Language of document : ECLI:EU:F:2010:140

URTEIL DES GERICHTS FÜR DEN ÖFFENTLICHEN DIENST
DER EUROPÄISCHEN UNION (Zweite Kammer)

28. Oktober 2010(*)

„Öffentlicher Dienst – Beamte – Entlassung – Fürsorgepflicht – Unzulängliche fachliche Leistungen – Medizinische Gründe“

In der Rechtssache F‑92/09

betreffend eine Klage nach den Art. 236 EG und 152 EA,

U, ehemalige Beamtin des Europäischen Parlaments, wohnhaft in Luxemburg (Luxemburg), Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwälte F. Moyse und A. Salerno,

Klägerin,

gegen

Europäisches Parlament, vertreten durch S. Seyr, K. Zejdová und J. F. de Wachter als Bevollmächtigte,

Beklagter,

erlässt

DAS GERICHT FÜR DEN ÖFFENTLICHEN DIENST
(Zweite Kammer)

unter Mitwirkung des Präsidenten H. Tagaras, des Richters S. Van Raepenbusch (Berichterstatter) und der Richterin M. I. Rofes i Pujol,

Kanzler: R. Schiano, Verwaltungsrat,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 8. Juli 2010

folgendes

Urteil

1        Die Klägerin hat mit Klageschrift, die am 6. November 2009 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen ist, Klage erhoben auf Aufhebung der Entscheidung vom 6. Juli 2009, mit der das Europäische Parlament sie mit Wirkung ab 1. September 2009 entlassen hat (im Folgenden: angefochtene Entscheidung), und auf Zahlung von 15 000 Euro, vorbehaltlich jeder anderen Forderung, als Ersatz des immateriellen Schadens, den sie ihrer Ansicht nach erlitten hat.

 Rechtlicher Rahmen

2        Art. 9 Abs. 6 des Statuts der Beamten der Europäischen Union (im Folgenden: Statut) bestimmt:

„Der Paritätische Beratende Ausschuss für unzulängliche fachliche Leistungen gibt eine Stellungnahme zur Anwendung von Artikel 51 ab.“

3        Art. 24 des Statuts lautet:

„Die [Union] leiste[t] ihren Beamten Beistand, insbesondere beim Vorgehen gegen die Urheber von Drohungen, Beleidigungen, übler Nachrede, Verleumdungen und Anschlägen auf die Person oder das Vermögen, die auf Grund ihrer Dienststellung oder ihres Amtes gegen sie oder ihre Familienangehörigen gerichtet werden.

Sie ersetz[t] solidarisch den erlittenen Schaden, soweit ihn der Beamte weder vorsätzlich noch grob fahrlässig herbeigeführt hat und soweit er keinen Schadenersatz von dem Urheber erlangen konnte.“

4        Art. 51 des Statuts bestimmt:

„(1)      Jedes Organ legt Verfahren fest, um Fälle unzulänglicher fachlicher Leistungen frühzeitig und in geeigneter Weise zu erkennen, zu behandeln und zu lösen. Nach Ausschöpfung dieser Verfahren kann der Beamte, aus dessen aufeinander folgenden regelmäßigen Beurteilungen nach Artikel 43 hervorgeht, dass seine fachlichen Leistungen im Dienst weiterhin unzulänglich sind, entlassen, in eine niedrigere Besoldungsgruppe eingestuft oder in derselben oder einer niedrigeren Besoldungsgruppe in eine niedrigere Funktionsgruppe eingewiesen werden.

(2)      In dem Vorschlag, einen Beamten zu entlassen oder in eine niedrigere Besoldungs- oder Funktionsgruppe einzustufen, müssen die dafür maßgebenden Gründe dargelegt werden; er ist dem Beamten mitzuteilen. Der Vorschlag der Anstellungsbehörde ist dem Paritätischen Beratenden Ausschuss gemäß Artikel 9 Absatz 6 vorzulegen.

(3)      Der Beamte ist berechtigt, seine vollständige Personalakte einzusehen und von allen Verfahrensunterlagen Abschrift zu nehmen. Zur Vorbereitung seiner Verteidigung steht dem Beamten vom Zeitpunkt des Erhalts des Vorschlags an eine Frist von mindestens fünfzehn Tagen zur Verfügung. Er kann sich eines Beistands seiner Wahl bedienen. Der Beamte hat das Recht, sich schriftlich zu äußern. Er wird von dem Paritätischen Beratenden Ausschuss gehört. Der Beamte kann auch Zeugen benennen.

(4)      Das Organ wird vor dem Paritätischen Beratenden Ausschuss durch einen von der Anstellungsbehörde beauftragten Beamten vertreten und hat dieselben Rechte wie der betroffene Beamte.

(5)      Nach Prüfung des Vorschlags gemäß Absatz 2 und unter Berücksichtigung etwaiger schriftlicher oder mündlicher Erklärungen des betroffenen Beamten oder der Zeugen gibt der Paritätische Beratende Ausschuss mit Stimmenmehrheit eine mit Gründen versehene Stellungnahme darüber ab, welche Maßnahme er im Licht der auf seine Veranlassung festgestellten Sachlage als angemessen erachtet. Er stellt seine Stellungnahme der Anstellungsbehörde und dem betroffenen Beamten innerhalb von zwei Monaten ab dem Tag zu, an dem der Fall bei ihm anhängig wird. Der Vorsitzende nimmt – außer bei Verfahrensfragen oder bei Stimmengleichheit – an der Beschlussfassung des Paritätischen Beratenden Ausschusses nicht teil.

Die Anstellungsbehörde erlässt ihre Entscheidung innerhalb von zwei Monaten nach Eingang der Stellungnahme des Paritätischen Beratenden Ausschusses; sie hat den betroffenen Beamten zuvor zu hören. Die Entscheidung muss begründet werden. Sie nennt den Zeitpunkt, zu dem sie wirksam wird.

(6)      Der wegen unzulänglicher fachlicher Leistungen entlassene Beamte hat während des in Absatz 7 festgelegten Zeitraums Anspruch auf eine monatliche Entschädigung, die dem monatlichen Grundgehalt eines Beamten der Besoldungsgruppe 1 Dienstaltersstufe 1 entspricht. Außerdem hat der Beamte während dieses Zeitraums Anspruch auf die Familienzulagen gemäß Artikel 67. Die Haushaltszulage wird auf der Grundlage des monatlichen Grundgehalts eines Beamten der Besoldungsgruppe 1 nach den Bestimmungen des Anhangs VII Artikel 1 berechnet.

Kündigt der Beamte nach Einleitung des Verfahrens gemäß den Absätzen 1 bis 3 von sich aus oder hat er bereits Anspruch auf die sofortige Zahlung von Versorgungsbezügen in voller Höhe, wird die Entschädigung nicht gezahlt. Hat er im Rahmen einer nationalen Arbeitslosenregelung Anspruch auf Arbeitslosengeld, so wird der entsprechende Betrag von der Entschädigung abgezogen.

(7)      Der Zeitraum, über den die Zahlungen gemäß Absatz 6 geleistet werden, beträgt:

a)      drei Monate, wenn der Beamte zum Zeitpunkt der Verfügung über seine Entlassung weniger als fünf Dienstjahre vollendet hat;

b)      sechs Monate, wenn der Beamte mindestens fünf, aber weniger als zehn Dienstjahre vollendet hat;

c)      neun Monate, wenn der Beamte mindestens zehn, aber weniger als zwanzig Dienstjahre vollendet hat;

d)      zwölf Monate, wenn der Beamte mehr als zwanzig Dienstjahre vollendet hat.

(8)      Ein Beamter, der wegen unzulänglicher fachlicher Leistungen in eine niedrigere Besoldungs- oder Funktionsgruppe eingestuft wird, kann nach sechs Jahren beantragen, dass sämtliche Verweise auf diese Maßnahme aus seiner Personalakte entfernt werden.

(9)      Der Beamte hat Anspruch auf Erstattung angemessener, ihm im Laufe des Verfahrens entstandener Kosten, insbesondere der Gebühren für einen von außerhalb des Organs hinzugezogenen Verteidiger, wenn das Verfahren nach diesem Artikel nicht zu einer Entlassung des Beamten bzw. seiner Einstufung in eine niedrigere Besoldungs- oder Funktionsgruppe führt.“

5        In Art. 59 des Statuts heißt es:

„(1)      Weist ein Beamter nach, dass er wegen Erkrankung oder infolge eines Unfalls seinen Dienst nicht ausüben kann, so erhält er Krankheitsurlaub.

(4)      Die Anstellungsbehörde kann den Invaliditätsausschuss mit dem Fall eines Beamten befassen, dessen Krankheitsurlaub insgesamt zwölf Monate während eines Zeitraums von drei Jahren überschreitet.

(5)      Der Beamte kann aufgrund einer Untersuchung durch den Vertrauensarzt des Organs von Amts wegen beurlaubt werden, wenn sein Gesundheitszustand dies erfordert oder wenn in seiner häuslichen Gemeinschaft eine ansteckende Krankheit aufgetreten ist.

…“

6        Art. 1 der vom Präsidium des Parlaments am 3. Juli 2006 erlassenen internen Regelung betreffend das im Rahmen der Erkennung, Behandlung und Lösung potenzieller Fälle unzureichender fachlicher Leistungen von Beamten angewandte Verbesserungsverfahren bestimmt:

„Durch das mit dieser internen Regelung gemäß Artikel 51 Absatz 1 des Statuts eingeführte interne Verfahren bei unzureichenden fachlichen Leistungen (nachstehend ‚Verbesserungsverfahren‘) soll sichergestellt werden, dass jeder Fall in einem frühen Stadium systematisch behandelt wird, um dem betreffenden Beamten zu helfen, das Niveau der Leistungen, die für die Wahrnehmung der im Beurteilungsbericht gemäß der Stellenbeschreibung dargelegten Aufgaben erforderlich sind, wieder zu erreichen, und damit zu vermeiden, dass gegen ihn Maßnahmen gemäß Artikel 51 des Statuts (Entlassung, Einstufung in eine niedrigere Besoldungsgruppe oder Einweisung in eine niedrigere Funktionsgruppe in derselben oder einer niedrigeren Besoldungsgruppe) getroffen werden.“

7        Art. 3 Abs. 1 der internen Regelung lautet:

„Das Verbesserungsverfahren findet gleichzeitig mit dem Beurteilungsverfahren Anwendung, das in den Allgemeinen Durchführungsbestimmungen für die Beurteilungsberichte … (nachstehend ADB ‚Rapnot‘) näher erläutert ist.“

8        Art. 7 der internen Regelung sieht vor:

„(1)      Sobald Anzeichen für unzureichende fachliche Leistungen erkannt worden sind, bestellt der Erstbeurteilende den Beamten mit einem schriftlichen Vermerk ein und teilt ihm den Gegenstand des Gesprächs mit. In diesem Vermerk unterrichtet er den Beamten über seine Rechte gemäß Artikel 14 der vorliegenden Regelung. Nach dem Gespräch unterrichtet der Erstbeurteilende den Endbeurteilenden mit einem hinreichend begründeten Schreiben. Der Beamte erhält eine Kopie dieses Schreibens.

(2)      Der Endbeurteilende ersucht gegebenenfalls die Direktion ‚Strategie der Humanressourcen‘ der [Generaldirektion (GD) Personal], einen Berater zu benennen. Der Endbeurteilende bestellt den Beamten unverzüglich zu einem Gespräch ein. Der Erstbeurteilende und der Berater nehmen ebenfalls daran teil.

(3)      In dem Gespräch stellt der Endbeurteilende die Gründe der erkannten Unzulänglichkeiten fest, beschließt gegebenenfalls die Einleitung des Verbesserungsverfahrens und legt für den Beamten ein Unterstützungsprogramm (nachstehend ‚Verbesserungsplan‘) fest. Er informiert den Beamten über alle mit dem Verbesserungsverfahren verbundenen Aspekte.

…“

9        Art. 8 der internen Regelung lautet:

(1)      Wenn der Endbeurteilende in dem in Artikel 7 erwähnten Gespräch zu der Auffassung gelangt, dass die bei dem Beamten beobachteten Anzeichen auf gesundheitliche Probleme schließen lassen, oder wenn der Beamte derartige Probleme erwähnt, erkundigt er sich unverzüglich beim Ärztlichen Dienst. In diesem Fall werden der etwaige Beschluss zur Einleitung des Verbesserungsverfahrens und die Festlegung des Verbesserungsplans bis zum Eingang der Antwort des Ärztlichen Dienstes zurückgestellt.

(2)      Der Ärztliche Dienst übermittelt seine Antwort schriftlich dem Endbeurteilenden, dem betreffenden Beamten und dem Berater unter strikter Wahrung des Arztgeheimnisses und der Vertraulichkeit der persönlichen Daten.

(3)      Wenn der Ärztliche Dienst in seiner Antwort erklärt, dass die Situation des Beamten ausschließlich unter Anwendung der den Gesundheitszustand der Beamten betreffenden Bestimmungen des Statuts behandelt werden muss, kann der Endbeurteilende das Verbesserungsverfahren gegen den Beamten nicht einleiten. Der Beamte, der Erstbeurteilende und der Berater werden darüber unterrichtet.

(4)      Im gegenteiligen Fall bestellt der Endbeurteilende den Beamten, den Erstbeurteilenden und den Berater erneut ein, um das Verbesserungsverfahren einzuleiten und den Verbesserungsplan festzulegen.

(5)      Der Ärztliche Dienst kann zu einem späteren Zeitpunkt jederzeit tätig werden, indem er dem Endbeurteilenden und dem Beamten seine Einschätzung des Gesundheitszustands des Beamten sowie die Schlussfolgerungen, die er daraus gezogen hat, schriftlich mitteilt. Der Erstbeurteilende, der Berater und der betreffende Beamte werden darüber unterrichtet. Auf der Grundlage dieser Schlussfolgerungen kann der Endbeurteilende, je nach Einzelfall, beschließen, das Verbesserungsverfahren einzuleiten oder ein bereits eingeleitetes Verbesserungsverfahren zu beenden.“

10      In Art. 12 der internen Regelung heißt es:

„(1)      Im Juli wird der in Artikel 17 zweiter Unterabsatz der ADB ‚Rapnot‘ vorgesehene Zwischenbericht nach einem Gespräch, das die beiden Beurteilenden in Anwesenheit des Beraters mit dem Beamten führen, erstellt. Der Zwischenbericht wird von den beiden Beurteilenden und dem Beamten, der gegebenenfalls seine Anmerkungen hinzufügen kann, mit Datum versehen und unterschrieben. Der Berater erhält eine Kopie dieses Berichts.

(2)      Wenn der Zwischenbericht zu der Schlussfolgerung gelangt, dass es bei dem Beamten keine Anzeichen für unzureichende fachliche Leistungen mehr gibt, schließt der Endbeurteilende das Verbesserungsverfahren ab, und … Artikel 13 findet keine Anwendung. Im gegenteiligen Fall bestätigt der Endbeurteilende, nach Stellungnahme des Beraters, die Fortsetzung des Verbesserungsverfahrens bis zum Ende des Bezugsjahres. In beiden Fällen wird der Beamte durch einen schriftlichen Vermerk unterrichtet.

…“

 Sachverhalt

11      Die Klägerin wurde beim Parlament zum 1. Mai 2005 als Sekretärin der Besoldungsgruppe C*1 (jetzt AST 1) in das Beamtenverhältnis berufen. Nach Abschluss ihrer Probezeit, die sie vom 1. Mai 2005 bis zum 31. Januar 2006 im Referat „Planning und Auftragsverwaltung“ der GD „Übersetzung und allgemeine Dienste“ ableistete, wurde sie in das Beamtenverhältnis auf Lebenszeit berufen.

12      Im Beurteilungsbericht für das Jahr 2005 erwähnte der Erstbeurteilende der Klägerin, sie sei eine geschätzte neue Kollegin. Im selben Beurteilungsbericht wurde sie als eine verdienstvolle Beamtin bezeichnet.

13      Im Beurteilungsbericht der Klägerin für das Jahr 2006 wurde darauf hingewiesen, dass sie sich zwar stets als eine verdienstvolle Beamtin gezeigt habe, jedoch ihre Kommunikationsfähigkeit verbessern müsse. Ferner hieß es darin, dass manchmal ein Mangel an Kommunikation die Ursache für Probleme auf dem Gebiet zwischenmenschlicher Beziehungen sei und dass „ihre Leistung … zwar zufriedenstellend [gewesen sei], aber ihre Bereitschaft zur Kommunikation mit den Mitgliedern des Teams … nachgelassen [habe]“.

14      Mit Schreiben vom 10. Juli 2007 schlug der Leiter des Referats „Planning und Auftragsverwaltung“ der GD „Übersetzung und allgemeine Dienste“ (im Folgenden: Referatsleiter) dem Generaldirektor dieser Generaldirektion (im Folgenden: Generaldirektor) vor, im Hinblick auf die Klägerin „die Einleitung eines Verbesserungsverfahrens zu erwägen“. Er erwähnte in diesem Schreiben, dass er mit der Klägerin am 9. Juli 2007 ein Gespräch im Sinne von Art. 7 Abs. 1 der internen Regelung geführt habe.

15      Außerdem teilte der Referatsleiter dem Generaldirektor mit Schreiben vom 8. August 2007 u. a. mit, die Klägerin bearbeite die Übersetzungsaufträge inadäquat, sei nicht in der Lage, mit ihren Kollegen zu kommunizieren, und bleibe dem Dienst unerlaubt fern, zudem sei ihr Verhalten unhöflich und unprofessionell. Außerdem bemerkte er in diesem Schreiben:

„Die [Klägerin], die eine Hochschulausbildung hat, fühlt sich wahrscheinlich frustriert, Assistententätigkeiten ausführen zu müssen. Ich habe den deutlichen Eindruck, dass sie die Arbeit gering schätzt und für unnütz hält. Außerdem ist festzustellen, dass sich ihre Leistung und ihr Verhalten seit der Verbeamtung auf Lebenszeit grundlegend geändert haben.“

16      Am 17. und 20. September 2007 nahm die Klägerin an zwei Gesprächen nach Art. 7 Abs. 2 der internen Regelung teil. Anschließend wurde am 24. September 2007 ein Verbesserungsverfahren mit einem bis zum 31. Dezember 2007 laufenden Verbesserungsplan eingeleitet. Im Rahmen dieses Verfahrens war der Referatsleiter der Erstbeurteilende und der Generaldirektor der Endbeurteilende.

17      Nach einem erneuten Gespräch mit der Klägerin am 3. Dezember 2007 beschloss der Generaldirektor mit Schreiben vom 10. Dezember 2007, das Verbesserungsverfahren zu verlängern. In diesem Schreiben stellte er allerdings fest, dass sich die qualitativen Leistungen und das Verhalten der Klägerin seit Einleitung des Verbesserungsverfahrens verbessert hätten.

18      In dem im März und April 2008 erstellten Beurteilungsbericht für das Jahr 2007 wurde u. a. darauf hingewiesen, dass sich die Leistungen der Klägerin im Laufe des Jahres 2007 trotz zahlreicher Verwarnungen deutlich verschlechtert hätten. Darüber hinaus wurde die Klägerin in diesem Bericht nicht mehr als eine verdienstvolle Beamtin bezeichnet.

19      Im Juli 2008 wurde gemäß Art. 12 der internen Regelung ein Zwischenbericht erstellt. Darin hieß es für den Zeitraum vom 1. Januar bis 30. Juni 2008 u. a., dass sich das Verhalten der Klägerin gegenüber den Dienststellen und den Kollegen, mit denen sie in Kontakt stehe, verbessert habe. Unzulängliche fachliche Leistungen wurden in dem Bericht zwar nicht erwähnt, jedoch wurde darauf hingewiesen, dass die festgestellten Verbesserungen einer Bestätigung durch eine nachhaltige und langfristige Entwicklung der Gesamtleistung bedürften.

20      Der Referatsleiter teilte der Klägerin mit Schreiben vom 9. Juli 2008 mit, dass das Verbesserungsverfahren bis zum Ende des Jahres 2008 fortgesetzt werde.

21      Am 12. August 2008 wurde die Klägerin aufgefordert, sich am 14. August 2008 einer Untersuchung durch den Ärztlichen Dienst zu stellen.

22      Im Auftrag des in der GD „Übersetzung und allgemeine Dienste“ für Humanressourcen zuständigen Mitarbeiters, der darüber besorgt war, dass die Klägerin der in der vorstehenden Randnummer erwähnten Aufforderung des Ärztlichen Dienstes nicht nachgekommen war, begab sich am 4. September 2008 eine Sozialassistentin des Parlaments zum Arbeitsplatz der Klägerin. Der Sozialassistentin zufolge äußerte die Klägerin ihr gegenüber in diesem Gespräch, ihre Vorgesetzten müssten sich um sie „keine Sorgen machen“.

23      Am 13. Oktober 2008 wurde der Klägerin im Rahmen des Verbesserungsverfahrens in einem in Gegenwart des Referatsleiters geführten Gespräch eine Versetzung zum Referat „X“ der GD „Übersetzung und allgemeine Dienste“ vorgeschlagen. Die Klägerin stimmte diesem Vorschlag zu und wurde im Oktober 2008 in dieses Referat versetzt. In dem genannten Gespräch wurde beschlossen, das Abschlussgespräch über das Verbesserungsverfahren aufgrund des für Dezember 2008 vorgesehenen Jahresurlaubs der Klägerin auf den 26. November 2008 vorzuverlegen.

24      Am 19. November 2008 erhielten der Referatsleiter und der Generaldirektor von einem AD-Beamten des Referats „X“ eine E-Mail, der ein Protokoll über ein Treffen beigefügt war, das zwischen diesem AD-Beamten und dem Leiter des genannten Referats am 5. November 2008 in Bezug auf die Eingliederung der Klägerin in dieses Referat stattgefunden hatte. Darin wurde insbesondere darauf hingewiesen, dass die Klägerin zwar guten Willen zeige, jedoch Kommunikationsprobleme mit ihren Kollegen habe, dass sie im Dienst aufgrund ihres Verhaltens isoliert sei und dass der in Rede stehende Referatsleiter befürchte, dass dieses Verhalten langfristig die Arbeitsatmosphäre verschlechtern werde. Außerdem hieß es darin, dass zwar alles unternommen worden sei, um der Klägerin gegebenenfalls psychologische Unterstützung – durch einen Arzt oder einen Sozialarbeiter – zukommen zu lassen, die Klägerin jedoch abgestritten habe, Probleme zu haben, und jegliche Hilfe abgelehnt habe.

25      Am 20. November 2008 wurde die Klägerin, die dieses Mal der Vorladung des Vertrauensarztes des Parlaments Folge geleistet hatte, von diesem empfangen, wobei zum Teil die Sozialassistentin des Parlaments anwesend war.

26      Im Rahmen des in Randnr. 23 des vorliegenden Urteils erwähnten Gesprächs wurde der Klägerin mitgeteilt, dass ihre Leistungen im Referat „X“ nicht als zufriedenstellend beurteilt worden seien und ihre Schwierigkeiten wahrscheinlich in ihrem eigenen Verhalten begründet seien. Außerdem wies sie der Referatsleiter darauf hin, dass er der Anstellungsbehörde ihre Entlassung vorschlagen werde.

27      Am 18. Dezember 2008 wurde gemäß Art. 13 der internen Regelung ein Sonderbericht erstellt. Darin wurde insbesondere festgestellt, der Umstand, dass sich die Arbeit und das Verhalten der Klägerin im Referat „X“ nicht verbessert hätten, lasse erkennen, dass die Schwierigkeiten der Klägerin allein auf ihr eigenes Verhalten und nicht auf ihre Kollegen oder darauf zurückzuführen seien, dass sie in einem multikulturellen Umfeld arbeite. Im Ergebnis schlugen der Referatsleiter und der Leiter des Dienstes „Auftragsverwaltung“ der Anstellungsbehörde vor, die Klägerin aufgrund ihrer anhaltend unzureichenden Leistungen im Bereich der Kommunikation und der Konfliktlösung sowie aufgrund ihrer Weigerung, Anweisungen zur Kenntnis zu nehmen und zu befolgen und für ihre Handlungen die Verantwortung zu übernehmen, zu entlassen.

28      Im Beurteilungsbericht für das Jahr 2008, der im Februar 2009 erstellt wurde, wurde auf dieselben Probleme wie die in der Schlussfolgerung des am 18. Dezember 2008 erstellten Sonderberichts erwähnten hingewiesen.

29      Der Paritätische Beratende Ausschuss für unzulängliche fachliche Leistungen (im Folgenden: Ausschuss) wurde daraufhin um eine Stellungnahme zu dem Vorschlag ersucht, die Klägerin zu entlassen.

30      In einer am 14. Mai 2009 einstimmig ergangenen Stellungnahme wies der Ausschuss zum einen darauf hin, dass eine Reihe von Personen, die mit der Klägerin zusammengearbeitet hätten, ihm gegenüber zum Ausdruck gebracht hätten, dass sie an deren Geisteszustand zweifelten, und zum anderen, dass er selbst bei der Anhörung der Klägerin den starken Eindruck gehabt habe, dass sie sich in einem instabilen oder verwirrten Geisteszustand befinde.

31      Der Ausschuss stellte außerdem fest, die von ihm durchgeführten Anhörungen hätten bei den Vorgesetzten der Klägerin die übereinstimmende Auffassung erkennen lassen, dass die Klägerin kurz nach ihrer Verbeamtung auf Lebenszeit angefangen habe, sich ungewöhnlich zu verhalten, so z. B. durch wiederholte Krisen unsozialen Verhaltens gegenüber ihren Kollegen, ihre Weigerung, die ihr obliegenden Aufgaben wahrzunehmen – und zwar aus unerfindlichen oder exzentrischen Gründen –, oder durch ungebührliche Lachanfälle. Außerdem habe sich bei den Arbeiten des Ausschusses herausgestellt, dass die GD „Übersetzung und allgemeine Dienste“ den Ärztlichen Dienst des Parlaments im August 2008 kontaktiert und dieser der Klägerin einen Termin vorgeschlagen habe, um sie auf „Anzeichen einer etwaigen Depression“ hin zu untersuchen, wie er sie bereits im Dezember 2006 festgestellt habe. Die Klägerin habe auf diese Vorladung jedoch nicht reagiert. Daraufhin habe die GD „Übersetzung und allgemeine Dienste“ den Sozialdienst des Parlaments gebeten, sich einzuschalten; der jedoch habe von der Klägerin eine Absage erhalten.

32      Der Ausschuss kam in seiner Stellungnahme zu dem Ergebnis, dass die Klägerin nicht in der Lage sei, die ihr zugewiesenen dienstlichen Aufgaben in zufriedenstellender Weise zu erfüllen und in einem multikulturellen Umfeld wie im Parlament zu arbeiten. Außerdem stellte er fest, dass die Verwaltung prüfen müsse, ob die unzulänglichen fachlichen Leistungen der Klägerin auf medizinische Gründe zurückzuführen seien. Schließlich stimmte er dem Vorschlag einer Entlassung zu, falls erwiesen sein sollte, dass die unzulänglichen fachlichen Leistungen der Klägerin nicht auf medizinischen Gründen beruhten, oder falls sich die Klägerin weigern sollte, sich den ärztlichen Untersuchungen zu stellen, die erforderlich seien, um ausschließen zu können, dass ihre beruflichen Schwierigkeiten medizinisch bedingt seien.

33      Nachdem die Klägerin am 25. Juni 2009 von der Verwaltung angehört worden war, wurde sie mit der angefochtenen Entscheidung, die ihr am 7. Juli 2009 bekannt gegeben wurde, entlassen.

34      Am 7. August 2009 bat der Vertrauensarzt des Parlaments in Luxemburg einen Facharzt für Psychiatrie, die Klägerin zu untersuchen. Dieser diagnostizierte in seinem mit Schreiben vom 18. August 2009 übermittelten Gutachten eine „emotional instabile Persönlichkeitsstörung“, nachdem er zuvor auf Folgendes hingewiesen hatte:

„Die psychiatrische Untersuchung hat keine Zeichen von geistiger Verwirrung ergeben: Die zeitliche und räumliche Orientierung [der Klägerin] ist in Ordnung. Es gibt keine offensichtlichen Anzeichen einer Psychose. [Die Klägerin] äußert keine Suizidabsichten. Im Gespräch mit ihr habe ich jedoch latente Verfolgungsvorstellungen festgestellt. Sie macht den Eindruck, verletzt worden zu sein und dass man sie nicht mag, dass ihre Kollegen sie nicht verstehen und niemand ihren kulturellen Unterschied berücksichtigt. [Die Klägerin] beschreibt ihr Konfliktverhältnis mit ihren Vorgesetzten, die ihre Fähigkeit zur Erledigung ihrer Arbeit in Frage gestellt hätten. Ihren Äußerungen zufolge neigt [die Klägerin] dazu, die Vorkommnisse in paranoider Weise zu interpretieren. Es ist zu vermuten, dass eine emotional instabile Persönlichkeitsstörung vorliegt.“

35      Das ärztliche Gutachten vom 18. August 2009 wurde der Klägerin übermittelt. Diese bat die Anstellungsbehörde mit Schreiben ihrer Rechtsberater vom 26. August 2009, den Vollzug der angefochtenen Entscheidung – insbesondere in Anbetracht dieses Gutachtens – auszusetzen, da ergänzende ärztliche Untersuchungen noch ausstünden. Dieser Antrag wurde mit Entscheidung der Anstellungsbehörde vom 2. September 2009 zurückgewiesen.

36      Am 1. Oktober 2009 legte die Klägerin nach Art. 90 Abs. 2 des Statuts Beschwerde gegen die angefochtene Entscheidung ein.

 Verfahren und Anträge der Parteien

37      Die Klägerin hat mit Antragsschrift, die am 6. November 2009 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen ist und unter dem Aktenzeichen F‑92/09 R in das Register der Kanzlei eingetragen worden ist, die Aussetzung der angefochtenen Entscheidung und eine einstweilige Anordnung beantragt.

38      Mit Schreiben vom 19. November 2009 hat die Kanzlei den Parteien die Entscheidung des Gerichts mitgeteilt, dem Antrag der Klägerin auf Anonymität stattzugeben.

39      Mit Beschluss vom 18. Dezember 2009, U/Parlament (F‑92/09 R, Slg. ÖD 2009, I‑A‑1‑511 und II‑A‑1‑2771), hat der Präsident des Gerichts die Aussetzung des Vollzugs der angefochtenen Entscheidung bis zum Erlass des Urteils des Gerichts angeordnet.

40      Der Präsident des Gerichts der Europäischen Union hat mit Beschluss vom 27. April 2010, Parlament/U (T‑103/10 P[R]), dem vom Parlament eingelegten Rechtsmittel stattgegeben und den vorgenannten Beschluss des Präsidenten des Gerichts mit der Begründung aufgehoben, dass dieser zu Unrecht festgestellt habe, dass die Voraussetzung der Dringlichkeit im vorliegenden Fall erfüllt sei, und den Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz selbst zurückgewiesen.

41      Das Hauptverfahren ist gemäß Art. 91 Abs. 4 des Statuts bis zu der am 5. Februar 2010 mitgeteilten Entscheidung vom selben Tag, mit der die Anstellungsbehörde die Beschwerde zurückgewiesen hat, ausgesetzt worden.

42      Die Klägerin beantragt,

–        die angefochtene Entscheidung aufzuheben;

–        das Parlament zu verurteilen, eine Entschädigung für den erlittenen immateriellen Schaden zu zahlen, der unter allem Vorbehalt mit 15 000 Euro beziffert wird;

–        dem Parlament die Kosten aufzuerlegen.

43      Das Parlament beantragt,

–        die Klage als unbegründet abzuweisen;

–        der Klägerin sämtliche Kosten aufzuerlegen.

 Rechtliche Würdigung

44      Die Klägerin stützt ihre Klage auf drei Klagegründe: erstens, Verletzung der Fürsorgepflicht aus Art. 24 des Statuts und Verstoß gegen Art. 8 der internen Regelung, zweitens, Verstoß gegen Art. 59 Abs. 5 des Statuts, und drittens, Verstoß gegen Art. 12 Abs. 2 der internen Regelung.

 Zum ersten Klagegrund: Verletzung der sich aus Art. 24 des Statuts und Art. 8 der internen Regelung ergebenden Fürsorgepflicht

 Vorbringen der Parteien

45      Die Klägerin trägt vor, sie habe seit 2006 Kommunikationsprobleme mit ihren Kollegen, obwohl ihre fachliche Leistung damals immer noch zufriedenstellend gewesen sei. 2007 sei das Verbesserungsverfahren für sie eingeleitet worden. Sie räumt zwar ein, dass ihr Referatsleiter zum Zeitpunkt der Einleitung dieses Verfahrens nicht habe annehmen können, dass die festgestellten unzulänglichen fachlichen Leistungen auf medizinische Gründe zurückzuführen sein könnten, meint jedoch, dass sich nach ihrer Versetzung zum Referat „X“ sehr konkrete Anzeichen dafür manifestiert hätten. Sie verweist insoweit auf das Protokoll des Treffens vom 5. November 2008 mit ihrem Referatsleiter und einem AD-Beamten der Dienststelle.

46      Die Klägerin räumt ein, dass sie sich geweigert habe, das Vorliegen psychologischer Probleme zu akzeptieren, und jegliche Hilfe abgelehnt habe. Für eine Person, die unter einer Persönlichkeitsstörung leide, wie sie von dem vom Ärztlichen Dienst des Parlaments herangezogenen Facharzt für Psychiatrie diagnostiziert worden sei, sei es jedoch sehr schwer, das Bestehen eines Krankheitsbilds anzuerkennen, da der Betroffene die damit zusammenhängenden Verhaltensweisen für normal und unausweichlich halte.

47      Trotzdem habe der Erstbeurteilende ihre Entlassung vorgeschlagen. Der Ausschuss habe in seiner Stellungnahme hervorgehoben, dass ihre beruflichen Schwierigkeiten möglicherweise gesundheitlich bedingt seien, und der Verwaltung ausdrücklich empfohlen, dies zu überprüfen.

48      Der Verwaltung obliege gemäß Art. 24 des Statuts gegenüber ihren Bediensteten eine Fürsorgepflicht. Nach ständiger Rechtsprechung sei die Verwaltung aufgrund dieser Pflicht und nach dem Grundsatz der ordnungsgemäßen Verwaltung bei der Entscheidung über die Stellung eines Beamten verpflichtet, sämtliche Umstände zu berücksichtigen, die einen Einfluss auf ihre Entscheidung haben könnten, und habe dabei nicht nur dem dienstlichen Interesse, sondern auch dem Interesse des Beamten Rechnung zu tragen. Bei einer so gravierenden Entscheidung wie einer Entlassung wegen unzulänglicher fachlicher Leistungen seien an die Fürsorgepflicht der Verwaltung erhöhte Anforderungen zu stellen.

49      Im vorliegenden Fall habe der Beurteilende dadurch, dass er entschieden habe, den Ärztlichen Dienst des Parlaments über die bei ihr nach ihrer Versetzung zum Referat „X“ vermuteten psychologischen Probleme nicht unverzüglich in Kenntnis zu setzen, die nach Art. 24 des Statuts und Art. 8, insbesondere Abs. 5, der internen Regelung bestehende Fürsorgepflicht verletzt. Auch wenn die Klägerin das Bestehen dieser Probleme nicht habe einsehen und nicht habe kooperieren wollen, sei die Verwaltung aufgrund ihrer Fürsorgepflicht verpflichtet gewesen, angesichts eines Zweifels hinsichtlich der möglichen medizinischen Ursache der Schwierigkeiten, die sie bei der Wahrnehmung ihrer Aufgaben gehabt habe, das Verfahren wegen unzulänglicher fachlicher Leistungen einzustellen oder zumindest auszusetzen und den Ärztlichen Dienst mit der Durchführung ergänzender Untersuchungen zu beauftragen. Der vom ärztlichen Dienst hinzugezogene Facharzt für Psychiatrie habe in seinem Gutachten eine emotional instabile Persönlichkeitsstörung festgestellt; dies hätte die Verwaltung erst recht veranlassen müssen, in der genannten Weise vorzugehen.

50      Mit Schreiben vom 27. April 2010 hat die Klägerin der Kanzlei des Gerichts den Bericht von Dr. H., einem Facharzt für Psychiatrie, übermittelt, der, nachdem er die Klägerin am 21. April 2010 befragt und untersucht hatte, zu dem Ergebnis gekommen ist, dass sie eine typische Persönlichkeitsstörung aufweise und dass der Verdacht einer Dekompensation zu einer manifesteren Psychose bestehe. Die Klägerin hat die Verspätung dieses neuen Beweisangebots damit begründet, dass Dr. H., bei dem sie im Januar 2010 um einen Termin gebeten habe, erst am 21. April 2010 verfügbar gewesen sei.

51      Das Parlament weist zunächst darauf hin, dass die Bezugnahme auf Art. 24 des Statuts im vorliegenden Fall irrelevant sei, weil diese Vorschrift nicht die Fürsorgepflicht, sondern die den Organen obliegende Beistandspflicht betreffe. Deshalb habe das Parlament nur auf das Vorbringen der Klägerin zu dem behaupteten Verstoß gegen Art. 8 der internen Regelung einzugehen.

52      Die Verschlechterung der Leistungen der Klägerin – insbesondere aufgrund ihrer fehlenden Motivation und ihrer fehlenden Bereitschaft, die ihr zugewiesenen Aufgaben ordnungsgemäß zu erfüllen – habe nach ihrer Verbeamtung auf Lebenszeit begonnen, sich zu manifestieren.

53      Die Sozialassistentin, die im Auftrag des in der GD „Übersetzung und allgemeine Dienste“ für Humanressourcen zuständigen Mitarbeiters im September 2008 an den Arbeitsplatz der Klägerin gekommen sei, habe keine bestimmten Anomalien festgestellt. Außerdem habe die Klägerin auf die ihr von der Sozialassistentin angebotene Hilfe weder positiv noch konstruktiv reagiert.

54      Auch der Vertrauensarzt des Parlaments, den die Klägerin schließlich am 20. November 2008 aufgesucht habe, habe aus ärztlicher Sicht keine Anomalien festgestellt und sie an die Sozialassistentin verwiesen.

55      Trotz dieser Bemühungen des Parlaments, der Klägerin zu helfen, beklage sie sich noch darüber, dass ihre Vorgesetzten ihre Mentalität nicht verstünden. Die Klägerin fühle sich in einem multikulturellen, internationalen Umfeld nicht wohl und habe mehrfach in Bezug auf das Parlament, die Union und ihre Arbeit eine gewisse Geringschätzung zum Ausdruck gebracht, ja sogar die Absicht bekundet, aus ihrem Amt auszuscheiden.

56      Art. 8 der internen Regelung sei im vorliegenden Fall ordnungsgemäß angewandt worden. Der Endbeurteilende habe nämlich bei Einleitung des Verbesserungsverfahrens, d. h. bei dem am 9. Juli 2007 geführten ersten Gespräch im Sinne von Art. 7 der internen Regelung, festgestellt, dass die Einholung von Auskünften des Ärztlichen Dienstes nicht erforderlich sei, da er bei der Klägerin keine Anzeichen für unzulängliche fachliche Leistungen festgestellt habe, die auf gesundheitliche Gründe hätten zurückgeführt werden können. Im Übrigen habe auch die Klägerin selbst keine derartigen Gründe geltend gemacht. Demzufolge habe der Endbeurteilende in vollem Einklang mit Art. 8 Abs. 1 der internen Regelung gehandelt.

57      Außerdem habe der Facharzt für Psychiatrie, an den sich der Ärztliche Dienst im August 2009 gewandt habe, nach Untersuchung der Klägerin eindeutig festgestellt, dass keinerlei Zeichen von geistiger Verwirrung vorlägen. Unter diesen Umständen habe es eine solche Diagnose keineswegs ausgeschlossen, dass die Verwaltung zu Recht davon habe ausgehen können, dass die unzulänglichen fachlichen Leistungen der Klägerin keine medizinische Ursache hätten. Jedenfalls habe der Befund dieses Arztes auf keinen Zusammenhang zwischen der von ihm bei der Klägerin festgestellten Persönlichkeitsstörung und ihren unzulänglichen fachlichen Leistungen hingewiesen. Daraus sei zu schließen, dass die Klägerin selbst in Anbetracht der diagnostizierten Persönlichkeitsstörung in der Lage gewesen sei, ihre Arbeit ordnungsgemäß auszuüben.

58      Überdies seien die Fehler, die die Klägerin in Wahrnehmung ihrer Aufgaben begangen habe, so gravierend und so häufig gewesen, dass sie das reibungslose Funktionieren des Dienstes beeinträchtigt hätten. Ihr beleidigendes Verhalten im Dienst und insbesondere ihre kategorische Weigerung, mit Kollegen einer bestimmten Staatsangehörigkeit oder einer bestimmten ethnischen Herkunft zusammenzuarbeiten, hätten jede Zusammenarbeit unmöglich gemacht.

59      Das Parlament wendet sich gegen eine unzutreffende Auslegung des Protokolls der in Randnr. 24 des vorliegenden Urteils erwähnten Besprechung vom 5. November 2008. In dieser Besprechung sei lediglich vorgeschlagen worden, die Arbeit und das dienstliche Verhalten der Klägerin sehr aufmerksam zu verfolgen und auf alles zu achten, was für den Endbeurteilenden bei der von ihm über die berufliche Zukunft der Klägerin zu treffenden Entscheidung nützlich sein könnte. Außerdem sei darauf hingewiesen worden, dass alle erdenklichen Bemühungen unternommen worden seien, um der Klägerin gegebenenfalls psychologische Hilfe anzubieten, die Klägerin aber psychologische Probleme stets bestritten und jede Hilfe abgelehnt habe. Aus dem Protokoll über diese Besprechung ergebe sich keineswegs, dass in deren Rahmen behauptet worden sei, dass die bei der Klägerin seit ihrer Verbeamtung auf Lebenszeit festgestellten beruflichen Schwierigkeiten auf medizinische Gründe zurückzuführen sein könnten und dass die Klägerin „psychologische Hilfe benötige“.

60      Das Parlament bezweifelt die Behauptung der Klägerin, dass sie sich geweigert habe, zu akzeptieren, dass sie psychologische Probleme habe, da sie sich nach Angaben des Vertrauensarztes des Parlaments einer Behandlung durch einen Facharzt für Psychiatrie unterzogen habe, so dass sie sich zwangsläufig dessen bewusst habe sein müssen, dass sie psychiatrische Probleme habe, auf die sie im Verbesserungsverfahren hätte hinweisen können.

61      Schließlich stellt das Parlament die Relevanz der Stellungnahme des Ausschusses in Frage. Dieser setze sich nicht aus Ärzten zusammen, und seine Stellungnahme sei am 14. Mai 2009 abgegeben worden. Die Anstellungsbehörde habe sich jedoch im Mai 2009 auf die Schlussfolgerungen des Vertrauensarztes des Parlaments stützen können, zu denen dieser einige Monate zuvor, im November 2008, unmittelbar nach einer Untersuchung der Klägerin gelangt sei und nach denen aus medizinischer Sicht keine Anomalie vorgelegen habe.

 Würdigung durch das Gericht

62      Die Klägerin trägt im Wesentlichen vor, dass das Parlament die nach Art. 24 des Statuts und Art. 8 der internen Regelung bestehende Fürsorgepflicht verletzt habe, indem es bis zum Erlass der angefochtenen Entscheidung das Verbesserungsverfahren durchgeführt habe, obwohl es während dieses Verfahrens aufgrund mehrerer Anzeichen hätte feststellen können, dass ihre beruflichen Probleme möglicherweise eine medizinische Ursache hätten. Die Verwaltung sei im Fall von Beamten, bei denen Anzeichen von psychischen Störungen festgestellt worden seien, aufgrund der Fürsorgepflicht dazu verpflichtet, einen Arzt hinzuzuziehen.

63      Insofern ist der erste Klagegrund der Klägerin so zu verstehen, dass sie im Wesentlichen eine Verletzung der Fürsorgepflicht geltend macht, wie sie sich insbesondere in Art. 8 der internen Regelung konkretisiert, ohne dass notwendigerweise der Umfang der Beistandspflicht nach Art. 24 des Statuts als solcher zu prüfen wäre.

64      Zunächst ist zu beachten, dass der in der Rechtsprechung entwickelte Begriff der Fürsorgepflicht der Verwaltung das Gleichgewicht zwischen den wechselseitigen Rechten und Pflichten widerspiegelt, das das Statut in den Beziehungen zwischen der Behörde und dem Beamten geschaffen hat. Dieses Gleichgewicht erfordert insbesondere, dass die Behörde bei der Entscheidung über die Stellung eines Beamten alle Gesichtspunkte berücksichtigt, die geeignet sind, sie in ihrer Entscheidung zu leiten, und dabei nicht nur das dienstliche Interesse, sondern auch dasjenige des betroffenen Beamten berücksichtigt (Urteile des Gerichtshofs vom 28. Mai 1980, Kuhner/Kommission, 33/79 und 75/79, Slg. 1980, 1677, Randnr. 22, und vom 29. Juni 1994, Klinke/Gerichtshof, C‑298/93 P, Slg. 1994, I‑3009, Randnr. 38).

65      Wenn Zweifel bestehen, ob die Schwierigkeiten eines Beamten bei der Wahrnehmung seiner Aufgaben nicht möglicherweise auf medizinischen Gründen beruhen, ist die Verwaltung aufgrund der Fürsorgepflicht gehalten, alles zu unternehmen, um diesen Zweifel auszuräumen, bevor eine Entscheidung über die Entlassung dieses Beamten getroffen wird (vgl. entsprechend Urteil des Gerichts erster Instanz vom 26. Februar 2003, Latino/Kommission, T‑145/01, Slg. ÖD 2003, I‑A‑59 und II‑337, Randnr. 93).

66      Dieses Erfordernis kommt in der internen Regelung selbst zum Ausdruck, denn in deren Art. 8 heißt es, dass der Endbeurteilende unter bestimmten Umständen den Ärztlichen Dienst des Parlaments hinzuziehen muss, wenn er von Umständen Kenntnis erlangt, die darauf schließen lassen, dass das dem Beamten vorgeworfene Verhalten auf medizinischen Gründen beruhen könnte.

67      Außerdem sind die Verpflichtungen, die sich für die Verwaltung aus der Fürsorgepflicht ergeben, erheblich strenger, wenn es um die Situation eines Beamten geht, bei dem Zweifel an seiner psychischen Gesundheit und demzufolge an seiner Fähigkeit bestehen, seine eigenen Interessen in angemessener Weise zu verteidigen (vgl. in diesem Sinne Urteil des Gerichts vom 13. Dezember 2006, de Brito Sequeira Carvalho/Kommission, F‑17/05, Slg. ÖD 2006, I‑A‑1‑149 und II‑A‑1‑577, Randnr. 72). Dies hat erst recht zu gelten, wenn dem betroffenen Beamten, wie im vorliegenden Fall, eine Entlassung droht und er sich somit in einer Situation der Verletzlichkeit befindet.

68      Im vorliegenden Fall ergibt sich aus dem an den Referatsleiter und den Generaldirektor gerichteten Protokoll über das Treffen vom 5. November 2008 in Bezug auf die Eingliederung der Klägerin in das Referat „X“, dass die Klägerin zwar guten Willen zeigte, jedoch Kommunikationsprobleme mit ihren Kollegen hatte, dass sie im Dienst aufgrund ihres Verhaltens isoliert war und dass der in Rede stehende Referatsleiter befürchtete, dass dieses Verhalten langfristig die Arbeitsatmosphäre verschlechtern werde. Ferner wurde in diesem Protokoll darauf hingewiesen, dass zwar alles unternommen worden war, um der Klägerin gegebenenfalls psychologische Unterstützung – durch einen Arzt oder einen Sozialarbeiter – zukommen zu lassen, die Klägerin aber abstritt, Probleme zu haben, und jegliche Hilfe ablehnte.

69      Außerdem wurde zu dem Vorschlag, die Klägerin zu entlassen, der Ausschuss gehört. Dieser kam in seiner am 14. Mai 2009 ergangenen Stellungnahme zu dem Ergebnis, dass die Klägerin nicht in der Lage sei, die ihr zugewiesenen dienstlichen Aufgaben in zufriedenstellender Weise zu erfüllen und in einem multikulturellen Umfeld wie im Parlament zu arbeiten. Außerdem stellte er fest, dass die Verwaltung prüfen müsse, ob die unzulänglichen fachlichen Leistungen der Klägerin auf medizinische Gründe zurückzuführen seien. Schließlich stimmte er dem Vorschlag einer Entlassung zu, falls erwiesen sein sollte, dass die unzulänglichen fachlichen Leistungen der Klägerin nicht auf medizinischen Gründen beruhten, oder falls sich die Klägerin weigern sollte, sich den ärztlichen Untersuchungen zu stellen, die erforderlich seien, um ausschließen zu können, dass ihre beruflichen Schwierigkeiten medizinisch bedingt seien.

70      Ein großer Teil der Stellungnahme befasst sich mit der Frage eines etwaigen Zusammenhangs zwischen den beruflichen Schwierigkeiten der Klägerin und ihrem psychischen Gesundheitszustand.

71      So hat der Ausschuss darauf hingewiesen, dass mehrere Personen, die mit der Klägerin zusammengearbeitet hätten, ihm gegenüber zum Ausdruck gebracht hätten, dass sie an deren Geisteszustand zweifelten, und dass er selbst bei der Anhörung der Klägerin den starken Eindruck gehabt habe, dass sie sich in einem instabilen oder verwirrten Geisteszustand befinde.

72      Der Ausschuss hat außerdem angegeben, dass die von ihm durchgeführten Anhörungen bei den Vorgesetzten der Klägerin die übereinstimmende Auffassung hätten erkennen lassen, dass die Klägerin kurz nach ihrer Verbeamtung auf Lebenszeit angefangen habe, sich ungewöhnlich zu verhalten, so z. B. durch wiederholte Krisen unsozialen Verhaltens gegenüber ihren Kollegen, ihre Weigerung, die ihr obliegenden Aufgaben wahrzunehmen – und zwar aus unerfindlichen oder exzentrischen Gründen –, oder durch ungebührliche Lachanfälle.

73      Darüber hinaus hat der Ausschuss in seiner Stellungnahme mehrere Tatsachen hervorgehoben: Die GD „Übersetzung und allgemeine Dienste“ habe im August 2008 mit dem Ärztlichen Dienst des Parlaments Kontakt aufgenommen, und dieser habe der Klägerin einen Termin vorgeschlagen, um sie auf „Anzeichen einer etwaigen Depression“ hin zu untersuchen, wie er sie bereits im Dezember 2006 festgestellt habe. Die Klägerin habe jedoch auf diese Vorladung nicht reagiert. Daraufhin habe die GD „Übersetzung und allgemeine Dienste“ den Sozialdienst des Parlaments gebeten, sich einzuschalten, aber der habe von der Klägerin eine Absage erhalten. Ferner ergibt sich aus der Akte, dass der Klägerin, als sie Ende 2008 im Referat „X“ arbeitete, psychologische Unterstützung – u. a. durch einen Arzt – angeboten worden ist, sie jedoch jegliche Hilfe abgelehnt hat.

74      Die Verwaltung hat zwar darauf zu achten, dass sich die Beamten oder sonstigen Bediensteten nicht missbräuchlich oder in betrügerischer Absicht auf ihre Rechte aus dem Statut, insbesondere solche zur Sicherung für den Fall der Invalidität, berufen.

75      Nach alledem ist jedoch festzustellen, dass die Verwaltung Ende 2008 und zumindest im Mai 2009, als der Ausschuss seine Stellungnahme abgab, über hinreichende Anhaltspunkte dafür verfügte, dass das der Klägerin vorgeworfene Verhalten auf medizinische Gründe zurückzuführen sein könnte. Unter diesen Umständen musste sie vor Erlass der angefochtenen Entscheidung alles unternehmen, um sich zu vergewissern, dass dies nicht der Fall war.

76      Das Parlament beschränkt sich zu seiner Verteidigung darauf, zu behaupten, die Verwaltung habe im Zeitpunkt des Erlasses der angefochtenen Entscheidung Anhaltspunkte für die Annahme gehabt, dass die beruflichen Schwierigkeiten der Klägerin nicht auf medizinischen Gründen beruht hätten.

77      Allerhöchstens beruft sich das Parlament auf die Beurteilung seiner Sozialassistentin nach ihrem Besuch im September 2008 am Arbeitsplatz der Klägerin und auf die Beurteilung seines Vertrauensarztes, der bei der Untersuchung vom 20. November 2008 keine medizinische Anomalie festgestellt habe.

78      Die Beurteilung einer Sozialassistentin, die nicht über das erforderliche medizinische Fachwissen verfügt, kann es der Verwaltung jedoch nicht erlauben, jeden Zweifel in Bezug auf medizinische Gründe für berufliche Schwierigkeiten eines ihrer Bediensteten auszuschließen.

79      Das einzige zu den Akten gereichte Beweisstück bezüglich der vom Vertrauensarzt des Parlaments am 20. November 2008 durchgeführten „Untersuchung“ ist eine E-Mail vom 27. Oktober 2009, in der es heißt:

„Ich habe dieses Gespräch mit [der Klägerin] im Beisein der Sozialassistentin geführt, um die Untersuchung auch auf die sozialen Aspekte auszudehnen, die bei [der Klägerin] in Betracht kommen konnten. Bei dem Gespräch ist nichts Besonderes vorgefallen.“

80      Aus dieser E-Mail ergibt sich jedoch nicht, dass der Vertrauensarzt des Parlaments, der im Übrigen kein Psychiater ist, nach dem Gespräch eine Diagnose erstellt oder Schlussfolgerungen im Hinblick auf eine etwaige medizinische Ursache der beruflichen Schwierigkeiten der Klägerin gezogen hätte; der Vertrauensarzt berichtet lediglich über den Ablauf des Gesprächs und darüber, dass sich dabei kein Vorfall ereignet habe.

81      Die Umstände, auf die sich das Parlament stützt, vermögen daher nicht hinreichend zu überzeugen.

82      Das Parlament nennt insbesondere keine Schritte der Verwaltung, die vom Zeitpunkt ihrer Kenntnisnahme von der Stellungnahme des Ausschusses bis zum Erlass der angefochtenen Entscheidung unternommen worden wären.

83      Ein Tätigwerden, um festzustellen, ob die beruflichen Schwierigkeiten der Klägerin auf medizinischen Gründen beruhten, war jedoch insbesondere in diesem Verfahrensstadium geboten, da der Ausschuss, der die Situation der Klägerin eingehend hatte prüfen können, dies empfohlen und ausdrücklich erwähnt hatte, dass zwischen den beruflichen Schwierigkeiten und der psychischen Gesundheit der Klägerin möglicherweise ein Zusammenhang bestehe.

84      Außerdem konnte im Licht der Stellungnahme die Tatsache, dass die Klägerin wiederholt jedes Hilfsangebot abgelehnt hatte, von der Verwaltung durchaus als mögliche Weigerung der Klägerin, in Betracht zu ziehen, dass sie an psychischen Störungen leide, verstanden werden und demzufolge als Zeichen dafür, dass sie aufgrund ihres Gesundheitszustands nicht in der Lage war, ihre eigenen Interessen angemessen zu verteidigen. Der Umstand, dass die Klägerin in psychiatrischer Behandlung war, beweist keineswegs, dass sie in der Lage war, das Vorliegen ihrer psychischen Störungen zu erkennen, sondern war eher geeignet, ein umsichtigeres Vorgehen des Parlaments zu rechtfertigen.

85      Ist ein Beamter nicht in der Lage, für sich selbst zu handeln und seine Erkrankung zu beurteilen, kann dies, wie oben festgestellt, gegebenenfalls eine konkrete Verpflichtung des Organs begründen, zumal wenn dem betroffenen Beamten, wie im vorliegenden Fall, eine Entlassung droht und er sich somit in einer Situation der Verletzlichkeit befindet. In diesem speziellen Kontext oblag es daher der Verwaltung, gegenüber der Klägerin darauf zu bestehen, dass sie in eine ergänzende ärztliche Untersuchung einwilligt, insbesondere unter Hinweis auf das Recht des Organs, den Beamten vom Vertrauensarzt auf der Grundlage von Art. 59 Abs. 5 des Statuts untersuchen zu lassen, wonach der Beamte von Amts wegen beurlaubt werden kann, wenn sein Gesundheitszustand dies erfordert.

86      Das Parlament hat aber nicht dargetan und noch nicht einmal behauptet, dass es in dem speziellen, in der vorstehenden Randnummer genannten Kontext nach Kenntnisnahme von der Stellungnahme des Ausschusses konkrete Anstrengungen unternommen hätte, um die Klägerin davon zu überzeugen, sich ärztlich untersuchen zu lassen. Auch die angefochtene Entscheidung schweigt insoweit, ungeachtet der Stellungnahme, und nennt keinen Grund dafür, dass jede Ermittlung von ärztlicher Seite unterblieben ist.

87      Diese mangelnde Sorgfalt gegenüber der Klägerin ist umso unerklärlicher, als das Parlament – obwohl die angefochtene Entscheidung bereits getroffen worden war – nicht gezögert hat, im August 2009, nachdem die Klägerin seinen Ärztlichen Dienst aufgesucht hatte, durch diesen einen Facharzt für Psychiatrie mit ihrer Untersuchung zu beauftragen. Die letztgenannte, knapp einen Monat nach der angefochtenen Entscheidung getroffene Entscheidung des Parlaments bestätigt, dass es notwendig war, die Klägerin von einem Facharzt untersuchen zu lassen, und zeigt die Lücken des Verfahrens auf, das zur streitigen Entlassung geführt hat.

88      Eine solche ärztliche Untersuchung der Klägerin hätte vor der geplanten Entlassung erfolgen müssen, die unter Umständen gerechtfertigt gewesen wäre, wenn der konsultierte Arzt es dann tatsächlich ausgeschlossen hätte, dass das der Klägerin vorgeworfene Verhalten irgendeine medizinische Ursache haben könnte.

89      Nach alledem kann dahingestellt bleiben, ob das von der Klägerin am 27. April 2010 übermittelte Beweisangebot zulässig ist; es ist festzustellen, dass das Parlament nicht alles unternommen hat, um den Zweifel, der hinsichtlich des Vorliegens medizinischer Gründe für die beruflichen Schwierigkeiten der Klägerin bestand, auszuräumen, und dadurch die Fürsorgepflicht verletzt und demzufolge gegen Art. 8 der internen Regelung verstoßen hat.

90      Daher ist, ohne dass die übrigen von der Klägerin geltend gemachten Klagegründe untersucht zu werden brauchen, dem ersten Klagegrund stattzugeben und infolgedessen die angefochtene Entscheidung aufzuheben.

 Zum Schadensersatzantrag

91      Die Klägerin begehrt als Entschädigung für den immateriellen Schaden, den sie ihrer Ansicht nach erlitten hat, die Zahlung von 15 000 Euro.

92      Das Parlament vertritt demgegenüber die Ansicht, dass die Klägerin in keiner Weise erläutert habe, worin ihr Schaden bestehe, so dass ihr Antrag demzufolge unzulässig sei.

93      Hilfsweise macht das Parlament geltend, dass die Klägerin den Nachweis der Rechtswidrigkeit des vorgeworfenen Verhaltens nicht erbracht habe.

94      Insoweit lässt sich schwer bestreiten, dass der Klägerin durch das in Randnr. 87 des vorliegenden Urteils festgestellte rechtswidrige Verhalten des Parlaments ein immaterieller Schaden entstanden ist.

95      Die ex tunc wirkende Aufhebung einer rechtswidrigen Maßnahme kann jedoch als solche einen angemessenen und grundsätzlich hinreichenden Ersatz des gesamten immateriellen Schadens darstellen, den diese Maßnahme verursacht haben mag (Urteil des Gerichtshofs vom 9. Juli 1987, Hochbaum und Rawes/Kommission, 44/85, 77/85, 294/85 und 295/85, Slg. 1987, 3259, Randnr. 22; Urteile des Gerichts erster Instanz vom 9. November 2004, Montalto/Rat, T‑116/03, Slg. ÖD 2004, I‑A‑339 und II‑1541, Randnr. 127, und vom 6. Juni 2006, Girardot/Kommission, T‑10/02, Slg. ÖD 2006, I‑A‑2‑129 und II‑A‑2‑609, Randnr. 131; Urteil des Gerichts vom 8. Mai 2008, Suvikas/Rat, F‑6/07, Slg. ÖD 2008, I‑A‑1‑151 und II‑A‑1‑819, Randnr. 151), sofern nicht die Klägerin nachweist, dass sie einen von der Rechtswidrigkeit, auf der die Aufhebung beruht, abtrennbaren immateriellen Schaden erlitten hat, der durch die Aufhebung nicht in vollem Umfang wiedergutgemacht werden kann (vgl. in diesem Sinne Urteil des Gerichtshofs vom 7. Februar 1990, Culin/Kommission, C‑343/87, Slg. 1990, I‑225, Randnrn. 27 und 28).

96      Die Klägerin mag im vorliegenden Fall Gefühle der Ungerechtigkeit, Frustration oder Unsicherheit empfunden haben, aber dieser Schaden ist durch die Aufhebung der für ihn ursächlichen angefochtenen Entscheidung in angemessener und ausreichender Weise wiedergutgemacht worden.

97      Demzufolge ist der Schadensersatzantrag zurückzuweisen.

 Kosten

98      Nach Art. 87 Abs. 1 der Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei vorbehaltlich der übrigen Bestimmungen des Achten Kapitels des Zweiten Titels der Verfahrensordnung auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Nach Abs. 2 dieser Vorschrift kann das Gericht aus Gründen der Billigkeit entscheiden, dass eine unterliegende Partei zur Tragung nur eines Teils der Kosten oder gar nicht zur Tragung der Kosten zu verurteilen ist.

99      Aus den Gründen des vorliegenden Urteils ergibt sich, dass das Parlament im Wesentlichen unterlegen ist. Außerdem hat die Klägerin ausdrücklich beantragt, dem Parlament die Kosten aufzuerlegen. Da die Umstände des vorliegenden Falls die Anwendung von Art. 87 Abs. 2 der Verfahrensordnung nicht rechtfertigen, sind dem Parlament daher sämtliche Kosten aufzuerlegen.

Aus diesen Gründen hat

DAS GERICHT FÜR DEN ÖFFENTLICHEN DIENST
(Zweite Kammer)

für Recht erkannt und entschieden:

1.      Die Entscheidung des Europäischen Parlaments vom 6. Juli 2009, U zu entlassen, wird aufgehoben.

2.      Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

3.      Das Parlament trägt sämtliche Kosten.

Tagaras

Van Raepenbusch

Rofes i Pujol

Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 28. Oktober 2010.

Die Kanzlerin

 

       Der Präsident

W. Hakenberg

 

       H. Tagaras


* Verfahrenssprache: Französisch.