Language of document : ECLI:EU:T:2021:892

URTEIL DES GERICHTS (Zweite Kammer)

15. Dezember 2021(*)

„Umwelt – Verordnung (EG) Nr. 1367/2006 – Pflicht der Mitgliedstaaten zum Schutz der Luft und zur Verbesserung der Luftqualität – Antrag auf interne Überprüfung – Zurückweisung des Antrags als unzulässig“

In der Rechtssache T‑569/20,

Stichting Comité N 65 Ondergronds Helvoirt mit Sitz in Helvoirt (Niederlande), Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwälte T. Malfait und A. Croes,

Klägerin,

gegen

Europäische Kommission, vertreten durch L. Haasbeek, G. Gattinara und M. Noll-Ehlers als Bevollmächtigte,

Beklagte,

unterstützt durch

Königreich der Niederlande, vertreten durch M. Bulterman, M. de Ree, J. Langer und J. Hoogveld als Bevollmächtigte,

durch

Europäisches Parlament, vertreten durch W. Kuzmienko und C. Ionescu Dima als Bevollmächtigte,

und durch

Rat der Europäischen Union, vertreten durch K. Michoel und A. Maceroni als Bevollmächtigte,

Streithelfer,

betreffend eine Klage nach Art. 263 AEUV auf Nichtigerklärung des Beschlusses der Kommission vom 6. Juli 2020, mit dem der Antrag auf interne Überprüfung des Beschlusses, das Beschwerdeverfahren CHAP (2019) 2512 zu schließen, für unzulässig erklärt wird,

erlässt

DAS GERICHT (Zweite Kammer)

unter Mitwirkung der Präsidentin V. Tomljenović sowie der Richter F. Schalin und I. Nõmm (Berichterstatter),

Kanzler: E. Coulon,

folgendes

Urteil

 Vorgeschichte des Rechtsstreits

1        Die Klägerin, die Stichting Comité N 65 Ondergronds Helvoirt, ist ein Aktionskomitee, das am 2. März 2011 gegründet wurde, als die Gemeinden Vught, Haaren, Oisterwijk, Tilburg und ’s‑Hertogenbosch (Niederlande) ihr Konzept für die regionale Straße N 65 und ihre Umgebung vorstellten.

2        Nachdem die Klägerin auf nationaler Ebene verschiedene Verwaltungs- und Gerichtsverfahren eingeleitet hatte, legte sie am 29. August 2019 bei der Europäischen Kommission eine Beschwerde gegen das Königreich der Niederlande ein. Sie war der Auffassung, dass die Umsetzung der Kontrolle und der Beurteilung der Luftqualität in der Umgebung der Regionalstraße N 65 durch die niederländischen Behörden gegen die Richtlinie 2008/50/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. Mai 2008 über Luftqualität und saubere Luft für Europa (ABl. 2008, L 152, S. 1) verstoße. Die Kommission lege die Bestimmung, wonach die Maßnahmen zur Beurteilung der Luftqualität höchstens 10 m vom Fahrbahnrand entfernt durchgeführt werden müssten, falsch aus.

3        Mit Schreiben vom 30. Januar 2020 teilte die Kommission der Klägerin mit, dass sie beschlossen habe, der Beschwerde mit dem Aktenzeichen CHAP (2019) 2512 nicht weiter nachzugehen, weil sie in ihren Schreiben vom 6. und 21. September 2019 sowie vom 8. Januar 2020 keinen maßgeblichen neuen Gesichtspunkt vorgetragen habe, der die Einleitung eines Vertragsverletzungsverfahrens gegen das Königreich der Niederlande rechtfertigen könne.

4        Am 12. März 2020 stellte die Klägerin einen Antrag auf interne Überprüfung nach Art. 10 der Verordnung (EG) Nr. 1367/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 6. September 2006 über die Anwendung der Bestimmungen des Übereinkommens von Aarhus über den Zugang zu Informationen, die Öffentlichkeitsbeteiligung an Entscheidungsverfahren und den Zugang zu Gerichten in Umweltangelegenheiten auf Organe und Einrichtungen der Gemeinschaft (ABl. 2006, L 264, S. 13, im Folgenden: Aarhus-Verordnung).

5        Mit Schreiben vom 6. Juli 2020 wies die Kommission den Antrag auf interne Überprüfung des Beschlusses, das Beschwerdeverfahren CHAP (2019) 2512 zu schließen, als unzulässig zurück (im Folgenden: angefochtener Beschluss). Sie war der Auffassung, dass das Schreiben vom 30. Januar 2020 weder einen „Verwaltungsakt“ im Sinne von Art. 2 Abs. 1 Buchst. g der Aarhus-Verordnung noch eine „Unterlassung“ im Sinne von Art. 2 Abs. 1 Buchst. h dieser Verordnung darstelle. Sie habe das Schreiben vom 30. Januar 2020, dem zufolge der Beschwerde nicht weiter nachgegangen werde, nämlich als Aufsichtsbehörde nach Art. 258 AEUV erlassen. Gemäß Art. 2 Abs. 2 Buchst. b der Aarhus-Verordnung stelle eine solche Handlung keinen Verwaltungsakt im Sinne von Art. 2 Abs. 1 Buchst. g dieser Verordnung dar.

 Verfahren und Anträge der Parteien

6        Mit Klageschrift, die am 7. September 2020 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen ist, hat die Klägerin Klage auf Nichtigerklärung des angefochtenen Beschlusses erhoben.

7        Am 25. November 2020 hat die Kommission ihre Klagebeantwortung bei der Kanzlei des Gerichts eingereicht.

8        Mit Schriftsätzen, die am 3., 9. und 10. Dezember 2020 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen sind, haben der Rat der Europäischen Union, das Königreich der Niederlande und das Europäische Parlament beantragt, als Streithelfer zur Unterstützung der Anträge der Kommission zugelassen zu werden.

9        Am 12. Januar 2021 hat die Klägerin eine Erwiderung bei der Kanzlei des Gerichts eingereicht.

10      Mit Entscheidungen vom 20. Januar 2021 hat die Präsidentin der Zweiten Kammer den Rat, das Königreich der Niederlande und das Parlament als Streithelfer zugelassen.

11      Am 25. Februar 2021 hat die Kommission eine Gegenerwiderung bei der Kanzlei des Gerichts eingereicht.

12      Am 1., 2. und 4. März 2021 haben das Parlament, das Königreich der Niederlande und der Rat ihre Streithilfeschriftsätze bei der Kanzlei des Gerichts eingereicht.

13      Das Gericht (Zweite Kammer) hat gemäß Art. 106 Abs. 3 seiner Verfahrensordnung beschlossen, ohne mündliche Verhandlung zu entscheiden.

14      Die Klägerin beantragt,

–        den angefochtenen Beschluss für nichtig zu erklären;

–        die Akte an die Kommission zurückzuverweisen, damit sie sie für zulässig erklärt und in der Sache entscheidet;

–        der Kommission die Kosten aufzuerlegen.

15      Die Kommission und das Königreich der Niederlande beantragen,

–        die Klage abzuweisen;

–        der Klägerin die Kosten aufzuerlegen.

16      Das Parlament beantragt im Wesentlichen, den Anträgen der Kommission stattzugeben und die Klage abzuweisen.

17      Der Rat beantragt,

–        den Anträgen der Kommission stattzugeben und die Klage abzuweisen;

–        der Klägerin die Kosten aufzuerlegen.

 Rechtliche Würdigung

18      Zur Stützung ihrer Nichtigkeitsklage macht die Klägerin zwei Klagegründe geltend, die sich jeweils in mehrere Teile gliedern.

 Zum ersten Klagegrund: Verstoß gegen Art. 1 und Art. 9 Abs. 2 und 3 des Übereinkommens von Aarhus, Art. 216 AEUV, Art. 1 Abs. 1 Buchst. d, Art. 2 Abs. 1 Buchst. g und Abs. 2 und Art. 10 der Aarhus-Verordnung

19      Im Rahmen des ersten Klagegrundes, der sich in zwei Teile gliedert, macht die Klägerin geltend, die Kommission habe gegen Art. 1 und Art. 9 Abs. 2 und 3 des am 25. Juni 1998 in Aarhus unterzeichneten und mit dem Beschluss 2005/370/EG des Rates vom 17. Februar 2005 (ABl. 2005, L 124, S. 1) im Namen der Europäischen Union genehmigten Übereinkommens über den Zugang zu Informationen, die Öffentlichkeitsbeteiligung an Entscheidungsverfahren und den Zugang zu Gerichten in Umweltangelegenheiten (im Folgenden: Übereinkommen von Aarhus), Art. 216 AEUV, Art. 1 Abs. 1 Buchst. d, Art. 2 Abs. 1 Buchst. g und Abs. 2 und Art. 10 der Aarhus-Verordnung verstoßen.

 Zum ersten Teil: Verstoß gegen Art. 1 Abs. 1 Buchst. d, Art. 2 Abs. 1 Buchst. g und Abs. 2 und Art. 10 der Aarhus-Verordnung

20      Mit dem ersten Teil macht die Klägerin geltend, dass sich das in Art. 10 Abs. 1 der Aarhus-Verordnung vorgesehene Verfahren zur internen Überprüfung vom Vertragsverletzungsverfahren nach den Art. 258 und 260 AEUV unterscheide, dass die Kommission am 30. Januar 2020 eine Einzelfallentscheidung in Umweltangelegenheiten erlassen habe, die rechtsverbindlich sei, dass diese sehr wohl unter die Definition des Verwaltungsakts im Sinne von Art. 2 Abs. 1 Buchst. g der Aarhus-Verordnung falle und dass diese Entscheidung daher Gegenstand einer internen Überprüfung sein könne, weshalb der darauf gerichtete Antrag nicht für unzulässig erklärt werden dürfe.

21      Die Kommission, unterstützt vom Königreich der Niederlande, tritt diesem Vorbringen entgegen.

22      Nach Art. 10 Abs. 1 der Aarhus-Verordnung kann jede Nichtregierungsorganisation, die die in Art. 11 dieser Verordnung festgelegten Kriterien erfüllt, bei dem Unionsorgan, das einen Verwaltungsakt nach dem Umweltrecht angenommen hat, eine interne Überprüfung beantragen.

23      Der in Art. 10 Abs. 1 der Aarhus-Verordnung enthaltene Begriff „Verwaltungsakt“ wird in Art. 2 Abs. 1 Buchst. g dieser Verordnung definiert als jede Maßnahme des Umweltrechts zur Regelung eines Einzelfalls, die von einem Unionsorgan getroffen wird, rechtsverbindlich ist und Außenwirkung hat.

24      Art. 2 Abs. 2 Buchst. b der Aarhus-Verordnung legt auch die Grenzen des Begriffs „Verwaltungsakt“ fest, indem er bestimmt, dass er nicht Verwaltungsakte eines Organs oder einer Einrichtung der Union erfasst, wenn diese in ihrer Eigenschaft als Aufsichtsbehörde wie etwa im Rahmen der Art. 258 und 260 AEUV, die das Vertragsverletzungsverfahren betreffen, handeln.

25      Im vorliegenden Fall wies die Kommission den von der Klägerin gestellten Antrag auf interne Überprüfung des Schreibens vom 30. Januar 2020 – d. h. des Schreibens, mit dem der Klägerin mitgeteilt wurde, dass die Kommission beschlossen habe, der Beschwerde nicht weiter nachzugehen, da sie über keinen neuen maßgeblichen Gesichtspunkt verfüge, der die Einleitung eines Vertragsverletzungsverfahrens gegen das Königreich der Niederlande rechtfertigen könne  – als unzulässig zurück.

26      Zunächst war die Kommission der Auffassung, dass eine interne Überprüfung gemäß Art. 2 Abs. 2 der Aarhus-Verordnung nicht möglich sei, wenn es sich um Verwaltungsakte von Organen oder Einrichtungen der Europäischen Union handele, die in ihrer Eigenschaft als Aufsichtsbehörde handelten.

27      Das von der Klägerin über das Tool complaint handling eingeleitete Beschwerdeverfahren (im Folgenden: CHAP-Verfahren) könne den ersten Schritt darstellen, der zur Einleitung eines Vertragsverletzungsverfahrens führe, und zwar in dem Sinne, dass es der Kommission ermögliche, mögliche Verstöße gegen die Unionsvorschriften durch die Mitgliedstaaten zu bewerten und die Maßnahmen zu ergreifen, die sie für angemessen halte.

28      Gemäß Art. 2 Abs. 2 Buchst. b der Aarhus-Verordnung fielen Vertragsverletzungsverfahren nicht unter den Begriff „Verwaltungsakt“ im Sinne von Art. 2 Abs. 1 Buchst. g der Aarhus-Verordnung oder den Begriff „Unterlassung“ im Sinne von Art. 2 Abs. 1 Buchst. h dieser Verordnung, und die Verfahren zur Behandlung von Beschwerden seien nur dafür da, um ihr die Erfüllung ihrer Aufgabe als Hüterin der Verträge nach Art. 17 EUV und den Art. 258 ff. AEUV zu ermöglichen. Solche Verfahren zur Behandlung von Beschwerden dürften daher nach der Aarhus-Verordnung nicht anders behandelt werden als Vertragsverletzungsverfahren.

29      Außerdem wies sie darauf hin, dass sie der Klägerin gemäß Nr. 10 des Dokuments „Verwaltungsverfahren für die Beziehungen zu Beschwerdeführern in Fällen der Anwendung von Unionsrecht“ im Anhang der Mitteilung der Kommission „EU-Recht: Bessere Ergebnisse durch bessere Anwendung“ (ABl. 2017, C 18, S. 10) die Gründe für die geplante Schließung des Vorgangs mitgeteilt und sie aufgefordert habe, dazu Stellung zu nehmen.

30      Schließlich führte die Kommission aus, dass die Schreiben der Klägerin vom 6. und 21. September 2019 sowie vom 8. Januar 2020 keine maßgeblichen neuen Gesichtspunkte enthalten hätten und sie den Vorgang daher geschlossen habe.

31      Aus diesen Gründen wies die Kommission den Antrag der Klägerin auf interne Überprüfung als unzulässig zurück.

32      Es ist zu prüfen, ob die Kommission zutreffend die Auffassung vertreten hat, dass der Antrag der Klägerin nach Art. 10 Abs. 1 der Aarhus-Verordnung auf interne Überprüfung unzulässig war.

33      Als Erstes ist zu untersuchen, ob die Kommission in ihrer Eigenschaft als Aufsichtsbehörde im Sinne des in Art. 258 AEUV vorgesehenen Vertragsverletzungsverfahrens handelte, als sie mit Schreiben vom 30. Januar 2020 beschloss, der Beschwerde der Klägerin nicht weiter nachzugehen, und daher, ob dieses Schreiben gemäß Art. 2 Abs. 2 Buchst. b der Aarhus-Verordnung keinen Verwaltungsakt im Sinne von Art. 2 Abs. 1 Buchst. g der Aarhus-Verordnung darstellte.

34      In ihrer Beschwerde machte die Klägerin geltend, dass das Königreich der Niederlande gegen die Richtlinie 2008/50 und insbesondere ihren Anhang III (der die Beurteilung der Luftqualität und die Lage der Probenahmestellen betrifft) verstoßen habe, weil die in der Richtlinie festgelegten Grenzwerte nicht in der darin vorgeschriebenen Art und Weise gemessen worden seien.

35      Mit Schreiben vom 30. Januar 2020 teilte die Kommission der Klägerin mit, dass sie beschlossen habe, der Beschwerde nicht weiter nachzugehen, weil sie in ihren Schreiben vom 6. und 21. September 2019 sowie vom 8. Januar 2020 keinen maßgeblichen neuen Gesichtspunkt vorgetragen habe, der die Einleitung eines Vertragsverletzungsverfahrens gegen das Königreich der Niederlande rechtfertigen könne.

36      Aufgrund der oben genannten Umstände ist davon auszugehen, dass der Beschluss der Kommission, der Beschwerde der Klägerin nicht weiter nachzugehen, eindeutig dahin zu verstehen ist, dass er die Weigerung der Kommission zum Ausdruck bringt, wegen des angeblichen Verstoßes gegen die Pflichten, die dem Königreich der Niederlande gemäß dem Unionsrecht obliegen, ein Verfahren nach Art. 258 AEUV gegen diesen Mitgliedstaat einzuleiten.

37      Diese Auslegung wird im Übrigen durch die Tatsache bestätigt, dass der Beschluss, der Beschwerde nicht weiter nachzugehen, ergangen ist, um das Verfahren CHAP (2019) 2512 abzuschließen, also ein Verfahren, das dazu bestimmt ist, bei der Kommission eingegangene Untersuchungsanträge und Beschwerden zum Thema Verstöße der Mitgliedstaaten gegen das Unionsrecht zu behandeln, sowie durch verschiedene dahin gehende Bemerkungen der Kommission in ihrem Schreiben vom 30. Januar 2020.

38      Nachdem die Kommission ausgeführt hatte, dass sie keine Berufungsinstanz für von den niederländischen Gerichten erlassene Entscheidungen sei, hat sie nämlich unmissverständlich zum Ausdruck gebracht, dass sie nur dann beabsichtige, gegen einen Mitgliedstaat vorzugehen, wenn die Entscheidungen seiner Institutionen gegen das Unionsrecht zu verstoßen schienen. In diesem Sinne hat sie eindeutig erklärt, dass es im vorliegenden Fall nicht genügend Indizien gebe, die die Einleitung eines Vertragsverletzungsverfahrens rechtfertigen könnten.

39      In diesem Kontext versucht die Klägerin, einen Unterschied zwischen dem EU-Pilotverfahren und dem CHAP-Verfahren herzustellen und geltend zu machen, dass die Erwägung, das EU-Pilotverfahren sei untrennbar mit einem Vertragsverletzungsverfahren verbunden, nicht auf das CHAP-Verfahren erstreckt werden könne.

40      Es ist zunächst darauf hinzuweisen, dass nach der Rechtsprechung das EU-Pilotverfahren eine Art „Vorläufer“ zum Verfahren nach Art. 258 AEUV darstellt und dass es daher untrennbar mit einem Vertragsverletzungsverfahren verbunden ist. Der Unionsrichter hat nämlich entschieden, dass durch das EU-Pilotverfahren, auch wenn es nicht auf dieser Bestimmung beruht, das herkömmliche Vorgehen der Kommission in Fällen, in denen sie eine Beschwerde erhalten hat oder von sich aus tätig geworden ist, strukturiert wurde (Urteil vom 25. September 2014, Spirlea/Kommission, T‑306/12, EU:T:2014:816, Rn. 66), und somit der Informationsaustausch, der herkömmlicherweise zwischen der Kommission und den Mitgliedstaaten während der informellen Phase einer Untersuchung in Bezug auf mögliche Verstöße gegen das Unionsrecht stattfindet, lediglich formalisiert oder strukturiert wurde (Urteil vom 11. Mai 2017, Schweden/Kommission, C‑562/14 P, EU:C:2017:356, Rn. 43).

41      Nach diesem Hinweis stellt sich die Frage, ob diese Argumentation zum EU-Pilotverfahren auf das im vorliegenden Fall von der Klägerin eingeleitete CHAP-Verfahren erstreckt werden kann.

42      Es ist festzustellen, dass das von der Klägerin eingeleitete CHAP-Beschwerdeverfahren einen ersten Schritt darstellte, der zur Einleitung des Vertragsverletzungsverfahrens nach Art. 258 AEUV führen konnte, und dass dieses Verfahren keine andere Zielrichtung hatte, als der Kommission die Erfüllung ihrer Aufgabe als Hüterin der Verträge nach Art. 17 EUV und Art. 258 AEUV zu ermöglichen.

43      Die Erwägung, dass die von der Klägerin bei der Kommission erhobene Beschwerde nur im Kontext eines Verfahrens zur Feststellung einer Vertragsverletzung nach Art. 258 AEUV aufgefasst werden konnte, wird durch die Feststellung verstärkt, dass die einzige günstige Folge, die die Kommission dieser Beschwerde hätte geben können, eben darin bestanden hätte, ein solches Verfahren gegen das Königreich der Niederlande einzuleiten (vgl. in diesem Sinne Beschlüsse vom 15. Januar 2007, Sellier/Kommission, T‑276/06, nicht veröffentlicht, EU:T:2007:6, Rn. 9, vom 16. April 2012, F91 Diddeléng u. a./Kommission, T‑341/10, nicht veröffentlicht, EU:T:2012:183, Rn. 24 und 25, sowie vom 21. Oktober 2014, Bharat Heavy Electricals/Kommission, T‑374/14, nicht veröffentlicht, EU:T:2014:931, Rn. 8).

44      Wie die Klägerin hervorgehoben hat, trifft es zwar zu, dass neben der Eröffnung eines EU-Pilotverfahrens oder eines Vertragsverletzungsverfahrens oder einer Schließung des Vorgangs das CHAP-Verfahren auch zu anderen Problemlösungsmechanismen führen könnte und dass mit diesem Verfahren somit die Einleitung eines Vertragsverletzungsverfahrens gegen den betreffenden Mitgliedstaat vermieden werden könnte.

45      Allerdings ist zum einen hervorzuheben, dass diese möglichen Problemlösungsmechanismen, so wirksam sie auch sein mögen, informell sind und der Rückgriff auf sie im Ermessen der Kommission steht. Wenn diese mit dem Ausgang der Gespräche in diesem Rahmen nicht zufrieden ist, kann sie immer noch das offizielle Verfahren wiederaufnehmen. Wenn dieses offizielle Verfahren weitergeführt wird, führt es unweigerlich zur Schließung des Beschwerdevorgangs, zur Einleitung eines EU-Pilotdossiers oder der Einleitung eines Verfahrens zur Feststellung einer Vertragsverletzung nach Art. 258 AEUV.

46      Zum anderen äußert sich die starke Ähnlichkeit zwischen dem CHAP-Verfahren und dem EU-Pilotverfahren auch in der Tatsache, dass mit dem einen und dem anderen ein Vertragsverletzungsverfahren gegen einen Mitgliedstaat eingeleitet, die Einleitung eines solchen Verfahrens aber auch vermieden werden kann.

47      Daher ist davon auszugehen, dass das von der Klägerin eingeleitete CHAP-Verfahren genauso wie das EU-Pilotverfahren untrennbar mit einem Vertragsverletzungsverfahren verbunden war.

48      Als Zweites konnte unter Berücksichtigung der Tatsache, dass das von der Klägerin eingeleitete Beschwerdeverfahren den ersten Schritt eines Verfahrens darstellte, das die Kommission dazu veranlassen konnte, ein Vertragsverletzungsverfahren nach Art. 258 AEUV einzuleiten, und dass diese daher in ihrer Eigenschaft als Aufsichtsbehörde im Rahmen des Vertragsverletzungsverfahrens handelte, das Schreiben vom 30. Januar 2020 – mit dem die Klägerin darüber informiert wurde, dass sie entschieden habe, der Beschwerde nicht weiter nachzugehen – keinen Verwaltungsakt darstellen, der Gegenstand einer Überprüfung nach Art. 10 der Aarhus-Verordnung sein kann. Art. 2 Abs. 2 Buchst. b dieser Verordnung schließt diese Handlung nämlich eindeutig von dem in Art. 2 Abs. 1 Buchst. g dieser Verordnung definierten Begriff „Verwaltungsakt“ aus.

49      Entgegen dem Vorbringen der Klägerin fiel ihr Antrag auf Überprüfung somit nicht in den sachlichen Anwendungsbereich eines nach Art. 10 der Aarhus-Verordnung gestellten Antrags, da dieser Anwendungsbereich durch Art. 2 Abs. 2 dieser Verordnung begrenzt ist.

50      Demzufolge hat die Kommission den Antrag nach Art. 10 der Aarhus-Verordnung auf interne Überprüfung des Beschlusses, das Beschwerdeverfahren CHAP (2019) 2512 zu schließen, zutreffend als unzulässig zurückgewiesen.

51      Die Klägerin versucht vergeblich, dieses Ergebnis in Frage zu stellen.

52      Erstens macht die Klägerin geltend, dass die Kommission dadurch, dass sie den Antrag auf interne Überprüfung für unzulässig erklärt habe, das Gericht daran hindere, über Umweltfragen – im vorliegenden Fall über die zutreffende Auslegung von Anhang III, Abschnitt C der Richtlinie 2008/50 – zu entscheiden, und sich so eine gerichtliche Zuständigkeit anmaße, die ihr nicht zustehe.

53      Dieses Vorbringen ist zurückzuweisen. Wie die Kommission zutreffend hervorhebt, hat sie sich nicht eine gerichtliche Zuständigkeit angeeignet, sondern lediglich ein Ermessen ausgeübt, das ihr vom AEU-Vertrag und der ständigen Rechtsprechung eingeräumt wird. Der Unionsrichter hat nämlich hervorgehoben, dass sie bei der Frage, ob sie ein Vertragsverletzungsverfahren einleitet oder nicht, über ein Ermessen verfügt. Der Einzelne hat daher nicht das Recht, von ihr eine Stellungnahme in einem bestimmten Sinn zu verlangen. Die Kommission ist somit nicht verpflichtet, ein Verfahren nach Art. 258 AEUV einzuleiten. Die Klägerin, die eine Beschwerde erhoben hatte, hatte in Ermangelung von im Unionsrecht vorgesehenen Verfahrensrechten, die es ihr ermöglichen, von der Kommission Information und Anhörung zu verlangen, nicht die Möglichkeit, eine etwaige Entscheidung, ihrer Beschwerde nicht nachzugehen, mit einer Klage beim Unionsrichter anzufechten (Beschlüsse vom 14. Januar 2004, Makedoniko Metro und Michaniki/Kommission, T‑202/02, EU:T:2004:5, Rn. 46, und vom 19. November 2014, Mirelta Ingatlanhasznosító/Kommission und Bürgerbeauftragter, T‑430/14, nicht veröffentlicht, EU:T:2014:996, Rn. 6; vgl. in diesem Sinne auch Beschluss vom 17. Juli 1998, Sateba/Kommission, C‑422/97 P, EU:C:1998:395, Rn. 42).

54      Art. 2 Abs. 2 Buchst. b der Aarhus-Verordnung fügt sich in die Logik des AEU-Vertrags – und insbesondere, was die vorliegende Rechtssache betrifft, von Art. 258 AEUV – und der in Rn. 53 des vorliegenden Urteils angeführten Rechtsprechung ein, da er vorsieht, dass von den Handlungen oder Unterlassungen, die Gegenstand einer Überprüfung nach Art. 10 dieser Verordnung sein können, die nach den Art. 258 und 260 AEUV erlassenen Verwaltungsakte ausgenommen sind.

55      Zweitens macht die Klägerin zu Unrecht geltend, dass sich die Kommission dadurch, dass sie die Auffassung vertrete, dass es nicht möglich sei, die Überprüfung einer von ihr auf eine Beschwerde hin abgegebenen Stellungnahme zu verlangen, eine ausschließliche Zuständigkeit über Umweltfragen anmaße. Der Antrag auf interne Überprüfung ist im vorliegenden Fall nämlich aus einem in Art. 2 Abs. 2 Buchst. b der Aarhus-Verordnung eindeutig angegebenen Grund unzulässig, und zwar, weil er gegen einen Beschluss gerichtet ist, kein Vertragsverletzungsverfahren gegen einen Mitgliedstaat einzuleiten.

56      Die Klägerin legt im Übrigen nicht dar, dass außer den in Art. 2 Abs. 2 der Aarhus-Verordnung vorgesehenen Fällen die bei der Kommission erhobenen Beschwerden über Umweltfragen genauso behandelt und somit alle für unzulässig erklärt würden.

57      Drittens trägt die Klägerin vergebens vor, dass es die Kommission Umweltschutzorganisationen unmöglich gemacht oder erheblich erschwert habe, die Rechte auszuüben, die ihnen nach dem Unionsrecht und internationalen Verträgen zustünden, dass sie damit gegen die ratio legis der Aarhus-Verordnung verstoßen habe und dass sie den wirksamen Zugang zu Gericht in Umweltangelegenheiten beeinträchtigt habe.

58      Zum einen hat sich die Kommission nämlich an die Beschränkung gehalten, die der Gesetzgeber selbst in der Aarhus-Verordnung vorgesehen hat, nämlich in die Verwaltungsakte oder Unterlassungen, die nach Art. 10 dieser Verordnung überprüft werden können, bestimmte Verwaltungsakte, wie die nach Art. 258 AEUV erlassenen, nicht einzubeziehen.

59      Zum anderen ist darauf hinzuweisen, dass das Verfahren der internen Überprüfung nach Art. 10 der Aarhus-Verordnung den Zugang von Nichtregierungsorganisationen zu Gericht erleichtern soll – da diese weder ein ausreichendes Interesse noch eine Beeinträchtigung eines Rechts geltend machen müssen, um dieses Recht gemäß Art. 263 Abs. 4 AEUV ausüben zu können – und dass diese Verordnung somit darauf hinausläuft, diesen Gruppierungen die Adressateneigenschaft zuzuerkennen (vgl. in diesem Sinne Schlussanträge des Generalanwalts Jääskinen in den verbundenen Rechtssachen Rat u. a./Vereniging Milieudefensie und Stichting Stop Luchtverontreiniging Utrecht, C‑401/12 P bis C‑403/12 P, EU:C:2014:310, Nr. 124, und des Generalanwalts Szpunar in der Rechtssache TestBioTech u. a./Kommission, C‑82/17 P, EU:C:2018:837, Nr. 36).

60      Demnach hat das in Art. 10 der Aarhus-Verordnung festgelegte Verfahren der internen Überprüfung nicht zum Gegenstand, die Erhebung einer Klage gegen Maßnahmen zu ermöglichen, die aus Gründen, die nichts mit der fehlenden Klagebefugnis von Nichtregierungsorganisationen zu tun haben, nicht gemäß Art. 263 AEUV angefochten werden könnten.

61      Nach alledem ist der erste Teil des ersten Klagegrundes zurückzuweisen.

 Zum zweiten, hilfsweise, geltend gemachten Teil: Einrede der Rechtswidrigkeit von Art. 2 Abs. 2 Buchst. b und Art. 10 der Aarhus-Verordnung wegen der fehlenden vollständigen Umsetzung der Pflichten aus Art. 9 Abs. 3 des Übereinkommens von Aarhus in Verbindung mit seinem Art. 1, sowie Verstoß gegen Art. 216 AEUV

62      Mit dem zweiten Teil macht die Klägerin hilfsweise eine Einrede der Rechtswidrigkeit von Art. 2 Abs. 2 Buchst. b und Art. 10 der Aarhus-Verordnung, da diese Bestimmungen keine vollständige Umsetzung der Pflichten aus Art. 9 Abs. 3 des Übereinkommens von Aarhus in Verbindung mit seinem Art. 1 seien, sowie einen Verstoß gegen Art. 216 AEUV geltend.

63      Die Kommission – dabei unterstützt vom Königreich der Niederlande, dem Parlament und dem Rat – tritt dem Vorbringen der Klägerin entgegen.

64      Es ist festzustellen, dass die Argumentation der Klägerin nur auf dem Ergebnis, zu dem das Gericht in seinem Urteil vom 14. Juni 2012, Vereniging Milieudefensie und Stichting Stop Luchtverontreiniging Utrecht/Kommission (T‑396/09, EU:T:2012:301), gekommen ist, und auf der Argumentation des Generalanwalts Jääskinen in seinen Schlussanträgen in den verbundenen Rechtssachen Rat u. a./Vereniging Milieudefensie und Stichting Stop Luchtverontreiniging Utrecht (C‑401/12 P bis C‑403/12 P, EU:C:2014:310), beruht.

65      Im Urteil vom 14. Juni 2012, Vereniging Milieudefensie und Stichting Stop Luchtverontreiniging Utrecht/Kommission (T‑396/09, EU:T:2012:301), hatte das Gericht entschieden, dass das Übereinkommen von Aarhus wie jedes andere von der Union geschlossene internationale Übereinkommen Vorrang vor Rechtsakten des abgeleiteten Unionsrechts genießt, dass der Unionsrichter die Gültigkeit einer Verordnungsbestimmung nur dann an einem völkerrechtlichen Vertrag messen kann, wenn dessen Art und Struktur dem nicht entgegenstehen, und dass seine Bestimmungen außerdem inhaltlich unbedingt und hinreichend genau erscheinen.

66      Das Gericht hat jedoch unter Verweis insbesondere auf die Urteile vom 22. Juni 1989, Fediol/Kommission (70/87, EU:C:1989:254), und vom 7. Mai 1991, Nakajima/Rat (C‑69/89, EU:C:1991:186), klargestellt, dass es nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs dem Unionsrichter obliegt, die Rechtmäßigkeit eines Rechtsakts der Union an den Bestimmungen eines internationalen Übereinkommens zu messen, durch die für den Einzelnen nicht das Recht begründet wird, sich vor Gericht auf diese Bestimmungen zu berufen, wenn die Union eine bestimmte im Rahmen dieses Übereinkommens übernommene Verpflichtung erfüllen wollte oder der Rechtsakt des abgeleiteten Rechts ausdrücklich auf spezielle Bestimmungen dieses Übereinkommens verweist. Das Gericht hat daraus geschlossen, dass der Unionsrichter die Rechtmäßigkeit einer Verordnung, mit der eine den Unionsorganen durch einen völkerrechtlichen Vertrag auferlegte Verpflichtung erfüllt werden soll, an diesem Vertrag messen können muss (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 14. Juni 2012, Vereniging Milieudefensie und Stichting Stop Luchtverontreiniging Utrecht/Kommission, T‑396/09, EU:T:2012:301, Rn. 54).

67      Das Gericht ist davon ausgegangen, dass diese Voraussetzungen in der betreffenden Rechtssache erfüllt waren, weil zum einen die Klägerinnen, die sich nicht auf die unmittelbare Wirkung der Bestimmungen des Übereinkommens beriefen, inzidenter gemäß Art. 277 AEUV die Gültigkeit einer Bestimmung der Aarhus-Verordnung im Hinblick auf das Übereinkommen von Aarhus in Frage gestellt hatten und zum anderen diese Verordnung – wie aus Art. 1 Abs. 1 sowie dem 18. Erwägungsgrund der Verordnung hervorgeht – zur Erfüllung der sich aus Art. 9 Abs. 3 des Übereinkommens von Aarhus ergebenden internationalen Verpflichtungen der Union erlassen worden ist. Das Gericht ist daher zu dem Ergebnis gekommen, dass Art. 10 Abs. 1 der Aarhus-Verordnung, da er ein Verfahren der internen Überprüfung nur für „Verwaltungsakte“ vorsieht, die als „Maßnahme[n] … zur Regelung eines Einzelfalls“ definiert werden, und somit „Maßnahmen mit allgemeiner Geltung“ ausschließt, mit Art. 9 Abs. 3 des Übereinkommens von Aarhus unvereinbar ist (Urteil vom 14. Juni 2012, Vereniging Milieudefensie und Stichting Stop Luchtverontreiniging Utrecht/Kommission, T‑396/09, EU:T:2012:301, Rn. 57, 58 und 69).

68      Im Rahmen des Rechtsmittelverfahrens war Generalanwalt Jääskinen der Ansicht, dass Art. 9 Abs. 3 des Übereinkommens von Aarhus in Anbetracht seines Zwecks und seiner Systematik daher zum Teil eine hinreichend klare Vorschrift darstelle, um die Grundlage für eine Rechtmäßigkeitskontrolle hinsichtlich des Zugangs zu den Gerichten durch die nach nationalem Recht oder nach Unionsrecht klagebefugten Organisationen bilden zu können, und dass infolgedessen diese Vorschrift als Referenzkriterium für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Handlungen der Unionsorgane dienen könne (Schlussanträge des Generalanwalts Jääskinen in den verbundenen Rechtssachen Rat u. a./Vereniging Milieudefensie und Stichting Stop Luchtverontreiniging Utrecht, C‑401/12 P bis C‑403/12 P, EU:C:2014:310, Nr. 95).

69      Es ist jedoch hervorzuheben, dass der Gerichtshof der vom Gericht zugrunde gelegten und von Generalanwalt Jääskinen verteidigten Lösung nicht gefolgt ist.

70      Nach der Rechtsprechung können die Bestimmungen eines internationalen Übereinkommens, dessen Vertragspartei die Union ist, zur Begründung einer Klage auf Nichtigerklärung einer Handlung des Sekundärrechts der Union oder einer Einrede der Rechtswidrigkeit einer solchen Handlung nur unter der Voraussetzung geltend gemacht werden, dass zum einen Art und Struktur des betreffenden Vertrags dem nicht entgegenstehen und zum anderen diese Bestimmungen inhaltlich unbedingt und hinreichend genau erscheinen (Urteile vom 3. Juni 2008, Intertanko u. a., C‑308/06, EU:C:2008:312, Rn. 45, vom 9. September 2008, FIAMM u. a./Rat und Kommission, C‑120/06 P und C‑121/06 P, EU:C:2008:476, Rn. 110, und vom 21. Dezember 2011, Air Transport Association of America u. a., C‑366/10, EU:C:2011:864, Rn. 54).

71      Der Gerichtshof hat entschieden, dass Art. 9 Abs. 3 des Übereinkommens von Aarhus keine klare und präzise Verpflichtung enthält, die die rechtliche Situation Einzelner unmittelbar regeln könnte (Urteil vom 8. März 2011, Lesoochranárske zoskupenie, C‑240/09, EU:C:2011:125, Rn. 45). Da nämlich nur „Mitglieder der Öffentlichkeit, sofern sie etwaige [im] innerstaatlichen Recht festgelegte Kriterien erfüllen“, Inhaber der in Art. 9 Abs. 3 dieses Übereinkommens vorgesehenen Rechte sind, hängen die Durchführung und die Wirkungen dieser Vorschrift vom Erlass eines weiteren Rechtsakts ab (Urteil vom 13. Januar 2015, Rat u. a./Vereniging Milieudefensie und Stichting Stop Luchtverontreiniging Utrecht, C‑401/12 P bis C‑403/12 P, EU:C:2015:4, Rn. 55).

72      Demzufolge kam der Gerichtshof zu dem Ergebnis, dass Art. 9 Abs. 3 des Übereinkommens von Aarhus, auf dem Art. 10 Abs. 1 der Aarhus-Verordnung beruht, nicht zur Beurteilung der Rechtmäßigkeit des zuletzt genannten Artikels herangezogen werden kann (Urteil vom 13. Januar 2015, Rat u. a./Vereniging Milieudefensie und Stichting Stop Luchtverontreiniging Utrecht, C‑401/12 P bis C‑403/12 P, EU:C:2015:4, Rn. 61). Auf dieses Ergebnis wurde vom Gericht mehrfach hingewiesen (Urteile vom 15. Dezember 2016, TestBioTech u. a./Kommission, T‑177/13, nicht veröffentlicht, EU:T:2016:736, Rn. 50, und vom 14. März 2018, TestBioTech/Kommission, T‑33/16, EU:T:2018:135, Rn. 88).

73      Die Klägerin gibt in ihren Schriftsätzen die Argumentation von Generalanwalt Jääskinen in seinen Schlussanträgen in den verbundenen Rechtssachen Rat u. a./Vereniging Milieudefensie und Stichting Stop Luchtverontreiniging Utrecht (C‑401/12 P bis C‑403/12 P, EU:C:2014:310) wörtlich wieder und hebt lediglich hervor, dass der von ihm vertretene Standpunkt nicht hinreichend berücksichtigt worden sei. Sie hat jedoch kein Argument vorgetragen, das es rechtfertigen würde, dass das Gericht von der letztlich vom Gerichtshof in seinem Urteil vom 13. Januar 2015, Rat u. a./Vereniging Milieudefensie und Stichting Stop Luchtverontreiniging Utrecht (C‑401/12 P bis C‑403/12 P, EU:C:2015:4), zugrunde gelegten Lösung abweicht.

74      Aus dem Vorstehenden ergibt sich, dass Art. 9 Abs. 3 des Übereinkommens von Aarhus nicht als Vorschrift dienen kann, die zur Beurteilung der Rechtmäßigkeit von Art. 10 der Aarhus-Verordnung geltend gemacht werden kann.

75      Daraus folgt, dass die Rüge, Art. 2 Abs. 2 Buchst. b und Art. 10 der Aarhus-Verordnung seien in Anbetracht von Art. 9 Abs. 3 des Übereinkommens von Aarhus rechtswidrig, als unbegründet zurückzuweisen ist.

76      Keines der Argumente der Klägerin kann dieses Ergebnis in Frage stellen.

77      Erstens beruft sich die Klägerin aus dem oben in Rn. 74 angeführten Grund vergebens auf die Feststellungen des Ausschusses zur Überwachung der Einhaltung des Übereinkommens von Aarhus vom 17. März 2017 „Findings and Recommendations of the Compliance Committee with Regard to Communication ACCC/C/2008/32 (Part II) Concerning Compliance by the European Union“ (Feststellungen und Empfehlungen des Ausschusses zur Überwachung der Einhaltung des Übereinkommens von Aarhus in Bezug auf die Mitteilung ACCC/C/2008/32 [Teil II] über die Einhaltung durch die Europäische Union), wonach der Ansatz der Kommission den Pflichten aus dem Übereinkommen von Aarhus in Bezug auf den Zugang zu Gericht in Umweltangelegenheiten zuwiderlaufe.

78      Überdies kommen die Feststellungen in diesem Bericht nicht ausdrücklich zu dem Schluss, dass die Bestimmung, die die Unzulässigkeit eines Antrags nach Art. 10 der Aarhus-Verordnung auf interne Überprüfung der Entscheidung, kein Vertragsverletzungsverfahren nach Art. 258 AEUV einzuleiten, vorsieht, rechtswidrig sei.

79      In den Rn. 106 bis 112 dieser Feststellungen hat der Ausschuss Bedenken hinsichtlich der Vereinbarkeit des Begriffs „Aufsichtsbehörde“ in Art. 2 Abs. 2 der Aarhus-Verordnung geäußert. Das Übereinkommen von Aarhus nehme vom Begriff „Behörde“ die „Gremien oder Einrichtungen, die in gerichtlicher oder gesetzgebender Eigenschaft handeln“ aus, jedoch nicht die Gremien, die in ihrer Eigenschaft als „Aufsichtsbehörde“ handelten. Daraus müsse die Schlussfolgerung gezogen werden, dass das Übereinkommen von Aarhus zwischen Gerichts- und Verwaltungsverfahren unterscheide und Behörden nur dann ausschließe, wenn sie als Gericht handelten, nicht aber, wenn sie als administrative Kontrollinstanz handelten. Deshalb sei er zwar nicht überzeugt, dass die Handlungen oder Unterlassungen aller in Art. 2 Abs. 2 der Aarhus-Verordnung aufgezählten Aufsichtsbehörden, wie diejenigen des Bürgerbeauftragten, der Prüfung nach Art. 9 Abs. 3 des Übereinkommens von Aarhus unterworfen sein müssten, bezweifele aber, dass der allgemeine Ausschluss aller Verwaltungsakte und Unterlassungen von als Aufsichtsbehörde handelnden Organen mit dieser Vorschrift vereinbar sei. Gleichwohl verfüge er über keine konkreten Beispiele von Verstößen und gehe nicht so weit, in dieser Hinsicht einen Verstoß gegen das Übereinkommen festzustellen.

80      Aus diesen Feststellungen kann daher nicht abgeleitet werden, dass der Ausschuss zu dem Ergebnis gekommen ist, dass die Unzulässigkeit eines Antrags nach Art. 10 der Aarhus-Verordnung auf interne Überprüfung der Entscheidung, kein Vertragsverletzungsverfahren nach Art. 258 AEUV einzuleiten, nicht mit Art. 9 Abs. 3 des Übereinkommens von Aarhus vereinbar sei.

81      Zweitens ist in Bezug auf den behaupteten Verstoß gegen Art. 216 AEUV festzustellen, dass die Argumentation in den Schriftsätzen der Klägerin zu keinem Zeitpunkt auf diese Bestimmung Bezug nimmt und auch nicht die Gründe für den angeblichen Verstoß gegen sie präzisiert, wie die Kommission, das Parlament und der Rat hervorheben. Daher ist das Vorbringen zurückzuweisen.

82      Wenn der angebliche Verstoß gegen Art. 216 AEUV als Folge davon zu verstehen sein soll, dass die Kommission Art. 9 Abs. 3 des Übereinkommens von Aarhus, der die Unionsorgane und die Mitgliedstaaten bindet, nicht einhalte, ist dieses Vorbringen zurückzuweisen.

83      Art. 9 Abs. 3 des Übereinkommens von Aarhus sieht nämlich vor, dass „jede Vertragspartei sicher[stellt], dass Mitglieder der Öffentlichkeit, sofern sie etwaige in ihrem innerstaatlichen Recht festgelegte Kriterien erfüllen, Zugang zu verwaltungsbehördlichen oder gerichtlichen Verfahren haben, um die von Privatpersonen und Behörden vorgenommenen Handlungen und begangenen Unterlassungen anzufechten, die gegen umweltbezogene Bestimmungen ihres innerstaatlichen Rechts verstoßen“. Aus dem Wortlaut dieses Artikels geht hervor, dass die Vertragsparteien in Bezug auf die Festlegung der Modalitäten der Einführung dieser Verfahren über einen weiten Ermessensspielraum verfügen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 3. September 2020, Mellifera/Kommission, C‑784/18 P, nicht veröffentlicht, EU:C:2020:630, Rn. 88).

84      Drittens werden die angeblichen Verstöße gegen Art. 1 und Art. 9 Abs. 2 des Übereinkommens von Aarhus weder in der Beschreibung des Klagegrundes noch in dessen Begründung ausgeführt und sind daher zurückzuweisen.

85      Demnach ist der zweite Teil des ersten Klagegrundes zurückzuweisen.

86      Angesichts der Prüfung des ersten Klagegrundes ist davon auszugehen, dass das Vorbringen der Klägerin, die Kommission habe das Königreich der Niederlande aufgefordert, seine internen Vorschriften über Probenahmen zu korrigieren, und dass diese Aufforderung einen Beweis dafür darstelle, dass das Königreich der Niederlande seinen Pflichten aus der Richtlinie 2008/50 nicht nachgekommen sei, ins Leere geht.

87      Selbst unter der Annahme, dass das Königreich der Niederlande gegen die Richtlinie 2008/50 verstoßen habe, hat dieser eventuelle Verstoß keine Auswirkung auf die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Beschlusses, da der Antrag auf Überprüfung zurückgewiesen wurde, weil er unzulässig war, und nicht, weil das Königreich der Niederlande keinen Verstoß gegen diese Richtlinie begangen hat.

88      Nach alledem sind sowohl der erste Teil als auch der zweite Teil des ersten Klagegrundes als unbegründet zurückzuweisen.

 Zum zweiten Klagegrund: Verstoß gegen Art. 5 des Übereinkommens von Aarhus, gegen die Art. 2 und 8 der Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten, gegen die Art. 2 und 7 der Charta der Grundrechte, gegen Art. 3 Abs. 3, Art. 9, Art. 168 Abs. 1 und Art. 191 Abs. 1 und 2 AEUV sowie gegen die Art. 6, 7 und 23 sowie die Anhänge III und XI Abschnitt B der Richtlinie 2008/50

89      Im Rahmen des zweiten Klagegrundes, der sich in vier Teile gliedert, macht die Klägerin geltend, die Kommission habe gegen Art. 5 des Übereinkommens von Aarhus, gegen die Art. 2 und 8 der am 4. November 1950 in Rom unterzeichneten Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten, gegen die Art. 2 und 7 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, gegen Art. 3 Abs. 3, Art. 9, Art. 168 Abs. 1 und Art. 191 Abs. 1 und 2 AEUV sowie gegen die Art. 6, 7 und 23 sowie die Anhänge III und XI Abschnitt B der Richtlinie 2008/50 verstoßen.

90      Die Kommission, unterstützt vom Königreich der Niederlande, ist der Auffassung, dass dieser Klagegrund ins Leere gehe.

91      Es ist darauf hinzuweisen, dass die Kommission mit dem angefochtenen Beschluss den Antrag auf Überprüfung des Beschlusses, der Beschwerde CHAP (2019) 2512 nicht weiter nachzugehen, für unzulässig erklärt hat. Der im angefochtenen Beschluss genannte Grund für die Unzulässigkeit beruht auf der Tatsache, dass die Kommission beim Erlass dieses Beschlusses als Aufsichtsbehörde im Sinne von Art. 2 Abs. 2 der Aarhus-Verordnung gehandelt habe und dass daher dieser Beschluss keinen Verwaltungsakt im Sinne von Art. 2 Abs. 1 Buchst. g dieser Verordnung darstelle.

92      Der Beschluss, der Beschwerde nicht weiter nachzugehen, beinhaltete damit keine definitiven Schlussfolgerungen zu der Frage, ob das Königreich der Niederlande gegen die Richtlinie 2008/50 verstoßen hatte. Dieser Beschluss enthielt nur eine Beurteilung der Kommission zur Möglichkeit, ein Vertragsverletzungsverfahren nach Art. 258 AEUV einzuleiten.

93      Die Argumentation der Klägerin im Rahmen des zweiten Klagegrundes beruht nur auf Sachargumenten, mit denen dem Königreich der Niederlande und in der Folge der Kommission ein Verstoß vorgeworfen wird gegen die Bewertungskriterien für die Luftqualität, gegen das Expositionskriterium und die Pflicht, einen Luftqualitätsplan aufzustellen, die allesamt in der Richtlinie 2008/50 vorgesehen seien, sowie gegen das Recht auf Leben, das in den Art. 2 und 8 der Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten und in den Art. 2 und 7 der Grundrechtecharta verankert sei, und gegen das Recht auf ein hohes Maß an Gesundheitsschutz, das in Art. 9, Art. 168 Abs. 1 und Art. 191 Abs. 1 AEUV verankert sei.

94      Daraus folgt, dass dieser Klagegrund der Klägerin ins Leere geht.

95      Der vorliegende Klagegrund ist daher zurückzuweisen.

96      Ohne dass es erforderlich ist, über die Zulässigkeit des Antrags der Klägerin zu entscheiden, die Akte an die Kommission zurückzuverweisen, damit sie den Antrag für zulässig erklärt und in der Sache entscheidet, ist die Klage in vollem Umfang abzuweisen.

 Kosten

97      Nach Art. 134 Abs. 1 der Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da die Klägerin unterlegen ist, ist sie zur Tragung ihrer eigenen Kosten und entsprechend dem Antrag der Kommission zur Tragung von deren Kosten zu verurteilen.

98      Nach Art. 138 Abs. 1 der Verfahrensordnung tragen die Mitgliedstaaten und die Organe, die dem Rechtsstreit als Streithelfer beigetreten sind, ihre eigenen Kosten. Das Königreich der Niederlande, das Parlament und der Rat tragen daher ihre eigenen Kosten.

Aus diesen Gründen hat

DAS GERICHT (Zweite Kammer)

für Recht erkannt und entschieden:

1.      Die Klage wird abgewiesen.

2.      Die Stichting Comité N 65 Ondergronds Helvoirt trägt ihre eigenen Kosten sowie die Kosten der Europäischen Kommission.

3.      Das Königreich der Niederlande, das Europäische Parlament und der Rat der Europäischen Union tragen ihre eigenen Kosten.

Tomljenović

Schalin

Nõmm

Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 15. Dezember 2021.

Unterschriften


*      Verfahrenssprache: Niederländisch.