Language of document : ECLI:EU:C:2021:52

URTEIL DES GERICHTSHOFS (Fünfte Kammer)

21. Januar 2021(*)

„Rechtsmittel – Zugang zu Dokumenten der Unionsorgane – Verordnung (EG) Nr. 1049/2001 – Art. 10 – Verweigerung des Zugangs – Klage beim Gericht der Europäischen Union gegen einen Beschluss des Europäischen Parlaments, mit dem der Zugang zu einem Dokument verweigert wurde – Verbreitung eines mit Anmerkungen versehenen Dokuments durch einen Dritten nach Erhebung der Klage – Vom Gericht festgestellte Erledigung der Hauptsache aufgrund des Wegfalls des Rechtsschutzinteresses – Rechtsfehler“

In der Rechtssache C‑761/18 P

betreffend ein Rechtsmittel nach Art. 56 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union, eingelegt am 3. Dezember 2018,

Päivi LeinoSandberg, wohnhaft in Helsinki (Finnland), Prozessbevollmächtigte: O. W. Brouwer und B. A. Verheijen, advocaten, sowie Rechtsanwalt S. Schubert,

Rechtsmittelführerin,

unterstützt durch:

Republik Finnland, vertreten durch M. Pere als Bevollmächtigte,

Königreich Schweden, zunächst vertreten durch A. Falk, C. Meyer-Seitz, H. Shev, J. Lundberg und H. Eklinder als Bevollmächtigte, dann durch C. Meyer‑Seitz, H. Shev und H. Eklinder als Bevollmächtigte,

Streithelfer im Rechtsmittelverfahren,

andere Partei des Verfahrens:

Europäisches Parlament, vertreten durch C. Burgos, I. Anagnostopoulou und L. Vétillard als Bevollmächtigte,

Beklagter im ersten Rechtszug,

erlässt

DER GERICHTSHOF (Fünfte Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten E. Regan sowie der Richter M. Ilešič, E. Juhász, C. Lycourgos und I. Jarukaitis (Berichterstatter),

Generalanwalt: M. Bobek,

Kanzler: A. Calot Escobar,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 16. Juli 2020

folgendes

Urteil

1        Mit ihrem Rechtsmittel beantragt Frau Päivi Leino‑Sandberg die Aufhebung des Beschlusses des Gerichts der Europäischen Union vom 20. September 2018, Leino‑Sandberg/Parlament (T‑421/17, nicht veröffentlicht, im Folgenden: angefochtener Beschluss, EU:T:2018:628), mit dem das Gericht entschieden hat, dass ihre Klage auf Nichtigerklärung des Beschlusses des Europäischen Parlaments A(2016) 15112 vom 3. April 2017 (im Folgenden: streitiger Beschluss), mit dem ihr der Zugang zu dem an Herrn Emilio De Capitani gerichteten Beschluss A(2015) 4931 des Parlaments vom 8. Juli 2015 verweigert wurde, in der Hauptsache erledigt sei.

 Vorgeschichte des Rechtsstreits

2        Die Rechtsmittelführerin, Professorin für Völker- und Europarecht an der University of Eastern Finland (Universität von Ostfinnland), stellte im Rahmen von zwei Forschungsprojekten zur Transparenz in Trilogen beim Parlament einen Antrag auf Zugang zu Dokumenten dieses Organs. In diesem Zusammenhang beantragte sie konkret den Zugang zum Beschluss A(2015) 4931 des Europäischen Parlaments vom 8. Juli 2015, mit dem Herrn De Capitani der vollständige Zugang zu den Dokumenten LIBE‑2013‑0091‑02 und LIBE‑2013‑0091‑03 (im Folgenden: Beschluss A[2015] 4931 oder angefordertes Dokument) verweigert wurde. Mit diesem Beschluss verweigerte das Parlament Herrn De Capitani im Wesentlichen den Zugang zur vierten Spalte von zwei Tabellen, die im Rahmen der damals laufenden Triloge erstellt worden waren.

3        Gegen diesen Beschluss erhob Herr De Capitani eine Klage auf Nichtigerklärung, die am 18. September 2015 unter dem Aktenzeichen T‑540/15 in das Register der Kanzlei des Gerichts eingetragen wurde. In der Zwischenzeit veröffentlichte Herr De Capitani dieses Dokument, indem er es in einem Blog online stellte (im Folgenden: streitiges Dokument).

4        Mit dem streitigen Beschluss verweigerte das Parlament der Rechtsmittelführerin den Zugang zu dem angeforderten Dokument mit der Begründung, dass dessen Verbreitung den in Art. 4 Abs. 2 zweiter Gedankenstrich der Verordnung (EG) Nr. 1049/2001 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 30. Mai 2001 über den Zugang der Öffentlichkeit zu Dokumenten des Europäischen Parlaments, des Rates und der Kommission (ABl. 2001, L 145, S. 43) vorgesehenen Schutz von Gerichtsverfahren beeinträchtigen würde, da dieses Dokument von seinem Adressaten beim Gericht angefochten werde und das Gerichtsverfahren noch anhängig sei.

5        Mit Urteil vom 22. März 2018, De Capitani/Parlament (T‑540/15, EU:T:2018:167), erklärte das Gericht den Beschluss A(2015) 4931 für nichtig.

 Verfahren vor dem Gericht und angefochtener Beschluss

6        Mit Klageschrift, die am 6. Juli 2017 bei der Kanzlei des Gerichts einging, erhob die Rechtsmittelführerin Klage auf Nichtigerklärung des streitigen Beschlusses. Die Republik Finnland und das Königreich Schweden beantragten, in dem Verfahren als Streithelfer zur Unterstützung der Anträge der Rechtsmittelführerin zugelassen zu werden.

7        Am 14. November 2017 ersuchte das Gericht die Rechtsmittelführerin mit einer prozessleitenden Maßnahme gemäß Art. 89 seiner Verfahrensordnung u. a. darum, ihm mitzuteilen, ob sie ihr Begehren für erledigt erachte, da das streitige Dokument für sie im Internet zugänglich sei. Am 27. März 2018 beantragte das Parlament mit gemäß Art. 130 Abs. 2 dieser Verfahrensordnung gesondert bei der Kanzlei eingereichtem Schriftsatz die Feststellung der Erledigung der Hauptsache.

8        Am 20. April 2018 reichte die Rechtsmittelführerin bei der Kanzlei des Gerichts ihre Stellungnahme zum Antrag auf Feststellung der Erledigung der Hauptsache ein und beantragte, den Antrag zurückzuweisen.

9        Mit dem angefochtenen Beschluss entschied das Gericht, dass die Klage der Rechtsmittelführerin in der Hauptsache erledigt sei, da die Klage nach der Verbreitung des streitigen Dokuments im Internet gegenstandslos geworden sei. Das Gericht schloss die Anwendung der Rechtsprechung aus, wonach ein Kläger weiterhin ein Interesse daran haben kann, eine Handlung eines Organs der Union für nichtig erklären zu lassen, um zu verhindern, dass sich der behauptete Rechtsverstoß in Zukunft wiederholt. Nach Ansicht des Gerichts erfolgte die Verweigerung des Zugangs durch das Parlament fallspezifisch und ad hoc.

 Anträge der Parteien vor dem Gerichtshof

10      Mit ihrem Rechtsmittel beantragt die Rechtsmittelführerin,

–        den angefochtenen Beschluss aufzuheben;

–        den Rechtsstreit endgültig zu entscheiden;

–        dem Parlament die Kosten aufzuerlegen;

–        den Streithelfern ihre eigenen Kosten aufzuerlegen.

11      Die Republik Finnland beantragt,

–        den angefochtenen Beschluss aufzuheben;

–        die Sache zur erneuten Prüfung an das Gericht zurückzuverweisen.

12      Das Königreich Schweden beantragt,

–        den angefochtenen Beschluss aufzuheben;

–        den Rechtsstreit endgültig zu entscheiden.

13      Das Parlament beantragt,

–        das Rechtsmittel zurückzuweisen;

–        der Rechtsmittelführerin die Kosten aufzuerlegen.

 Zum Rechtsmittel

14      Die Rechtsmittelführerin stützt ihr Rechtsmittel auf zwei Gründe. Mit ihrem ersten Rechtsmittelgrund beanstandet sie die Feststellung des Gerichts, dass die Klage gegenstandslos geworden und in der Hauptsache erledigt sei. Mit ihrem zweiten Rechtsmittelgrund rügt sie die Entscheidung des Gerichts, dass ihr Rechtsschutzinteresse aufgrund der Veröffentlichung des streitigen Dokuments durch einen Dritten nicht mehr gegeben sei.

 Zum ersten Rechtsmittelgrund

 Vorbringen der Parteien

15      Mit ihrem ersten Rechtsmittelgrund, der sich in zwei Rügen gliedert, macht die Rechtsmittelführerin im Wesentlichen geltend, das Gericht habe mit seiner Entscheidung, dass die Klage aufgrund der Veröffentlichung des streitigen Dokuments durch dessen Adressat im Internet gegenstandslos geworden sei, einen Rechtsfehler begangen.

16      Die Rechtsmittelführerin macht zum einen geltend, das Gericht habe gegen den sich aus dem Urteil vom 4. September 2018, ClientEarth/Kommission (C‑57/16 P, EU:C:2018:660), ergebenden Grundsatz verstoßen, dass ein Rechtsstreit trotz der Veröffentlichung der angeforderten Dokumente nicht gegenstandslos werde, wenn das Organ, das den Zugang zu diesen Dokumenten ursprünglich verweigert habe, seinen Beschluss nicht zurücknehme. Das Parlament habe den streitigen Beschluss im vorliegenden Fall nicht zurückgenommen.

17      Zum anderen wirft die Rechtsmittelführerin dem Gericht vor, ein zu enges sowie falsches Kriterium angewandt zu haben, indem es sich auf die Prüfung beschränkt habe, ob sie das streitige Dokument nach dessen Veröffentlichung durch Herrn De Capitani in seinem Blog „völlig rechtmäßig“ habe verwenden können. Als Forscherin sei sie zur Einhaltung akademischer Qualitäts‑, Objektivitäts- und Ethikstandards und damit dazu verpflichtet, ausschließlich Informationen aus authentischen Quellen zu verwenden, und Herr De Capitani habe selbst darauf hingewiesen, dass es sich bei der veröffentlichten Fassung des angeforderten Dokuments um „eine von [ihm] mit Hervorhebungen und Anmerkungen versehene Fassung“ handele. Im Übrigen ergebe sich aus dem Zweck der Verordnung Nr. 1049/2001 nicht, dass diese dahin auszulegen sei, dass die Veröffentlichung eines Dokuments durch einen Dritten den vom betreffenden Organ gemäß dieser Verordnung gewährten öffentlichen Zugang ersetzen könne.

18      Die finnische und die schwedische Regierung unterstützen das Vorbringen der Rechtsmittelführerin und sind der Ansicht, dass die Klage nicht gegenstandslos geworden sei.

19      Insbesondere ist die finnische Regierung der Ansicht, dass der Gerichtshof nach ihrer Kenntnis zu keiner Zeit davon ausgegangen sei, dass die Verbreitung eines Dokuments durch einen Dritten für die Beurteilung der Frage relevant sei, ob das Rechtsschutzinteresse eines Klägers in einer die Anwendung der Verordnung Nr. 1049/2001 betreffenden Rechtssache fortbestehe. Im Übrigen unterscheide sich der Sachverhalt der vorliegenden Rechtssache von den Sachverhalten in den Rechtssachen, in denen der Beschluss vom 11. Dezember 2006, Weber/Kommission (T‑290/05, nicht veröffentlicht, EU:T:2006:381), sowie die Urteile vom 3. Oktober 2012, Jurašinović/Rat (T‑63/10, EU:T:2012:516), und vom 15. Oktober 2013, European Dynamics Belgium u. a./EMA (T‑638/11, nicht veröffentlicht, EU:T:2013:530), ergangen seien, auf die das Gericht in Rn. 27 des angefochtenen Beschlusses Bezug genommen habe.

20      Das Parlament beantragt, den ersten Rechtsmittelgrund zurückzuweisen.

21      Zum einen weist das Parlament darauf hin, dass sich der Sachverhalt der vorliegenden Rechtssache und der Sachverhalt, zu dem das Urteil vom 4. September 2018, ClientEarth/Kommission (C‑57/16 P, EU:C:2018:660), ergangen sei, unterschieden und die Erwägungen des Gerichtshofs in diesem Urteil nicht auf die vorliegende Rechtssache übertragen werden könnten. Dieses Urteil und die vorliegende Rechtssache hätten lediglich gemein, dass das betreffende Organ den streitigen Beschluss nicht zurückgenommen habe.

22      Zum anderen seien das Vorbringen hinsichtlich der Qualitätsstandards und des Umstands, dass es für einen Hochschullehrer nicht möglich sei, sich auf Internetrecherchen zu stützen, vor dem Gericht nicht geltend gemacht worden. Es handele sich somit um ein neues Angriffsmittel, mit dem der Streitgegenstand erweitert werde und das folglich als unzulässig zurückzuweisen sei.

23      Im Übrigen habe das Gericht weder festgestellt noch geprüft, ob die Veröffentlichung des streitigen Dokuments durch Herrn De Capitani den öffentlichen Zugang wirksam ersetzen könne, sondern lediglich beurteilt, ob die Rechtsmittelführerin dieses Dokument völlig rechtmäßig für ihre universitäre Tätigkeit habe nutzen können.

24      Zum Vorbringen der finnischen Regierung, die Rechtsmittelführerin könne keine vollständige Gewissheit hinsichtlich der Rechtmäßigkeit der Veröffentlichung und der Verwendung des streitigen Dokuments haben, macht das Parlament außerdem geltend, dass die Rechtsmittelführerin niemals Zweifel daran geäußert habe, dass es tatsächlich Herr De Capitani, der Adressat des angeforderten Dokuments, gewesen sei, der das streitige Dokument veröffentlicht habe. Nach Ansicht des Parlaments besteht insoweit kein Zweifel.

25      Schließlich gehe entgegen der Ansicht der finnischen Regierung aus der in dem angefochtenen Beschluss angeführten Rechtsprechung hervor, dass das Gericht ein allgemeines Kriterium festgelegt habe, indem es entschieden habe, dass eine Nichtigkeitsklage gegen einen Beschluss, mit dem der Zugang zu Dokumenten verweigert worden sei, gegenstandslos werde, wenn diese Dokumente von einem Dritten zugänglich gemacht worden seien und der Antragsteller tatsächlich zu ihnen Zugang haben und von ihnen so rechtmäßig Gebrauch machen könne, als hätte er sie auf Antrag gemäß der Verordnung Nr. 1049/2001 hin erhalten.

 Würdigung durch den Gerichtshof

26      Mit ihrem ersten Rechtsmittelgrund macht die Rechtsmittelführerin, unterstützt durch die finnische und die schwedische Regierung, im Wesentlichen geltend, das Gericht habe mit seiner Entscheidung, dass die Klage gegenstandslos geworden sei, einen Rechtsfehler begangen. Sie rügt erstens, die Klage sei nicht gegenstandslos geworden, da das Parlament den streitigen Beschluss nicht zurückgenommen habe, und zweitens, das Gericht habe ein zu enges sowie falsches Kriterium angewandt, indem es sich auf die Prüfung beschränkt habe, ob sie das streitige Dokument nach dessen Verbreitung durch einen Dritten im Internet in einer mit Kommentaren und Hervorhebungen versehenen Fassung rechtmäßig habe verwenden können, obwohl sie als akademische Forscherin dazu verpflichtet sei, ausschließlich Informationen aus authentischen Quellen zu verwenden.

27      Zu der in Rn. 22 des vorliegenden Urteils dargelegten Unzulässigkeitseinrede, dass die zweite Rüge vor dem Gericht nicht geltend gemacht worden sei, ist darauf hinzuweisen, dass einer Partei nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs, wenn sie vor diesem erstmals ein Angriffs- oder Verteidigungsmittel vorbringen könnte, das sie vor dem Gericht nicht vorgebracht hat, letztlich gestattet würde, den Gerichtshof mit einem weiter reichenden Rechtsstreit zu befassen, als ihn das Gericht zu entscheiden hatte. Im Rahmen eines Rechtsmittels kann der Gerichtshof grundsätzlich nur überprüfen, wie das Gericht die vor ihm erörterten Angriffs- und Verteidigungsmittel gewürdigt hat. Ein Argument, das im ersten Rechtszug nicht geltend gemacht wurde, ist jedoch dann kein neues, im Rechtsmittelverfahren unzulässiges Angriffs- oder Verteidigungsmittel, wenn es lediglich eine Erweiterung eines bereits vor dem Gericht geltend gemachten Arguments darstellt (Urteil vom 10. April 2014, Areva u. a./Kommission, C‑247/11 P und C‑253/11 P, EU:C:2014:257, Rn. 113 und 114 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).

28      Im vorliegenden Fall hat die Rechtsmittelführerin in Rn. 3 ihrer beim Gericht abgegebenen Stellungnahme zum Antrag auf Feststellung der Erledigung der Hauptsache im Wesentlichen geltend gemacht, dass ein Dokument nicht als „veröffentlicht“ angesehen werden könne, wenn es von einer Privatperson im Internet verbreitet worden sei, da eine solche Verbreitung nicht mit dem vom Organ gewährten Zugang oder seiner Veröffentlichung durch dieses Organ vergleichbar sei.

29      Obwohl die Rechtsmittelführerin im ersten Rechtszug nicht ausdrücklich geltend gemacht hat, dass sie als Forscherin, die zur Einhaltung akademischer Qualitäts- und Objektivitätsstandards verpflichtet sei, ausschließlich Informationen aus authentischen Quellen verwenden dürfe, handelt es sich folglich bei der zweiten Rüge, das Gericht habe ein zu enges sowie falsches Kriterium angewandt, indem es sich darauf berufen habe, dass die Rechtsmittelführerin das streitige Dokument nach dessen Veröffentlichung durch einen Dritten rechtmäßig habe verwenden können, um eine Erweiterung ihrer Argumentation vor dem Gericht.

30      Unter diesen Umständen ist die zweite Rüge des ersten Rechtsmittelgrundes zulässig.

31      Zur Begründetheit des ersten Rechtsmittelgrundes ist festzustellen, dass das Gericht in Rn. 27 des angefochtenen Beschlusses auf seine Rechtsprechung hingewiesen hat, wonach „eine Klage auf Nichtigerklärung eines Beschlusses, mit dem der Zugang zu Dokumenten verweigert wurde, gegenstandslos wird, wenn die fraglichen Dokumente von einem Dritten zugänglich gemacht wurden und der Antragsteller zu ihnen Zugang haben und von ihnen so rechtmäßig Gebrauch machen kann, als hätte er sie auf seinen Antrag gemäß der Verordnung Nr. 1049/2001 hin erhalten“. Außerdem hat das Gericht in Rn. 28 des Beschlusses festgestellt, dass diese Rechtsprechung erst recht auf den vorliegenden Fall anwendbar sei, „da vom Adressaten des [streitigen] Dokuments selbst eine vollständige Fassung des Dokuments zugänglich gemacht wurde, so dass kein Zweifel daran besteht, dass die Rechtsmittelführerin es völlig rechtmäßig für ihre universitäre Tätigkeit nutzen kann“.

32      Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs muss das Rechtsschutzinteresse eines Klägers im Hinblick auf den Klagegegenstand bei Klageerhebung gegeben sein, andernfalls ist das Rechtsmittel unzulässig. Ebenso wie das Rechtsschutzinteresse muss auch der Streitgegenstand bis zum Erlass der gerichtlichen Entscheidung weiter vorliegen – andernfalls ist der Rechtsstreit in der Hauptsache erledigt –, was voraussetzt, dass die Klage der Partei, die sie erhoben hat, im Ergebnis einen Vorteil verschaffen kann (Urteile vom 28. Mai 2013, Abdulrahim/Rat und Kommission, C‑239/12 P, EU:C:2013:331, Rn. 61, vom 23. November 2017, Bionorica und Diapharm/Kommission, C‑596/15 P und C‑597/15 P, EU:C:2017:886, Rn. 84 und 85, vom 6. September 2018, Bank Mellat/Rat, C‑430/16 P, EU:C:2018:668, Rn. 50, sowie vom 17. Oktober 2019, Alcogroup und Alcodis/Kommission, C‑403/18 P, EU:C:2019:870, Rn. 24).

33      Im vorliegenden Fall ist festzustellen, dass zwar das streitige Dokument von einem Dritten verbreitet wurde, der streitige Beschluss aber vom Parlament nicht formell zurückgenommen wurde und daher der Gegenstand des Rechtsstreits entgegen den Feststellungen des Gerichts, u. a. in den Rn. 27 und 28 des angefochtenen Beschlusses, nicht weggefallen ist (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 4. September 2018, ClientEarth/Kommission, C‑57/16 P, EU:C:2018:660, Rn. 45 und die dort angeführte Rechtsprechung).

34      Um feststellen zu können, ob das Gericht über die Begründetheit der Klage hätte entscheiden müssen, ist folglich gemäß der in Rn. 32 des vorliegenden Urteils angeführten Rechtsprechung des Gerichtshofs zu prüfen, ob die Rechtsmittelführerin trotz dieser Verbreitung weiterhin ein Rechtsschutzinteresse geltend machen konnte, d. h., zu klären, ob die Rechtsmittelführerin durch diese Verbreitung hinsichtlich der mit ihrem Antrag auf Zugang zu dem betreffenden Dokument verfolgten Ziele vollständig zufrieden gestellt wurde (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 4. September 2018, ClientEarth/Kommission, C‑57/16 P, EU:C:2018:660, Rn. 47).

35      Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass das Rechtsschutzinteresse, das bis zum Erlass der gerichtlichen Entscheidung weiter vorliegen muss – andernfalls ist der Rechtsstreit in der Hauptsache erledigt –, zwar eine vom auf den Rechtsstreit in der Sache anwendbaren materiellen Recht unabhängige prozessuale Voraussetzung ist, es aber nicht von diesem Recht getrennt werden kann, da das Rechtsschutzinteresse in Bezug auf den in der Klageschrift gestellten materiellen Antrag zu beurteilen ist.

36      Hierzu ist darauf hinzuweisen, dass die Verordnung Nr. 1049/2001 nach ihrem ersten Erwägungsgrund dem Willen des Unionsgesetzgebers folgt, der in Art. 1 Abs. 2 EUV seinen Ausdruck gefunden hat und wonach dieser Vertrag eine neue Stufe bei der Verwirklichung einer immer engeren Union der Völker Europas darstellt, in der die Entscheidungen möglichst offen und möglichst bürgernah getroffen werden (Urteil vom 4. September 2018, ClientEarth/Kommission, C‑57/16 P, EU:C:2018:660, Rn. 73 und die dort angeführte Rechtsprechung).

37      Dieses grundlegende Ziel der Union spiegelt sich zum einen in Art. 15 Abs. 1 AEUV wider, der u. a. vorsieht, dass die Organe, Einrichtungen und sonstigen Stellen der Union unter weitestgehender Beachtung des Grundsatzes der Offenheit handeln, eines Grundsatzes, der auch in Art. 10 Abs. 3 EUV und Art. 298 Abs. 1 AEUV bekräftigt wird, sowie zum anderen in der Verbürgung des Rechts auf Zugang zu Dokumenten in Art. 42 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (Urteil vom 4. September 2018, ClientEarth/Kommission, C‑57/16 P, EU:C:2018:660, Rn. 74 und die dort angeführte Rechtsprechung).

38      Vor diesem Hintergrund soll die Verordnung Nr. 1049/2001, wie sich aus ihrem vierten Erwägungsgrund und Art. 1 ergibt, der Öffentlichkeit ein größtmögliches Recht auf Zugang zu den Dokumenten der Organe gewähren (Urteil vom 1. Juli 2008, Schweden und Turco/Rat, C‑39/05 P und C‑52/05 P, EU:C:2008:374, Rn. 33).

39      Hierzu sieht Art. 2 der Verordnung Nr. 1049/2001 in Abs. 1 vor, dass „[j]eder Unionsbürger sowie jede natürliche oder juristische Person mit Wohnsitz oder Sitz in einem Mitgliedstaat … vorbehaltlich der in dieser Verordnung festgelegten Grundsätze, Bedingungen und Einschränkungen ein Recht auf Zugang zu Dokumenten der Organe [hat]“, und legt in Abs. 4 ergänzend fest, dass „[u]nbeschadet der Artikel 4 und 9 [dieser Verordnung] Dokumente der Öffentlichkeit entweder auf schriftlichen Antrag oder direkt in elektronischer Form oder über ein Register zugänglich gemacht [werden]“.

40      Somit begründet diese Verordnung zum einen das grundsätzliche Recht jeder Person auf Zugang zu den Dokumenten eines Organs und zum anderen die grundsätzliche Verpflichtung eines Organs, Zugang zu seinen Dokumenten zu gewähren.

41      Art. 4 dieser Verordnung nennt abschließend die Ausnahmen vom Recht auf Zugang zu Dokumenten der Organe, aufgrund deren die Organe den Zugang zu einem Dokument verweigern können, um zu verhindern, dass durch dessen Verbreitung eines der mit diesem Art. 4 geschützten Interessen beeinträchtigt würde (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 28. November 2013, Jurašinović/Rat, C‑576/12 P, EU:C:2013:777, Rn. 44 und die dort angeführte Rechtsprechung).

42      Art. 10 dieser Verordnung, der die Modalitäten für den Zugang zu Dokumenten im Anschluss an einen Antrag betrifft, sieht in Abs. 1 vor, dass dieser Zugang „je nach Wunsch des Antragstellers entweder durch Einsichtnahme vor Ort oder durch Bereitstellung einer Kopie, gegebenenfalls in elektronischer Form [erfolgt]“.

43      Art. 10 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1049/2001 sieht vor, dass „das Organ seiner Verpflichtung zur Gewährung des Zugangs zu Dokumenten nachkommen [kann], indem es den Antragsteller darüber informiert, wie er das angeforderte Dokument erhalten kann“, jedoch lediglich dann, wenn „ein Dokument bereits von dem betreffenden Organ freigegeben worden und für den Antragsteller problemlos zugänglich [ist]“.

44      Somit kommt das betreffende Organ, indem es den Antragsteller darüber informiert, wie er ein angefordertes Dokument erhalten kann, das bereits von dem Organ freigegeben wurde, seiner Verpflichtung nach, Zugang zu diesem Dokument zu gewähren, als ob es dieses dem Antragsteller direkt übermittelt hätte. Eine derartige Unterrichtung ist nämlich eine wesentliche Voraussetzung, um die Vollständigkeit, die Unverfälschtheit und die rechtmäßige Verwendung des angeforderten Dokuments zu verifizieren.

45      Es kann hingegen nicht davon ausgegangen werden, dass das betreffende Organ seiner Verpflichtung, Zugang zu einem Dokument zu gewähren, allein dadurch nachgekommen ist, dass dieses Dokument durch einen Dritten verbreitet wurde und der Antragsteller Einblick darin genommen hat.

46      Im Gegensatz zu dem Fall, dass das betreffende Organ selbst ein Dokument verbreitet hat und es dem Antragsteller damit ermöglicht, Einblick darin zu nehmen und es rechtmäßig zu verwenden, wobei er auf die Vollständigkeit und die Unverfälschtheit des Dokuments vertrauen kann, kann ein durch einen Dritten verbreitetes Dokument nicht als offizielles Dokument oder als Ausdruck der offiziellen Position eines Organs angesehen werden, wenn dieses nicht eindeutig bestätigt, dass das Dokument tatsächlich von ihm stammt und seine offizielle Position zum Ausdruck bringt.

47      Wenn der vom Parlament vertretenen und vom Gericht übernommenen Auffassung gefolgt würde, würde ein Organ von seiner Verpflichtung, Zugang zum angeforderten Dokument zu gewähren, befreit, auch wenn keine der in der Verordnung Nr. 1049/2001 vorgesehenen Voraussetzungen für eine Befreiung von dieser Verpflichtung erfüllt ist.

48      Daher kann in einem Fall wie dem vorliegenden, in dem die Rechtsmittelführerin lediglich Zugang zu dem durch einen Dritten verbreiteten streitigen Dokument erhalten hat und das Parlament ihr den Zugang zu dem angeforderten Dokument weiterhin verweigert, weder davon ausgegangen werden, dass die Rechtsmittelführerin Zugang zu letzterem Dokument im Sinne der Verordnung Nr. 1049/2001 erhalten hat, noch, dass ihr Interesse an der Nichtigerklärung des streitigen Beschlusses folglich allein aufgrund dieser Verbreitung erloschen ist. In einem solchen Fall bleibt vielmehr ein tatsächliches Interesse der Rechtsmittelführerin daran bestehen, Zugang zu einer beglaubigten Fassung des angeforderten Dokuments im Sinne von Art. 10 Abs. 1 und 2 dieser Verordnung zu erhalten, wodurch sichergestellt wird, dass dieses Organ dessen Urheber ist und dass dieses Dokument die offizielle Position des Organs zum Ausdruck bringt.

49      Folglich hat das Gericht in den Rn. 27 und 28 des angefochtenen Beschlusses einen Rechtsfehler begangen, indem es die Verbreitung eines Dokuments durch einen Dritten mit der Verbreitung des angeforderten Dokuments durch das betreffende Organ im Sinne der Verordnung Nr. 1049/2001 gleichgesetzt und daraus in Rn. 37 dieses Beschlusses den Schluss gezogen hat, dass die Klage der Rechtsmittelführerin in der Hauptsache erledigt sei, da die Rechtsmittelführerin aufgrund der Verbreitung des Dokuments durch einen Dritten Zugang zu ihm gehabt habe und von ihm so rechtmäßig Gebrauch habe machen können, als hätte sie es erhalten, weil einem Antrag gemäß dieser Verordnung stattgegeben worden sei.

50      Nach alledem ist dem ersten Rechtsmittelgrund stattzugeben und der angefochtene Beschluss aufzuheben, ohne dass die anderen Argumente dieses Rechtsmittelgrundes oder der zweite Rechtsmittelgrund geprüft werden müssten.

 Zur Klage vor dem Gericht

51      Gemäß Art. 61 Abs. 1 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union kann dieser im Fall der Aufhebung der Entscheidung des Gerichts den Rechtsstreit entweder selbst endgültig entscheiden, wenn er zur Entscheidung reif ist, oder die Sache zur Entscheidung an das Gericht zurückverweisen.

52      Da das Gericht im vorliegenden Fall dem Antrag des Parlaments auf Feststellung der Erledigung der Hauptsache stattgegeben hat, ohne die Begründetheit der Klage der Rechtsmittelführerin geprüft zu haben, hält der Gerichtshof den Rechtsstreit nicht für entscheidungsreif. Daher ist die Sache an das Gericht zurückzuverweisen.

 Kosten

53      Da die Sache an das Gericht zurückverwiesen wird, ist die Kostenentscheidung vorzubehalten.

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Fünfte Kammer) für Recht erkannt und entschieden:

1.      Der Beschluss des Gerichts der Europäischen Union vom 20. September 2018, LeinoSandberg/Parlament (T421/17, nicht veröffentlicht, EU:T:2018:628), wird aufgehoben.

2.      Die Sache wird an das Gericht der Europäischen Union zurückverwiesen.

3.      Die Kostenentscheidung bleibt vorbehalten.

Unterschriften


*      Verfahrenssprache: Englisch.