. Vorbehaltlich bestimmter enger Ausnahmen war ein freigestelltes Unternehmen in Gibraltar von der Einkommensteuer befreit und brauchte nur eine jährliche Pauschalsteuer von 225 Pfund Sterling (GBP) zu entrichten.

14      Für die Anerkennung als berechtigtes Unternehmen waren im Wesentlichen die gleichen Voraussetzungen zu erfüllen wie für die Anerkennung als freigestelltes Unternehmen. Die berechtigten Unternehmen zahlten Steuern in Höhe eines Satzes, der mit den Steuerbehörden von Gibraltar ausgehandelt wurde und zwischen 2 % und 10 % ihres Gewinns schwankte.

15      Mit Urteil vom 30. April 2002, Government of Gibraltar/Kommission (T‑195/01 und T‑207/01, Slg. 2002, II‑2309), hat das Gericht erstens die Entscheidung über die Eröffnung des förmlichen Prüfverfahrens betreffend freigestellte Unternehmen für nichtig erklärt und zweitens die Klage auf Nichtigerklärung der Entscheidung über die Eröffnung des förmlichen Prüfverfahrens betreffend berechtigte Unternehmen abgewiesen.

16      Unbeschadet der Frage, ob die Steuerregelungen betreffend freigestellte und berechtigte Unternehmen staatliche Beihilfen darstellten, zeigte die Regierung von Gibraltar am 27. April 2002 an, dass sie beabsichtige, alle Rechtsvorschriften im Bereich der Unternehmensbesteuerung aufzuheben und eine völlig neue Steuerregelung für alle Unternehmen in Gibraltar einzuführen. Diese Körperschaftsteuerreform der Regierung von Gibraltar ist Gegenstand des vorliegenden Rechtsstreits.

II –  Körperschaftsteuerreform der Regierung von Gibraltar

17      Mit Schreiben vom 12. August 2002 zeigte das Vereinigte Königreich der Kommission gemäß Art. 88 Abs. 3 EG die Körperschaftsteuerreform der Regierung von Gibraltar an.

18      Die Steuerreform beinhaltet ein Steuersystem, das für alle Unternehmen gilt, die in Gibraltar niedergelassen sind, und zusätzliche Steuern (bzw. Steuerzuschläge) (top-up tax), die nur für Finanzdienstleistungsunternehmen und Versorgungsunternehmen gelten, wobei zu den Versorgungsunternehmen solche Unternehmen zählen, die in den Bereichen Telekommunikation, Strom und Wasser tätig sind.

19      Die Umsetzung der Steuerreform erfolgt durch

–        die Companies (Payroll Tax) Ordinance (Verordnung betreffend Unternehmen [Lohnsummensteuer]);

–        die Companies (Annual Registration Fee) Ordinance (Verordnung betreffend Unternehmen [jährliche Eintragungsgebühr]);

–        die Rates Ordinance (Verordnung betreffend Steuern);

–        die Companies (Taxation of Designated Activities) Ordinance (Verordnung betreffend Unternehmen [Besteuerung bestimmter Tätigkeitsbereiche]);

20      Die Rechtsvorschriften über die Steuerreform werden von der Regierung von Gibraltar angewandt, sobald sie vom House of Assembly verabschiedet worden sind. Im Rahmen dieser Reform werden die Rechtsvorschriften betreffend freigestellte Unternehmen und berechtigte Unternehmen mit sofortiger Wirkung aufgehoben.

A –  Steuersystem nach der Steuerreform

21      Das Steuersystem, das durch die Steuerreform eingeführt wird und für alle Unternehmen gilt, die in Gibraltar niedergelassen sind, besteht aus einer Lohnsummensteuer (payroll tax), einer Gewerbegrundbenutzungssteuer (business property occupation tax) und einer Eintragungsgebühr (registration fee):

–        Lohnsummensteuer: Alle Unternehmen in Gibraltar haben für jeden Mitarbeiter jährlich eine Lohnsummensteuer in Höhe von 3 000 GBP zu entrichten. Jeder „Arbeitgeber“ in Gibraltar muss die Lohnsummensteuer für die Gesamtzahl seiner Vollzeit- und Teilzeit-„Arbeitnehmer“ zahlen, die „in Gibraltar beschäftigt“ sind. Die Rechtsvorschriften über die Steuerreform enthalten Definitionen der vorgenannten Begriffe.

–        Gewerbegrundbenutzungssteuer (business property occupation tax, im Folgenden: BPOT): Alle Unternehmen mit Geschäftsräumen in Gibraltar zahlen eine Gewerbegrundbenutzungssteuer in Höhe eines bestimmten Prozentanteils der allgemeinen Grundsteuer, die in Gibraltar für sie gilt.

–        Eintragungsgebühr: Alle Unternehmen in Gibraltar haben eine jährliche Eintragungsgebühr zu entrichten, die 150 GBP für nicht gewinnorientierte Unternehmen und 300 GBP für gewinnorientierte Unternehmen beträgt.

22      Die Gesamtsteuerschuld für die Lohnsummensteuer zusammen mit der BPOT wird auf höchstens 15 % des Gewinns begrenzt. Aus dieser Begrenzung ergibt sich, dass Unternehmen nur dann Lohnsummensteuer und BPOT zahlen, wenn sie Gewinn machen, und dass der Höchstsatz bei 15 % des Gewinns liegt.

B –  Zusätzliche Steuern (bzw. Steuerzuschläge)

23      Für bestimmte Tätigkeitsbereiche, und zwar Finanzdienstleistungen und Versorgungsunternehmen, werden zusätzliche Steuern (bzw. Steuerzuschläge) auf Gewinne erhoben, die in diesen Tätigkeitsbereichen erzielt werden. Die zusätzlichen Steuern gelten nur für Gewinne, die diesen bestimmten Tätigkeitsbereichen zugerechnet werden können.

24      Abgesehen von der Lohnsummensteuer und der BPOT zahlen Finanzdienstleistungsunternehmen somit eine zusätzliche Steuer (bzw. Steuerzuschläge) auf Gewinne aus Finanzdienstleistungen zwischen 4 % und 6 % des Gewinns (berechnet gemäß den international anerkannten Bilanzierungsrichtlinien); die jährliche Gesamtsteuerschuld dieser Unternehmen (Lohnsummensteuer, BPOT und zusätzliche Steuer) beläuft sich auf höchstens 15 % des Gewinns.

25      Abgesehen von der Lohnsummensteuer und der BPOT zahlen Versorgungsunternehmen eine zusätzliche Steuer (bzw. Steuerzuschläge) auf Gewinne aus Versorgungsdienstleistungen in Höhe von 35 % des Gewinns (berechnet gemäß den international anerkannten Bilanzierungsrichtlinien). Diese Unternehmen dürfen die Lohnsummensteuer und die BPOT von der von ihnen zu zahlenden zusätzlichen Steuer abziehen. Auch wenn für die jährliche Gesamtsteuerschuld der Versorgungsunternehmen (Lohnsummensteuer und BPOT) ebenfalls ein Höchstsatz von 15 % des Gewinns gilt, ist mit der von Versorgungsunternehmen zu entrichtenden zusätzlichen Steuer sichergestellt, dass diese Unternehmen immer eine Steuer in Höhe von 35 % des Gewinns entrichten.

III –  Verwaltungsverfahren und angefochtene Entscheidung

26      Mit Schreiben vom 16. Oktober 2002 teilte die Kommission den Behörden des Vereinigten Königreichs mit, dass sie im Hinblick auf die Steuerreform beschlossen habe, das Verfahren gemäß Art. 88 Abs. 2 EG zu eröffnen, und sie forderte die Beteiligten zur Stellungnahme auf (ABl. C 300, S. 2). Mit Schreiben vom 13. Dezember 2002 reichte das Vereinigte Königreich seine Stellungnahme ein.

27      Die Kommission erhielt Stellungnahmen von der Confederación Española de Organizaciones Empresariales (spanischer Unternehmerverband), von der Ålands Landskapsstyrelse (Exekutive von Åland, Finnland), vom Königreich Spanien und von der Regierung von Gibraltar. Die Kommission leitete diese Stellungnahmen an das Vereinigte Königreich weiter, das ihr mit Schreiben vom 13. Februar 2003 eine Stellungnahme übermittelte.

28      Am 30. März 2004 erließ die Kommission die Entscheidung 2005/261/EG über die Beihilferegelung, die das Vereinigte Königreich im Rahmen der Körperschaftsteuerreform der Regierung von Gibraltar beabsichtigt (ABl. 2005, L 85, S. 1, im Folgenden: angefochtene Entscheidung).

29      Der verfügende Teil der angefochtenen Entscheidung lautet:

„Artikel 1

Die vom Vereinigten Königreich gemeldeten Vorschläge zur Reform des Körperschaftsteuersystems in Gibraltar stellen Beihilferegelungen dar, die mit dem Gemeinsamen Markt unvereinbar sind.

Diese Vorschläge dürfen daher nicht umgesetzt werden.

Artikel 2

Diese Entscheidung ist an das Vereinigte Königreich von Großbritannien und Nordirland gerichtet.“

30      Zur Stützung ihrer Feststellung über den selektiven Charakter der Steuerreform führt die Kommission im Wesentlichen in den Randnrn. 98 bis 152 der angefochtenen Entscheidung an, dass die Steuerreform sowohl regional als auch materiell selektiv sei. Die Reform sei regional selektiv, da sie ein Körperschaftsteuersystem einführe, bei dem Unternehmen in Gibraltar allgemein niedriger besteuert würden als Unternehmen im Vereinigten Königreich (Randnr. 127 der angefochtenen Entscheidung). Nach Auffassung der Kommission sind die folgenden Bestandteile der Steuerreform materiell selektiv: erstens die Voraussetzung der Gewinnerzielung als Grundlage für die Lohnsummensteuer und die BPOT, da diese Voraussetzung Unternehmen begünstige, die keinen Gewinn erzielten (Randnrn. 128 bis 133 der angefochtenen Entscheidung); zweitens die Obergrenze von 15 % des Gewinns, die für die Lohnsummensteuer und die BPOT gelte, da diese Obergrenze Unternehmen begünstige, die für das betreffende Steuerjahr niedrige Gewinne im Verhältnis zu der Zahl ihrer Mitarbeiter und der Nutzung von Gewerberäumen erzielten (Randnrn. 134 bis 141 der angefochtenen Entscheidung); drittens die Lohnsummensteuer und die BPOT, da diese beiden Steuern ihrem Wesen nach Unternehmen begünstigten, die in Gibraltar nicht tatsächlich physisch präsent und daher nicht körperschaftsteuerpflichtig seien (Randnrn. 142 bis 144 und 150 der angefochtenen Entscheidung). Die Kommission kommt zu dem Schluss, dass „[d]ie angemeldeten Maßnahmen … daher mit regionaler und materieller Selektivität verbunden [sind]; Letztere ergibt sich sowohl aus den spezifischen Merkmalen des vorgesehenen Systems als auch der Analyse des Systems als Ganzes“ (Randnr. 152 der angefochtenen Entscheidung).

 Verfahren und Anträge der Parteien

31      Mit am 9. Juni 2004 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangenen Klageschriften haben die Regierung von Gibraltar, Klägerin in der Rechtssache T‑211/04, und das Vereinigte Königreich, Kläger in der Rechtssache T‑215/04, die vorliegenden Nichtigkeitsklagen gegen die angefochtene Entscheidung erhoben.

32      Mit am 4. Oktober 2004 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangenem Schriftsatz hat das Vereinigte Königreich beantragt, in der Rechtssache T‑211/04 als Streithelfer zur Unterstützung der Anträge der Klägerin zugelassen zu werden.

33      Mit am 7. Oktober 2004 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangenen Schriftsätzen hat das Königreich Spanien beantragt, in den Rechtssachen T‑211/04 und T‑215/04 als Streithelfer zur Unterstützung der Anträge der Kommission zugelassen zu werden.

34      Mit am 1. Dezember 2004 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangenen Schriftsätzen hat die Klägerin in der Rechtssache T‑211/04 gemäß Art. 116 § 2 der Verfahrensordnung des Gerichts beantragt, Anhang A 2 der Klageschrift gegenüber den Streithelfern vertraulich zu behandeln. Mit am 26. April 2005 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangenem Schriftsatz hat sie diesen Antrag zurückgenommen.

35      Mit Beschlüssen vom 14. Dezember 2004 und vom 15. Februar 2005 hat der Präsident der Dritten Kammer des Gerichts den Anträgen auf Zulassung als Streithelfer in den Rechtssachen T‑211/04 und T‑215/04 stattgegeben.

36      Mit am 8. März 2005 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangenem Schriftsatz hat das Vereinigte Königreich gemäß Art. 50 der Verfahrensordnung die Verbindung der Rechtssachen T‑211/04 und T‑215/04 zu gemeinsamem mündlichen Verfahren und zu gemeinsamer Entscheidung beantragt. Die betroffenen Parteien haben zu diesem Antrag fristgemäß Stellung genommen.

37      Mit am 16. März 2005 und am 15. April 2005 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangenen Schriftsätzen haben die Kläger in den Rechtssachen T‑211/04 und T‑215/04 gemäß Art. 55 § 2 der Verfahrensordnung beantragt, diese Rechtssachen mit Vorrang zu behandeln.

38      Das Königreich Spanien hat seinen Streithilfeschriftsatz in der Rechtssache T‑215/04 am 29. April 2005 und in der Rechtssache T‑211/04 am 20. Juni 2005 eingereicht. Die Parteien dieser Rechtssachen haben zu den Schriftsätzen fristgemäß Stellung genommen. Das Vereinigte Königreich hat in der Rechtssache T‑211/04 keinen Streithilfeschriftsatz eingereicht.

39      Mit Beschlüssen vom 12. Mai 2005 und vom 13. Dezember 2006 hat das Gericht auf der Grundlage von Art. 55 § 2 der Verfahrensordnung dem Antrag auf vorrangige Behandlung der Rechtssachen T‑211/04 und T‑215/04 stattgegeben.

40      Mit Beschluss vom 6. Juni 2005 hat das Gericht die Rechtssachen T‑211/04 und T‑215/04 der Dritten erweiterten Kammer zugewiesen.

41      Mit Beschluss vom 18. Dezember 2006 sind die Rechtssachen T‑211/04 und T‑215/04 zu gemeinsamem mündlichen Verfahren verbunden worden.

42      Auf Bericht des Berichterstatters hat das Gericht (Dritte erweiterte Kammer) beschlossen, die mündliche Verhandlung zu eröffnen, und es hat die Parteien der Rechtssachen T‑211/04 und T‑215/04 im Rahmen der prozessleitenden Maßnahmen gemäß Art. 64 der Verfahrensordnung aufgefordert, zu den Schlussfolgerungen, die für die vorliegenden Rechtssachen aus dem Urteil des Gerichtshofs vom 6. September 2006, Portugal/Kommission (C‑88/03, Slg. 2006, I‑7115, im Folgenden: Urteil über die Steuerregelung der Azoren), zu ziehen seien, schriftlich Stellung zu nehmen. Die Parteien sind dieser Aufforderung fristgemäß nachgekommen.

43      In der Sitzung vom 14. März 2007 haben die Parteien mündlich verhandelt und die Fragen des Gerichts beantwortet.

44      Das Gericht ist der Auffassung, dass die beiden Rechtssachen zu gemeinsamer Entscheidung zu verbinden sind, da die Parteien sich in der mündlichen Verhandlung hiermit einverstanden erklärt haben.

45      Die Klägerin in der Rechtssache T‑211/04 beantragt,

–        die angefochtene Entscheidung für nichtig zu erklären;

–        der Kommission und dem Königreich Spanien die Kosten aufzuerlegen.

46      Der Kläger in der Rechtssache T‑215/04 beantragt,

–        die angefochtene Entscheidung für nichtig zu erklären;

–        der Kommission die Kosten aufzuerlegen.

47      In den Rechtssachen T‑211/04 und T‑215/04 beantragt die Kommission,

–        die Klage abzuweisen;

–        den Klägern die Kosten aufzuerlegen.

48      In den Rechtssachen T‑211/04 und T‑215/04 beantragt das Königreich Spanien,

–        die Klage abzuweisen;

–        den Klägern die Kosten aufzuerlegen.

 Rechtliche Würdigung

49      Die Kläger machen im Wesentlichen drei Klagegründe geltend. Der erste Klagegrund stützt sich auf Rechts- und Beurteilungsfehler bei der Anwendung des Kriteriums der regionalen Selektivität, der zweite Klagegrund stützt sich auf Rechts- und Beurteilungsfehler bei der Anwendung des Kriteriums der materiellen Selektivität, und der dritte Klagegrund betrifft die Verletzung wesentlicher Formvorschriften im Rahmen der Prüfung des als materiell selektiv eingestuften dritten Bestandteils der Steuerreform, d. h. des Wesens der Lohnsummensteuer und der BPOT. Der letzte Klagegrund besteht aus zwei Teilen: erstens Verletzung des Rechts auf rechtliches Gehör und zweitens Verletzung der Begründungspflicht.

I –  Zum ersten Klagegrund: Rechts- und Beurteilungsfehler bei der Anwendung des Kriteriums der regionalen Selektivität

A –  Vorbringen der Parteien

50      Die Kläger machen geltend, die Kommission habe das Kriterium der regionalen Selektivität in der vorliegenden Rechtssache fehlerhaft angewandt, als sie das Hoheitsgebiet des Vereinigten Königreichs und dessen Körperschaftsteuerregelung als geeigneten Bezugsrahmen für die Bewertung der Steuerreform von Gibraltar angesehen habe. Die Kläger stützen ihr Vorbringen im Wesentlichen auf vier Argumente.

51      Erstens dürfe das Kriterium der regionalen Selektivität in der vorliegenden Rechtssache nicht so angewandt werden, wie dies die Kommission getan habe, da Gibraltar weder nach nationalem Recht noch nach Völker- oder Gemeinschaftsrecht Teil des Vereinigten Königreichs sei. Die Rechtsprechung, die Mitteilung über staatliche Beihilfen im Bereich der direkten Unternehmensbesteuerung und die Argumente, auf die sich die Kommission in der angefochtenen Entscheidung stütze, beträfen jeweils steuerliche Maßnahmen, die für Gebietseinheiten gälten, die Teil eines Mitgliedstaats seien. Gibraltar könne nicht mit einer solchen Einheit gleichgesetzt werden.

52      Zweitens könne das Vereinigte Königreich auch dann kein geeigneter Bezugsrahmen sein, wenn Gibraltar für die Zwecke der Anwendung der Gemeinschaftsbestimmungen über staatliche Beihilfen als Teil des Vereinigten Königreichs anzusehen sei, da die beiden Einheiten nicht über ein gemeinsames Steuersystem verfügten. Die Steuerreform von Gibraltar sei keine „Änderung“, „Ausnahme“ oder „Einschränkung“ der Körperschaftsteuerregelung des Vereinigten Königreichs, und bei dessen Körperschaftsteuerregelung handle es sich nicht um das „normale“ Steuersystem, das in Gibraltar ohne die streitige Steuerreform anwendbar wäre. Daher sei das Kriterium der regionalen Selektivität nicht anwendbar.

53      Hierzu tragen die Kläger erstens vor, dass die öffentliche Gewalt des Vereinigten Königreichs bei der Festlegung des politischen und wirtschaftlichen Umfelds in Gibraltar keine Rolle spiele. Auf der politischen Ebene bestehe die öffentliche Gewalt in Gibraltar aus einer eigenen Exekutive, Legislative und Judikative, die sich von der Exekutive, Legislative und Judikative des Vereinigten Königreichs unterschieden. Auf der wirtschaftlichen Ebene erhalte Gibraltar vom Vereinigten Königreich weder Subventionen noch finanzielle Unterstützung. Seine Einnahmen stammten ausschließlich aus Steuern, die es selbst festsetze. Es treffe die wirtschaftspolitischen Maßnahmen, die es für sein Hoheitsgebiet am geeignetsten halte, ohne die Wirtschaftspolitik des Vereinigten Königreichs zu berücksichtigen. Es präge und drucke seine Geldmünzen und ‑scheine selbst, lege seine Geldmenge eigenständig fest und entscheide selbständig über seine Anleihen und Ausgaben. Die angefochtene Entscheidung enthalte Tatsachenirrtümer im Hinblick auf die Bedeutung, die die Ausübung der Zentralgewalt des Vereinigten Königreichs für Gibraltar habe.

54      Zweitens seien Gibraltar und das Vereinigte Königreich zwei vollkommen gesonderte und verschiedene Steuergebiete. Die Regierung von Gibraltar und das House of Assembly hätten die Steuerregelung, die für dieses Gebiet gelte, unter ausschließlicher Berücksichtigung der besonderen Umstände, die die Wirtschaft des Gebiets kennzeichneten, entwickelt, ohne sich vom Steuerrecht oder der Steuerpolitik des Vereinigten Königreichs beeinflussen oder einschränken zu lassen. Die steuerrechtlichen Vorschriften des Vereinigten Königreichs seien in Gibraltar nie angewandt worden und würden selbst dann nicht angewandt, wenn Gibraltar nicht über eigene steuerrechtliche Vorschriften verfügte. Daher gebe es keine Vorschrift, mit der die in Gibraltar geltenden Steuern verglichen werden oder von der sie abweichen könnten. Die angefochtene Entscheidung enthalte Tatsachenirrtümer, indem sie Gibraltar als einen Ort beschreibe, dessen fiskalische Befugnisse zwar dezentralisiert seien, der jedoch ein zentrales Bezugssystem beibehalten habe (Randnr. 121 der angefochtenen Entscheidung), indem sie die Steuerreform als eine auf nationaler Ebene wahrgenommene Steuersenkung beschreibe (Randnr. 109 der angefochtenen Entscheidung) und indem die Kommission festgestellt habe, dass „das derzeit in Gibraltar geltende Steuersystem weitgehend dem Vorbild des Vereinigten Königreichs folgt, mit Ausnahme der Begünstigungen für die Offshore-Wirtschaft“ (Randnr. 112 der angefochtenen Entscheidung).

55      Die Regierung von Gibraltar ist der Ansicht, das Kriterium der Selektivität impliziere, dass die streitige steuerliche Maßnahme mit einem normalen Steuersatz verglichen werden könne, der in der betreffenden Region für den jeweiligen Tätigkeitsbereich gälte, wenn die streitige steuerliche Maßnahme nicht vorliegen würde. Dies bedeute notwendigerweise, dass das Vergleichsmerkmal eine Steuer oder eine andere Maßnahme sein müsse, die in demselben steuerlichen Gebiet anwendbar sei. In der vorliegenden Rechtssache handle es sich bei Gibraltar und dem Vereinigten Königreich jedoch um zwei verschiedene steuerliche Gebiete; selbst wenn Gibraltar über keine besondere Körperschaftsteuerregelung verfügte, wäre die Steuerregelung des Vereinigten Königreichs nicht anwendbar. Entgegen dem Vorbringen der Kommission in Randnr. 114 der angefochtenen Entscheidung beruhe diese Unanwendbarkeit nicht darauf, dass das Vereinigte Königreich entschieden habe, Gibraltar seine fiskalischen Befugnisse zu übertragen oder einzuräumen. Es stehe dem Vereinigten Königreich nämlich nicht frei, seine eigenen Steuergesetze auf seine Kolonialgebiete anzuwenden, und das Vereinigte Königreich habe in Gibraltar zu keinem Zeitpunkt fiskalische Befugnisse ausgeübt.

56      Die Kläger tragen drittens vor, entgegen der von der Kommission in der angefochtenen Entscheidung vertretenen Ansicht sei die politische und steuerliche Autonomie einer unterhalb der staatlichen Ebene angesiedelten Einheit ein maßgebliches Kriterium für die Beurteilung des selektiven Charakters einer steuerlichen Maßnahme der Einheit, da die fragliche Einheit aufgrund ihrer politischen und steuerlichen Autonomie als geeigneter Bezugsrahmen angesehen werden könne.

57      Drittens wiederholen die Kläger in ihrer schriftlichen Stellungnahme zu den Schlussfolgerungen, die aus dem Urteil über die Steuerregelung der Azoren (oben in Randnr. 42 angeführt) zu ziehen seien, dass das Kriterium der regionalen Selektivität in der vorliegenden Rechtssache nicht angewandt werden dürfe, da Gibraltar nicht Teil des Vereinigten Königreichs sei und die beiden Einheiten über keine gemeinsame Steuerregelung verfügten, und sie machen hilfsweise geltend, dass der Bezugsrahmen in der vorliegenden Rechtssache nach der Methode, die in den Randnrn. 67 und 68 des Urteils über die Steuerregelung der Azoren (oben in Randnr. 42 angeführt) für die Festlegung des Bezugsrahmens dargelegt werde, das Hoheitsgebiet von Gibraltar sei.

58      Viertens sei die Steuerreform aufgrund ihres Wesens oder ihrer Systematik auch dann gerechtfertigt, wenn sie sich als regional selektiv herausstellen sollte.

59      Die Kommission ist der Auffassung, dass es in der vorliegenden Rechtssache nicht darauf ankomme, ob Gibraltar für die Zwecke der Anwendung des nationalen oder des Völkerrechts Teil des Vereinigten Königreichs sei, sondern darauf, ob es für die Zwecke der Anwendung des Gemeinschaftsrechts, das eine eigene Rechtsordnung bilde, Teil des Vereinigten Königreichs sei. Nach Ansicht der Kommission ist dies der Fall.

60      Die wirtschaftliche Trennung von Gibraltar und dem Vereinigten Königreich spiele in der vorliegenden Rechtssache keine Rolle. Dieser Gesichtspunkt sei in den Entscheidungen zu staatlichen Beihilfen nie berücksichtigt worden, denn selbst wenn eine echte wirtschaftliche Trennung zwischen der Zentralgewalt und der autonomen Region vorliege, seien die Bestimmungen über staatliche Beihilfen mit regionaler Zielsetzung ausschließlich aus dem Grund anwendbar, dass bestimmte Unternehmen wegen ihrer Niederlassung oder ihrer Tätigkeit in einem Teil eines Mitgliedstaats begünstigt würden.

61      Jedenfalls bestreitet die Kommission die von den Klägern geltend gemachte wirtschaftliche und steuerliche Unabhängigkeit von Gibraltar gegenüber dem Vereinigten Königreich und führt Beispiele an, in denen Gibraltar vom Vereinigten Königreich finanziell unterstützt worden sei.

62      Die Kommission trägt darüber hinaus vor, dass entgegen dem Vorbringen der Kläger die zentralen Behörden des Vereinigten Königreichs bei der Festlegung des politischen und wirtschaftlichen Umfelds in Gibraltar eine entscheidende Rolle spielten, u. a. da das Vereinigte Königreich dafür verantwortlich sei, dass in Gibraltar Gemeinschaftsrecht angewandt werde, und da die Währungsstabilität in Gibraltar ausschließlich vom Vereinigten Königreich abhänge (bei der Währung Gibraltars handle es sich lediglich um eine andere Bezeichnung für das Pfund Sterling). Ebenso komme dem Begriff „bestimmte innere Angelegenheiten“, dem die Kläger das Steuerwesen zuordneten, im Zusammenhang mit dem Gemeinschaftsrecht nur wenig Bedeutung zu. Dies sei im Wesentlichen auf zwei Gründe zurückzuführen: Erstens seien die zentralen Behörden (in der Person des Gouverneurs) aufgrund der Verfassung von 1969 berechtigt, Einfluss zu nehmen, u. a. um zu gewährleisten, dass in Gibraltar die internationalen Verpflichtungen eingehalten würden, und zweitens sei Gibraltar im Gegensatz zum Vereinigten Königreich am Erlass von Gemeinschaftsrechtsakten, die seine bestimmten inneren Angelegenheiten beträfen und in seinem Hoheitsgebiet umgesetzt werden müssten, nicht beteiligt.

63      Was das Vorbringen der Kläger zur fehlenden gemeinsamen Steuerregelung für Gibraltar und das Vereinigte Königreich betrifft, macht die Kommission im Wesentlichen geltend, sobald feststehe, dass Gibraltar für die Zwecke der Anwendung der Gemeinschaftsbestimmungen über staatliche Beihilfen als Teil des Vereinigten Königreichs anzusehen sei, komme nur die Steuerregelung des Vereinigten Königreichs als geeigneter Bezugsrahmen in Betracht.

64      Art. 87 EG verweise auf „staatliche … Beihilfen …, die … den Handel zwischen Mitgliedstaaten beeinträchtigen“. Entscheidende Frage sei nicht, ob das Vereinigte Königreich und Gibraltar demselben Steuergebiet angehörten, sondern, ob eine in Gibraltar geltende Steuerregelung eine staatliche Beihilfe eines Mitgliedstaats darstellen könne. Nach Auffassung der Kommission ist diese Frage zu bejahen, da die Gemeinschaftsbestimmungen über staatliche Beihilfen uneingeschränkt für Gibraltar gälten, wie die Regierung von Gibraltar selbst einräume. Bei dem Mitgliedstaat, der beabsichtige, im Hoheitsgebiet von Gibraltar Beihilfen zu gewähren, könne es sich nur um das Vereinigte Königreich handeln, und die Frage, ob die Beihilferegelung regional selektiv sei, könne nur in Bezug auf das Vereinigte Königreich als Mitgliedstaat, der für die Einhaltung des Gemeinschaftsrechts in Gibraltar verantwortlich sei, beurteilt werden.

65      Das Fehlen eines gemeinsamen (oder normalen) Steuersystems, das in Gibraltar gälte, wenn die Steuerregelung Gibraltars nicht angewandt würde, schließe die Anwendung des Kriteriums der regionalen Selektivität nicht aus. Es sei auf eine Entscheidung des Vereinigten Königreichs zurückzuführen, dass kein gemeinsames Steuersystem vorliege. Das Vereinigte Königreich habe sich entschieden, eine besondere konstitutionelle Verbindung mit Gibraltar herzustellen, und es habe sich auch entschieden, Gibraltar durch die Akte über den Beitritt zur Gemeinschaft der Regelung über staatliche Beihilfen zu unterwerfen. Das Vereinigte Königreich verfüge in Gibraltar auch über ausreichende Befugnisse, um gewährleisten zu können, dass Gibraltar eine Körperschaftsteuerregelung erlasse, die mit dem Vertrag vereinbar sei. Daher dürfe der Bezugsrahmen nur derjenige sein, den das Vereinigte Königreich bilde.

66      Im Übrigen ist die Kommission der Auffassung, dass der Grad der steuerlichen Autonomie der unterhalb der staatlichen Ebene angesiedelten Einheit für die Zwecke der Anwendung des Begriffs der staatlichen Beihilfe nicht relevant sei. Sie macht geltend, dass sich dieses Argument auf die Anerkennung der These stütze, dass Gibraltar Teil des Vereinigten Königreichs sei. In Anbetracht dieser These entbehre das Vorbringen, nach dem die Anwendung der Vorschriften über staatliche Beihilfen vom Grad der Autonomie der betreffenden Region abhänge, notwendigerweise jeglicher Grundlage (mit Ausnahme des Falls der in Randnr. 115 der angefochtenen Entscheidung aufgeführten symmetrischen Übertragung fiskalischer Befugnisse).

67      In ihrer schriftlichen Stellungnahme zu den Schlussfolgerungen, die aus dem Urteil über die Steuerregelung der Azoren (oben in Randnr. 42 angeführt) zu ziehen sind, macht die Kommission geltend, dass der Gerichtshof in jenem Urteil ihrem Vorbringen gefolgt sei, wonach das Kriterium, anhand dessen der Bezugsrahmen für die Beurteilung der regionalen Selektivität bestimmt werde, die Einheit sei, die bei der Festlegung des politischen und wirtschaftlichen Umfelds, in dem die Unternehmen tätig seien, eine grundlegende Rolle spiele, dass er jedoch ihr Vorbringen, bei dieser Einheit könne es sich nur um den Mitgliedstaat handeln, zurückgewiesen habe.

68      Die Frage, ob der Bezugsrahmen in der vorliegenden Rechtssache Gibraltar sein könne, hänge von den Voraussetzungen ab, die im Urteil über die Steuerregelung der Azoren (oben in Randnr. 42 angeführt) dargelegt seien, und nicht vom verfassungsrechtlichen Status, der Gibraltar nach nationalem Recht zukomme.

69      Die in Randnr. 66 des Urteils über die Steuerregelung der Azoren (oben in Randnr. 42 angeführt) dargelegte Anforderung, dass der Region „eine grundlegende Rolle bei der Festlegung des politischen und wirtschaftlichen Umfelds zukommt, in dem die Unternehmen ihres Zuständigkeitsgebiets tätig sind“, impliziere eine vierte Voraussetzung für die Zwecke der Bestimmung des geeigneten Bezugsrahmens, die den drei Voraussetzungen in Randnr. 67 des vorgenannten Urteils vorgelagert sei und sich von diesen unterscheide.

70      Die vierte Voraussetzung bestehe darin, dass die fragliche Region im Hinblick auf das politische und wirtschaftliche Umfeld, in dem die in ihrem Hoheitsgebiet niedergelassenen Unternehmen tätig seien, über einen Grad an Autonomie verfüge, der dem Einfluss vergleichbar sei, den die Zentralregierung eines Mitgliedstaats ausübe, dessen Verfassung keine regionale Autonomie vorsehe. Die Logik hinter dieser Voraussetzung erfordere im Licht der Vorschriften, die der Vertrag zu staatlichen Beihilfen vorsehe, dass für die Feststellung, ob bestimmte Unternehmen begünstigt seien, die Situation dieser Unternehmen mit der Situation anderer Unternehmen, die im gleichen politischen und wirtschaftlichen Umfeld tätig seien, verglichen werden müsse.

71      Der Regierung von Gibraltar komme bei der Festlegung des politischen und wirtschaftlichen Umfelds, in dem die in Gibraltar niedergelassenen Unternehmen tätig seien, keine grundlegende Rolle zu, so dass das Hoheitsgebiet von Gibraltar kein geeigneter Bezugsrahmen sein könne. Soweit diese Vorbedingung nicht erfüllt sei, könne von der Berücksichtigung der drei Kriterien, die in Randnr. 67 des Urteils über die Steuerregelung der Azoren (oben in Randnr. 42 angeführt) aufgezählt seien, abgesehen werden.

72      Hilfsweise prüft die Kommission die vorgenannten drei Kriterien und macht geltend, dass Gibraltar zwei Kriterien nicht erfülle, nämlich das Kriterium der Möglichkeit für die Regierung des Vereinigten Königreichs, unmittelbar in den Bereich der steuerlichen Maßnahmen der Behörden Gibraltars einzugreifen, und das Kriterium des Vorliegens von Subventionen, die die finanziellen Auswirkungen der Steuerregelung in Gibraltar ausglichen. Daher sei das Hoheitsgebiet von Gibraltar kein geeigneter Bezugsrahmen.

73      Das Königreich Spanien macht geltend, dass seine Beteiligung als Streithelfer zur Unterstützung der Anträge der Kommission weder ausdrücklich noch implizit als Ausdruck seiner Unterstützung der Begründung der angefochtenen Entscheidung im Hinblick auf die regionale Selektivität ausgelegt werden dürfe. Der Fall Gibraltars müsse von den Fallkonstellationen unterschieden werden, die die Steuerregelung der autonomen Gebiete Baskenland und Navarro beträfen, da in diesen Gebieten ein harmonisierter Steuerrahmen bestehe.

74      Zugleich trägt das Königreich Spanien vor, dass ohne Einschränkung oder Koordinationsregelung für Gibraltar keine Steuerregelung gelten könne, die sich von der Steuerregelung des Vereinigten Königreichs völlig unterscheide, da dies impliziere, dass das Hoheitsgebiet von Gibraltar im Bereich staatlicher Beihilfen wie ein separater Mitgliedstaat behandelt werde, was einen wesentlichen Verstoß gegen den völkerrechtlichen Status des genannten Hoheitsgebiets darstelle.

75      In seiner schriftlichen Stellungnahme zu den Schlussfolgerungen, die aus dem Urteil über die Steuerregelung der Azoren (oben in Randnr. 42 angeführt) zu ziehen sind, macht das Königreich Spanien geltend, dass für die Prüfung, ob die unterhalb der staatlichen Ebene angesiedelte Einheit einen geeigneten Bezugsrahmen für die Beurteilung der steuerlichen Maßnahmen dieser Einheit darstellen könne, den drei Voraussetzungen, die der Gerichtshof bereits im vorgenannten Urteil aufgestellt habe, eine vierte Voraussetzung hinzuzufügen sei. Nach dieser vierten Voraussetzung sei die fragliche steuerliche Maßnahme nicht selektiv, wenn sie von mehreren Harmonisierungskriterien begleitet werde, die denjenigen entsprächen, denen die steuerlichen Maßnahmen des Mitgliedstaats, von dem die unterhalb der staatlichen Ebene angesiedelte Einheit abhänge, aufgrund des Gemeinschaftsrechts unterlägen, und die darauf gerichtet seien, den freien Personen-, Kapital-, Waren- und Dienstleistungsverkehr zu wahren und eine Verzerrung des Binnenmarkts zu verhindern.

B –  Würdigung durch das Gericht

76      Die gemeinschaftlichen Bestimmungen über die von den Mitgliedstaaten gewährten Beihilfen sind auf Gibraltar anwendbar (Urteil Government of Gibraltar/Kommission, oben in Randnr. 15 angeführt, Randnr. 12). Daher ist Art. 87 Abs. 1 EG Ausgangspunkt für die Überlegungen des Gerichts.

77      Art. 87 Abs. 1 EG verbietet staatliche Beihilfen zur „Begünstigung bestimmter Unternehmen oder Produktionszweige“, d. h. selektive Beihilfen (Urteil des Gerichtshofs vom 15. Dezember 2005, Italien/Kommission, C‑66/02, Slg. 2005, I‑10901, Randnr. 94).

78      Was die Beurteilung der Voraussetzung der Selektivität betrifft, muss nach ständiger Rechtsprechung gemäß Art. 87 Abs. 1 EG festgestellt werden, ob eine nationale Maßnahme im Rahmen einer bestimmten rechtlichen Regelung geeignet ist, „bestimmte Unternehmen oder Produktionszweige“ gegenüber anderen Unternehmen oder Produktionszweigen, die sich im Hinblick auf das mit der betreffenden Regelung verfolgte Ziel in einer vergleichbaren tatsächlichen und rechtlichen Situation befinden, zu begünstigen (Urteile des Gerichtshofs vom 8. November 2001, Adria-Wien Pipeline und Wietersdorfer & Peggauer Zementwerke, C‑143/99, Slg. 2001, I‑8365, Randnr. 41, vom 29. April 2004, GIL Insurance u. a., C‑308/01, Slg. 2004, I‑4777, Randnr. 68, und vom 3. März 2005, Heiser, C‑172/03, Slg. 2005, I‑1627, Randnr. 40).

79      Diese Prüfung ist auch dann zwingend, wenn es sich um eine Maßnahme handelt, die nicht vom nationalen Gesetzgeber, sondern von einer Behörde einer unterhalb der staatlichen Ebene angesiedelten Einheit erlassen wurde, denn bei einer Maßnahme, die von einer Gebietskörperschaft und nicht von der Zentralgewalt erlassen wurde, kann es sich um eine Beihilfe handeln, wenn die Tatbestandsmerkmale von Art. 87 Abs. 1 EG erfüllt sind (Urteil des Gerichtshofs vom 14. Oktober 1987, Deutschland/Kommission, 248/84, Slg. 1987, 4013, Randnr. 17).

80      Um beurteilen zu können, ob die fragliche Maßnahme selektiv ist, muss daher geprüft werden, ob die Maßnahme im Rahmen einer gegebenen rechtlichen Regelung bestimmte Unternehmen gegenüber anderen Unternehmen, die sich in einer vergleichbaren tatsächlichen und rechtlichen Situation befinden, begünstigt. Der Bestimmung des Bezugsrahmens kommt bei steuerlichen Maßnahmen eine besondere Bedeutung zu, da das Vorliegen einer Vergünstigung nur in Bezug auf eine sogenannte „normale“ Besteuerung festgestellt werden kann. Der normale Steuersatz ist der Satz, der in dem geografischen Gebiet gilt, das den Bezugsrahmen bildet (Urteil über die Steuerregelung der Azoren, oben in Randnr. 42 angeführt, Randnr. 56).

81      In der vorliegenden Rechtssache ist zu prüfen, ob das Hoheitsgebiet des Vereinigten Königreichs einen geeigneten Bezugsrahmen für die Beurteilung der regionalen Selektivität der Steuerreform darstellen kann. Wird diese Frage verneint, ist das Hoheitsgebiet von Gibraltar zwingend als geeigneter Bezugsrahmen für die Beurteilung der Steuerreform zugrunde zu legen und alle Schlussfolgerungen hinsichtlich der regionalen Selektivität der Reform wären hinfällig.

82      Insbesondere aus den Randnrn. 104 und 125 der angefochtenen Entscheidung geht hervor, dass die Kommission sich auf zwei Argumente stützte, als sie feststellte, dass das Hoheitsgebiet des Vereinigten Königreichs einen geeigneten Bezugsrahmen für die Beurteilung der regionalen Selektivität der Steuerreform darstelle: Erstens vertrat sie die Auffassung, dass aufgrund der allgemeinen Systematik des Vertrags und insbesondere der Bestimmungen zu staatlichen Beihilfen nur das Hoheitsgebiet des betreffenden Mitgliedstaats als Bezugsrahmen dienen könne und dass der Grad der Autonomie, der der unterhalb der staatlichen Ebene angesiedelten Einheit gegenüber der Zentralregierung zukomme, für die Feststellung des Bezugsrahmens nicht relevant sei; zweitens stützte sie ihre Feststellung auf die Rolle, die die Behörden des Vereinigten Königreichs einnähmen, wenn sie das politische und wirtschaftliche Umfeld festlegten, in dem die Unternehmen in Gibraltar tätig seien.

1.     Zur Relevanz des Grades der Autonomie der unterhalb der staatlichen Ebene angesiedelten Einheit gegenüber der Zentralregierung des betreffenden Mitgliedstaats für die Zwecke der Feststellung des geeigneten Bezugsrahmens

83      Was das erste Argument betrifft, mit dem die Kommission ihr Ergebnis begründet, das Hoheitsgebiet des Vereinigten Königreichs sei in der vorliegenden Rechtssache der geeignete Bezugsrahmen (siehe oben, Randnr. 82), ist festzustellen, dass, wie die Kommission in ihrer schriftlichen Stellungnahme zu den Schlussfolgerungen, die aus dem Urteil über die Steuerregelung der Azoren (oben in Randnr. 42 angeführt) zu ziehen sind, anerkannt hat, der Gerichtshof ihre Analyse in den Randnrn. 57 und 58 des genannten Urteils mit den folgenden Feststellungen zurückgewiesen hat:

„57      Der Bezugsrahmen muss … nicht zwangsläufig in den Grenzen des Staatsgebiets des betreffenden Mitgliedstaats festgelegt werden, so dass eine Maßnahme, die nur für einen Teil des Staatsgebiets eine Vergünstigung gewährt, nicht schon deshalb selektiv im Sinne von Artikel 87 Absatz 1 EG ist.

58      Es ist nicht auszuschließen, dass eine unterhalb der nationalstaatlichen Ebene angesiedelte Einrichtung aufgrund ihrer rechtlichen und tatsächlichen Stellung gegenüber der Zentralregierung eines Mitgliedstaats so autonom ist, dass sie – und nicht die Zentralregierung – durch die von ihr erlassenen Maßnahmen eine grundlegende Rolle bei der Festlegung des politischen und wirtschaftlichen Umfelds spielt, in dem die Unternehmen tätig sind. In einem solchen Fall bildet das Zuständigkeitsgebiet der unterhalb der nationalstaatlichen Ebene angesiedelten Einrichtung, die die Maßnahme erlassen hat, und nicht das gesamte Staatsgebiet den maßgebenden Kontext für die Prüfung der Frage, ob eine Maßnahme einer solchen Einrichtung bestimmte Unternehmen gegenüber anderen Unternehmen begünstigt, die sich im Hinblick auf das mit ihr oder der betreffenden rechtlichen Regelung verfolgte Ziel in einer vergleichbaren tatsächlichen und rechtlichen Situation befinden.“

84      Daher kann sich die Prüfung auf die Begründetheit des zweiten Arguments beschränken, das die Kommission für die Bestimmung des Vereinigten Königreichs als Bezugsrahmen anführt, d. h. die Rolle der Behörden des Vereinigten Königreichs bei der Festlegung des politischen und wirtschaftlichen Umfelds, in dem die Unternehmen in Gibraltar tätig sind (siehe oben, Randnr. 82).

2.     Zur Rolle des Vereinigten Königreichs bei der Festlegung des politischen und wirtschaftlichen Umfelds in Gibraltar als Kriterium zur Feststellung des Bezugsrahmens in der vorliegenden Rechtssache

a)     Urteil über die Steuerregelung der Azoren

85      In seinem Urteil über die Steuerregelung der Azoren (oben in Randnr. 42 angeführt, Randnr. 65) hat der Gerichtshof zur Situation, in der eine regionale oder lokale Körperschaft in Ausübung von Befugnissen, die gegenüber der Zentralgewalt ausreichend autonom sind, einen unter dem nationalen Satz liegenden Steuersatz festsetzt, der ausschließlich für die Unternehmen in ihrem Zuständigkeitsgebiet gilt, u. a. festgestellt:

„66      In der letztgenannten Situation könnte der maßgebende rechtliche Bezugsrahmen für die Beurteilung der Selektivität einer steuerlichen Maßnahme dann auf das betreffende geografische Gebiet beschränkt sein, wenn der unterhalb der nationalstaatlichen Ebene angesiedelten Einrichtung insbesondere aufgrund ihrer Stellung und ihrer Befugnisse eine grundlegende Rolle bei der Festlegung des politischen und wirtschaftlichen Umfelds zukommt, in dem die Unternehmen ihres Zuständigkeitsgebiets tätig sind.

67      Damit davon ausgegangen werden kann, dass eine unter solchen Umständen getroffene Entscheidung in Ausübung von ausreichend autonomen Befugnissen erlassen wurde, muss sie, wie der Generalanwalt in Nummer 54 seiner Schlussanträge hervorgehoben hat, von einer regionalen oder lokalen Körperschaft erlassen worden sein, der verfassungsrechtlich ein gegenüber der Zentralregierung eigener politischer und administrativer Status eingeräumt worden ist. Sodann muss sie getroffen worden sein, ohne dass die Zentralregierung die Möglichkeit hatte, ihren Inhalt unmittelbar zu beeinflussen. Schließlich dürfen die finanziellen Auswirkungen einer Senkung des nationalen Steuersatzes für die Unternehmen in der Region nicht durch Zuschüsse oder Subventionen aus den anderen Regionen oder von der Zentralregierung ausgeglichen werden.

68      Daher setzt eine politische und fiskalische Autonomie gegenüber der Zentralregierung, die in Bezug auf die Anwendung der Gemeinschaftsregeln über die staatlichen Beihilfen ausreichend ist, wie von der Regierung des Vereinigten Königreichs vorgetragen, voraus, dass die unterhalb der nationalstaatlichen Ebene angesiedelte Einrichtung nicht nur befugt ist, in ihrem Zuständigkeitsgebiet Steuersenkungen ohne jede Rücksichtnahme auf das Verhalten des Zentralstaats zu erlassen, sondern überdies die politischen und finanziellen Auswirkungen einer solchen Maßnahme trägt.“

86      In der vorliegenden Rechtssache ist zu prüfen, ob die Steuerreform die drei Voraussetzungen erfüllt, die in Randnr. 67 des Urteils über die Steuerregelung der Azoren (oben in Randnr. 42 angeführt) dargelegt sind. Somit ist zu untersuchen, ob erstens die Steuerreform von einer regionalen oder lokalen Körperschaft erlassen wurde, der verfassungsrechtlich ein gegenüber der Zentralregierung des Vereinigten Königreichs eigener politischer und administrativer Status eingeräumt wurde, ob zweitens die Steuerreform entwickelt wurde, ohne dass die Zentralregierung des Vereinigten Königreichs die Möglichkeit hatte, ihren Inhalt unmittelbar zu beeinflussen, und ob drittens die finanziellen Auswirkungen, die die Einführung der Steuerreform in Gibraltar hätte, nicht durch Zuschüsse oder Subventionen aus den anderen Regionen oder von der Zentralregierung des Vereinigten Königreichs ausgeglichen werden.

87      Dem Vorbringen der Kommission, wonach Randnr. 66 des Urteils über die Steuerregelung der Azoren (oben in Randnr. 42 angeführt) eine vierte Voraussetzung enthalte, die den drei Voraussetzungen in Randnr. 67 vorgelagert sei und sich von ihnen unterscheide, nämlich die Voraussetzung, dass die unterhalb der staatlichen Ebene angesiedelte Einheit eine grundlegende Rolle bei der Festlegung des politischen und wirtschaftlichen Umfelds, in dem die Unternehmen ihres Zuständigkeitsgebiets tätig seien, einnehme, kann nicht gefolgt werden. Dieses Vorbringen kann nämlich weder aus dem Urteil über die Steuerregelung der Azoren (oben in Randnr. 42 angeführt) noch aus den Schlussfolgerungen des Generalanwalts Geelhoed in dieser Rechtssache (Slg. 2005, I‑7119, Nrn. 54 und 55) abgeleitet werden.

88      Ebenso wenig kann dem Vorbringen des Königreichs Spanien gefolgt werden, wonach den drei Voraussetzungen, die der Gerichtshof im Urteil über die Steuerregelung der Azoren (oben in Randnr. 42 angeführt) aufgestellt habe, eine vierte Voraussetzung hinzuzufügen sei, der zufolge die streitige steuerliche Maßnahme von den Harmonisierungskriterien flankiert werden müsse, die das Gemeinschaftsrecht für die steuerlichen Maßnahmen des Mitgliedstaats, von dem die fragliche unterhalb der staatlichen Ebene angesiedelte Einheit abhänge, vorschreibe. Abgesehen von der ungenauen Identifizierung und inhaltlichen Definition der angeführten Harmonisierungskriterien findet dieses Vorbringen keinerlei Stütze im Urteil über die Steuerregelung der Azoren (oben in Randnr. 42 angeführt). Daher ist es ebenfalls zurückzuweisen.

b)     Zur Anwendung der ersten und der zweiten Voraussetzung des Urteils über die Steuerregelung der Azoren

89      Zur ersten Voraussetzung des Urteils über die Steuerregelung der Azoren (oben in Randnr. 42 angeführt) genügt die Feststellung, dass, wie die Parteien anerkennen, den zuständigen Behörden Gibraltars, die die Steuerreform entwickelten, verfassungsrechtlich ein gegenüber der Zentralregierung des Vereinigten Königreichs eigener politischer und administrativer Status eingeräumt wurde und daher die erste Voraussetzung erfüllt ist.

90      Hinsichtlich der zweiten Voraussetzung des Urteils über die Steuerregelung der Azoren genügt in der vorliegenden Rechtssache die Prüfung, ob die Steuerreform entwickelt wurde, ohne dass die Zentralregierung des Vereinigten Königreichs die Möglichkeit hatte, ihren Inhalt unmittelbar zu beeinflussen.

91      Die Kommission macht geltend, dass diese Voraussetzung in der vorliegenden Rechtssache nicht erfüllt sei, da das Vereinigte Königreich gemäß den Art. 33 und 34 der Verfassung von 1969 die Möglichkeit habe, durch den Gouverneur u. a. Bereiche, die einen Bezug zu der „finanziellen und wirtschaftlichen Stabilität“ hätten und zu denen das Steuerwesen zähle, unmittelbar zu beeinflussen.

92      Dem Vorbringen der Kläger, die dem Vereinigten Königreich für Gibraltar verbliebenen Gesetzgebungsbefugnisse seien im Steuerwesen niemals ausgeübt worden, hält die Kommission entgegen, dass die zweite Voraussetzung des Urteils über die Steuerregelung der Azoren (oben in Randnr. 42 angeführt) die Frage betreffe, ob die zentralen Behörden des Mitgliedstaats die Möglichkeit hätten, Einfluss zu nehmen, und nicht, ob dies in der Praxis tatsächlich der Fall sei.

93      Wie erstens aus den vorliegenden Akten und dem Urteil Government of Gibraltar/Kommission (oben in Randnr. 15 angeführt, Randnr. 53) hervorgeht, zählt die Unternehmensbesteuerung zur Kategorie der bestimmten inneren Angelegenheiten. Es wird nicht bestritten, dass die Befugnis zur Durchführung dieser Angelegenheiten dem Ministerrat von Gibraltar obliegt. Der Ministerrat ist befugt, die im Hoheitsgebiet von Gibraltar geltenden steuerlichen Maßnahmen auszuarbeiten und der Legislativgewalt von Gibraltar zur Verabschiedung vorzulegen.

94      Zweitens ist die Legislativgewalt von Gibraltar gemäß Art. 32 der Verfassung von 1969 mit bestimmten Einschränkungen befugt, Gesetze „für den Frieden, die öffentliche Ordnung und die ordnungsgemäße Verwaltung von Gibraltar“ zu erlassen. Es wird nicht bestritten, dass diese Befugnis den Erlass steuerlicher Maßnahmen umfasst. Gemäß Art. 33 Abs. 1 der Verfassung von 1969 wird die Legislativgewalt grundsätzlich mittels Abstimmung über Gesetzentwürfe durch das House of Assembly mit Zustimmung der Königin oder des Gouverneurs im Namen der Königin ausgeübt. Es wird nicht bestritten, dass die Mitglieder des House of Assembly von der Bevölkerung Gibraltars demokratisch gewählt werden und ausschließlich die Bevölkerung Gibraltars vertreten. Gemäß Art. 33 Abs. 2 der Verfassung von 1969 ist der Gouverneur außerdem berechtigt, einem Gesetzentwurf seine Zustimmung zu verweigern oder die Genehmigung bestimmter Gesetzentwürfe in das Ermessen der Königin zu stellen. Darüber hinaus ist der Gouverneur gemäß Art. 34 Abs. 2 der Verfassung von 1969 in Bereichen, die zu den bestimmten inneren Angelegenheiten zählen, und im Interesse der Aufrechterhaltung der finanziellen und wirtschaftlichen Stabilität Gibraltars berechtigt, unter bestimmten Voraussetzungen dem House of Assembly Gesetzentwürfe vorzulegen und diese Gesetzentwürfe unter bestimmten Voraussetzungen durch Erteilen seiner Zustimmung zu erlassen.

95      Drittens geht aus den Akten hervor, dass dem Vereinigten Königreich zwar als letztes Mittel die Befugnis zur Gesetzgebung in Gibraltar verbleibt, dass von dieser Befugnis jedoch nur ausnahmsweise und im steuerrechtlichen Bereich niemals Gebrauch gemacht worden ist. Die steuerrechtlichen Vorschriften des Vereinigten Königreichs gelten nicht in Gibraltar und wurden dort zu keinem Zeitpunkt angewandt.

96      Schließlich bestreitet die Kommission nicht, dass die Steuerreform Gibraltars von den Behörden Gibraltars entwickelt wurde, ohne dass die Behörden des Vereinigten Königreichs Einfluss genommen hätten.

97      Aus den Befugnissen, die dem Gouverneur durch die Art. 33 und 34 der Verfassung von 1969 übertragen werden und die im Steuerwesen nie ausgeübt wurden, geht nicht hervor, dass die „Zentralregierung“ des Vereinigten Königreichs die Möglichkeit hat, den Inhalt der Steuerreform im Sinne des Urteils über die Steuerregelung der Azoren (oben in Randnr. 42 angeführt) „unmittelbar“ zu beeinflussen. Auch wenn der Gouverneur von Gibraltar von der Königin ? in ihrer Eigenschaft als Königin von Gibraltar ? ernannt wird und er sie in Gibraltar vertritt (Art. 18 der Verfassung von 1969), geht aus den Akten nicht hervor, dass er der Zentralregierung des Vereinigten Königreichs gleichgestellt werden kann und dass seine Befugnis, das Gesetzgebungsverfahren von Gibraltar zu beeinflussen, als „unmittelbarer Einfluss“ der „Zentralregierung“ des Vereinigten Königreichs im Sinne von Randnr. 67 des Urteils über die Steuerregelung der Azoren (oben in Randnr. 42 angeführt) angesehen werden kann.

98      Im Übrigen sind die Gesetzgebungsbefugnisse, die dem Vereinigten Königreich für Gibraltar verbleiben, und die verschiedenen Befugnisse zur Teilnahme am Gesetzgebungsverfahren, die dem Gouverneur nach der Verfassung von 1969 zustehen, im Licht des Status von Gibraltar als Kolonie oder „Hoheitsgebiet ohne Selbstregierung“ gemäß Kapitel XI Art. 73 der Charta der Vereinten Nationen, für dessen Außenbeziehungen das Vereinigte Königreich als „Verwaltungsmacht“ im Sinne dieser Bestimmung zuständig ist, auszulegen. Die Verpflichtungen des Vereinigten Königreichs als Verwaltungsmacht im Hinblick auf Gibraltar sind in Art. 73 aufgeführt. Dieser bestimmt, soweit erheblich:

„Mitglieder der Vereinten Nationen, welche die Verantwortung für die Verwaltung von Hoheitsgebieten haben oder übernehmen, deren Völker noch nicht die volle Selbstregierung erreicht haben, bekennen sich zu dem Grundsatz, dass die Interessen der Einwohner dieser Hoheitsgebiete Vorrang haben; sie übernehmen als heiligen Auftrag die Verpflichtung, im Rahmen des durch diese Charta errichteten Systems des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit das Wohl dieser Einwohner aufs Äußerste zu fördern; zu diesem Zweck verpflichten sie sich,

a)      den politischen, wirtschaftlichen, sozialen und erzieherischen Fortschritt, die gerechte Behandlung und den Schutz dieser Völker gegen Missbräuche unter gebührender Achtung vor ihrer Kultur zu gewährleisten;

b)      die Selbstregierung zu entwickeln, die politischen Bestrebungen dieser Völker gebührend zu berücksichtigen und sie bei der fortschreitenden Entwicklung ihrer freien politischen Einrichtungen zu unterstützen, und zwar je nach den besonderen Verhältnissen jedes Hoheitsgebiets, seiner Bevölkerung und deren jeweiliger Entwicklungsstufe;

…“

99      Im Licht der vorstehenden Erwägungen sind die Gesetzgebungsbefugnisse, die dem Vereinigten Königreich für Gibraltar verbleiben, und die verschiedenen Befugnisse des Gouverneurs zur Teilnahme am Gesetzgebungsverfahren als Mittel auszulegen, die es dem Vereinigten Königreich ermöglichen, seine Verantwortung gegenüber der Bevölkerung von Gibraltar wahrzunehmen und seinen völkerrechtlichen Verpflichtungen nachzukommen, und nicht als Möglichkeit, den Inhalt einer steuerlichen Maßnahme der Behörden Gibraltars unmittelbar zu beeinflussen. Dies gilt umso mehr, als im Steuerwesen nie von den verbliebenen Gesetzgebungsbefugnissen Gebrauch gemacht worden ist.

100    Daher ist die zweite Voraussetzung des Urteils über die Steuerregelung der Azoren (oben in Randnr. 42 angeführt) in der vorliegenden Rechtssache erfüllt.

c)     Zur Anwendung der dritten Voraussetzung des Urteils über die Steuerregelung der Azoren

101    Was die dritte Voraussetzung des Urteils über die Steuerregelung der Azoren (oben in Randnr. 42 angeführt) betrifft, ist in der vorliegenden Rechtssache zu prüfen, ob die etwaigen finanziellen Auswirkungen, die die Einführung der Steuerreform in Gibraltar hätte, nicht durch Zuschüsse oder Subventionen aus den anderen Regionen oder von der Zentralregierung des Vereinigten Königreichs ausgeglichen werden.

102    Nach Auffassung der Kommission impliziert diese Voraussetzung, dass der unterhalb der staatlichen Ebene angesiedelten Einheit noch nicht einmal potenziell Beihilfen zur Verfügung ständen, die die Folgen der steuerrechtlichen Entscheidungen dieser Einheit ausgleichen könnten. Folglich sei es nach dieser Voraussetzung nicht erforderlich, dass zwischen einer regionalen Steuersenkungsmaßnahme und einer Subvention der Zentralregierung oder einer anderen Region ein Zusammenhang bestehe. Eine gegenteilige Auslegung sei nicht mit der geltend gemachten vierten Voraussetzung vereinbar, der zufolge die unterhalb der staatlichen Ebene angesiedelte Einheit eine grundlegende Rolle bei der Festlegung des politischen und wirtschaftlichen Umfelds, in dem die Unternehmen ihres Zuständigkeitsgebiets tätig seien, einnehmen müsse. Denn um beurteilen zu können, ob diese Voraussetzung erfüllt sei, seien alle Finanzierungsquellen der Zentralregierung zu berücksichtigen, da Geld fungibel sei und eine Zahlung, die Gibraltar die Einsparung einer öffentlichen Ausgabe ermögliche, dazu führe, dass Gibraltar anderen Projekten mehr Geld zuweisen oder die Steuern senken könne. Im Licht dieser Auslegung vertritt die Kommission die Auffassung, dass die dritte Voraussetzung aufgrund der geltend gemachten finanziellen Beihilfen, die das Vereinigte Königreich an Gibraltar gezahlt habe, in der vorliegenden Rechtssache nicht erfüllt sei.

103    In diesem Zusammenhang beruft sich die Kommission u. a. darauf, dass das Vereinigte Königreich Gibraltars Sozialversicherung finanziert habe, damit Gibraltar spanischen Staatsangehörigen, die derzeit in Spanien lebten und in Gibraltar gearbeitet hätten, bevor die spanischen Behörden 1969 die Grenze zwischen Spanien und Gibraltar geschlossen hätten, ihre Renten auszahlen könne. Außerdem beruft sich die Kommission auf die Entwicklungszuschüsse, die Gibraltar vom Vereinigten Königreich seit dessen Beitritt zur Gemeinschaft mehrfach erhalten habe, die Finanzierung eines Systems zur Risikokapitalbereitstellung für im Vereinigten Königreich und Gibraltar niedergelassene kleine und mittlere Unternehmen (KMU) durch das Vereinigte Königreich und die Subvention des Betriebs des Flughafens von Gibraltar durch das Verteidigungsministerium des Vereinigten Königreichs.

104    Diesem Vorbringen kann nicht gefolgt werden.

105    Es ist zunächst in Erinnerung zu rufen, dass das Vorbringen, Randnr. 66 des Urteils über die Steuerregelung der Azoren (oben in Randnr. 42 angeführt) enthalte eine vierte Voraussetzung, unzutreffend ist (siehe oben, Randnr. 87). Daher kann die Kommission ihr Vorbringen nicht auf dieses Argument stützen.

106    Sodann impliziert die Verwendung des Verbs „ausgleichen“ durch den Gerichtshof in Randnr. 67 des Urteils über die Steuerregelung der Azoren (oben in Randnr. 42 angeführt), dass zwischen der streitigen steuerlichen Maßnahme der unterhalb der staatlichen Ebene angesiedelten Einheit und den Finanzhilfen anderer Regionen oder der Zentralregierung des betroffenen Mitgliedstaats ein kausaler Zusammenhang bestehen muss. Die von der Kommission vorgeschlagene Auslegung würde dazu führen, dass die dritte Voraussetzung des Urteils über die Steuerregelung der Azoren (oben in Randnr. 42 angeführt) ins Leere liefe, da es kaum vorstellbar ist, dass eine unterhalb der staatlichen Ebene angesiedelte Einheit überhaupt keine ? wie auch immer geartete ? finanzielle Unterstützung der Zentralregierung erhält.

107    Die von der Kommission geltend gemachten Finanzhilfen, die Gibraltar vom Vereinigten Königreich erhielt, erfolgten jedoch unter besonderen Umständen und stehen in keinem kausalen Zusammenhang mit der Steuerreform.

108    Wie nämlich erstens aus den Akten hervorgeht, betrifft die seit 1985 erfolgende Finanzierung der Sozialversicherung Gibraltars durch das Vereinigte Königreich die Zahlung der Rente spanischer Staatsangehöriger, die in Gibraltar gearbeitet hatten, bevor die spanischen Behörden von 1969 bis 1985 die Grenze zwischen Spanien und Gibraltar schlossen.

109    Wie zweitens aus dem Dokument hervorgeht, auf das die Kommission ihr Vorbringen stützt, betrafen die Entwicklungszuschüsse, die Gibraltar vom Vereinigten Königreich erhielt, den Zeitraum von 1978 bis 1986 und richteten sich auf Projekte zur Entwicklung der Infrastruktur Gibraltars, Bildungs- und Wohnungsbauprojekte.

110    Wie drittens aus der Entscheidung der Kommission vom 4. Februar 2003 über Risikokapital‑ und Darlehensfonds für KMU (Beihilfe N 620/2002, ABl. C 110, S. 14) hervorgeht, begünstigt die Finanzierung eines Systems zur Risikokapitalbereitstellung für im Vereinigten Königreich und Gibraltar niedergelassene KMU durch das Vereinigte Königreich, die das Vereinigte Königreich am 11. September 2002 anmeldete, die vorgenannten KMU und die betroffenen Investoren.

111    Was schließlich die Subvention des Betriebs des Flughafens von Gibraltar betrifft, haben die Kläger in der mündlichen Verhandlung vorgetragen, ohne dass dies von der Kommission bestritten wurde, dass der Flughafen im Zweiten Weltkrieg von der Armee des Vereinigten Königreichs gebaut worden sei und es sich noch immer um einen Militärflughafen des Vereinigten Königreichs handle, der auch zivilen Nutzern zur Verfügung stehe.

112    Da die Kommission den Beweis des Gegenteils nicht erbracht hat, ist angesichts der vorstehenden Erwägungen festzustellen, dass keine der vorgenannten Finanzierungen die etwaigen finanziellen Auswirkungen der Steuerreform für Gibraltar im Sinne der dritten Voraussetzung des Urteils über die Steuerregelung der Azoren (oben in Randnr. 42 angeführt) ausgleichen kann.

113    Da folglich kein Argument vorgebracht worden ist, das das Vorbringen der Kläger entkräften könnte, dem zufolge Gibraltar keine finanzielle Unterstützung des Vereinigten Königreichs erhalte, die die finanziellen Auswirkungen der Steuerreform ausgleiche, ist die dritte Voraussetzung des Urteils über die Steuerregelung der Azoren (oben in Randnr. 42 angeführt) in der vorliegenden Rechtssache erfüllt.

114    Da die drei Voraussetzungen des Urteils über die Steuerregelung der Azoren (oben in Randnr. 42 angeführt) erfüllt sind, kann nicht davon ausgegangen werden, dass das Hoheitsgebiet des Vereinigten Königreichs aufgrund seiner Rolle bei der Festlegung des politischen und wirtschaftlichen Umfelds, in dem die Unternehmen in Gibraltar tätig sind, den geeigneten Bezugsrahmen für die vorliegende Rechtssache darstellt. Folglich ist auch das zweite Argument für das Vorbringen der Kommission, der Bezugsrahmen sei das Hoheitsgebiet des Vereinigten Königreichs (siehe oben, Randnr. 84), nicht begründet.

115    Unter diesen Umständen entspricht der Bezugsrahmen ausschließlich den geografischen Grenzen des Hoheitsgebiets von Gibraltar, ohne dass das Vorbringen der Kläger zur Frage der Zugehörigkeit Gibraltars zum Vereinigten Königreich und zum Fehlen eines gemeinsamen Steuersystems zwischen Gibraltar und dem Vereinigten Königreich zu prüfen ist. Dieser Bezugsrahmen impliziert, dass das Vorliegen einer selektiven Begünstigung von Unternehmen mit Sitz in Gibraltar nicht dadurch nachgewiesen werden kann, dass die Steuerregelung, die für diese Unternehmen gilt, mit der Steuerregelung für Unternehmen mit Sitz im Vereinigten Königreich verglichen wird.

116    Aus allen diesen Erwägungen folgt, dass die Kommission in der angefochtenen Entscheidung bei ihrer Feststellung zur regionalen Selektivität der Steuerreform einen Rechts- und Beurteilungsfehler begangen hat.

117    Daher greift der erste Klagegrund durch.

II –  Zum zweiten Klagegrund: Rechts- und Beurteilungsfehler bei der Anwendung des Kriteriums der materiellen Selektivität

A –  Vorbringen der Parteien

118    Die Kläger beanstanden die Rechtswidrigkeit der in der angefochtenen Entscheidung getroffenen Feststellungen der Kommission zur materiellen Selektivität von drei Bestandteilen der Steuerreform, nämlich erstens der Voraussetzung der Gewinnerzielung als Grundlage für Lohnsummensteuer und BPOT (Randnrn. 128 bis 133 der angefochtenen Entscheidung), zweitens der für Lohnsummensteuer und BPOT geltenden Obergrenze von 15 % des Gewinns (Randnrn. 134 bis 141 der angefochtenen Entscheidung) und drittens des Wesens von Lohnsummensteuer und BPOT (Randnrn. 142 bis 144 und 150 der angefochtenen Entscheidung).

119    Die Regierung von Gibraltar macht geltend, die drei streitigen Bestandteile seien in Gibraltar allgemein anwendbar und begünstigten weder bestimmte Unternehmen noch die Herstellung bestimmter Waren. Die Reform sei eine eigenständige Steuerregelung, die sich auf Erwägungen zur Beschäftigung und Bodennutzung stütze, und es handle sich nicht um eine Ausnahmeregelung zu einem gewinnbasierten Steuersystem. Die Kommission habe keinen Bezugspunkt identifiziert, dem gegenüber die Reform einen selektiven Vorteil darstelle. Sie habe die beiden Bestandteile der Reform, nämlich Lohnsummensteuer und BPOT zum einen und die Obergrenze von 15 % zum anderen, vermischt und falsch dargestellt, als sie den einen Bestandteil als allgemeine Vorschrift und den anderen als Ausnahme oder Umkehrung dieser allgemeinen Vorschrift behandelt habe, anstatt beiden Bestandteilen die gleiche Bedeutung für die Funktionsweise des von Gibraltar geplanten Steuermechanismus einzuräumen. Ebenso macht das Vereinigte Königreich geltend, nach dem Steuersystem, das durch die Reform eingeführt werde, werde die Besteuerung durch die gewinnbringende Beschäftigung eines Mitarbeiters oder die gewinnbringende Nutzung einer Immobilie ausgelöst.

120    Die Kläger sind der Auffassung, die Voraussetzung der Gewinnerzielung als Grundlage für Lohnsummensteuer und BPOT sei nicht materiell selektiv, da Unternehmen, die keinen Gewinn erzielten, von den normalerweise geltenden Steuern nicht befreit seien. Die Voraussetzung der Gewinnerzielung sei keine Befreiung oder Ausnahme von einem allgemeinen Besteuerungssystem und könne daher nicht als selektiv angesehen werden.

121    Die Kläger werfen der Kommission außerdem vor, sie habe es unterlassen, die Begünstigten der fraglichen steuerlichen Maßnahme gemäß den Anforderungen von Art. 87 Abs. 1 EG zu bestimmen. In der vorliegenden Rechtssache könnten die Unternehmen, die durch die Voraussetzung der Gewinnerzielung begünstigt seien, d. h. die Unternehmen, die in einem bestimmten Jahr keine Gewinne erzielten, nur im Hinblick auf die Umstände, denen sie vorübergehend ausgesetzt seien, oder im Hinblick auf ihre tatsächlichen Ergebnisse bestimmt werden, so dass eine variable Gruppe von Unternehmen entstünde, die sich von Jahr zu Jahr erheblich verändern könne. Damit eine Maßnahme in den Anwendungsbereich von Art. 87 Abs. 1 EG fallen könne, sei es nach der Rechtsprechung jedoch erforderlich, dass eine hinreichend bestimmbare und vorhersehbare Gruppe von Unternehmen von einer allgemeinen Besteuerungsmaßnahme, z. B. der Voraussetzung der Gewinnerzielung, begünstigt werde.

122    Hilfsweise machen die Kläger geltend, dass die Voraussetzung der Gewinnerzielung durch das Wesen und die Systematik der Steuerreform gerechtfertigt sei und daher nicht als staatliche Beihilfe eingestuft werden könne. Insbesondere basiere die Steuerreform auf dem Grundsatz, dass das Einkommen und nicht das Gesellschaftskapital zu besteuern sei. Würden Unternehmen besteuert, die keinen Gewinn erzielten, so führte dies zu einer Besteuerung ihres Gesellschaftskapitals, was dem Grundprinzip der Steuerreform widerspräche.

123    Die Obergrenze von 15 % des Gewinns, die auf die Lohnsummensteuer und die BPOT angewandt werde, sei nicht selektiv, da sie weder bestimmte Kategorien von Unternehmen noch die Herstellung bestimmter Kategorien von Waren begünstige. Die Obergrenze gelte allgemein für alle Unternehmen von Gibraltar. Es könne auch nicht im Voraus festgestellt werden, ob bestimmte ? und wenn ja, welche ? Unternehmen durch diese Obergrenze begünstigt seien. Ebenso wie die Beschäftigung von Arbeitnehmern und die Nutzung von Gewerberäumen sei die Obergrenze Teil der allgemeinen Besteuerungsregelung und bilde keine Ausnahme von dieser Regelung.

124    Hilfsweise tragen die Kläger vor, dass die Obergrenze von 15 % des Gewinns durch das Wesen und die Systematik der Regelung gerechtfertigt sei. Bei der Obergrenze handle es sich nämlich um einen Degressionsfaktor des durch die Steuerreform eingeführten Systems, und die Kommission dürfe die Steuerbefreiung, die sich auf den Steuerbetrag oberhalb dieser Grenze richte, nicht als staatliche Beihilfe einstufen. Die Regierung von Gibraltar rechtfertigt die Einführung der Obergrenze auch mit dem Vorbringen, dass eine überhöhte Besteuerung von Unternehmen verhindert werden müsse, da dies zu Entlassungen und Instabilität während der zyklisch auftretenden Marktschwankungen oder Markteinbrüchen führen könne.

125    Was schließlich die Lohnsummensteuer und die BPOT betrifft, machen die Kläger geltend, dass sich die Kommission mit ihrer Kritik der von der Regierung Gibraltars festgelegten Besteuerungsgrundlagen, d. h. Arbeitskräfte und Bodennutzung, in Wirklichkeit gegen das Wesen der von der Regierung Gibraltars entwickelten allgemeinen Steuerregelung richte und somit die Hoheitsrechte der Mitgliedstaaten in Bezug auf die Entwicklung der für sie geeigneten Steuerpolitik beschneide. Der Umstand, dass Unternehmen, die in Gibraltar keine Arbeitnehmer beschäftigten und dort nicht über Gewerberäume verfügten, nicht steuerpflichtig seien, stelle keine Ausnahme von einer „normalen“ Steuer dar, sondern ergebe sich ganz einfach aus dem Wesen der allgemeinen Steuerregelung Gibraltars.

126    Aus der angefochtenen Entscheidung gehe hervor, dass nach Ansicht der Kommission nur ein System, das auf der Besteuerung des Unternehmensgewinns basiere, wirksam als allgemeine Methode zur Unternehmensbesteuerung angesehen werden könne. Anscheinend wolle die Kommission eine „normale“ Steuerregelung vom Standpunkt der Gemeinschaft, d. h. eine Regelung auf der Grundlage der Gewinnbesteuerung, bestimmen und daraus folgern, dass jede Abweichung von dieser Regelung als staatliche Beihilfe angesehen werden könne. Die Kläger sind der Ansicht, dieser Ansatz der Kommission habe zur Folge, dass die steuerlichen Befugnisse der Mitgliedstaaten illusorisch würden, und machen geltend, dass die Auffassung der Kommission rechtsfehlerhaft und nicht ausreichend begründet sei.

127    Hilfsweise tragen die Kläger vor, dass die Berücksichtigung der Arbeitskräfte und der Nutzung von Gewerberäumen als Besteuerungsgrundlagen durch das Wesen und die Systematik der von der Regierung Gibraltars geplanten Steuerregelung gerechtfertigt sei. Hierzu macht das Vereinigte Königreich geltend, dass Gibraltar eine einfache Steuer einführen müsse, die von einer Steuerverwaltung mit dünner Personaldecke leicht einzutreiben sei, und die Regierung von Gibraltar hebt die besonderen Merkmale der Wirtschaft Gibraltars hervor, nämlich beschränkte personelle Ressourcen, erhebliche Abhängigkeit von den täglich aus Spanien einreisenden Arbeitnehmern und ein räumlich eng begrenztes Hoheitsgebiet.

128    Die Kommission macht vorab geltend, dass die potenziell breite Anwendung des Kriteriums der materiellen Selektivität, wie es in der angefochtenen Entscheidung dargelegt sei, im Licht der Rechtsprechung gerechtfertigt sei, der zufolge Maßnahmen, die anscheinend allen Wirtschaftsteilnehmern eines bestimmten Gebiets offenständen, dennoch einen selektiven Charakter hätten, wenn sie faktisch bestimmte Wirtschaftsteilnehmer oder eine bestimmte Kategorie dieser Wirtschaftsteilnehmer begünstigten. Angesichts der Rechtsprechung widerspricht die Kommission dem Vorbringen, es müsse genau und vorhersehbar festzustellen sein, wer von der Steuerreform begünstigt werde.

129    Was den selektiven Charakter der Voraussetzung der Gewinnerzielung und der Obergrenze von 15 % des Gewinns betrifft, widerspricht die Kommission dem Vorbringen der Kläger, sie habe dem einen Bestandteil der Steuerreform eine höhere Bedeutung beigemessen als dem anderen. Vielmehr handle es sich bei der Reform um ein hybrides System, da der Gewinn eines Unternehmens als wesentlicher Faktor bei der Anwendung der als Lohnsummensteuer und BPOT in Erscheinung tretenden Steuer einbezogen werde.

130    Die Kommission macht geltend, jeder der Faktoren dieses Systems bewirke bei bestimmten Unternehmen eine Befreiung von der Steuer, die normalerweise aufgrund des jeweils anderen Faktors entstünde. Im Einzelnen könne ein äußerst profitables Unternehmen, wenn es die Form einer derzeit als „freigestelltes Unternehmen“ bezeichneten Gesellschaft wähle und folglich keine Gewerberäume oder Arbeitnehmer benötige, faktisch einer Besteuerung entgehen. Umgekehrt könne ein Unternehmen Arbeitnehmer beschäftigen und Gewerberäume nutzen und aufgrund der Steuerreform ebenfalls von der Steuer befreit sein, sofern es keinen Gewinn erziele.

131    Da die Steuerreform Hybridcharakter habe, seien Wesen und Systematik der Reform nicht auszumachen. Wenn in Gibraltar ein Mangel an Arbeitskräften und Grundstücken als Produktionsfaktoren herrsche, wie dies von den Klägern vorgetragen werde, folge daraus, dass diese beschränkten Ressourcen ohne Freistellung und Obergrenzen zu besteuern seien, damit eine möglichst wirksame Ressourcennutzung gewährleistet werden könne. Wende man diese Logik auf die Steuerreform an, seien die Voraussetzung der Gewinnerzielung als Grundlage für jegliche Besteuerung und die Voraussetzung der Obergrenze von 15 % des Gewinns nicht nachvollziehbar, so dass der selektive Charakter dieser beiden Bestandteile der Steuerreform nicht durch Wesen und Systematik der Reform gerechtfertigt werden könne.

132    Die Kommission ist außerdem der Auffassung, dass die Obergrenze von 15 % des Gewinns nicht mit dem Argument gerechtfertigt werden könne, es handle sich um eine technische Anpassung, die den degressiven Charakter von Lohnsummensteuer und BPOT gewährleisten solle.

133    Im Übrigen widerspricht die Kommission sowohl dem Vorbringen, es sei notwendig, den Gewinn und nicht das Kapital der Unternehmen zu besteuern, als auch dem Argument, die Höhe der Besteuerung dürfe die Zahlungsbereitschaft des Steuerpflichtigen nicht überschreiten.

134    Zum ersten Argument trägt die Kommission vor, sie könne nicht nachvollziehen, aus welchem Grund die Regierung von Gibraltar sich für Lohnsummensteuer und BPOT und eine Obergrenze von 15 % des Gewinns entschieden habe. Der Anwendungsbereich dieser Steuern sei naturgemäß beschränkt, und die Obergrenze von 15 % sei eine weitere Beschränkung der Beträge, die mit diesen Steuern von Unternehmen in Gibraltar erhoben werden könnten.

135    Zum zweiten Argument macht die Kommission geltend, die Begrenzung der Steuererhebung, die sich daraus ergebe, dass die Steuerzahler nur begrenzt bereit seien, Steuern zu zahlen, werde durch die Anpassung der Höhe der Besteuerung ausgeglichen. Wenn davon ausgegangen werde, dass ein Jahresbetrag von 3 000 GBP pro Arbeitnehmer für die Besteuerung der Mangelressource Arbeitskraft der Höhe nach für angemessen angesehen werde, fehle in der Anmeldung der Steuerreform die Erläuterung, aus welchem Grund ein Arbeitgeber, der Arbeitskräfte ineffizient einsetze, begünstigt werden solle, indem er im Ergebnis von der Lohnsummensteuer befreit werde und stattdessen eine Steuer in Höhe von 15 % des Gewinns entrichte.

136    Zum selektiven Charakter des Wesens der Lohnsummensteuer und der BPOT macht die Kommission geltend, das Vorbringen, sie kritisiere das Wesen der von der Regierung Gibraltars geplanten Steuerregelung, werfe die für die vorliegende Rechtssache grundlegende Frage auf, ob es sich bei der Steuerreform tatsächlich um eine allgemeine Steuerregelung handle. Der angefochtenen Entscheidung zufolge sei die Steuerreform ihrem Wesen nach materiell selektiv, da sie in einem Wirtschaftssystem wie demjenigen Gibraltars, das einen bedeutenden Offshore-Sektor aufweise, der aus Unternehmen bestehe, die weder über Arbeitnehmer noch über Gewerberäume verfügten, die Lohnsummensteuer und die BPOT als Grundlage für die Besteuerung von Unternehmen verwende.

137    Es sei nicht zutreffend, dass diese Unternehmen nur aufgrund vorübergehender Umstände oder der Unwägbarkeiten der Konjunkturzyklen bestimmbar seien. Zwar werde der Status des freigestellten Unternehmens im Rahmen der Steuerreform abgeschafft, doch weise die Reform die gleichen Merkmale auf, die derzeit die Gründung eines freigestellten Unternehmens vorteilhaft erscheinen ließen. Unternehmen, die ihrem Wesen nach ohne physische Präsenz und ohne Arbeitskräfte betrieben würden, befänden sich keineswegs in einer vorübergehenden Situation.

138    Außerdem stünden die Vorteile der Regelung tatsächlich nicht allen Unternehmen in gleicher Weise offen, und die Begründung, die sich auf das Wesen und die Systematik der Regelung stütze, sei nicht stichhaltig. Die vorgetragene Begründung habe in der angefochtenen Entscheidung nicht geprüft werden können, denn da die Steuerreform ein hybrides System darstelle, könne eine allgemeine Regelung nicht ausgemacht werden, wie bereits in der angefochtenen Entscheidung festgestellt worden sei. Da die Reform für unterschiedliche Arten von Unternehmen unterschiedliche Steuersätze festlege, könne sie nicht mit ihrem Wesen und ihrer Systematik begründet werden. Die Kommission wendet sich auch gegen die übrigen Argumente, die die Kläger zur Stützung der Begründung vorgetragen haben, und macht geltend, das Wesen und die Systematik der Steuerreform könnten in keiner Weise rechtfertigen, dass einer derart hohen Zahl von Unternehmen mit Sitz in Gibraltar eine selektive Steuerbefreiung zugutekomme.

139    Das Königreich Spanien ist wie die Kommission der Auffassung, dass die von Gibraltar geplante Reform materiell selektiv sei. Hierzu trägt das Königreich Spanien im Wesentlichen vor, es sei selektiv, dass die verschiedenen Merkmale der Steuerreform nicht in gleicher Weise für alle Wirtschaftssektoren gälten, da dies dazu führe, dass bestimmte, im Voraus identifizierbare Sektoren niedriger besteuert würden als andere.

140    Die Voraussetzung der Gewinnerzielung sei dem Wesen der Lohnsummensteuer und der BPOT fremd, und folglich sei diese Voraussetzung darauf gerichtet, ein materiell selektives Element in das geplante Steuersystem Gibraltars einzuführen. Der Rechtfertigung des für selektiv gehaltenen Charakters der Steuerreform mit dem Wesen und der Systematik der Regelung werde ebenfalls widersprochen.

B –  Würdigung durch das Gericht

141    Was die Voraussetzung des selektiven Charakters einer mit einer steuerlichen Maßnahme verbundenen Begünstigung betrifft, ist daran zu erinnern, dass gemäß Art. 87 Abs. 1 EG zu prüfen ist, ob eine nationale Maßnahme im Rahmen einer bestimmten rechtlichen Regelung geeignet ist, „bestimmte Unternehmen oder Produktionszweige“ gegenüber anderen Unternehmen oder Produktionszweigen, die sich im Hinblick auf das mit der betreffenden Regelung verfolgte Ziel in einer vergleichbaren tatsächlichen und rechtlichen Situation befinden, zu begünstigen (vgl. die oben in Randnr. 78 angeführte Rechtsprechung).

142    Die Beurteilung der Kommission wird dabei grundsätzlich einer umfassenden gerichtlichen Kontrolle unterzogen, da der Begriff der Beihilfe, der im Vertrag definiert ist und die Voraussetzung der Selektivität als wesentlichen Bestandteil beinhaltet, als Rechtsbegriff anhand objektiver Kriterien auszulegen ist (vgl. in diesem Sinne Urteil des Gerichtshofs vom 16. Mai 2000, Frankreich/Ladbroke Racing und Kommission, C‑83/98 P, Slg. 2000, I‑3271, Randnr. 25, Urteile des Gerichts vom 12. Dezember 2000, Alitalia/Kommission, T‑296/97, Slg. 2000, II‑3871, Randnr. 95, und vom 17. Oktober 2002, Linde/Kommission, T‑98/00, Slg. 2002, II‑3961, Randnr. 40).

143    Wie die Kommission jedoch selbst in Punkt 16 der Mitteilung über staatliche Beihilfen im Bereich der direkten Unternehmensbesteuerung feststellte, setzt die Beurteilung, dass eine steuerliche Maßnahme selektiv ist, zunächst zwingend voraus, dass eine allgemeine oder „normale“ Regelung des Steuersystems, das in dem geografischen Gebiet des maßgeblichen Bezugsrahmens gilt, im Vorfeld festgestellt und geprüft wird. Anschließend muss die Kommission im Hinblick auf diese allgemeine oder „normale“ Steuerregelung den etwaigen selektiven Charakter der Begünstigung, die mit der fraglichen steuerlichen Maßnahme verbunden ist, beurteilen und belegen, indem sie nachweist, dass die Maßnahme eine Ausnahme von der allgemeinen Regelung bildet, da sie zwischen Wirtschaftsteilnehmern unterscheidet, die sich im Hinblick auf das mit der Steuerregelung des betreffenden Mitgliedstaats verfolgte Ziel in einer vergleichbaren tatsächlichen und rechtlichen Situation befinden (vgl. in diesem Sinne Urteile des Gerichtshofs Italien/Kommission, oben in Randnr. 77 angeführt, Randnr. 100, vom 22. Juni 2006, Belgien und Forum 187/Kommission, C‑182/03 und C‑217/03, Slg. 2006, I‑5479, Randnr. 120, und Urteil über die Steuerregelung der Azoren, oben in Randnr. 42 angeführt, Randnr. 56, Schlussanträge von Generalanwalt Darmon in der Rechtssache Sloman Neptun, C‑72/91 und C‑73/91, Urteil des Gerichtshofs vom 17. März 1993, Slg. 1993, I‑887, I‑903, Nrn. 50 bis 72).

144    Hat die Kommission auf den oben in Randnr. 143 genannten ersten beiden Stufen ihrer Würdigung geprüft und nachgewiesen, dass Ausnahmen von der allgemeinen oder „normalen“ Steuerregelung vorliegen, die eine Differenzierung zwischen Unternehmen bewirken, ist eine solche Differenzierung nach ständiger Rechtsprechung dennoch nicht selektiv, wenn sie aus der Natur oder dem inneren Aufbau der Lastenregelung folgt, mit der sie in Zusammenhang steht. In diesem Fall muss die Kommission nämlich auf einer dritten Stufe prüfen, ob die betreffende staatliche Maßnahme nicht selektiv ist, obwohl sie den Unternehmen, von denen sie in Anspruch genommen werden kann, einen Vorteil verschafft (vgl. in diesem Sinne Urteile des Gerichtshofs Adria‑Wien Pipeline und Wietersdorfer & Peggauer Zementwerke, oben in Randnr. 78 angeführt, Randnr. 42, vom 13. Februar 2003, Spanien/Kommission, C‑409/00, Slg. 2003, I‑1487, Randnr. 52, und Urteil über die Steuerregelung der Azoren, oben in Randnr. 42 angeführt, Randnr. 52). Angesichts des Umstands, dass die Differenzierungen gegenüber der allgemeinen oder „normalen“ Steuerregelung eine Ausnahme darstellen und a priori selektiv sind, obliegt es jedoch dem Mitgliedstaat, nachzuweisen, dass die Differenzierungen durch die Natur und den inneren Aufbau seines Steuersystems gerechtfertigt sind, weil sie unmittelbar auf den Grund- oder Leitprinzipien seines Steuersystems beruhen. Insoweit ist zu unterscheiden zwischen den mit einer bestimmten Steuerregelung verfolgten Zielen, die außerhalb dieser Regelung liegen, und den dem Steuersystem selbst inhärenten Mechanismen, die zur Erreichung dieser Ziele erforderlich sind (vgl. in diesem Sinne Urteil über die Steuerregelung der Azoren, oben in Randnr. 42 angeführt, Randnr. 81).

145    Ergänzend ist jedoch hinzuzufügen, dass die Kommission, wenn sie die erste und zweite Stufe der Prüfung des selektiven Charakters einer Maßnahme auslässt (siehe oben, Randnr. 143), keine Beurteilung im Rahmen der dritten und letzten Stufe vornehmen darf, da sie sonst den Prüfungsrahmen überschreiten würde. Ein solches Vorgehen würde nämlich erstens der Kommission ermöglichen, sich bei der Festlegung des Steuersystems und der allgemeinen oder „normalen“ Regelung des Mitgliedstaats, einschließlich der Ziele, der inhärenten Mechanismen zur Erreichung dieser Ziele und der Besteuerungsgrundlagen der Regelung, an die Stelle des Mitgliedstaats zu setzen, und zweitens dem Mitgliedstaat somit die Möglichkeit nehmen, die fraglichen Differenzierungen durch die Natur und den inneren Aufbau des angemeldeten Steuersystems zu rechtfertigen, da die Kommission im Vorfeld weder die allgemeine oder „normale“ Regelung identifiziert noch den Ausnahmecharakter der Differenzierungen nachgewiesen hätte.

146    Was die Festlegung des fraglichen Steuersystems betrifft, ist jedoch darauf hinzuweisen, dass die direkte Besteuerung nach dem gegenwärtigen Entwicklungsstand des Gemeinschaftsrechts in die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten fällt. Daher liegt es in der ausschließlichen Zuständigkeit der Mitgliedstaaten und der unterhalb der staatlichen Ebene angesiedelten Einheiten, die gegenüber der Zentralregierung über hinreichende Autonomie im Sinne des Urteils über die Steuerregelung der Azoren, oben in Randnr. 42 angeführt, verfügen, die Körperschaftsteuersysteme zu entwickeln, die sie für die Bedürfnisse ihrer Wirtschaftssysteme am geeignetsten halten (vgl. in diesem Sinne Urteile des Gerichtshofs vom 28. Januar 1992, Bachmann, C‑204/90, Slg. 1992, I‑249, Randnr. 23, und vom 12. Dezember 2006, Test Claimants in Class IV of the ACT Group Litigation, C‑374/04, Slg. 2006, I‑11673, Randnr. 50, Urteil des Gerichts vom 27. Januar 1998, Ladbroke Racing/Kommission, T‑67/94, Slg. 1998, II‑1, Randnr. 54, vgl. ferner Schlussanträge von Generalanwalt Poiares Maduro in der Rechtssache Marks & Spencer, C‑446/03, Urteil des Gerichtshofs vom 13. Dezember 2005, Slg. 2005, I‑10837, I‑10839, Nrn. 23 und 24). Wie im Übrigen ferner aus Punkt 13 der Mitteilung über staatliche Beihilfen im Bereich der direkten Unternehmensbesteuerung hervorgeht, schränkt die Anwendung der Gemeinschaftsbestimmungen über staatliche Beihilfen nicht die Befugnis der Mitgliedstaaten ein, die Wirtschaftspolitik und folglich das Steuersystem und die allgemeine oder „normale“ Regelung des Steuersystems zu wählen, die sie für geeignet halten, und insbesondere die Steuerbelastung so auf die unterschiedlichen Produktionsfaktoren und Wirtschaftssektoren zu verteilen, wie es ihren Vorstellungen entspricht.

147    In der vorliegenden Rechtssache ist zu prüfen, ob diese Grundsätze von der Kommission bei der Beurteilung des selektiven Charakters der fraglichen Maßnahme gewahrt wurden.

1.     Relevante Erwägungsgründe der angefochtenen Entscheidung

148    In der angefochtenen Entscheidung stellte die Kommission fest, dass drei Bestandteile des mit der Reform eingeführten Steuersystems den begünstigten Unternehmen selektive Vorteile verschafften und daher staatliche Beihilfen sein könnten, nämlich erstens die Voraussetzung der Gewinnerzielung als Grundlage für die Erhebung von Lohnsummensteuer und BPOT, zweitens die Obergrenze von 15 % des Gewinns, die für Lohnsummensteuer und BPOT gelte, und drittens das Wesen von Lohnsummensteuer und BPOT.

149    Was erstens die Voraussetzung der Gewinnerzielung betrifft, stellte die Kommission in Randnr. 128 der angefochtenen Entscheidung fest, diese Voraussetzung habe „praktisch die Wirkung einer Steuerbefreiung unprofitabler Unternehmen und ist eine Begünstigung, die diese Unternehmen von der Lohnsummensteuer und [BPOT] befreit, die sie normalerweise hätten tragen müssen“.

150    Die Kommission führte weiter aus, dass diese Befreiung von Lohnsummensteuer und BPOT selektiv sei, weil sie nur für Unternehmen gelte, die keinen Gewinn erzielten (Randnr. 129 der angefochtenen Entscheidung).

151    Im Hinblick auf die Argumentation des Vereinigten Königreichs, der zufolge selbst dann, wenn die Befreiung von unprofitablen Unternehmen selektiv wäre, dies aufgrund der Art oder der Anlage des Körperschaftsteuersystems gerechtfertigt sei, stellte die Kommission in Randnr. 131 der angefochtenen Entscheidung fest:

„Es stimmt zwar, dass die Befreiung von nicht profitablen Unternehmen ein wesentliches Merkmal eines Systems ist, das Gewinne besteuert, aber dies ist nicht der Fall, wenn die Bemessungsgrundlage die Zahl der Mitarbeiter oder die Nutzung von Gewerbeeigentum ist. In solchen Systemen ist die Bemessungsgrundlage für Körperschaften völlig anders angelegt. Es ist zum Beispiel die innere Logik eines Lohnsummensteuersystems, dass für jeden einzelnen Mitarbeiter für das beschäftigende Unternehmen eine entsprechende Steuerschuld entsteht. … Selbst wenn eine Lohnsummensteuer stellvertretend für eine Ertragssteuer eingeführt würde (dieses Argument kommt nicht vom Vereinigten Königreich), wäre es immer noch logisch bei einem Lohnbesteuerungssystem, dass unprofitable Unternehmen steuerpflichtig sind. Der Ansatz der Mitarbeiterzahl anstelle der Profitabilität beseitigt die Notwendigkeit, Gewinne festzustellen, oder die dabei entstehenden Schwierigkeiten werden umgangen. Dies ist in Gibraltar nicht der Fall, wo bei der Reform die Berechnung der Unternehmensgewinne ein Merkmal der Regelungen sowohl für die Lohnsummensteuer als auch die zusätzliche Steuer ist.“

152    Zum Vorbringen des Vereinigten Königreichs, das durch die Reform eingeführte Steuersystem basiere auf dem gewinnbringenden Einsatz von Arbeit und sei von daher schlüssig, stellte die Kommission in Randnr. 132 der angefochtenen Entscheidung fest:

„Dies lässt auf ein hybrides System schließen, in dem zwei unterschiedliche Bemessungsgrundlagen je nach Situation der Unternehmen gelten. Unter diesen Umständen wird es unmöglich, die Art und den inneren Aufbau des Systems zu erkennen und dieser Rechtfertigung zu folgen. Insbesondere kann nicht daran gedacht werden, dass irgendein Merkmal eines solchen Systems zum inneren Aufbau gehört, denn damit würde die automatische Rechtfertigung eines derartigen Systems praktisch anerkannt.“

153    Was zweitens die Obergrenze von 15 % des Gewinns betrifft, die für Lohnsummensteuer und BPOT gilt, stellte die Kommission fest, dass eine Konsequenz dieser Obergrenze darin bestehe, dass „profitable Unternehmen, deren Steuerschuld sonst diesen Höchstsatz übersteigen würde, von der Steuer befreit sind, die sie oberhalb dieses Satzes hätten zahlen müssen. Diese Steuervergünstigung verschafft den Unternehmen, die davon profitieren, einen Vorteil, durch den die ihnen normalerweise entstehenden Belastungen verringert werden.“ (Randnr. 134 der angefochtenen Entscheidung).

154    Der Höchstsatz von 15 % sei außerdem selektiv, da nur eine begrenzte Zahl von Unternehmen bei seiner Anwendung in den Genuss einer Verringerung der Steuerschuld komme. Die Kommission führte dazu aus: „Die Begünstigten werden arbeitsintensive Unternehmen sein, das sind solche, die für das betreffende Steuerjahr niedrige Gewinne im Verhältnis zu der Zahl ihrer Mitarbeiter und der Nutzung von Gewerbeeigentum erzielen. Die Anwendung eines reinen Lohnsummen- und Gewerbegrundbenutzungssteuersystems könnte eine sehr hohe Steuerlast für diese Unternehmen bedeuten“ (Randnr. 135 der angefochtenen Entscheidung).

155    Die Argumentation des Vereinigten Königreichs, selbst wenn die Begrenzung auf 15 % selektiv sei, werde dieser Höchstsatz durch die Art oder den inneren Aufbau des Systems, in dem er vorgesehen sei, gerechtfertigt, wies die Kommission in Randnr. 137 der angefochtenen Entscheidung mit den folgenden Feststellungen zurück:

„In einem System, bei dem der profitable Einsatz von Arbeit und Gewerbeeigentum besteuert wird, gibt es keine grundsätzliche Bedingung, den Teil des Gewinns zu begrenzen, den ein Unternehmen aufgrund seiner Nutzung dieser steuerpflichtigen Faktoren zahlen muss. In einem solchen System ist es offensichtlich logisch, dass die Steuerschuld umso größer ist, je mehr Menschen in dem Unternehmen beschäftigt sind und je mehr Geschäftsräume es nutzt.“

156    Die Randnr. 137 muss zusammen mit Randnr. 136 der angefochtenen Entscheidung gelesen werden, in dem die Kommission u. a. feststellte: „Während die konventionellen Körperschaftsteuersysteme den Steueranteil am Gewinn durch die Festlegung von Steuersätzen (es gibt einen Spitzen- oder Höchststeuersatz) begrenzen, ist die entsprechende technische Maßnahme in einem Lohnsummensteuersystem der Steuersatz pro Mitarbeiter, der in Gibraltar einheitlich mit 3 000 GBP festgelegt ist. Die Einführung einer Obergrenze in das System der Lohnsummensteuer und Gewerbegrundbenutzungssteuer, die an ein anderes Kriterium geknüpft ist, nämlich die Höhe des Gewinns, lässt sich nicht mit der Anwendung variabler Steuersätze bei einer progressiven Gewinnbesteuerung vergleichen, die aufgrund der Art und des inneren Aufbaus des Systems gerechtfertigt ist … Außerdem ist die Begrenzung nicht direkt mit Personal- oder Standortkosten verknüpft, sondern vielmehr mit der Ertragskraft eines Unternehmens. Dies ist ein Element, das nichts mit einer Lohnsummensteuer und Gewerbegrundbenutzungssteuer zu tun hat.“

157    Was drittens die Lohnsummensteuer und die BPOT betrifft, stellte die Kommission auf der Grundlage der nachstehenden Erwägungen fest, dass diese Steuern einen selektiven Vorteil verschafften.

158    Zunächst führte die Kommission in Randnr. 143 der angefochtenen Entscheidung im Wesentlichen aus, dass eine Lohnsummensteuer und eine Gewerbegrundbenutzungssteuer als selektiv betrachtet werden könnten, wenn sie ohne ein allgemeines System der Besteuerung von Unternehmensgewinnen angewandt würden und in einem Wirtschaftssystem wie demjenigen Gibraltars zum Einsatz kämen, das durch die Existenz eines großen Offshore-Sektors ohne Steuerpräsenz, der sich jeder Erfassung für Lohnsummensteuer und Gewerbegrundbenutzungssteuer entziehe, gekennzeichnet sei. Auch wenn ein solches, aus den zwei genannten Steuern bestehendes Steuersystem formal ohne Unterschied für alle Unternehmen gelte, begünstige es faktisch die jetzigen freigestellten Unternehmen, die in Gibraltar über keine echte Präsenz verfügten und aufgrund dessen nicht körperschaftsteuerpflichtig seien.

159    Anschließend stellte die Kommission in Randnr. 144 der angefochtenen Entscheidung fest: „Außerdem hat ein System, das sich in einer Umgebung, wo viele Unternehmen keine Mitarbeiter und keine Gewerberäume haben, nur nach der Zahl der Mitarbeiter oder der geschäftlichen Nutzung von Gewerbeeigentum richtet, nicht denselben allgemeinen Charakter wie die Besteuerung von Unternehmensgewinnen, deren Ziel die Besteuerung des Ergebnisses wirtschaftlicher Tätigkeit insgesamt ist. Es kann daher als selektiv betrachtet werden, zumindest unter Umständen, wie sie im vorliegenden Fall gegeben sind.“

160    In Randnr. 150 der angefochtenen Entscheidung führte die Kommission schließlich aus, dass die steuerliche Begünstigung von Unternehmen, die die Rechtsform des freigestellten Unternehmens im Sinne der vor der Steuerreform geltenden Steuerregelung aufwiesen, von der Steuerreform fortgeführt werde. Ausgehend von der Annahme, dass diese Unternehmen allgemein in Gibraltar nicht physisch präsent seien, stellte die Kommission fest, dass freigestellte Unternehmen außerhalb des Finanzdienstleistungssektors weiterhin effektiv einen Steuersatz von null zahlen würden, während freigestellte Unternehmen im Finanzdienstleistungssektor eine Steuer von 5 % ihres Gewinns entrichten würden, was darauf zurückzuführen sei, dass für sie die zusätzliche Steuer gelte (siehe oben, Randnr. 24). Dagegen gelte für die übrige Wirtschaft von Gibraltar der Höchststeuersatz von 15 % bzw. 35 % des erzielten Gewinns.

161    Viertens schließlich ist darauf hinzuweisen, dass sich die Kommission in Randnr. 147 der angefochtenen Entscheidung auf die folgende Tabelle stützte:

„Tabelle 1: Daten zu den Unternehmen in Gibraltar

  

Steuersatz (in %)

 

Anzahl

Heute

Nach Reform

Alle Unternehmen (unterteilt nach Sektoren)

29 000

  

         Finanzdienstleistungen

179

0-35

5-15(3)

         Versorgungsunternehmen

23

35

35

         Andere

28 798

0-35

0-15

Alle Unternehmen (unterteilt nach Einkünften)

29 000

  

         Mit Einkünften

10 400

0-35

0-15(1)

         Ohne Einkünfte

18 600

---

---

Unternehmen mit Einkünften (unterteilt nach Status)

10 400

  

         Steuerpflichtig

1 400

0-35

0-15(1)

         Nicht steuerpflichtig

9 000

0

0-5(2) (3)

Steuerpflichtig mit Einkünften (unterteilt nach Gewinn)

1 400

  

         Mit Gewinn

[900]

0-35

0-15(1)

         Ohne Gewinn

500

---

---

Steuerpflichtig mit Einkünften (unterteilt nach Status)

1 400

  

         Anerkannt

140

2-10(4)

0-15

         Nicht anerkannt

1 260

35(5)

0-15

         Versorgungsunternehmen

23

35

35

Steuerbefreit mit Einkünften (unterteilt nach Sektor)

9 000

  

         Finanzdienstleistungen

70

0

5(2) (3)

         Nichtfinanzdienstleistungen

8 930

0

0(2)


(1)         Unter Zugrundelegung einer zusätzlichen Steuer auf Finanzdienstleistungen in Höhe von 5 %.

(2)         Ausgenommen Versorgungsunternehmen, für die ein Steuersatz von 35 % gilt.

(3)         Unter Zugrundelegung der Annahme, dass die nicht steuerpflichtigen Unternehmen in Gibraltar über keine physische Präsenz verfügen und daher weder der Lohnsummensteuer noch der Gewerbegrundbenutzungssteuer unterliegen.

(4)         Die Mehrzahl der anerkannten Unternehmen. Bei einigen wenigen liegen die Steuersätze außerhalb dieser Bandbreite.

(5)         Unter Zugrundelegung der Annahme, dass sie dem vollen Körperschaftsteuersatz unterliegen.“

162    Die Kommission stellte hierzu in Randnr. 148 der angefochtenen Entscheidung fest:

„Tabelle 1 zeigt, wie bestimmte, genau umschriebene Sektoren der Wirtschaft von Gibraltar bei der Besteuerung von der Umsetzung der Reform betroffen wären. Die Kommission nimmt zwar zur Kenntnis, dass im Rahmen der Reform die formale Unterscheidung zwischen Offshore- und Onshore-Wirtschaft abgeschafft wird, aber durch den Vergleich der Steuern kann verdeutlicht werden, dass Selektivität Bestandteil des vorgesehenen Steuersystems ist. Verschiedene Arten von Unternehmen werden unterschiedlich besteuert, und das ist ein weiteres Element, das bestätigt, dass das vorgesehene System den Sektoren, die in den Genuss niedrigerer Steuersätze kommen, selektive Vergünstigungen zugesteht.“

2.     Zur Verschaffung eines selektiven Vorteils durch die streitigen Bestandteile der Reform

163    Was die Bestimmung des Steuersystems und der allgemeinen oder „normalen“ Regelung der vorliegenden Rechtssache betrifft, geht aus den Akten und den Randnrn. 5, 6, 10, 12 und 13 der angefochtenen Entscheidung hervor, dass Gibraltar entschieden hatte, durch die Steuerreform die Steuer auf den Unternehmensgewinn, mit Ausnahme der zusätzlichen Besteuerung von Versorgungs- und Finanzdienstleistungsunternehmen, abzuschaffen und durch die beiden streitigen Steuern, d. h. Lohnsummensteuer und BPOT, zu ersetzen. Gleichzeitig hatte Gibraltar beschlossen, die beiden vorgenannten Steuern auf 15 % des Gewinns zu beschränken. Im Verwaltungsverfahren machte die Regierung von Gibraltar geltend, dass es sich bei den zwei streitigen Steuern um die neue „allgemeine“ Körperschaftsteuerregelung handle, die durch die Steuerreform eingeführt werde.

164    Im Verwaltungsverfahren und in ihren beim Gericht eingereichten Schriftsätzen hat die Regierung von Gibraltar geltend gemacht, dass angesichts der Besonderheiten der Wirtschaft in Gibraltar ? beschränkte personelle Ressourcen, eine erhebliche Abhängigkeit von den täglich aus Spanien einreisenden Arbeitnehmern, eine große Zahl kleiner Unternehmen und die Notwendigkeit, angesichts der operativen Grenzen der Verwaltung in Gibraltar einfache Steuern einzuführen ? die Entscheidung, die Arbeitskräfte und die Gewerbegrundbenutzung als Besteuerungsgrundlage zu verwenden, als wesentlich angesehen werde. Die Kommission hat im Übrigen nicht bestritten, dass die beiden Produktionsfaktoren, auf die sich die streitigen Steuern richten, nämlich Arbeitskräfte und Bodennutzung, knapp sind.

165    Die Regierung von Gibraltar hat darüber hinaus im Verwaltungsverfahren und im streitigen Verfahren geltend gemacht, dass die Begrenzung von Lohnsummensteuer und BPOT auf 15 % des Gewinns von der Absicht getragen werde, der Besteuerung den Grundsatz der Steuerkraft zugrunde zu legen und eine überhöhte Unternehmensbesteuerung zu vermeiden, da dies zu Entlassungen, großer Instabilität für eine kleine Wirtschaft wie diejenige Gibraltars und anschließenden Steuereinbußen führen könne.

166    Es steht fest, dass die Obergrenze von 15 % implizit eine Bedingung einführt, die der vorgenannten Besteuerung vorgelagert ist, nämlich die Voraussetzung der Gewinnerzielung als Grundlage für die Steuererhebung. Die Regierung von Gibraltar hat im Verwaltungsverfahren und im streitigen Verfahren geltend gemacht, dass die Gewinnerzielung eine conditio sine qua non für jegliche Besteuerung sei, jedoch keine Besteuerungsgrundlage darstelle. Ferner hat sie in diesen Verfahren vorgetragen, dass mit der Einführung der Obergrenze beabsichtigt worden sei, der Besteuerung den Grundsatz der Zahlungsfähigkeit von Unternehmen zugrunde zu legen und zu verhindern, dass sie zu einer Steuer auf das Gesellschaftskapital werde.

167    Im Übrigen hat die Regierung von Gibraltar in ihren beim Gericht eingereichten Schriftsätzen vorgetragen, dass sich die Steuerreform auf zwei Säulen, Bodennutzung und Beschäftigung, als Besteuerungsgrundlagen und eine Begrenzung der Steuerschuld auf 15 % des Gewinns stütze und dass der von Gibraltar geplante Steuermechanismus in sich zusammenfalle, wenn eine der beiden Säulen zu Fall gebracht werde.

168    Im Ergebnis macht die Regierung von Gibraltar geltend, dass sämtliche vorgenannten Bestandteile der Steuerreform, d. h. die Lohnsummensteuer, die BPOT, die Obergrenze von 15 % des Gewinns und die implizit aus der Einführung der Obergrenze von 15 % des Gewinns abgeleitete Voraussetzung, dass die Lohnsummensteuer und die BPOT nur bei Gewinnerzielung erhoben würden, ein eigenständiges Steuersystem darstellten und dass dieses als allgemeine oder „normale“ Steuerregelung, die durch die Steuerreform im Hoheitsgebiet von Gibraltar eingeführt werde, zu behandeln sei. Im Rahmen dieser Regelung gebe es keinen „normalen“ Steuersatz und keine „Regelbesteuerung“ und „Sekundärbesteuerung“ oder „Ausnahmebesteuerung“. Die Steuer, die ein Unternehmen im Laufe eines bestimmten Jahres zu entrichten habe, werde anhand der beiden folgenden interdependenten Faktoren ermittelt: erstens Anzahl der beschäftigten Arbeitskräfte und Bodennutzungsfläche des Unternehmens und zweitens erzielter Unternehmensgewinn.

169    Das Vereinigte Königreich unterstützt im Wesentlichen die Position, die die Regierung von Gibraltar zu der durch die Reform eingeführten allgemeinen oder „normalen“ Steuerregelung einnimmt, indem es u. a. geltend macht, dass die Besteuerung durch die gewinnbringende Beschäftigung eines Mitarbeiters oder die gewinnbringende Nutzung einer Immobilie ausgelöst werde (siehe oben, Randnr. 119).

170    Angesichts dieser Erklärungen, die die Regierung von Gibraltar und das Vereinigte Königreich bereits im Verwaltungsverfahren abgaben, durfte die Kommission nicht davon absehen, ihrer oben in Randnr. 143 dargelegten Verpflichtung nachzukommen, zunächst die allgemeine oder „normale“ Regelung des angemeldeten Steuersystems zu identifizieren und gegebenenfalls deren Einstufung durch die Behörden Gibraltars in Frage zu stellen. Ohne Identifizierung und Prüfung dieser Regelung kann die Kommission nämlich nicht rechtlich hinreichend nachweisen, dass bestimmte Elemente des angemeldeten Steuersystems Ausnahmen von der allgemeinen oder „normalen“ Regelung bilden und folglich a priori selektiv sind. Ferner ist es der Kommission unter diesen Umständen ebenfalls nicht möglich, angemessen zu beurteilen, ob etwaige Differenzierungen zwischen Unternehmen, die sich aus der Anwendung einer steuerlichen Maßnahme ergeben, die von der allgemeinen oder „normalen“ Steuerregelung abweicht, durch die Natur oder den inneren Aufbau des Steuersystems des betreffenden Mitgliedstaats gerechtfertigt sein können, da die Kommission die allgemeine Regelung nicht im Vorfeld identifiziert oder geprüft hat.

171    Aus der Begründung der angefochtenen Entscheidung geht jedoch nicht hervor, dass die Kommission die oben in Randnr. 170 dargelegte unabdingbare Vorprüfung durchgeführt hat, nach der zu untersuchen war, ob die verschiedenen streitigen Bestandteile des mit der Reform verbundenen Steuersystems eine eigenständige allgemeine oder „normale“ Steuerregelung darstellen können.

172    Stattdessen beschränkte sich die Kommission im Hinblick auf die Voraussetzung der Gewinnerzielung und die Obergrenze von 15 % darauf, sofort festzustellen, dass diese beiden Bestandteile der Reform Ausnahmen von Lohnsummensteuer und BPOT, die sie folglich ? zwar implizit, doch zwangsläufig ? als allgemeine oder „normale“ Regelung der Reform ansah, und daher a priori selektiv seien (Randnrn. 128, 129, 134 und 135 der angefochtenen Entscheidung).

173    Was außerdem Lohnsummensteuer und BPOT betrifft, geht aus der angefochtenen Entscheidung (siehe oben, Randnrn. 157 bis 160) hervor, dass die Kommission sich nicht an die Prüfungsstufen hielt, die bei der Feststellung der Selektivität zu berücksichtigen sind, da sie es unterließ, erstens die allgemeine oder „normale“ Steuerregelung, von der die beiden Steuern abweichen sollen, zu identifizieren und zu prüfen, zweitens den etwaigen Ausnahmecharakter dieser Steuern nachzuweisen und drittens zu prüfen, ob der geltend gemachte Ausnahmecharakter durch die Natur oder den inneren Aufbau des Steuersystems der Reform gerechtfertigt ist.

174    Die Kommission hat nämlich nur in Erwiderung auf das Vorbringen des Vereinigten Königreichs zu einer etwaigen Rechtfertigung der beanstandeten Differenzierungen (d. h. im Rahmen der dritten und letzten Stufe der Prüfung der Selektivität, siehe oben, Randnr. 144), die bei der Anwendung der vorgenannten steuerlichen Bestandteile zwischen Unternehmen entstehen, erstens in den Randnrn. 131, 136 und 137 der angefochtenen Entscheidung ausgeführt, dass die Voraussetzung der Gewinnerzielung und die Obergrenze von 15 % im Wesentlichen Elemente seien, die der inhärenten Logik eines Systems, das auf Lohnsummensteuer und BPOT beruhe, fremd seien, und zweitens in Randnr. 132 der angefochtenen Entscheidung die knappe und vage Feststellung getroffen, es handle sich um „ein hybrides System“, weshalb es „unmöglich ist, die Art und den inneren Aufbau des Systems zu erkennen“, und es könne „nicht daran gedacht werden, dass irgendein Merkmal eines solchen Systems zum inneren Aufbau gehört, denn damit würde die automatische Rechtfertigung eines derartigen Systems praktisch anerkannt“. Aus den oben in den Randnrn. 145 und 146 dargelegten Erwägungen geht jedoch hervor, dass die Kommission hiermit die Grenzen ihrer Prüfungsbefugnis überschritten hat, da das Steuerwesen der Zuständigkeit der Mitgliedstaaten unterliegt.

175    Abgesehen davon, dass die Kommission, wie oben dargelegt, bei der Feststellung der Selektivität den Prüfungsrahmen nicht einhielt, können weder die oben in Randnr. 174 dargelegten Randnummern der angefochtenen Entscheidung noch die Argumente, die die Kommission und das Königreich Spanien im Laufe des Verfahrens geltend gemacht haben, die Stichhaltigkeit der Definition der allgemeinen oder „normalen“ Regelung des angemeldeten Steuersystems in Frage stellen.

176    Erstens kann das Vorbringen der Kommission, es liege in der Logik eines Steuersystems, das auf der Anzahl der Arbeitskräfte oder der BPOT beruhe, dass unprofitable Unternehmen steuerpflichtig seien (Randnr. 131 der angefochtenen Entscheidung) oder dass die Steuerbelastung steuerpflichtiger Unternehmen nach Maßgabe der linearen Zunahme der beschäftigten Arbeitskräfte und der Bodennutzung linear ansteige und jede Begrenzung dieser Steuerbelastung auf der Grundlage des erzielten Gewinns als Ausnahmeregelung anzusehen sei (Randnrn. 136 und 137 der angefochtenen Entscheidung), für sich genommen die Stichhaltigkeit dieser Definition nicht in Frage stellen.

177    Das Vorbringen der Regierung von Gibraltar, die Voraussetzung der Gewinnerzielung sei Bestandteil der Logik eines Steuersystems, das auf der Anzahl der Arbeitskräfte und der Bodennutzung beruhe, da diese Voraussetzung einem grundlegenden Ziel des Systems entspreche, nämlich dem Ziel, unprofitable Unternehmen nicht zu besteuern, hat die Kommission nämlich nicht rechtlich hinreichend entkräftet. Somit hat die Kommission nicht dargetan, dass die Steuerbefreiung nicht als integraler Bestandteil der allgemeinen oder „normalen“ Regelung des angemeldeten Steuersystems angesehen werden kann.

178    Aus den gleichen Gründen hat die Kommission auch nicht nachgewiesen, dass die Behörden von Gibraltar nicht berechtigt waren, in ihrem Hoheitsgebiet im Rahmen der Ausübung ihrer steuerlichen Befugnisse eine allgemeine oder „normale“ Steuerregelung zu entwickeln, die die allgemeine Anwendung eines Steuerhöchstsatzes von 15 % des Gewinns beinhaltet und verhindern soll, dass die Unternehmen einen übermäßigen Anteil ihres Gewinns für Steuern aufwenden müssen. Die bloße Feststellung der Kommission, in einem Steuersystem wie demjenigen, das die Behörden von Gibraltar einführen wollten, müsse die Steuerschuld umso höher sein, je mehr Menschen in dem Unternehmen beschäftigt seien und je mehr Geschäftsräume es nutze (Randnr. 137 der angefochtenen Entscheidung), reicht nicht aus, um die Rechtmäßigkeit der von den genannten Behörden getroffenen Entscheidung in Frage zu stellen, welche Merkmale die allgemeine oder „normale“ Regelung des genannten Steuersystems ausmachen.

179    Zweitens ist die von der Kommission in Randnr. 132 der angefochtenen Entscheidung und in ihren Schriftsätzen vorgenommene Einstufung, das Steuersystem, das durch die Reform eingeführt werde, sei „hybrid“, eine bloße Beschreibung des aus verschiedenen Bestandteilen zusammengesetzten Systems. Mit dieser Einstufung allein wird nämlich nicht dargetan, dass ein solches System keine allgemeine oder „normale“ Steuerregelung sein kann, die im Hoheitsgebiet von Gibraltar gilt, da erstens das System im Wesentlichen auf zwei Zielen beruht (die Nutzung von zwei knappen Produktionsfaktoren in Gibraltar zu besteuern und die Steuerkraft der Unternehmen zu berücksichtigen), die von den Behörden von Gibraltar in Ausübung ihrer steuerlichen Befugnisse festgelegt wurden, und zweitens der gegenwärtige Entwicklungsstand des Gemeinschaftsrechts keinen harmonisierten Standard für die „allgemeine“ oder „normale“ Regelung eines nationalen Steuersystems enthält.

180    In diesem Zusammenhang können sich die Kommission und das Königreich Spanien nicht erfolgreich auf die rein hypothetische Annahme berufen, dass die beiden Ziele, die dem Steuersystem und seiner allgemeinen oder „normalen“ Regelung durch die Reform zugeschrieben würden, in bestimmten Situationen unvereinbar seien, etwa im Fall eines Unternehmens, das hohe Gewinne erziele, jedoch mangels physischer Präsenz in Gibraltar weder Lohnsummensteuer noch BPOT zu entrichten habe, oder im Fall eines Unternehmens, das in Gibraltar ein wichtiger Arbeitgeber sei, jedoch ebenfalls nicht besteuert werde, da es keinen Gewinn erziele. Diese hypothetischen Fallkonstellationen genügen nämlich nicht, um darzutun, dass das vorgenannte Steuersystem und seine allgemeine oder „normale“ Regelung nicht zwei verschiedenen Zielen dienen können, wie sie von den Behörden von Gibraltar festgelegt wurden.

181    Das vage Vorbringen der Kommission, es könne nicht ein beliebiges Merkmal eines solchen Systems als zum inneren Aufbau gehörig angesehen werden, weil damit die automatische Rechtfertigung eines derartigen Systems praktisch anerkannt würde, kann diese Beurteilung nicht in Frage stellen (Randnr. 132 der angefochtenen Entscheidung). Hierzu ist daran zu erinnern, dass eine solche Herangehensweise die oben in den Randnrn. 143 und 144 dargelegte Reihenfolge der verschiedenen Prüfungsstufen missachtet und folglich angesichts der fiskalischen Befugnisse der Mitgliedstaaten die Grenzen der Prüfungsbefugnis der Kommission überschreitet (siehe oben, Randnrn. 145 und 146).

182    Drittens ist daran zu erinnern, dass die Kommission in ihren Schriftsätzen die Frage aufgeworfen hat, aus welchem Grund sich Gibraltar ? angesichts des beschränkten Anwendungsbereichs der daraus folgenden Besteuerung ? entschieden habe, eine Lohnsummensteuer und eine BPOT einzuführen, die einer Obergrenze von 15 % des Gewinns unterlägen. In Randnr. 144 der angefochtenen Entscheidung stellte sie hierzu fest, dass das aus den zwei vorgenannten Steuern bestehende Steuersystem „nicht denselben allgemeinen Charakter hat wie die Besteuerung von Unternehmensgewinnen, deren Ziel die Besteuerung des Ergebnisses wirtschaftlicher Tätigkeit insgesamt ist“. Im Übrigen hat sie der Regierung von Gibraltar vorgeworfen, nicht dargelegt zu haben, inwiefern die Obergrenze von 15 % die Steuerkraft der Unternehmen wiedergebe, und die Frage aufgeworfen, weshalb diese Obergrenze festgelegt werde, obwohl die Regierung von Gibraltar die Nutzung knapper Ressourcen besteuern wolle. Schließlich hat sie vorgeschlagen, dass die Steuerkraft der steuerpflichtigen Unternehmen berücksichtigt werden könne, indem die Höhe der Lohnsummensteuer jedes Jahr an die örtliche Konjunktur angepasst werde.

183    Mit diesen vagen und allgemeinen Fragen und Hypothesen kann die Kommission jedoch nicht in Frage stellen, dass die Behörden Gibraltars die allgemeine oder „normale“ Regelung des angemeldeten Steuersystems und seine Bestandteile richtig eingestuft haben.

184    Aus den Randnrn. 170 bis 183 des vorliegenden Urteils geht hervor, dass die von der Kommission in der angefochtenen Entscheidung angestellten Erwägungen nicht ausreichen, um die von den Behörden Gibraltars geltend gemachte Definition der allgemeinen oder „normalen“ Regelung des Steuersystems in Frage zu stellen, da die Kommission den Prüfungsrahmen für die Feststellung der Selektivität nicht eingehalten hat. Angesichts des Umfangs der Befugnisse, die den Behörden Gibraltars bei der Festlegung ihres Steuersystems und ihrer allgemeinen oder „normalen“ Regelung zustehen, hat die Kommission, da sie den Prüfungsrahmen nicht eingehalten hat, außerdem die Grenzen ihrer Prüfungsbefugnis überschritten. Aus der Begründung, die insbesondere in den Randnrn. 131, 132, 136, 137 und 144 der angefochtenen Entscheidung angeführt ist, ergibt sich nämlich, dass die Kommission, als sie die Regelung, die die Kläger in der vorliegenden Rechtssache als allgemeine oder „normale“ Steuerregelung eingestuft haben, nicht als Ausgangspunkt für ihre Prüfung der materiellen Selektivität genommen und die genannte Regelung nicht identifiziert und auf ihre Rechtmäßigkeit geprüft hat, Inhalt und Funktionsweise des angemeldeten Steuersystems ihrer eigenen Logik unterzogen hat, statt die oben in den Randnrn. 143 und 144 beschriebene Kontrolle auszuüben.

185    Angesichts der vorstehenden Erwägungen ist festzustellen, dass keiner der drei streitigen Bestandteile des angemeldeten Steuersystems als selektive Begünstigung im Sinne von Art. 87 Abs. 1 EG angesehen werden kann, da die Kommission nicht rechtlich hinreichend dargetan hat, dass es sich um Ausnahmen von der durch die Reform in Gibraltar eingeführten allgemeinen oder „normalen“ Steuerregelung handelt, die im Hinblick auf die Steuerbelastung zwischen Unternehmen differenzieren.

186    Schließlich ist festzustellen, dass dem Vergleich der Auswirkungen des durch die Reform eingeführten Steuersystems mit den Auswirkungen des früheren Steuersystems, wie er von der Kommission in Tabelle 1 und in Randnr. 150 der angefochtenen Entscheidung vorgenommen wurde, in der vorliegenden Rechtssache für die Zwecke der Anwendung von Art. 87 Abs. 1 EG nicht gefolgt werden kann. Es kommt nämlich nicht darauf an, ob sich die Situation desjenigen, der durch die Maßnahme begünstigt sein soll, im Vergleich zur vorherigen Rechtslage verbessert oder verschlechtert hat oder ob sie im Gegenteil unverändert geblieben ist (Urteil Adria-Wien Pipeline und Wietersdorfer & Peggauer Zementwerke, oben in Randnr. 78 angeführt, Randnr. 41). Vielmehr ist zu prüfen, ob das streitige Steuersystem, unabhängig vom früheren Steuersystem geprüft, bestimmte Unternehmen im Sinne von Art. 87 Abs. 1 EG begünstigt oder nicht (vgl. in diesem Sinne Urteil des Gerichtshofs vom 7. Juni 1988, Griechenland/Kommission, 57/86, Slg. 1988, 2855, Randnr. 10).

187    Nach alledem hat die Kommission nicht nachgewiesen, dass die drei streitigen Gesichtspunkte der Steuerreform zu selektiven Begünstigungen führen. Folglich hat die Kommission bei der Anwendung von Art. 87 Abs. 1 EG einen Rechtsfehler begangen, als sie die streitigen Bestandteile als staatliche Beihilfen eingestuft hat.

188    Daher greift der zweite Klagegrund durch.

189    Da der erste und der zweite Klagegrund durchgreifen, ist die angefochtene Entscheidung insgesamt für nichtig zu erklären, ohne dass der Klagegrund, der auf die Verletzung wesentlicher Formvorschriften gestützt wird, zu prüfen ist.

 Kosten

190    Nach Art. 87 § 2 der Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da die Kommission mit ihrem Vorbringen unterlegen ist, sind ihr gemäß dem Antrag der Kläger die Kosten aufzuerlegen.

191    Gemäß Art. 87 § 4 Abs. 1 der Verfahrensordnung tragen die Mitgliedstaaten, die dem Rechtsstreit als Streithelfer beigetreten sind, ihre eigenen Kosten. Daher tragen das Vereinigte Königreich Großbritannien und Nordirland als Streithelfer in der Rechtssache T‑211/04 und das Königreich Spanien als Streithelfer in den Rechtssachen T‑211/04 und T‑215/04 ihre eigenen Kosten.

Aus diesen Gründen hat

DAS GERICHT (Dritte erweiterte Kammer)

für Recht erkannt und entschieden:

1.      Die Rechtssachen T‑211/04 und T‑215/04 werden zu gemeinsamer Entscheidung verbunden.

2.      Die Entscheidung 2005/261/EG der Kommission vom 30. März 2004 über die Beihilferegelung, die das Vereinigte Königreich im Rahmen der Körperschaftsteuerreform der Regierung von Gibraltar beabsichtigt, wird für nichtig erklärt.

3.      Die Kommission trägt die Kosten der Regierung von Gibraltar und die Kosten des Vereinigten Königreichs Großbritannien und Nordirland in der Rechtssache T‑215/04 sowie ihre eigenen Kosten.

4.      Das Vereinigte Königreich Großbritannien und Nordirland als Streithelfer in der Rechtssache T‑211/04 trägt seine eigenen Kosten.

5.      Das Königreich Spanien als Streithelfer in den Rechtssachen T‑211/04 und T‑215/04 trägt seine eigenen Kosten.

Jaeger

Tiili

Azizi

Cremona

 

      Czúcz

Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 18. Dezember 2008.

Unterschriften

Inhaltsverzeichnis


Rechtlicher Rahmen

I –  Gemeinschaftsrecht

II –  Status von Gibraltar

Sachverhalt

I –  Vorgeschichte der Körperschaftsteuerreform der Regierung von Gibraltar

II –  Körperschaftsteuerreform der Regierung von Gibraltar

A –  Steuersystem nach der Steuerreform

B –  Zusätzliche Steuern (bzw. Steuerzuschläge)

III –  Verwaltungsverfahren und angefochtene Entscheidung

Verfahren und Anträge der Parteien

Rechtliche Würdigung

I –  Zum ersten Klagegrund: Rechts- und Beurteilungsfehler bei der Anwendung des Kriteriums der regionalen Selektivität

A –  Vorbringen der Parteien

B –  Würdigung durch das Gericht

1.  Zur Relevanz des Grades der Autonomie der unterhalb der staatlichen Ebene angesiedelten Einheit gegenüber der Zentralregierung des betreffenden Mitgliedstaats für die Zwecke der Feststellung des geeigneten Bezugsrahmens

2.  Zur Rolle des Vereinigten Königreichs bei der Festlegung des politischen und wirtschaftlichen Umfelds in Gibraltar als Kriterium zur Feststellung des Bezugsrahmens in der vorliegenden Rechtssache

a)  Urteil über die Steuerregelung der Azoren

b)  Zur Anwendung der ersten und der zweiten Voraussetzung des Urteils über die Steuerregelung der Azoren

c)  Zur Anwendung der dritten Voraussetzung des Urteils über die Steuerregelung der Azoren

II –  Zum zweiten Klagegrund: Rechts- und Beurteilungsfehler bei der Anwendung des Kriteriums der materiellen Selektivität

A –  Vorbringen der Parteien

B –  Würdigung durch das Gericht

1.  Relevante Erwägungsgründe der angefochtenen Entscheidung

2.  Zur Verschaffung eines selektiven Vorteils durch die streitigen Bestandteile der Reform

Kosten


* Verfahrenssprache: Englisch.