Language of document : ECLI:EU:T:2009:519

URTEIL DES GERICHTS (Sechste Kammer)

17. Dezember 2009(*)

„Wettbewerb – Missbrauch einer beherrschenden Stellung – Sodamarkt in der Gemeinschaft (mit Ausnahme des Vereinigten Königreichs und Irlands) – Entscheidung, mit der eine Zuwiderhandlung gegen Art. 82 EG festgestellt wird – Bezugsvereinbarungen für einen übermäßig langen Zeitraum – Treuerabatt – Verjährung der Befugnis der Kommission, Geldbußen oder Sanktionen zu verhängen – Angemessene Verfahrensdauer – Wesentliche Formvorschriften – Räumlich relevanter Markt – Vorliegen einer beherrschenden Stellung – Missbräuchliche Ausnutzung der beherrschenden Stellung – Recht auf Akteneinsicht – Geldbuße – Schwere und Dauer der Zuwiderhandlung – Erschwerende Umstände – Wiederholungsfall – Mildernde Umstände“

In der Rechtssache T‑57/01

Solvay SA mit Sitz in Brüssel (Belgien), Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwälte L. Simont, P.-A. Foriers, G. Block, F. Louis und A. Vallery,

Klägerin,

gegen

Europäische Kommission, vertreten durch P. Oliver und J. Currall als Bevollmächtigte im Beistand von Rechtsanwalt N. Coutrelis,

Beklagte,

wegen Nichtigerklärung der Entscheidung 2003/6/EG der Kommission vom 13. Dezember 2000 in einem Verfahren nach Artikel 82 [EG] (Sache COMP/33.133 – C: Natriumkarbonat – Solvay) (ABl. 2003, L 10, S. 10), hilfsweise wegen Aufhebung oder Herabsetzung der gegen die Klägerin verhängten Geldbuße,

erlässt

DAS GERICHT (Sechste Kammer)

unter Mitwirkung des Präsidenten A. W. H. Meij sowie der Richter V. Vadapalas (Berichterstatter) und A. Dittrich,

Kanzler: K. Pocheć, Verwaltungsrätin,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 26. Juni 2008

folgendes

Urteil

 Sachverhalt

1        Die Klägerin, die Solvay SA, ist eine Gesellschaft belgischen Rechts, die in den Bereichen Pharmazie, Chemie, Kunststoff und Verarbeitung tätig ist. Sie stellt vor allem Natriumkarbonat her.

2        Natriumkarbonat kommt entweder als Erz in der Natur vor (natürliche Soda) oder wird durch ein chemisches Verfahren gewonnen (künstliche Soda). Natürliche Soda wird gewonnen, indem Erz zermahlen, gereinigt und kalziniert wird. Künstliche Soda entsteht durch eine Reaktion von Salz und Kalkstein im „Ammoniumsoda-Verfahren“, das von den Brüdern Solvay im Jahr 1863 entwickelt wurde.

3        Am 7. Februar 1978 schloss die Klägerin mit drei belgischen Glasherstellern, ihren drei wichtigsten Stammkunden in Belgien, „Gesamtbezugsverträge“, die eine Laufzeit von 5 Jahren hatten und in denen Preisangleichungsklauseln enthalten waren.

4        Diese Vereinbarungen führten zu einem Gerichtsverfahren vor den belgischen Gerichten, das von einem amerikanischen Hersteller von Natriumkarbonat eingeleitet wurde. Mit Urteil vom 20. Oktober 1989 wies die Cour d’appel de Liège die Klage dieses amerikanischen Herstellers ab, nachdem die Cour de cassation die Rechtssache an sie verwiesen hatte.

5        Parallel dazu leitete die Kommission der Europäischen Gemeinschaften ein Verfahren nach Art. 81 EG ein. Mit Schreiben vom 21. Oktober 1980 teilte sie der Klägerin die Punkte der Vereinbarungen mit, die ihres Erachtens im Hinblick auf das europäische Wettbewerbsrecht beanstandet werden konnten. Sie wies insbesondere darauf hin, dass sie „Gesamtbezugsvereinbarungen“ oder Vereinbarungen der Art „Prozentsatz vom Gesamtbedarf“ nicht akzeptieren könne, dass sie aber Verträge mit „Mengenvereinbarungen“ insoweit erlaube, als der Kunde die Möglichkeit behalte, einen nicht unerheblichen Teil seines Bedarfs bei anderen Herstellern zu beziehen. Die Kommission setzte die Laufzeit der Bezugsvereinbarungen auf maximal zwei Jahre fest und behielt sich die Beurteilung der Wettbewerbsklausel vor.

6        Am 16. Dezember 1980 übermittelte die Klägerin der Kommission den Entwurf eines Schreibens an ihre Landesdirektionen, in dem diese angewiesen wurden, beim Abschluss von Verträgen mit „Mengenvereinbarungen“ bestimmten Leitlinien zu folgen, die unter Berücksichtigung der Bemerkungen der Kommission erstellt worden waren.

7        Mit Schreiben vom 2. Februar 1981 teilte die Kommission der Klägerin mit, dass die Leitlinien in dem Entwurf des Schreibens vom 16. Dezember 1980 ihren Anforderungen an die Änderung der Bezugsvereinbarungen für Natriumkarbonat entsprächen. Sie machte jedoch Vorbehalte in Bezug auf die als „englische Klausel“ bezeichnete Wettbewerbsklausel geltend und verlangte die Änderung der Verträge mit den drei belgischen Glasherstellern.

8        Die Klägerin passte den Entwurf des Schreibens entsprechend den Bemerkungen der Kommission zur Wettbewerbsklausel an und richtete am 19. Februar 1981 ein Schreiben an ihre Landesdirektionen, in dem sie diese aufforderte, ihre Mengenvereinbarungen mit der Glasindustrie infolge der Bemerkungen der Kommission zu ändern. Mit Schreiben vom 29. Oktober 1981 informierte die Klägerin die Kommission über den Stand der Verhandlungen mit der Glasindustrie zur Anpassung der bestehenden Verträge an die Erfordernisse des Wettbewerbsrechts der Gemeinschaft.

9        Unter diesen Umständen beschloss die Kommission, das Verfahren nach Art. 81 EG zu beenden. Sie veröffentlichte auch am 5. Februar 1982 eine Pressemitteilung, in der sie darauf hinwies, dass im Natriumkarbonatsektor die Klägerin ihre Bezugsverträge geändert habe, um sie mit dem Wettbewerbsrecht der Gemeinschaft in Einklang zu bringen.

10      Zur Zeit der Ereignisse des vorliegenden Rechtsstreits war die Klägerin im Natriumkarbonatsektor über Vertriebseinheiten präsent, die in neun Ländern niedergelassen waren, und zwar in Belgien, Deutschland, Frankreich, Italien, den Niederlanden, Österreich, Portugal, der Schweiz und Spanien. Sie besaß auch Produktionseinheiten in Belgien, Deutschland, Frankreich, Italien, Österreich, Portugal und Spanien.

11      1987 betrug die Produktionskapazität der Klägerin insgesamt etwa 4 Millionen Tonnen, und ihre Produktion in Europa belief sich auf etwa 3,7 Millionen Tonnen.

12      In einer am 2. November 1988 übermittelten Fernkopie, die weder Datum noch Unterschrift enthält, aber den Briefkopf der Klägerin trägt und an die Kommission adressiert war, wird darauf hingewiesen, dass im Jahr 1988 die Produktionskapazität für Natriumkarbonat weltweit im Bereich von 37 Millionen Tonnen gelegen habe und der weltweite Verbrauch von Natriumkarbonat im Bereich von 31 Millionen Tonnen.

13      1988 verfügte die Klägerin u. a. über 52,5 % des deutschen Marktes, 96,9 % des österreichischen Marktes, 82 % des belgischen Marktes, 99,6 % des spanischen Marktes, 54,9 % des französischen Marktes, 95 % des italienischen Marktes, 14,7 % des niederländischen Marktes, 100 % des portugiesischen Marktes und 76,1 % des Schweizer Marktes.

14      1989 betrug der Verbrauch von Natriumkarbonat in der Europäischen Gemeinschaft etwa 5,5 Millionen Tonnen mit einem Marktwert von etwa 900 Mio. ECU.

15      Gemeinschaftshersteller waren im Zeitraum 1987–1989 neben der Klägerin die Gesellschaften Imperial Chemical Industries (im Folgenden: ICI), Rhône-Poulenc, AKZO, Matthes & Weber sowie die Gesellschaft Chemische Fabrik Kalk (im Folgenden: CFK), Tochtergesellschaft der Kali & Salz, die zur BASF-Gruppe gehört.

16      Kunden der Klägerin waren Unternehmen der Glasindustrie, der chemischen Industrie und der Metallindustrie. Zur entscheidungserheblichen Zeit war ihr wichtigster Kunde die Saint-Gobain SA und die anderen Gesellschaften dieser Gruppe (im Folgenden: Saint-Gobain-Gruppe), nicht nur für Natriumkarbonat, sondern für den gesamten Tätigkeitsbereich der Klägerin. Diese Gruppe hatte Tochtergesellschaften in mehreren Staaten Westeuropas, die Natriumkarbonat bei den Landesdirektionen der Klägerin bezogen.

17      1988 machten die Einfuhren aus Ländern Osteuropas, auf die bei der Einfuhr in die Gemeinschaft Antidumpingzölle erhoben wurden, u. a. 8,1 % des deutschen Marktes, 2 % des österreichischen Marktes, 2,1 % des belgischen Marktes, 1,4 % des französischen Marktes und 3 % des italienischen Marktes aus.

18      Auf Einfuhren mit Ursprung in den Vereinigten Staaten wurden auch Antidumpingzölle erhoben, manche Einfuhren erfolgten jedoch im Verfahren der aktiven Veredelung. 1988 machten die Einfuhren von amerikanischem Soda 2,4 % des belgischen Marktes, 0,9 % des französischen Marktes und 3 % des niederländischen Marktes aus; auf den deutschen Markt erstreckten sie sich nicht.

19      Am 5. April 1989 erließ die Kommission eine Entscheidung betreffend eine Nachprüfung gemäß Art. 14 Abs. 3 der Verordnung Nr. 17 des Rates bei AKZO, CFK, ICI, Matthes & Weber, Rhône Poulenc und Solvay (Sache IV/33.133) (im Folgenden: Nachprüfungsentscheidung) mit u. a. folgenden Erwägungsgründen:

„… Nach den der Kommission vorliegenden Informationen ist der Sodamarkt in der Gemeinschaft strikt nach Mitgliedstaaten nach dem Heimatmarktgrundsatz aufgeteilt, d. h. dass Verkäufe auf den Mitgliedstaat der Produktionsanlagen zu begrenzen sind.

So verfügt Solvay über sieben Produktionsanlagen in der Gemeinschaft und ist der einzige Hersteller, der in die Mehrzahl der Mitgliedstaaten liefert, mit Ausnahme vom Vereinigten Königreich und Irland, die ICI vorbehalten sind.

ICI seinerseits liefert außerhalb seiner Heimatmärkte Vereinigtes Königreich und Irland offenbar überhaupt nicht, und auch die anderen Hersteller beschränken ihre Lieferungen auf ihre traditionellen, nationalen Märkte.

Nach den Informationen der Kommission sind die Listenpreise von Mitgliedstaat zu Mitgliedstaat beträchtlich unterschiedlich; dennoch kaufen die Abnehmer allein von dem nationalen Hersteller, und andere Anbieter sind nicht bereit, auf dem Heimatmarkt eines anderen Herstellers zu verkaufen.

Zudem werden in den Mitgliedstaaten, in denen mehrere Anbieter auftreten, von diesen identische Listenpreise angewandt und praktisch gleichzeitig und einheitlich erhöht.

Es ist erforderlich, zu untersuchen, ob die offenbar starre Marktsituation in der Gemeinschaft und das offenbare Fehlen von Wettbewerb das Ergebnis von Vereinbarungen oder aufeinander abgestimmten Verhaltensweisen zwischen den Herstellern im Sinn von Artikel [81 EG] sind.

Es ist ferner notwendig, zu untersuchen, ob Absprachen, die möglicherweise unter Artikel [81 EG] fallen, sich auch auf leichtes calciniertes Soda erstrecken, das ebenfalls von den betreffenden Produzenten hergestellt wird.

Vereinbarungen und aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen, die eine Abschottung nationaler Märkte und/oder eine Abstimmung der Preise zum Gegenstand haben, würden schwerwiegende Verstöße gegen Artikel [81 EG] darstellen und daher wahrscheinlich unter größtmöglicher Geheimhaltung praktiziert.

Um der Kommission zu erlauben, alle relevanten Umstände über die möglichen Vereinbarungen und/oder abgestimmten Verhaltensweisen zu ermitteln, ist eine Entscheidung nach Artikel 14 Absatz 3 [der] Verordnung [Nr. 17] zu treffen, die die Unternehmen verpflichtet, die Nachprüfung zu dulden.“

20      Nach diesen Feststellungen bestimmt Art. 1 der Nachprüfungsentscheidung, dass die Klägerin sowie ihre deutschen und spanischen Tochtergesellschaften „verpflichtet [waren,] eine Nachprüfung zu dulden … über ihre mögliche Beteiligung an mit Artikel [81 EG] unvereinbaren Vereinbarungen und/oder aufeinander abgestimmten Verhaltensweisen über die Aufteilung nationaler Märkte und Abstimmungen von Verkaufspreisen für calciniertes Soda [und über] die Anwendung ausschließlicher Bezugsbindungen gegenüber Abnehmern, die den Wettbewerb zu beschränken oder auszuschalten und die starre Marktstruktur [des Sodamarkts in der Gemeinschaft] zu verstärken geeignet sind.“

21      Auf der Grundlage der Nachprüfungsentscheidung führte die Kommission bei mehreren in der Gemeinschaft niedergelassenen Herstellern von Natriumkarbonat Prüfungen durch. In den Geschäftsräumen der betroffenen Unternehmen fand sie verschiedene Unterlagen.

22      Die Kommission richtete ein zugleich auf Art. 81 EG und Art. 82 EG bezogenes Auskunftsverlangen nach Art. 11 der Verordnung Nr. 17 des Rates vom 6. Februar 1962, Erste Durchführungsverordnung zur Anwendung der Artikel [81 EG] und [82 EG] (ABl. 1962, Nr. 13, S. 204), in der im maßgeblichen Zeitraum geltenden Fassung am 21. Juni 1989 an die Klägerin und am 8. Juli 1989 an ihre deutsche Tochtergesellschaft.

23      Am 19. Februar 1990 beschloss die Kommission, nach Art. 3 Abs. 1 der Verordnung Nr. 17 von Amts wegen ein Verfahren gegen die Klägerin, ICI und CFK einzuleiten.

24      Am 13. März 1990 richtete die Kommission eine Mitteilung der Beschwerdepunkte an die Klägerin, an ICI und an CFK. Jede dieser Gesellschaften erhielt nur den sie betreffenden Teil oder die sie betreffenden Teile der Mitteilung der Beschwerdepunkte, denen die dazugehörigen belastenden Beweise beigefügt waren.

25      Die Kommission erstellte eine einzige Akte für alle in der Mitteilung der Beschwerdepunkte genannten Zuwiderhandlungen.

26      Was die vorliegende Rechtssache betrifft, kam die Kommission im Abschnitt IV („Solvay“) der Mitteilung der Beschwerdepunkte zu dem Ergebnis, dass die Klägerin ihre beherrschende Stellung auf dem Natriumkarbonatmarkt auf dem westeuropäischen Kontinent missbraucht habe.

27      Am 28. Mai 1990 nahm die Klägerin zu den Beschwerdepunkten der Kommission schriftlich Stellung.

28      Am 19. Dezember 1990 erließ die Kommission die Entscheidung 91/299/EWG in einem Verfahren nach Artikel [82 EG] (IV/33.133 – C: Soda – Solvay) (ABl. 1991, L 152, S. 21). In dieser Entscheidung, die der Klägerin mit Schreiben vom 1. März 1991 zugestellt wurde, stellte sie fest, dass „[die Klägerin] von etwa 1983 bis zum jetzigen Zeitpunkt gegen [Art. 82 EG] durch ein Verhalten verstoßen [hat], das darauf abzielte, den Wettbewerb auszuschalten oder weitgehend einzuschränken, und das darin bestand, … mit Abnehmern Vereinbarungen zu schließen, in denen ihnen zur Auflage gemacht wurde, für eine unbestimmte oder unvertretbar lange Zeit ihren gesamten Bedarf oder einen sehr großen Teil ihres Bedarfs an kalzinierter Soda von [ihr] zu beziehen, … erhebliche Rabatte und sonstige finanzielle Anreize für Spitzenmengen über die vertraglich vereinbarte Grundmenge der Abnehmer hinaus zu gewähren, um sicherzustellen, dass diese ihren gesamten Bedarf oder den größten Teil ihres Bedarfs von [ihr] beziehen [und] die Gewährung von Rabatten davon abhängig zu machen, dass der Abnehmer einwilligt, seinen gesamten Bedarf von [ihr] zu beziehen“.

29      In Art. 3 der Entscheidung 91/299 wird „[w]egen des … festgestellten Verstoßes … gegen [die Klägerin] eine Geldbuße in Höhe von 20 Mio. ECU festgesetzt“.

30      Am selben Tag erließ die Kommission zudem die Entscheidung 91/297/EWG in einem Verfahren nach Art. [81 EG] (IV/33.133 – A: Soda – Solvay, ICI) (ABl. 1991, L 152, S. 1), in der sie feststellte, dass „[die Klägerin] und [ICI] gegen Artikel [81 EG] verstoßen [haben], indem sie seit 1. Januar 1973 zumindest bis zur Einleitung dieses Verfahrens an einer aufeinander abgestimmten Verhaltensweise teilgenommen haben, mit der sie ihre Sodaverkäufe in der Gemeinschaft auf ihren jeweiligen Heimatmarkt, d. h. den westeuropäischen Kontinent im Fall von Solvay und das Vereinigte Königreich und Irland im Fall von ICI, beschränkten“. Gegen die Klägerin und ICI wurde jeweils eine Geldbuße von 7 Mio. ECU verhängt.

31      Am selben Tag erließ die Kommission ferner die Entscheidung 91/298/EWG in einem Verfahren nach Art. [81 EG] (IV/33.133 – B: Soda – Solvay, CFK) (ABl. 1991, L 152, S. 16), in der sie feststellte, dass „[die Klägerin] und [CFK] … dadurch gegen Artikel [81 EG] verstoßen [haben], dass sie seit etwa 1987 bis zum jetzigen Zeitpunkt an einer Marktaufteilungsvereinbarung teilgenommen haben, aufgrund der [die Klägerin] CFK eine jährliche Mindestabsatzmenge an kalzinierter Soda auf dem deutschen Markt, die auf der Grundlage des Jahresabsatzes von CFK im Jahr 1986 berechnet war, garantierte und CFK einen Ausgleich durch Aufkauf etwaiger Fehlmengen bis zur garantierten Mindestabsatzmenge gewährte“. Gegen die Klägerin und CFK wurde eine Geldbuße von 3 Mio. bzw. 1 Mio. ECU verhängt.

32      Am selben Tag erließ die Kommission außerdem die Entscheidung 91/300/EWG in einem Verfahren nach Art. [82 EG] (IV/33.133 – D: Soda – ICI) (ABl. 1991, L 152, S. 40), in der sie feststellte, dass ICI „von etwa 1983 bis zum jetzigen Zeitpunkt gegen Artikel [82 EG] durch ein Verhalten verstoßen [hat], das darauf abzielte, den Wettbewerb auszuschalten oder weitgehend einzuschränken, und das darin bestand, … erhebliche Rabatte und sonstige finanzielle Anreize für Spitzenmengen zu gewähren, um sicherzustellen, dass die Abnehmer ihren gesamten Bedarf oder den größten Teil ihres Bedarfs von ICI beziehen[,] die Einwilligung von Abnehmern zu erwirken, ihren gesamten Bedarf oder den größten Teil ihres Bedarfs von ICI zu beziehen und/oder ihre Bezüge von konkurrierender Ware auf eine bestimmte Menge zu begrenzen[, und] zumindest in einem Fall die Gewährung von Rabatten und sonstigen finanziellen Vorteilen davon abhängig zu machen, dass der Abnehmer einwilligt, seinen gesamten Bedarf von ICI zu beziehen“. Gegen ICI wurde eine Geldbuße von 10 Mio. ECU verhängt.

33      Am 2. Mai 1991 erhob die Klägerin beim Gericht Klage auf Nichtigerklärung der Entscheidung 91/299. Am selben Tag beantragte die Klägerin auch die Nichtigerklärung der Entscheidungen 91/297 und 91/298. Am 14. Mai 1991 beantragte ICI die Nichtigerklärung der Entscheidungen 91/297 und 91/300.

34      Mit Urteil vom 29. Juni 1995, Solvay/Kommission (T‑32/91, Slg. 1995, II‑1825, im Folgenden: Urteil Solvay III), erklärte das Gericht die Entscheidung 91/299 mit der Begründung für nichtig, dass die Feststellung dieser Entscheidung nach der Zustellung erfolgt war, was eine Verletzung einer wesentlichen Formvorschrift im Sinne von Art. 230 EG darstellte.

35      Am selben Tag erklärte das Gericht auch die Entscheidung 91/298 für nichtig, soweit sie die Klägerin betrifft (Urteil Solvay/Kommission, T‑31/91, nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht, im Folgenden: Urteil Solvay II), ebenso wie die Entscheidung 91/300 (Urteil ICI/Kommission, T‑37/91, Slg. 1995, II‑1901, im Folgenden: Urteil ICI II), wegen der nicht ordnungsgemäßen Feststellung der angefochtenen Entscheidungen. Außerdem erklärte das Gericht die Entscheidung 91/297 (Urteile Solvay/Kommission, T‑30/91, Slg. 1995, II‑1775, im Folgenden: Urteil Solvay I, und ICI/Kommission, T‑36/91, Slg. 1995, II‑1847, im Folgenden: Urteil ICI I), soweit sie die Klägerinnen dieser beiden Rechtssachen betrifft, wegen Verletzung des Rechts auf Akteneinsicht für nichtig.

36      Mit Rechtsmittelschriften, die am 30. August 1995 bei der Kanzlei des Gerichtshofs eingereicht wurden, legte die Kommission Rechtsmittel gegen die Urteile Solvay II (oben in Randnr. 35 angeführt), Solvay III (oben in Randnr. 34 angeführt), und ICI II (oben in Randnr. 35 angeführt) ein.

37      Mit Urteilen vom 6. April 2000, Kommission/ICI (C‑286/95 P, Slg. 2000, I‑2341), und Kommission/Solvay (C‑287/95 P und C‑288/95 P, Slg. 2000, I‑2391), wies der Gerichtshof die Rechtsmittel gegen die Urteile ICI II (oben in Randnr. 35 angeführt), Solvay II (oben in Randnr. 35 angeführt) und Solvay III (oben in Randnr. 34 angeführt) zurück.

38      Am Dienstag, den 12. Dezember 2000 veröffentlichte eine Presseagentur die folgende Pressemitteilung:

„Die Europäische Kommission wird am Mittwoch gegen die Chemieunternehmen Solvay SA und Imperial Chemical Industries plc … eine Geldbuße wegen Verstoßes gegen das Wettbewerbsrecht der Europäischen Union verhängen, wie eine Sprecherin am heutigen Dienstag mitteilte.

Die Geldbußen wegen des Vorwurfs des Missbrauchs einer beherrschenden Stellung auf dem Sodamarkt waren ursprünglich vor zehn Jahren verhängt worden, das höchste europäische Gericht hatte sie jedoch aus Verfahrensgründen für nichtig erklärt.

Die Sprecherin erklärte, die Kommission werde am Mittwoch dieselbe Entscheidung, jedoch in korrekter Form, neu erlassen.

Der Inhalt der Entscheidung ist von den Unternehmen im Wesentlichen nie bestritten worden. Wir erlassen dieselbe Entscheidung neu, sagte sie.“

39      Am 13. Dezember 2000 erließ die Kommission die Entscheidung 2003/6/EG in einem Verfahren nach Artikel 82 [EG] (COMP/33.133 – C: Natriumkarbonat – Solvay) (ABl. 2003, L 10, S. 10, im Folgenden: angefochtene Entscheidung).

40      Am selben Tag erließ die Kommission auch die Entscheidungen 2003/5/EG in einem Verfahren nach Artikel 81 [EG] (COMP/33.133 – B: Natriumkarbonat – Solvay, CFK) (ABl. 2003, L 10, S. 1) und 2003/7/EG in einem Verfahren nach Artikel 82 [EG] (Sache COMP/33.133 – D: Natriumkarbonat – ICI) (ABl. 2003, L 10, S. 33).

41      Der verfügende Teil der angefochtenen Entscheidung lautet wie folgt:

„Artikel 1

Solvay … hat ab 1983 bis etwa Ende 1990 durch ein Verhalten gegen Artikel [82 EG] verstoßen, das darauf abzielte, den Wettbewerb auszuschalten oder weitgehend einzuschränken, und daraus bestand:

a)      mit Abnehmern Vereinbarungen zu schließen, in denen ihnen zur Auflage gemacht wurde, für eine unbestimmte oder unvertretbar lange Zeit ihren gesamten Bedarf oder einen sehr großen Teil ihres Sonderbedarfs von Solvay zu beziehen;

b)      erhebliche Rabatte und sonstige finanzielle Anreize für Spitzenmengen über die vertraglich vereinbarte Grundmenge der Abnehmer hinaus zu gewähren, um sicherzustellen, dass diese ihren gesamten Bedarf oder den größten Teil ihres Bedarfs von Solvay beziehen;

c)      die Gewährung von Rabatten davon abhängig zu machen, dass der Abnehmer einwilligt, seinen gesamten Bedarf von Solvay zu beziehen.

Artikel 2

Wegen des in Artikel 1 Buchstaben b) und c) genannten Verstoßes wird Solvay mit einer Geldbuße in Höhe von 20 Mio. EUR belegt.

…“

42      Die angefochtene Entscheidung ist praktisch wortgleich mit der Entscheidung 91/299. Die Kommission nahm lediglich einige redaktionelle Änderungen vor und fügte einen neuen Abschnitt („Verfahren vor dem Gericht erster Instanz und dem Gerichtshof“) hinzu.

43      In diesem neuen Abschnitt der angefochtenen Entscheidung führte die Kommission unter Bezugnahme auf das Urteil des Gerichts vom 20. April 1999, Limburgse Vinyl Maatschappij u. a./Kommission (T‑305/94 bis T‑307/94, T‑313/94 bis T‑316/94, T‑318/94, T‑325/94, T‑328/94, T‑329/94 und T‑335/94, Slg. 1999, II‑931, im Folgenden: Urteil PVC II des Gerichts), aus, sie sei „berechtigt …, eine Entscheidung neu zu erlassen, wenn diese allein aufgrund von Formfehlern für nichtig erklärt wurde[,] ohne dass ein neues Verwaltungsverfahren eingeleitet werden muss“, und sie brauche „keine erneute mündliche Anhörung zu veranstalten, wenn der Wortlaut der neuen Entscheidung gegenüber der ersten Entscheidung keine neuen Beschwerdepunkte enthält“ (199. Erwägungsgrund).

44      Die Kommission führte in der angefochtenen Entscheidung ferner aus, die Verjährungsfrist sei gemäß Art. 3 der Verordnung (EWG) Nr. 2988/74 des Rates vom 26. November 1974 über die Verfolgungs- und Vollstreckungsverjährung im Verkehrs- und Wettbewerbsrecht der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (ABl. L 319, S. 1) um den Zeitraum zu verlängern, in dem das Verfahren gegen die Entscheidung 91/299 vor dem Gericht und dem Gerichtshof anhängig gewesen sei (Erwägungsgründe 204 und 205). Somit hatte die Kommission nach ihrer Ansicht unter Berücksichtigung der Umstände des vorliegenden Falles bis September 2004 Zeit, eine neue Entscheidung zu erlassen (207. Erwägungsgrund). Sie wies außerdem darauf hin, dass die Verteidigungsrechte nicht verletzt würden, wenn die neue Entscheidung innerhalb eines angemessenen Zeitraums erlassen werde (199. Erwägungsgrund).

45      Zur eigentlichen Zuwiderhandlung erläuterte die Kommission in der angefochtenen Entscheidung, das Produkt und das geografische Gebiet, für die die wirtschaftliche Machtstellung der Klägerin zu beurteilen sei, seien der Markt für kalzinierte Soda und die Gemeinschaft, ohne Vereinigtes Königreich und Irland (136. Erwägungsgrund).

46      Zur Beurteilung der Marktposition der Klägerin im vorliegenden Fall untersuchte die Kommission die relevanten wirtschaftlichen Gegebenheiten und gelangte in der angefochtenen Entscheidung zu dem Schluss, dass die Klägerin während des gesamten Untersuchungszeitraums eine beherrschende Stellung im Sinne von Art. 82 EG innegehabt habe (Erwägungsgründe 137 bis 148).

47      Zum Missbrauch der beherrschenden Stellung wies die Kommission in der angefochtenen Entscheidung darauf hin, dass die Klägerin ihre Abnehmer durch verschiedene Mechanismen, die alle dem gleichen wettbewerbsausschließenden Zweck gedient hätten, an sich „gebunden“ habe (Erwägungsgrund 150). Hierzu führte sie aus:

–        Die Klägerin habe ab 1982 ein System progressiver Rabatte angewandt, das ausdrücklich dazu gedient habe, die Treue des Kunden zu sichern und den Wettbewerb auszuschalten oder einzuschränken (Erwägungsgründe 151 bis 160).

–        Die Klägerin habe ein Geheimprotokoll mit Saint-Gobain geschlossen, das bezweckt habe, sie in ihrer Position als ausschließlicher oder nahezu ausschließlicher Lieferant von Saint-Gobain in Westeuropa, außer Frankreich, zu konsolidieren. So sei die Zahlung des „Gruppenrabatts“ von 1,5 % auf die gesamten Einkäufe von Saint-Gobain in Europa an die Bedingung geknüpft gewesen, dass die Klägerin von Saint-Gobain weiterhin Priorität erhalte (Erwägungsgründe 161 bis 165).

–        Die Klägerin habe mit einigen ihrer Kunden ausdrückliche und faktische Ausschließlichkeitsvereinbarungen getroffen (Erwägungsgründe 166 bis 176).

–        Verschiedene Formen von Wettbewerbsklauseln und ähnlichen Mechanismen hätten die Bindung an die Klägerin verstärkt, die Möglichkeit eines Wechsels des Lieferanten eingeschränkt und den Zugang von Wettbewerbern zu Stammkunden der Klägerin noch schwieriger gemacht (Erwägungsgründe 177 bis 180).

–        Das von der Klägerin praktizierte Rabattsystem sei diskriminierend gewesen (Erwägungsgründe 181 bis 185).

48      Laut der angefochtenen Entscheidung „[haben d]ie von [der Klägerin] praktizierten Treuerabatte und sonstigen Ausschließlichkeitsanreize … den Handel zwischen Mitgliedstaaten beeinträchtigt, indem sie die Beziehungen zwischen den Abnehmern und dem marktbeherrschenden Lieferanten verfestigten“, und „[d]ie verschiedenen von der [Klägerin angewandten] Verfahren mit dem Ziel, die Abnehmer an sich zu binden, hatten zur Folge, die starre Struktur und die Aufteilung des Sodamarktes entsprechend den nationalen Grenzen zu verstärken, wodurch die Erreichung des Ziels eines Binnenmarktes zwischen den Mitgliedstaaten beeinträchtigt wurde oder beeinträchtigt zu werden drohte“ (187. Erwägungsgrund).

49      Die Kommission führte in der angefochtenen Entscheidung aus, es habe sich um äußerst schwere Verstöße gehandelt, da die Klägerin der führende Sodahersteller in der Gemeinschaft gewesen sei und die Zuwiderhandlungen es ihr erlaubt hätten, ihre marktbeherrschende Stellung durch Ausschaltung des tatsächlichen Wettbewerbs in einem großen Teil des Gemeinsamen Marktes zu festigen (191. Erwägungsgrund).

50      Die Kommission wies in der angefochtenen Entscheidung im Übrigen darauf hin, dass die Zuwiderhandlungen etwa 1983 begonnen hätten, d. h. kurz nach den Verhandlungen mit ihr und der Einstellung des Verfahrens, und mindestens bis Ende 1990 fortgesetzt worden seien (195. Erwägungsgrund).

51      Am 13. Dezember 2000 gab die Kommission ebenfalls eine Pressemitteilung heraus, in der sie den Erlass von Entscheidungen ankündigte, in denen sie gegen die Klägerin und ICI Geldbußen festsetzen werde, die mit denjenigen identisch seien, die ursprünglich in der Sache „Natriumkarbonat“ gegen sie verhängt worden seien.

 Verfahren

52      Mit Klageschrift, die bei der Kanzlei des Gerichts am 12. März 2001 eingegangen ist, hat die Klägerin die vorliegende Klage erhoben.

53      In der Klageschrift hat die Klägerin beantragt, der Kommission aufzugeben, alle Unterlagen vorzulegen, die zu ihrer Akte gehören, um zu prüfen, ob die Einsichtnahme in diese Unterlagen im Verwaltungsverfahren sich auf die Ausübung ihrer Verteidigungsrechte hätte auswirken können.

54      Am 8. Mai 2001 ist die Rechtssache der Vierten Kammer zugewiesen und ein Berichterstatter bestimmt worden.

55      Mit Ermächtigung des Gerichts haben die Klägerin und die Kommission am 6. bzw. 23. Dezember 2002 dazu Stellung genommen, welche Folgen in der vorliegenden Rechtssache aus dem Urteil des Gerichtshofs vom 15. Oktober 2002, Limburgse Vinyl Maatschappij u. a./Kommission (C‑238/99 P, C‑244/99 P, C‑245/99 P, C‑247/99 P, C‑250/99 P bis C‑252/99 P und C‑254/99 P, Slg. 2002, I‑8375, im Folgenden: Urteil PVC II des Gerichtshofs), zu ziehen sind.

56      Im Zusammenhang mit der Änderung der Zusammensetzung der Kammern des Gerichts ab 1. Oktober 2003 wurde der Berichterstatter der Ersten Kammer zugeteilt, der die vorliegende Rechtssache daraufhin am 8. Oktober 2003 zugewiesen worden ist.

57      Am 19. Dezember 2003 hat das Gericht die Kommission aufgefordert, die Mitteilung der Beschwerdepunkte, die Anlagen dazu und ein detailliertes Verzeichnis aller Schriftstücke vorzulegen, die zur Akte gehören. Dieses Verzeichnis sollte einen kurzen Hinweis auf den Autor, die Art und den Inhalt jedes Schriftstücks enthalten. Das Gericht hat die Kommission auch gebeten, anzugeben, welche dieser Schriftstücke für die Klägerin im Verwaltungsverfahren einsehbar gewesen seien.

58      Am 13. Februar 2004 hat die Kommission die Mitteilung der Beschwerdepunkte und ihre Anlagen sowie das geforderte Verzeichnis vorgelegt. Für die Beantwortung der letzten Frage des Gerichts hat sie eine Frist beantragt.

59      Mit Schreiben vom 10. März 2004 hat die Kommission erklärt, die Klägerin habe im Verwaltungsverfahren die Schriftstücke einsehen können, die die Mitteilung der Beschwerdepunkte stützten und die dieser beigefügt gewesen seien. Darüber hinaus hat sie darauf hingewiesen, dass die Akte aus 65 „Teilakten“ bestehe, von denen 22 vom Sitz der Klägerin oder einer ihrer Tochtergesellschaften stammten (und zwar die „Teilakten“ mit den Nrn. 2 bis 14, 24 bis 27, 50 bis 52 und 62 bis 65 sowie ein Teil der „Teilakte“ Nr. 61). Nach Ansicht der Kommission wurde bei dem im Jahr 1990 angewandten Verfahren die bestehende Rechtsprechung zum Recht auf Akteneinsicht beachtet. Nach erneuter Durchsicht der Ermittlungsakte habe in diesem Stadium nichts auf eine Verletzung der Verteidigungsrechte im Verwaltungsverfahren hingewiesen, selbst wenn man diese Ermittlungsakte im Licht der späteren Rechtsprechung zum Recht auf Akteneinsicht prüfe.

60      Mit Schreiben vom 21. Juni 2004 hat die Kommission der Kanzlei des Gerichts ein revidiertes Inhaltsverzeichnis der in der Verwaltungsakte enthaltenen Schriftstücke übersandt, das vollständiger war als das vom 13. Februar 2004. Wie in dem vorhergehenden Verzeichnis wurde in diesem revidierten Inhaltsverzeichnis auf 65 „Teilakten“ Bezug genommen. Es wurden darin auch einige Schriftstücke aufgezählt, die überwiegend von der Gesellschaft Oberland Glas stammten.

61      Mit Schreiben vom 21. Juli 2004 hat das Gericht die Klägerin aufgefordert, von den in dem revidierten Inhaltsverzeichnis aufgeführten Schriftstücken diejenigen zu benennen, von denen sie im Verwaltungsverfahren keine Kenntnis erhalten hatte und die ihres Erachtens Hinweise enthalten könnten, die für ihre Verteidigung möglicherweise nützlich gewesen wären.

62      Mit Schreiben vom 29. September 2004 hat sich die Klägerin darauf berufen, dass das revidierte Verzeichnis unvollständig und ungenau sei. Sie hat auch von den in dem revidierten Verzeichnis erfassten Schriftstücken diejenigen bezeichnet, die ihr für ihre Verteidigung nützlich erschienen und die sie gerne einsehen würde. Nach ihrer Ansicht hätten diese Schriftstücke nähere Ausführungen zur Definition des räumlich relevanten Marktes, zum Nichtvorliegen einer beherrschenden Stellung und zum fehlenden Missbrauch einer beherrschenden Stellung ermöglichen können.

63      Im Zusammenhang mit der Änderung der Zusammensetzung der Kammern des Gerichts ab dem 13. September 2004 wurde der Berichterstatter der Vierten Kammer in ihrer neuen Zusammensetzung zugeteilt, der die vorliegende Rechtssache daraufhin am 7. Oktober 2004 zugewiesen worden ist.

64      Am 17. Dezember 2004 hat das Gericht die Kommission aufgefordert, die Schriftstücke aus der Akte, die die Klägerin in ihrem Schreiben vom 29. September 2004 genannt hat, in einer vertraulichen und einer nichtvertraulichen Fassung bei der Kanzlei einzureichen.

65      Mit Schreiben vom 28. Januar 2005 hat die Kommission bei der Kanzlei des Gerichts die vertrauliche Fassung der angeforderten Schriftstücke aus der Akte vorgelegt. Sie hat eine zusätzliche Frist für die Vorlage einer eventuellen nichtvertraulichen Fassung beantragt, da die betroffenen Unternehmen zu ihrem Interesse an der Aufrechterhaltung der Vertraulichkeit befragt werden müssten. Die Kommission hat ferner Folgendes ausgeführt:

„Auch wenn das Verzeichnis alle Akten umfasst, die sich bis heute in ihrem Besitz befinden, sind darin doch nicht alle Akten aufgeführt, die dem Gericht in der ersten Rechtssache Natriumkarbonat genannt worden sind. Die wenigen fehlenden Akten sind trotz langer Suche unauffindbar geblieben.“

66      Mit Schreiben vom 15. März 2005 hat die Kommission nach dem Hinweis, dass die betroffenen Unternehmen keine vertrauliche Behandlung verlangten, folgende Erklärungen vorgelegt:

„Was die Akten betrifft, die unauffindbar geblieben sind, bedauert die Kommission, keine völlig zuverlässige Antwort auf die Fragen des Gerichts geben zu können.

Zur Verwaltungsakte (d. h. die das Verfahren ab der Einleitung der Untersuchung bis zum Versenden der Mitteilung der Beschwerdepunkte umfassende Akte), die sich zur Zeit im Besitz der Kommission befindet, gehören 65 nummerierte Ordner, die den Zeitraum bis September 1989 abdecken, die Akte mit der Nummer 71, die die Mitteilung der Beschwerdepunkte und ihre Anlagen enthält, sowie ein nicht nummerierter Ordner mit der Bezeichnung ,Oberland Glas‘. Folglich ist es wahrscheinlich, dass fünf Ordner fehlen.

Was den Inhalt der fehlenden Ordner angeht, bedauert die Kommission, dass es nicht möglich ist, eine vollständige Liste der verschwundenen Schriftstücke zu erstellen, da die Inhaltsverzeichnisse dieser Ordner ebenfalls unauffindbar sind. Danach besteht durchaus Grund zur Annahme, dass zumindest in einigen von ihnen Korrespondenz nach Art. 11 der Verordnung Nr. 17 enthalten war, was der Erklärung entspricht, die die Kommission dem Gericht in Bezug auf die Verwaltungsakte im Jahr 1990 gegeben hat. Es ist zum Beispiel wahrscheinlich, dass sich die Antwort von ICI auf das Auskunftsverlangen der Kommission vom 19. Juni 1989 in den fehlenden Akten befindet: Dieses an ICI gerichtete Verlangen befindet sich in der Verwaltungsakte, die noch immer in den Händen der Kommission ist, die Antwort fehlt jedoch.“

67      Am 14. April 2005 hat die Klägerin in der Kanzlei des Gerichts die in ihrem Schreiben vom 29. September 2004 genannten Schriftstücke der Akte eingesehen.

68      Am 15. Juli 2005 hat die Klägerin zur Nützlichkeit der eingesehenen Dokumente für ihre Verteidigung Stellung genommen. Am 18. November 2005 hat die Kommission auf die Stellungnahme der Klägerin geantwortet.

69      Nach der Beendigung der Amtstätigkeit des zunächst benannten Berichterstatters hat der Präsident des Gerichts mit Entscheidung vom 22. Juni 2006 einen neuen Berichterstatter ernannt.

70      Im Zusammenhang mit der Änderung der Zusammensetzung der Kammern ab dem 25. September 2007 wurde der Berichterstatter der Sechsten Kammer zugeteilt, der die vorliegende Rechtssache daraufhin am 5. Oktober 2007 zugewiesen worden ist.

71      Da der Richter Tchipev am 12. Februar 2008 verhindert war, an der Sitzung teilzunehmen, hat der Präsident des Gerichts gemäß Art. 32 § 3 der Verfahrensordnung des Gerichts den Richter Dittrich dazu bestimmt, die Kammer zu ergänzen.

72      Das Gericht (Sechste Kammer) hat auf Bericht des Berichterstatters beschlossen, die mündliche Verhandlung zu eröffnen, und hat im Rahmen prozessleitender Maßnahmen nach Art. 64 der Verfahrensordnung am 5. Mai 2008 schriftliche Fragen an die Klägerin und die Kommission gerichtet. Die Parteien haben diese fristgemäß beantwortet.

73      Die Parteien haben in der Sitzung vom 26. Juni 2008 mündlich verhandelt und mündliche Fragen des Gerichts beantwortet.

 Anträge der Parteien

74      Die Klägerin beantragt,

–        das Erlöschen der Sanktionsmaßnahmen durch Zeitablauf festzustellen und auf jeden Fall die angefochtene Entscheidung für nichtig zu erklären;

–        hilfsweise, festzustellen, dass die Befugnis der Kommission, Geldbußen zu verhängen, verjährt war, und auf jeden Fall Art. 2 der angefochtenen Entscheidung insoweit für nichtig zu erklären, als durch ihn eine Geldbuße in Höhe von 20 Mio. Euro gegen sie festgesetzt wird;

–        äußerst hilfsweise, festzustellen, dass gegen sie keine Geldbuße festzusetzen ist, oder zumindest die Geldbuße erheblich herabzusetzen;

–        als prozessleitende Maßnahme der Kommission aufzugeben, alle internen Dokumente in Bezug auf den Erlass der angefochtenen Entscheidung vorzulegen, insbesondere die Protokolle aller Zusammenkünfte des Kollegiums der Kommissionsmitglieder, in denen die angefochtene Entscheidung besprochen wurde;

–        der Kommission aufzugeben, alle Schriftstücke, die zu ihrer Akte in der Sache COM/33.133 gehören, vorzulegen;

–        der Kommission die Kosten aufzuerlegen.

75      Die Kommission beantragt,

–        die Klage als unbegründet abzuweisen;

–        der Klägerin die Kosten aufzuerlegen.

 Rechtliche Würdigung

76      Die Klägerin beantragt in erster Linie die Nichtigerklärung der angefochtenen Entscheidung und hilfsweise die Aufhebung oder Herabsetzung der in dieser Entscheidung gegen sie festgesetzten Geldbuße.

 1. Zum Antrag auf Nichtigerklärung der angefochtenen Entscheidung

77      Die Klägerin macht im Wesentlichen sechs Klagegründe geltend, die auf die Nichtigerklärung der angefochtenen Entscheidung gerichtet sind. Sie werden erstens auf den Zeitablauf, zweitens auf die Verletzung wesentlicher Formvorschriften, drittens auf eine fehlerhafte Definition des örtlichen Marktes durch die Kommission, viertens auf das Fehlen einer beherrschenden Stellung, fünftens auf das Fehlen des Missbrauchs einer beherrschenden Stellung und sechstens auf eine Verletzung des Rechts auf Akteneinsicht gestützt.

 Zum ersten Klagegrund: Zeitablauf

78      Der erste Klagegrund gliedert sich in zwei Teile: eine fehlerhafte Anwendung der Verjährungsvorschriften der Verordnung Nr. 2988/74 und die Verletzung des Grundsatzes der angemessenen Verfahrensdauer.

 Zum ersten Teil: fehlerhafte Anwendung der Verjährungsvorschriften

–       Vorbringen der Parteien

79      Die Klägerin macht geltend, die Argumentation der Kommission in Bezug auf die Beachtung der Verjährungsregeln widerspreche dem Wortlaut und dem Geist der Verordnung Nr. 2988/74.

80      Nach Ansicht der Klägerin war Gegenstand des von der Kommission am 30. August 1995 eingelegten Rechtsmittels, das nach Art. 60 der Satzung des Gerichtshofs keine aufschiebende Wirkung habe, nicht die Entscheidung 91/299, die rückwirkend weggefallen sei, sondern das Urteil Solvay III (oben in Randnr. 34 angeführt), mit dem diese Entscheidung für nichtig erklärt wurde. Gemäß Art. 58 der Satzung des Gerichtshofs sei das eingelegte Rechtsmittel nämlich auf Rechtsfragen beschränkt, und der Gerichtshof nehme eine Rechtmäßigkeitsprüfung unter Bezugnahme auf die selbständige Beurteilung der Sachverhaltsfragen durch das Gericht vor.

81      Zwar sei das in Art. 3 der Verordnung Nr. 2988/74 genannte „Verfahren vor dem Gerichtshof“ derzeit so zu verstehen, dass es das Gericht einschließe, doch könne die Errichtung eines zweistufigen Rechtszugs nicht ermöglichen, den Zeitraum des Ruhens der Verjährung auf ein Verfahren auszudehnen, das nicht die angefochtene Entscheidung zum Gegenstand habe. Darüber hinaus würde die Ansicht, Art. 3 der Verordnung Nr. 2988/74 bedeute, dass die Verjährung während der Dauer eines Rechtsmittelverfahrens ruhe, darauf hinauslaufen, einer rückwirkend für nichtig erklärten Entscheidung Wirksamkeit zu verleihen, wofür es in der gemeinsamen Praxis der Mitgliedstaaten keinen Präzedenzfall gebe.

82      Unter Bezugnahme auf Randnr. 1098 des Urteils PVC II des Gerichts (oben in Randnr. 43 angeführt) weist die Klägerin darauf hin, dass der Zweck von Art. 3 der Verordnung Nr. 2988/74 sei, die Verjährung ruhen zu lassen, wenn die Kommission aus einem objektiven, von ihr nicht zu vertretenden Grund wegen der Anhängigkeit einer Klage an einem Tätigwerden gehindert sei. Nach Ansicht der Klägerin konnte sich die Kommission im vorliegenden Fall darauf berufen, an einem Tätigwerden gehindert zu sein, solange die Klage vor dem Gericht anhängig gewesen sei. Dagegen habe es der Kommission vorbehaltlich der Beachtung des Grundsatzes der Einhaltung einer angemessenen Frist frei gestanden, ab der Verkündung des Urteils des Gerichts eine neue Entscheidung zu erlassen. Die Kommission sei daher mit der Einlegung eines Rechtsmittels das Risiko der Verjährung ihres Handelns eingegangen, obwohl sie das Urteil des Gerichtshofs vom 15. Juni 1994, Kommission/BASF u. a. (C‑137/92 P, Slg. 1994, I‑2555), gekannt habe, in dem über das Fehlen einer Feststellung von Handlungen, die vom Kollegium der Kommissionsmitglieder erlassen worden seien, entschieden worden sei. Somit könne die Untätigkeit der Kommission während der Anhängigkeit ihres Rechtsmittels beim Gerichtshof aus keinem objektiven Grund gerechtfertigt werden.

83      Infolgedessen habe nur die Dauer des Verfahrens vor dem Gericht für die Verlängerung der Verjährungsfrist berücksichtigt werden dürfen. Diese sei somit am 27. Januar 2000, also vor dem Erlass der angefochtenen Entscheidung, abgelaufen.

84      Die Klägerin macht auch darauf aufmerksam, dass das Urteil PVC II des Gerichts (oben in Randnr. 43 angeführt) dieser Auslegung nicht widerspreche. In der Rechtssache, in der dieses Urteil ergangen sei, sei die neue Entscheidung der Kommission innerhalb eines Zeitraums erlassen worden, der kürzer gewesen sei als die nur um den „Ruhenszeitraum“ in Bezug auf das Verfahren vor dem Gericht verlängerte Frist von fünf Jahren. Somit sei im Urteil PVC II des Gerichts (oben in Randnr. 43 angeführt) nicht die Frage geprüft worden, ob ein Rechtsmittel aufschiebende Wirkung im Sinne von Art. 3 der Verordnung Nr. 2988/74 habe.

85      In der Erwiderung fügt die Klägerin hinzu, die Ansicht der Kommission bedeute, dass dem Urteil Solvay III (oben in Randnr. 34 angeführt) jede Wirkung genommen werde, solange es nicht vom Gerichtshof bestätigt worden sei, wodurch die Maßgeblichkeit dieses Urteils missachtet werde. Außerdem sei eine weite Auslegung von Art. 3 der Verordnung Nr. 2988/74, die auch Situationen erfasse, in denen die Kommission nicht daran gehindert sei, tätig zu werden, mit dem Grundsatz der Rechtssicherheit nicht vereinbar.

86      Schließlich bleibt die Klägerin in ihrer nach dem Urteil PVC II des Gerichtshofs (oben in Randnr. 55 angeführt) abgegebenen Stellungnahme bei der Ansicht, dass in der Rechtssache, in der dieses Urteil ergangen sei, weder das Gericht noch der Gerichtshof die Absicht hätten haben können, die Frage zu entscheiden, ob das von der Kommission gegen ein Nichtigkeitsurteil des Gerichts eingelegte Rechtsmittel ein Ruhen der Verjährung während der Dauer des Rechtsmittelverfahrens bewirke.

87      Die Kommission tritt den Argumenten der Klägerin entgegen.

–       Würdigung durch das Gericht

88      Vorab ist festzustellen, dass durch die Verordnung Nr. 2988/74 eine vollständige Regelung eingeführt worden ist, die im Einzelnen die Fristen festgelegt hat, innerhalb deren die Kommission ohne einen Verstoß gegen das grundlegende Gebot der Rechtssicherheit Geldbußen gegen Unternehmen festsetzen kann, gegen die Verfahren nach den Wettbewerbsvorschriften der Gemeinschaft anhängig sind (Urteile des Gerichts vom 19. März 2003, CMA CGM u. a./Kommission, T‑213/00, Slg. 2003, II‑913, Randnr. 324, und vom 18. Juni 2008, Hoechst/Kommission, T‑410/03, Slg. 2008, II‑881, Randnr. 223).

89      Somit tritt nach Art. 1 Abs. 1 Buchst. b und Abs. 2 sowie Art. 2 Abs. 3 der Verordnung Nr. 2988/74 die Verfolgungsverjährung ein, wenn die Kommission innerhalb von fünf Jahren nach dem Beginn der Verjährungsfrist keine Geldbuße oder Sanktion festgesetzt hat, ohne zwischenzeitlich eine Unterbrechungshandlung vorzunehmen, spätestens aber zehn Jahre nach Verjährungsbeginn, wenn Unterbrechungshandlungen vorgenommen wurden. Nach Art. 2 Abs. 3 der fraglichen Verordnung verlängert sich die Verjährungsfrist jedoch um den Zeitraum, in dem nach ihrem Art. 3 die Verjährung ruht (Urteil PVC II des Gerichtshofs, oben in Randnr. 55 angeführt, Randnr. 140).

90      Nach Art. 3 der Verordnung Nr. 2988/74 ruht die Verfolgungsverjährung, solange wegen der Entscheidung der Kommission ein Verfahren vor dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften anhängig ist.

91      Im vorliegenden Fall ergibt sich aus der angefochtenen Entscheidung, dass die Kommission die Verjährungsvorschriften in der fraglichen Rechtssache folgendermaßen angewandt hat.

92      Zunächst hat nach Ansicht der Kommission die Verjährungsfrist bei den hier vorliegenden dauernden oder fortgesetzten Zuwiderhandlungen Ende 1990 begonnen. Selbst wenn man unterstelle, dass die Zuwiderhandlung am 31. Dezember 1990 beendet gewesen sei und der Erlass und die Zustellung der Entscheidung 91/299 die Verjährungsfrist nicht unterbrochen hätten, hätte sie über eine Frist bis mindestens Ende 1995 verfügt, um ihre Entscheidung zu erlassen (203. Erwägungsgrund).

93      Sodann sei die Verjährungsfrist um den Zeitraum zu verlängern, in dem das Verfahren beim Gericht anhängig gewesen sei (204. Erwägungsgrund). Da im vorliegenden Fall am 2. Mai 1991 Klage vor dem Gericht erhoben worden sei und das Gericht am 29. Juni 1995 ein Urteil erlassen habe, und da das Rechtsmittel beim Gerichtshof am 30. August 1995 eingelegt worden sei und dessen Urteil am 6. April 2000 ergangen sei, habe die Verjährung mindestens acht Jahre, neun Monate und vier Tage geruht (206. Erwägungsgrund). Infolgedessen habe die Kommission bis September 2004 Zeit gehabt, eine neue Entscheidung zu erlassen (207. Erwägungsgrund).

94      Somit sei die angefochtene Entscheidung vom 13. Dezember 2000 vor Ablauf der Verjährungsfrist erlassen worden.

95      Eine solche Argumentation entspricht den im vorliegenden Fall geltenden Verjährungsregeln.

96      Zunächst endeten nämlich die der Klägerin vorgeworfenen Zuwiderhandlungen mit dem Erlass der Entscheidung 91/299 am 19. Dezember 1990. Somit hat die Verjährungsfrist an diesem Tag begonnen.

97      Sodann ist, wie die Parteien zutreffend ausführen, die Bezugnahme in Art. 3 der Verordnung Nr. 2988/74 auf „ein … vor dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften anhängig[es Verfahren]“ so zu verstehen, dass damit seit der Errichtung des Gerichts in erster Linie ein bei diesem anhängiges Verfahren gemeint ist, da Klagen gegen Sanktionen oder Geldbußen im Bereich des Wettbewerbsrechts der Gemeinschaft in seine Zuständigkeit fallen. Somit ruhte die Verjährung während der gesamten Dauer des Verfahrens vor dem Gericht.

98      Schließlich ergibt sich aus Randnr. 157 des Urteils PVC II des Gerichtshofs (oben in Randnr. 55 angeführt), dass die Verjährung im Sinne von Art. 3 der Verordnung Nr. 2988/74 so lange ruht, wie die fragliche Entscheidung Gegenstand eines Verfahrens „vor dem Gericht und dem Gerichtshof“ ist. Daher ruhte im vorliegenden Fall die Verjährung auch während der gesamten Dauer des Verfahrens vor dem Gerichtshof, ohne dass es nötig ist, über den Zeitraum von der Verkündung des Urteils des Gerichts bis zur Anrufung des Gerichtshofs zu entscheiden.

99      Somit sind im vorliegenden Fall infolge dieses Ruhens der Verjährung nicht mehr als fünf Jahre seit dem Ende der in Rede stehenden Zuwiderhandlungen oder irgendeiner Verjährungsunterbrechung vergangen.

100    Folglich wurde die angefochtene Entscheidung unter Beachtung der Verjährungsregeln der Verordnung Nr. 2988/74 erlassen.

101    Keines der von der Klägerin vorgetragenen Argumente kann dies in Frage stellen.

102    Erstens haben nämlich Art. 60 der Satzung des Gerichtshofs und Art. 3 der Verordnung Nr. 2988/74 einen unterschiedlichen Anwendungsbereich. Der Umstand, dass ein Rechtsmittel keine aufschiebende Wirkung hat, kann Art. 3 der Verordnung Nr. 2988/74, der Situationen betrifft, in denen die Kommission die Entscheidung des Gemeinschaftsrichters abwarten muss, nicht jede Wirksamkeit nehmen. Der Ansicht der Klägerin, die Kommission dürfe den Zeitraum nicht berücksichtigen, in dem ein Rechtsmittel beim Gerichtshof anhängig sei, kann nicht gefolgt werden, da dadurch das Rechtsmittelurteil des Gerichtshofs seinen Sinn und Zweck sowie seine Wirkung verlieren würde.

103    Was zweitens das Argument der Klägerin betrifft, die Errichtung von zwei Rechtszügen erlaube es nicht, den Zeitraum des Ruhens der Verjährung auszudehnen, so ist daran zu erinnern, dass Art. 3 der Verordnung Nr. 2988/74 die Kommission vor dem Eintritt der Verjährung in Situationen schützt, in denen sie im Rahmen von Verfahren, deren Ablauf sie nicht steuern kann, die Entscheidung des Gemeinschaftsrichters abwarten muss, bevor sie erfährt, ob die angefochtene Handlung rechtswidrig ist (Urteil PVC II des Gerichtshofs, oben in Randnr. 55 angeführt, Randnr. 144).

104    Was drittens das Vorbringen betrifft, das Urteil PVC II des Gerichts (oben in Randnr. 43 angeführt) sei für die Entscheidung des vorliegenden Rechtsstreits nicht maßgeblich, so ergibt sich im Gegenteil eindeutig aus dem Wortlaut dieses Urteils, das im Rechtsmittelverfahren bestätigt wurde, dass generell der Verjährungsfrist der Zeitraum hinzuzufügen ist, in dem die Verjährung ruhte, und zwar nicht nur der Zeitraum, in dem das Verfahren beim Gericht anhängig war, sondern auch der Zeitraum, in dem das Verfahren beim Gerichtshof anhängig war.

105    Was viertens das Argument anbelangt, das Ruhen der Verjährung während eines Rechtsmittelverfahrens führe letztlich dazu, einer in der ersten Instanz für nichtig erklärten Entscheidung Wirkungen einzuräumen, genügt der Hinweis, dass das Ruhen der Verjährung der Kommission nur ermöglicht, eventuell eine neue Entscheidung zu erlassen, falls das Rechtsmittel gegen ein Urteil des Gerichts, mit dem eine Entscheidung der Kommission für nichtig erklärt wird, zurückgewiesen wird. Dieses Ruhen der Verjährung wirkt sich in keiner Weise auf die Entscheidung aus, die mit dem Urteil des Gerichts für nichtig erklärt worden ist.

106    Was fünftens das Argument der Klägerin betrifft, die Kommission hätte eine neue Entscheidung erlassen müssen, ohne das Urteil des Gerichtshofs abzuwarten, ist zu bemerken, dass die Kommission zwar formell nicht daran gehindert war, nach der Nichtigerklärung der ursprünglichen Entscheidung durch das Gericht tätig zu werden, was jedoch nicht bedeutet, dass die Kommission notwendigerweise eine neue Entscheidung erlassen musste, ohne das Urteil des Gerichtshofs abzuwarten. Es kann der Kommission nicht zum Vorwurf gemacht werden, dass sie in Ausübung ihrer Verteidigungsrechte ein Rechtsmittel eingelegt und vor dem Erlass einer neuen Entscheidung das Urteil des Gerichtshofs abgewartet hat. Eine solche Auslegung von Art. 3 der Verordnung Nr. 2988/74 entspricht außerdem dem Grundsatz der Rechtssicherheit, der die Voraussehbarkeit der unter das Gemeinschaftsrecht fallenden Tatbestände und Rechtsbeziehungen gewährleisten soll (Urteil des Gerichtshofs vom 15. Februar 1996, Duff u. a., C‑63/93, Slg. 1996, I‑569, Randnr. 20, und Urteil des Gerichts vom 19. März 1997, Oliveira/Kommission, T‑73/95, Slg. 1997, II‑381, Randnr. 29).

107    Sechstens führt die von der Klägerin vorgeschlagene Auslegung von Art. 3 der Verordnung Nr. 2988/74 zu ernsthaften praktischen Schwierigkeiten. Muss die Kommission nämlich nach der Nichtigerklärung einer Entscheidung durch das Gericht eine neue Entscheidung erlassen, ohne das Urteil des Gerichtshofs abzuwarten, besteht die Gefahr, dass zwei Entscheidungen mit demselben Gegenstand nebeneinander bestehen, falls der Gerichtshof das Urteil des Gerichts aufheben sollte.

108    Außerdem widerspricht es offensichtlich den Erfordernissen der Ökonomie des Verwaltungsverfahrens, die Kommission, nur um den Eintritt der Verjährung zu verhindern, zum Erlass einer neuen Entscheidung zu verpflichten, bevor sie weiß, ob die ursprüngliche Entscheidung rechtswidrig ist.

109    Nach alledem ist der erste Teil des ersten Klagegrundes zurückzuweisen.

 Zum zweiten Teil: Verstoß gegen den Grundsatz der angemessenen Verfahrensdauer

–       Vorbringen der Parteien

110    Die Klägerin trägt vor, dass sie am 13. März 1990, dem Tag, an dem ihr die Mitteilung der Beschwerdepunkte übermittelt worden sei, d. h. elf Jahre vor dem Zeitpunkt der Einreichung der vorliegenden Klage, von der „Anschuldigung gegen sie“ Kenntnis erlangt habe. Außerdem sei die vorliegende Sache für sie von besonderer Bedeutung, da die Kommission ihr in der Entscheidung 91/299 und dann in der angefochtenen Entscheidung „äußerst schwere“ Verstöße vorgeworfen und eine Geldbuße in Höhe von 20 Mio. Euro gegen sie verhängt habe. Zum Zeitpunkt der Erhebung der vorliegenden Klage habe aber noch keine endgültige Entscheidung zu den in der Mitteilung der Beschwerdepunkte gegen sie erhobenen Anschuldigungen vorgelegen.

111    Unter Bezugnahme auf Art. 6 Abs. 1 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (im Folgenden: EMRK), die am 4. November 1950 in Rom unterzeichnet wurde, weist die Klägerin darauf hin, dass bei dem im Februar 1990 begonnenen Verfahren insgesamt betrachtet eine angemessene Dauer offensichtlich überschritten worden sei. Die Gemeinschaftsrechtsprechung sehe insoweit nicht vor, dass die Verfahrensdauer abschnittweise zu beurteilen sei. Folglich gebe es keinerlei Rechtfertigung dafür, dass die Kommission fünfeinhalb Jahre gewartet habe, um eine neue Entscheidung zu erlassen, zumal das Rechtsmittel vor dem Gerichtshof keine aufschiebende Wirkung habe.

112    Nach dem Urteil Solvay III (oben in Randnr. 34 angeführt) habe die Kommission nicht nur ein Rechtsmittel eingelegt, bei dem sie davon habe ausgehen können, dass es im Licht des Urteils Kommission/BASF u. a. (oben in Randnr. 82 angeführt) zurückgewiesen werde, sondern auch vor dem Erlass der angefochtenen Entscheidung seinen Ausgang abgewartet. Darüber hinaus habe die Kommission nach dem Urteil Kommission/Solvay (oben in Randnr. 37 angeführt) noch acht Monate gewartet, während in der Rechtssache, in der das Urteil PVC II des Gerichts ergangen sei (oben in Randnr. 43 angeführt), die neue Entscheidung innerhalb eines Zeitraums von eineinhalb Monaten erlassen worden sei.

113    Außerdem verwechsle die Kommission die angemessene Verfahrensdauer mit der Verjährungsfrist, indem sie zu Unrecht davon ausgehe, dass sie mit dem Erlass einer neuen Entscheidung bis zum Jahr 2004 habe warten dürfen. So gebe die Kommission in der angefochtenen Entscheidung nicht an, worauf sie ihre Ansicht stütze, im vorliegenden Fall sei eine angemessene Verfahrensdauer eingehalten worden. Nach Ansicht der Klägerin kann unabhängig von der eventuellen Rechtfertigung der Länge der einzelnen Verfahrensabschnitte „ein Zeitraum von 14 bis 16 Jahren, ja sogar mehr, für das gesamte Verfahren von der Mitteilung der Beschwerdepunkte bis zur endgültigen Entscheidung des Gerichts oder des Gerichtshofs“ nicht als angemessen angesehen werden.

114    Folglich habe das Gericht das Überschreiten einer angemessenen Verfahrensdauer festzustellen und die angefochtene Entscheidung für nichtig zu erklären, da es in diesem Stadium nicht mehr möglich sei, innerhalb einer angemessenen Frist zu den gegen die Klägerin erhobenen Anschuldigungen Stellung zu nehmen. Jede andere Entscheidung, z. B. die Berücksichtigung der Überschreitung einer angemessenen Verfahrensdauer bei der Festlegung der Höhe der Geldbuße, helfe nicht dem Verstoß gegen Art. 6 EMRK ab. Darüber hinaus trägt die Klägerin vor, dass sie nach den vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte aufgestellten Grundsätzen nicht zu beweisen habe, dass diese Überschreitung einer angemessenen Verfahrensdauer ihre Verteidigungsrechte beeinträchtigt habe; dies sei ein anderer Nichtigkeitsgrund. Das Kriterium der Verletzung der Verteidigungsrechte unterscheide sich nämlich von dem Recht, im Strafrecht eine Entscheidung innerhalb einer angemessenen Frist zu erhalten.

115    Auf jeden Fall werde sie durch die Überschreitung einer angemessenen Verfahrensdauer und die sich daraus ergebende Verschlechterung der Beweissituation an ihrer Verteidigung gehindert, indem ihr insbesondere die Möglichkeit genommen werde, ihre Argumente aus der Klageschrift zu untermauern. Zudem könne sie sich nicht mehr an ihre ehemaligen in dem betreffenden Sektor und bei der betreffenden Tochtergesellschaft beschäftigten Arbeitnehmer wenden. Insbesondere könne sie die Produktions- und Lieferbedingungen von Natriumkarbonat in den 80er Jahren nicht mehr detailliert untersuchen, da mehrere ihrer Produktionseinheiten in der Zwischenzeit geschlossen und deren Archive nicht systematisch aufbewahrt worden seien.

116    Die Klägerin ist der Ansicht, dass die pflichtwidrige Untätigkeit der Kommission während fünfeinhalb Jahren nach dem Urteil Solvay III (oben in Randnr. 34 angeführt) besonders geahndet werden müsse. Sie sei zu der Annahme berechtigt gewesen, die Kommission habe davon abgesehen, den Vorgang wieder aufzunehmen, so dass sie sich nicht darum bemüht habe, Aufzeichnungen zu möglicherweise für ihre Verteidigung nützlichen Fakten und Dokumenten systematisch aufzubewahren. Außerdem sei sie durch ihre Archivierungspolitik gezwungen, die Archive, von außergewöhnlichen Umständen abgesehen, nach zehn, ja sogar nach fünf Jahren, systematisch zu vernichten.

117    Schließlich widerspreche es der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, anzunehmen, dass die Beweislast für die Unangemessenheit bei der Klägerin liege, da es nach dieser Rechtsprechung den nationalen Behörden obliege, bei lang andauernder Untätigkeit die Gründe dafür darzulegen, und eine Rechtfertigung nur bei außergewöhnlichen Umständen möglich sei. Die Klägerin trägt auch vor, dass ihr, im Gegensatz zur Kommission, kein Verhalten vorgeworfen werden könne, das auf die Verzögerung des Verfahrens seit 1989 gerichtet sei. Es habe sich gezeigt, dass die Kommission nicht in der Lage sei, ihre internen Feststellungsregeln und den Grundsatz der Rechtssicherheit zu beachten, was die Prüfung der materiellen Rechtmäßigkeit der ursprünglichen Entscheidung um mehrere Jahre verzögert habe.

118    Die Kommission tritt den Argumenten der Klägerin entgegen.

–       Würdigung durch das Gericht

119    Vorab ist darauf hinzuweisen, dass der Grundsatz der angemessenen Verfahrensdauer im Bereich des Wettbewerbs im Rahmen der gemäß der Verordnung Nr. 17 eingeleiteten Verwaltungsverfahren, die die dort vorgesehenen Sanktionen auslösen können, und im Verfahren vor dem Gemeinschaftsrichter zu beachten ist (Urteil PVC II des Gerichtshofs, oben in Randnr. 55 angeführt, Randnr. 179).

120    Erstens stützt die Klägerin ihre Rüge der Unangemessenheit der Dauer des Verwaltungsverfahrens auf die Tatsache, dass die Kommission, obwohl das Rechtsmittel keine aufschiebende Wirkung habe, ohne Grund fünfeinhalb Jahre gewartet habe, um nach der Nichtigerklärung der Entscheidung 91/299 durch das Urteil Solvay III (oben in Randnr. 34 angeführt) eine neue Entscheidung zu erlassen.

121    Wie aber bei der Prüfung des ersten Teils des ersten Klagegrundes festgestellt worden ist, ruhte nach der Einlegung des Rechtsmittels gegen das Urteil Solvay III (oben in Randnr. 34 angeführt) die Verjährung gemäß Art. 3 der Verordnung Nr. 2988/74 während der gesamten Dauer des Verfahrens vor dem Gerichtshof. Folglich kann der Kommission nicht vorgeworfen werden, sie habe allein deswegen, weil sie das Urteil des Gerichtshofs im Rahmen dieses Rechtsmittels abgewartet hatte, bevor sie die angefochtene Entscheidung erließ, den Grundsatz der angemessenen Verfahrensdauer verletzt.

122    Zweitens macht die Klägerin ganz allgemein geltend, dass die gesamte Dauer des Verwaltungsverfahrens, d. h. ab dem Versenden der Mitteilung der Beschwerdepunkte bis zum Erlass der angefochtenen Entscheidung, nicht mehr angemessen gewesen sei.

123    Dieses Vorbringen ist zurückzuweisen.

124    Im Rahmen der Prüfung der Rüge eines Verstoßes gegen den Grundsatz der angemessenen Verfahrensdauer ist nämlich zwischen Verwaltungsverfahren und gerichtlichem Verfahren zu unterscheiden. Somit kann der Zeitraum, in dem der Gemeinschaftsrichter die Rechtmäßigkeit der Entscheidung 91/299 und das Urteil Solvay III (oben in Randnr. 34 angeführt) nachgeprüft hat, bei der Bestimmung der Dauer des Verfahrens vor der Kommission nicht berücksichtigt werden (vgl. in diesem Sinne Urteil PVC II des Gerichts, oben in Randnr. 43 angeführt, Randnr. 123).

125    Drittens beanstandet die Klägerin die Dauer des Verwaltungsverfahrens zwischen der Verkündung des Urteils Kommission/Solvay (oben in Randnr. 37 angeführt) und dem Erlass der angefochtenen Entscheidung.

126    Insoweit ist zu beachten, dass dieser Zeitraum am 6. April 2000, dem Tag der Verkündung des Urteils Kommission/Solvay (oben in Randnr. 37 angeführt), begann und am 13. Dezember 2000 mit dem Erlass der angefochtenen Entscheidung endete. Dieser Abschnitt des Verwaltungsverfahrens dauerte somit acht Monate und sieben Tage.

127    In diesem Zeitraum hat die Kommission lediglich formale Änderungen der Entscheidung 91/299 vorgenommen; insbesondere hat sie einen neuen Abschnitt über die „Verfahren vor dem Gericht Erster Instanz und dem Gerichtshof“ eingeführt, in dem die Einhaltung der Verjährungsfristen beurteilt wird. Darüber hinaus ging dem Erlass der angefochtenen Entscheidung keine zusätzliche Ermittlungshandlung voraus, da sich die Kommission auf die Ergebnisse der zehn Jahre zuvor durchgeführten Untersuchung gestützt hat. Es ist jedoch einzuräumen, dass sich selbst unter diesen Umständen bestimmte Nachprüfungen und eine gewisse Abstimmung innerhalb der Verwaltung als unerlässlich erweisen können, um zu einem solchen Ergebnis zu gelangen.

128    Unter diesem Gesichtspunkt ist der Zeitraum von acht Monaten und sieben Tagen zwischen der Verkündung des Urteils Kommission/Solvay (oben in Randnr. 37 angeführt) und dem Erlass der angefochtenen Entscheidung nicht als unangemessen anzusehen.

129    Was viertens die Dauer des Verwaltungsverfahrens von der Mitteilung der Beschwerdepunkte bis zum Erlass der Entscheidung 91/299 betrifft, hat die Klägerin nicht geltend gemacht, dass sie als solche beanstandet werden könne. Sie hat nämlich nur vorgetragen, die Angemessenheit der Verfahrensdauer müsse ab dem 13. März 1990 beurteilt werden, dem Tag, an dem ihr die Mitteilung der Beschwerdepunkte übermittelt worden sei, ohne den Zeitraum von elfeinhalb Monaten zu beanstanden, der zwischen der Mitteilung der Beschwerdepunkte und dem Erlass der Entscheidung 91/299 am 1. März 1991 vergangen war.

130    Nach alledem hat die Klägerin nichts vorgetragen, aufgrund dessen die Dauer des gesamten Verwaltungsverfahrens im vorliegenden Fall als übermäßig lang angesehen werden könnte.

131    Selbst wenn man nämlich den Abschnitt des Verwaltungsverfahrens, der der Mitteilung der Beschwerdepunkte vorausgeht, berücksichtigen muss (vgl. in diesem Sinne Urteil des Gerichtshofs vom 21. September 2006, Nederlandse Federatieve Vereniging voor de Groothandel op Elektrotechnisch Gebied/Kommission, C‑105/04 P, Slg. 2006, I‑8725, Randnr. 51), ist die Dauer des gesamten Verwaltungsverfahrens, insbesondere im Licht der ab April 1989 durchgeführten Nachprüfungen, der anschließenden Auskunftsverlangen und der Verfahrenseinleitung von Amts wegen am 19. Februar 1990 nicht als übermäßig lang anzusehen.

132    Jedenfalls würde ein Verstoß gegen den Grundsatz der angemessenen Verfahrensdauer die Nichtigerklärung einer nach Abschluss eines Verwaltungsverfahrens im Bereich des Wettbewerbs erlassenen Entscheidung nur rechtfertigen, soweit damit auch die Verteidigungsrechte des betroffenen Unternehmens verletzt worden wären. Wenn nämlich nicht erwiesen ist, dass die übermäßig lange Verfahrensdauer die Möglichkeit für die betroffenen Unternehmen, sich wirksam zu verteidigen, beeinträchtigt hat, wirkt sich die Nichtbeachtung des Grundsatzes der angemessenen Verfahrensdauer nicht auf die Rechtsgültigkeit des Verwaltungsverfahrens aus (vgl. in diesem Sinne Urteil PVC II des Gerichts, oben in Randnr. 43 angeführt, Randnr. 122).

133    Die Klägerin trägt insoweit vor, es sei für sie schwierig, sich gegen Anschuldigungen zu verteidigen, die einen Sachverhalt beträfen, der sich seinerzeit zugetragen haben solle, da sie sich nicht mehr an ihre zur maßgeblichen Zeit in dem betreffenden Sektor und bei der betreffenden Tochtergesellschaft tätigen Angestellten wenden könne.

134    Die Kommission hat jedoch zwischen der Verkündung des Urteils Kommission/Solvay (oben in Randnr. 37 angeführt) und dem Erlass der angefochtenen Entscheidung keine Ermittlungshandlung durchgeführt.

135    Außerdem ergibt sich aus der angefochtenen Entscheidung, dass sie auf denselben Gründen beruht wie die Entscheidung 91/299, dass der Inhalt dieser beiden Entscheidungen nahezu identisch ist und dass die Kommission keinen neuen Punkt berücksichtigt hat, der die Ausübung eines Verteidigungsrechts erfordert.

136    Unter diesen Umständen sind die Verteidigungsrechte der Klägerin nicht verletzt worden.

137    Was fünftens das gerichtliche Verfahren anbelangt, stellt die Klägerin in der Klageschrift die Dauer des Verfahrens vor dem Gericht und anschließend vor dem Gerichtshof betreffend die Entscheidung 91/299 nicht unmittelbar in Frage.

138    Auf jeden Fall gilt der auf Art. 6 Abs. 1 EMRK beruhende allgemeine Grundsatz des Gemeinschaftsrechts, dass jedermann Anspruch auf ein faires Verfahren und insbesondere auf ein Verfahren innerhalb einer angemessenen Frist hat, im Rahmen einer Klage gegen eine Entscheidung der Kommission, mit der gegen ein Unternehmen Geldbußen wegen Verstoßes gegen das Wettbewerbsrecht verhängt werden. Die Angemessenheit der Frist ist anhand der Umstände jeder einzelnen Rechtssache und insbesondere anhand der Interessen, die in dem Rechtsstreit für den Betroffenen auf dem Spiel stehen, der Komplexität der Rechtssache sowie des Verhaltens des Klägers und der zuständigen Behörden zu beurteilen. Die Liste dieser Kriterien ist nicht abschließend, und die Beurteilung der Angemessenheit der Frist erfordert keine systematische Prüfung der Umstände des Falles anhand jedes Kriteriums, wenn die Dauer des Verfahrens anhand eines von ihnen gerechtfertigt erscheint. So kann die Komplexität der Sache herangezogen werden, um eine auf den ersten Blick zu lange Dauer zu rechtfertigen (vgl. Urteil des Gerichtshofs vom 25. Januar 2007, Sumitomo Metal Industries und Nippon Steel/Kommission, C‑403/04 P und C‑405/04 P, Slg. 2007, I‑729, Randnrn. 115 bis 117 und die dort angeführte Rechtsprechung).

139    Darüber hinaus hat der Gerichtshof im Urteil vom 17. Dezember 1998, Baustahlgewebe/Kommission (C‑185/95 P, Slg. 1998, I‑8417), nach der Feststellung, dass das Gericht eine angemessene Verfahrensdauer überschritten hatte, aus Gründen der Prozessökonomie und im Hinblick darauf, dass gegen einen solchen Verfahrensfehler ein unmittelbarer und effektiver Rechtsbehelf gegeben sein muss, auf den Rechtsmittelgrund der überlangen Verfahrensdauer hin das angefochtene Urteil insoweit aufgehoben, als darin die Geldbuße der Rechtsmittelführerin auf 3 Mio. ECU festgesetzt wurde. Da jeder Anhaltspunkt dafür fehlte, dass die Verfahrensdauer Auswirkungen auf den Ausgang des Rechtsstreits gehabt hätte, hat der Gerichtshof entschieden, dass dieser Rechtsmittelgrund nicht zur vollständigen Aufhebung des angefochtenen Urteils führen kann, sondern dass ein Betrag von 50 000 ECU eine angemessene Entschädigung für die überlange Dauer des Verfahrens darstellt, und er hat folglich die gegen das betroffene Unternehmen festgesetzte Geldbuße herabgesetzt.

140    Somit hätte, da kein Anhaltspunkt dafür vorliegt, dass sich die Verfahrensdauer auf den Ausgang des Rechtsstreits ausgewirkt hätte, ein eventuelles Überschreiten der angemessenen Verfahrensdauer durch den Gemeinschaftsrichter, selbst wenn man es als erwiesen ansähe, im vorliegenden Fall keine Auswirkungen auf die Rechtmäßigkeit der angefochtenen Entscheidung.

141    Die Klägerin hat in der Klageschrift ausdrücklich auf die Möglichkeit einer Herabsetzung der Geldbuße als Entschädigung für die behauptete Verletzung ihres Rechts auf eine Entscheidung innerhalb angemessener Frist verzichtet. Sie hat auch keinen Antrag auf Schadensersatz gestellt.

142    Folglich ist der zweite Teil des ersten Klagegrundes und somit der erste Klagegrund insgesamt zurückzuweisen.

 Zum zweiten Klagegrund: Verletzung wesentlicher Formvorschriften, die für den Erlass und die Feststellung der angefochtenen Entscheidung erforderlich sind

143    Der zweite Klagegrund gliedert sich im Wesentlichen in acht Teile: erstens Verstoß gegen das Kollegialprinzip, zweitens Verstoß gegen den Grundsatz der Rechtssicherheit, drittens Verletzung des Rechts der Klägerin, sich erneut zu äußern, viertens Fehlen einer erneuten Anhörung des Beratenden Ausschusses für Kartelle und Monopolfragen, fünftens vorschriftswidrige Zusammensetzung dieses Beratenden Ausschusses, sechstens Verwendung von Unterlagen, die unter Verstoß gegen die Verordnung Nr. 17 erlangt wurden, siebtens Verstoß gegen das Recht auf Akteneinsicht und achtens Verstoß gegen die Grundsätze der Unparteilichkeit, der ordnungsgemäßen Verwaltung und der Verhältnismäßigkeit.

144    Das Gericht hält es für zweckmäßig, den siebten Teil des zweiten Klagegrundes nach der Prüfung aller die materiell-rechtliche Seite der Rechtssache betreffenden Klagegründe im Rahmen eines sechsten Klagegrundes zu prüfen, mit dem ein Verstoß gegen das Recht auf Akteneinsicht gerügt wird.

 Erster Teil: Verstoß gegen das Kollegialprinzip

–       Vorbringen der Parteien

145    Die Klägerin weist darauf hin, dass die angefochtene Entscheidung gemäß dem Begleitschreiben vom 10. Januar 2001, das von dem für Wettbewerbsfragen zuständigen Mitglied der Kommission unterzeichnet sei, am 13. Dezember 2000 vom Kollegium der Kommissionsmitglieder erlassen worden sei.

146    Aus den in einer Pressemitteilung einer Presseagentur vom 12. Dezember 2000 wiedergegebenen Erklärungen der Sprecherin der Kommission ergebe sich aber, dass der Beschluss, die Entscheidung 91/299 neu zu erlassen, bereits spätestens am Vorabend des Tages, an dem das Kollegium der Kommissionsmitglieder zur Beratung zusammengekommen sei, getroffen worden sei.

147    Nach Ansicht der Klägerin ist in Ermangelung eines Hinweises darauf, dass das Kollegium der Kommissionsmitglieder vor dem 12. Dezember 2000 zur Beratung zusammengekommen sei, der Schluss zu ziehen, dass die angefochtene Entscheidung unter Verstoß gegen das Kollegialprinzip erlassen worden sei.

148    Selbst wenn die angefochtene Entscheidung tatsächlich vom Kollegium der Kommissionsmitglieder erlassen worden wäre, ergäbe sich aus der Pressemitteilung einer Presseagentur vom 12. Dezember 2000, dass die Kommission offensichtlich beschlossen habe, eine neue, mit der Entscheidung 91/299 inhaltlich identische Entscheidung zu erlassen, weil die Klägerin die letztgenannte Entscheidung in der Sache nie beanstandet habe. Die Klägerin führt jedoch aus, sie habe die von der Kommission vorgenommene Beurteilung der Rechts- und Sachlage sowie das Prinzip und die Höhe der Geldbuße beanstandet. Folglich sei das Kollegium der Kommissionsmitglieder zu dem Zeitpunkt, als der Beschluss gefasst worden sei, die angefochtene Entscheidung zu erlassen, über den Standpunkt der Klägerin nicht richtig informiert gewesen.

149    Die Klägerin beantragt auch, der Kommission aufzugeben, alle internen Unterlagen betreffend den Erlass der angefochtenen Entscheidung und insbesondere die Protokolle aller Sitzungen des Kollegiums der Kommissionsmitglieder, in denen der Entscheidungsentwurf besprochen wurde, sowie die dem Kollegium unterbreiteten Unterlagen vorzulegen.

150    Die Kommission tritt dem Vorbringen der Klägerin entgegen.

–       Würdigung durch das Gericht

151    Nach ständiger Rechtsprechung beruht das Kollegialprinzip auf der Gleichheit der Mitglieder der Kommission bei der Mitwirkung an der Entscheidungsfindung und bedeutet insbesondere, dass die Entscheidungen gemeinsam beraten werden und dass alle Mitglieder des Kollegiums für sämtliche erlassenen Entscheidungen politisch gemeinsam verantwortlich sind (Urteile des Gerichtshofs vom 29. September 1998, Kommission/Deutschland, C‑191/95, Slg. 1998, I‑5449, Randnr. 39, und vom 13. Dezember 2001, Kommission/Frankreich, C‑1/00, Slg. 2001, I‑9989, Randnr. 79).

152    Die Beachtung des Kollegialprinzips und insbesondere das Erfordernis, dass die Entscheidungen gemeinsam beraten werden, ist für die von den Rechtswirkungen dieser Entscheidungen betroffenen Rechtssubjekte zwangsläufig insoweit von Interesse, als sie die Gewähr dafür haben müssen, dass die Entscheidungen tatsächlich vom Kollegium getroffen sind und dessen Willen genau entsprechen. Dies gilt insbesondere für die ausdrücklich als Entscheidungen gekennzeichneten Rechtsakte, die die Kommission gegenüber Unternehmen oder Unternehmensvereinigungen im Interesse der Einhaltung der Wettbewerbsregeln erlässt und mit denen eine Zuwiderhandlung gegen diese Regeln festgestellt, Anordnungen gegenüber diesen Unternehmen erlassen und ihnen finanzielle Sanktionen auferlegt werden können (Urteil Kommission/BASF u. a., oben in Randnr. 82 angeführt, Randnrn. 64 und 65).

153    Im vorliegenden Fall beruft sich die Klägerin darauf, dass laut einer Pressemitteilung einer Presseagentur vom 12. Dezember 2000 die Sprecherin der Kommission angekündigt habe, die Kommission werde am 13. Dezember 2000 dieselbe Entscheidung neu erlassen.

154    Selbst wenn die Sprecherin der Kommission die Äußerungen gemacht hat, auf die sich die Klägerin bezieht, kann die bloße Tatsache, dass eine Pressemitteilung einer privaten Gesellschaft eine Erklärung erwähnt, die keinerlei offiziellen Charakter hat, nicht genügen, um davon auszugehen, dass die Kommission gegen das Kollegialprinzip verstoßen hat. Das Kollegium der Mitglieder der Kommission war in keiner Weise durch diese Erklärung gebunden, und es hätte in seiner Sitzung vom 13. Dezember 2000 nach einer gemeinsamen Beratung auch den Beschluss fassen können, die angefochtene Entscheidung nicht zu erlassen.

155    Die offizielle Pressemitteilung der Kommission wurde am 13. Dezember 2000 veröffentlicht.

156    Im Übrigen geht ein solches Argument ins Leere, selbst wenn die Sprecherin der Kommission erklärt haben sollte, die Klägerin habe die materiell-rechtliche Seite der Entscheidung 91/299 nie beanstandet. Aus dem 199. Erwägungsgrund der angefochtenen Entscheidung ergibt sich nämlich, dass die Kommission aus dem Grund eine neue, mit der Entscheidung 91/299 inhaltlich nahezu identische Entscheidung erlassen hat, weil die Entscheidung 91/299 wegen eines Formfehlers für nichtig erklärt worden war. Dass die Klägerin die materiell-rechtliche Seite der Entscheidung 91/299 womöglich beanstandet hat, ist somit unerheblich.

157    Infolgedessen ist der Kommission nicht im Rahmen prozessleitender Maßnahmen aufzugeben, alle internen Unterlagen, die sich auf den Erlass der angefochtenen Entscheidung beziehen, vorzulegen.

158    Somit ist der erste Teil des zweiten Klagegrundes zurückzuweisen.

 Zum zweiten Teil: Verstoß gegen den Grundsatz der Rechtssicherheit

–       Vorbringen der Parteien

159    Nach Darstellung der Klägerin haben die in der zum Zeitpunkt des Erlasses der angefochtenen Entscheidung geltenden Geschäftsordnung der Kommission (ABl. 1999, L 252, S. 41) festgelegten Feststellungsförmlichkeiten nicht den Vorgaben der Urteile Kommission/BASF u. a. (oben in Randnr. 82 angeführt, Randnrn. 73 bis 76) und Kommission/Solvay (oben in Randnr. 37 angeführt, Randnrn. 44 bis 49) entsprochen.

160    Art. 16 Abs. 1 der zum damaligen Zeitpunkt geltenden Geschäftsordnung der Kommission sehe nämlich keinerlei Formerfordernis für die Feststellung der angefochtenen Entscheidung vor, die nicht unterschrieben sei, auch wenn sie den Namen des für Wettbewerbsfragen zuständigen Mitglieds der Kommission nenne. Insbesondere sei nicht vorgesehen, dass die gefassten Beschlüsse in dem Moment, in dem die Zusammenfassung erstellt werde, mit dieser verbunden werden müssten, so dass die „Feststellung der einen oder anderen dieser Zusammenfassungen keinen unmittelbaren Zusammenhang mit dem gefassten Beschluss aufweise“. Insoweit unterscheide sich Art. 16 Abs. 1 der Geschäftsordnung der Kommission von Art. 15 des Beschlusses des Rates vom 5. Juni 2000 zur Festlegung seiner Geschäftsordnung (ABl. L 149, S. 21).

161    Somit missachte die Geschäftsordnung der Kommission den grundlegenden Charakter von Feststellungsförmlichkeiten und verstoße gegen den Grundsatz der Rechtssicherheit. Infolgedessen sei die angefochtene Entscheidung nicht rechtmäßig festgestellt worden.

162    Die Kommission tritt dem Vorbringen der Klägerin entgegen.

–       Würdigung durch das Gericht

163    Das Vorbringen der Klägerin ist dahin zu verstehen, dass sie die Rechtswidrigkeit einer Bestimmung der beim Erlass der angefochtenen Entscheidung geltenden Geschäftsordnung der Kommission geltend macht.

164    Eine solche Einrede der Rechtswidrigkeit ist als zulässig anzusehen.

165    Nach der Rechtsprechung ist Art. 241 EG nämlich auch auf die Bestimmungen einer Geschäftsordnung eines Organs anzuwenden, die zwar nicht die Rechtsgrundlage der angefochtenen Entscheidung bilden und keine gleichartigen Wirkungen wie die Bestimmungen einer Verordnung im Sinne dieses Artikels entfalten, aber die wesentlichen Formvorschriften festlegen, deren Beachtung für den Erlass dieser Entscheidung erforderlich ist und die deshalb die Rechtssicherheit für die Adressaten dieser Entscheidung gewährleisten. Jeder Adressat einer Entscheidung kann nämlich inzidenter die Rechtswidrigkeit des Rechtsakts geltend machen, von dem die formelle Gültigkeit dieser Entscheidung abhängt, auch wenn der betreffende Rechtsakt nicht die Rechtsgrundlage der Entscheidung ist, sofern der Betroffene nicht die Möglichkeit hatte, die Nichtigerklärung dieses Rechtsakts vor der Mitteilung der streitigen Entscheidung zu beantragen. Infolgedessen kann gegenüber den Bestimmungen der Geschäftsordnung der Kommission eine Einrede der Rechtswidrigkeit erhoben werden, sofern sie dem Schutz des Einzelnen dienen (Urteil PVC II des Gerichts, oben in Randnr. 43 angeführt, Randnrn. 286 und 287).

166    Im Übrigen ist die Einrede der Rechtswidrigkeit auf das zu beschränken, was für die Entscheidung des Rechtsstreits unerlässlich ist.

167    Art. 241 EG hat nämlich nicht den Zweck, einer Partei zu gestatten, die Unanwendbarkeit eines Rechtsakts allgemeinen Charakters mit jeder beliebigen Klage geltend zu machen. Der allgemeine Rechtsakt, dessen Rechtswidrigkeit geltend gemacht wird, muss unmittelbar oder mittelbar auf den streitgegenständlichen Fall anwendbar sein, und es muss ein unmittelbarer rechtlicher Zusammenhang zwischen der angegriffenen Einzelfallentscheidung und dem betreffenden allgemeinen Rechtsakt bestehen (vgl. Urteil PVC II des Gerichts, oben in Randnr. 43 angeführt, Randnrn. 288 und 289 und die dort angeführte Rechtsprechung).

168    Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass die angefochtene Entscheidung nach Art. 16 Abs. 1 der Geschäftsordnung festgestellt wurde. Es besteht somit ein unmittelbarer rechtlicher Zusammenhang zwischen dieser Entscheidung und dem Artikel der Geschäftsordnung, dessen Rechtswidrigkeit die Klägerin geltend macht. Somit kann Art. 16 Abs. 1 der beim Erlass der angefochtenen Entscheidung geltenden Geschäftsordnung Gegenstand einer Einrede der Rechtswidrigkeit sein.

169    Es ist somit zu prüfen, ob die in der Geschäftsordnung der Kommission festgelegten Formalitäten für die Feststellung den Anforderungen des Grundsatzes der Rechtssicherheit entsprechen.

170    Im vorliegenden Fall ist Art. 16 Abs. 1 der Geschäftsordnung der Kommission in der zum Zeitpunkt des Erlasses der angefochtenen Entscheidung geltenden Fassung maßgeblich, der folgendermaßen lautet:

„Die von der Kommission in einer Sitzung gefassten Beschlüsse sind in der Sprache oder in den Sprachen, in denen sie verbindlich sind, untrennbar mit der Zusammenfassung verbunden, die unmittelbar nach dem Ende der Kommissionssitzung, in der sie angenommen wurden, erstellt wird. Diese Beschlüsse werden durch die Unterschrift des Präsidenten und des Generalsekretärs auf der letzten Seite der Zusammenfassung festgestellt.“

171    Im Urteil PVC II des Gerichts (oben in Randnr. 43 angeführt) wurde die Rechtmäßigkeit von Art. 16 Abs. 1 der Geschäftsordnung der Kommission vom 17. Februar 1993 (ABl. L 230, S. 15) geprüft, der wie folgt lautete:

„Die von der Kommission in einer Sitzung … gefassten Beschlüsse werden in der Sprache oder in den Sprachen, in denen sie verbindlich sind, dem Protokoll der Kommissionssitzung beigefügt, in der diese Beschlüsse angenommen wurden oder in der ihre Annahme vermerkt wurde. Diese Beschlüsse werden durch die Unterschriften des Präsidenten und des Generalsekretärs auf der ersten Seite dieses Protokolls festgestellt.“

172    In diesem Urteil hat das Gericht entschieden, dass die in dieser Bestimmung festgelegten Modalitäten als solche eine hinreichende Garantie dafür boten, dass im Streitfall die vollkommene Übereinstimmung der zugestellten oder veröffentlichten Texte mit dem vom Kollegium angenommenen Text und damit zugleich mit dem Willen der sie erlassenden Stelle geprüft werden konnten. Da dieser Text dem Protokoll beigefügt war und die erste Seite dieses Protokolls vom Präsidenten und vom Generalsekretär unterschrieben war, bestand eine Verbindung zwischen diesem Protokoll und den Schriftstücken, auf die es sich bezog, die es erlaubte, sich über den genauen Inhalt und die genaue Form der Entscheidung des Kollegiums zu vergewissern. Dabei sprach eine Vermutung dafür, dass eine Behörde gemäß den geltenden Rechtsvorschriften gehandelt hatte, solange die Rechtswidrigkeit ihres Handelns nicht vom Gemeinschaftsrichter festgestellt worden war. Infolgedessen war die Feststellung nach den Modalitäten des Art. 16 Abs. 1 der Geschäftsordnung als rechtmäßig anzusehen (Urteil PVC II des Gerichts, oben in Randnr. 43 angeführt, Randnrn. 302 bis 304).

173    Art. 16 Abs. 1 der Geschäftsordnung der Kommission in der zum Zeitpunkt des Erlasses der angefochtenen Entscheidung geltenden Fassung sieht ein Feststellungsverfahren vor, das formalistischer ist als das im Urteil PVC II des Gerichts (oben in Randnr. 43 angeführt) geprüfte.

174    Zwischen den beiden Fassungen des Textes wurden nämlich folgende Änderungen vorgenommen: die in einer Sitzung gefassten Beschlüsse werden dem Protokoll nicht mehr nur „beigefügt“, sondern sind „untrennbar … verbunden“; das Wort „Protokoll“ wurde ersetzt durch „Zusammenfassung“; die Zusammenfassung wird „unmittelbar nach dem Ende der Kommissionssitzung“ erstellt; schließlich erfolgt die Unterschrift nicht mehr auf der „ersten Seite [des] Protokolls“, sondern auf der „letzten Seite der Zusammenfassung“.

175    Diese Änderungen stärken insgesamt die Garantien des Feststellungsverfahrens, die die Beachtung des Grundsatzes der Rechtssicherheit sicherstellen sollen.

176    Folglich ist Art. 16 Abs. 1 der zum Zeitpunkt des Erlasses der angefochtenen Entscheidung geltenden Geschäftsordnung der Kommission nicht rechtswidrig.

177    Unter diesen Umständen ist der zweite Teil des zweiten Klagegrundes zurückzuweisen.

 Zum dritten Teil: Verletzung des Rechts der Klägerin, sich erneut zu äußern

–       Vorbringen der Parteien

178    Die Klägerin räumt ein, dass nach den Ausführungen in den Randnrn. 246 bis 252 des Urteils PVC II des Gerichts (oben in Randnr. 43 angeführt) in dem Fall, dass eine Entscheidung der Kommission wegen eines Formfehlers für nichtig erklärt wird, eine erneute Anhörung der betroffenen Unternehmen vor Erlass der neuen Entscheidung nur erforderlich ist, soweit diese neue Beschwerdepunkte enthält.

179    Diese Entscheidung sei jedoch auf den Sachverhalt des vorliegenden Falles nicht übertragbar. Zum einen enthalte das Verwaltungsverfahren zahlreiche Fehler, da die gefundenen Unterlagen von der Kommission zu einem anderen Zweck als demjenigen benutzt worden seien, für den ihr die Kenntnisnahme gestattet worden sei, und wegen der Verletzung des Rechts auf Akteneinsicht. Zum anderen werde in der angefochtenen Entscheidung auf die Analyse der Entscheidung 91/297 zurückgegriffen, die aus anderen als reinen formalen Gründen für nichtig erklärt und nicht neu erlassen worden sei.

180    Die Nichtigerklärung der Entscheidung 91/297 habe somit die Gültigkeit der Maßnahmen beeinträchtigt, die zur Vorbereitung der angefochtenen Entscheidung getroffen worden seien. Im Urteil Solvay I (oben in Randnr. 35 angeführt) habe das Gericht festgestellt, dass die vollkommene Ablehnung der Übermittlung der Schriftstücke seitens der Kommission das Recht der Klägerin auf Akteneinsicht verletzt habe. Außerdem wirke sich dieser Verfahrensfehler auf das Verwaltungsverfahren nach Art. 82 EG ebenso aus wie auf das nach Art. 81 EG. Somit hätte die Kommission das Verfahren wiedereröffnen, ihr vollständige Einsicht in ihre Akte gewähren und ihr dann ermöglichen müssen, in vollem Umfang schriftlich und mündlich dazu Stellung zu nehmen.

181    Außerdem sei die Auslegung im Urteil PVC II des Gerichts (oben in Randnr. 43 angeführt) rechtsfehlerhaft, weil danach für das betroffene Unternehmen das Recht, sich zu äußern, allein auf die Möglichkeit beschränkt werde, zu den ihm gegenüber in Betracht gezogenen Beschwerdepunkten Stellung zu nehmen. Jedes betroffene Unternehmen habe nämlich auch das Recht, sich zum Prinzip, zur Zweckmäßigkeit und zur Höhe der Geldbuße zu äußern. Unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung führt die Klägerin aus, dass es den Unternehmen, die als Adressaten einer Entscheidung in Frage kämen, in der festgestellt werde, dass sie eine Zuwiderhandlung begangen hätten, und in der deshalb eine Geldbuße gegen sie verhängt werde, möglich sein müsse, im Stadium des Verwaltungsverfahrens in vollem Umfang zur Geldbuße Stellung zu nehmen. Die Klägerin trägt vor, dass sie wegen der in der vorliegenden Rechtssache verstrichenen Zeit zur Verjährung der Befugnis der Kommission, Geldbußen gegen sie zu verhängen, und zum Überschreiten einer angemessenen Verfahrensdauer sowie zur Höhe der Geldbuße neue Bemerkungen anzubringen gehabt hätte.

182    Nach der Nichtigerklärung der Entscheidung 91/297 hätte sie insbesondere zur internen Kohärenz der Analyse der Kommission, nach deren Darstellung die behaupteten Zuwiderhandlungen gegen die Art. 81 EG und 82 EG sich gegenseitig stützten, und zur Richtigkeit bestimmter Aussagen in der angefochtenen Entscheidung hinsichtlich des Bestehens eines Kartells mit ICI, die unter Verstoß gegen die Unschuldsvermutung unmittelbar aus der Entscheidung 91/297 übernommen worden seien oder dem gleichen Ansatz folgten, gehört werden müssen.

183    Die Kommission tritt dem Vorbringen der Klägerin entgegen.

–       Würdigung durch das Gericht

184    Wenn die Kommission nach der Nichtigerklärung einer Entscheidung, mit der Sanktionen gegen Unternehmen verhängt wurden, die gegen Art. 81 Abs. 1 EG verstoßen haben, wegen eines Verfahrensfehlers, der ausschließlich die Modalitäten ihrer endgültigen Annahme durch das Kollegium der Mitglieder der Kommission betrifft, eine neue Entscheidung mit einem im Wesentlichen identischen Inhalt und aufgrund der gleichen Beschwerdepunkte erlässt, ist sie nicht verpflichtet, eine erneute Anhörung der betroffenen Unternehmen durchzuführen (vgl. in diesem Sinne Urteil PVC II des Gerichts, oben in Randnr. 43 angeführt, Randnrn. 246 bis 253, bestätigt durch das Urteil PVC II des Gerichtshofs, oben in Randnr. 55 angeführt, Randnrn. 83 bis 111).

185    Die Rechtsfragen, die sich im Rahmen der Anwendung von Art. 233 EG stellen können – wie die nach dem Zeitablauf, der Möglichkeit weiterer Verfolgungsmaßnahmen, einer mit der Wiederaufnahme des Verfahrens verbundenen Akteneinsicht, dem Tätigwerden des Anhörungsbeauftragten und des Beratenden Ausschusses sowie etwaigen Auswirkungen von Art. 20 der Verordnung Nr. 17 –, machen ebenfalls keine erneuten Anhörungen erforderlich, da sie den Inhalt der Beschwerdepunkte nicht ändern, die allein gegebenenfalls Gegenstand einer späteren gerichtlichen Überprüfung sein können (vgl. in diesem Sinne Urteil PVC II des Gerichtshofs, oben in Randnr. 55 angeführt, Randnr. 93).

186    Im vorliegenden Fall hat die Kommission den Inhalt der Entscheidung 91/299 fast vollständig übernommen. Sie hat die angefochtene Entscheidung lediglich um einen Abschnitt ergänzt, der das Verfahren vor dem Gericht und dem Gerichtshof betrifft.

187    Die Kommission hat zwar in dem Teil der angefochtenen Entscheidung, der dem Sachverhalt gewidmet ist, auch Erwägungen aus der Entscheidung 91/297 hinzugefügt, die dann mit dem Urteil Solvay I (oben in Randnr. 35 aufgeführt) für nichtig erklärt wurde. Dieser Teil umfasst insbesondere Bezugnahmen auf ICI.

188    Zum einen wurde jedoch in der Entscheidung 91/299, die der angefochtenen Entscheidung zugrunde liegt, hinsichtlich der Informationen über das Produkt und den Sodamarkt ausdrücklich auf die Entscheidung 91/297 verwiesen (vgl. Teil I B der Erwägungsgründe der Entscheidung 91/299). In der Erwiderung räumt die Klägerin im Übrigen ein, dass die Passagen der Entscheidung 91/297, die in der angefochtenen Entscheidung übernommen wurden, „in vollem Umfang Bestandteil“ der Entscheidung 91/299 waren.

189    Zum anderen sind diese nur sachbezogenen Informationen nicht maßgeblich hinsichtlich der Zuwiderhandlungen, die der Klägerin in der vorliegenden Rechtssache vorgeworfen werden. Im vorliegenden Fall handelt es sich nämlich bei dem der Klägerin vorgeworfenen Verhalten um den Missbrauch einer beherrschenden Stellung und nicht um eine Vereinbarung mit einem anderen Unternehmen oder um aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen, die eine Verhinderung, eine Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs innerhalb des Gemeinsamen Marktes bewirken.

190    Die angefochtene Entscheidung und die Entscheidung 91/299 haben folglich einen im Wesentlichen gleichen Inhalt und beruhen auf den gleichen Gründen.

191    Infolgedessen musste die Kommission im vorliegenden Fall gemäß der in den vorstehenden Randnrn. 184 und 185 angeführten Rechtsprechung vor dem Erlass der angefochtenen Entscheidung die Klägerin nicht erneut anhören.

192    Im Übrigen ist das Vorbringen der Verwendung von unter Verstoß gegen die Verordnung Nr. 17 aufgefundenen Dokumenten und der Verletzung des Rechts auf Akteneinsicht Gegenstand eigenständiger Rügen und wird somit an anderer Stelle geprüft.

193    Infolgedessen ist der dritte Teil des zweiten Klagegrundes zurückzuweisen.

 Zum vierten Teil: keine erneute Anhörung des Beratenden Ausschusses für Kartell- und Monopolfragen

–       Vorbringen der Parteien

194    Die Klägerin beanstandet die Beurteilung in den Randnrn. 254 bis 257 des Urteils PVC II des Gerichts (oben in Randnr. 43 angeführt), wonach in dieser Rechtssache eine erneute Anhörung des Beratenden Ausschusses nicht erforderlich war. Nach Ansicht der Klägerin ergibt sich die Verpflichtung, den Beratenden Ausschuss anzuhören, entgegen der Entscheidung des Gerichts in diesem Urteil nicht aus Art. 1 der Verordnung Nr. 99/63/EWG der Kommission vom 25. Juli 1963 über die Anhörung nach Artikel 19 Absätze (1) und (2) der Verordnung Nr. 17 (ABl. 127, S. 2268), der nur die zeitliche Abfolge des einzuhaltenden Verfahrens regele, sondern aus Art. 10 der Verordnung Nr. 17 in der zur maßgeblichen Zeit geltenden Fassung. Auch wenn die Anhörung des Beratenden Ausschusses eine wichtige Verfahrensgarantie sei, verfolge sie ein anderes Ziel als die bloße Anhörung des Unternehmens, das von dem Entscheidungsvorschlag betroffen sei, was durch die Tatsache bestätigt werde, dass der Verzicht des Unternehmens auf die Anhörung die Kommission nicht davon befreie, den Beratenden Ausschuss anzuhören.

195    Infolgedessen hätte im vorliegenden Fall der Beratende Ausschuss zum Vorhaben der Kommission, nach dem Urteil Kommission/Solvay (oben in Randnr. 37 angeführt) die angefochtene Entscheidung zu erlassen, insbesondere zur Frage der Beachtung des Grundsatzes der angemessenen Verfahrensdauer, angehört werden müssen.

196    Die Kommission tritt dem Vorbringen der Klägerin entgegen.

–       Würdigung durch das Gericht

197    Art. 10 der Verordnung Nr. 17 in der zur maßgeblichen Zeit geltenden Fassung lautet:

„3. Ein Beratender Ausschuss für Kartell- und Monopolfragen ist vor jeder Entscheidung, die ein Verfahren nach Absatz (1) abschließt, sowie vor jeder Entscheidung über Erneuerung, Änderung oder Widerruf einer nach Artikel [81] Absatz (3) [EG] abgegebenen Erklärung anzuhören.

5. Die Anhörung erfolgt in einer gemeinsamen Sitzung, zu der die Kommission einlädt; diese Sitzung findet frühestens vierzehn Tage nach Absendung der Einladung statt. Der Einladung sind eine Darstellung des Sachverhalts unter Angabe der wichtigsten Schriftstücke sowie ein vorläufiger Entscheidungsvorschlag für jeden zu behandelnden Fall beizufügen.“

198    Außerdem bestimmt Art. 1 der Verordnung Nr. 99/63:

„Bevor die Kommission den Beratenden Ausschuss für Kartell- und Monopolfragen anhört, nimmt sie eine Anhörung nach Artikel 19 Absatz (1) der Verordnung Nr. 17 vor.“

199    Nach ständiger Rechtsprechung folgt aus Art. 1 der Verordnung Nr. 99/63, dass die Anhörung der betroffenen Unternehmen und die des Beratenden Ausschusses in denselben Fällen erforderlich ist (Urteil des Gerichtshofs vom 21. September 1989, Hoechst/Kommission, 46/87 und 227/88, Slg. 1989, 2859, Randnr. 54, und Urteil PVC II des Gerichtshofs, oben in Randnr. 55 angeführt, Randnr. 115).

200    Die Verordnung Nr. 99/63 wurde durch die Verordnung (EG) Nr. 2842/98 der Kommission vom 22. Dezember 1998 über die Anhörung in bestimmten Verfahren nach Artikel [81 EG] und [82 EG] (ABl. L 354, S. 18) ersetzt, die im Zeitpunkt des Erlasses der angefochtenen Entscheidung in Kraft war und deren Art. 2 Abs. 1 einen Wortlaut hat, der dem von Art. 1 der Verordnung Nr. 99/63 nahe kommt.

201    Nach der angefochtenen Entscheidung ist der Beratende Ausschuss für Kartell- und Monopolfragen im vorliegenden Fall vor der Entscheidung 91/299 angehört worden. Die Klägerin beanstandet weder die Durchführung noch die Rechtmäßigkeit dieser Anhörung.

202    Da die angefochtene Entscheidung gegenüber der Entscheidung 91/299 keine wesentlichen Änderungen enthält, musste die Kommission die Klägerin vor Erlass der angefochtenen Entscheidung nicht erneut anhören, und sie hatte auch keine erneute Anhörung des Beratenden Ausschusses durchzuführen (vgl. in diesem Sinne Urteil PVC II des Gerichtshofs, oben in Randnr. 55 angeführt, Randnr. 118).

203    Infolgedessen ist der vierte Teil des zweiten Klagegrundes zurückzuweisen.

 Zum fünften Teil: nicht ordnungsgemäße Zusammensetzung des Beratenden Ausschusses für Kartell- und Monopolfragen

–       Vorbringen der Parteien

204    Die Klägerin macht geltend, dass nach der Anhörung des Beratenden Ausschusses für Kartell- und Monopolfragen, die vor dem Erlass der Entscheidung 91/299 und der angefochtenen Entscheidung stattgefunden habe, am 1. Januar 1995 drei Staaten der Gemeinschaft beigetreten seien. Da sich der Beratende Ausschuss aus jeweils einem Vertreter jedes Mitgliedstaats zusammensetze, sei er zu dem Zeitpunkt, als die Kommission den Vorschlag erstellt habe, der zum Erlass der angefochtenen Entscheidung geführt habe, nicht mehr ordnungsgemäß zusammengesetzt gewesen. Die Kommission hätte somit eine erneute Anhörung des ordnungsgemäß zusammengesetzten Beratenden Ausschusses vornehmen müssen.

205    Die Kommission tritt dem Vorbringen der Klägerin entgegen.

–       Würdigung durch das Gericht

206    Art. 10 Abs. 4 der Verordnung Nr. 17 in der zur maßgeblichen Zeit geltenden Fassung lautet:

„Der Beratende Ausschuss setzt sich aus für Kartell- und Monopolfragen zuständigen Beamten zusammen. Jeder Mitgliedstaat bestimmt als seinen Vertreter einen Beamten, der im Falle der Verhinderung durch einen anderen Beamten ersetzt werden kann.“

207    Nach der Rechtsprechung lässt eine Änderung in der Zusammensetzung eines Organs die Kontinuität des Organs selbst unberührt, dessen endgültige oder vorbereitende Handlungen grundsätzlich alle ihre Wirkungen beibehalten (Urteil des Gerichtshofs vom 13. November 1990, Fedesa u. a., C‑331/88, Slg. 1990, I‑4023, Randnr. 36).

208    Außerdem gibt es im Gemeinschaftsrecht keinen allgemeinen Grundsatz der Kontinuität der Zusammensetzung des Verwaltungsorgans, das mit einer Sache befasst ist, die zur Verhängung einer Geldbuße führen kann (Urteil PVC II des Gerichts, oben in Randnr. 43 angeführt, Randnrn. 322 und 323).

209    Somit brauchte die Kommission den Beratenden Ausschuss nach dem Beitritt von drei weiteren Staaten zur Gemeinschaft nicht erneut anzuhören.

210    Folglich ist der fünfte Teil des zweiten Klagegrundes zurückzuweisen.

 Zum sechsten Teil: Verwendung von in Besitz genommenen Unterlagen unter Verstoß gegen die Verordnung Nr. 17

–       Vorbringen der Parteien

211    Die Klägerin erinnert daran, dass nach Art. 14 Abs. 3 der Verordnung Nr. 17 in ihrer zur maßgeblichen Zeit geltenden Fassung die Kommission bei den Unternehmen Nachprüfungen mit einer Entscheidung habe anordnen können, die den Gegenstand und den Zweck dieser Nachprüfungen bezeichnet habe, und dass nach Art. 20 Abs. 1 dieser Verordnung in der zur maßgeblichen Zeit geltenden Fassung die bei Anwendung von Art. 14 erlangten Kenntnisse nur zu dem mit der Auskunft oder Nachprüfung verfolgten Zweck hätten verwertet werden dürfen.

212    Die Klägerin trägt vor, dass im vorliegenden Fall die Nachprüfungsentscheidung vom 5. April 1989, auf deren Grundlage die Kommission Nachprüfungen in ihren Geschäftsräumen und denen ihrer deutschen und spanischen Tochtergesellschaften durchgeführt habe, nur auf Art. 81 EG gerichtet gewesen sei und dass darin bei den sechs betroffenen Herstellern eine Nachprüfung angeordnet worden sei, die sich zum einen auf deren mögliche Beteiligung an Vereinbarungen und/oder aufeinander abgestimmten Verhaltensweisen über die Aufteilung nationaler Märkte und Abstimmungen von Verkaufspreisen für kalzinierte Soda und zum anderen auf die Anwendung ausschließlicher Bezugsbindungen gegenüber Abnehmern, die den Wettbewerb zu beschränken oder auszuschalten und die starre Marktstruktur in der Gemeinschaft zu verstärken geeignet gewesen seien, erstreckt habe.

213    Überdies ergebe sich aus Unterlagen, die einer der Prüfungsbeamten in den Geschäftsräumen der Klägerin zurückgelassen habe, dass die Kommission weder einen anfänglichen Hinweis noch einen Verdacht oder irgendeinen Anhaltspunkt für einen Verstoß gegen Art. 82 EG besessen habe. Außerdem habe sich die Kommission für die Beziehungen mit den Kunden interessiert, soweit die Verträge mit diesen möglicherweise eine Marktaufteilungsvereinbarung darstellten. Zudem ergibt sich nach Ansicht der Klägerin aus einem Briefwechsel zwischen ihr und der Kommission, dass diese am 22. Mai 1989 ihren ausdrücklichen Vorbehalt akzeptiert habe, wonach die Verwendung der in Besitz genommenen Dokumente zu einem anderen Zweck als Nachprüfungen im Rahmen eines Verfahrens nach Art. 81 Abs. 1 EG untersagt sein sollte.

214    Darüber hinaus habe die Kommission am 21. Juni 1989 ein Auskunftsverlangen an die Klägerin und am 8. Juli 1989 an eine ihrer Tochtergesellschaften, nämlich DSW, gerichtet. Im Gegensatz zur Nachprüfungsentscheidung hätten sich diese sowohl auf Art. 81 EG als auch auf Art. 82 EG erstreckt. In dem an die Klägerin gerichteten Verlangen werde auch erwähnt, dass die Kommission „die Verträge mit Kunden, die mittels diskriminierender Treuerabatte die Alleinbelieferung sicherstellen sollen, auf ihre Vereinbarkeit mit den Wettbewerbsregeln“ prüfe.

215    Die Klägerin räumt ein, dass die Kommission berechtigt gewesen sei, zum einen die Dokumente in Besitz zu nehmen, auf die sie bei den Nachprüfungen gestoßen sei, soweit sie unter die Nachprüfungsentscheidung fielen, und zum anderen eine Untersuchung einzuleiten, um das Vorliegen eines mutmaßlichen Verstoßes gegen Art. 82 EG zu prüfen, von dem sie infolge der durchgeführten Nachprüfungen Kenntnis erlangt habe. Dagegen habe die Kommission die in Besitz genommenen Unterlagen später im Rahmen des Verfahrens zum Nachweis des vermuteten Verstoßes gegen Art. 82 EG nur als Grundlage für die Entscheidung, das genannte Verfahren einzuleiten, verwenden können. Die überwiegende Mehrheit der Dokumente, die in dem Teil der Mitteilung der Beschwerdepunkte genannt worden seien, der den Vorwurf des Missbrauchs einer beherrschenden Stellung betreffe, seien aber offensichtlich bei den bei ihr und ihren Tochtergesellschaften durchgeführten Nachprüfungen in Besitz genommen worden. Die Kommission habe somit die in Rede stehenden Unterlagen zu einem anderen Zweck als dem, zu dem sie erlangt worden seien, verwendet. Dadurch habe die Kommission die Verteidigungsrechte der Klägerin und das Recht auf das Berufsgeheimnis, wie in Art. 14 Abs. 3 und Art. 20 Abs. 1 der Verordnung Nr. 17 in der zur maßgeblichen Zeit geltenden Fassung gewährleistet, verletzt.

216    Somit hätten die Dokumente, die der Mitteilung der Beschwerdepunkte beigefügt gewesen seien und die die auf Art. 82 EG gegründeten Rügen gestützt hätten, mit Ausnahme der Dokumente zurückgewiesen werden müssen, die von der Klägerin und ihrer Tochtergesellschaft in Beantwortung der nach den Nachprüfungen an sie gerichteten Auskunftsverlangen übermittelt worden seien. Darüber hinaus sei es ihr wegen des Zeitablaufs nicht möglich, von den der Mitteilung der Beschwerdepunkte beigefügten Dokumenten diejenigen, die in ihren Geschäftsräumen in Besitz genommen worden seien, und diejenigen, die der Kommission als Antwort auf die Auskunftsersuchen übermittelt worden seien, zu bestimmen. Da jeder der von der Kommission angeführten Beschwerdepunkte auf Dokumente gestützt sei, die zurückzuweisen gewesen wären, sei die angefochtene Entscheidung somit insgesamt für nichtig zu erklären. Außerdem lägen den von der Kommission angeführten Beschwerdepunkten zumindest implizit bestimmte belastende, der Mitteilung der Beschwerdepunkte beigefügte Dokumente zugrunde, ohne dass das Gericht den genauen Einfluss dieser Dokumente auf die Formulierung der Beschwerdepunkte in der angefochtenen Entscheidung beurteilen könne. Somit sei das Gericht nicht in der Lage, die Rechtmäßigkeit der angefochtenen Entscheidung und die Ordnungsmäßigkeit ihrer Begründung zu prüfen.

217    Die Kommission widerspricht dem Vorbringen der Klägerin.

–       Würdigung durch das Gericht

218    Vorab ist daran zu erinnern, dass sowohl der Zweck der Verordnung Nr. 17 als auch die Aufzählung der den Bediensteten der Kommission eingeräumten Befugnisse in Art. 14 dieser Verordnung erkennen lassen, dass die Nachprüfungen sehr weit gehen können. Dabei kommt dem Recht, alle Räumlichkeiten, Grundstücke und Transportmittel der Unternehmen zu betreten, insofern besondere Bedeutung zu, als es der Kommission damit ermöglicht werden soll, das Beweismaterial für Zuwiderhandlungen gegen die Wettbewerbsregeln an den Orten zu sammeln, an denen es sich normalerweise befindet, d. h. in den Geschäftsräumen der Unternehmen. Dieses Betretungsrecht wäre nutzlos, wenn sich die Bediensteten der Kommission darauf beschränken müssten, die Vorlage von Unterlagen oder Akten zu verlangen, die sie schon vorher genau bezeichnen können. Ein solches Recht impliziert vielmehr auch die Befugnis, nach anderen Informationsquellen zu suchen, die noch nicht bekannt oder vollständig bezeichnet sind. Ohne eine solche Befugnis wäre es der Kommission unmöglich, die für die Nachprüfung erforderlichen Informationen einzuholen, falls die betroffenen Unternehmen die Mitwirkung verweigern oder eine obstruktive Haltung einnehmen. Wenn somit Art. 14 der Verordnung Nr. 17 der Kommission auch weitreichende Ermittlungsbefugnisse einräumt, so unterliegt die Ausübung dieser Befugnisse doch Bedingungen, die die Wahrung der Rechte der betroffenen Unternehmen gewährleisten sollen. Insoweit ist zunächst auf die Verpflichtung der Kommission zur Angabe von Gegenstand und Zweck der Nachprüfung hinzuweisen. Diese Verpflichtung stellt ein grundlegendes Erfordernis dar, mit dem nicht nur die Berechtigung des beabsichtigten Eingriffs in den betroffenen Unternehmen aufgezeigt werden soll, sondern auch diese Unternehmen in die Lage versetzt werden sollen, den Umfang ihrer Mitwirkungspflicht zu erkennen und zugleich ihre Verteidigungsrechte zu wahren (Urteil vom 21. September 1989, Hoechst/Kommission, oben in Randnr. 199 angeführt, Randnrn. 26 bis 29).

219    Daher kann der Umfang der Pflicht zur Begründung der Nachprüfungsentscheidungen nicht aufgrund von Erwägungen eingeschränkt sein, die die Wirksamkeit der Untersuchung betreffen. Zwar braucht die Kommission weder dem Adressaten einer Nachprüfungsentscheidung alle ihr vorliegenden Informationen über vermutete Zuwiderhandlungen zu übermitteln, noch muss sie eine strenge rechtliche Qualifizierung dieser Zuwiderhandlungen vornehmen; sie hat aber klar anzugeben, welchen Vermutungen sie nachzugehen beabsichtigt (Urteil vom 21. September 1989, Hoechst/Kommission, oben in Randnr. 199 angeführt, Randnr. 41).

220    Im vorliegenden Fall verweist die Nachprüfungsentscheidung nur auf Art. 81 EG.

221    Da die Kommission jedoch keine strenge rechtliche Qualifizierung der Zuwiderhandlungen vornehmen musste, kann der Umstand, dass Art. 82 EG in der Entscheidung nicht ausdrücklich genannt wird, für sich allein nicht zu der Schlussfolgerung führen, die Kommission habe gegen Art. 14 der Verordnung Nr. 17 verstoßen.

222    Zwar geht aus dem Wortlaut der Nachprüfungsentscheidung hervor, dass die Kommission ausdrücklich nur prüfen wollte, ob die Klägerin an Vereinbarungen und/oder abgestimmten Verhaltensweisen beteiligt war. Es gibt keinen Anhaltspunkt dafür, dass auch der Verdacht des Missbrauchs einer beherrschenden Stellung bestand. Darüber hinaus hat die Kommission die Schriftstücke, die sie im Verfahren nach Art. 82 EG verwendete, nicht im Rahmen neuer Prüfungsaufträge angefordert.

223    Aus Art. 1 der angefochtenen Entscheidung ergibt sich jedoch, dass „[die Klägerin] durch ein Verhalten gegen [Art. 82 EG] verstoßen [hat], das darauf abzielte, den Wettbewerb auszuschalten oder weitgehend einzuschränken, und daraus bestand, … mit Abnehmern Vereinbarungen zu schließen, in denen ihnen zur Auflage gemacht wurde, für eine unbestimmte oder unvertretbar lange Zeit ihren gesamten Bedarf oder einen sehr großen Teil ihres Sodabedarfs von [der Klägerin] zu beziehen, … erhebliche Rabatte und sonstige finanzielle Anreize für Spitzenmengen über die vertraglich vereinbarte Grundmenge der Abnehmer hinaus zu gewähren, um sicherzustellen, dass diese ihren gesamten Bedarf oder den größten Teil ihres Bedarfs von [der Klägerin] beziehen [und] die Gewährung von Rabatten davon abhängig zu machen, dass der Abnehmer einwilligt, seinen gesamten Bedarf von [der Klägerin] zu beziehen“.

224    Somit entspricht die in Art. 1 zweiter Gedankenstrich der Nachprüfungsentscheidung genannte „Anwendung ausschließlicher Bezugsbindungen“ dem, was der Klägerin in der angefochtenen Entscheidung letztlich entgegengehalten wird. Die der Klägerin in der angefochtenen Entscheidung vorgeworfenen Verstöße gegen Art. 82 EG erfolgten nämlich im Rahmen ihrer Vertragsbeziehungen mit einem Teil ihrer Kunden und waren im Wesentlichen Ausschließlichkeitsvereinbarungen.

225    Es besteht somit in der Sache Ähnlichkeit zwischen den Verhaltensweisen, die nach Ansicht der Kommission dem in der angefochtenen Entscheidung festgestellten Missbrauch einer beherrschenden Stellung zugrunde liegen, und denjenigen, in Bezug auf die sie ihren Bediensteten in Art. 1 zweiter Gedankenstrich der Nachprüfungsentscheidung einen Prüfungsauftrag erteilt hat.

226    Nachdem ein Teil der Fakten, hinsichtlich deren die Vertreter der Kommission beauftragt waren, Beweise für eine Zuwiderhandlung gegen Art. 81 EG zu erlangen, dieselben waren wie diejenigen, auf die danach der Vorwurf des Missbrauchs einer beherrschenden Stellung gegenüber der Klägerin in der angefochtenen Entscheidung gegründet wurde, überschritt die Beschlagnahme von Unterlagen nicht den von der Nachprüfungsentscheidung gebildeten Legalitätsrahmen. Diese enthält tatsächlich die wesentlichen Elemente, die von Art. 14 Abs. 3 der Verordnung Nr. 17 gefordert werden.

227    Somit wird deutlich, dass die Kommission die Dokumente, die im Rahmen der angefochtenen Entscheidung zur Stützung des Vorwurfs eines Verstoßes gegen Art. 82 EG verwendet wurden, unabhängig davon, ob sie während der Nachprüfungen im April 1989 in Besitz genommen oder im Anschluss an die später nach Art. 11 der Verordnung Nr. 17 an die Klägerin gerichteten Auskunftsersuchen übermittelt worden waren, auf zulässige Art und Weise erlangt hat.

228    Daraus ergibt sich auch, dass die Kommission die genannten Dokumente zulässigerweise als Beweise im Rahmen der auf Art. 82 EG gestützten angefochtenen Entscheidung verwendet hat.

229    Außerdem ergibt sich aus dem Schreiben der Kommission vom 22. Mai 1989 nur, dass diese bestätigt hat, dass Art. 20 der Verordnung Nr. 17 in der zur maßgeblichen Zeit geltenden Fassung auf die bei den Nachprüfungen erlangten Dokumente anwendbar ist und dass die fraglichen Dokumente nicht als Beweise in einem Antidumpingverfahren benutzt werden. Die Kommission hat somit nicht in dem Sinne Stellung genommen, dass die Untersuchung nur Verstöße gegen Art. 81 EG betrifft und dass die Einstufung der fraglichen Zuwiderhandlung als Missbrauch einer beherrschenden Stellung außerhalb des Zwecks der Untersuchung liege.

230    Somit ist der sechste Teil des zweiten Klagegrundes zurückzuweisen.

 Zum achten Teil: Verstoß gegen die Grundsätze der Unparteilichkeit, der ordnungsgemäßen Verwaltung und der Verhältnismäßigkeit

–       Vorbringen der Parteien

231    Die Klägerin macht geltend, die angefochtene Entscheidung gebe praktisch Wort für Wort eine Entscheidung wieder, die zehn Jahre zuvor erlassen worden sei, und sie trage in keiner Weise dem Zeitablauf und den Folgen der Nichtigerklärung der Entscheidung 91/297 Rechnung. Außerdem hätte ihr die Kommission vollständige Akteneinsicht gewähren müssen.

232    Darüber hinaus sei die angefochtene Entscheidung unverhältnismäßig, da sie lange Zeit nach den Vorkommnissen zur Wiedereröffnung eines Verfahrens führe, so dass ihr auf alle Fälle jede nützliche Wirkung fehle.

233    Überdies habe die Kommission keine Gründe dafür genannt, warum sie es für angebracht gehalten habe, ihr erneut eine „drakonische Entscheidung“ aufzuerlegen, obwohl sie im Übrigen darauf verzichtet habe, im Anschluss an die Nichtigerklärung der Entscheidung 91/297 eine neue Entscheidung zu erlassen. Die Kommission habe jedoch die Zuwiderhandlungen, die zu den Entscheidungen 91/297, 91/298 und 91/299 geführt hätten, als Gesamtheit behandelt, und die Entscheidungen seien unter diesem Blickwinkel abgefasst worden. Das Gericht könne somit die Gründe für den Beschluss der Kommission, eine neue Entscheidung zu erlassen, deren Inhalt praktisch identisch sei mit dem der Entscheidung 91/299, nicht beurteilen.

234    Die Kommission tritt dem Vorbringen der Klägerin entgegen.

–       Würdigung durch das Gericht

235    Die Klägerin greift unter dem Deckmantel der Rüge eines Verstoßes gegen die Grundsätze der Unparteilichkeit, der ordnungsgemäßen Verwaltung und der Verhältnismäßigkeit die gleichen Argumente wieder auf, die sie bereits geltend gemacht hat, insbesondere den Zeitablauf und das Recht auf Akteneinsicht, die das Gericht an anderer Stelle prüft.

236    Das einzige neue Element betrifft das Fehlen einer Begründung hinsichtlich der Tatsache, dass die Kommission eine neue Entscheidung erlassen hat, deren Inhalt nahezu identisch ist mit dem der Entscheidung 91/299. Die Kommission hat aber ihre Gründe dafür, die Entscheidung 91/299 neu zu erlassen, in den der Entscheidung 91/299 hinzugefügten Erwägungsgründen 196 bis 207 der angefochtenen Entscheidung dargelegt. Folglich geht die Rüge der Klägerin in tatsächlicher Hinsicht fehl.

237    Somit ist der achte Teil des zweiten Klagegrundes zurückzuweisen.

238    Nach alledem ist der zweite Klagegrund, vorbehaltlich der im Rahmen des sechsten Klagegrundes erfolgenden Prüfung des siebten Teils, mit dem eine Verletzung des Rechts auf Akteneinsicht gerügt wird, insgesamt zurückzuweisen.

 Zum dritten Klagegrund: fehlerhafte Definition des räumlichen Marktes

 Vorbringen der Parteien

239    Unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des Gerichtshofs macht die Klägerin geltend, das Kriterium der Marktanteile sei, auch wenn es einen wichtigen Punkt für den Nachweis des Vorliegens einer beherrschenden Stellung darstelle, niemals als solches entscheidend, insbesondere wenn es sich dabei um Marktanteile in angemessener Höhe handele. Es seien auch andere Faktoren zu berücksichtigen, wie insbesondere die Marktzutrittsschranken, die vertikale Integration, die Finanzkraft, der technologische Vorsprung, die Gegenmacht der Abnehmer oder auch die Kostenstruktur.

240    Die Klägerin beanstandet, dass die Kommission von einer gemeinschaftsweiten Dimension des räumlich relevanten Marktes ausgegangen sei, nachdem sie verschiedene Punkte aufgezählt habe, die „alle für eine nationale Dimension sprechen“. Wenn die Kommission eine Vorabprüfung der Wettbewerbsbedingungen durchgeführt hätte, wäre sie zu dem Ergebnis gelangt, dass der Markt sich nur auf das nationale Gebiet erstreckt habe.

241    Die Fehlerhaftigkeit der Beurteilung der Kommission werde durch die Entscheidung der „italienischen Wettbewerbsbehörde“ vom 10. April 1997 in der Sache Solvay/Sodi bestätigt, in der der italienische Sodamarkt als räumlich relevanter Markt definiert worden sei. In der Mitteilung gemäß Art. 19 Abs. 3 der Verordnung Nr. 17 betreffend einen Antrag auf Negativattest bzw. Freistellung nach Artikel 81 Absatz 3 [EG] in der Sache IV/E‑2/36.732 – Solvay-Sisecam (ABl. 1999, C 272, S. 14) habe die Kommission auch anerkannt, dass die Abgrenzung des räumlich relevanten Marktes „außerordentlich schwierig“ sei und dass sich eine Abgrenzung nach nationalen Märkten verwischt habe.

242    Außerdem trägt die Klägerin vor, die Meinung der Kommission, dass ihre Einflusssphäre dem westeuropäischen Kontinent entsprochen habe, sei rechtsfehlerhaft. Diese Analyse sei auf die Existenz einer Vereinbarung zwischen ihr und ICI gestützt und verfolge allein das Ziel, zu dem Ergebnis zu gelangen, dass sie über einen in absoluten und relativen Zahlen bedeutenden Marktanteil auf dem „genannten Markt“ verfügt habe. Die Kommission habe somit nicht die üblichen Kriterien berücksichtigt, nach denen es möglich sei, den räumlich relevanten Markt, d. h. das Gebiet, auf dem die Marktbedingungen ausreichend homogen seien, damit ein Wettbewerb unter allen vorhandenen Wirtschaftsbeteiligten stattfinde, genau abzugrenzen.

243    Die Klägerin macht ferner geltend, die Kommission habe dadurch, dass sie nicht erklärt habe, warum sie von ihrer ständigen Praxis bei der Abgrenzung des räumlich relevanten Marktes abgewichen sei, die angefochtene Entscheidung nicht ordnungsgemäß begründet.

244    Darüber hinaus habe die Kommission einen offensichtlichen Beurteilungsfehler begangen, indem sie gleichzeitig entschieden habe, dass die Beneluxstaaten und das Vereinigte Königreich verschiedene Märkte darstellten und dass die Beneluxstaaten und Portugal, wo sie sich in einer tatsächlichen Monopolsituation befunden habe, dem gleichen Markt angehörten.

245    Im 132. Erwägungsgrund der angefochtenen Entscheidung habe die Kommission ausgeführt, dass der „angestammte Markt von Solvay … die gesamte Gemeinschaft mit Ausnahme des Vereinigten Königreichs und Irlands [umfasste], wo wegen ihrer wettbewerbsfeindlichen Vereinbarungen völlig andere Wettbewerbsbedingungen herrschten“. Im Widerspruch hierzu habe die Kommission aber in der Klagebeantwortung erklärt, dass ICI und die Klägerin sich nicht in einer Wettbewerbssituation befunden hätten, um das Vereinigte Königreich und Irland vom räumlich relevanten Markt auszuschließen. Darüber hinaus erwähne die Kommission in der angefochtenen Entscheidung nicht die Wettbewerbsbedingungen auf dem italienischen, spanischen, portugiesischen, griechischen und dänischen Markt, während sie ohne irgendeine ergänzende Begründung zu dem Schluss gekommen sei, dass die Wettbewerbsbedingungen im gesamten Gebiet Kontinentaleuropas homogen seien. Was die nationalen Marktanteile der Klägerin betreffe, seien diese keineswegs homogen gewesen, weil sie je nach Staat entweder nicht existiert hätten oder 15 %, 50 %, 80 % bzw. 100 % betragen hätten. Unter diesen Umständen beantragt die Klägerin, die Kommission aufzufordern, zu erläutern, was sie zu der Ansicht geführt habe, dass die Marktstruktur auf dem gesamten westeuropäischen Kontinent identisch sei.

246    Die Kommission widerspricht dem Vorbringen der Klägerin.

 Würdigung durch das Gericht

247    Nach ständiger Rechtsprechung ist bei der Prüfung der Frage, ob ein Unternehmen eine beherrschende Stellung im Sinne von Art. 82 Abs. 1 EG einnimmt, der Bestimmung des betroffenen Marktes und der Abgrenzung des wesentlichen Teils des Gemeinsamen Marktes, auf dem dieses Unternehmen gegebenenfalls missbräuchliche Praktiken anwenden kann, die einen wirksamen Wettbewerb verhindern, grundlegende Bedeutung beizumessen (Urteile des Gerichtshofs vom 26. November 1998, Bronner, C‑7/97, Slg. 1998, I‑7791, Randnr. 32, und vom 23. Mai 2000, Sydhavnens Sten & Grus, C‑209/98, Slg. 2000, I‑3743, Randnr. 57).

248    Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass die Abgrenzung des Marktes in einem Fall des Art. 81 EG nicht dieselbe Rolle spielt wie in einem Fall des Art. 82 EG. Bei der Anwendung von Art. 82 EG hat die angemessene Definition des relevanten Marktes notwendig jeder Beurteilung eines mutmaßlich wettbewerbswidrigen Verhaltens vorauszugehen, da vor dem Nachweis der missbräuchlichen Ausnutzung einer beherrschenden Stellung die Existenz einer solchen Stellung auf einem bestimmten Markt nachgewiesen werden muss, was die vorherige Abgrenzung dieses Marktes voraussetzt. In einem Fall des Art. 81 EG dagegen ist der relevante Markt gegebenenfalls zu definieren, um zu bestimmen, ob die Vereinbarung, der Beschluss der Unternehmensvereinigung oder die abgestimmte Verhaltensweise, um die es geht, den Handel zwischen Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen geeignet ist und eine Verhinderung, Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs innerhalb des Gemeinsamen Marktes bezweckt oder bewirkt (Urteile des Gerichts vom 6. Juli 2000, Volkswagen/Kommission, T‑62/98, Slg. 2000, II‑2707, Randnr. 230, und vom 11. Dezember 2003, Adriatica di Navigazione/Kommission, T‑61/99, Slg. 2003, II‑5349, Randnr. 27).

249    Nach der Systematik von Art. 82 EG kann der räumliche Markt als das Gebiet definiert werden, in dem für alle Wirtschaftsteilnehmer in Bezug auf die betreffenden Produkte Wettbewerbsbedingungen gelten, die einander gleichen. Es ist keineswegs erforderlich, dass die objektiven Wettbewerbsbedingungen für die Wirtschaftsteilnehmer völlig homogen sind. Es genügt, wenn sie einander gleichen oder hinreichend homogen sind (Urteil des Gerichtshofs vom 14. Februar 1978, United Brands und United Brands Continentaal/Kommission, 27/76, Slg. 1978, 207, Randnrn. 44 und 53, und Urteil des Gerichts vom 22. November 2001, AAMS/Kommission, T‑139/98, Slg. 2001, II‑3413, Randnr. 39). Somit können nur Gebiete, in denen die objektiven Wettbewerbsbedingungen heterogen sind, nicht als einheitlicher Markt angesehen werden (Urteil des Gerichts vom 21. Oktober 1997, Deutsche Bahn/Kommission, T‑229/94, Slg. 1997, II‑1689, Randnr. 92).

250    Schließlich nimmt nach ständiger Rechtsprechung der Gemeinschaftsrichter zwar grundsätzlich eine umfassende Prüfung der Frage vor, ob die Tatbestandsmerkmale der Wettbewerbsregeln erfüllt sind; seine Überprüfung der Beurteilung komplexer wirtschaftlicher Gegebenheiten durch die Kommission muss sich jedoch darauf beschränken, ob die Verfahrensregeln und die Vorschriften über die Begründung eingehalten wurden, ob der Sachverhalt zutreffend festgestellt wurde und ob kein offensichtlicher Beurteilungsfehler und kein Ermessensmissbrauch vorliegen (Urteile des Gerichts vom 30. März 2000, Kish Glass/Kommission, T‑65/96, Slg. 2000, II‑1885, Randnr. 64, und vom 17. September 2007, Microsoft/Kommission, T‑201/04, Slg. 2007, II‑3601, Randnr. 87).

251    Im vorliegenden Fall hat die Kommission den räumlich relevanten Markt in dem Abschnitt der angefochtenen Entscheidung über den relevanten Markt wie folgt definiert:

„(136) Das Produkt und das geografische Gebiet, für die die wirtschaftliche Machtstellung von Solvay zu beurteilen ist, ist folglich der EG-Markt (ohne Vereinigtes Königreich und Irland) für kalzinierte Soda.“

252    In Beantwortung einer schriftlichen Frage des Gerichts hat die Kommission betont, dass andere Passagen der angefochtenen Entscheidung sich auf denselben räumlichen Markt bezögen wie denjenigen, der im 136. Erwägungsgrund der angefochtenen Entscheidung bestimmt worden sei.

253    Die Kommission nennt u. a. die Erwägungsgründe 8, 18 bis 20, 23, 26, 36 bis 38, 40 bis 42, 43, 133, 137, 138, 188 und 191, die auf den „westeuropäischen Markt“, auf „Westeuropa“ oder die „Gemeinschaft“ Bezug nehmen.

254    Außerdem steht die Definition des räumlichen Marktes im 136. Erwägungsgrund der angefochtenen Entscheidung nicht im Widerspruch zu anderen Erwägungsgründen der angefochtenen Entscheidung. Aus der in der vorstehenden Randnr. 249 angeführten Rechtsprechung ergibt sich nämlich, dass es genügt, wenn die Wettbewerbsbedingungen hinsichtlich der betroffenen Produkte einander gleichen oder hinreichend homogen sind. Folglich können mehrere nationale Märkte bei der Anwendung von Art. 82 EG zusammen einen räumlichen Markt bilden, falls die objektiven Wettbewerbsbedingungen hinreichend homogen sind.

255    Überdies schließt der Umstand, dass die Hersteller dazu neigten, ihre Verkäufe auf die Mitgliedstaaten zu konzentrieren, in denen sie Produktionskapazitäten besaßen, nicht aus, dass die objektiven Wettbewerbsbedingungen ausreichend homogen waren.

256    Auf jeden Fall ergibt sich aus der Prüfung des vierten von der Klägerin geltend gemachten Klagegrundes (vgl. die nachstehenden Randnrn. 261 bis 305), dass diese eine beherrschende Stellung innehat, ob man den räumlich relevanten Markt nun als die Gemeinschaft ohne Vereinigtes Königreich und Irland definiert oder als jeden einzelnen der Staaten, in denen ihr Zuwiderhandlungen gegen Art. 82 EG auf dem Sodamarkt vorgeworfen werden.

257    Im 147. Erwägungsgrund der angefochtenen Entscheidung wird Folgendes ausgeführt:

„[S]elbst wenn jeder nationale Markt, auf den das wettbewerbsausschließende Verhalten von Solvay abzielte, als gesonderter Markt betrachtet wurde, behielt Solvay weiterhin jeweils eine beherrschende Stellung, und die meisten oder alle obigen Überlegungen gelten unverändert.“

258    Aus den Marktanteilen der Klägerin ergibt sich nämlich, dass sie auch in jedem der Staaten, in denen sie die ihr zur Last gelegten Zuwiderhandlungen gegen Art. 82 EG begangen haben soll, eine beherrschende Stellung innehatte.

259    Selbst wenn die Kommission den räumlich relevanten Markt nicht korrekt definiert haben sollte, hätte dieser Irrtum somit das Ergebnis nicht entscheidend beeinflussen können. Ein solcher Irrtum, wenn er erwiesen wäre, könnte daher die Nichtigerklärung der Entscheidung der Kommission nicht rechtfertigen (vgl. in diesem Sinne Urteil des Gerichts vom 14. Mai 2002, Graphischer Maschinenbau/Kommission, T‑126/99, Slg. 2002, II‑2427, Randnr. 49 und die dort angeführte Rechtsprechung).

260    Folglich ist der dritte Klagegrund zurückzuweisen.

 Zum vierten Klagegrund: Fehlen einer beherrschenden Stellung

 Vorbringen der Parteien

261    Die Klägerin tritt der Analyse der Kommission entgegen, dass ihre eigenen Dokumente das Vorliegen einer beherrschenden Stellung in Westeuropa bestätigten.

262    Erstens ist die Klägerin der Ansicht, dass die These der Kommission nicht durch die Fakten gestützt werde.

263    Die Klägerin führt insoweit aus, die Kommission habe im 147. Erwägungsgrund der angefochtenen Entscheidung darauf hingewiesen, dass sie, selbst wenn jeder nationale Markt, auf den das wettbewerbsausschließende Verhalten abgezielt habe, als gesonderter Markt betrachtet würde, weiterhin jeweils eine beherrschende Stellung behielte.

264    Ihr Marktanteil auf den nationalen Märkten habe nicht 70 % betragen, und selbst wenn dieser Marktanteil bedeutend gewesen wäre, würde er nicht auf eine bedeutende Machtstellung auf dem Markt hinweisen. So habe ihr Marktanteil im betreffenden Zeitraum nur 56,7 % in den Beneluxstaaten, 54,9 % in Frankreich und 52,5 % in Deutschland betragen. Auch die Tatsache, dass sie die einzige in der gesamten Gemeinschaft tätige Herstellerin von Natriumkarbonat sei, sei ohne Bedeutung. Unerheblich sei auch ihre gesamte Produktionskapazität in Europa, da von ihren verschiedenen Produktionseinheiten keine bedeutenden Lieferungen auf den anderen nationalen Märkten, auf denen sie Produktionseinheiten besitze, erfolgten. Auf nationaler Ebene seien ihre Produktionskapazitäten mit denen ihrer nationalen Wettbewerber vergleichbar gewesen.

265    Auch sei der Schutz, den sie durch die Antidumpingmaßnahmen erhalten habe, nur relativ gewesen, da die Einfuhren aus Ostdeutschland nach Westdeutschland keinen Antidumpingzöllen und keinen Zöllen unterlegen hätten und da das Verfahren der aktiven Veredelung den Glasherstellern auf jeden Fall ermöglicht habe, bei den amerikanischen Herstellern und den Herstellern aus Osteuropa bedeutende Mengen an Natriumkarbonat frei von Antidumpingzöllen zu kaufen.

266    Darüber hinaus hätte die Kommission nach Ansicht der Klägerin die Möglichkeit der Abnehmer berücksichtigen müssen, anstelle von Soda Ätznatron und Bruchglas zu verwenden. In ihrer Beziehung zu den Kunden sei sie einem von diesen Waren ausgehenden Wettbewerbsdruck ausgesetzt gewesen.

267    Somit habe sie keine beherrschende Stellung auf den betreffenden nationalen Märkten innegehabt, die räumlich gesehen allein in Frage kämen.

268    Überdies habe die Kommission nicht die bedeutende Gegenmacht einiger Glashersteller unter den Kunden der Klägerin berücksichtigt. Die Kommission habe nämlich nicht geprüft, in welchem Umfang die von diesen Kunden abgenommenen Mengen, insbesondere wegen der Bedeutung der Fixkosten in dieser Schwerindustrie, langfristig für ihr Überleben notwendig seien. Die Kommission habe weder die Rolle der örtlichen Wettbewerber noch den Einfluss der Einfuhren aus den Vereinigten Staaten oder aus Osteuropa weiter abgewogen.

269    Selbst wenn der räumlich relevante Markt von europäischer Dimension sei, sei die Analyse der Kommission ungenau und „schlecht begründet“. Insoweit beruft sich die Klägerin auf den Wettbewerbsdruck, der erstens von den Gemeinschaftswettbewerbern, die zu den großen Industriekonzernen gehörten, zweitens von den amerikanischen Wettbewerbern und von den Wettbewerbern aus den Ländern Osteuropas, die in der Lage seien, attraktive Preise anzubieten, und drittens von den Kunden, die auch zu Großkonzernen gehörten, ausgehe.

270    Es bestehe auch ein Widerspruch zwischen dem 39. Erwägungsgrund der angefochtenen Entscheidung, wonach die Hauptbedrohung für die Klägerin nicht die anderen europäischen Produzenten darstellten, sondern die amerikanische Soda, und dem 53. Erwägungsgrund der angefochtenen Entscheidung, wonach es ihr „offensichtlich in erster Linie darum [gegangen sei, ihre] beherrschende Stellung auf dem europäischen Markt gegen ‚Unruhe‘ von Seiten kleinerer Hersteller wie auch vor offensichtlich drohenden Importen aus Osteuropa und den Vereinigten Staaten zu verteidigen“. Die Marktposition ihrer Wettbewerber sei umso bedeutender gewesen, als die Kommission ihnen bei ihrer in den Jahren 1980 und 1981 durchgeführten Untersuchung keinerlei Änderung ihrer vertraglichen Praxis auferlegt habe, so dass es ihnen möglich gewesen sei, ihre Kunden durch den langfristigen Abschluss von Gesamtbezugsvereinbarungen zu schützen.

271    Zweitens habe die Kommission dadurch, dass sie im 148. Erwägungsgrund der angefochtenen Entscheidung zu der Schlussfolgerung gelangt sei, die Klägerin habe während des gesamten Untersuchungszeitraums eine beherrschende Stellung inne gehabt, mehrere Rechtsfehler begangen.

272    Die Klägerin trägt insoweit vor, dass die Kommission das Kriterium der Gegenmacht der Abnehmer, auf das das Gericht in seinem Urteil vom 10. März 1992, SIV u. a./Kommission (T‑68/89, T‑77/89 und T‑78/89, Slg. 1992, II‑1403), Bezug genommen habe, völlig außer Acht gelassen habe. Ebenso sei in der Entscheidung der Kommission vom 25. November 1998, mit der ein Zusammenschluss für mit dem Gemeinsamen Markt und der Funktionsweise des EWR-Abkommens vereinbar erklärt werde (Sache IV/M.1225 – ENSO/STORA) (ABl. 1999, L 254, S. 9), die Frage der Gegenmacht der Abnehmer auf dem Markt für Verpackungskarton für flüssiges Füllgut untersucht worden. Die Abnehmer der Klägerin seien wegen der Struktur der Produktionskosten, bei der die variablen Kosten im Verhältnis zu den Gesamtkosten niedrig seien, in der Lage gewesen, ihr mit einem Verlust eines bedeutenden Teils, ja sogar der gesamten Lieferungen zu drohen. Die Kommission hätte somit prüfen müssen, ob die Klägerin gegenüber ihren Abnehmern in einem beachtlichen Umfang zu einem unabhängigen Verhalten in der Lage gewesen sei.

273    Drittens habe die Kommission die angefochtene Entscheidung nicht ordnungsgemäß begründet, indem sie zum einen nicht spezifiziert habe, welche der Kriterien, die sie für die Beurteilung ihrer beherrschenden Stellung auf dem Gemeinschaftsmarkt herangezogen habe, für die Untersuchung ihrer Stellung auf den nationalen Märkten gegolten hätten, und indem sie zum anderen hinsichtlich der auf diesen Märkten vorherrschenden Bedingungen diese Kriterien nicht konkret angewandt habe.

274    Die Kommission widerspricht dem Vorbringen der Klägerin.

 Würdigung durch das Gericht

275    Nach ständiger Rechtsprechung ist mit der beherrschenden Stellung im Sinne des Art. 82 EG die wirtschaftliche Machtstellung eines Unternehmens gemeint, die dieses in die Lage versetzt, die Aufrechterhaltung eines wirksamen Wettbewerbs auf dem relevanten Markt zu verhindern, indem sie ihm die Möglichkeit verschafft, sich seinen Wettbewerbern, seinen Abnehmern und schließlich den Verbrauchern gegenüber in einem nennenswerten Umfang unabhängig zu verhalten (Urteile United Brands und United Brands Continentaal/Kommission, oben in Randnr. 249 angeführt, Randnr. 65, und Microsoft/Kommission, oben in Randnr. 250 angeführt, Randnr. 229). Eine solche Stellung schließt im Gegensatz zu einem Monopol oder einem Quasi-Monopol einen gewissen Wettbewerb nicht aus, versetzt aber die begünstigte Firma in die Lage, die Bedingungen, unter denen sich dieser Wettbewerb entwickeln kann, zu bestimmen oder wenigstens merklich zu beeinflussen, jedenfalls aber weitgehend in ihrem Verhalten hierauf keine Rücksicht nehmen zu müssen, ohne dass ihr dies zum Schaden gereichte (Urteil des Gerichtshofs vom 13. Februar 1979, Hoffmann-La Roche/Kommission, 85/76, Slg. 1979, 461, Randnr. 39).

276    Das Vorliegen einer beherrschenden Stellung ergibt sich im Allgemeinen aus dem Zusammentreffen mehrerer Faktoren, die jeweils für sich genommen nicht ausschlaggebend sein müssen (Urteil United Brands und United Brands Continentaal/Kommission, oben in Randnr. 249 angeführt, Randnr. 66). Um festzustellen, ob eine beherrschende Stellung auf dem relevanten Markt vorliegt, sind zunächst die Unternehmensstruktur und sodann die Wettbewerbssituation auf diesem Markt zu untersuchen (vgl. in diesem Sinne Urteil United Brands und United Brands Continentaal/Kommission, oben in Randnr. 249 angeführt, Randnr. 67).

277    Besonders hohe Marktanteile erbringen – von außergewöhnlichen Umständen abgesehen – als solche den Beweis für das Vorliegen einer beherrschenden Stellung. Ein Unternehmen, das längere Zeit einen besonders hohen Marktanteil besitzt, befindet sich allein durch den Umfang seiner Produktion und seines Angebots – ohne dass die Inhaber erheblich geringerer Anteile imstande wären, die Nachfrage, die sich von dem Unternehmen mit dem größten Anteil abwenden will, rasch zu befriedigen – in einer Position der Stärke, die es zu einem nicht zu übergehenden Geschäftspartner macht und ihm bereits deswegen, jedenfalls während relativ langer Zeit, die Unabhängigkeit des Verhaltens sichert, die für eine beherrschende Stellung kennzeichnend ist (Urteil Hoffmann-La Roche/Kommission, oben in Randnr. 275 angeführt, Randnr. 41, und Urteil des Gerichts vom 23. Oktober 2003, Van den Bergh Foods/Kommission, T‑65/98, Slg. 2003, II‑4653, Randnr. 154).

278    So stellt ein Marktanteil von 70 % bis 80 % für sich genommen bereits ein klares Indiz für eine beherrschende Stellung dar (vgl. in diesem Sinne Urteile des Gerichts vom 12. Dezember 1991, Hilti/Kommission, T‑30/89, Slg. 1991, II‑1439, Randnr. 92, und vom 30. September 2003, Atlantic Container Line u. a./Kommission, T‑191/98, T‑212/98 bis T‑214/98, Slg. 2003, II‑3275, Randnr. 907).

279    Ebenso liefert nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs ein Marktanteil von 50 % – von außergewöhnlichen Umständen abgesehen – ohne Weiteres den Beweis für das Vorliegen einer beherrschenden Stellung (vgl. in diesem Sinne Urteil des Gerichtshofs vom 3. Juli 1991, AKZO/Kommission, C‑62/86, Slg. 1991, I‑3359, Randnr. 60).

280    Im vorliegenden Fall wies die Kommission im 137. Erwägungsgrund der angefochtenen Entscheidung darauf hin, dass die Klägerin einen Marktanteil von „rund 70 % auf dem westeuropäischen Kontinent während des gesamten Untersuchungszeitraums“ innegehabt habe.

281    In ihrer Klageschrift bestreitet die Klägerin nicht, einen sehr hohen Marktanteil inne zu haben, vorausgesetzt, es handele sich um einen gemeinschaftsweiten Markt. So führt sie aus, dass, wenn es sich um einen europäischen Markt handele, ihr Marktanteil sich zwischen 60 % und 70 % bewege.

282    Aus den von der Klägerin vorgelegten Zahlen, die von der Kommission nicht bestritten worden sind, ergibt sich auch, dass sie 1988 u. a. 52,5 % des deutschen Marktes, 96,9 % des österreichischen Marktes, 82 % des belgischen Marktes, 99,6 % des spanischen Marktes, 54,9 % des französischen Marktes, 95 % des italienischen Marktes, 14,7 % des niederländischen Marktes und 100 % des portugiesischen Marktes besaß.

283    Aus dem Besitz solcher Marktanteile ergibt sich, dass, vorbehaltlich dem vorliegenden Fall eigener außergewöhnlicher Umstände, die Klägerin eine beherrschende Stellung besaß, sei es auf dem Gemeinschaftsmarkt, sei es auf den verschiedenen nationalen Märkten, auf denen sie die ihr zur Last gelegten Zuwiderhandlungen gegen Art. 82 EG begangen haben soll, falls der räumliche Markt so zu definieren sein sollte.

284    Im 138. Erwägungsgrund der angefochtenen Entscheidung nennt die Kommission verschiedene Gegebenheiten, die sie zur Vervollständigung ihrer Untersuchung der Marktanteile der Klägerin berücksichtigt und die in die Richtung einer beherrschenden Stellung der Klägerin gehen.

285    Da diese Punkte definitionsgemäß nicht mit den außergewöhnlichen Umständen zusammenhängen können, aufgrund deren eine beherrschende Stellung der Klägerin verneint werden kann, ist die Kritik der Klägerin an ihnen nicht zu prüfen.

286    Außerdem trägt die Klägerin drei Argumente vor, die zu prüfen sind, um zu ermitteln, ob im vorliegenden Fall solche außergewöhnlichen Umstände im Sinne der Rechtsprechung des Gerichtshofs vorlagen.

287    Erstens beruft sich die Klägerin auf einen von Gemeinschaftsunternehmen und Nichtgemeinschaftsunternehmen ausgehenden hohen Wettbewerbsdruck.

288    Hierzu ist zunächst festzustellen, dass es mit einer beherrschenden Stellung auf dem relevanten Markt nicht unvereinbar ist, wenn ein gewisses Maß an Wettbewerb besteht.

289    Außerdem macht die Klägerin hinsichtlich der Wettbewerber in der Gemeinschaft keine präzisen Angaben, die ihr Vorbringen stützen würden.

290    Jedenfalls ergibt sich aus den von der Klägerin in der Klageschrift selbst vorgelegten Zahlen, dass die Kommission keinen offensichtlichen Beurteilungsfehler begangen hat, als sie im 138. Erwägungsgrund der angefochtenen Entscheidung einen hohen Marktanteil der Klägerin in den Beneluxstaaten, in Frankreich und in Deutschland sowie ihre Monopol- oder Quasi-Monopolstellung in Italien, Spanien und Portugal festgestellt hat.

291    Was die Konkurrenten betrifft, die nicht aus der Gemeinschaft stammen, trägt die Klägerin vor, die Einfuhren aus Ostdeutschland machten 8 % der gesamten Verkäufe in Westdeutschland aus; dieser Prozentsatz wird von der Kommission nicht bestritten. Bei einem solchen Prozentsatz kann man jedoch nicht zu dem Schluss gelangen, dass die Klägerin keine beherrschende Stellung auf dem fraglichen Markt innehatte, unabhängig davon, ob der räumliche Markt von gemeinschaftsweiter oder nationaler Dimension ist.

292    Hinsichtlich der amerikanischen Einfuhren wird im 31. Erwägungsgrund der angefochtenen Entscheidung ausgeführt, bis zum Jahr 1990 hätten die Lieferungen der amerikanischen Hersteller auf dem westeuropäischen Kontinent lediglich insgesamt 40 000 Tonnen betragen – und dies fast ausschließlich im Rahmen des aktiven Veredelungsverkehrs.

293    Wie die Kommission aber zu Recht ausgeführt hat, stellt diese Menge, selbst wenn man berücksichtigt, dass sie innerhalb eines Jahres realisiert wurde, nur ungefähr 0,07 % des gesamten Sodaverbrauchs in der Gemeinschaft dar, der sich im Jahr 1989 auf ungefähr 5,5 Millionen Tonnen belief. Ein solcher Marktanteil kann nicht als bedeutend angesehen werden.

294    Schließlich wird die Behauptung der Klägerin, ihre Abnehmer hätten gedroht, ihren Bedarf im Rahmen des Verfahrens der aktiven Veredelung von amerikanischen Herstellern und Herstellern in Osteuropa zu beziehen, durch keinen Beweis belegt. Auf alle Fälle geht dieses Argument ins Leere, da die bloße Tatsache, dass die Abnehmer eine solche Drohung aussprechen, keinen außergewöhnlichen Umstand darstellen kann, der eine beherrschende Stellung ausschließt.

295    Zweitens macht die Klägerin geltend, es bestehe die Möglichkeit, Soda durch Ätznatron und Bruchglas zu ersetzen, was nach ihrer Ansicht einen Wettbewerbsdruck in ihrem Verhältnis zu den Abnehmern darstellt.

296    Insoweit hat die Kommission in den Erwägungsgründen 139 bis 145 der angefochtenen Entscheidung eine detaillierte Analyse der Möglichkeit einer Substitution von kalzinierter Soda durch Ätznatron vorgenommen und festgestellt, dass in der Praxis die Möglichkeiten einer Substitution keine nennenswerte Beschränkung in der Ausübung der Marktposition der Klägerin bedeuteten. In der Klageschrift trägt die Klägerin nichts vor, was diese Analyse in Frage stellen könnte.

297    Was Bruchglas betrifft, hat die Kommission im 144. Erwägungsgrund der angefochtenen Entscheidung darauf hingewiesen, dass der Sodabedarf eines Hohlglasherstellers sich durch die Verwendung von Bruchglas bis zu 15 % verringern lasse. Diese Zahl wird von der Klägerin nicht bestritten. Die Kommission hat auch eingeräumt, dass es möglich sei, dass die Verwendung von Bruchglas die Abhängigkeit der Abnehmer von den Sodalieferanten generell verringern helfe, ohne jedoch die Fähigkeit eines starken Sodaherstellers zu verringern, kleinere Konkurrenten zu verdrängen. Folglich hat die Kommission entgegen der Behauptung der Klägerin diese Möglichkeit der Substitution von Soda durch Bruchglas berücksichtigt.

298    Unter diesen Umständen hat die Klägerin nicht nachgewiesen, dass die Kommission einen offensichtlichen Beurteilungsfehler begangen hat, als sie zu dem Ergebnis gelangt ist, dass die Möglichkeiten einer Substitution keine nennenswerte Beschränkung in der Ausübung der Marktmacht der Klägerin bedeuteten.

299    Drittens trägt die Klägerin vor, die Kommission hätte den von den Abnehmern ausgeübten Konkurrenzdruck berücksichtigen müssen.

300    Nach den von der Klägerin selbst zur Verfügung gestellten und von der Kommission bestätigten Zahlen belief sich die Gesamtproduktion der Klägerin in Europa zur maßgeblichen Zeit auf 3,7 Millionen Tonnen und der Gesamtbetrag ihrer Verkäufe in Europa auf 3,1 Millionen Tonnen.

301    Im 42. Erwägungsgrund der angefochtenen Entscheidung wies die Kommission darauf hin, dass der größte Kunde der Klägerin die Saint-Gobain-Gruppe war, mit der sie Verträge von unbestimmter Laufzeit in den verschiedenen Mitgliedstaaten geschlossen hatte, die eine jährliche Abnahme von mehr als 500 000 Tonnen in Westeuropa betrafen.

302    Folglich machte der Teil der Verkäufe der Klägerin an Saint-Gobain, ihren größten Abnehmer, ungefähr 14 % ihrer Produktion und 16 % ihrer Verkäufe in Europa aus.

303    Unterstellt man, dass die Kommission das Kriterium der Gegenmacht der Abnehmer der Klägerin hätte berücksichtigen müssen, folgt somit aus den oben genannten Prozentsätzen, dass weder Saint-Gobain noch irgendein anderer ihrer Kunden in der Lage war, ein Gegengewicht zu ihrer Marktposition zu bilden.

304    Somit kann aus dem Vorbringen der Klägerin nicht auf das Vorliegen außergewöhnlicher Umstände geschlossen werden, die es rechtfertigten, die Feststellung in Frage zu stellen, dass die Klägerin auf dem relevanten Markt eine beherrschende Stellung einnahm.

305    Folglich ist der vierte Klagegrund zurückzuweisen.

 Zum fünften Klagegrund: kein Missbrauch einer beherrschenden Stellung

306    Der fünfte Klagegrund umfasst fünf Teile, nämlich Rabatte für Spitzenmengen, den Gruppenrabatt für Saint-Gobain, Ausschließlichkeitsvereinbarungen, Wettbewerbsklauseln und eine Diskriminierung durch die der Klägerin vorgeworfenen Verhaltensweisen.

 Zum ersten Teil: Rabatte für Spitzenmengen

–       Vorbringen der Parteien

307    Die Klägerin macht geltend, sie habe keine allgemeine Treuepolitik eingeführt. In dieser Hinsicht hätten die in den Erwägungsgründen 53 bis 55 der angefochtenen Entscheidung genannten Strategiepapiere damit zu tun, dass man Abnehmer habe begünstigen wollen, die Langzeitvereinbarungen akzeptiert hätten, was wirtschaftlich gerechtfertigt sei. Das Ziel sei gewesen, den wirtschaftlichen Vorteil zu entlohnen, den die Klägerin dadurch gehabt habe, dass eine Nutzung ihrer Produktionskapazitäten für einen begrenzten, aber gesicherten Zeitraum von maximal zwei Jahren gewährleistet gewesen sei, was von der Kommission 1981 ausdrücklich zugelassen worden sei.

308    Dass die Rabatte bei Spitzenmengen gewährt worden seien, sei durch die besondere Kostenstruktur der Sodaherstellung gerechtfertigt. Die variablen Kosten stellten einen sehr geringen Anteil der Gesamtkosten dar. Bei der Verhandlung und Festsetzung der Verkaufspreise für Soda zu Beginn des Jahres seien alle Gesamtkosten, verteilt auf die Mengen, zu deren Bezug sich ihre Abnehmer verpflichtet hätten, berücksichtigt worden. Hinsichtlich der eventuell von ihren Abnehmern bei der Durchführung des Vertrags gekauften zusätzlichen Mengen bemerkt die Klägerin, dass sie dadurch, dass die Fixkosten bereits durch die festen Mengen gedeckt gewesen seien, über einen größeren Handlungsspielraum bei der Preisfestsetzung und der Bestimmung der Höhe des Preisnachlasses für den betreffenden Abnehmer verfügt habe.

309    Insbesondere habe die Kommission die Auswirkungen der Gewährung der behaupteten Treuerabatte durch die deutsche Landesdirektion an ihre deutschen Abnehmer ungenau beurteilt. Diese sei nämlich zu Unrecht der Meinung gewesen, dass andere Sodahersteller nur Wettbewerber für die Spitzenmengen gewesen seien. Ihre Konkurrenten, die an ihre Abnehmer verkaufen wollten, denen Preisnachlässe für Spitzenmengen gewährt worden seien, hätten vorschlagen können, ihnen Mengen zu liefern, die über die Spitzenmengen hinausgingen, ja sogar ihren gesamten Bedarf ausmachten, wodurch es ihnen möglich gewesen wäre, konkurrenzfähige Durchschnittspreise anzubieten. Ferner habe die Kommission die Produktionskapazitäten ihrer Konkurrenten und deren Kostenstruktur nicht geprüft.

310    Darüber hinaus habe die Laufzeit der Verträge, die auf zwei Jahre begrenzt gewesen sei, ihren Wettbewerbern ermöglicht, ihr kurzfristig ihre Position streitig zu machen. Angesichts der Verhandlungsmacht der Abnehmer wäre es diesen sogar möglich gewesen, während der Vertragslaufzeit ihre „Mengenverpflichtung“ in Frage zu stellen.

311    Somit stehe das im vorliegenden Fall eingesetzte Preisnachlasssystem im Einklang mit der Rechtsprechung des Gerichtshofs, die Rabattsysteme erlaube, wenn diese durch eine wirtschaftliche Gegenleistung gerechtfertigt seien.

312    Außerdem bezieht sich die Klägerin auf die Verordnung (EG) Nr. 823/95 der Kommission vom 10. April 1995 zur Einführung eines vorläufigen Antidumpingzolls auf die Einfuhren von Dinatriumcarbonat mit Ursprung in den Vereinigten Staaten von Amerika (ABl. L 83, S. 8) und folgert daraus, dass das System der Spitzenrabatte sich in Europa nur sehr begrenzt ausgewirkt habe, da dieses System ausschließlich für geringe Mengen auf bestimmten Märkten Anwendung gefunden habe.

313    Die Kommission widerspricht dem Vorbringen der Klägerin.

–       Würdigung durch das Gericht

314    Nach ständiger Rechtsprechung ist der Begriff der missbräuchlichen Ausnutzung ein objektiver Begriff, der Verhaltensweisen eines Unternehmens in beherrschender Stellung erfasst, die die Struktur eines Marktes beeinflussen können, auf dem der Wettbewerb gerade wegen der Präsenz des fraglichen Unternehmens bereits geschwächt ist, und die zur Folge haben, dass die Aufrechterhaltung des auf dem Markt noch bestehenden Wettbewerbs oder dessen Entwicklung durch die Verwendung von Mitteln behindert wird, die sich von den Mitteln eines normalen Produkt- oder Dienstleistungswettbewerbs auf der Grundlage der Leistung der Wirtschaftsbeteiligten unterscheiden (Urteil Hoffmann-La Roche/Kommission, oben in Randnr. 275 angeführt, Randnr. 91, und Urteil des Gerichts vom 14. Dezember 2005, General Electric/Kommission, T‑210/01, Slg. 2005, II‑5575, Randnr. 549).

315    Die Feststellung, dass eine beherrschende Stellung gegeben ist, enthält zwar für sich allein keinen Vorwurf gegenüber dem betreffenden Unternehmen; es trägt jedoch unabhängig von den Ursachen dieser Stellung eine besondere Verantwortung dafür, dass es durch sein Verhalten einen wirksamen und unverfälschten Wettbewerb auf dem Gemeinsamen Markt nicht beeinträchtigt (Urteil des Gerichtshofs vom 9. November 1983, Nederlandsche Banden-Industrie-Michelin/Kommission, 322/81, Slg. 1983, 3461, Randnr. 57, und Urteil Microsoft/Kommission, oben in Randnr. 250 angeführt, Randnr. 229). Zwar nimmt der Umstand, dass ein Unternehmen eine beherrschende Stellung innehat, diesem nicht das Recht, seine eigenen geschäftlichen Interessen zu wahren, wenn sie bedroht sind, und es darf auch in angemessenem Umfang so vorgehen, wie es dies zum Schutz seiner Interessen für richtig hält, doch ist ein solches Verhalten nicht zulässig, wenn es auf eine Verstärkung dieser beherrschenden Stellung und ihren Missbrauch abzielt (Urteil United Brands und United Brands Continentaal/Kommission, oben in Randnr. 249 angeführt, Randnr. 189, und Urteil des Gerichts vom 30. September 2003, Michelin/Kommission, T‑203/01, Slg. 2003, II‑4071, Randnr. 55).

316    Was insbesondere die Gewährung von Rabatten durch ein Unternehmen in beherrschender Stellung anbelangt, verstößt nach ständiger Rechtsprechung ein Treuerabatt als Gegenleistung dafür, dass sich der Kunde verpflichtet, ausschließlich oder fast ausschließlich bei einem Unternehmen in beherrschender Stellung einzukaufen, gegen Art. 82 EG. Ein solcher Rabatt dient nämlich dazu, die Kunden durch die Gewährung finanzieller Vorteile vom Bezug bei konkurrierenden Herstellern abzuhalten (Urteil des Gerichtshofs vom 16. Dezember 1975, Suiker Unie u. a./Kommission, 40/73 bis 48/73, 50/73, 54/73 bis 56/73, 111/73, 113/73 und 114/73, Slg. 1975, 1663, Randnr. 518, und Urteil Michelin/Kommission, oben in Randnr. 315 angeführt, Randnr. 56).

317    In einem Rabattsystem, das die Abschottung des Marktes bewirkt, wird ein Verstoß gegen Art. 82 EG gesehen, wenn es von einem Unternehmen in beherrschender Stellung angewandt wird. Aus diesem Grund hat der Gerichtshof entschieden, dass ein Rabatt, der an die Verwirklichung eines Abnahmeziels geknüpft ist, gegen Art. 82 EG verstößt (Urteil Michelin/Kommission, oben in Randnr. 315 angeführt, Randnr. 57).

318    Bei Mengenrabattsystemen, die ausschließlich an den Umfang der bei einem Unternehmen in beherrschender Stellung getätigten Käufe anknüpfen, wird im Allgemeinen davon ausgegangen, dass sie keine nach Art. 82 EG verbotene Abschottungswirkung haben. Wenn die Erhöhung der Liefermenge zu einer Kostensenkung für den Lieferanten führt, darf dieser die Senkung nämlich durch einen günstigeren Preis an seinen Kunden weitergeben. Bei den Mengenrabatten wird also angenommen, dass sie den Zugewinn an Effizienz und Größenvorteile widerspiegeln, die vom Unternehmen in beherrschender Stellung erzielt werden (Urteil Michelin/Kommission, oben in Randnr. 315 angeführt, Randnr. 58).

319    Folglich verstößt ein Rabattsystem, bei dem sich die Höhe des Nachlasses nach Maßgabe der Abnahmemenge erhöht, nicht gegen Art. 82 EG, es sei denn, die Kriterien und Modalitäten, nach denen der Rabatt gewährt wird, lassen erkennen, dass das System nicht auf einer wirtschaftlich gerechtfertigten Gegenleistung beruht, sondern wie ein Treue- und Zielrabatt die Kunden vom Bezug bei konkurrierenden Herstellern abhalten soll (Urteile Hoffmann-La Roche/Kommission, oben in Randnr. 275 angeführt, Randnr. 90, und Michelin/Kommission, oben in Randnr. 315 angeführt, Randnr. 59).

320    Um zu ermitteln, ob ein Mengenrabattsystem missbräuchlich ist, müssen mithin sämtliche Umstände, insbesondere die Kriterien und Modalitäten der Rabattgewährung, berücksichtigt werden, und es ist zu prüfen, ob die Rabatte darauf abzielen, dem Abnehmer durch die Gewährung eines Vorteils, der nicht auf einer ihn rechtfertigenden wirtschaftlichen Leistung beruht, die Wahlmöglichkeit hinsichtlich seiner Bezugsquellen zu nehmen oder einzuschränken, den Konkurrenten den Zugang zum Markt zu verwehren, gegenüber Handelspartnern bei gleichwertigen Leistungen unterschiedliche Bedingungen anzuwenden oder die beherrschende Stellung durch einen verfälschten Wettbewerb zu stärken (Urteile Hoffmann-La Roche/Kommission, oben in Randnr. 275 angeführt, Randnr. 90, und Michelin/Kommission, oben in Randnr. 315 angeführt, Randnr. 60).

321    Im vorliegenden Fall hat die Kommission in dem Abschnitt der angefochtenen Entscheidung, der das auf Ausschaltung des Wettbewerbs abzielende Verhalten der Klägerin betrifft, zunächst in den Erwägungsgründen 53 bis 55 der angefochtenen Entscheidung auf eine Absatzstrategie der Klägerin nach 1982 hingewiesen.

322    Die Kommission hat sich in dieser Hinsicht auf zwei Strategiepapiere aus dem Jahr 1988 gestützt, nach denen die Klägerin versuchte, ihre Kunden durch die Gewährung von vertraglich fixierten Rabatten zur Treue zu verpflichten.

323    In den Erwägungsgründen 56 bis 80 der angefochtenen Entscheidung untersuchte die Kommission dann das von der Klägerin in Deutschland und Frankreich angewandte Rabattsystem.

324    Insbesondere erwähnte die Kommission Folgendes:

„Neben den üblichen Mengenrabatten auf die Grundmenge für Großabnehmer gewährte Solvay seit 1982 in Deutschland zwei zusätzliche Arten von Rabatten:

–        einen Rabatt für Spitzenmengen – „Spitzenrabatt“ genannt – in Höhe von nahezu immer 20 % auf den Listenpreis;

–        eine jährliche Sonderzahlung per Scheck (in einem Fall bis zu 3,4 Mio. DEM [Deutsche Mark]), wenn der Abnehmer den größten Teil seines Bedarfs oder seinen gesamten Bedarf von Solvay bezieht.

So galt für Vegla, eine Tochtergesellschaft von Saint-Gobain und wichtigster Abnehmer von Solvay in Deutschland, für 1989 folgende Rabattregelung:

1. Rabatt von 10 % auf die vertragliche Grundmenge von 85 000 Tonnen,

2. Rabatt von 20 % auf die ‚Spitzenmenge‘ von 43 000 Tonnen,

3. Scheck über 3 349 000 DEM für die Spitzenmenge.

In den meisten Fällen wie in dem von Vegla verstärkte das Rabattsystem die Position von Solvay als ausschließlichem Lieferanten. Das Rabattsystem bezweckte jedoch auch eine Aufrechterhaltung des beherrschenden Anteils von Solvay in den Fällen, in denen die Abnehmer die Politik verfolgten, das Geschäft auf zwei Lieferanten aufzuteilen. Flachglas, der zweite Abnehmer von Solvay in Deutschland, teilte seine Tätigkeit im Verhältnis 70 zu 30 zwischen Solvay und M & W auf. Ab 1983 sahen die von Solvay für Flachglas geltenden Preise einen Mengenrabatt von 8,5 % für jede Menge bis zu 70 kt, 20 % für jede Spitzenmenge sowie einen Scheck von 500 000 bis 750 000 DEM vor. Dieser Zusatzrabatt per Scheck bedeutete, dass der tatsächliche Preis für jede Spitzenmenge über 70 kt hinaus (je nach Menge) nur 250 oder 260 DEM pro Tonne betrug. Für den Zweitlieferanten war es äußerst schwierig, in die „Kernmenge“ von Solvay einzubrechen, die (wie aus eigenen Unterlagen von Solvay deutlich wird) durch die ‚Rabattbarriere‘ geschützt war. Während der Zweitlieferant noch in der Lage gewesen sein mag, mit dem fakturierten Preis von 322,40 DEM (Listenpreis ‑ 20 %) mitzuhalten, war es höchst unwahrscheinlich, dass der Abnehmer riskieren möchte, den hohen Scheckrabatt zu verlieren, der eindeutig an die Bedingung geknüpft war, dass er über die vertraglich vereinbarte Grundmenge hinaus von Solvay noch eine zusätzliche Menge abnahm. Unterlagen von Matthes & Weber bestätigen, dass es dem Unternehmen unmöglich war, in den Anteil von Solvay am Geschäft mit Flachglas einzubrechen.“

325    Die Klägerin bestreitet nicht die Feststellungen ihr gegenüber, die das in Frankreich angewandte Rabattsystem betreffen. Sie bezieht sich nämlich nur auf das in Deutschland angewandte System.

326    Folglich ist nur zu prüfen, ob das Rabattsystem, das die Klägerin in Deutschland eingeführt hat, ein System von Mengenrabatten war, bei dem der Lieferant seinen Abnehmern gestaffelte Vergünstigungen für ihre Kaufverpflichtungen gewährte, oder ein Treuerabattsystem, das durch die Gewährung eines Vorteils, der auf keiner ihn rechtfertigenden wirtschaftlichen Leistung beruhte, darauf abzielte, die Wahlmöglichkeit der Abnehmer hinsichtlich ihrer Bezugsquellen einzuschränken.

327    In dieser Hinsicht bestreitet die Klägerin nicht das Vorliegen und den Inhalt der beiden Strategiepapiere von 1988, sondern macht geltend, dass damit das Ziel verfolgt worden sei, die Kunden zu begünstigen, die Langzeitvereinbarungen akzeptierten, was wirtschaftlich gerechtfertigt sei.

328    Nach der Rechtsprechung sind die gesamten Umstände zu bewerten, insbesondere die Kriterien und die Modalitäten der Rabattgewährung.

329    Aus der angefochtenen Entscheidung ergibt sich, dass anders als bei einem Mengenrabatt, der allein an die Einkaufsmenge geknüpft ist, bei den Ermäßigungen für die Grund- und Spitzenmengen keine Progressivität vorgesehen war, da das System den Übergang von einem Satz von ungefähr 7 % bis 10 % für die Grundmengen auf einen Satz von 20 % für die Spitzenmengen vorsah, wobei der Betrag noch durch eine Sonderzahlung per Scheck ergänzt wurde.

330    Ferner galt der Satz von 20 %, sobald der Kunde von der Klägerin über die vertraglich vereinbarten Mengen hinaus zusätzliche Mengen bestellte, unabhängig von der absoluten Höhe dieser Mengen, wie sich aus dem 160. Erwägungsgrund der angefochtenen Entscheidung ergibt.

331    Die Preise wurden somit nicht schrittweise entsprechend der vertraglich festgelegten Mengen gesenkt, sondern nur, wenn die Mengen eine bestimmte Schwelle erreichten, die auf einer Höhe nahe dem bei den Vertragsverhandlungen ermittelten Bedarf festgelegt wurde. In einem System von Mengenrabatten ist der Vorteil jedoch abhängig von den gekauften Mengen auf den Preis der Grundmenge anzuwenden.

332    Die Kumulierung dieser Rabatte hatte zur Folge, dass für die Spitzenmengen ein deutlich niedrigerer Einheitspreis angeboten wurde als der Durchschnittspreis, den der Kunde für die vertraglich festgelegten Grundmengen bezahlte, wie die Kommission in den Erwägungsgründen 61 und 62 der angefochtenen Entscheidung ausführt.

333    Infolgedessen wurde den Kunden ein Anreiz gegeben, auch die über die Vertragsmengen hinausgehenden Mengen von der Klägerin zu beziehen, da es für die anderen Lieferanten schwierig gewesen wäre, für diese Mengen Preise anzubieten, die gegenüber den von der Klägerin angebotenen Preisen wettbewerbsfähig gewesen wären (Erwägungsgründe 63 bis 66 der angefochtenen Entscheidung).

334    Darüber hinaus müsste die Klägerin gemäß dem Urteil Michelin/Kommission (oben in Randnr. 315 angeführt, Randnrn. 107 bis 109) nachweisen, dass ihr Rabattsystem auf einer objektiven wirtschaftlichen Rechtfertigung beruhte. Die Klägerin liefert aber in dieser Hinsicht keinen konkreten Hinweis. Sie führt nur aus, dass es darum gegangen sei, den wirtschaftlichen Vorteil zu entlohnen, den sie durch eine gesicherte Nutzung ihrer Produktionskapazitäten gehabt habe.

335    Ein solches Vorbringen ist zu allgemein und kann keine Rechtfertigung sein, die die Wahl der angewandten Ermäßigungssätze konkret zu erklären vermag.

336    Überdies ergibt sich der Treuecharakter des angewandten Rabattsystems aus Schriftstücken, die in den Erwägungsgründen 68 bis 71 der angefochtenen Entscheidung geprüft und von der Klägerin nicht in Frage gestellt werden.

337    Weiter ist bei Antidumpingverfahren die Berufung auf die Verordnung Nr. 823/95 unerheblich, da sie in einem ganz anderen rechtlichen Zusammenhang erlassen worden ist.

338    Selbst wenn die Rabatte schließlich nur auf geringe Mengen angewandt worden sein sollten, ergibt sich aus der Rechtsprechung, dass für die Feststellung eines Verstoßes gegen Art. 82 EG der Nachweis genügt, dass das missbräuchliche Verhalten des Unternehmens in beherrschender Stellung darauf gerichtet ist, den Wettbewerb zu beschränken, oder anders ausgedrückt, dass das Verhalten eine solche Wirkung haben kann (Urteil Michelin/Kommission, oben in Randnr. 315 angeführt, Randnr. 239).

339    Dies trifft aber im vorliegenden Fall auf das Rabattsystem für Spitzenmengen zu, das die Klägerin in Deutschland angewandt hat.

340    Im Ergebnis ist festzustellen, dass die Klägerin nicht nachgewiesen hat, dass die Kommission dadurch einen Fehler begangen hat, dass sie zu dem Schluss gekommen ist, dass das von der Klägerin in Deutschland eingeführte Rabattsystem das Ziel verfolgte, die Treue der Kunden zu gewinnen, und einen Ausschluss des Wettbewerbs bewirken konnte.

341     Folglich ist der erste Teil des fünften Klagegrundes zurückzuweisen.

  Zum zweiten Teil: Gruppenrabatt für Saint-Gobain

–       Vorbringen der Parteien

342    Die Klägerin macht geltend, das Geheimprotokoll mit Saint-Gobain habe keinen Exklusiv- oder Quasi-Exklusivvertrag dargestellt, denn sie habe nur ungefähr 67 % des Gesamtbedarfs von Saint-Gobain in Europa geliefert.

343    Die Lieferungen seien aus Gründen der wirtschaftlichen Realität, nämlich im Wesentlichen wegen der Transportkosten, auf nationaler Ebene erfolgt. Im Übrigen sei der Rabatt von 1,5 % auf die Mengen gewährt worden, die durch die nationalen Tochtergesellschaften und auf Verlangen von Saint-Gobain tatsächlich gekauft worden seien. Es habe sich um einen zusätzlichen Mengenrabatt gehandelt, der auf eine moderate Höhe begrenzt worden sei, um jeden Konflikt mit den gemeinschaftlichen Wettbewerbsregeln zu vermeiden.

344    Dieser Rabatt sei nicht auf die Summe der Einkäufe des Konzerns berechnet worden. Der Rabatt sei für jede der Tochtergesellschaften von Saint-Gobain nach dem für sie geltenden Verkaufspreis multipliziert mit den an sie getätigten Verkäufen bemessen worden. Somit sei der Rabatt an die Kaufverpflichtungen gebunden, die die Tochtergesellschaften von Saint-Gobain unmittelbar gegenüber den verschiedenen nationalen Direktionen der Klägerin eingegangen seien.

345    Weiter trägt die Klägerin vor, dass die Kommission nach dem Erlass der Entscheidung 91/299 einen Vertrag, den sie mit der Saint-Gobain-Gruppe 1994 geschlossen habe und der den Gesellschaften der Saint-Gobain-Gruppe Vorzugsbedingungen für die Lieferung von Natriumkarbonat eingeräumt habe, unter Berücksichtigung der Tatsache, dass die Laufzeit des Vertrags drei Jahre betrug und diese nicht verlängert würde, akzeptiert habe.

346    Schließlich habe das Geheimprotokoll, das sie mit der Saint-Gobain-Gruppe geschlossen habe, die nationalen Tochtergesellschaften von Saint-Gobain nicht daran gehindert, mittels Drohung vorteilhaftere Vertragsbedingungen auszuhandeln, ja sogar den Vertrag zu brechen, wie im Fall von Saint-Gobain France.

347    Die Kommission widerspricht dem Vorbringen der Klägerin.

–       Würdigung durch das Gericht

348    Im 161. Erwägungsgrund der angefochtenen Entscheidung hat die Kommission darauf hingewiesen, dass das Geheimprotokoll bezweckt habe, die Klägerin in ihrer Position als ausschließliche oder nahezu ausschließliche Lieferantin von Saint-Gobain in Westeuropa, ausgenommen Frankreich, zu konsolidieren.

349    Die Klägerin bestreitet weder die Existenz dieses Geheimprotokolls noch den Inhalt seiner vierten Klausel, die wie folgt lautete:

„Im Rahmen des vorliegenden Protokolls gewährt Solvay an Saint‑Gobain einen zusätzlichen Rabatt von 1,5 % auf die gesamten Natriumkarbonatmengen, die Saint‑Gobain in Europa von Solvay bezieht.“

350    Die Klägerin führt aus, dieser Rabatt sei ein zusätzlicher Mengenrabatt gewesen, der abhängig von den Bezügen der Tochtergesellschaften von Saint-Gobain bei ihren verschiedenen nationalen Direktionen gewährt worden sei.

351    Die Kommission macht geltend, dass der Rabatt von 1,5 % kein Mengenrabatt gewesen sei, da jede der Tochtergesellschaften von Saint-Gobain einen Rabatt erhalten habe, der nicht ausschließlich an die Mengen gebunden gewesen sei, die diese selbst bezogen habe, sondern der auch von den durch die anderen Tochtergesellschaften bezogenen Mengen abhängig gewesen sei. Da dieser Rabatt, der nicht einem an die gelieferten Mengen gebundenen wirtschaftlichen Vorteil entsprochen habe, nach der Leistung der gesamten Gruppe bemessen worden sei, habe er somit bezweckt und bewirkt, die Treue der gesamten Gruppe zu erhalten, und sei folglich ein Treuerabatt gewesen.

352    Insoweit ergibt sich schon aus dem Wortlaut der Klausel 4 des Geheimprotokolls, dass der Rabatt auf die „gesamten Natriumkarbonatmengen“, die Saint-Gobain in Europa von der Klägerin bezog, gewährt wurde.

353    Im Übrigen beschränkt sich die Klägerin, die in einer schriftlichen Frage im Rahmen prozessleitender Maßnahmen vom Gericht aufgefordert worden war, ihr Vorbringen zu präzisieren, auf die Angabe, dass der Rabatt nicht, „wie aufgrund des Protokolls vermutet werden könnte“, auf die Summe aller Käufe gewährt worden sei, die Saint-Gobain in Europa insgesamt bei ihr getätigt habe.

354    Da es an fundierten Argumenten fehlt, die die wörtliche Auslegung der Klausel 4 des Geheimprotokolls widerlegen könnten, ist davon auszugehen, dass der ohne Rücksicht auf wirtschaftliche Vorteile in Form von Effizienz und Größenvorteilen gewährte Rabatt von 1,5 %, den jede Tochtergesellschaft von Saint-Gobain allein wegen ihres Bezugs von Natriumkarbonat erhalten hat, ein Treuerabatt ist.

355    Die Klägerin weist noch darauf hin, dass wegen der sehr geringen Höhe des Rabatts jede wettbewerbswidrige Wirkung habe vermieden werden können. Insoweit genügt die Feststellung, dass ein Treuerabatt, auch wenn er gering ist, Einfluss auf die Wettbewerbsbedingungen hat.

356    Hinsichtlich der Tatsache, dass die Kommission den Abschluss eines Langzeitvertrags gebilligt hat, in dem die Klägerin Saint-Gobain Vorzugsbedingungen einräumte, genügt die Feststellung, dass das von der Klägerin vorgelegte Schreiben der Kommission den Hinweis enthält, dass „die Anwendung von Art. [82] des Vertrags nicht ausgeschlossen werden kann“.

357    Was schließlich das Vorbringen anbelangt, das Geheimprotokoll habe die nationalen Tochtergesellschaften von Saint-Gobain nicht davon abgehalten, zu drohen, um vorteilhaftere Vertragsbedingungen auszuhandeln, oder sogar, im Fall von Saint-Gobain France, den Vertrag zu brechen, belegt die Klägerin diese Behauptung nicht. Jedenfalls geht dieses Argument ins Leere, da es sich nicht auf einen außergewöhnlichen Umstand bezieht, der ein Verhalten rechtfertigt, das einen Missbrauch einer beherrschenden Stellung darstellt.

358    Somit war die Kommission zu Recht der Ansicht, dass der „Gruppenrabatt“ für Saint-Gobain gegen Art. 82 EG verstieß.

359    Folglich ist der zweite Teil des fünften Klagegrundes zurückzuweisen.

 Zum dritten Teil: Ausschließlichkeitsvereinbarungen

–       Vorbringen der Parteien

360    Die Klägerin trägt vor, die Kommission habe hinsichtlich der ausdrücklichen Ausschließlichkeitsvereinbarungen mit mehreren Unternehmen zu Unrecht aus verschiedenen Dokumenten geschlossen, dass manche ihrer Abnehmer einer ausschließlichen Belieferung durch die betreffende Landesdirektion zugestimmt hätten oder dazu gezwungen worden seien.

361    Was die De-facto-Ausschließlichkeit betreffe, ergebe sich aus den Unterlagen nicht, dass sie im Vertrag Liefermengen auferlegt habe, bei denen sie sich zuvor versichert habe, dass sie dem Gesamtbedarf des Abnehmers nahe kämen. Außerdem sei die Festlegung dieser Mengen in Anbetracht der fehlenden Lagermöglichkeiten der Abnehmer und der Notwendigkeit einer regelmäßigen und konstanten Lieferung von Natriumkarbonat völlig gerechtfertigt gewesen.

362    Überdies habe die Kommission eine widersprüchliche Haltung eingenommen. Einerseits habe sie ihr 1981 erlaubt, die bestehenden Verträge durch solche mit einer maximalen Laufzeit von zwei Jahren oder durch unbefristete Verträge mit einer Kündigungsfrist von zwei Jahren zu ersetzen. Andererseits sei sie nun der Ansicht, dass diese Laufzeit exzessiv sei.

363    Schließlich hätten sowohl Glaverbel als auch Saint-Gobain im betroffenen Zeitraum ihren Vertrag mit ihr in Bezug auf Frankreich gekündigt.

364    Die Kommission tritt dem Vorbringen der Klägerin entgegen.

–       Würdigung durch das Gericht

365    Nach ständiger Rechtsprechung nutzt ein Unternehmen, das auf einem Markt eine beherrschende Stellung einnimmt und Abnehmer, sei es auch auf deren Wunsch, durch die Verpflichtung oder Zusage, ihren gesamten Bedarf oder einen beträchtlichen Teil desselben ausschließlich bei ihm zu beziehen, an sich bindet, seine Stellung im Sinne des Art. 82 EG missbräuchlich aus, ohne dass es darauf ankäme, ob die fragliche Verpflichtung ohne Weiteres oder gegen eine Rabattgewährung eingegangen worden ist. Das Gleiche gilt, wenn ein solches Unternehmen die Abnehmer nicht durch eine förmliche Verpflichtung bindet, sondern kraft Vereinbarung mit den Abnehmern oder einseitig ein System von Treuerabatten anwendet, also Nachlässe, deren Gewährung voraussetzt, dass der Kunde – unabhängig von dem größeren oder geringeren Umfang seiner Käufe – seinen Gesamtbedarf oder einen wesentlichen Teil hiervon ausschließlich bei dem Unternehmen in beherrschender Stellung deckt (Urteil Hoffmann-Laroche/Kommission, oben in Randnr. 275 angeführt, Randnr. 89). Sowohl ausschließliche Bezugsverpflichtungen dieser Art, unabhängig davon, ob sie gegen eine Rabattgewährung eingegangen wurden, als auch die Gewährung von Treuerabatten, die die Abnehmer zum ausschließlichen Bezug bei dem Unternehmen in beherrschender Stellung veranlassen soll, sind mit dem Ziel eines unverfälschten Wettbewerbs auf dem Gemeinsamen Markt unvereinbar, da sie nicht auf einer wirtschaftlichen Leistung beruhen, die die Belastung oder den Vorteil rechtfertigt, sondern darauf abzielen, dem Abnehmer die Wahl zwischen mehreren Bezugsquellen unmöglich zu machen oder zu erschweren und anderen Herstellern den Zugang zum Markt zu verwehren (Urteil Hoffmann-Laroche/Kommission, oben in Randnr. 275 angeführt, Randnr. 90).

366    Im vorliegenden Fall erwähnte die Kommission in der angefochtenen Entscheidung die Existenz von ausdrücklicher und De-facto-Ausschließlichkeit.

367    Was Vegla, Oberland Glas und Owens Corning betrifft, weist die Kommission im 170. Erwägungsgrund der angefochtenen Entscheidung darauf hin, dass die ausdrückliche Bedingung gegolten habe, dass der Abnehmer seinen gesamten Bedarf von der Klägerin beziehe. Sie stützt sich insoweit auf detaillierte schriftliche Beweise im ersten Teil der angefochtenen Entscheidung (Erwägungsgründe 92 bis 97 und 110).

368    Auf eine schriftliche Frage des Gerichts hat die Kommission die Verweise auf die Schriftstücke in der Akte präzisiert, auf die sie ihre Feststellung gestützt hatte, dass ausdrückliche Ausschließlichkeit vorliege.

369    Die Klägerin bestreitet nicht, dass es diese Unterlagen gibt, beruft sich aber darauf, dass sie von der Kommission falsch ausgelegt worden seien.

370    Was Vegla betrifft, räumt die Klägerin ein, dass „es … ohne Zweifel richtig [ist], dass die deutsche Tochtergesellschaft der Klägerin (DSW) diesen Vertrag im Sinne einer Ausschließlichkeit interpretiert zu haben scheint“. Sie weist jedoch darauf hin, dass die Auslegung der DSW nicht immer die Gleiche gewesen sei, ohne diese Behauptung durch Tatsachen oder Beweise zu untermauern.

371    Hinsichtlich Oberland Glas trägt die Klägerin vor, dass es sich um einen „Einzelfall“ handele, ohne dessen Existenz zu bestreiten.

372    Was Owens Corning betrifft, räumt die Klägerin ein, dass Vorschläge von einigen ihrer Landesdirektionen vorlägen. Zu ihrer Verteidigung trägt sie nur vor, dass sich aus den fraglichen Unterlagen nicht ergebe, dass diese Angebote oder diese Ausschließlichkeitsverpflichtungen angenommen worden seien.

373    Nach alledem konnte die Kommission zu Recht der Meinung sein, dass die Klägerin ausdrückliche Ausschließlichkeitsvereinbarungen geschlossen hatte.

374    Hinsichtlich der De-facto-Ausschließlichkeit hat die Kommission im 171. Erwägungsgrund der angefochtenen Entscheidung ausgeführt, dass in den anderen Fällen als denen mit ausdrücklicher Ausschließlichkeit die im Vertrag mit unbestimmter Laufzeit und zweijähriger Kündigungsfrist vereinbarten Mengen dem Gesamtbedarf des Abnehmers entsprochen hätten, wobei eine Abweichung von etwa 15 % nach oben oder unten zugelassen worden sei, und dass der Abnehmer der Klägerin zu Beginn jedes Jahres seinen genauen Bedarf innerhalb dieser Spanne habe mitteilen müssen.

375    Zunächst ist daran zu erinnern, dass nach der oben in Randnr. 365 angeführten Rechtsprechung das Argument, die Ausschließlichkeit sei auf Wunsch des Abnehmers festgelegt worden, nicht durchgreift. Folglich ist das Vorbringen der Klägerin, die Mengen seien von ihren Abnehmern entsprechend deren Wünschen bestimmt worden, zurückzuweisen.

376    Dann ist festzustellen, dass die Klägerin die Feststellungen in der angefochtenen Entscheidung zu den Ausschließlichkeitsvereinbarungen mit BSN, Verlipack und Verreries d’Albi nicht beanstandet.

377    Im Übrigen weist – wie die Kommission ausführt – ein in den Unterlagen enthaltenes Schreiben vom 21. Dezember 1989 von Saint-Roch an die Kommission darauf hin, dass die Klägerin 100 % der Mengen, die Saint‑Roch zwischen 1982 und 1987 und dann im Jahr 1989 kaufte, und nahezu die gesamte im Jahr 1988 gekaufte Menge lieferte. Somit ist festzustellen, dass Solvay tatsächlich in Bezug auf Saint‑Roch über eine De-facto-Ausschließlichkeit verfügte.

378    Die Kommission verweist ferner auf ein ebenfalls in den Akten enthaltenes Schreiben, das Glaverbel am 18. Dezember 1989 an sie richtete und das bestätigt, dass alle ihre Bezüge außerhalb Ostdeutschlands von der Klägerin kamen.

379    Aus alledem ergibt sich, dass die Klägerin auf dem relevanten Markt zumindest an zwei der in der angefochtenen Entscheidung angeführten Unternehmen, nämlich an Saint-Roch und Glaverbel, deren gesamten Bedarf geliefert hat.

380    Folglich war die Kommission zu Recht der Meinung, dass die Klägerin ausdrückliche Ausschließlichkeitsvereinbarungen geschlossen habe und dass es De-facto-Ausschließlichkeiten gegeben habe.

381    Was das Vorbringen der Klägerin zur widersprüchlichen Haltung der Kommission betrifft, ergibt sich aus den Erwägungsgründen 192 und 193 der angefochtenen Entscheidung, dass die Kommission nach ihrer Zustimmung zu einer zweijährigen Kündigungsfrist bei unbefristeten Verträgen der Klägerin eine Geldbuße nur für die Treuerabatte und die „inoffiziellen Ausschließlichkeitsvereinbarungen“ auferlegt hat. Somit trifft das Vorbringen der Klägerin sachlich nicht zu.

382    Abgesehen davon, dass das Vorbringen der Klägerin, Glaverbel und Saint-Gobain hätten ihren jeweiligen Vertrag mit ihr in Bezug auf Frankreich gekündigt, nicht belegt ist, ändert es schließlich nichts an der Rechtswidrigkeit der Ausschließlichkeitsvereinbarungen.

383    Folglich ist der dritte Teil des fünften Klagegrundes zurückzuweisen.

 Zum vierten Teil: Wettbewerbsklauseln

–       Vorbringen der Parteien

384    Die Klägerin trägt vor, die Wettbewerbsklauseln in ihren Verträgen, die beanstandet würden, seien entsprechend den Bemerkungen der Kommission angepasst worden.

385    Darüber hinaus habe die Kommission im 177. Erwägungsgrund der angefochtenen Entscheidung die in manchen Verträgen vorgesehenen Schutzklauseln fälschlicherweise Wettbewerbsklauseln gleichgestellt. Aus dem 123. Erwägungsgrund der angefochtenen Entscheidung ergebe sich nämlich, dass nach Ansicht der Kommission gegen diese Klauseln an sich nichts einzuwenden sei, dass es aber, auch wenn die Schutzklauseln dem Abnehmer Gelegenheit gäben, konkurrierende Angebote dazu zu nutzen, den Preis der Klägerin nach unten hin zu korrigieren, doch unwahrscheinlich sei, dass es einem Wettbewerber jemals gelinge, einen Anteil an dem Geschäft zu übernehmen und zu behalten.

386    Die Kommission widerspricht dem Vorbringen der Klägerin.

–       Würdigung durch das Gericht

387    In den Erwägungsgründen 112 bis 122 der angefochtenen Entscheidung nennt die Kommission Details zu den Wettbewerbsklauseln in den Verträgen der Klägerin.

388    Die Klägerin bestreitet nicht die Existenz der Wettbewerbsklauseln.

389    Sie argumentiert nur, dass diese im Jahr 1981 von der Kommission akzeptiert worden seien.

390    Die Kommission hatte aber insoweit 1981 nicht die „Wettbewerbsklausel“ oder „Englische Klausel“ akzeptiert, wie sie der Klägerin im Rahmen der vorliegenden Rechtssache in den Erwägungsgründen 112 bis 122 der angefochtenen Entscheidung vorgeworfen wird.

391    Was die Schutzklauseln anbelangt, hat die Kommission im 177. Erwägungsgrund der angefochtenen Entscheidung die „verschiedenen Formen von Wettbewerbsklauseln“ von den „in den Randnummern 111 bis 123 erläuterten … anderen ähnlichen Mechanismen“ unterschieden. Folglich trifft das Vorbringen der Klägerin sachlich nicht zu. Im Übrigen betrifft die Argumentation der Kommission hauptsächlich die eigentlichen Wettbewerbsklauseln.

392    Folglich ist der vierte Teil des fünften Klagegrundes zurückzuweisen.

 Zum fünften Teil: diskriminierender Charakter der vorgeworfenen Verhaltensweisen

–       Vorbringen der Parteien

393    Die Klägerin trägt vor, der Beschwerdepunkt, mit dem diskriminierende Verhaltensweisen ihrerseits gerügt würden, beruhe auf keiner Tatsachenfeststellung in der angefochtenen Entscheidung. Der einzige Hinweis auf eine angebliche unterschiedliche Behandlung finde sich im 160. Erwägungsgrund der angefochtenen Entscheidung in dem Abschnitt, der die rechtliche Beschreibung der Spitzenrabatte enthalte. Auch sei es fehlerhaft, einerseits zu behaupten, dass die Tochtergesellschaften der Saint-Gobain-Gruppe, insbesondere Vegla, günstiger behandelt würden, und andererseits, dass Vegla schlechter behandelt werde als PLM. Die Hersteller von Flachglas seien auf einem anderen Markt tätig als die Hersteller von Hohlglas wie PLM.

394    Auf jeden Fall habe die Kommission die Rolle des Preises von Natriumkarbonat für die Kosten der Glashersteller falsch beurteilt. Zwar sei Natriumkarbonat der wichtigste Rohstoff bei der Glasherstellung, es mache jedoch nur 2 % bis 6 % des durchschnittlichen Verkaufspreises für Glas aus. Folglich könne ein unterschiedlich hoher Rabatt auf den Natriumkarbonatpreis keinen bedeutenden Einfluss auf die Wettbewerbssituation der betroffenen Glashersteller haben.

395    Die Kommission tritt den Argumenten der Klägerin entgegen.

–       Würdigung durch das Gericht

396    Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs darf ein marktbeherrschendes Unternehmen seinen Kunden Mengenrabatte gewähren, die ausschließlich an den Umfang der bei ihm getätigten Käufe anknüpfen. Die Berechnung dieser Rabatte darf jedoch nicht durch die Anwendung unterschiedlicher Bedingungen bei gleichwertigen Leistungen gegenüber Handelspartnern zu einem Verstoß gegen Art. 82 Abs. 2 Buchst. c EG führen. Es ist das Wesen eines Systems von Mengenrabatten, dass den bedeutendsten Käufern oder Nutzern eines Erzeugnisses oder einer Dienstleistung die niedrigsten Stückpreise zugute kommen oder dass sie, was auf das Gleiche hinausläuft, höhere Ermäßigungen erhalten, als sie weniger bedeutenden Käufern oder Nutzern dieses Erzeugnisses oder dieser Dienstleistung gewährt werden. Außerdem steigt der durchschnittliche Ermäßigungssatz (oder sinkt der durchschnittliche Preis) selbst bei einem linear ansteigenden Mengenrabatt mit einem Höchstrabatt rechnerisch zunächst stärker und später geringer als die Zunahme der Käufe, bevor er sich tendenziell in Annäherung an den Rabatthöchstsatz stabilisiert. Der bloße Umstand, dass ein System von Mengenrabatten im Ergebnis dazu führt, dass bestimmten Kunden bei bestimmten Mengen ein im Verhältnis zum unterschiedlichen Umfang der jeweiligen Käufe höherer Ermäßigungssatz zugute kommt als anderen, ist Teil eines solchen Systems und lässt für sich allein nicht den Schluss zu, dass das System diskriminierend ist. Gleichwohl bringt ein System von Mengenrabatten die Anwendung unterschiedlicher Bedingungen bei gleichwertigen Leistungen mit sich, sofern die Schwellen für die Auslösung der unterschiedlichen, an die festgelegten Sätze geknüpften Rabattstufen dazu führen, die Inanspruchnahme der Rabatte oder von Zusatzrabatten bestimmten Handelspartnern vorzubehalten und ihnen einen durch den Umfang der von ihnen erbrachten Tätigkeit und durch die möglichen Größenvorteile, die der Lieferant gegenüber ihren Mitbewerbern erzielen kann, nicht gerechtfertigten wirtschaftlichen Vorteil zu verschaffen. Eine hohe Schwelle zur Auslösung des Rabatts, die nur einige besonders bedeutende Partner des Unternehmens in beherrschender Stellung erreichen können, oder das Fehlen eines gleichmäßigen Anstiegs der Rabatte mit den Mengen können – sofern keine objektiven Gründe vorliegen – Anzeichen einer diskriminierenden Behandlung sein (Urteil des Gerichtshofs vom 29. März 2001, Portugal/Kommission, C‑163/99, Slg. 2001, I‑2613, Randnrn. 50 bis 53).

397    Wie bereits bei der Prüfung des ersten Teils des fünften Klagegrundes ausgeführt wurde, bestreitet die Klägerin nicht die Feststellungen zu dem in Frankreich angewandten Rabattsystem.

398    Bei dem von der Klägerin angewandten Rabattsystem handelt es sich aber nicht um einen linear ansteigenden Mengenrabatt, selbst bei den Unternehmen, denen solche Rabatte gewährt wurden. Aus der angefochtenen Entscheidung ergibt sich nämlich u. a., dass die Durant und Perrier gewährten Rabatte unterschiedlich hoch waren (Erwägungsgründe 75 und 76).

399    Folglich beruhte die Rüge betreffend diskriminierende Praktiken entgegen dem Vorbringen der Klägerin bereits aus diesem Grund auf Tatsachenfeststellungen in der angefochtenen Entscheidung.

400    Was das Argument der Klägerin betrifft, es gebe einen unterschiedlichen Markt für die Hersteller von Hohlglas und diejenigen von Flachglas, ist daran zu erinnern, dass der relevante Markt der von Natriumkarbonat und nicht der von Glas ist. Folglich ist bei den Abnehmern der Hersteller von Natriumkarbonat keine Unterscheidung zwischen Glasherstellern zu treffen.

401    Die Klägerin beruft sich auch auf die niedrigen Kosten von Natriumkarbonat. Diese Behauptung wird jedoch weder belegt noch ist sie geeignet, den diskriminierenden Charakter der der Klägerin vorgeworfenen Praktiken in Frage zu stellen.

402    Folglich ist der fünfte Teil des fünften Klagegrundes und infolgedessen der fünfte Klagegrund insgesamt zurückzuweisen.

 Zum sechsten Klagegrund: Verletzung des Rechts auf Akteneinsicht

403    Der sechste Klagegrund ist im Wesentlichen in drei Teile untergliedert, mit denen die fehlende Einsicht in belastende Unterlagen, der Umstand, dass sich unter den im Rahmen der prozessleitenden Maßnahmen eingesehenen Unterlagen der Akte für die Verteidigung nützliche Schriftstücke befanden, und der Umstand, dass die Klägerin keine vollständige Akteneinsicht hatte, gerügt werden.

404    Vorab ist festzustellen, dass die Wahrung der Verteidigungsrechte ein Grundprinzip des Gemeinschaftsrechts ist, das unter allen Umständen, insbesondere aber in allen Verfahren, die zu Sanktionen führen können, zu beachten ist, selbst wenn es sich dabei um ein Verwaltungsverfahren handelt. Sie verlangt, dass die betroffenen Unternehmen und Unternehmensvereinigungen bereits während des Verwaltungsverfahrens in die Lage versetzt werden, zum Vorliegen und zur Bedeutung der von der Kommission geltend gemachten Tatsachen, Beschwerdepunkte und Umstände angemessen Stellung zu nehmen (Urteil Hoffmann-La Roche/Kommission, oben in Randnr. 275 angeführt, Randnr. 11, und Urteil des Gerichts vom 27. September 2006, Avebe/Kommission, T‑314/01, Slg. 2006, II‑3085, Randnr. 49).

405    Als Ausfluss des Grundsatzes der Wahrung der Verteidigungsrechte bedeutet das Recht auf Akteneinsicht, dass die Kommission dem betroffenen Unternehmen die Möglichkeit gibt, alle Schriftstücke in der Ermittlungsakte zu prüfen, die möglicherweise für seine Verteidigung erheblich sind. Zu ihnen gehören sowohl belastende als auch entlastende Schriftstücke mit Ausnahme von Geschäftsgeheimnissen anderer Unternehmen, internen Schriftstücken der Kommission und anderen vertraulichen Informationen (Urteil des Gerichtshofs vom 7. Januar 2004, Aalborg Portland u. a./Kommission, C‑204/00 P, C‑205/00 P, C‑211/00 P, C‑213/00 P, C‑217/00 P und C‑219/00 P, Slg. 2004, I‑123, Randnr. 68, und Urteil vom 18. Juni 2008, Hoechst/Kommission, oben in Randnr. 88 angeführt, Randnr. 145).

406    In Bezug auf belastende Elemente muss das betroffene Unternehmen dartun, dass das Ergebnis, zu dem die Kommission in ihrer Entscheidung gekommen ist, anders ausgefallen wäre, wenn ein nicht übermitteltes Schriftstück, auf das die Kommission ihre Vorwürfe gegen dieses Unternehmen gestützt hat, als belastendes Beweismittel ausgeschlossen werden müsste. Bei entlastenden Elementen muss das betroffene Unternehmen nachweisen, dass das Unterbleiben ihrer Offenlegung den Verfahrensablauf und den Inhalt der Entscheidung der Kommission zu Ungunsten dieses Unternehmens beeinflussen konnte. Es genügt, dass das Unternehmen dartut, dass es die fraglichen entlastenden Schriftstücke zu seiner Verteidigung hätte einsetzen können, und zwar in dem Sinne, dass das Unternehmen, wenn es sich im Verwaltungsverfahren auf diese Schriftstücke hätte berufen können, Gesichtspunkte hätte geltend machen können, die nicht mit den in diesem Stadium von der Kommission gezogenen Schlüssen übereinstimmten und daher, in welcher Weise auch immer, die von der Kommission in ihrer etwaigen Entscheidung vorgenommenen Beurteilungen zumindest in Bezug auf Schwere und Dauer des dem Unternehmen zur Last gelegten Verhaltens und damit die Höhe der Geldbuße hätten beeinflussen können. Die Möglichkeit, dass ein nicht übermitteltes Schriftstück Einfluss auf den Verfahrensablauf und den Inhalt der Entscheidung der Kommission hätte haben können, kann nur nach einer vorläufigen Prüfung bestimmter Beweismittel nachgewiesen werden, die zeigt, dass die nicht übermittelten Schriftstücke eine Bedeutung – für diese Beweismittel – hätten haben können, die nicht hätte unberücksichtigt bleiben dürfen (Urteil Aalborg Portland u. a./Kommission, oben in Randnr. 405 angeführt, Randnrn. 73 bis 76, und Urteil vom 18. Juni 2008, Hoechst/Kommission, oben in Randnr. 88 angeführt, Randnr. 146).

407    Schließlich könnte ein Verstoß gegen das Recht auf Akteneinsicht nur dann eine völlige oder teilweise Nichtigerklärung einer Entscheidung der Kommission nach sich ziehen, wenn die nicht ordnungsgemäße Einsicht in die Ermittlungsakte im Verwaltungsverfahren das betroffene oder die betroffenen Unternehmen daran gehindert hätte, Unterlagen, die für ihre Verteidigung hätten nützlich sein können, zur Kenntnis zu nehmen, und auf diese Weise ihre Verteidigungsrechte verletzt hätte. Dies wäre der Fall, wenn durch die Offenlegung eines Schriftstücks eine, sei es auch nur entfernte, Möglichkeit bestanden hätte, dass das Verwaltungsverfahren zu einem anderen Ergebnis geführt hätte, falls das betroffene Unternehmen das Schriftstück in diesem Verfahren hätte heranziehen können (vgl. in diesem Sinne Urteil Aalborg Portland u. a./Kommission, oben in Randnr. 405 angeführt, Randnrn. 73 bis 76).

408    Im Licht dieser Erwägungen ist zu beurteilen, ob die Kommission in der vorliegenden Rechtssache die Verteidigungsrechte der Klägerin beachtet hat.

 Zum ersten Teil: fehlender Zugang zu belastenden Schriftstücken

–       Vorbringen der Parteien

409    Die Klägerin macht geltend, die Kommission gebe nicht an, auf welche Belege sie bestimmte, sie betreffende Behauptungen, insbesondere diejenigen in den Erwägungsgründen 138 und 176 der angefochtenen Entscheidung, stütze.

410    Auch müssten die sie betreffenden Behauptungen der Kommission zurückgewiesen werden, da die der Mitteilung der Beschwerdepunkte beigefügten Unterlagen diese Behauptungen nicht belegten.

411    Die Kommission tritt dem Vorbringen der Klägerin entgegen.

–       Würdigung durch das Gericht

412    Der 138. Erwägungsgrund der angefochtenen Entscheidung lautet:

„Zur Beurteilung der Marktposition im vorliegenden Fall berücksichtigte die Kommission alle relevanten wirtschaftlichen Gegebenheiten einschließlich

ix)      der traditionellen Rolle von Solvay als Preisführer in der Gemeinschaft;

x)      der Tatsache, dass die anderen Hersteller in der Gemeinschaft Solvay als führenden Sodahersteller ansahen und zu einem aggressiven Wettbewerbsverhalten bei den angestammten Kunden von Solvay wenig geneigt waren.“

413    Außerdem wird im 176. Erwägungsgrund zum Abschluss von Ausschließlichkeitsvereinbarungen Folgendes ausgeführt:

„Da sich unmöglich mit einiger Sicherheit vorhersagen lässt, welche Bedingungen zwei Jahre später herrschen werden, wirkte die lange Kündigungsfrist als starker Riegel gegen eine Beendigung der Geschäftsbeziehung mit Solvay. Zumindest einige Abnehmer sahen in der Länge der Kündigungsfrist denn auch eine unzumutbare Beschränkung ihrer Freiheit.“

414    Bei diesen drei Aussagen handelt es sich um allgemeine Beurteilungen im zweiten Teil der angefochtenen Entscheidung, der der rechtlichen Würdigung gewidmet ist.

415    Insoweit erläutert die Klägerin nicht, inwiefern diese Würdigungen geeignet sind, die Feststellung der ihr vorgeworfenen Zuwiderhandlungen zu beeinflussen. Hinsichtlich der belastenden Elemente obliegt es aber dem betroffenen Unternehmen, zu beweisen, dass das Ergebnis, zu dem die Kommission in ihrer Entscheidung gelangt ist, anders ausgefallen wäre, wenn ein nicht übermitteltes Schriftstück, auf das die Kommission ihre Vorwürfe gegen dieses Unternehmen gestützt hat, als belastendes Beweismittel ausgeschlossen werden müsste.

416    Folglich ist der erste Teil des sechsten Klagegrundes zurückzuweisen.

 Zum zweiten Teil: Vorhandensein von für die Verteidigung nützlichen Schriftstücken unter den im Rahmen der prozessleitenden Maßnahmen eingesehenen Schriftstücken der Akte

417    Aus der Rechtsprechung ergibt sich, dass das Recht auf Akteneinsicht als Ausfluss des Grundsatzes der Wahrung der Verteidigungsrechte impliziert, dass die Kommission dem betroffenen Unternehmen die Möglichkeit gibt, alle Schriftstücke in der Ermittlungsakte zu prüfen, die möglicherweise für seine Verteidigung erheblich sind. Dazu gehören sowohl belastende als auch entlastende Schriftstücke mit Ausnahme von Geschäftsgeheimnissen anderer Unternehmen, internen Schriftstücken der Kommission und anderen vertraulichen Informationen. Bei entlastenden Beweisen muss das betroffene Unternehmen nachweisen, dass das Unterbleiben ihrer Offenlegung den Verfahrensablauf und den Inhalt der Entscheidung der Kommission zu seinen Ungunsten beeinflussen konnte (vgl. Urteil vom 18. Juni 2008, Hoechst/Kommission, oben in Randnr. 88 angeführt, Randnrn. 145 und 146 und die dort angeführte Rechtsprechung).

418    Im vorliegenden Fall hat die Klägerin ihre Stellungnahme am 15. Juli 2005 nach Einsichtnahme in die Unterlagen der Akte vorgelegt.

419    Die Klägerin macht geltend, der Zugang zu diesen Schriftstücken im Verwaltungsverfahren hätte ihr ermöglicht, sachdienliche Argumente zu ihrer Verteidigung in Bezug auf den räumlich relevanten Markt, den betreffenden Produktmarkt, zum Bestehen einer beherrschenden Stellung und zu deren missbräuchlicher Ausnutzung vorzutragen.

–       Zum räumlich relevanten Markt

420    Nach Ansicht der Klägerin ergibt sich aus den eingesehenen Schriftstücken, dass die Frage des räumlichen Marktes besonders komplex sei. Zum einen habe die Kommission die Bedeutung der Transportkosten für Natriumkarbonat nicht berücksichtigt, obwohl diese Kosten einem ausländischen Hersteller nicht erlaubten, mit einem lokalen Hersteller im natürlichen Umkreis des Einzugsbereichs seiner Fabrik zu konkurrieren. Zum anderen gäben die Abnehmer einem örtlichen Hersteller, der ihnen Lieferkontinuität und somit eine größere Versorgungssicherheit gewährleiste, den Vorzug. Die Klägerin beruft sich insoweit auf Schriftstücke betreffend Akzo und Rhône-Poulenc.

421    Zwar entspreche die Definition des räumlich relevanten Markts, die in der angefochtenen Entscheidung herangezogen worden sei, nicht der Wirklichkeit, wie sie von ihren Konkurrenten gesehen werde, doch scheine es nicht möglich, bei der Bestimmung des räumlich relevanten Marktes genau den Landesgrenzen zu folgen. Der Markt werde nämlich durch regionale Gefüge charakterisiert, deren Konturen nur schwer genau bestimmt werden könnten. Auf jeden Fall könne der räumlich relevante Markt nicht auf der Grundlage der bruchstückhaften Untersuchung der Kommission bestimmt werden.

422    Dieses Vorbringen ist zurückzuweisen.

423    Hinsichtlich der Bedeutung der Transportkosten für Natriumkarbonat hat die Klägerin nicht nachgewiesen, dass die Nichtübermittlung der Akzo und Rhône-Poulenc betreffenden Schriftstücke den Verfahrensablauf und den Inhalt der angefochtenen Entscheidung zu ihrem Nachteil beeinflussen konnte. Aus den Akten ergibt sich nämlich, dass die Klägerin diesen Punkt durchaus kannte, da sie in ihrer Antwort auf die Mitteilung der Beschwerdepunkte darauf hingewiesen hat, dass Natriumkarbonat „kein besonders hochentwickeltes Produkt und deshalb nicht besonders teuer“ sei und dass die „Transportkosten somit einen bedeutenden Faktor des Gestehungspreises der Verwender“ darstellten. Sie hätte dieses Argument somit im Verwaltungsverfahren geltend machen können, selbst wenn sie zu den Akzo und Rhône-Poulenc betreffenden Schriftstücken keinen Zugang hatte.

424    Auch der Umstand, dass die Abnehmer örtlichen Herstellern den Vorzug gaben, war der Klägerin bekannt, da sie in einem Schreiben vom 19. Februar 1981 an ihre verschiedenen Landesdirektionen diese aufforderte, ihre Mengenverträge mit der Glasindustrie nach Bemerkungen der Kommission zu ändern. Folglich kann sie sich nicht darauf berufen, örtlichen Herstellern sei der Vorzug gegeben worden, um zu beweisen, dass die Nichtübermittlung der Akzo und Rhône-Poulenc betreffenden Schriftstücke den Verfahrensablauf und den Inhalt der angefochtenen Entscheidung zu ihrem Nachteil beeinflussen konnte.

425    Folglich ist die Rüge der Klägerin zurückzuweisen.

–       Zum fraglichen Produktmarkt

426    Die Klägerin beruft sich darauf, dass die bei ihren Konkurrenten und ihren Kunden gefundenen Schriftstücke ihr ermöglicht hätten, der Analyse der Kommission in Bezug auf die Definition des fraglichen Produktmarktes entgegenzutreten. Durch das Ätznatron sei nämlich im überwiegenden Teil des in der angefochtenen Entscheidung festgestellten Zeitraums der Zuwiderhandlung ein Wettbewerbsdruck auf die Hersteller von Natriumkarbonat ausgeübt worden.

427    Die Klägerin, die im maßgeblichen Zeitraum größte Herstellerin von Natriumkarbonat in Europa, war in der Lage, die für die Beurteilung der Kommission erforderlichen Faktoren in Bezug auf die Substitution von Natriumkarbonat durch Ätznatron beizubringen. Nach dem 143. Erwägungsgrund der angefochtenen Entscheidung war die Klägerin nämlich außerdem eine der führenden Herstellerinnen von Ätznatron.

428    Darüber hinaus stellt das Vorbringen der Klägerin im Anschluss an die Akteneinsicht die Analyse der Kommission in der angefochtenen Entscheidung nicht in Frage, da diese die Möglichkeit einer gewissen Substitution von Natriumkarbonat durch Ätznatron anerkannt hat (Erwägungsgründe 139 bis 143).

429    Folglich hat die Klägerin nicht nachgewiesen, dass die Nichtübermittlung der fraglichen Schriftstücke den Verfahrensablauf und den Inhalt der angefochtenen Entscheidung zu ihrem Nachteil beeinflussen konnte.

430    Folglich ist die Rüge der Klägerin zurückzuweisen.

–       Zum Vorliegen einer beherrschenden Stellung

431    Nach Ansicht der Klägerin bestätigt die Prüfung der Unterlagen ihrer Konkurrenten, insbesondere von Rhône-Poulenc und Akzo, dass die Kommission zwei grundlegende Punkte, nämlich die tatsächliche Fähigkeit der anderen Hersteller auf dem Kontinent, mit ihr in Wettbewerb zu treten, und das Ausgleichsvermögen ihrer Abnehmer, nicht analysiert habe. Außerdem habe die Kommission nicht das wahre Ausmaß des Wettbewerbsdrucks, der von den Einfuhren aus Osteuropa und den Vereinigten Staaten ausgehe, berücksichtigt. Somit sei nicht bewiesen, dass sie in den Gebieten, in denen ihr wettbewerbswidrige Verhaltensweisen zum Vorwurf gemacht würden, eine beherrschende Stellung innegehabt habe.

432    Insoweit ist festzustellen, dass die Klägerin in ihrer Antwort auf die Mitteilung der Beschwerdepunkte diese Argumente bereits vorgetragen hat. Insbesondere hat sie Folgendes ausgeführt:

„[Solvay] ist nicht nur nicht in der Lage, auf dem Markt ohne Rücksicht auf den Wettbewerb tätig zu werden, insbesondere den Wettbewerb der Hersteller der Länder Osteuropas und der amerikanischen Hersteller, sondern sie befindet sich auch und vor allem in einem Zustand der Abhängigkeit oder zumindest der gegenseitigen Abhängigkeit im Hinblick auf ihre Abnehmer.“

433    Dazu hat die Klägerin der Kommission im Rahmen des Verwaltungsverfahrens verschiedene Schriftstücke vorgelegt.

434    Unter diesen Umständen ist darauf hinzuweisen, dass die Stellungnahme der Klägerin im Anschluss an die Einsichtnahme in die Akten nicht zeigt, inwiefern die verschiedenen Schriftstücke, insbesondere von Akzo und Rhône-Poulenc, auf die sie sich beruft, für ihre Verteidigung hätten sachdienlich sein können.

435    Somit ist die Rüge der Klägerin zurückzuweisen.

–       Zur missbräuchlichen Ausnutzung der beherrschenden Stellung

436    Die Klägerin trägt vor, die bei ihren Wettbewerbern gefundenen Schriftstücke zeigten, dass die angefochtene Entscheidung „Mängel aufweise“, was die Analyse der ihr vorgeworfenen „wettbewerbsausschließenden Praxis“ betreffe. Letztere habe weder den Zweck noch die Wirkung, die ihr in der angefochtenen Entscheidung beigemessen würden. Die Fabriken von Rhône-Poulenc und Akzo seien im Untersuchungszeitraum überwiegend voll ausgelastet gewesen. Sie habe auch die Wettbewerber nicht aller Absatzmöglichkeiten beraubt.

437    Im Übrigen zeige eine Studie von Akzo zu den direkten Produktionskosten der verschiedenen Fabriken ihr legitimes wirtschaftliches Interesse, Rabatte für Spitzenmengen zu gewähren, wenn die Fixkosten einmal gedeckt seien. Außerdem sei die Gewährung von Rabatten auf Spitzenmengen eine übliche Praxis auf dem Markt.

438    In der Mitteilung der Beschwerdepunkte hat die Kommission jedoch erwähnt, dass „zu Beginn der achtziger Jahre … die Nachfrage nach Soda in den entwickelten Ländern zurückgegangen [ist]; die Hauptgründe dafür waren die Wirtschaftsrezession, das Glasrecycling und die Ersetzung von Glasverpackungen durch Plastik- und/oder Aluminiumverpackungen“, dass „in den letzten Jahren … weltweit ein merklicher Anstieg der Nachfrage verzeichnet [wurde] und die gesamte Sodaproduktion … Absatz [fand]“ und dass „die Produktionsanlagen … damals voll ausgelastet [waren]“.

439    Im 17. Erwägungsgrund der angefochtenen Entscheidung hat die Kommission ebenfalls darauf hingewiesen, dass 1990 die Produktionsanlagen voll ausgelastet gewesen seien.

440    Infolgedessen war der Kommission diese tatsächliche Situation bekannt, als das Verwaltungsverfahren stattfand und als sie im 191. Erwägungsgrund der angefochtenen Entscheidung die Ansicht vertrat, durch die Klägerin sei „der Marktzugang der Wettbewerber auf lange Zeit erschwert worden“.

441    Folglich hat die Klägerin nicht nachgewiesen, dass die Nichtübermittlung der Schriftstücke von Akzo und Rhône-Poulenc den Verfahrensablauf und den Inhalt der angefochtenen Entscheidung zu ihrem Nachteil beeinflusst hat.

442    Was zweitens das wirtschaftliche Interesse der Klägerin betrifft, Rabatte für Spitzenmengen zu gewähren, so konnte sie dieses Argument im Verwaltungsverfahren im Licht ihrer eigenen Kosten darlegen, ohne dass es erforderlich gewesen wäre, sich auf die Unterlagen ihrer Wettbewerber zu stützen.

443    Die Klägerin hat dieses Argument außerdem in ihrer Antwort auf die Mitteilung der Beschwerdepunkte geltend gemacht, indem sie darauf hinwies, dass diese Rabatte einem „Vorteil für [Solvay]“ entsprächen. Sie hat ferner ausgeführt:

„Die pro Abnehmer festgelegten Mengen spiegelten tatsächlich nur die Rentabilitätsschwelle der Sodafabriken wieder. Ist diese Schwelle mit der Deckung der Fixkosten erst einmal erreicht, weiß man, dass jede weitere verkaufte Tonne einen immer größeren Gewinn erzeugt. Die Kommission, bei der die Beweislast liegt, weist insoweit nicht nach, dass die streitigen Rabatte, die ganz offensichtlich an die Mengen gebunden sind, in einer Höhe gewährt werden, in der sie für [Solvay] keinen deutlichen wirtschaftlichen Vorteil bedeuten.“

444    Was drittens die für Spitzenmengen gewährten Rabatte betrifft, genügt der Hinweis, dass das Argument der Klägerin, diese stellten eine übliche Praxis dar, kein Nachweis dafür sein kann, dass Rabatte für Spitzenmengen, wenn diese von einem Unternehmen in beherrschender Stellung gewährt werden, mit Art. 82 EG vereinbar sind.

445    Somit ist die Rüge der Klägerin zurückzuweisen.

446    Im Ergebnis ergibt sich aus der Prüfung der Schriftstücke, auf die sich die Klägerin nach der im Rahmen prozessleitender Maßnahmen erfolgten Einsichtnahme in die Akten beruft, dass die Kommission die Verteidigungsrechte nicht verletzt hat. Folglich ist der zweite Teil des sechsten Klagegrundes zurückzuweisen.

 Zum dritten Teil: keine vollständige Akteneinsicht der Klägerin

–       Vorbringen der Parteien

447    In der Klageschrift macht die Klägerin geltend, es sei ihr niemals möglich gewesen, ein vollständiges Inhaltsverzeichnis der Akte der Kommission zu erhalten. Außerdem habe ihr die Kommission im Verwaltungsverfahren, das dem Erlass der Entscheidung 91/299 vorausgegangen sei, nur Einsicht in die belastenden Schriftstücke gewährt, die der Mitteilung der Beschwerdepunkte beigefügt gewesen seien. Infolgedessen sei ihr nach der Beschreibung der Akte im Urteil Solvay I (oben in Randnr. 35 angeführt) Einsicht in einen Komplex von „Teilakten“ verweigert worden, die ihre Wettbewerber betroffen hätten (Rhône-Poulenc, CFK, Matthes & Weber, Akzo und ICI), sowie in etwa zehn Akten mit Antworten auf Auskunftsverlangen nach Art. 11 der Verordnung Nr. 17 in der zur maßgeblichen Zeit anwendbaren Fassung, insbesondere auf diejenigen, die die Kommission an einige ihrer Abnehmer gerichtet habe. Sie sei auf diese Weise daran gehindert worden, zu prüfen, ob diese Akten für ihre Verteidigung nützliche Punkte enthalten hätten, insbesondere was den räumlich relevanten Markt, das Bestehen einer beherrschenden Stellung und die missbräuchliche Ausnutzung der beherrschenden Stellung betreffe. Die Verschlechterung der Beweissituation aufgrund der seit dem beanstandeten Sachverhalt vergangenen Zeit hätte diese Akteneinsicht umso wichtiger gemacht.

448    In ihrer Stellungnahme vom 15. Juli 2005 im Anschluss an die Akteneinsicht in der Kanzlei des Gerichts trägt die Klägerin vor, sie könne nicht angeben, inwieweit die in den Akten fehlenden Schriftstücke für ihre Verteidigung nützlich gewesen wären. In dieser Hinsicht habe die Kommission zum einen den Verlust von fünf Ordnern ausdrücklich eingeräumt, und zum anderen könne sie nicht garantieren, dass die Ordner, die sich noch in ihrem Besitz befänden, vollständig seien, da es keine durchgehende Nummerierung der Schriftstücke und kein Inhaltsverzeichnis gebe. Deshalb müsse die angefochtene Entscheidung insgesamt für nichtig erklärt werden, da das Gericht deren Rechtmäßigkeit nicht prüfen könne.

449    Die Kommission tritt dem Vorbringen der Klägerin entgegen.

–       Würdigung durch das Gericht

450    Vorab ist festzustellen, dass die Kommission im Verwaltungsverfahren, das dem Erlass der Entscheidung 91/299 vorausging, kein Verzeichnis der Schriftstücke, die zur Akte gehören, erstellt hat und der Klägerin nur die belastenden Schriftstücke, die der Mitteilung der Beschwerdepunkte beigefügt waren, übermittelt hat.

451    Die Kommission hat sich insoweit in der mündlichen Verhandlung darauf berufen, dass es in bestimmten Fällen die Praxis gewesen sei, den betroffenen Unternehmen wegen des umfangreichen Akteninhalts eine Mitteilung der Beschwerdepunkte zu übermitteln, der nur bestimmte Schriftstücke beigefügt worden seien, wobei diesen Unternehmen dann mitgeteilt worden sei, sie könnten in den Räumlichkeiten der Kommission alle zugänglichen Schriftstücke mit Hilfe eines Verzeichnisses einsehen. In der Sache, in der die Entscheidung 91/299 ergangen sei, habe der Berichterstatter jedoch beschlossen, „das Verfahren zu vereinfachen“, und er habe, da nach seiner Ansicht alle herangezogenen Schriftstücke mit der Mitteilung der Beschwerdepunkte übermittelt worden seien, eine Einsichtnahme für unnötig und infolgedessen ein Inhaltsverzeichnis nicht für erforderlich gehalten.

452    In ihrem Zwölften Bericht über die Wettbewerbspolitik hat die Kommission auf den Seiten 40 und 41 aber folgende Regeln in Bezug auf die Akteneinsicht aufgestellt:

„[Die Kommission erteilt] den am Verfahren beteiligten Unternehmen Akteneinsicht … Um die Parteien über den Inhalt der Verfahrensakte zu informieren, wird ihnen zusammen mit den Beschwerdepunkten oder dem ihre Beschwerde ablehnenden Bescheid eine Liste aller Unterlagen übersandt, die zu dieser Akte gehören. Dabei gibt die Kommission an, in welche Unterlagen oder Teile von ihnen Einsicht gewährt werden kann. Die Unternehmen können die zugänglichen Unterlagen an Ort und Stelle einsehen. Wünscht ein Unternehmen nur wenige Geschäftsunterlagen einzusehen, so kann die Kommission ihm Abschriften übermitteln. Die nachstehenden Schriftstücke werden von der Kommission als vertraulich betrachtet und können folglich nicht eingesehen werden: Schriftstücke oder Teile davon, die Geschäftsgeheimnisse anderer Unternehmen enthalten; interne Schriftstücke der Kommission wie Vermerke, Entwürfe und sonstige Arbeitspapiere; andere vertrauliche Angaben, wie solche zur Person von Beschwerdeführern, die ihre Identität nicht gegenüber Dritten preisgeben möchten, oder Auskünfte, die der Kommission mit der ausdrücklichen Bitte um vertrauliche Behandlung übermittelt wurden.“

453    Aus diesen Regeln ergibt sich, dass die Kommission in dem Verwaltungsverfahren, das dem Erlass der Entscheidung 91/299 vorausging, verpflichtet war, der Klägerin die Gesamtheit der belastenden oder entlastenden Schriftstücke zugänglich zu machen, die sie im Laufe der Untersuchung gesammelt hat; hiervon ausgenommen sind nur Geschäftsgeheimnisse anderer Unternehmen, interne Schriftstücke der Kommission und andere vertrauliche Informationen (vgl. in diesem Sinne Urteile des Gerichts vom 17. Dezember 1991, Hercules Chemicals/Kommission, T‑7/89, Slg. 1991, II‑1711, Randnrn. 51 bis 54, und vom 18. Dezember 1992, Cimenteries CBR u. a./Kommission, T‑10/92 bis T‑12/92 und T‑15/92, Slg. 1992, II‑2667, Randnrn. 39 bis 41).

454    Folglich ist die Kommission in der Sache, in der die Entscheidung 91/299 ergangen ist, von den Regeln, die sie sich 1982 auferlegt hat, abgewichen, indem sie kein Verzeichnis der Schriftstücke in der Akte erstellt und der Klägerin keine Einsicht in die Gesamtheit der Schriftstücke gewährt hat, die sich in der Akte befanden.

455    Da die Entscheidung 91/299 vom Gericht wegen fehlender Feststellung für nichtig erklärt worden war, hielt sich die Kommission für berechtigt, die angefochtene Entscheidung ohne Wiedereröffnung des Verwaltungsverfahrens zu erlassen.

456    Somit hat die Kommission vor Erlass der angefochtenen Entscheidung der Klägerin nicht die Gesamtheit der ihr zugänglichen Schriftstücke der Akte übermittelt und sie nicht aufgefordert, diese Schriftstücke in ihren Räumlichkeiten einzusehen, so dass das Verwaltungsverfahren insoweit fehlerhaft war.

457    Nach ständiger Rechtsprechung werden jedoch die Verteidigungsrechte durch eine Verfahrensunregelmäßigkeit nur dann verletzt, wenn diese sich konkret auf die Verteidigungsmöglichkeit der betroffenen Unternehmen ausgewirkt hat (Urteile des Gerichts vom 8. Juli 2004, Mannesmannröhren-Werke/Kommission, T‑44/00, Slg. 2004, II‑2223, Randnr. 55, und General Electric/Kommission, oben in Randnr. 314 angeführt, Randnr. 632).

458    Unter diesen Umständen hat das Gericht im Rahmen der Klage gegen die angefochtene Entscheidung prozessleitende Maßnahmen zur Gewährleistung einer vollständigen Akteneinsicht angeordnet, um zu klären, ob die Weigerung der Kommission, ein Schriftstück offenzulegen oder zu übermitteln, die Verteidigung der Klägerin beeinträchtigen konnte (vgl. in diesem Sinne Urteil Aalborg Portland u. a./Kommission, oben in Randnr. 405 angeführt, Randnr. 102).

459    Da sich diese Prüfung auf eine gerichtliche Kontrolle der geltend gemachten Klagegründe beschränkt, wird mit ihr ein Ersatz für die umfassende Sachverhaltsermittlung im Rahmen eines Verwaltungsverfahrens weder bezweckt noch bewirkt. Die verspätete Kenntnisnahme von bestimmten Aktenstücken versetzt das Unternehmen, das Klage gegen eine Entscheidung der Kommission erhoben hat, nicht in die Lage, in der es sich befunden hätte, wenn es sich bei der Abgabe seiner schriftlichen und mündlichen Erklärungen gegenüber dem Gemeinschaftsorgan auf diese Schriftstücke hätte berufen können (vgl. Urteil Aalborg Portland u. a./Kommission, oben in Randnr. 405 angeführt, Randnr. 103 und die dort angeführte Rechtsprechung). Wurde darüber hinaus die Akteneinsicht im Stadium des Gerichtsverfahrens gewährt, so braucht das betroffene Unternehmen nicht zu beweisen, dass die Entscheidung der Kommission anders gelautet hätte, wenn es Einsicht in die nicht übermittelten Unterlagen erhalten hätte, sondern lediglich, dass es die fraglichen Schriftstücke zu seiner Verteidigung hätte einsetzen können (Urteil des Gerichtshofs vom 2. Oktober 2003, Corus UK/Kommission, C‑199/99 P, Slg. 2003, I‑11177, Randnr. 128, und Urteil PVC II des Gerichtshofs, oben in Randnr. 55 angeführt, Randnr. 318).

460    Im vorliegenden Fall hat die Kommission auf Verlangen des Gerichts die Mitteilung der Beschwerdepunkte und die dieser beigefügten Schriftstücke vorgelegt. Sie hat auch ein Verzeichnis der Schriftstücke, die zur Akte in ihrer aktuellen Zusammensetzung gehören, erstellt.

461    Insoweit ist aber erstens festzustellen, dass der genaue Inhalt der ursprünglichen Akte nicht sicher feststeht. Zwar hat die Kommission in ihrer Antwort auf eine schriftliche Frage des Gerichts mitgeteilt, dass es sich bei der Akte in ihrer aktuellen Form um eine Kopie der ursprünglichen Akte handele. Diese bestand somit nach den von der Kommission übermittelten Informationen aus „Teilakten“, die von 1 bis 71 nummeriert waren. Gleichzeitig hat die Kommission das Gericht aber von der Existenz einer nicht nummerierten Teilakte mit der Bezeichnung „Oberland Glas“ in Kenntnis gesetzt.

462    Zweitens hat die Kommission ausdrücklich eingeräumt, dass sie die fünf „Teilakten“ mit den Nrn. 66 bis 70 verloren habe. Aus ihrem Schreiben vom 15. März 2005 ergibt sich nämlich, dass sie zu diesem Schluss gekommen ist, als sie feststellte, dass sie „Teilakten“ mit den Nrn. 1 bis 65 besaß und dass die „Teilakte“ Nr. 71 die Mitteilung der Beschwerdepunkte enthielt.

463    In ihren Erklärungen vom 18. November 2005 hat die Kommission mitgeteilt, dass es „wenig wahrscheinlich“ sei, dass die unauffindbaren Akten entlastendes Material enthielten. In der mündlichen Verhandlung erklärte sie auf die Aufforderung, die Bedeutung dieses Satzes zu erläutern, es sei „plausibel“, dass diese „Teilakten“ kein entlastendes Schriftstück enthielten, und „statistisch“ gesehen könnten sie für die Verteidigung der Klägerin nicht von Nutzen sein.

464    Aus diesen Antworten folgt, dass die Kommission nicht in der Lage ist, für jedes in den „Teilakten“ mit den Nrn. 66 bis 70 enthaltene Schriftstück den Autor, die Art und den Inhalt sicher zu ermitteln.

465    Es ist deshalb zu untersuchen, ob die Klägerin die Möglichkeit hatte, alle für ihre Verteidigung möglicherweise erheblichen Schriftstücke in der Ermittlungsakte zu prüfen, und, wenn dies nicht der Fall war, ob der Verletzung des Rechts auf Akteneinsicht eine solche Bedeutung zukommt, dass sie eine Aushöhlung dieser Verfahrensgarantie bewirkt. Nach der Rechtsprechung gehört die Akteneinsicht nämlich zu den Verfahrensgarantien, die die Verteidigungsrechte schützen sollen (Urteil Solvay I, oben in Randnr. 35 angeführt, Randnr. 59), und die Verletzung des Rechts auf Einsicht in die Akten der Kommission im Verfahren vor dem Erlass der Entscheidung kann grundsätzlich deren Nichtigerklärung nach sich ziehen, wenn die Verteidigungsrechte des betroffenen Unternehmens beeinträchtigt worden sind (Urteil Corus UK/Kommission, oben in Randnr. 459 angeführt, Randnr. 127).

466    In dieser Hinsicht ist zu prüfen, ob die Verteidigungsrechte der Klägerin in Bezug auf die in der Mitteilung der Beschwerdepunkte und in der angefochtenen Entscheidung gegen sie erhobenen Vorwürfe verletzt worden sind.

467    Nach der Rechtsprechung ist anhand der besonderen Umstände jedes einzelnen Falles zu prüfen, ob eine Verletzung der Verteidigungsrechte vorliegt, da dies im Wesentlichen von den Rügen abhängt, die die Kommission bei der Feststellung der dem betroffenen Unternehmen zur Last gelegten Zuwiderhandlung erhoben hat (Urteil Aalborg Portland u. a./Kommission, oben in Randnr. 405 angeführt, Randnr. 127). Es sind daher die Sachrügen kurz zu prüfen, die die Kommission in der Mitteilung der Beschwerdepunkte und in der angefochtenen Entscheidung geltend gemacht hat (Urteil Solvay I, oben in Randnr. 35 angeführt, Randnr. 60).

468    Das Vorliegen einer Verletzung der Verteidigungsrechte ist auch unter Berücksichtigung des konkreten Vorbringens des betroffenen Unternehmens gegen die angefochtene Entscheidung zu prüfen (vgl. in diesem Sinne Urteil ICI II, oben in Randnr. 35 angeführt, Randnr. 59).

469    Im vorliegenden Fall hat das Gericht im Rahmen der anhängigen Klage das Vorbringen der Klägerin und die in der angefochtenen Entscheidung erhobenen Sachrügen geprüft und ist zu dem Ergebnis gekommen, dass alle von der Klägerin geltend gemachten Klagegründe zurückzuweisen sind.

470    Was das Vorliegen einer beherrschenden Stellung betrifft, hat sich die Kommission für die Feststellung, dass die Klägerin eine beherrschende Stellung auf dem fraglichen Markt innehatte, im Wesentlichen auf den Marktanteil der Klägerin gestützt. Es spricht nichts für die Annahme, dass die Klägerin in den fehlenden „Teilakten“ Schriftstücke hätte finden können, die die Feststellung entkräftet hätten, dass sie auf dem Natriumkarbonatmarkt eine beherrschende Stellung besaß (vgl. in diesem Sinne Urteil ICI II, oben in Randnr. 35 angeführt, Randnr. 61). Wie sich aus der oben in Randnr. 277 angeführten Rechtsprechung ergibt, erbringen besonders hohe Marktanteile als solche – von außergewöhnlichen Umständen abgesehen – den Beweis für das Vorliegen einer beherrschenden Stellung. Das Vorbringen der Klägerin in Bezug auf Tatsachen, die außergewöhnliche Umstände darstellen könnten, steht aber entweder im Widerspruch zu den Zahlen, die sie in der Klageschrift vorgelegt hat oder die in der angefochtenen Entscheidung genannt und von ihr nicht bestritten wurden, oder es geht ins Leere. Selbst wenn man schließlich annimmt, dass solche Tatsachen existierten und in den in den fehlenden „Teilakten“ enthaltenen Schriftstücken erwähnt werden, musste die Klägerin in Anbetracht der Umstände des vorliegenden Falles sie sehr wohl kennen, so dass ihre Verteidigungsrechte in dieser Hinsicht nicht verletzt sind.

471    Was die Definition des örtlichen Marktes anbelangt, ist oben in Randnr. 259 festgestellt worden, dass ein eventueller insoweit begangener Irrtum der Kommission das Ergebnis nicht entscheidend hätte beeinflussen können. Somit ist ausgeschlossen, dass die Klägerin in den fehlenden Ordnern Schriftstücke hätte finden können, die geeignet gewesen wären, das Vorliegen ihrer beherrschenden Stellung in Frage zu stellen.

472    Was die missbräuchliche Ausnutzung der beherrschenden Stellung betrifft, bestreitet die Klägerin zu keinem Zeitpunkt die Feststellungen zum in Frankreich angewandten Rabattsystem.

473    Weiter ergibt sich der Treue fördernde Charakter des von der Klägerin eingeführten Rabattsystems aus unmittelbaren schriftlichen Beweisen. In einem Fall wie dem vorliegenden, in dem die Kommission die verschiedenen Zuwiderhandlungen in der angefochtenen Entscheidung allein anhand unmittelbarer schriftlicher Beweise nachgewiesen hat, obliegt es der Klägerin, darzutun, inwiefern andere Beweise den Treue fördernden Charakter des eingeführten Rabattsystems hätten in Frage stellen können, oder zumindest, inwiefern die unmittelbaren schriftlichen Beweise, denen nicht entgegengetreten wurde, in einem anderen Licht hätten gesehen werden können. Soweit die von der Klägerin geschlossenen Verträge Treue fördernden Charakter besitzen, hätte vor dem Hintergrund des in der angefochtenen Entscheidung angewandten Beweissystems keine Möglichkeit bestanden, dass das Verwaltungsverfahren aufgrund der Einsichtnahme in die fehlenden „Teilakten“ zu einem anderen Ergebnis geführt hätte (vgl. in diesem Sinne Urteil des Gerichts vom 15. März 2000, Cimenteries CBR u. a./Kommission, „Zement“, T‑25/95, T‑26/95, T‑30/95 bis T‑32/95, T‑34/95 bis T‑39/95, T‑42/95 bis T‑46/95, T‑48/95, T‑50/95 bis T‑65/95, T‑68/95 bis T‑71/95, T‑87/95, T‑88/95, T‑103/95 und T‑104/95, Slg. 2000, II‑491, Randnrn. 263 und 264 und die dort angeführte Rechtsprechung).

474    Was den Gruppenrabatt für Saint-Gobain betrifft, bestreitet die Klägerin weder die Existenz des Geheimprotokolls noch den Inhalt der vierten Klausel dieses Protokolls (siehe oben, Randnr. 349), und aus dem Wortlaut dieser Klausel ergibt sich, dass der Rabatt auf die „gesamten Natriumkarbonatmengen“, die Saint-Gobain in Europa von der Klägerin bezog, gewährt wurde (siehe oben, Randnr. 352). Unter diesen Umständen hätte die Klägerin dartun müssen, inwiefern andere Beweise den Inhalt des Geheimprotokolls hätten in Frage stellen oder zumindest in einem anderen Licht erscheinen lassen können.

475    Was das Vorbringen der Klägerin betrifft, das Geheimprotokoll habe die nationalen Tochtergesellschaften von Saint-Gobain nicht davon abgehalten, zu drohen, um vorteilhaftere Vertragsbedingungen auszuhandeln, oder sogar den Vertrag zu brechen, ist oben in Randnr. 357 festgestellt worden, dass es ins Leere geht. Auch wenn die verlorenen „Teilakten“ Schriftstücke enthalten, die dieses Vorbringen stützen, könnte dies für die Verteidigung der Klägerin nicht von Nutzen sein.

476    Was die ausdrücklichen Ausschließlichkeitsvereinbarungen betrifft, hat sich die Kommission auf direkte schriftliche Beweise gestützt, und die Klägerin hat nicht erläutert, inwiefern die in den fehlenden „Teilakten“ enthaltenen Schriftstücke das Vorliegen von Ausschließlichkeitsvereinbarungen hätten in Frage stellen oder die schriftlichen Beweise in einem anderen Licht hätten erscheinen lassen können.

477    Was die De-facto-Ausschließlichkeit betrifft, bestreitet die Klägerin in Bezug auf die mit verschiedenen Glasherstellern geschlossenen Vereinbarungen nicht die Feststellungen in der angefochtenen Entscheidung (siehe oben, Randnr. 376).

478    Was die Wettbewerbsklauseln betrifft, bestreitet die Klägerin nicht deren Existenz, und sie beruft sich zu Unrecht darauf, dass die Kommission solche Klauseln 1981 akzeptiert habe (siehe oben, Randnrn. 388 bis 390). Was darüber hinaus die Schutzklauseln betrifft, ist das Vorbringen der Klägerin, die Kommission habe diese Klauseln mit Wettbewerbsklauseln gleichgesetzt, sachlich unzutreffend (siehe oben, Randnr. 391).

479    Es kann somit ausgeschlossen werden, dass die Klägerin in den fehlenden „Teilakten“ Schriftstücke hätte finden können, die für ihre Verteidigung zu diesen Punkten hätten nützlich sein können.

480    Was schließlich den diskriminierenden Charakter der ihr zur Last gelegten Verhaltensweisen betrifft, gehen die von der Klägerin zu dessen Widerlegung vorgebrachten Argumente ins Leere.

481    Somit ist nicht nachgewiesen, dass die Klägerin nicht die Möglichkeit hatte, sämtliche Schriftstücke in der Ermittlungsakte, die für ihre Verteidigung sachdienlich sein konnten, zu prüfen. Selbst wenn die Klägerin nicht alle Schriftstücke, die sich in der Ermittlungsakte befanden, einsehen konnte, hat dieser Umstand sie im vorliegenden Fall nicht daran gehindert, ihre Verteidigung in Bezug auf die Sachrügen, die die Kommission in der Mitteilung der Beschwerdepunkte und in der angefochtenen Entscheidung herangezogen hat, sicherzustellen.

482    Somit ist die angefochtene Entscheidung unter den Umständen des vorliegenden Falles nicht deshalb für nichtig zu erklären, weil fünf „Teilakten“, die die Klägerin nie einsehen konnte, aus der Akte verschwunden sind. Folglich ist der dritte Teil des sechsten Klagegrundes und somit der sechste Klagegrund insgesamt zurückzuweisen.

 2. Zu den Anträgen auf Aufhebung oder Herabsetzung der Geldbuße

483    Die Anträge der Klägerin auf Aufhebung oder Herabsetzung der Geldbuße gliedern sich im Wesentlichen in fünf Klagegründe, mit denen erstens eine fehlerhafte Beurteilung der Schwere der Zuwiderhandlungen, zweitens eine fehlerhafte Beurteilung der Dauer der Zuwiderhandlungen, drittens das Vorliegen mildernder Umstände, viertens die Unverhältnismäßigkeit der Geldbuße und fünftens der Zeitablauf geltend gemacht werden.

 Zum ersten Klagegrund: fehlerhafte Beurteilung der Schwere der Zuwiderhandlungen

 Vorbringen der Parteien

484    Die Klägerin trägt vor, die Kommission müsse die Leitlinien für das Verfahren zur Festsetzung von Geldbußen, die gemäß Art. 15 Abs. 2 der Verordnung Nr. 17 und gemäß Art. 65 Abs. 5 EGKS-Vertrag festgesetzt werden (ABl. 1998, C 9, S. 3, im Folgenden: Leitlinien für das Verfahren zur Festsetzung von Geldbußen), beachten. Da jedoch im vorliegenden Fall der Sachverhalt vor deren Erlass gelegen habe, sei die Kommission im Prinzip nicht verpflichtet gewesen, sie zu berücksichtigen, mit zwei Ausnahmen: zum einen, wenn diese Leitlinien die Grundsätze der Kommissionspraxis wiedergäben, und zum anderen, wenn sie zu einer Milderung der Politik der Kommission in Bezug auf die Festsetzung der Höhe der Geldbuße führten.

485    Was die Geldbuße betrifft, die in der angefochtenen Entscheidung gegen sie festgesetzt wurde, führt die Klägerin mehrere Argumente gegen deren Höhe an.

486    Erstens habe sie ihre Wettbewerber nie aller Absatzmöglichkeiten beraubt, da ihr Marktanteil auf den relevanten nationalen Märkten deutlich weniger als 100 % betragen habe. Außerdem habe die Laufzeit der mit ihren Abnehmern geschlossenen Verträge maximal zwei Jahre betragen, was offensichtlich keine lange Laufzeit gewesen sei; dies sei von der Kommission 1981 anerkannt worden. Außerdem sei nicht bewiesen worden, dass sich die mutmaßlich missbräuchlichen Praktiken negativ auf die Verbraucher ausgewirkt hätten.

487    Zweitens habe die Kommission bei ihrer Bezugnahme in der angefochtenen Entscheidung auf die Zuwiderhandlungen gegen Art. 81 EG, was sie betreffe, nicht berücksichtigt, dass nach der Nichtigerklärung der Entscheidung 91/297 durch das Urteil Solvay I (oben in Randnr. 35 angeführt) keine neue Entscheidung nach Art. 81 EG erlassen worden sei.

488    Drittens hätten einige ihrer hochrangigen Führungskräfte nach einem Hinweis auf die Verpflichtung, das Wettbewerbsrecht der Gemeinschaft zu beachten, geglaubt, dieser Verpflichtung dadurch nachkommen zu können, dass sie die Anweisungen beachteten, die sich aus den Verhandlungen mit der Kommission im Jahr 1981 ergeben hätten. Außerdem sei in den Erwägungsgründen 192 und 193 der angefochtenen Entscheidung ein Widerspruch enthalten, soweit die Kommission zum einen ausgeführt habe, dass sie nur die Treuerabatte und die inoffiziellen Ausschließlichkeitsvereinbarungen berücksichtigt habe und dass die Klägerin zu der Annahme berechtigt gewesen sei, dass die Wettbewerbsklauseln, die Verträge über Mengen mit einer Abweichung von etwa 15 % und die unbefristeten Verträge mit einer zweijährigen Kündigungsfrist im Jahr 1981 akzeptiert worden seien, und zum anderen die Ansicht vertreten habe, dass diese Bestimmungen in der Praxis geholfen hätten, die Ausschließlichkeit der Klägerin zu stärken.

489    Viertens können nach Ansicht der Klägerin die früher verhängten hohen Geldbußen wegen Absprachen in der Chemieindustrie nicht als erschwerender Umstand für sie angesehen werden. Nach den Leitlinien für das Verfahren zur Festsetzung von Geldbußen setze ein Wiederholungsfall nämlich gleichartige Verstöße voraus. Sie sei aber von der Kommission niemals wegen Missbrauchs einer beherrschenden Stellung zur Rechenschaft gezogen worden.

490    Die Kommission tritt dem Vorbringen der Klägerin entgegen.

 Würdigung durch das Gericht

491    Vorab ist darauf hinzuweisen, dass die Kommission zwar bei der Festsetzung der einzelnen Geldbußen über ein Ermessen verfügt, ohne verpflichtet zu sein, eine genaue mathematische Formel anzuwenden; das Gericht hat jedoch gemäß Art. 17 der Verordnung Nr. 17 bei Klagen gegen Entscheidungen der Kommission, in denen eine Geldbuße festgesetzt ist, die Befugnis zu unbeschränkter Nachprüfung im Sinne von Art. 229 EG und kann somit die verhängte Geldbuße aufheben, herabsetzen oder erhöhen (Urteile des Gerichts vom 29. April 2004, Tokai Carbon u. a./Kommission, T‑236/01, T‑239/01, T‑244/01 bis T‑246/01, T‑251/01 und T‑252/01, Slg. 2004, II‑1181, Randnr. 165, und vom 13. Dezember 2006, FNCBV u. a./Kommission, T‑217/03 und T‑245/03, Slg. 2006, II‑4987, Randnr. 358).

492    Erstens ist hinsichtlich der Anwendung der Leitlinien für das Verfahren zur Festsetzung von Geldbußen daran zu erinnern, dass die Entscheidung 91/299 wegen eines Verfahrensfehlers für nichtig erklärt worden war und die Kommission deshalb ohne Einleitung eines neuen Verwaltungsverfahrens zum Erlass einer neuen Entscheidung berechtigt war.

493    Da der Inhalt der angefochtenen Entscheidung nahezu identisch ist mit dem der Entscheidung 91/299 und diese beiden Entscheidungen auf die gleichen Gründe gestützt werden, unterliegt die angefochtene Entscheidung bei der Festsetzung der Höhe der Geldbuße den Regeln, die beim Erlass der Entscheidung 91/299 galten.

494    Die Kommission hat nämlich das Verfahren in dem Stadium wieder aufgenommen, in dem der Verfahrensfehler begangen wurde, und hat, ohne den Fall im Licht von Regeln, die beim Erlass der Entscheidung 91/299 nicht existierten, neu zu beurteilen, eine neue Entscheidung erlassen. Bei dem Erlass einer neuen Entscheidung ist naturgemäß die Anwendung von Leitlinien, die nach dem erstmaligen Erlass ergangen sind, ausgeschlossen.

495    Somit sind die Leitlinien für das Verfahren zur Festsetzung von Geldbußen im vorliegenden Fall nicht anwendbar.

496    Zweitens war die Kommission der Ansicht, dass es sich bei den der Klägerin vorgeworfenen Zuwiderhandlungen, nämlich den Treuerabatten und den inoffiziellen Ausschließlichkeitsvereinbarungen, um „äußerst schwere Verstöße“ gehandelt habe (Erwägungsgründe 191 bis 193 der angefochtenen Entscheidung).

497    Nach der Rechtsprechung ist die Höhe der Geldbußen nach Maßgabe der Umstände des Verstoßes und seiner Schwere abzustufen, und die Schwere des Verstoßes ist für die Zwecke der Festsetzung des Betrags der Geldbuße namentlich unter Berücksichtigung der Art der erreichten Wettbewerbsbeschränkungen zu würdigen (vgl. Urteil des Gerichts vom 23. Februar 1994, CB und Europay/Kommission, T‑39/92 und T‑40/92, Slg. 1994, II‑49, Randnr. 143 und die dort angeführte Rechtsprechung).

498    Somit kann die Kommission bei der Beurteilung der Schwere der einem Unternehmen zuzurechnenden Zuwiderhandlungen gegen das Wettbewerbsrecht der Gemeinschaft zur Bestimmung der Höhe der Geldbuße, die dazu in einem angemessenen Verhältnis steht, folgende Gesichtspunkte berücksichtigen: die besonders lange Dauer bestimmter Zuwiderhandlungen, Zahl und Vielfalt der Zuwiderhandlungen, die alle oder nahezu alle Produkte des in Rede stehenden Unternehmens betrafen und von denen einige alle Mitgliedstaaten berührten, die besondere Schwere der Zuwiderhandlungen, die außerdem Teil einer planmäßigen und zusammenhängenden Strategie waren, die darauf abzielte, durch verschiedene Verdrängungspraktiken gegenüber den Wettbewerbern und durch eine Politik der Bindung der Kunden die beherrschende Stellung des Unternehmens auf Märkten, auf denen der Wettbewerb bereits eingeschränkt war, künstlich aufrechtzuerhalten oder zu verstärken, die besonders schädlichen Auswirkungen der Missbräuche im Bereich des Wettbewerbs und den Vorteil, den das Unternehmen aus seinen Zuwiderhandlungen gezogen hat (vgl. in diesem Sinne Urteil des Gerichts vom 6. Oktober 1994, Tetra Pak/Kommission, T‑83/91, Slg. 1994, II‑755, Randnrn. 240 und 241).

499    Im vorliegenden Fall rechtfertigten die der Klägerin vorgeworfenen Verhaltensweisen die von der Kommission vorgenommene Einstufung als „äußerst schwer“.

500    Durch die Gewährung von Rabatten für Spitzenmengen an ihre Abnehmer und durch den Abschluss von Treuevereinbarungen mit diesen hat die Klägerin ihre beherrschende Stellung auf dem fraglichen Markt, auf dem der Wettbewerb bereits eingeschränkt war, künstlich aufrechterhalten oder verstärkt.

501    Im Übrigen erlaubt keines der von der Klägerin vorgetragenen Argumente die Annahme, die Kommission habe die Schwere der Zuwiderhandlungen falsch beurteilt.

502    Was erstens den Vorwurf betrifft, die Klägerin habe ihre Wettbewerber aller Absatzmöglichkeiten beraubt, ist zunächst festzustellen, dass sie durch ihre Politik der Bindung der Abnehmer ihre Wettbewerber vom Markt ausschließen wollte. Insoweit kann aufgrund der Tatsache, dass ihr Marktanteil geringer war als 100 %, nicht angenommen werden, ihr Verhalten habe keine ausschließende Wirkung gehabt.

503    Ferner brauchte die Kommission die negativen Auswirkungen der Praktiken der Klägerin auf die Verbraucher nicht speziell nachzuweisen. Bei Vorliegen einer Zuwiderhandlung gegen Art. 82 EG ist es nämlich nicht erforderlich, zu prüfen, ob das fragliche Verhalten einen Schaden für die Verbraucher verursacht hat (vgl. in diesem Sinne Urteil des Gerichtshofs vom 15. März 2007, British Airways/Kommission, C‑95/04 P, Slg. 2007, I‑2331, Randnrn. 106 und 107 und die dort angeführte Rechtsprechung).

504    Was zweitens die Bezugnahme auf Art. 81 EG betrifft, hat die Kommission im 191. Erwägungsgrund der angefochtenen Entscheidung nur darauf hingewiesen, dass die vorgeworfenen Verstöße unter den besonderen Umständen dieses Falles schwerer wiegen als die Verstöße gegen Art. 81 EG, die der Klägerin ebenfalls vorgeworfen werden. Die Kommission hat somit keineswegs verkannt, dass die Verstöße gegen Art. 82 EG und die Verstöße gegen Art. 81 EG voneinander unabhängig sind und dass sie deshalb unterschiedlich behandelt werden müssen.

505    Was drittens die von der Klägerin vorgenommene Anpassung ihrer Verträge und den behaupteten Widerspruch im 193. Erwägungsgrund der angefochtenen Entscheidung betrifft, genügt die Feststellung, dass die gegen die Klägerin festgesetzte Geldbuße nicht die Bestimmungen betrifft, die die Kommission im Jahr 1982 akzeptiert hatte.

506    Was viertens den Wiederholungsfall betrifft, hat die Kommission in Beantwortung einer schriftlichen Frage des Gerichts bestätigt, dass der im 194. Erwägungsgrund der angefochtenen Entscheidung erhobene Vorwurf, gegen die Klägerin seien wiederholt erhebliche Geldbußen wegen unzulässiger Absprachen in der chemischen Industrie (Peroxide, Polypropylen, PVC) festgesetzt worden, einen erschwerenden Umstand darstellt.

507    Insoweit ist nach der Rechtsprechung bei der Prüfung der Schwere der Zuwiderhandlung auch ein etwaiger Wiederholungsfall zu berücksichtigen (Urteil Aalborg Portland u. a./Kommission, oben in Randnr. 405 angeführt, Randnr. 91, und Urteil des Gerichts vom 25. Oktober 2005, Groupe Danone/Kommission, T‑38/02, Slg. 2005, II‑4407, Randnr. 348).

508    Der Begriff des Wiederholungsfalls wird in einigen nationalen Rechtsordnungen so verstanden, dass jemand neue Zuwiderhandlungen begeht, nachdem ähnliche von ihm begangene Zuwiderhandlungen geahndet worden waren (Urteil des Gerichts vom 11. März 1999, Thyssen Stahl/Kommission, T‑141/94, Slg. 1999, II‑347, Randnr. 617).

509    Die Leitlinien für das Verfahren zur Festsetzung von Geldbußen gehen, auch wenn sie auf den vorliegenden Rechtsstreit nicht anwendbar sind, in dieselbe Richtung, indem sie auf einen „gleichartigen Verstoß“ verweisen.

510    Die Zuwiderhandlungen, für die gegen die Klägerin wiederholt erhebliche Geldbußen wegen unzulässiger Absprachen in der chemischen Industrie festgesetzt worden sind, stehen alle mit Art. 81 EG im Zusammenhang. Wie die Kommission erläutert hat, geht es nämlich um ihre Entscheidung 85/74/EWG vom 23. November 1984 betreffend ein Verfahren nach Artikel [81 EG] (IV/30.907 – Peroxyd-Produkte) (ABl. 1985, L 35, S. 1), ihre Entscheidung 86/398/EWG vom 23. April 1986 betreffend ein Verfahren nach Artikel [81 EG] (IV/31.149 – Polypropylen) (ABl. L 230, S. 1) und schließlich ihre Entscheidung 89/190/EWG vom 21. Dezember 1988 betreffend ein Verfahren nach Artikel [81 EG] (IV/31.865, PVC) (ABl. 1989, L 74, S. 1). Außerdem unterscheiden sich die Praktiken, die Gegenstand der in der vorstehenden Randnummer genannten Entscheidungen waren, erheblich von denjenigen, die im vorliegenden Fall in Rede stehen.

511    Da die Kommission somit zu Unrecht einen erschwerenden Umstand gegenüber der Klägerin herangezogen hat, ist die angefochtene Entscheidung abzuändern und die festgesetzte Geldbuße um 5 % herabzusetzen.

512    Dementsprechend ist die Geldbuße um 1 Mio. Euro herabzusetzen.

 Zum zweiten Klagegrund: fehlerhafte Beurteilung der Dauer der Zuwiderhandlung

 Vorbringen der Parteien

513    Die Klägerin legt dar, dass es von ihrer Seite keinerlei zentrale Politik gegeben habe und die Vertragsbedingungen auf nationaler Ebene festgelegt worden seien, so dass die Kommission den geografischen Umfang der behaupteten Zuwiderhandlungen habe berücksichtigen müssen, wodurch sie im Ergebnis zu einer unterschiedlichen Dauer der Zuwiderhandlungen für jeden der betroffenen Staaten gelangt wäre. Eine solche Berücksichtigung hätte sich auch auf die Höhe der Geldbuße ausgewirkt, insbesondere im Hinblick auf den zu berücksichtigenden Umsatz.

514    Die Kommission tritt dem Vorbringen der Klägerin entgegen.

 Würdigung durch das Gericht

515    Nach dem 195. Erwägungsgrund der angefochtenen Entscheidung begannen die Zuwiderhandlungen etwa 1983 – kurz nach den Verhandlungen zwischen der Klägerin und der Kommission und der Einstellung des Verfahrens durch die Kommission – und wurden mindestens bis Ende 1990 fortgesetzt.

516    Außerdem hat die Kommission den räumlich relevanten Markt so definiert, dass er von gemeinschaftsweiter Dimension sei.

517    Somit hatte die Kommission die Dauer der Zuwiderhandlungen nicht anhand einer Prüfung für jeden einzelnen Staat zu bestimmen. Wie erforderlich, hat sie den Zeitpunkt des Beginns und des Endes der Zuwiderhandlungen auf dem räumlich relevanten Markt, nämlich dem gesamten westeuropäischen Kontinent, festgelegt.

518    Jedenfalls hätte die Kommission, wenn sie bei der Dauer der Zuwiderhandlungen eine Unterscheidung nach verschiedenen nationalen Märkten hätte vornehmen müssen, mehrere Geldbußen verhängt, deren Gesamthöhe nicht unter der in der angefochtenen Entscheidung festgesetzten Höhe gelegen hätte. Somit würde ein eventueller Irrtum der Kommission bei der Definition des räumlich relevanten Marktes weder die Nichtigerklärung der angefochtenen Entscheidung noch eine Herabsetzung der Geldbuße rechtfertigen.

519    Der zweite Klagegrund ist somit zurückzuweisen.

 Zum dritten Klagegrund: Vorliegen mildernder Umstände

520    Der dritte Klagegrund ist in fünf Teile untergliedert, mit denen das Nichtvorliegen eines Wiederholungsfalls, die Zusammenarbeit der Klägerin mit der Kommission, der Schutz des berechtigten Vertrauens und des guten Glaubens der Klägerin, der Grundsatz der Rechtssicherheit und die „überraschende Haltung“ der Kommission geltend gemacht werden.

 Zum ersten Teil: kein Wiederholungsfall

521    Die Klägerin trägt vor, dass die Kommission nie ein Verfahren nach Art. 82 EG gegen sie durchgeführt habe.

522    Was dies angeht, muss bei der Prüfung der Schwere der begangenen Zuwiderhandlung, wie oben ausgeführt worden ist, ein eventueller Wiederholungsfall berücksichtigt werden, da dieser eine Erhöhung der Geldbuße rechtfertigen kann.

523    Dagegen kann das Nichtvorliegen eines Wiederholungsfalls keinen mildernden Umstand darstellen, da ein Unternehmen grundsätzlich nicht gegen Art. 82 EG verstoßen darf.

524    Somit ist der erste Teil des dritten Klagegrundes zurückzuweisen.

 Zum zweiten Teil: Zusammenarbeit der Klägerin mit der Kommission

525    Die Klägerin macht geltend, sie habe sowohl bei den Besuchen der Kommission in ihren Geschäftsräumen als auch durch die Beantwortung der Auskunftsverlangen an der Untersuchung mitgewirkt.

526    Art. 11 („Auskunftsverlangen“) der Verordnung Nr. 17 lautet:

„4. Zur Erteilung der Auskunft sind die Inhaber der Unternehmen oder deren Vertreter, bei juristischen Personen, Gesellschaften und nicht rechtsfähigen Vereinen die nach Gesetz oder Satzung zur Vertretung berufenen Personen, verpflichtet.

5. Wird eine von Unternehmen oder Unternehmensvereinigungen verlangte Auskunft innerhalb einer von der Kommission festgesetzten Frist nicht oder nicht vollständig erteilt, so fordert die Kommission die Auskunft durch Entscheidung an. Die Entscheidung bezeichnet die geforderten Auskünfte, bestimmt eine angemessene Frist zur Erteilung der Auskünfte und weist auf die in Artikel 15 Absatz (1) Buchstabe b) und Artikel 16 Absatz (1) Buchstabe c) vorgesehenen Zwangsmaßnahmen sowie auf das Recht hin, vor dem Gerichtshof gegen die Entscheidung Klage zu erheben.“

527    Nach ständiger Rechtsprechung rechtfertigt eine Mitwirkung an der Untersuchung, die nicht über das hinausgeht, wozu die Unternehmen nach Art. 11 Abs. 4 und 5 der Verordnung Nr. 17 verpflichtet sind, keine Herabsetzung der Geldbuße (Urteile des Gerichts vom 10. März 1992, Solvay/Kommission, T‑12/89, Slg. 1992, II‑907, Randnrn. 341 und 342, und vom 18. Juli 2005, Scandinavian Airlines System/Kommission, T‑241/01, Slg. 2005, II‑2917, Randnr. 218). Dagegen ist eine solche Herabsetzung gerechtfertigt, wenn das Unternehmen Auskünfte gegeben hat, die weit über das hinausgehen, was die Kommission gemäß Art. 11 der Verordnung Nr. 17 verlangen kann (Urteil des Gerichts vom 9. Juli 2003, Daesang und Sewon Europe/Kommission, T‑230/00, Slg. 2003, II‑2733, Randnr. 137).

528    Im vorliegenden Fall trägt die Klägerin aber nur vor, dass sie auf die an sie gerichteten Auskunftsverlangen geantwortet habe. Da dieses Verhalten zu den Pflichten der Klägerin gehört, kann es keinen mildernden Umstand darstellen.

529    Was die behauptete Zusammenarbeit der Klägerin mit der Kommission bei den Besuchen in ihren Geschäftsräumen anbelangt, gehört dieses Verhalten ebenfalls zu den Pflichten des Unternehmens und kann keinen mildernden Umstand darstellen.

530    Somit ist der zweite Teil des dritten Klagegrundes zurückzuweisen.

 Zum dritten Teil: Schutz des berechtigten Vertrauens und des guten Glaubens der Klägerin

531    Die Klägerin führt aus, dass sie nach den Verhandlungen im ersten Verfahren im Jahr 1981 der Meinung gewesen sei, ihre Verträge in der überarbeiteten Form und ihre Handelspolitik entsprächen den Anforderungen der Kommission. Die Diskussionen, die 1981 stattgefunden hätten, belegten ihren guten Glauben, da sie ihre gesamten Verträge geändert habe, um sie mit den damaligen Bemerkungen der Kommission in Einklang zu bringen.

532    Außerdem sei sie nach dem Urteil der Cour d’appel de Liège vom 20. Oktober 1989 in der Rechtssache FMC zu der Annahme berechtigt gewesen, dass sie keine beherrschende Stellung innegehabt habe.

533    Was zunächst die Verhandlungen aus der Zeit zwischen 1980 und 1982 anbelangt, betrifft die gegen die Klägerin verhängte Geldbuße, wie im 193. Erwägungsgrund der angefochtenen Entscheidung klargestellt wird, nicht die 1982 von der Kommission akzeptierten Bestimmungen.

534    Sodann kann das auf das Urteil der Cour d’appel de Liège vom 20. Oktober 1989 gestützte Vorbringen nicht durchgreifen. In der Rechtssache, die zu diesem Urteil geführt hat, hat die Cour d’appel de Liège nämlich nicht in der Sache darüber entschieden, ob eine beherrschende Stellung der Klägerin vorlag.

535    Somit ist der dritte Teil des dritten Klagegrundes zurückzuweisen.

 Zum vierten Teil: Grundsatz der Rechtssicherheit

536    Nach Ansicht der Klägerin hätte die Ungewissheit des Begriffs „beherrschende Stellung“ und seiner Anwendung auf ihre Situation mit Rücksicht auf die Angemessenheit ihres Marktanteils, das Ausgleichsvermögen ihrer Abnehmer und ihre relative Marktmacht bei der Festsetzung der Höhe der Geldbuße berücksichtigt werden müssen.

537    Insoweit ist zunächst darauf hinzuweisen, dass es bereits eine gefestigte Rechtsprechung zur Bestimmung der beherrschenden Stellung eines Unternehmens auf dem Gemeinschaftsmarkt gab. Insbesondere im Urteil Hoffmann-La Roche/Kommission (oben in Randnr. 275 angeführt) hat der Gerichtshof den Begriff „beherrschende Stellung“ genau definiert. In Randnr. 38 dieses Urteils wird nämlich erläutert, dass mit der beherrschenden Stellung im Sinne von Art. 82 EG die wirtschaftliche Machtstellung eines Unternehmens gemeint ist, die dieses in die Lage versetzt, die Aufrechterhaltung eines wirksamen Wettbewerbs auf dem relevanten Markt zu verhindern, indem sie ihm die Möglichkeit verschafft, sich seinen Wettbewerbern, seinen Abnehmern und letztlich den Verbrauchern gegenüber in einem nennenswerten Umfang unabhängig zu verhalten.

538    Weiter trägt die Klägerin selbst vor, dass ihre Marktanteile sich im Wesentlichen bei circa 50 % bewegten, wenn es sich um nationale Märkte handele, und zwischen 60 % und 70 %, wenn es sich um den europäischen Markt handele. Folglich besaß sie im Licht der oben in Randnr. 277 angeführten Rechtsprechung besonders hohe Marktanteile, die – von außergewöhnlichen Umständen abgesehen – den Beweis für das Vorliegen einer beherrschenden Stellung erbrachten.

539    Folglich ist der vierte Teil des dritten Klagegrundes zurückzuweisen.

 Zum fünften Teil: „überraschende Haltung“ der Kommission

540    Die Klägerin trägt vor, die Kommission habe 1981 Verhaltensweisen zugelassen, die seitdem als äußerst schwere Verstöße angesehen würden. Somit habe die Kommission ihren Standpunkt ohne Erklärungen geändert.

541    Insoweit genügt der Hinweis, dass die Kommission im 193. Erwägungsgrund der angefochtenen Entscheidung zwischen den Praktiken, die sie in der vorliegenden Rechtssache geahndet hat, und denjenigen unterscheidet, die sie 1982 akzeptiert hatte und für die sie keine Geldbuße festgesetzt hat.

542    Folglich ist der fünfte Teil des dritten Klagegrundes und damit der dritte Klagegrund insgesamt zurückzuweisen.

 Zum vierten Klagegrund: Unverhältnismäßigkeit der Geldbuße

543    Die Klägerin macht geltend, die Kommission habe ihr eine unverhältnismäßig hohe Geldbuße auferlegt. Es handele sich um einen für die Verhältnisse der Zeit, in der sich das zur Last gelegte Verhalten ereignet habe, „exorbitant“ hohen Betrag. Die Kommission hätte zum einen mildernde Umstände berücksichtigen müssen, insbesondere ihren guten Glauben, ihr berechtigtes Vertrauen und ihre Rechtssicherheit. Zum anderen hätte die Kommission den Umsatz ihrer Tätigkeiten berücksichtigen müssen, die tatsächlich von der angefochtenen Entscheidung betroffen gewesen seien, nämlich die Tätigkeiten in Frankreich, Deutschland und Belgien.

544    In dieser Hinsicht ist darauf hinzuweisen, dass die Kommission die der Klägerin vorgeworfenen Verstöße zu Recht als „äußerst schwere“ Verstöße angesehen hat. Im 191. Erwägungsgrund der angefochtenen Entscheidung hat sie insbesondere darauf hingewiesen, dass die Klägerin die führende Sodaherstellerin in der Gemeinschaft gewesen sei und die Zuwiderhandlungen ihr erlaubt hätten, ihre marktbeherrschende Stellung durch Ausschaltung des tatsächlichen Wettbewerbs in einem großen Teil des Gemeinsamen Marktes zu festigen, und dass die Klägerin dadurch, dass sie ihre Wettbewerber auf lange Zeit aller Absatzmöglichkeiten beraubt habe, die Marktstruktur zum Nachteil der Verbraucher nachhaltig beeinträchtigt habe.

545    Somit war die Kommission berechtigt, der Klägerin eine Geldbuße in Höhe von 20 Mio. Euro aufzuerlegen.

546    Rein informatorisch sei angemerkt, dass die Leitlinien für das Verfahren zur Festsetzung von Geldbußen, auch wenn sie im vorliegenden Fall nicht anwendbar sind, bei „schweren“ Verstößen Ausgangsbeträge von 1 Mio. Euro bis 20 Mio. Euro für die Festsetzung der voraussichtlichen Geldbuße vorsehen.

547    Hinsichtlich des Vorliegens mildernder Umstände genügt die Feststellung, dass das Vorbringen der Klägerin oben in den Randnrn. 536 bis 542 zurückgewiesen worden ist.

548    Hinsichtlich der Berücksichtigung des Ortes der Zuwiderhandlungen ergibt sich aus der Rechtsprechung, dass unter dem Umsatz, auf den sich Art. 15 Abs. 2 der Verordnung Nr. 17 zur Bestimmung der Obergrenze, bis zu der eine Geldbuße verhängt werden kann, bezieht, der Gesamtumsatz des betroffenen Unternehmens zu verstehen ist, da nur dieser einen ungefähren Anhaltspunkt für die Größe und den Einfluss dieses Unternehmens auf den Markt liefern kann. Die genannte Bestimmung der Verordnung Nr. 17 sieht keine räumliche Grenze für den erzielten Umsatz vor. Innerhalb der durch diese Bestimmung gezogenen Grenze kann die Kommission den Umsatz, den sie hinsichtlich des geografischen Gebietes und der betroffenen Produkte als Bemessungsgrundlage für die Festsetzung der Geldbuße heranziehen will, frei wählen (siehe Urteil Zement, oben in Randnr. 473 angeführt, Randnrn. 5022 und 5023 und die dort angeführte Rechtsprechung).

549    Folglich brauchte die Kommission im vorliegenden Fall bei der Festsetzung der Geldbuße kein räumliches Kriterium zu berücksichtigen.

550    Im Übrigen trägt die Klägerin nicht vor, dass die Kommission den Höchstbetrag der Geldbuße, der nach Art. 15 Abs. 2 der Verordnung Nr. 17 ihr gegenüber festgesetzt werden kann, überschritten hat.

551    Folglich ist der vierte Klagegrund zurückzuweisen.

 Zum fünften Klagegrund: Zeitablauf

552    Nach Ansicht der Klägerin hätte die Kommission berücksichtigen müssen, dass seit der Beendigung der behaupteten Zuwiderhandlungen mehr als elf Jahre vergangen seien. Für die Klägerin stellt sich die Frage der „Aktualität“ des Sanktionscharakters und der abschreckenden Wirkung der Geldbuße, da sie ihre Handelspolitik den Anforderungen der Kommission entsprechend angepasst habe. Sie sieht auch keine Rechtfertigungsmöglichkeit unter dem Aspekt der abschreckenden Wirkung der Geldbuße gegenüber dritten Unternehmen.

553    Zunächst ist festzustellen, dass die Kommission in der vorliegenden Rechtssache die Verordnung Nr. 2988/74 und den Grundsatz der angemessenen Verfahrensdauer beachtet hat. Somit kann der Kommission nicht vorgeworfen werden, die angefochtene Entscheidung verspätet erlassen zu haben.

554    Sodann ergibt sich aus der Rechtsprechung, dass die Kommission bei der Ermittlung des Betrags der Geldbußen wegen Zuwiderhandlung gegen das Wettbewerbsrecht nicht nur die Schwere der Zuwiderhandlung und die besonderen Umstände des Einzelfalls, sondern auch den Kontext der Zuwiderhandlung berücksichtigen und sicherstellen muss, dass ihr Vorgehen vor allem in Bezug auf solche Zuwiderhandlungen, die die Verwirklichung der Ziele der Gemeinschaft besonders beeinträchtigen, abschreckende Wirkung hat (Urteil des Gerichtshofs vom 7. Juni 1983, Musique Diffusion française u. a./Kommission, 100/80 bis 103/80, Slg. 1983, 1825, Randnr. 106, und Urteil des Gerichts vom 5. April 2006, Degussa/Kommission, T‑279/02, Slg. 2006, II‑897, Randnr. 272).

555    Somit kann eine Geldbuße, selbst wenn sie nach gewisser Zeit erneut verhängt wird, ihren Sanktionscharakter und ihre abschreckende Wirkung nicht verlieren, wenn erwiesen ist, dass das betroffene Unternehmen gegen das Wettbewerbsrecht verstoßen hat, insbesondere, wenn es sich wie im vorliegenden Fall um äußerst schwere Verstöße handelt.

556    Folglich ist der fünfte Klagegrund zurückzuweisen.

557    Im Ergebnis ist, wie sich aus den vorstehenden Randnrn. 507 bis 512 ergibt, die angefochtene Entscheidung insoweit abzuändern, als darin zu Unrecht zu Lasten der Klägerin der erschwerende Umstand eines Wiederholungsfalls berücksichtigt wird.

558    Infolgedessen wird der Betrag der gegen die Klägerin verhängten Geldbuße auf 19 Mio. Euro festgesetzt.

 Kosten

559    Nach Artikel 87 § 3 der Verfahrensordnung kann das Gericht die Kosten teilen oder beschließen, dass jede Partei ihre eigenen Kosten trägt, wenn jede Partei teils obsiegt und teils unterliegt.

560    Im vorliegenden Fall sind die Anträge der Klägerin für teilweise begründet erklärt worden. Das Gericht ist der Ansicht, dass bei angemessener Würdigung der Umstände des Einzelfalls der Klägerin ihre eigenen Kosten sowie 95 % der Kosten der Kommission und der Kommission 5 % ihrer eigenen Kosten aufzuerlegen sind.

Aus diesen Gründen hat

DAS GERICHT (Sechste Kammer)

für Recht erkannt und entschieden:

1.      Die in Art. 2 der Entscheidung 2003/6/EG der Kommission vom 13. Dezember 2000 in einem Verfahren nach Art. 82 [EG] (Sache COMP/33.133 – C: Natriumkarbonat – Solvay) gegen die Solvay SA verhängte Geldbuße wird auf 19 Mio. Euro festgesetzt.

2.      Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

3.      Die Klägerin trägt ihre eigenen Kosten und 95 % der Kosten der Europäischen Kommission.

4.      Die Kommission trägt 5 % ihrer eigenen Kosten.

Meij

Vadapalas

Dittrich

Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 17. Dezember 2009.

Unterschriften

Inhaltsverzeichnis


Sachverhalt

Verfahren

Anträge der Parteien

Rechtliche Würdigung

1. Zum Antrag auf Nichtigerklärung der angefochtenen Entscheidung

Zum ersten Klagegrund: Zeitablauf

Zum ersten Teil: fehlerhafte Anwendung der Verjährungsvorschriften

– Vorbringen der Parteien

– Würdigung durch das Gericht

Zum zweiten Teil: Verstoß gegen den Grundsatz der angemessenen Verfahrensdauer

– Vorbringen der Parteien

– Würdigung durch das Gericht

Zum zweiten Klagegrund: Verletzung wesentlicher Formvorschriften, die für den Erlass und die Feststellung der angefochtenen Entscheidung erforderlich sind

Erster Teil: Verstoß gegen das Kollegialprinzip

– Vorbringen der Parteien

– Würdigung durch das Gericht

Zum zweiten Teil: Verstoß gegen den Grundsatz der Rechtssicherheit

– Vorbringen der Parteien

– Würdigung durch das Gericht

Zum dritten Teil: Verletzung des Rechts der Klägerin, sich erneut zu äußern

– Vorbringen der Parteien

– Würdigung durch das Gericht

Zum vierten Teil: keine erneute Anhörung des Beratenden Ausschusses für Kartell- und Monopolfragen

– Vorbringen der Parteien

– Würdigung durch das Gericht

Zum fünften Teil: nicht ordnungsgemäße Zusammensetzung des Beratenden Ausschusses für Kartell- und Monopolfragen

– Vorbringen der Parteien

– Würdigung durch das Gericht

Zum sechsten Teil: Verwendung von in Besitz genommenen Unterlagen unter Verstoß gegen die Verordnung Nr. 17

– Vorbringen der Parteien

– Würdigung durch das Gericht

Zum achten Teil: Verstoß gegen die Grundsätze der Unparteilichkeit, der ordnungsgemäßen Verwaltung und der Verhältnismäßigkeit

– Vorbringen der Parteien

– Würdigung durch das Gericht

Zum dritten Klagegrund: fehlerhafte Definition des räumlichen Marktes

Vorbringen der Parteien

Würdigung durch das Gericht

Zum vierten Klagegrund: Fehlen einer beherrschenden Stellung

Vorbringen der Parteien

Würdigung durch das Gericht

Zum fünften Klagegrund: kein Missbrauch einer beherrschenden Stellung

Zum ersten Teil: Rabatte für Spitzenmengen

– Vorbringen der Parteien

– Würdigung durch das Gericht

Zum zweiten Teil: Gruppenrabatt für Saint-Gobain

– Vorbringen der Parteien

– Würdigung durch das Gericht

Zum dritten Teil: Ausschließlichkeitsvereinbarungen

– Vorbringen der Parteien

– Würdigung durch das Gericht

Zum vierten Teil: Wettbewerbsklauseln

– Vorbringen der Parteien

– Würdigung durch das Gericht

Zum fünften Teil: diskriminierender Charakter der vorgeworfenen Verhaltensweisen

– Vorbringen der Parteien

– Würdigung durch das Gericht

Zum sechsten Klagegrund: Verletzung des Rechts auf Akteneinsicht

Zum ersten Teil: fehlender Zugang zu belastenden Schriftstücken

– Vorbringen der Parteien

– Würdigung durch das Gericht

Zum zweiten Teil: Vorhandensein von für die Verteidigung nützlichen Schriftstücken unter den im Rahmen der prozessleitenden Maßnahmen eingesehenen Schriftstücken der Akte

– Zum räumlich relevanten Markt

– Zum fraglichen Produktmarkt

– Zum Vorliegen einer beherrschenden Stellung

– Zur missbräuchlichen Ausnutzung der beherrschenden Stellung

Zum dritten Teil: keine vollständige Akteneinsicht der Klägerin

– Vorbringen der Parteien

– Würdigung durch das Gericht

2. Zu den Anträgen auf Aufhebung oder Herabsetzung der Geldbuße

Zum ersten Klagegrund: fehlerhafte Beurteilung der Schwere der Zuwiderhandlungen

Vorbringen der Parteien

Würdigung durch das Gericht

Zum zweiten Klagegrund: fehlerhafte Beurteilung der Dauer der Zuwiderhandlung

Vorbringen der Parteien

Würdigung durch das Gericht

Zum dritten Klagegrund: Vorliegen mildernder Umstände

Zum ersten Teil: kein Wiederholungsfall

Zum zweiten Teil: Zusammenarbeit der Klägerin mit der Kommission

Zum dritten Teil: Schutz des berechtigten Vertrauens und des guten Glaubens der Klägerin

Zum vierten Teil: Grundsatz der Rechtssicherheit

Zum fünften Teil: „überraschende Haltung“ der Kommission

Zum vierten Klagegrund: Unverhältnismäßigkeit der Geldbuße

Zum fünften Klagegrund: Zeitablauf

Kosten


* Verfahrenssprache: Französisch.