URTEIL DES GERICHTSHOFES (Sechste Kammer)
8. Juli 1999 (1)
„Rechtsmittel Verfahrensordnung des Gerichts Wiedereröffnung der
mündlichen Verhandlung Geschäftsordnung der Kommission Verfahren für
den Erlaß einer Entscheidung des Kommissionskollegiums“
In der Rechtssache C-227/92 P
Hoechst AG, Frankfurt am Main (Deutschland), Prozeßbevollmächtigter:
Rechtsanwalt H. Hellmann, Köln, Zustellungsanschrift: Kanzlei der
Rechtsanwälte Loesch und Wolter, 8, rue Zithe, Luxemburg,
unterstützt durch
DSM NV, Heerlen (Niederlande), Prozeßbevollmächtigter: Rechtsanwalt
I. G. F. Cath, Den Haag, Zustellungsanschrift: Kanzlei des Rechtsanwalts
L. Dupong, 14 A, rue des Bains, Luxemburg,
Streithelferin im Rechtsmittelverfahren,
betreffend ein Rechtsmittel gegen das Urteil des Gerichts erster Instanz der
Europäischen Gemeinschaften (Erste Kammer) vom 10. März 1992 in der
Rechtssache T-10/89 (Hoechst/Kommission, Slg. 1992, II-629) wegen Aufhebung
dieses Urteils,
anderer Verfahrensbeteiligter:
Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch Rechtsberater
G. zur Hausen als Bevollmächtigten, Zustellungsbevollmächtigter: C. Gómez de la
Cruz, Juristischer Dienst, Centre Wagner, Luxemburg-Kirchberg,
Beklagte in der ersten Instanz,
erläßt
DER GERICHTSHOF (Sechste Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten P. J. G. Kapteyn sowie der Richter
G. Hirsch, G. F. Mancini (Berichterstatter), J. L. Murray und H. Ragnemalm,
Generalanwalt: G. Cosmas
Kanzler: H. von Holstein, Hilfskanzler, und D. Louterman-Hubeau,
Hauptverwaltungsrätin
aufgrund des Sitzungsberichts,
nach Anhörung der Beteiligten in der Sitzung vom 12. März 1997, in der die
Hoechst AG durch die Rechtsanwälte O. Lieberknecht und M. Klusmann,
Düsseldorf, die DSM NV durch Rechtsanwalt I. G. F. Cath und die Kommission
durch G. zur Hausen vertreten waren,
nach Anhörung der Schlußanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 15. Juli
1997,
folgendes
Urteil
- 1.
- Die Hoechst AG hat mit Rechtsmittelschrift, die am 18. Mai 1992 bei der Kanzlei
des Gerichtshofes eingegangen ist, gemäß Artikel 49 der EG-Satzung des
Gerichtshofes ein Rechtsmittel gegen das Urteil des Gerichts erster Instanz vom
10. März 1992 in der Rechtssache T-10/89 (Hoechst/Kommission, Slg. 1992, II-629;
im folgenden: angefochtenes Urteil) eingelegt.
Sachverhalt und Verfahren vor dem Gericht
- 2.
- Dem Rechtsmittel liegt folgender Sachverhalt, wie er sich aus dem angefochtenen
Urteil ergibt, zugrunde.
- 3.
- Mehrere in der europäischen Petrochemieindustrie tätige Unternehmen erhoben
beim Gericht Nichtigkeitsklage gegen die Entscheidung 86/398/EWG der
Kommission vom 23. April 1986 betreffend ein Verfahren nach Artikel 85 des
EWG-Vertrags (IV/31.149 Polypropylen) (ABl. L 230, S. 1; nachstehend:
Polypropylen-Entscheidung).
- 4.
- Gemäß den insoweit durch das Gericht bestätigten Feststellungen der Kommission
wurde der Polypropylenmarkt vor 1977 von zehn Herstellern beliefert, von denen
vier (Montedison SpA, die Rechtsmittelführerin, Imperial Chemical Industries plc
und Shell International Chemical Company Ltd; im folgenden: die vier Großen)
zusammen 64 % des Marktes innehatten. Nach dem Auslaufen der Hauptpatente
der Montedison SpA traten 1977 auf dem Markt neue Hersteller auf, was zu einem
erheblichen Anwachsen der realen Produktionskapazität führte, ohne daß es
dadurch zu einem entsprechenden Anstieg der Nachfrage kam. Dies hatte einen
zwischen 1977 bei 60 % und 1983 bei 90 % liegenden Auslastungsgrad der
Produktionskapazitäten zur Folge. Jeder der damals in der Gemeinschaft
niedergelassenen Hersteller verkaufte in die meisten, wenn nicht in alle
Mitgliedstaaten.
- 5.
- Die Rechtsmittelführerin gehörte zu den Herstellern, die 1977 den Markt
belieferten, und war einer der vier Großen. Sie hatte am westeuropäischen Markt
einen Anteil etwa zwischen 10,5 % und 12,6 %.
- 6.
- Im Anschluß an gleichzeitig in mehreren Unternehmen des Wirtschaftszweigs
durchgeführte Nachprüfungen richtete die Kommission an mehrere
Polyropylenhersteller Auskunftsverlangen nach Artikel 11 der Verordnung Nr. 17
des Rates vom 6. Februar 1962, Erste Durchführungsverordnung zu den Artikeln
85 und 86 des Vertrages (ABl. 1962, Nr. 13, S. 204). Aus Randnummer 6 des
angefochtenen Urteils geht hervor, daß die Kommission anhand des im Rahmen
dieser Nachprüfungen und Auskunftsverlangen entdeckten Beweismaterials zu der
vorläufigen Auffassung gelangte, die Hersteller hätten von 1977 bis 1983 unter
Verstoß gegen Artikel 81 EG (früher Artikel 85) durch Preisinitiativen regelmäßig
Zielpreise festgesetzt und ein System jährlicher Mengenkontrolle entwickelt, um
den verfügbaren Markt nach vereinbarten Prozentsätzen oder Mengen unter sich
aufzuteilen. Die Kommission leitete deshalb ein Verfahren gemäß Artikel 3 Absatz
1 der Verordnung Nr. 17 ein und übermittelte mehreren Unternehmen, darunter
der Rechtsmittelführerin, die schriftliche Mitteilung der Beschwerdepunkte.
- 7.
- Am Ende des Verfahrens erließ die Kommission die Polypropylen-Entscheidung,
mit der sie feststellte, daß die Rechtsmittelführerin gegen Artikel 81 Absatz 1 EG
verstoßen habe, indem sie zusammen mit anderen Unternehmen von Mitte 1977
bis mindestens November 1983 an einer von Mitte 1977 stammenden Vereinbarung
und abgestimmten Verhaltensweise beteiligt gewesen sei, durch die die
Gemeinschaft mit Polypropylen beliefernden Hersteller
miteinander Verbindung gehabt und sich regelmäßig (von Anfang 1981 an
zweimal monatlich) in einer Reihe geheimer Sitzungen getroffen hätten, um
ihre Geschäftspolitik zu erörtern und festzulegen;
von Zeit zu Zeit für den Absatz ihrer Erzeugnisse in jedem Mitgliedstaat
der EWG Ziel- (oder Mindest-)Preise festgelegt hätten;
verschiedene Maßnahmen getroffen hätten, um die Durchsetzung dieser
Zielpreise zu erleichtern, (vor allem) u. a. durch vorübergehende
Absatzeinschränkungen, den Austausch von Einzelangaben über ihre
Verkäufe, die Veranstaltung lokaler Sitzungen und ab Ende 1982 ein System
der „Kundenführerschaft“ zwecks Durchsetzung der Preiserhöhungen
gegenüber Einzelkunden;
gleichzeitige Preiserhöhungen vorgenommen hätten, um die besagten Ziele
durchzusetzen;
den Markt aufgeteilt hätten, indem jedem Hersteller ein jährliches
Absatzziel bzw. eine Quote (1979, 1980 und zumindest für einen Teil des
Jahres 1983) zugeteilt worden sei oder, falls es zu keiner endgültigen
Vereinbarung für das ganze Jahr gekommen sei, die Hersteller aufgefordert
worden seien, ihre monatlichen Verkäufe unter Bezugnahme auf einen
vorausgegangenen Zeitraum (1981, 1982) einzuschränken (Artikel 1 der
Polypropylen-Entscheidung).
- 8.
- Sodann verpflichtete die Kommission die verschiedenen betroffenen Unternehmen,
die festgestellten Zuwiderhandlungen unverzüglich abzustellen und in Zukunft von
allen Vereinbarungen oder aufeinander abgestimmten Verhaltensweisen, die
dasselbe oder ähnliches bezwecken oder bewirken, Abstand zu nehmen. Ferner
erlegte ihnen die Kommission auf, jedes Verfahren zum Austausch von
Informationen, die normalerweise dem Geschäftsgeheimnis unterliegen, abzustellen
und dafür Sorge zu tragen, daß Verfahren zum Austausch allgemeiner
Informationen (wie das Fides-System) unter Ausschluß sämtlicher Informationen
geführt werden, aus denen sich das Marktverhalten einzelner Hersteller ableiten
läßt (Artikel 2 der Polypropylen-Entscheidung).
- 9.
- Gegen die Rechtsmittelführerin wurde eine Geldbuße von 9 000 000 ECU bzw.
19 304 010 DM festgesetzt (Artikel 3 der Polypropylen-Entscheidung).
- 10.
- Am 2. August 1986 erhob die Rechtsmittelführerin beim Gerichtshof Klage auf
Nichtigerklärung dieser Entscheidung. Mit Beschluß vom 15. November 1989
verwies der Gerichtshof die Rechtssache gemäß dem Beschluß 88/591/EGKS,
EWG, Euratom des Rates vom 24. Oktober 1988 zur Errichtung eines Gerichts
erster Instanz der Europäischen Gemeinschaften (ABl. L 319, S. 1) an das Gericht.
- 11.
- Die Rechtsmittelführerin hat beim Gericht beantragt, die Polypropylen-Entscheidung, soweit sie sie selbst betrifft, aufzuheben, hilfsweise, die gegen sie
festgesetzte Geldbuße herabzusetzen, und der Kommission auf jeden Fall die
Kosten aufzuerlegen.
- 12.
- Die Kommission hat beantragt, die Klage abzuweisen und der Klägerin die Kosten
aufzuerlegen.
- 13.
- Mit gesondertem Schriftsatz, der am 2. März 1992 bei der Kanzlei des Gerichts
eingegangen ist, hat die Rechtsmittelführerin beim Gericht beantragt, wegen der
Erklärungen, die die Kommission in der Sitzung des Gerichts in den Rechtssachen
T-79/89, T-84/89 bis T-86/89, T-89/89, T-91/89, T-92/89, T-94/89, T-96/89, T-98/89,
T-102/89 und T-104/89 (BASF u. a./Kommission, Urteil vom 27. Februar 1992,
Slg. 1992, II-315; im folgenden: PVC-Urteil des Gerichts) abgegeben hat, gemäß
den Artikeln 62 und 64 bis 66 seiner Geschäftsordnung die Urteilsverkündung
auszusetzen, die mündliche Verhandlung wiederzueröffnen, prozeßleitende
Maßnahmen zu treffen und eine Beweisaufnahme anzuordnen.
Das angefochtene Urteil
- 14.
- In seiner Entscheidung über den in Randnummer 372 wiedergegebenen Antrag auf
Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung hat das Gericht in Randnummer
373 festgestellt, daß es nach erneuter Anhörung des Generalanwalts es nicht für
angezeigt halte, gemäß Artikel 62 seiner Verfahrensordnung die Wiedereröffnung
der mündlichen Verhandlung und, wie von der Rechtsmittelführerin beantragt, eine
Beweisaufnahme anzuordnen.
- 15.
- In Randnummer 374 hat das Gericht ausgeführt:
„Zunächst ist darauf hinzuweisen, daß das zitierte Urteil vom 27. Februar 1992 als
solches keine Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung in diesem Verfahren
rechtfertigt. Im übrigen hat die Klägerin abweichend von ihrem Vorbringen in den
PVC-Verfahren (vgl. Randnr. 14 des Urteils des Gerichts vom 27. Februar 1992)
in diesem Verfahren bis zum Ende der mündlichen Verhandlung nicht einmal
andeutungsweise vorgetragen, daß die angefochtene Entscheidung wegen der
behaupteten Mängel inexistent sei. Es fragt sich daher schon, ob die Klägerin
hinreichend dargelegt hat, warum sie die angeblichen Mängel, die ja vor der
Klageerhebung bestanden haben sollen, anders als in den PVC-Verfahren nicht
eher in dieses Verfahren eingeführt hat. Selbst wenn der Gemeinschaftsrichter die
Frage der Existenz der angefochtenen Entscheidung im Nichtigkeitsverfahren des
Artikels 173 Absatz 2 EWG-Vertrag [nach Änderung jetzt Artikel 230 Absatz 2
EG) von Amts wegen zu prüfen hat, bedeutet dies aber nicht, daß in jedem
Verfahren nach Artikel 173 Absatz 2 EWG-Vertrag von Amts wegen Ermittlungen
über eine eventuelle Inexistenz der angefochtenen Entscheidung zu führen sind.
Nur soweit die Parteien hinreichende Anhaltspunkte für eine Inexistenz der
angefochtenen Entscheidung vortragen, ist das Gericht gehalten, dieser Frage von
Amts wegen nachzugehen. Im vorliegenden Fall ergibt das Vorbringen der Klägerin
keine hinreichenden Anhaltspunkte für eine derartige Inexistenz der Entscheidung:
Unter III ihres Schriftsatzes vom 2. März 1992 hat die Klägerin lediglich
vorgetragen, es bestehe .begründeter Anlaß' zu der Annahme von bestimmten
Verfahrensverstößen der Kommission. Der angebliche Verstoß gegen die
Sprachenregelung der Geschäftsordnung der Kommission kann jedoch nicht zur
Inexistenz der angefochtenen Entscheidung führen, sondern allenfalls nach
rechtzeitiger Rüge zur Nichtigkeit. Im übrigen hat die Klägerin nicht dargelegt,
warum die Kommission im Jahr 1986, also in einer normalen Situation, die sich von
den besonderen Umständen der PVC-Verfahren beim Ablauf ihres Mandats im
Januar 1989 erheblich unterschied, nachträgliche Änderungen an der Entscheidung
vorgenommen haben soll. Die diesbezügliche pauschale Vermutung der Klägerin
gibt keinen hinreichenden Anlaß zu einer Beweisaufnahme nach Wiedereröffnung
der mündlichen Verhandlung.“
- 16.
- Schließlich lautet Randnummer 375:
„Unter II ihres Schriftsatzes hat die Klägerin allerdings konkret behauptet, es
fehlten die durch die Unterschriften des Präsidenten der Kommission und des
Exekutivsekretärs festgestellten Urschriften der angefochtenen Entscheidung in
allen verbindlichen Sprachen. Dieser angebliche Mangel, selbst wenn er bestehen
sollte, führt jedoch für sich genommen noch nicht zur Inexistenz der angefochtenen
Entscheidung. Anders als in den bereits mehrfach erwähnten PVC-Verfahren hat
die Klägerin im vorliegenden Verfahren, wie bereits festgestellt, keine konkreten
Anhaltspunkte dafür vorgetragen, daß nach Erlaß der angefochtenen Entscheidung
der Grundsatz der Unantastbarkeit eines beschlossenen Rechtsakts verletzt worden
ist und damit die angefochtene Entscheidung zugunsten der Klägerin die
Vermutung ihrer Rechtmäßigkeit verloren hat, die ihr aufgrund des Anscheins
zukommt. Dann aber führt das bloße Fehlen einer ausgefertigten Urschrift noch
nicht zur Inexistenz des angefochtenen Aktes. Auch insoweit war die mündlicheVerhandlung daher nicht für eine nachträgliche Beweisaufnahme wiederzueröffnen.
Da das Vorbringen der Klägerin auch keine Wiederaufnahme des Verfahrens
begründen würde, war ihrer Anregung, die mündliche Verhandlung
wiederzueröffnen, nicht stattzugeben.“
- 17.
- Das Gericht hat die Klage abgewiesen und der Rechtsmittelführerin die Kosten
auferlegt.
Das Rechtsmittel
- 18.
- In ihrer Rechtsmittelschrift beantragt die Rechtsmittelführerin,
das angefochtene Urteil, soweit es sie selbst betrifft, aufzuheben und den
Rechtsstreit endgültig wie folgt zu entscheiden:
die Polypropylen-Entscheidung ist mangels Bekanntgabe unwirksam;
hilfsweise, die genannte Entscheidung der Kommission wird für nichtig
erklärt;
die Kommission trägt die Kosten des Verfahrens;
äußerst hilfsweise, das angefochtene Urteil, soweit es sie selbst betrifft,
aufzuheben und die Sache zur Entscheidung an das Gericht
zurückzuverweisen.
- 19.
- Die Rechtsmittelführerin beantragt außerdem, der Kommission aufzugeben, die in
ihrer Sitzung vom 23. April 1986 angenommenen und vom Kommissionsmitglied
Sutherland unterzeichneten Texte der Polypropylen-Entscheidung in den Sprachen,
in denen sie beschlossen worden sind, vorzulegen und den diesbezüglichen Auszug
aus dem Sitzungsprotokoll einschließlich der dazugehörigen Anlagen beizufügen.
- 20.
- Mit Beschluß vom 30. September 1992 hat der Gerichtshof die DSM NV als
Streithelferin zur Unterstützung der Anträge der Rechtsmittelführerin zugelassen.
Die Streithelferin beantragt,
das angefochtene Urteil aufzuheben;
die Inexistenz der Polypropylen-Entscheidung festzustellen oder sie für
nichtig zu erklären;
unabhängig davon, ob die Adressaten der Polypropylen-Entscheidung ein
Rechtsmittel gegen das sie betreffende Urteil eingelegt haben und ob ihr
Rechtsmittel zurückgewiesen worden ist, gegenüber allen Adressaten dieser
Entscheidung, jedenfalls aber gegenüber ihr selbst, die Inexistenz der
Polypropylen-Entscheidung festzustellen oder sie für nichtig zu erklären;
hilfsweise, die Sache zur Entscheidung darüber, ob die Polypropylen-Entscheidung inexistent ist oder ob sie für nichtig zu erklären ist, an das
Gericht zurückzuverweisen und
der Kommission auf jeden Fall die Kosten sowohl für das Verfahren vor
dem Gerichtshof als auch für das Verfahren vor dem Gericht einschließlich
der ihr für die Streithilfe entstandenen Kosten aufzuerlegen.
- 21.
- Die Kommission beantragt,
das Rechtsmittel als unzulässig, hilfsweise, als unbegründet zurückzuweisen;
der Rechtsmittelführerin die Kosten des Rechtsmittelverfahrens
aufzuerlegen;
die Streithilfe insgesamt als unzulässig zurückzuweisen;
hilfsweise, den Antrag der Streithelferin, der dahin geht, unabhängig davon,
ob die Adressaten der Polypropylen-Entscheidung ein Rechtsmittel gegen
das sie betreffende Urteil eingelegt haben und ob ihr Rechtsmittel
zurückgewiesen worden ist, gegenüber allen Adressaten dieser
Entscheidung, jedenfalls aber gegenüber ihr selbst, die Inexistenz der
Polypropylen-Entscheidung festzustellen oder sie für nichtig zu erklären, als
unzulässig und die Streithilfe im übrigen als unbegründet zurückzuweisen;
weiter hilfsweise, die Streithilfe als unbegründet zurückzuweisen;
der Streithelferin auf jeden Fall die durch die Streithilfe entstandenen
Kosten aufzuerlegen.
- 22.
- Zur Begründung ihres Rechtsmittels rügt die Rechtsmittelführerin Verfahrensfehler
und die Verletzung des Gemeinschaftsrechts zum einen im Zusammenhang mit der
Weigerung des Gerichts, Mängel des Verfahrens zum Erlaß der Polypropylen-Entscheidung festzustellen, und zum anderen in bezug auf die ablehnende
Entscheidung des Gerichts über die Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung,
den Erlaß prozeßleitender Maßnahmen und die Anordnung einer Beweisaufnahme.
- 23.
- Auf Antrag der Kommission ist mit Zustimmung der Rechtsmittelführerin das
Verfahren durch Entscheidung des Präsidenten des Gerichtshofes vom 27. Juli 1992
bis zum 15. September 1994 zur Prüfung der Konsequenzen ausgesetzt worden, die
aus dem Urteil vom 15. Juni 1994 in der Rechtssache C-137/92 P
(Kommission/BASF u. a., Slg. 1994, I-2555; im folgenden: PVC-Urteil des
Gerichtshofes), das auf das Rechtsmittel gegen das PVC-Urteil des Gerichts
ergangen ist, zu ziehen sind.
Zur Zulässigkeit der Streithilfe
- 24.
- Die Kommission vertritt die Ansicht, der Streithilfeantrag von DSM sei für
unzulässig zu erklären. DSM habe nämlich erklärt, daß sie als Streithelferin ein
Interesse an der Nichtigerklärung des angefochtenen Urteils gegenüber der
Rechtsmittelführerin habe. Nach Ansicht der Kommission kann die
Nichtigerklärung nicht allen einzelnen Adressaten einer Entscheidung zugute
kommen, sondern nur denjenigen, die eine dahin gehende Klage erhoben haben;
gerade dies sei einer der Unterschiede zwischen der Nichtigerklärung eines
Rechtsakts und seiner Inexistenz. Durch eine Leugnung dieses Unterschieds würde
den Fristen für die Erhebung einer Nichtigkeitsklage jede Verbindlichkeit
genommen. DSM könnte sich somit nicht auf eine eventuelle Nichtigerklärung
berufen, da sie selbst das sie betreffende Urteil des Gerichts vom 17. Dezember
1991 in der Rechtssache T-8/89 (DSM/Kommission, Slg. 1991, II-1833) nicht beim
Gerichtshof angefochten habe. Mit ihrer Streithilfe versuche sie somit, eine
Ausschlußfrist zu umgehen.
- 25.
- Der schon erwähnte Beschluß vom 30. September 1992, durch den die Streithilfe
von DSM zugelassen worden sei, sei zu einer Zeit ergangen, als die Entscheidung
des Gerichtshofes über die Nichtigerklärung oder die Inexistenz in seinem
PVC-Urteil noch nicht vorgelegen habe. Nach Ansicht der Kommission können die
geltend gemachten Mängel nach Erlaß des genannten Urteils, sofern sie tatsächlich
vorliegen, lediglich zur Nichtigerklärung der Polypropylen-Entscheidung und nicht
zur Feststellung ihrer Inexistenz führen. Demgemäß habe DSM kein Interesse an
einer Streithilfe mehr.
- 26.
- Ferner bestreitet die Kommission die Zulässigkeit des Antrags von DSM, der dahin
gehe, daß das Urteil des Gerichts unabhängig davon, ob die Adressaten der
Polypropylen-Entscheidung ein Rechtsmittel gegen das sie betreffende Urteil
eingelegt hätten und ob ihr Rechtsmittel zurückgewiesen worden sei,
Bestimmungen zur Feststellung der Inexistenz oder zur Nichtigerklärung der
Polypropylen-Entscheidung gegenüber allen ihren Adressaten, zumindest aber
gegenüber der Streithelferin, enthalten solle. Dieser Antrag sei unzulässig, weil die
Streithelferin damit eine nur sie selbst betreffende Frage aufzuwerfen versuche,
obwohl sie den Rechtsstreit nur in der Lage annehmen könne, in der er sich
befinde. Nach Artikel 37 Absatz 4 der EG-Satzung des Gerichtshofes könne der
Streithelfer nur die Anträge einer Partei unterstützen und keine eigenen Anträge
stellen. Der genannte Antrag von DSM bestätige, daß sie die Streithilfe dazu
verwenden wolle, um sich dem Ablauf der Frist für die Einlegung eines
Rechtsmittel gegen das genannte sie betreffende Urteil DSM/Kommission zu
entziehen.
- 27.
- In bezug auf die gegen die Streithilfe insgesamt erhobene Einrede der
Unzulässigkeit ist vorab zu bemerken, daß der Beschluß vom 30. September 1992,
durch den der Gerichtshof DSM als Streithelferin zur Unterstützung der Anträge
der Rechtsmittelführerin zugelassen hat, einer erneuten Prüfung der Zulässigkeit
der Streithilfe von DSM nicht entgegensteht (siehe in diesem Sinne Urteil vom 29.
Oktober 1980 in der Rechtssache 138/79, Roquette Frères/Rat, Slg. 1980, 3333).
- 28.
- Nach Artikel 37 Absatz 2 der EG-Satzung des Gerichtshofes steht das Recht,
einem beim Gerichtshof anhängigen Rechtsstreit beizutreten, allen Personen zu, die
ein berechtigtes Interesse am Ausgang dieses Rechtsstreits glaubhaft machen. Nach
Absatz 4 derselben Bestimmung können mit den aufgrund des Beitritts gestellten
Anträgen nur die Anträge einer Partei unterstützt werden.
- 29.
- Die Anträge der Rechtsmittelführerin sind u. a. darauf gerichtet, das angefochtene
Urteil aufzuheben, weil das Gericht nicht die Inexistenz der Polypropylen-Entscheidung festgestellt habe. Wie sich aus Randnummer 49 des PVC-Urteils des
Gerichtshofes ergibt, entfalten Rechtsakte, die offenkundig mit einem so schweren
Fehler behaftet sind, daß die Gemeinschaftsrechtsordnung ihn nicht tolerieren
kann, abweichend von der Gültigkeitsvermutung für Rechtsakte der
Gemeinschaftsorgane nicht einmal vorläufig Rechtswirkung, sind also rechtlich
inexistent.
- 30.
- Entgegen dem Vorbringen der Kommission ist das Interesse von DSM nicht infolge
des Erlasses des Urteils entfallen, durch das der Gerichtshof das PVC-Urteil des
Gerichts aufgehoben und die von diesem festgestellten Mängel nicht für geeignet
angesehen hat, die Inexistenz der in den PVC-Sachen angefochtenen Entscheidung
nach sich zu ziehen. Das PVC-Urteil betraf nämlich nicht die Inexistenz der
Polypropylen-Entscheidung und hat daher das Interesse von DSM an der
Feststellung dieser Inexistenz nicht entfallen lassen.
- 31.
- Zwar hat die Rechtsmittelführerin in ihrer Erwiderung angesichts des PVC-Urteils
des Gerichtshofes auf jeglichen Vortrag und Antrag zur Geltendmachung der
Inexistenz der Polypropylen-Entscheidung verzichtet.
- 32.
- Da die Rechtsmittelführerin aber weiterhin beantragt, das angefochtene Urteil
aufzuheben, da die genannte Entscheidung fehlerhaft erlassen worden sei und das
Gericht die zur Feststellung der betreffenden Mängel erforderlichen
Nachprüfungen hätte vornehmen müssen, ist die Streithelferin immer noch
berechtigt, diesen Antrag im Rahmen ihrer Streithilfe mit der Begründung zu
stellen, daß das Gericht wegen eben dieser Mängel die Inexistenz der
Polypropylen-Entscheidung hätte feststellen müssen.
- 33.
- Nach ständiger Rechtsprechung (u. a. Urteil vom 19. November 1998 in der
Rechtssache C-150/94, Vereinigtes Königreich/Rat, Slg. 1998, I-7235, Randnr. 36)
verwehrt es nämlich Artikel 37 Absatz 4 der EG-Satzung des Gerichtshofes einem
Streithelfer nicht, andere Argumente als die von ihm unterstützte Partei
vorzubringen, solange er damit die Unterstützung der Anträge dieser Partei
bezweckt.
- 34.
- Im vorliegenden Fall soll durch das Vorbringen der Streithelferin zur Inexistenz der
Polypropylen-Entscheidung u. a. dargetan werden, daß es das Gericht durch die
Zurückweisung des Antrags der Rechtsmittelführerin auf Wiedereröffnung des
Verfahrens und Anordnung einer Beweisaufnahme unterlassen hat, die Frage der
Inexistenz der genannten Entscheidung zu prüfen, und daß es damit das
Gemeinschaftsrecht verletzt hat. Obwohl die Ausführungen der Streithelferin von
denen der Rechtsmittelführerin abweichende Argumente enthalten, beziehen sie
sich somit auf die von der Rechtsmittelführerin im Rahmen des Rechtsmittels
vorgebrachten Rügen und bezwecken die Unterstützung von deren Antrag auf
Aufhebung des Urteils. Sie sind daher zu prüfen.
- 35.
- Zur Einrede der Kommission gegen den Antrag der Streithelferin auf Feststellung
der Inexistenz oder der Nichtigerklärung der Polypropylen-Entscheidung gegenüber
allen ihren Adressaten, zumindest aber gegenüber ihr selbst, ist festzustellen, daß
dieser Antrag speziell die Streithelferin betrifft und nicht den Anträgen der
Rechtsmittelführerin entspricht. Daher genügt er nicht den Anforderungen des
Artikels 37 Absatz 4 der EG-Satzung des Gerichtshofes und ist deshalb für
unzulässig zu erklären.
Zur Zulässigkeit des Rechtsmittels
- 36.
- Nach Ansicht der Kommission ist das Rechtsmittel insgesamt unzulässig. Die
Rechtsmittelführerin kritisiere an keiner Stelle Ausführungen des Gerichts als
rechtsfehlerhaft. Statt dessen trage sie in erheblichem Umfang im Verfahren vor
dem Gericht nicht erwähnte Tatsachen und Argumente erstmals vor, von denen
einige wie z. B. die Rechtsmittelschrift der Kommission in den PVC-Sachen und
die Polyäthylen niedriger Dichte betreffenden Verfahren vor dem Gericht (Urteil
vom 6. April 1995 in den Rechtssachen T-80/89, T-81/89, T-83/89, T-87/89, T-88/89,
T-90/89, T-93/89, T-95/89, T-97/89, T-99/89, T-100/89, T-101/89, T-103/89, T-105/89,
T-107/89 und T-112/89, BASF u. a./Kommission, Slg. 1995, II-729) angeblich erst
inzwischen zutage getreten seien. Zum ersten Mal mache die Rechtsmittelführerin
geltend, daß die Polypropylen-Entscheidung von der Kommission nicht in
niederländischer und italienischer Sprache angenommen worden sei; auch die
angeblichen Anhaltspunkte für nachträgliche Änderungen der von der Kommission
angenommenen Texte würden erstmals jetzt vorgetragen. Das gleiche gelte für die
Ausführungen zu der Frage, welche Entscheidungstexte von dem zuständigen
Kommissionsmitglied unterzeichnet worden seien.
- 37.
- Die Kommission führt weiter aus, der Streitgegenstand könne mit dem Rechtsmittel
nicht verändert werden und alle neuen Rügen seien daher unzulässig. Da die
Funktion des Rechtsmittelverfahrens darin bestehe, das erstinstanzliche Urteil inrechtlicher Hinsicht zu überprüfen, müsse es sich auf den bei der Urteilsfindung des
Gerichts vorliegenden Streitstand beziehen (Urteil des Gerichtshofes vom 19. Juni
1992 in der Rechtssache C-18/91 P, V./Parlament, Slg. 1992, I-3997).
- 38.
- Nach den Artikeln 225 EG (früher Artikel 168a) und 51 Absatz 1 der EG-Satzung
des Gerichtshofes kann ein Rechtsmittel nur auf Gründe gestützt werden, die sich
auf die Verletzung von Rechtsvorschriften beziehen und jede Tatsachenwürdigung
ausschließen. Die vom Gericht vorgenommene Würdigung der ihm vorgelegten
Beweismittel ist, sofern diese nicht verfälscht werden, keine Rechtsfrage, die als
solche der Kontrolle des Gerichtshofes unterliegt (u. a. Urteil vom 2. März 1994
in der Rechtssache C-53/92 P, Hilti/Kommission, Slg. 1994, I-667, Randnrn. 10
und 42).
- 39.
- Außerdem kann das Rechtsmittel nach Artikel 113 § 2 der Verfahrensordnung des
Gerichtshofes den vor dem Gericht verhandelten Streitgegenstand nicht verändern.
- 40.
- Soweit die Rügen der Rechtsmittelführerin die vom Gericht vorgenommene
Würdigung des Sachverhalts betreffen sollten, den die Rechtsmittelführerin im
Zusammenhang mit dem Antrag auf Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung
dem Gericht unterbreitet hat, können sie im Rechtsmittelverfahren nicht geprüft
werden. Ebenfalls unzulässig sind die erstmals im Rechtsmittelverfahren
vorgebrachten Rügen.
- 41.
- Dagegen steht es dem Gerichtshof zu, zu klären, ob das Gericht dadurch einen
Rechtsirrtum begangen hat, daß es entgegen dem Antrag der Rechtsmittelführerin
die Feststellung der angeblichen Mängel der Polypropylen-Entscheidung unterlassen
oder die Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung, den Erlaß prozeßleitender
Maßnahmen und die Anordnung einer Beweisaufnahme abgelehnt hat.
- 42.
- Somit sind die von der Rechtsmittelführerin vorgebrachten Rügen, die sich auf die
Feststellung und Überprüfung des vom Gericht zu würdigenden Sachverhalts
beziehen, nacheinander auf ihre Zulässigkeit im Rechtsmittelverfahren zu
überprüfen.
Zu den Rechtsmittelgründen: Verfahrensfehler und Verletzung des
Gemeinschaftsrechts
- 43.
- Unter Hinweis auf die Randnummern 372 bis 375 des angefochtenen Urteils macht
die Rechtsmittelführerin zur Begründung ihres Rechtsmittels geltend, im Sinne von
Artikel 51 Absatz 1 der EG-Satzung des Gerichtshofes habe das Gericht das
Gemeinschaftsrecht verletzt und ihre Interessen beeinträchtigende Verfahrensfehler
begangen, soweit es nicht die Polypropylen-Entscheidung wegen Verletzung
wesentlicher Formvorschriften für nichtig erklärt und ihre Unwirksamkeit
festgestellt habe und soweit es ihren Antrag auf Wiedereröffnung der mündlichen
Verhandlung, Erlaß der erforderlichen prozeßleitenden Maßnahmen und
Anordnung der erforderlichen Beweiserhebungen zurückgewiesen habe.
Zur mangelnden Feststellung der Mängel der Polypropylen-Entscheidung
- 44.
- Mit dem ersten Teil des Rechtsmittelgrundes der Verletzung des
Gemeinschaftsrechts rügt die Rechtsmittelführerin, daß das Gericht nicht
festgestellt habe, daß die Polypropylen-Entscheidung wegen der Verfahrensmängel
bei ihrem Erlaß und ihrer Zustellung unwirksam oder für nichtig zu erklären sei.
- 45.
- Die Rechtsmittelführerin macht geltend, aus dem PVC-Urteil des Gerichtshofes
ergebe sich, daß der Gerichtshof die gerügten Mängel der Polypropylen-Entscheidung zwar nicht als besonders schwere, die Inexistenz begründende Fehler
anerkenne, sie aber als eine Verletzung wesentlicher Formvorschriften ansehen
müsse, aufgrund deren die Polypropylen-Entscheidung gemäß Artikel 231 Absatz
1 EG (früher Artikel 174 Absatz 1) für nichtig zu erklären sei.
- 46.
- In ihrer Erwiderung rügt die Rechtsmittelführerin jedoch einen Mangel, dessen
Rechtsfolgen ihrer Ansicht nach unabhängig vom Vorliegen eines besonders
schweren und offenkundigen Fehlers über die bloße Anfechtbarkeit hinausgehen.
Es handele sich darum, daß unter Verstoß gegen Artikel 254 Absatz 3 EG (früher
Artikel 191 Absatz 3) keine Bekanntgabe erfolgt sei.
- 47.
- Die von der Kommission am 23. April 1986 beschlossene Entscheidung sei zu
keinem Zeitpunkt den Adressaten zugestellt oder im Amtsblatt der Europäischen
Gemeinschaften bekanntgemacht worden. Der zugestellte Text sei mit der
beschlossenen Fassung nicht identisch. Er sei erst drei oder vier Wochen nach
Beschlußfassung der Kommission durch deren Dienststellen hergestellt worden.
Dies gebe Anlaß zu der Annahme, daß er von der Beschlußfassung mit
Änderungen abweiche, die über die vom Gerichtshof in seinem Urteil vom 23.
Februar 1988 in der Rechtssache 131/86 (Vereinigtes Königreich/Rat, Slg. 1988,
905) zugelassenen bloßen orthographischen oder grammatikalischen Berichtigungen
hinausgingen.
- 48.
- Es sei inzwischen unstreitig, daß die Entscheidungen der Kommission den
Adressaten grundsätzlich nicht in derselben Fassung zugingen, in der sie
beschlossen worden seien. An die Beschlußfassung durch das
Kommissionskollegium schließe sich vielmehr eine zweite Phase der
Textüberarbeitung an, deren Ziel die Bekanntgabe des Rechtsakts sei. In dieser
von der Kommission selbst in der Rechtsmittelschrift in der PVC-Sache
beschriebenen zweiten Phase werde insbesondere der Text durch Rechts- und
Sprachsachverständige revidiert und das endgültige Dokument unter
Berücksichtigung der eingetretenen Änderungen durch das Generalsekretariat
ausgearbeitet.
- 49.
- Auch im vorliegenden Fall gebe es konkreten Anlaß zu der Annahme, daß die von
der Kommission in englischer, französischer und deutscher Sprache angenommenen
Entscheidungstexte nach der Beschlußfassung abgeändert worden seien. Die
zugestellte deutsche Fassung enthalte Einfügungen mit abweichenden Schrifttypen
oder geringerem Abstand der Buchstaben oder der Zeilen sowie Auslassungen, die
auf nachträgliche Änderungen schließen ließen.
- 50.
- Da nach Ansicht der Rechtsmittelführerin begründete Anhaltspunkte für
nachträgliche Änderungen sprechen und Ausmaß und Qualität dieser Änderungen
nicht anders als durch einen Vergleich der beschlossenen und zugestellten
Fassungen festgestellt werden können, beantragt sie, der Kommission aufzugeben,
die Texte der Polypropylen-Entscheidung in den Sprachen, in denen sie beschlossen
worden sind, vorzulegen und den diesbezüglichen Auszug aus dem
Sitzungsprotokoll einschließlich der dazugehörigen Anlagen beizufügen.
- 51.
- Die ihr am 27. Mai 1986 in beglaubigter Ausfertigung zugestellte Polypropylen-Entscheidung weise unter dem Datum 23. April 1986 maschinenschriftlich die
Unterzeichnung durch das Kommissionsmitglied Sutherland aus. Sie frage sich, ob
tatsächlich Fassungen der Polypropylen-Entscheidung von dem genannten
Kommissionsmitglied unterschrieben worden seien, und, wenn ja, welche Fassung
der Entscheidung Herr Sutherland unterzeichnet haben möge: die von der
Kommission beschlossene, aber nicht zugestellte Fassung wie es die
Datumsangabe nahelege oder die zugestellte, aber nicht beschlossene Fassung.
Jedenfalls könne das Kommissionsmitglied die zugestellte Fassung nicht am 23.
April 1986 unterzeichnet haben, da diese Fassung an diesem Tag noch nicht
vorgelegen habe. Die Rechtsmittelführerin beantragt daher, der Kommission
aufzugeben, die von Herrn Sutherland unterzeichneten Entscheidungstexte in den
Verfahrenssprachen vorzulegen.
- 52.
- Nach Artikel 254 Absatz 3 EG würden die Entscheidungen der Kommission erst
mit der Bekanntgabe wirksam. Fehle es wie im vorliegenden Fall an einer
Bekanntgabe, so könne der Rechtsakt nicht wirksam sein.
- 53.
- Die Rechtsmittelführerin vertritt ferner die Ansicht, das Gericht habe einen
Rechtsfehler begangen, als es die von ihr gerügten Mängel der Polypropylen-Entscheidung nicht berücksichtigt habe. Diese Mängel stellten Verletzungen
wesentlicher Formvorschriften dar: Erstens gebe es keine Urschrift der
Polypropylen-Entscheidung, durch die deren ordnungsgemäßer Erlaß mittels der
dafür notwendigen Unterschriften festgestellt und bewiesen werde; zweitens fehle
es an der Annahme der Entscheidung selbst durch das Kommissionskollegium in
den beiden verbindlichen Sprachen Italienisch und Niederländisch, und drittens sei
die Begründung nach der Beschlußfassung geändert worden.
- 54.
- Die Rechtsmittelführerin bietet für den Fall, daß dieses Vorbringen bestritten wird,
Beweis an durch Vorlage der Entscheidungsentwürfe, die der Kommission zur
Beschlußfassung vorgelegen haben, durch Zeugnis der Verfahrensbevollmächtigten
der Kommission in den Sitzungen in den PVC-Sachen vor dem Gericht und durch
die Rechtsmittelschrift der Kommission in denselben Sachen, wonach die
Kommission in der Sitzung vom 22. November 1991 in den PVC-Sachen darauf
hingewiesen habe, daß Artikel 12 ihrer Geschäftsordnung seit langem obsolet sei.
- 55.
- Die Streithelferin trägt vor, es hätten neue Entwicklungen in anderen Fällen vor
dem Gericht stattgefunden. Dadurch werde bestätigt, daß die Kommission die
Beweislast für die Beachtung der von ihr selbst festgelegten grundlegenden
Verfahrensregeln trage und daß das Gericht, um diesen Punkt aufzuklären, von
Amts wegen oder auf Antrag eines Beteiligten Aufklärungsmaßnahmen zur
Überprüfung der sich darauf beziehenden Beweisurkunden hätte anordnen müssen.
In den jeweils mit Urteil vom 29. Juni 1995 abgeschlossenen Rechtssachen T-30/91
(Solvay/Kommission, Slg. 1995, II-1775) und T-36/91 (ICI/Kommission, Slg. 1995,
I-1847) (im folgenden Soda-Sachen) habe die Kommission geltend gemacht, daß
die von der Imperial Chemical Industries plc (im folgenden:ICI) nach Erlaß des
PVC-Urteils des Gerichts in diesen Rechtssachen eingereichte Ergänzung der
Erwiderung keinen Beweis für einen Verstoß der Kommission gegen ihre
Geschäftsordnung enthalte und daß der Antrag von ICI auf Durchführung von
Ermittlungen einen neuen Rechtsvortrag darstelle. Das Gericht habe der
Kommission und ICI jedoch Fragen nach den aus dem PVC-Urteil des
Gerichtshofes zu ziehenden Konsequenzen gestellt und die Kommission in
Anbetracht der Randnummer 32 des PVC-Urteils des Gerichtshofes aufgefordert
anzuzeigen, ob sie die Auszüge aus dem Protokoll und die beglaubigten Fassungen
der Entscheidungen vorlegen könne. Nach weiteren Entwicklungen des Verfahrens
habe die Kommission schließlich eingeräumt, daß die als beglaubigte Schriftstücke
vorgelegten Unterlagen erst nach der vom Gericht ausgesprochenen Aufforderung
zur Vorlage beglaubigt worden seien.
- 56.
- In den Polyäthylen niedriger Dichte betreffenden Rechtssachen habe das Gericht
der Kommission ebenfalls aufgegeben, eine beglaubigte Fassung der angefochtenen
Entscheidung vorzulegen. Die Kommission habe eingeräumt, daß in der Sitzung,
in der das Kommissionskollegium diese Entscheidung beschlossen habe, keine
Beglaubigung vorgenommen worden sei. Das Verfahren für die Beglaubigung der
Rechtsakte der Kommission müsse demnach erst nach dem März 1992 eingeführt
worden sein. Daraus folge, daß auch die Polypropylen-Entscheidung mit dem
gleichen, aus der fehlenden Beglaubigung herrührenden Mangel behaftet sei.
- 57.
- Die Streithelferin trägt weiter vor, das Gericht habe in den Urteilen vom 27.
Oktober 1994 in den Rechtssachen T-34/92 (Fiatagri und New Holland
Ford/Kommission, Slg. 1994, II-905, Randnrn. 24 bis 27) und T-35/92
(Deere/Kommission, Slg. 1994, II-957, Randnrn. 28 bis 31) in gleicher Weise wie
in den Poypropylen-Sachen argumentiert, als es das Vorbringen der Klägerinnen
mit der Begründung zurückgewiesen habe, sie hätten nicht den geringsten
Anhaltspunkt für die Unrichtigkeit der Vermutung der Gültigkeit der von ihnen
angefochtenen Entscheidung vorgebracht. Im Urteil vom 7. Juli 1994 in der
Rechtssache T-43/92 (Dunlop Slazenger/Kommission, Slg. 1994, II-441) sei die
Argumentation der Klägerin mit der Begründung zurückgewiesen worden, daß die
Entscheidung gemäß der Geschäftsordnung der Kommission erlassen und zugestellt
worden sei. In keiner dieser Rechtssachen habe das Gericht das Vorbringen der
Klägerinnen zurückgewiesen, daß der angefochtene Rechtsakt wegen Mißachtung
der Verfahrensvorschriften auf rechtswidrige Weise erlassen worden sei.
- 58.
- Die einzige Ausnahme ergebe sich aus den Beschlüssen vom 26. März 1992 in der
Rechtssache T-4/89 REV (BASF/Kommission, Slg. 1992, II-1591) und vom 4.
November 1992 in der Rechtssache T-8/89 REV (DSM/Kommission, Slg. 1992,
II-2399). Sogar in diesen Fällen hätten sich die Antragstellerinnen jedoch nicht auf
das PVC-Urteil des Gerichts als neue Tatsache, sondern auf andere Tatsachen
berufen. In seinem Urteil vom 15. Dezember 1994 in der Rechtssache C-195/91 P
(Bayer/Kommission, Slg. 1994, I-5619) habe der Gerichtshof die Rüge eines
Verstoßes der Kommission gegen ihre Geschäftsordnung zurückgewiesen, weil sie
nicht wirksam vor dem Gericht erhoben worden sei. Im Polypropylen-Verfahren sei
dagegen dieselbe Rüge vor dem Gericht erhoben und mit der Begründung
zurückgewiesen worden, daß keine ausreichenden Anhaltspunkte vorlägen.
- 59.
- Die Streithelferin macht geltend, die Verteidigung der Kommission in der
vorliegenden Rechtssache stütze sich auf Verfahrensargumente, die für den Inhalt
des angefochtenen Urteils keine Bedeutung hätten. Dieses beziehe sich im
wesentlichen auf die Frage der Beweislast. Die Rechtsmittelführerin meint, wenn
die Kommission in den Polypropylen-Sachen selbst keine Beweise für die
Rechtmäßigkeit der anzuwendenden Verfahren vorbringe, so deshalb, weil sie nichtimstande sei, die Beachtung ihrer eigenen Geschäftsordnung zu beweisen.
- 60.
- Nach Ansicht der Kommission hat die Rechtsmittelführerin in ihrer Erwiderung mit
dem Vorbringen, daß die Polypropylen-Entscheidung mangels Zustellung nicht
wirksam geworden sei, eine neue Rüge erhoben. Diese Rüge und der Antrag, die
Polypropylen-Entscheidung für nichtig zu erklären, seien unzulässig.
- 61.
- Zu den Argumenten der Streithelferin trägt die Kommission vor, sie enthielten
einen unheilbaren Mangel, da darin die Unterschiede zwischen den PVC-Sachen
und dieser Rechtssache außer acht gelassen würden und sie auf einem falschen
Verständnis des PVC-Urteils des Gerichtshofes beruhten.
- 62.
- Außerdem vertritt die Kommission weiterhin die Ansicht, die Klägerinnen hätten
in den Soda-Sachen keine so ausreichenden Anhaltspunkte vorgebracht, daß eine
Anforderung von Dokumenten bei der Kommission durch das Gericht
gerechtfertigt gewesen wäre. Jedenfalls habe das Gericht sowohl in den genannten
Rechtssachen als auch in den ebenfalls von der Streithelferin angeführten
Polyäthylen niedriger Dichte betreffenden Rechtssachen unter Berücksichtigung
besonderer Umstände des bei ihm anhängigen Falles entschieden. Im
Polypropylen-Verfahren hätte schon 1986 auf die angeblichen Unzulänglichkeiten
der Polypropylen-Entscheidung hingewiesen werden können, doch habe dies
niemand getan.
- 63.
- Wenn das Gericht in den Urteilen Fiatagri und New Holland Ford/Kommission und
Deere/Kommission das rechtzeitige Vorbringen wegen fehlender Beweisangebote
zurückgewiesen habe, so sei dies in dieser Rechtssache, in der die Argumente zu
den formellen Mängeln der Polypropylen-Entscheidung verspätet und ohne Beweise
vorgebracht worden seien, erst recht geboten.
- 64.
- Der Einwand der Kommission gegen die Zulässigkeit der Rüge, daß die
Polypropylen-Entscheidung nicht zugestellt worden sei, sei nicht stichhaltig.
- 65.
- In ihrer Rechtsmittelschrift hatte die Rechtsmittelführerin geltend gemacht, daß die
Polypropylen-Entscheidung inexistent sei. In der Erwiderung hat sie gleichzeitig mit
dem Verzicht auf ihr Vorbringen und ihre Anträge bezüglich der Inexistenz geltend
gemacht, einer der bis dahin in diesem Rahmen geltend gemachten Mängel, die
fehlende Zustellung, habe zur Folge, daß die Polypropylen-Entscheidung unwirksam
sei. Damit hat die Rechtsmittelführerin die in der Rechtsmittelschrift erhobenen
Rügen eingeschränkt und somit keine neue Rüge erhoben.
- 66.
- Zu den Anträgen auf Nichtigerklärung der Polypropylen-Entscheidung, deren
Zulässigkeit die Kommission ebenfalls bestreitet, ist lediglich festzustellen, daß der
Gerichtshof nach Artikel 231 EG die angefochtene Handlung für nichtig erklärt,
wenn die Klage begründet ist. Nach Artikel 113 der Verfahrensordnung des
Gerichtshofes müssen die Rechtsmittelanträge u. a. die vollständige oder teilweise
Aufrechterhaltung der im ersten Rechtszug gestellten Anträge zum Gegenstand
haben. Somit sind die Anträge der Rechtsmittelführerin jeder Nichtigkeitsklage
immanent und können zulässigerweise im Rahmen eines Rechtsmittels gegen ein
Urteil des Gerichts gestellt werden, durch das eine Nichtigkeitsklage abgewiesen
worden ist.
- 67.
- Bezüglich der Begründetheit der von der Rechtsmittelführerin vorgebrachten
Rügen ergibt sich aus den Randnummern 38 bis 42 dieses Urteils, daß der
Gerichtshof sich im Rechtsmittelverfahren auf die Prüfung der Frage zu
beschränken hat, ob das Gericht durch die fehlende Feststellung der der
Polypropylen-Entscheidung anhaftenden Mängel einen Rechtsirrtum begangen hat.
- 68.
- Zu den Rügen, mit denen die Rechtsmittelführerin geltend macht, daß die
Polypropylen-Entscheidung nicht zugestellt worden sei, ist erstens vorweg
festzustellen, daß dies nur die Feststellung der Inexistenz dieses Rechtssakts oder
seine Nichtigerklärung zur Folge haben könnte.
- 69.
- Wie sich u. a. aus den Randnummern 48 und 49 des PVC-Urteils des Gerichtshofes
ergibt, spricht für die Rechtsakte der Gemeinschaftsorgane grundsätzlich die
Vermutung der Gültigkeit, und sie entfalten daher selbst dann, wenn sie fehlerhaft
sind, Rechtswirkungen, solange sie nicht aufgehoben oder zurückgenommen
werden.
- 70.
- Abweichend von diesem Grundsatz entfalten allerdings Rechtsakte, die offenkundig
mit einem so schweren Fehler behaftet sind, daß die Gemeinschaftsrechtsordnung
ihn nicht tolerieren kann, nicht einmal vorläufig Rechtswirkung, sind also rechtlich
inexistent. Diese Ausnahme von dem Grundsatz soll einen Ausgleich zwischen zwei
grundlegenden, manchmal jedoch einander widerstreitenden Erfordernissen
herstellen, denen eine Rechtsordnung genügen muß, nämlich zwischen der Stabilität
der Rechtsbeziehungen und der Wahrung der Rechtmäßigkeit.
- 71.
- Entgegen dem Vorbringen der Rechtsmittelführerin ist dem Gemeinschaftsrecht
somit ein Zwischenzustand zwischen der Feststellung der Inexistenz eines
Rechtsakts und seiner Nichtigerklärung unbekannt.
- 72.
- Dagegen kann nicht eingewandt werden, daß die Entscheidungen nach Artikel 254
Absatz 3 EG durch ihre Bekanntgabe wirksam werden und die Entscheidung
mangels Bekanntgabe keine Wirkung entfaltet. Denn für die Bekanntgabe eines
Rechtsakts gilt wie für jede andere wesentliche Förmlichkeit, daß die
Fehlerhaftigkeit entweder so schwer und offenkundig ist, daß sie zur Inexistenz der
angefochtenen Handlung führt, oder daß sie eine Verletzung wesentlicher
Formvorschriften darstellt, die die Nichtigerklärung dieser Handlung nach sich
ziehen kann.
- 73.
- Somit hat das Gericht nicht dadurch einen Rechtsirrtum begangen, daß es nicht die
Unwirksamkeit der Polypropylen-Entscheidung festgestellt hat.
- 74.
- Zweitens ist hinsichtlich der Weigerung des Gerichts, Mängel beim Erlaß und der
Bekanntgabe der Polypropylen-Entscheidung festzustellen, die zu deren Nichtigkeit
führen können, lediglich zu bemerken, daß die betreffende Rüge erstmals im
Antrag auf Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung und Beweisaufnahme
vorgebracht worden ist. Daher fällt die Frage, ob das Gericht sie hätte prüfen
müssen, mit der den Gegenstand der Rüge von Verfahrensfehlern bildenden Frage
zusammen, ob das Gericht dem genannten Antrag hätte stattgeben müssen.
- 75.
- Drittens ist im Hinblick auf das Vorbringen der Rechtsmittelführerin zu den
Mängeln, mit denen die Polypropylen-Entscheidung angeblich behaftet ist, und auf
die von der Streithelferin vertretene Ansicht, daß die Polypropylen-Entscheidung
infolgedessen rechtlich inexistent sei, zu prüfen, ob das Gericht bei der Auslegung
der Voraussetzungen für die Inexistenz eines Rechtsakts das Gemeinschaftsrecht
verletzt hat.
- 76.
- Insofern ergibt sich aus Randnummer 50 des PVC-Urteils des Gerichtshofes, daß
die Schwere der Folgen, die mit der Feststellung der Inexistenz eines Rechtsakts
der Gemeinschaftsorgane verbunden sind, aus Gründen der Rechtssicherheit
verlangt, daß diese Feststellung auf ganz außergewöhnliche Fälle beschränkt wird.
- 77.
- Ebenso wie in den PVC-Sachen sind die von der Rechtsmittelführerin geltend
gemachten Fehler, die das Verfahren des Erlasses der Polypropylen-Entscheidung
betreffen, aber für sich allein oder auch insgesamt betrachtet nicht so
offenkundig schwer, daß die genannte Entscheidung als rechtlich inexistent
anzusehen wäre.
- 78.
- Somit hat das Gericht hinsichtlich der Voraussetzungen für die Inexistenz eines
Rechtsakts nicht das Gemeinschaftsrecht verletzt.
- 79.
- Soweit die Rechtsmittelführerin schließlich vor dem Gerichtshof die Anordnung
einer Beweisaufnahme beantragt oder Beweisangebote macht, um die Umstände
klären zu lassen, unter denen die Kommission die Polypropylen-Entscheidung
erlassen hat, ist lediglich festzustellen, daß in dem auf Rechtsfragen beschränkten
Rechtsmittelverfahren kein Raum für Beweiserhebungen ist.
- 80.
- Denn zum einen würden Beweiserhebungen den Gerichtshof notwendigerweise zu
Entscheidungen über Tatsachenfragen veranlassen und unter Verstoß gegen Artikel
113 § 2 der Verfahrensordnung des Gerichtshofes den vor dem Gericht
verhandelten Streitgegenstand verändern.
- 81.
- Zum anderen betrifft das Rechtsmittel nur das angefochtene Urteil und ermöglicht
es dem Gerichtshof gemäß Artikel 54 Absatz 1 seiner EG-Satzung nur bei dessen
Aufhebung, den Rechtsstreit selbst zu entscheiden. Infolgedessen hat der
Gerichtshof, solange das angefochtene Urteil nicht aufgehoben ist, nicht über
eventuelle Mängel der Polypropylen-Entscheidung zu befinden.
- 82.
- Nach alledem ist der erste Teil des Rechtsmittelgrundes der Verletzung des
Gemeinschaftsrechts zurückzuweisen.
Zur Unterlassung der Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung, prozeßleitender
Maßnahmen und einer Beweisaufnahme
- 83.
- Mit einem zweiten Teil des Rechtsmittelgrundes der Verletzung des
Gemeinschaftsrechts und dem Rechtsmittelgrund, mit dem Verfahrensfehler gerügt
werden, beanstandet die Rechtsmittelführerin, daß das Gericht nicht die mündliche
Verhandlung wiedereröffnet, keine prozeßleitenden Maßnahmen getroffen und
keine Beweisaufnahme angeordnet habe.
- 84.
- Soweit die von der Rechtsmittelführerin geltend gemachte Rüge der Verletzung des
Gemeinschaftsrechts die Tatsache betrifft, daß das Gericht die Wiedereröffnung der
mündlichen Verhandlung, den Erlaß prozeßleitender Maßnahmen und die
Anordnung einer Beweisaufnahme abgelehnt hat, fällt sie ebenfalls mit dem aus
Verfahrensfehlern hergeleiteten Rechtsmittelgrund zusammen. Diese Rügen sind
daher zusammen zu prüfen.
- 85.
- Somit ist zu prüfen, ob das Gericht dadurch, daß es die Wiedereröffnung der
mündlichen Verhandlung, den Erlaß prozeßleitender Maßnahmen und die
Anordnung einer Beweisaufnahme abgelehnt hat, Rechtsirrtümer begangen hat.
- 86.
- Die Rechtsmittelführerin trägt vor, die Ermessensausübung durch das Gericht
hinsichtlich der Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung unterliege Grenzen,
die von dem Zweck abhingen, dem die von einer Partei beantragte
Wiedereröffnung dienen solle, und sei im Rechtsmittelverfahren zu überprüfen.
Wenn die Beweisaufnahme auf die Aufklärung neuer Tatsachen gerichtet und zur
Durchführung der Beweisaufnahme eine mündliche Verhandlung erforderlich sei,
so entschieden allein die für die Beweiserhebung geltenden Rechtsgrundsätze.
Nötigten diese zur Beweiserhebung, so reduziere sich das Ermessen für die
Entscheidung über die Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung auf Null.
- 87.
- Mit ihrem Antrag vom 2. März 1992 habe sie begründet, daß es nicht nur zur
eventuellen Feststellung der Inexistenz der Polypropylen-Entscheidung, sondern
auch zur Klärung der Frage, ob die Polypropylen-Entscheidung wegen Verletzung
wesentlicher Formvorschriften fehlerhaft sei, einer Beweisaufnahme bedürfe.
- 88.
- Das Gericht habe den Vortrag neuer Tatsachen und das damit verknüpfte
Beweisangebot nicht als verspätet zurückgewiesen, sondern sich damit in der Sache
auseinandergesetzt, wobei es die rechtliche Würdigung allerdings auf den Einwand
der Inexistenz beschränkt habe. Das Gericht habe jedoch verkannt, daß sie
gleichzeitig die Verletzung wesentlicher Formvorschriften gerügt habe und daß das
Tatsachenvorbringen folglich unter diesem rechtlichen Gesichtspunkt der
Aufklärung bedurft habe.
- 89.
- Wenn die in Artikel 125 der Verfahrensordnung des Gerichts für das
Wiederaufnahmeverfahren vorgesehene Dreimonatsfrist überhaupt analog
anwendbar wäre, was für gesetzliche Regelungen von Ausschlußfristen allgemein
verneint werde, so würde diese Analogie zu ihren Gunsten sprechen, da die Frist
gewahrt sei. Sie habe nämlich erstmals durch die Erklärungen, die am 10.
Dezember 1991 im Rahmen des PVC-Verfahrens vor dem Gericht abgegeben
worden seien, Kenntnis von den Tatsachen erlangt, aus denen sich ergeben habe,
daß die in diesem Verfahren zutage getretenen Mängel des Verwaltungsakts allen
Entscheidungen der Kommission anhafteten.
- 90.
- Die Kommission macht geltend, aus Artikel 62 der Verfahrensordnung des Gerichts
ergebe sich für dieses entgegen der Ansicht der Rechtsmittelführerin keine Pflicht,
sondern nur eine Befugnis zur Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung. Das
Gericht habe in überzeugender Weise begründet, weshalb weder eine
Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung noch eine Beweisaufnahme
erforderlich seien, weil weder von Amts wegen ein entscheidungserheblicher
Sachverhalt noch ein entscheidungserhebliches rechtzeitiges Tatsachenvorbringen,
das zwischen den Parteien streitig gewesen sei, habe aufgeklärt werden müssen.
- 91.
- Eine Aufklärung von Amts wegen wäre nur notwendig gewesen, wenn die Parteienhinreichende Anhaltspunkte für die Inexistenz der Polypropylen-Entscheidung
vorgetragen hätten. Das Gericht habe zu Recht festgestellt, daß ein Verstoß gegen
die Sprachenregelung, nachträgliche Änderungen und das Fehlen der erforderlichen
Unterschriften nicht zur Inexistenz der Polypropylen-Entscheidung führen könnten.
Diese Auffassung sei vom Gerichtshof in seinem PVC-Urteil bestätigt worden. Seit
dem Erlaß des PVC-Urteils des Gerichtshofes stehe auch fest, daß das Fehlen einer
Ausfertigung einer Entscheidung gemäß Artikel 12 der Geschäftsordnung der
Kommission zur Nichtigkeit und nicht zur Inexistenz der angefochtenen
Entscheidung führen könne. Da die Rechtsmittelführerin jedoch eine auf
Verletzung dieser Formvorschrift gestützte Rüge nicht hinreichend konkret und
nicht rechtzeitig erhoben habe, habe das Gericht der Frage, ob eine
ordnungsgemäß unterzeichnete Urschrift vorgelegen habe, auch unter dem
Gesichtspunkt der Nichtigkeit der Entscheidung nicht nachzugehen brauchen.
- 92.
- Im Antrag der Rechtsmittelführerin vom 2. März 1992 werde nicht ausdrücklich die
Verletzung wesentlicher Formvorschriften gerügt, sondern es sei dort hauptsächlich
von der Inexistenz und nur an zwei Stellen sehr allgemein von der Rechtswidrigkeit
der Polypropylen-Entscheidung die Rede. Auch wenn man in diesem Antrag eine
Nichtigkeitsrüge sehen wollte, sei diese nicht hinreichend konkret und substantiiert
sowie verspätet gewesen.
- 93.
- Das Gericht habe den Antrag der Rechtsmittelführerin vom 2. März 1992 geprüft,
sei aber zu der Auffassung gelangt, daß diese nicht rechtzeitig
entscheidungserhebliche Tatsachen vorgetragen habe. Das Gericht habe zu Recht
daran gezweifelt, daß die angeblichen Mängel der Polypropylen-Entscheidung
rechtzeitig in das Verfahren eingeführt worden seien. Es habe sich dabei auf
Artikel 48 § 2 seiner Verfahrensordnung bezogen, wonach neue Angriffs- oder
Verteidigungsmittel nach Abschluß des schriftlichen Verfahrens nur vorgebracht
werden könnten, wenn sie auf rechtliche oder tatsächliche Gründe gestützt würden,
die erst während des Verfahrens zutage getreten seien.
- 94.
- Das PVC-Urteil des Gerichts könne kein während des Verfahrens zutage
getretener Grund sein, da die Rechtsprechung zu Artikel 41 Absatz 1 der EG-Satzung des Gerichtshofes auch für Artikel 48 § 2 der Verfahrensordnung des
Gerichts gelte. Nach dieser Rechtsprechung (Beschluß des Gerichts
BASF/Kommission, Randnr. 12, und Urteil des Gerichtshofes vom 19. März 1991
in der Rechtssache C-403/85 Rev., Ferrandi/Kommission, Slg. 1991, I-1215) sei ein
Urteil in einem anderen Verfahren kein Grund für ein Wiederaufnahmeverfahren.
- 95.
- Was die Erklärungen der Bevollmächtigten der Kommission in der mündlichen
Verhandlung in den PVC-Sachen im November 1991 angehe, so sei die
Rechtsmittelführerin in diesem Verfahren vertreten gewesen und hätte die
Erklärungen der Kommission bereits wesentlich früher in das Polypropylen-Verfahren einführen können. Die Rechtsmittelführerin habe die Nichtigkeitsrüge
somit nicht rechtzeitig, sondern mehr als drei Monate später erhoben. Die
Kommission weist darauf hin, daß für den analogen Fall eines
Wiederaufnahmeverfahrens nach Artikel 125 der Verfahrensordnung des Gerichts
eine Frist von drei Monaten nach dem Tag gelte, an dem der Antragsteller
Kenntnis von der von ihm angeführten Tatsache erhalten habe.
- 96.
- Zu den von der Rechtsmittelführerin behaupteten Verstößen gegen die
Sprachenregelung habe das Gericht zu Recht festgestellt, daß es sich um eine
pauschale Vermutung handele und daß die Rechtsmittelführerin keine
hinreichenden Anhaltspunkte für die Inexistenz der Polypropylen-Entscheidung
vorgetragen habe.
- 97.
- Dagegen habe das Gericht anerkannt, daß die Rechtsmittelführerin das Fehlen
einer Urschrift konkret behauptet habe. Aber auch diese konkrete Behauptung
habe das Gericht weder unter dem im angefochtenen Urteil behandelten
Gesichtspunkt der Inexistenz noch unter dem Gesichtspunkt der eventuellen
Nichtigkeit der Polypropylen-Entscheidung zu einer Beweisaufnahme veranlassen
müssen. Das Gericht habe festgestellt, daß die Rechtsmittelführerin keine
konkreten Anhaltspunkte für einen Verstoß gegen den Grundsatz der
Unantastbarkeit eines beschlossenen Rechtsakts vorgetragen habe. Überdies sei die
betreffende Rüge wegen Verstoßes gegen Artikel 48 § 2 der Verfahrensordnung
des Gerichts verspätet erhoben worden. Entgegen dem Vorbringen der
Rechtsmittelführerin habe das Gericht keineswegs anerkannt, daß diese ihre
Argumentation rechtzeitig vorgebracht habe. Es habe im Gegenteil daran Zweifel
geäußert, die Frage aber offengelassen, weil es dann die Frage der Inexistenz der
Polypropylen-Entscheidung unter dem Gesichtspunkt der Prüfung von Amts wegen
untersucht habe.
- 98.
- Zur angeblichen Verletzung einer Aufklärungspflicht durch das Gericht, die die
Rechtsmittelführerin in einer recht pauschalen Formulierung geltend mache, trägt
die Kommission vor, Artikel 64 § 3 Buchstabe d der Verfahrensordnung des
Gerichts lege nicht die Voraussetzungen für die Anordnung von prozeßleitenden
Maßnahmen fest. Aus den gleichen Gründen, aus denen das Gericht eine
Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung abgelehnt habe, habe das Gericht
auch von den von der Rechtsmittelführerin geforderten prozeßleitenden
Maßnahmen absehen können. Der Zweck solcher Maßnahmen, wie er in Artikel
64 § 1 der Verfahrensordnung des Gerichts beschrieben werde, bestehe nämlich
darin, die Vorbereitung der Entscheidungen und den Ablauf der Verfahren zu
gewährleisten, nicht aber darin, Versäumnisse des Klägers beim Vorbringen seiner
Klagegründe zu überspielen.
- 99.
- Zunächst ist zu den prozeßleitenden Maßnahmen darauf hinzuweisen, daß der
Gerichtshof nach Artikel 21 seiner EG-Satzung von den Parteien die Vorlage aller
Urkunden und die Erteilung aller Auskünfte verlangen kann, die er für
wünschenswert hält. Nach Artikel 64 § 1 der Verfahrensordnung des Gerichts sollen
prozeßleitende Maßnahmen die Vorbereitung der Entscheidungen, den Ablauf der
Verfahren und die Beilegung der Rechtsstreitigkeiten unter den bestmöglichen
Bedingungen gewährleisten.
- 100.
- Nach Artikel 64 § 2 Buchstaben a und b der Verfahrensordnung des Gerichts
haben prozeßleitende Maßnahmen insbesondere zum Ziel, den ordnungsgemäßen
Ablauf des schriftlichen Verfahrens oder der mündlichen Verhandlung zu
gewährleisten und die Beweiserhebung zu erleichtern sowie die Punkte zu
bestimmen, zu denen die Parteien ihr Vorbringen ergänzen sollen oder die eine
Beweisaufnahme erfordern. Nach Artikel 64 §§ 3 Buchstabe d und 4 gehört zu
diesen Maßnahmen, die die Parteien in jedem Verfahrensstadium vorschlagen
können, die Aufforderung zur Vorlage von Unterlagen oder Beweisstücken.
- 101.
- Wie der Gerichtshof im Urteil vom 17. Dezember 1998 in der Rechtssache
C-185/95 P (Baustahlgewebe/Kommission, Slg. 1998, I-8417, Randnr. 93)
entschieden hat, kann eine Partei beim Gericht beantragen, durch eine
prozeßleitende Maßnahme der Gegenpartei aufzugeben, in ihrem Besitz befindliche
Unterlagen vorzulegen.
- 102.
- Jedoch ergibt sich aus dem Zweck der prozeßleitenden Maßnahmen, wie er in
Artikel 64 §§ 1 und 2 der Verfahrensordnung des Gerichts dargelegt ist, daß diese
Maßnahmen in den Rahmen der verschiedenen Abschnitte des Verfahrens vor dem
Gericht eingefügt sind, deren Ablauf sie erleichtern sollen.
- 103.
- Daraus folgt, daß eine Partei nach dem Ende der mündlichen Verhandlung nur
dann noch prozeßleitende Maßnahmen beantragen kann, wenn das Gericht die
Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung beschließt. Daher hätte das Gericht
nur dann über einen solchen Antrag entscheiden müssen, wenn es dem Antrag auf
Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung stattgegeben hätte. Es besteht daher
kein Anlaß zu einer gesonderten Prüfung der Rügen, die die Rechtsmittelführerin
insoweit erhoben hat.
- 104.
- Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes (u. a. die Urteile vom 16. Juni 1971
in der Rechtssache 77/70, Prelle/Kommission, Slg. 1971, 561, Randnr. 7, und vom
15. Dezember 1995 in der Rechtssache C-415/93, Bosman, Slg. 1995, I-4921,
Randnr. 53) kann einem Antrag auf Beweisaufnahme, der nach dem Schluß der
mündlichen Verhandlung gestellt worden ist, nur stattgegeben werden, wenn er
Tatsachen von entscheidender Bedeutung für den Ausgang des Rechtsstreits
betrifft, die der Betroffene nicht schon vor dem Ende der mündlichen Verhandlung
geltend machen konnte.
- 105.
- Das gleiche gilt für den Antrag auf Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung.
Zwar verfügt das Gericht nach Artikel 62 seiner Verfahrensordnung auf diesem
Gebiet über ein Ermessen. Es braucht einem solchen Antrag jedoch nur
stattzugeben, wenn die betroffene Partei sich auf Tatsachen von entscheidender
Bedeutung beruft, die sie nicht schon vor dem Ende der mündlichen Verhandlung
geltend machen konnte.
- 106.
- Im vorliegenden Fall war der vor dem Gericht gestellte Antrag auf
Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung und Beweisaufnahme auf das
PVC-Urteil des Gerichts und Erklärungen der Bevollmächtigten der Kommission
in der mündlichen Verhandlung in den PVC-Sachen oder auf einer Pressekonferenz
nach Verkündung des genannten Urteils gestützt.
- 107.
- Die eine mutmaßliche Praxis der Kommission betreffenden Hinweise allgemeiner
Art, die sich aus einem Urteil in anderen Rechtssachen oder aus anläßlich anderer
Verfahren abgegebenen Erklärungen ergaben, konnten als solche nicht als
entscheidend für den Ausgang des beim Gericht anhängigen Rechtsstreits
angesehen werden.
- 108.
- Zu der Rüge, daß es an einer durch die Unterschriften des Präsidenten und des
Generalsekretärs der Kommission festgestellten Urschrift der
Polypropylen-Entscheidung in allen verbindlichen Sprachen fehle, hat das Gericht
zwar festgestellt, daß die Rechtsmittelführerin sie in ihrem Antrag vom 2. März
1992 konkret erhoben habe. Die Rechtsmittelführerin hat jedoch keine mit der
Polypropylen-Entscheidung verbundenen entscheidenden Tatsachen vorgetragen,
die eine Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung gerechtfertigt hätten.
- 109.
- Außerdem hätte die Rechtsmittelführerin dem Gericht schon in ihrer Klageschrift
wie einige Kläger in den PVC-Sachen zumindest einen Anhaltspunkt für die
Sachdienlichkeit der prozeßleitenden Maßnahmen oder der Beweisaufnahme für
das Verfahren geben können, um nachzuweisen, daß die Polypropylen-Entscheidung unter Verstoß gegen die anzuwendende Sprachenregelung erlassen
oder nach ihrem Erlaß durch das Kommissionskollegium geändert worden war oder
aber daß es an Urschriften fehlt (dahin gehend Urteil Baustahlgewebe/Kommission,
Randnrn. 93 f.).
- 110.
- Entgegen dem Vorbringen der Rechtsmittelführerin hat das Gericht im
angefochtenen Urteil nicht entschieden, daß die im Antrag der Rechtsmittelführerin
vom 4. März 1992 angeführten Umstände rechtzeitig vorgetragen worden sind.
- 111.
- Im übrigen war das Gericht nicht gehalten, aufgrund einer angeblichen
Verpflichtung, Rügen in bezug auf die Rechtmäßigkeit des Verfahrens zum Erlaß
der Polypropylen-Entscheidung von Amts wegen aufzugreifen, die mündliche
Verhandlung wiederzueröffnen. Eine solche Verpflichtung, den Ordre public
betreffende Rügen von Amts wegen aufzugreifen, könnte nämlich nur eventuell
aufgrund im Verfahren vorgetragener tatsächlicher Anhaltspunkte bestehen.
- 112.
- Somit ist festzustellen, daß das Gericht nicht dadurch einen Rechtsirrtum begangen
hat, daß es die Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung, den Erlaß
prozeßleitender Maßnahmen und die Anordnung einer Beweisaufnahme abgelehnt
hat.
- 113.
- Nach alledem sind der zweite Teil des Rechtsmittelgrundes der Verletzung des
Gemeinschaftsrechts und der Rechtsmittelgrund, mit dem Verfahrensfehler gerügt
werden, ebenfalls zurückzuweisen.
- 114.
- Nach alledem ist das Rechtsmittel insgesamt zurückzuweisen.
Kosten
- 115.
- Nach Artikel 69 § 2 der Verfahrensordnung, der nach deren Artikel 118 auf das
Rechtsmittelverfahren anwendbar ist, ist die unterliegende Partei auf Antrag zur
Tragung der Kosten zu verurteilen. Da die Rechtsmittelführerin mit ihrem
Vorbringen unterlegen ist, sind ihr die Kosten aufzuerlegen. Die Streithelferin hat
ihre eigenen Kosten zu tragen.
Aus diesen Gründen
hat
DER GERICHTSHOF (Sechste Kammer)
für Recht erkannt und entschieden:
1. Das Rechtsmittel wird zurückgewiesen.
2. Die Rechtsmittelführerin trägt die Kosten.
3. Die Streithelferin trägt ihre eigenen Kosten.
Kapteyn Hirsch Mancini
Murray Ragnemalm
|
Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 8. Juli 1999.
Der Kanzler
Der Präsident der Sechsten Kammer
R. Grass
P. J. G. Kapteyn