Language of document : ECLI:EU:T:2020:510

URTEIL DES GERICHTS (Dritte Kammer)

28. Oktober 2020(*)

„Unionsmarke – Nichtigkeitsverfahren – Unionswortmarke TARGET VENTURES – Absoluter Nichtigkeitsgrund – Bösgläubigkeit – Art. 52 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung (EG) Nr. 207/2009 (jetzt Art. 59 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung [EU] 2017/1001)“

In der Rechtssache T‑273/19,

Target Ventures Group Ltd mit Sitz in Road Town (Britische Jungferninseln), Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwälte T. Dolde und P. Homann,

Klägerin,

gegen

Amt für geistiges Eigentum der Europäischen Union (EUIPO), vertreten durch P. Sipos und V. Ruzek als Bevollmächtigte,

Beklagter,

andere Beteiligte am Verfahren vor der Beschwerdekammer des EUIPO und Streithelferin im Verfahren vor dem Gericht:

Target Partners GmbH mit Sitz in München (Deutschland), Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwälte A. Klett und C. Mikyska,

betreffend eine Klage gegen die Entscheidung der Zweiten Beschwerdekammer des EUIPO vom 4. Februar 2019 (Sache R 1684/2017‑2) zu einem Nichtigkeitsverfahren zwischen Target Ventures Group und Target Partners

erlässt

DAS GERICHT (Dritte Kammer)

unter Mitwirkung des Präsidenten A. M. Collins, des Richters V. Kreuschitz und der Richterin G. Steinfatt (Berichterstatterin),

Kanzler: R. Ūkelytė, Verwaltungsrätin,

aufgrund der am 24. April 2019 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangenen Klageschrift,

aufgrund der am 19. Juli 2019 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangenen Klagebeantwortung des EUIPO,

aufgrund der am 17. Juli 2019 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangenen Klagebeantwortung der Streithelferin,

aufgrund der prozessleitenden Maßnahme vom 3. Dezember 2019 und der Antwort der Klägerin, die am 10. Dezember 2019 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen ist,

auf die mündliche Verhandlung vom 26. Juni 2020

folgendes

Urteil

 Vorgeschichte des Rechtsstreits

1        Die Streithelferin, die Target Partners GmbH mit Sitz in München (Deutschland), ist ein Risikokapitalfonds. Sie ist seit 2002 Inhaberin des Domainnamens „targetventures.com“ und seit 2009 des Domainnamens „targetventures.de“. Inhaltlich verwiesen die unter diesen Domainnamen registrierten Websites jedoch stets nur auf TARGET PARTNERS, das Zeichen, unter dem die Streithelferin ihre Dienstleistungen anbietet. Diese Seiten leiteten lediglich auf die offizielle Website der Streithelferin, „www.targetpartners.de“, weiter; tatsächlich zeigten sie deren Inhalt an.

2        Die Klägerin, die Target Ventures Group Ltd mit Sitz in Road Town (Britische Jungferninseln), ist nach ihren eigenen Angaben ebenfalls ein Risikokapitalfonds. Sie behauptet, unter dem Zeichen TARGET VENTURES seit 2012 auf dem russischen Risikokapitalmarkt und zumindest seit 8. März 2013 auf dem Markt der Europäischen Union tätig zu sein. Sie habe vom 23. Dezember 2013 bis 18. Dezember 2014 unter diesem Zeichen für fünf Unternehmen mit Sitz in der Union Finanzdienstleistungen erbracht und Geldgeschäfte getätigt. Als Gegenleistung für ihren Finanzbeitrag habe sie für ihre eigenen Anleger Beteiligungen an diesen Unternehmen erhalten. Mehrere spezialisierte Websites sowie die Websites dieser Unternehmen bezeugten diese Investitionen.

3        Zwei Partner der Klägerin bzw. eines unter dem Namen TARGET VENTURES tätigen Dritten sowie ein Vertreter der Streithelferin nahmen am 13. und 14. November 2014 in London (Vereinigtes Königreich) an einer renommierten Konferenz für den Investmentbereich teil. Am 13. November 2014 schickte der Vertreter eines Start-Up-Unternehmens auf der Suche nach Investoren zwei E‑Mails an diese drei Personen gemeinsam, wobei er sie mit ihren Vornamen anredete. Ihre E‑Mail-Adressen, die auf @targetpartners.de bzw. @targetventures.ru endeten, waren dabei sichtbar.

4        Am 27. Januar 2015 meldete die Streithelferin nach der Verordnung (EG) Nr. 207/2009 des Rates vom 26. Februar 2009 über die Unionsmarke (ABl. 2009, L 78, S. 1) in geänderter Fassung (ersetzt durch die Verordnung [EU] 2017/1001 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14. Juni 2017 über die Unionsmarke [ABl. 2017, L 154, S. 1]) beim Amt der Europäischen Union für geistiges Eigentum (EUIPO) eine Unionsmarke an. Bei der angemeldeten Marke handelt es sich um das Wortzeichen TARGET VENTURES (im Folgenden: angegriffene Marke).

5        Die Marke wurde für folgende Dienstleistungen der Klassen 35 und 36 im Sinne des Abkommens von Nizza über die internationale Klassifikation von Waren und Dienstleistungen für die Eintragung von Marken vom 15. Juni 1957 in revidierter und geänderter Fassung angemeldet:

–        Klasse 35: „Werbung, Geschäftsführung, Unternehmensverwaltung, Unternehmensberatung, Büroarbeiten“;

–        Klasse 36: „Finanzwesen, Geldgeschäfte; hiervon ausgenommen sind Zahlungssysteme und elektronische Kommunikations-Systeme im Zusammenhang mit Zahlungen oder Zahlungsanweisungen“.

6        Die Anmeldung wurde im Blatt für Gemeinschaftsmarken Nr. 33/2015 vom 18. Februar 2015 veröffentlicht. Die angegriffene Marke wurde am 28. Mai 2015 unter der Nr. 13685565 eingetragen.

7        Nachdem die Streithelferin durch die E‑Mail eines Kunden vom 7. Juli 2015 informiert worden war, dass dieser sie mit der Klägerin, die am 16. Juli 2016 in Berlin (Deutschland) eine Werbeveranstaltung durchgeführt hatte, verwechselt haben soll, übersandte sie der Klägerin eine Abmahnung und beantragte anschließend beim Landgericht Berlin (Deutschland) eine einstweilige Verfügung. Diesen Antrag zog sie zurück, nachdem der Vorsitzende des zuständigen Spruchkörpers Vorbehalte geäußert hatte.

8        Am 13. Juli 2015 stellte die Klägerin einen Antrag auf Nichtigerklärung der angegriffenen Marke nach Art. 52 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 207/2009 (jetzt Art. 59 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung 2017/1001) für alle oben in Rn. 5 angeführten Dienstleistungen.

9        Am 25. Mai 2017 wies die Nichtigkeitsabteilung den Antrag auf Nichtigerklärung in vollem Umfang zurück.

10      Am 28. Juli 2017 legte die Klägerin beim EUIPO gemäß den Art. 58 bis 64 der Verordnung Nr. 207/2009 (jetzt Art. 66 bis 71 der Verordnung 2017/1001) Beschwerde gegen die Entscheidung der Nichtigkeitsabteilung ein.

11      Mit Entscheidung vom 4. Februar 2019 (im Folgenden: angefochtene Entscheidung) wies die Zweite Beschwerdekammer des EUIPO die Beschwerde der Klägerin zurück, wobei sie feststellte, dass die Beschwerdeführerin die Bösgläubigkeit der Streithelferin bei der Anmeldung der angegriffenen Marke nicht nachgewiesen habe.

12      Zur Begründung führte die Beschwerdekammer erstens aus, dass die Klägerin kein rechtliches Interesse nachzuweisen brauche, um rechtliche Schritte einzuleiten, weil ein auf den absoluten Nichtigkeitsgrund nach Art. 59 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung 2017/1001 gestützter Antrag auf Nichtigerklärung von jeder natürlichen oder juristischen Person gestellt werden könne; es sei daher unerheblich, dass sich anhand der von der Klägerin vorgelegten Dokumente nicht feststellen lasse, wer tatsächlich unter dem Zeichen TARGET VENTURES tätig gewesen sei.

13      Zweitens bestätigte die Beschwerdekammer die Schlussfolgerungen der Nichtigkeitsabteilung, wonach die Klägerin nicht nachgewiesen habe, dass der Streithelferin die von ihr oder einem unter dem Zeichen TARGET VENTURES tätigen Dritten in der Union angebotenen Dienstleistungen bekannt gewesen seien. Die Klägerin habe auch keine vermutete Kenntnis der Streithelferin von ihren Tätigkeiten dargetan. Die Nutzung des Zeichens TARGET VENTURES durch die Klägerin oder einen Dritten in Europa sei nicht in einem derartigen Umfang erfolgt, dass vernünftigerweise angenommen werden könne, dass dieses Zeichen zu dem Zeitpunkt der Anmeldung der angegriffenen Marke bei den maßgeblichen Verkehrskreisen und Wettbewerbern bekannt oder anerkannt worden sei. Aufgrund der relativ kurzen Dauer der Nutzung des Zeichens TARGET VENTURES in Europa vor dem 27. Januar 2015 hätte die Klägerin eine große Nutzungsintensität oder zumindest eine ausführliche Medienberichterstattung über ihre Tätigkeiten nachweisen müssen. Da es an solchen Beweisen jedoch fehle, könne nicht angenommen werden, dass die Streithelferin von den Geschäftstätigkeiten der Klägerin oder einer dritten Gesellschaft unter Benutzung des Zeichens TARGET VENTURES Kenntnis gehabt habe oder hätte haben müssen. Folglich stellte die Beschwerdekammer fest, dass eine der Voraussetzungen des Art. 52 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 207/2009 nicht erfüllt und der Antrag auf Nichtigerklärung deshalb zurückzuweisen sei.

14      Drittens war die Beschwerdekammer der Auffassung, dass die Klägerin – selbst wenn man unterstellte, sie hätte nachgewiesen, dass die Streithelferin gewusst habe oder hätte wissen müssen, dass sie oder ein Dritter das Zeichen TARGET VENTURES vor dem Zeitpunkt der Anmeldung der angegriffenen Marke benutzt habe – nicht nachgewiesen habe, dass die Streithelferin zu keinem Zeitpunkt die Absicht hatte, diese Marke zu benutzen, sondern bloß den Eintritt der Klägerin in den europäischen Markt habe verhindern wollen. Vielmehr zeigten die von der Streithelferin vorgelegten Beweise, dass sie ein berechtigtes geschäftliches Interesse an der Eintragung der angegriffenen Marke gehabt habe.

15      Darauf, ob die Nutzung der oben in Rn. 1 genannten Domainnamen durch die Streithelferin ältere Rechte an dem Zeichen TARGET VENTURES begründe, komme es nicht an, da es ausreiche, dass es für die Eintragung der angegriffenen Marke einen berechtigten geschäftlichen Grund gebe. In diesem Zusammenhang stellte die Beschwerdekammer fest, dass sich aus den von der Streithelferin vorgelegten Beweisen ergebe, dass diese „das [fragliche] Zeichen vor ihrer Anmeldung der angegriffenen Marke in einem bestimmten Umfang benutzt“ habe.

16      Nach Ansicht der Beschwerdekammer war somit nicht auszuschließen, dass die Streithelferin die angegriffene Marke entweder deshalb angemeldet habe, weil sie ihre Benutzung des Zeichens TARGET VENTURES habe ausweiten wollen oder weil sie „ihre Kunden vor einer möglichen Verwechslung“ wie der in der E‑Mail vom 7. Juli 2015 geschilderten (vgl. oben, Rn. 7) habe „schützen“ wollen. Obwohl diese E‑Mail nach dem Zeitpunkt der Anmeldung der angegriffenen Marke gesendet worden sei, werde dadurch ersichtlich, dass zumindest ein Kunde zwischen dem Zeichen TARGET VENTURES und der Klägerin eine Verbindung hergestellt habe. Im vorliegenden Fall habe die geschäftliche Logik hinter der Anmeldung der angegriffenen Marke im berechtigten Willen der Streithelferin bestanden, ihren unterscheidungskräftigen Namen TARGET in Verbindung mit der Beschreibung ihrer Dienstleistungen auf dem Risikokapitalsektor, VENTURES, zusätzlich zu ihrer Marke TARGET PARTNERS zu schützen, um bei ihren Kunden jegliche Verwechslung auszuschließen.

 Anträge der Parteien

17      Die Klägerin beantragt,

–        die angefochtene Entscheidung aufzuheben;

–        dem EUIPO die Kosten einschließlich der Kosten des Verfahrens vor der Nichtigkeitsabteilung und der Zweiten Beschwerdekammer des EUIPO aufzuerlegen.

18      Das EUIPO beantragt,

–        die Klage abzuweisen;

–        der Klägerin die Kosten aufzuerlegen.

19      Die Streithelferin beantragt,

–        die Klage abzuweisen und die angefochtene Entscheidung zu bestätigen;

–        der Klägerin die Kosten aufzuerlegen.

 Rechtliche Würdigung

20      Zur Stützung ihrer Klage macht die Klägerin zwei Klagegründe geltend, mit denen sie jeweils einen Verstoß gegen Art. 52 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 207/2009 und gegen Art. 75 dieser Verordnung (jetzt Art. 94 der Verordnung 2017/1001) rügt.

21      Zur Stützung ihres ersten Klagegrundes trägt die Klägerin zum einen im Wesentlichen vor, die Beschwerdekammer habe bei der Beurteilung, ob die Streithelferin zuvor von der Benutzung des Zeichens TARGET VENTURES durch die Klägerin für ihre Dienstleistungen auf dem Risikokapitalsektor Kenntnis hatte, Fehler begangen. Nach Ansicht der Klägerin hätte die Streithelferin zumindest wissen müssen, dass sie das Zeichen TARGET VENTURES im Gebiet der Union benutzt habe, und zwar erstens, weil sie anlässlich der Fachkonferenz für Investments zwei E‑Mails erhalten habe (vgl. oben, Rn. 3), und zweitens, weil die Klägerin dieses Zeichen bereits zum Zeitpunkt der Anmeldung der angegriffenen Marke für Dienstleistungen auf dem Risikokapitalsektor außerhalb der Union intensiv benutzt habe und seit mehr als einem Jahr begonnen habe, sie auch im Gebiet der Union zu benutzen. Die unter dem Zeichen TARGET VENTURES tätige Klägerin sei daher bereits als wichtiger Akteur im Risikokapitalsektor bekannt gewesen.

22      Zum anderen habe die Streithelferin dieses Zeichen nie zur Bezeichnung der betrieblichen Herkunft ihrer Dienstleistungen benutzt und dies auch nie beabsichtigt. Ihre Absicht zum Zeitpunkt der Anmeldung der angegriffenen Marke habe vielmehr darin bestanden, sie zu anderen Zwecken zu benutzen, nämlich insbesondere zur Stärkung oder zum Schutz ihrer Marke TARGET PARTNERS oder um Dritte im Allgemeinen und/oder die Klägerin im Speziellen daran zu hindern, das Zeichen TARGET VENTURES zu benutzen, da diese Zeichen Anlass zu Verwechslungen geben könnten. Die Tatsache, dass die Streithelferin einen Domainnamen „targetventures.com“ aus dem Jahr 2002 besitze, vermöge die Behauptung eines berechtigten Intereses an der Anmeldung der angegriffenen Marke dreizehn Jahre später nicht stützen, insbesondere im Hinblick darauf, dass dieser Domainname niemals genutzt worden sei, sondern allenfalls auf die Website „www.targetpartners.de“ weitergeleitet habe. Eine solche Weiterleitung könne schwerlich als „Benutzung in einem bestimmten Umfang“ eingestuft werden. Die Beschwerdekammer habe auch die zeitliche Abfolge der Ereignisse nicht richtig beurteilt. Daher habe die Beschwerdekammer im Rahmen ihrer Gesamtbeurteilung der Umstände des vorliegenden Falles zu Unrecht festgestellt, dass die Streithelferin bei der Anmeldung der angegriffenen Marke nicht bösgläubig gehandelt habe.

23      Das EUIPO und die Streithelferin vertreten im Wesentlichen die Auffassung, die Klägerin habe nicht nachgewiesen, dass die Streithelferin zum Zeitpunkt der Anmeldung der angefochtenen Marke gewusst habe oder hätte wissen müssen, dass die Klägerin das Zeichen TARGET VENTURES auf dem europäischen Markt für die betreffenden Dienstleistungen benutze. Jedenfalls zeige die Benutzung dieses Zeichens durch die Streithelferin, sei es vor oder nach seiner Eintragung als Unionsmarke, dass dieser Eintragung ein berechtigtes geschäftliches Interesse zugrunde gelegen habe.

24      Vorab ist darauf hinzuweisen, dass der vorliegende Rechtsstreit, obwohl die Beschwerdekammer in der angefochtenen Entscheidung Vorschriften der Verordnung 2017/1001 angewandt hat, unter Berücksichtigung des Zeitpunkts der Anmeldung der angegriffenen Marke, der bei Anträgen auf Nichtigerklärung für die Feststellung des anwendbaren materiellen Rechts maßgebend ist (Urteile vom 29. November 2018, Alcohol Countermeasure Systems [International]/EUIPO, C‑340/17 P, nicht veröffentlicht, EU:C:2018:965, Rn. 2, und vom 23. April 2020, Gugler France/Gugler und EUIPO, C‑736/18 P, nicht veröffentlicht, EU:C:2020:308, Rn. 3 und die dort angeführte Rechtsprechung), in den zeitlichen Anwendungsbereich der materiellen Vorschriften der Verordnung Nr. 207/2009 fällt und dass unter diesen Umständen die Bezugnahmen auf die Verordnung 2017/1001, was die materiell-rechtlichen Vorschriften betrifft, als Bezugnahmen auf die inhaltsgleichen Vorschriften der Verordnung Nr. 207/2009 anzusehen sind, ohne dass dies die Rechtmäßigkeit der angefochtenen Entscheidung berührte. Nach Art. 52 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 207/2009 wird die Unionsmarke auf Antrag beim EUIPO oder auf Widerklage im Verletzungsverfahren für nichtig erklärt, wenn der Anmelder bei der Anmeldung der Marke bösgläubig war.

25      Der Begriff „bösgläubig“ ist zudem, auch wenn er seinem Sinn nach dem gewöhnlichen Sprachgebrauch entsprechend eine unredliche Geisteshaltung oder Absicht voraussetzt, im markenrechtlichen Kontext, mithin dem des Geschäftslebens, zu verstehen. Insoweit verfolgen die nacheinander erlassenen Verordnungen Nr. 40/94 des Rates vom 20. Dezember 1993 über die Gemeinschaftsmarke (ABl. 1994, L 11, S. 1), Nr. 207/2009 und 2017/1001 ein und dasselbe Ziel, nämlich die Errichtung und das Funktionieren des Binnenmarkts. Die Regelungen über die Unionsmarke sollen insbesondere zu einem unverfälschten Wettbewerbssystem in der Union beitragen, in dem jedes Unternehmen, um die Kunden durch die Qualität seiner Waren oder seiner Dienstleistungen an sich zu binden, die Möglichkeit haben muss, Zeichen als Marken eintragen lassen zu können, die es dem Verbraucher ermöglichen, diese Waren oder diese Dienstleistungen ohne Verwechslungsgefahr von denen anderer Herkunft zu unterscheiden (vgl. Urteil vom 12. September 2019, Koton Mağazacilik Tekstil Sanayi ve Ticaret/EUIPO, C‑104/18 P, EU:C:2019:724, Rn. 45 und die dort angeführte Rechtsprechung; vgl. in diesem Sinne auch Urteil vom 29. Januar 2020, Sky u. a., C‑371/18, EU:C:2020:45, Rn. 74).

26      Folglich findet der absolute Nichtigkeitsgrund im Sinne von Art. 52 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 207/2009 Anwendung, wenn sich aus schlüssigen und übereinstimmenden Indizien ergibt, dass der Inhaber einer Unionsmarke die Anmeldung dieser Marke nicht mit dem Ziel eingereicht hat, sich in lauterer Weise am Wettbewerb zu beteiligen, sondern mit der Absicht, in einer den redlichen Handelsbräuchen widersprechenden Weise Drittinteressen zu schaden oder mit der Absicht, sich ohne Bezug zu einem konkreten Dritten ein ausschließliches Recht zu anderen als zu den zur Funktion einer Marke gehörenden Zwecken – u. a. der in der vorstehenden Randnummer angeführten wesentlichen Funktion der Herkunftsangabe – zu verschaffen (Urteile vom 12. September 2019, Koton Mağazacilik Tekstil Sanayi ve Ticaret/EUIPO, C‑104/18 P, EU:C:2019:724, Rn. 46, und vom 29. Januar 2020, Sky u. a., C‑371/18, EU:C:2020:45, Rn. 75).

27      Erstens hat die Beschwerdekammer, indem sie in Rn. 19 der angefochtenen Entscheidung ausgeführt hat, dass Bösgläubigkeit ein Verhalten voraussetze, das von den anerkannten Grundsätzen eines ethischen Verhaltens oder den redlichen Gepflogenheiten in Gewerbe und Handel abweiche und eine unredliche Absicht oder einen sonstigen schädlichen Beweggrund voraussetze, den Begriff „bösgläubig“ zu eng ausgelegt. Aus der oben in den Rn. 25 und 26 angeführten Rechtsprechung ergibt sich, dass die Absicht, sich ohne Bezug zu einem konkreten Dritten ein ausschließliches Recht zu anderen als zu den zur Funktion einer Marke gehörenden Zwecken – u. a. der wesentlichen Funktion der Herkunftsangabe – zu verschaffen, für die Feststellung der Bösgläubigkeit des Anmelders ausreichen kann.

28      Wenn für die Einstufung als bösgläubig kein Bezug des Inhabers der angegriffenen Marke zu einem konkreten Dritten zum Zeitpunkt der Anmeldung der Marke erforderlich ist, ist es somit auch nicht unerlässlich, dass er Kenntnis von der Nutzung des in Rede stehenden Zeichens durch einen Dritten hat. Wenn der Inhaber der angegriffenen Marke diese Kenntnis hätte, hätte seine Anmeldung nämlich notwendigerweise Bezug zu diesem Dritten.

29      Indem die Beschwerdekammer in den Rn. 31 und 32 der angefochtenen Entscheidung im Wesentlichen festgestellt hat, dass der fehlende Nachweis der tatsächlichen oder vermuteten Kenntnis der früheren Benutzung des in Rede stehenden Zeichens ausreiche, um den fraglichen Antrag auf Nichtigerklärung zurückzuweisen, hat sie daher einen Rechtsfehler bei der Auslegung von Art. 52 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 207/2009 begangen.

30      Wie der Gerichtshof zweitens am Ende seiner Ausführungen in den Rn. 48 bis 55 des Urteils vom 12. September 2019, Koton Mağazacilik Tekstil Sanayi ve Ticaret/EUIPO (C‑104/18 P, EU:C:2019:724), festgestellt hat, ergibt sich aus der vom Gerichtshof im Urteil vom 11. Juni 2009, Chocoladefabriken Lindt & Sprüngli (C‑529/07, EU:C:2009:361), dort insbesondere in Rn. 53, vorgenommenen Auslegung lediglich, dass im Rahmen der Gesamtabwägung der erheblichen Faktoren des Einzelfalls bei erbrachtem Nachweis, dass ein Dritter für identische oder ähnliche Waren oder Dienstleistungen ein identisches oder ähnliches Zeichen benutzt, was zu Verwechslungen Anlass geben kann, also in einer Situation, die sich von der des vorliegenden Falles unterscheidet, zu prüfen ist, ob der Anmelder der angegriffenen Marke von diesem Umstand Kenntnis hatte. Die frühere Benutzung des in Rede stehenden Zeichens durch einen Dritten ist jedoch keine in Art. 52 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 207/2009 aufgestellte Voraussetzung (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 12. September 2019, Koton Mağazacilik Tekstil Sanayi ve Ticaret/EUIPO, C‑104/18 P, EU:C:2019:724, Rn. 51, 52, 69 und 70). Daher ist die Kenntnis des Inhabers der angegriffenen Marke von einer früheren Benutzung dieses Zeichens durch einen Dritten oder die Frage, ob dieser Inhaber Kenntnis von einer solchen früheren Benutzung des in Rede stehenden Zeichens durch einen Dritten hätte haben müssen, nur ein erheblicher Faktor unter anderen, die zu berücksichtigen sind.

31      Ebenso hat das Gericht Gelegenheit gehabt, klarzustellen, dass, da die verschiedenen von der Rechtsprechung aufgeführten Faktoren lediglich Beispiele für die Gesamtheit der Elemente sind, die bei der Beurteilung der etwaigen Bösgläubigkeit eines Markenanmelders zum Zeitpunkt der Anmeldung berücksichtigt werden können (Urteil vom 14. Februar 2019, Mouldpro/EUIPO – Wenz Kunststoff [MOULDPRO], T‑796/17, nicht veröffentlicht, EU:T:2019:88, Rn. 83), das Fehlen eines dieser Faktoren – je nach den spezifischen Umständen des Einzelfalls – nicht notwendigerweise der Feststellung der Bösgläubigkeit des Anmelders entgegensteht (vgl. Urteil vom 23. Mai 2019, Holzer y Cia/EUIPO – Annco [ANN TAYLOR und AT ANN TAYLOR], T‑3/18 und T‑4/18, EU:T:2019:357, Rn. 52 und die dort angeführte Rechtsprechung).

32      Daraus folgt, dass die Beschwerdekammer in Rn. 20 der angefochtenen Entscheidung zu Unrecht festgestellt hat, dass für die Beurteilung des Vorliegens von Bösgläubigkeit die in Rn. 53 des Urteils vom 11. Juni 2009, Chocoladefabriken Lindt & Sprüngli (C‑529/07, EU:C:2009:361), genannten Kriterien „berücksichtigt werden [mussten]“, da sie dadurch die Gesamtheit der Umstände des vorliegenden Falles nicht hinreichend berücksichtigt hat.

33      Drittens handelt es sich bei der Absicht des Anmelders einer Marke um ein subjektives Element, das von den zuständigen Verwaltungs- und Gerichtsbehörden jedoch in objektiver Weise zu bestimmen ist. Folglich muss jede Berufung auf eine Bösgläubigkeit umfassend beurteilt werden, wobei alle im Einzelfall erheblichen Faktoren zu berücksichtigen sind. Dies ist die einzige Art und Weise, auf die eine behauptete Bösgläubigkeit objektiv geprüft werden kann (vgl. Urteil vom 12. September 2019, Koton Mağazacilik Tekstil Sanayi ve Ticaret/EUIPO, C‑104/18 P, EU:C:2019:724, Rn. 47 und die dort angeführte Rechtsprechung).

34      In den Rn. 48 bis 55 des Urteils vom 12. September 2019, Koton Mağazacilik Tekstil Sanayi ve Ticaret/EUIPO (C‑104/18 P, EU:C:2019:724), hat der Gerichtshof auch klargestellt, dass die Faktoren, die er im Urteil vom 11. Juni 2009, Chocoladefabriken Lindt & Sprüngli (C‑529/07, EU:C:2009:361), für die Bestimmung des Vorliegens von Bösgläubigkeit genannt hatte, eng mit den Umständen der Rechtssache verbunden sind, und dass es andere Fälle geben kann, in denen die Anmeldung einer Marke als bösgläubig angesehen werden kann (vgl. in diesem Sinne auch Urteil vom 23. Mai 2019, ANN TAYLOR und AT ANN TAYLOR, T‑3/18 und T‑4/18, EU:T:2019:357, Rn. 52 und die dort angeführte Rechtsprechung).

35      Was insbesondere die Frage betrifft, ob die Streithelferin die angegriffene Marke angemeldet hat, ohne zu beabsichtigen, sie zu den zur Funktion einer Marke gehörenden Zwecken, insbesondere der wesentlichen Funktion der Herkunftsangabe, zu benutzen (vgl. oben, Rn. 25 und 26), so ergibt sich aus den Rn. 76 und 77 des Urteils vom 29. Januar 2020, Sky u. a (C‑371/18, EU:C:2020:45), dass der Anmelder einer Marke zwar zum Zeitpunkt seiner Markenanmeldung oder deren Prüfung weder angeben noch genau wissen muss, wie er die angemeldete Marke benutzen wird, und er über einen Zeitraum von fünf Jahren verfügt, um eine tatsächliche Benutzung aufzunehmen, die der Hauptfunktion der Marke entspricht, dass jedoch die Eintragung einer Marke, ohne dass der Anmelder die Absicht hat, sie für die von der Eintragung erfassten Waren und Dienstleistungen zu benutzen, Bösgläubigkeit darstellen kann, wenn die Anmeldung der Marke im Hinblick auf die Ziele der Verordnung Nr. 207/2009 nicht gerechtfertigt ist. Eine solche Bösgläubigkeit kann aber nur festgestellt werden, wenn es schlüssige und übereinstimmende objektive Indizien dafür gibt, dass der Anmelder der betreffenden Marke zum Zeitpunkt ihrer Anmeldung die Absicht hatte, entweder in einer den redlichen Handelsbräuchen widersprechenden Weise Drittinteressen zu schaden oder sich auch ohne Bezug zu einem konkreten Dritten ein ausschließliches Recht zu anderen als zu den zur Funktion einer Marke gehörenden Zwecken zu verschaffen.

36      Im vorliegenden Fall ergibt sich insoweit aus den schlüssigen und übereinstimmenden objektiven Indizien, dass die Absicht der Streithelferin zum Zeitpunkt der Anmeldung der angegriffenen Marke nicht darin bestand, sie zu den zur Funktion einer Marke gehörenden Zwecken zu benutzen.

37      Erstens wird in Rn. 37 der angefochtenen Entscheidung angeführt, dass nicht auszuschließen sei, dass die Streithelferin ihre Kunden vor einer möglichen Verwechslung der Zeichen TARGET PARTNERS und TARGET VENTURES habe schützen wollen, und dass die geschäftliche Logik hinter der Anmeldung der angegriffenen Marke im berechtigten Willen der Streithelferin bestanden habe, ihren unterscheidungskräftigen Namen (TARGET) in Verbindung mit der Beschreibung ihrer Dienstleistungen auf dem Risikokapitalsektor (VENTURES) zusätzlich zu ihrer Marke TARGET PARTNERS zu schützen und bei ihren Kunden jegliche Verwechslungen auszuschließen.

38      Unter den besonderen Umständen des vorliegenden Falles gehört jedoch die Tatsache, dass die Streithelferin eine Marke angemeldet hat, um die Gefahr einer Verwechslung mit einer anderen Marke abzuwenden, deren Inhaberin sie bereits war, und/oder um in diesem Rahmen den gemeinsamen Bestandteil dieser Marken zu schützen, wie die Klägerin im Wesentlichen vorträgt, nicht zu den Funktionen einer Marke, insbesondere nicht zur wesentlichen Funktion der Herkunftsangabe, und hat vielmehr zur Stärkung und zum Schutz der ersten Marke der Streithelferin beigetragen, die sowohl vor als auch nach Anmeldung der angegriffenen Marke das einzige Zeichen war, unter dem sie ihre Dienstleistungen angeboten hat.

39      Zweitens ergibt sich aus den Antworten der Streithelferin auf die in der mündlichen Verhandlung gestellten Fragen eindeutig, dass die der Anmeldung der angegriffenen Marke zugrunde liegende Absicht in der Stärkung einer anderen Marke, nämlich TARGET PARTNERS, bestand, da die Websites „www.targetventures.de“ und „www.targetventures.com“ nur auf die Hauptseite der Streithelferin weiterleiteten.

40      Denn die Streithelferin hat angegeben, dass die angegriffene Marke, so wie vor ihrer Eintragung, für die Websites verwendet worden sei, um interessierte Verbraucher auf ihre Hauptwebsite „www.targetpartners.de“ weiterzuleiten, auf der sie ihre Dienstleistungen anbiete. Sie wies auch darauf hin, dass dies der Hauptgrund für ihre Benutzung sei. Durch die Verwendung eines unterscheidungskräftigen Bestandteils, nämlich „target“, in den Domainnamen „targetventures.com“ und „targetventures.de“ zusammen mit einem die Dienstleistungen im Risikokapitalsektor beschreibenden Bestandteil, nämlich „ventures“, und durch die Weiterleitung auf ihre Hauptwebsite, auf der sie ihre Dienstleistungen unter der Marke TARGET PARTNERS anbiete, wolle sie der interessierten Öffentlichkeit zeigen, dass diese Dienstleistungen auch von Target Partners angeboten würden. Der Grund für die Anmeldung der angegriffenen Marke habe daher darin bestanden, das im Namen dieser beiden Websites verwendete Zeichen TARGET zu schützen. Die Streithelferin hat auch erklärt, sie habe ihr Markenportfolio erweitern wollen.

41      Da zum einen unstreitig ist, dass die Benutzung des Zeichens TARGET VENTURES vor und nach der Anmeldung der Marke die gleiche war, dass es also darum ging, auf die Hauptwebsite der Streithelferin, „www.targetpartners.de“, weiterzuleiten, und sich zum anderen aus den Erklärungen der Streithelferin in der mündlichen Verhandlung ergibt, dass der Schutz dieser Benutzung der Hauptgrund für die Anmeldung der angegriffenen Marke war und keine konkrete andere Verwendung beabsichtigt war, ist davon auszugehen, dass die Streithelferin nur die Absicht hatte, diese Marke weiterhin so zu benutzen wie vor dieser Anmeldung. Daher hat die Streithelferin diese Marke nicht mit dem Ziel angemeldet, sich in lauterer Weise am Wettbewerb zu beteiligen, sondern mit der Absicht, sich möglicherweise ohne Bezug zu einem konkreten Dritten ein ausschließliches Recht zu anderen als zu den zur Funktion einer Marke gehörenden Zwecken – u. a. der wesentlichen Funktion der Herkunftsangabe – zu verschaffen.

42      Was drittens die in Rn. 37 der angefochtenen Entscheidung aufgestellte allgemeine Behauptung anlangt, wonach nicht auszuschließen sei, dass die Streithelferin die angegriffene Marke angemeldet habe, weil sie die Verwendung des Zeichens TARGET VENTURES habe ausweiten wollen, so wird sie nicht nur durch das Fehlen jeglicher Benutzung dieses Zeichens außer der bereits vor Anmeldung der Marke erfolgten Benutzung widerlegt, sie steht auch in Widerspruch zu den Erklärungen der Streithelferin in der mündlichen Verhandlung zum vorrangigen Grund für die Benutzung dieses Zeichens sowohl vor als auch nach dieser Anmeldung und ihrer zu diesem Zeitpunkt bestehenden Absicht sowie zu dem Umstand, dass die Streithelferin dafür Sorge getragen hat, von ihren Kunden ausschließlich mit der Marke TARGET PARTNERS identifiziert zu werden.

43      Aus der Antwort der Streithelferin auf die E‑Mail vom 7. Juli 2015 (vgl. oben, Rn. 7) geht nämlich hervor, dass sie dem fraglichen Kunden gegenüber klarstellen wollte, dass nicht sie diese Werbeveranstaltung organisiere, ohne dabei zu erwähnen, dass sie auch den Namen TARGET VENTURES benutze. Ferner steht fest, dass die Streithelferin ihre Dienstleistungen niemals unter Verwendung des Zeichens TARGET VENTURES angeboten hat. Vielmehr wurde auf die Herkunft der von der Streithelferin angebotenen Dienstleistungen stets durch die Marke TARGET PARTNERS hingewiesen. So hat die Streithelferin auch nach Anmeldung der Marke ausschließlich diesen Namen für die Zwecke eigenen Identifizierung gegenüber ihren Kunden benutzt.

44      Unter diesen Umständen und angesichts des Fehlens diesbezüglicher Indizien ist die Beschwerdekammer fehlerhaft davon ausgegangen, dass die Absicht, die Benutzung des Zeichens TARGET VENTURES auszuweiten, ein möglicher Grund für die Anmeldung der Marke gewesen sei.

45      Daher sind die Gründe, auf denen die Schlussfolgerung in Rn. 38 der angefochtenen Entscheidung beruht, mit Rechts- und Tatsachenfehlern behaftet.

46      Viertens ist, wie oben in den Rn. 27 bis 29 festgestellt, wenn die Absicht des Inhabers der angegriffenen Marke zum Zeitpunkt ihrer Anmeldung darin besteht, sich auch ohne Bezug zu einem konkreten Dritten ein ausschließliches Recht zu anderen als den zur Funktion einer Marke gehörenden Zwecken zu verschaffen, die Prüfung, ob der Inhaber vorher Kenntnis von der Benutzung des in Rede stehenden Zeichens durch einen Dritten hatte, keine notwendige Voraussetzung für die Feststellung, dass dieser Inhaber bösgläubig war. Unter diesen Umständen ist auch die Untersuchung der zeitlichen Abfolge der Ereignisse, die sich gerade in den Rahmen der Prüfung der Frage einfügt, ob der Inhaber der Marke von der Benutzung dieser Marke durch einen Dritten Kenntnis hatte oder hätte haben müssen, nicht mehr notwendig. Da die Beschwerdekammer jedoch im vorliegenden Fall den Nachweis der positiven oder vermuteten Kenntnis der Streithelferin von der Benutzung des Zeichens TARGET VENTURES durch die Klägerin als unabdingbar erachtete, hätte sie alle den vorliegenden Fall kennzeichnenden Faktoren berücksichtigen müssen, darunter die Verwendung dieses Zeichens durch die Klägerin außerhalb der Union und die zeitliche Abfolge der Ereignisse.

47      Zum einen ergibt sich aus dem Urteil vom 12. September 2019, Koton Mağazacilik Tekstil Sanayi ve Ticaret/EUIPO (C‑104/18 P, EU:C:2019:724, Rn. 51, 52 und 55), dass die Prüfung, ob der Inhaber der angegriffenen Marke von der Benutzung dieses Zeichens durch einen Dritten vorherige Kenntnis hatte, nicht auf den Unionsmarkt beschränkt werden darf. Insbesondere hat der Gerichtshof in Rn. 52 dieses Urteils festgestellt, dass es Fallgestaltungen geben mag, für die die Annahme, auf der das Urteil vom 11. Juni 2009, Chocoladefabriken Lindt & Sprüngli (C‑529/07, EU:C:2009:361), aufbaut, nicht trägt, in denen die Anmeldung einer Marke – ungeachtet der zum Zeitpunkt dieser Anmeldung fehlenden Nutzung eines identischen oder ähnlichen Zeichens für identische oder ähnliche Waren durch einen Dritten auf dem Binnenmarkt – als bösgläubig angesehen werden kann. Dadurch, dass die Beschwerdekammer den Befund der Nichtigkeitsabteilung übernahm und ihre eigene Prüfung auf die Frage beschränkte, ob die Streithelferin von der Nutzung des Zeichens TARGET VENTURES durch die Klägerin oder einen Dritten im Rahmen ihrer Geschäftstätigkeiten in der Union Kenntnis hatte, hat sie diesen Faktor in den Rn. 23, 26, 30 und 31 der angefochtenen Entscheidung unvollständig angewandt.

48      Zum anderen ist festzustellen, dass die Beschwerdekammer die zeitliche Abfolge der in der vorliegenden Rechtssache relevanten Ereignisse im Rahmen ihrer Würdigung überhaupt nicht berücksichtigt hat.

49      Nach alledem ist dem ersten Klagegrund stattzugeben und die angefochtene Entscheidung aufzuheben, ohne dass der zweite Klagegrund geprüft zu werden braucht.

 Kosten

50      Nach Art. 134 Abs. 1 der Verfahrensordnung des Gerichts ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Im vorliegenden Fall sind das EUIPO und die Streithelferin unterlegen. Da die Klägerin nur beantragt hat, dem EUIPO die Kosten dieses Rechtszugs aufzuerlegen, ist das EUIPO dazu zu verurteilen, neben seinen eigenen Kosten die der Klägerin im Verfahren vor dem Gericht entstandenen Kosen zu tragen.

51      Außerdem hat die Klägerin beantragt, dem EUIPO die ihr im Verwaltungsverfahren vor der Nichtigkeitsabteilung und vor der Beschwerdekammer des EUIPO entstandenen Kosten aufzuerlegen. Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass nach Art. 190 Abs. 2 der Verfahrensordnung die Aufwendungen der Parteien, die für das Verfahren vor der Beschwerdekammer notwendig waren, als erstattungsfähige Kosten gelten. Dies gilt jedoch nicht für die Aufwendungen im Verfahren vor der Nichtigkeitsabteilung. Daher ist dem Antrag der Klägerin, dem EUIPO die Kosten des Verwaltungsverfahrens aufzuerlegen, nur hinsichtlich ihrer für das Verfahren vor der Beschwerdekammer notwendigen Aufwendungen stattzugeben.

52      Nach Art. 138 Abs. 3 der Verfahrensordnung trägt die Streithelferin ihre eigenen Kosten.

Aus diesen Gründen hat

DAS GERICHT (Dritte Kammer)

für Recht erkannt und entschieden:

1.      Die Entscheidung der Zweiten Beschwerdekammer des Amtes der Europäischen Union für geistiges Eigentum (EUIPO) vom 4. Februar 2019 (Sache R 1684/20172) wird aufgehoben.

2.      Das EUIPO trägt neben seinen eigenen Kosten die Kosten der Target Ventures Group Ltd einschließlich der ihr im Verfahren vor der Beschwerdekammer entstandenen Kosten.

3.      Die Target Partners GmbH trägt ihre eigenen Kosten.

Collins

Kreuschitz

Steinfatt

Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 28. Oktober 2020.

Unterschriften


*      Verfahrenssprache: Englisch.