Language of document : ECLI:EU:T:2023:532

URTEIL DES GERICHTS (Fünfte Kammer)

13. September 2023(*)

„Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik – Restriktive Maßnahmen angesichts der Lage in Belarus – Einfrieren von Geldern – Beschränkung der Einreise in das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten – Aufnahme des Namens des Klägers in die Listen der betroffenen Personen, Organisationen und Einrichtungen und Belassung seines Namens auf diesen Listen – Beurteilungsfehler“

In den Rechtssachen T‑523/21 und T‑216/22,

Alexander Evgenevich Shatrov, wohnhaft in Minsk (Belarus), vertreten durch Rechtsanwälte G. Lansky und A. Egger,

Kläger,

gegen

Rat der Europäischen Union, vertreten durch T. Haas, J. Haunold und S. Van Overmeire als Bevollmächtigte,

Beklagter,

erlässt

DAS GERICHT (Fünfte Kammer)

unter Mitwirkung des Präsidenten J. Svenningsen sowie des Richters J. Laitenberger und der Richterin M. Stancu (Berichterstatterin),

Kanzler: S. Jund, Verwaltungsrätin,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens,

auf die mündliche Verhandlung vom 17. Januar 2023

folgendes

Urteil

1        Mit seinen Klagen nach Art. 263 AEUV beantragt der Kläger, Herr Alexander Evgenevich Shatrov, die Nichtigerklärung

–        des Durchführungsbeschlusses (GASP) 2021/1002 des Rates vom 21. Juni 2021 zur Durchführung des Beschlusses 2012/642/GASP über restriktive Maßnahmen angesichts der Lage in Belarus (ABl. 2021, L 219 I, S. 70) und der Durchführungsverordnung (EU) 2021/997 des Rates vom 21. Juni 2021 zur Durchführung des Artikels 8a Absatz 1 der Verordnung (EG) Nr. 765/2006 über restriktive Maßnahmen gegen Belarus (ABl. 2021, L 219 I, S. 3) (im Folgenden zusammen: ursprüngliche Rechtsakte) und

–        des Beschlusses (GASP) 2022/307 des Rates vom 24. Februar 2022 zur Änderung des Beschlusses 2012/642/GASP über restriktive Maßnahmen angesichts der Lage in Belarus (ABl. 2022, L 46, S. 97) und der Durchführungsverordnung (EU) 2022/300 des Rates vom 24. Februar 2022 zur Durchführung des Artikels 8a der Verordnung (EG) Nr. 765/2006 über restriktive Maßnahmen angesichts der Lage in Belarus (ABl. 2022, L 46, S. 3) (im Folgenden zusammen: Fortsetzungsrechtsakte),

soweit diese Rechtsakte (im Folgenden zusammen: angefochtene Rechtsakte) ihn betreffen.

 Vorgeschichte des Rechtsstreits und Sachverhalt nach Klageerhebung

2        Der Kläger ist ein in Belarus tätiger Geschäftsmann.

3        Den vorliegenden Rechtssachen liegen die restriktiven Maßnahmen zugrunde, die die Europäische Union seit 2004 angesichts der Lage in Belarus in Bezug auf Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechte erlassen hat. Wie aus den Erwägungsgründen der ursprünglichen Rechtsakte hervorgeht, hängen diese Maßnahmen insbesondere erstens mit den Präsidentschaftswahlen vom 9. August 2020, von denen sich herausstellte, dass sie nicht den internationalen Standards entsprachen und durch Repressionsmaßnahmen gegen unabhängige Kandidaten und ein brutales Vorgehen gegen friedliche Demonstranten im Anschluss an diese Wahlen beeinträchtigt wurden, zweitens mit der Eskalation der schwerwiegenden Menschenrechtsverletzungen in Belarus und der brutalen Repressionen gegen die Zivilgesellschaft, die demokratische Opposition und Journalisten sowie Personen, die nationalen Minderheiten angehören, und drittens mit der unter Gefährdung der Flugsicherheit erzwungenen Landung eines Flugzeugs der Fluggesellschaft Ryanair in Minsk (Belarus) vom 23. Mai 2021 und der Festnahme von Herrn Roman Protasevich und Frau Sofia Sapiega durch die belarussischen Behörden zusammen.

4        Am 18. Mai 2006 erließ der Rat der Europäischen Union auf der Grundlage der Art. [75 und 215 AEUV] die Verordnung (EG) Nr. 765/2006 über restriktive Maßnahmen gegen Präsident Lukaschenko und verschiedene belarussische Amtsträger (ABl. 2006, L 134, S. 1) und am 15. Oktober 2012 auf der Grundlage von Art. 29 EUV den Beschluss 2012/642/GASP über restriktive Maßnahmen gegen Belarus (ABl. 2012, L 285, S. 1).

5        Die Kriterien, auf deren Grundlage die individuellen restriktiven Maßnahmen gegen den Kläger erlassen wurden, sind zum einen in Art. 3 Abs. 1 Buchst. a und Art. 4 Abs. 1 Buchst. a des Beschlusses 2012/642 sowie Art. 2 Abs. 4 der Verordnung Nr. 765/2006 und zum anderen in Art. 3 Abs. 1 Buchst. b und Art. 4 Abs. 1 Buchst. b des Beschlusses 2012/642 sowie Art. 2 Abs. 5 der Verordnung Nr. 765/2006 in ihren zum Zeitpunkt des Erlasses der angefochtenen Rechtsakte geltenden Fassungen festgelegt.

6        Art. 3 Abs. 1 Buchst. a des Beschlusses 2012/642 sieht ein Verbot der Einreise in und der Durchreise durch das Hoheitsgebiet der Europäischen Union für Personen vor, die für schwere Menschenrechtsverletzungen oder die Repressionen gegen die Zivilgesellschaft und die demokratische Opposition verantwortlich sind oder deren Aktivitäten die Demokratie oder die Rechtsstaatlichkeit in Belarus auf andere Weise ernsthaft untergraben, und für alle mit ihnen in Verbindung stehenden Personen. Außerdem werden nach Art. 4 Abs. 1 Buchst. a des Beschlusses 2012/642 und Art. 2 Abs. 4 der Verordnung Nr. 765/2006, wobei letztere Bestimmung auf erstere verweist, sämtliche Gelder und wirtschaftlichen Ressourcen eingefroren, die im Besitz oder im Eigentum von Personen, Organisationen oder Einrichtungen stehen oder von diesen gehalten oder kontrolliert werden, die für schwerwiegende Menschenrechtsverletzungen oder Repressionen gegen die Zivilgesellschaft und die demokratische Opposition verantwortlich sind oder deren Aktivitäten die Demokratie oder die Rechtsstaatlichkeit in Belarus auf andere Weise ernsthaft untergraben, sowie von mit diesen Personen, Organisationen oder Einrichtungen in Verbindung stehenden Personen, Organisationen oder Einrichtungen.

7        Art. 3 Abs. 1 Buchst. b des Beschlusses 2012/642 sieht ein Verbot der Einreise in und der Durchreise durch das Hoheitsgebiet der Europäischen Union für Personen vor, die vom Regime von Präsident Lukaschenko profitieren oder es unterstützen. Darüber hinaus werden nach Art. 4 Abs. 1 Buchst. b des Beschlusses 2012/642 und Art. 2 Abs. 5 der Verordnung Nr. 765/2006, wobei letztere Bestimmung auf erstere verweist, sämtliche Gelder und wirtschaftlichen Ressourcen eingefroren, die im Besitz oder im Eigentum u. a. von Personen, Organisationen oder Einrichtungen stehen oder von diesen gehalten oder kontrolliert werden, die vom Regime von Präsident Lukaschenko profitieren oder es unterstützen.

8        Mit den ursprünglichen Rechtsakten wurde der Name des Klägers in die Listen der von den restriktiven Maßnahmen betroffenen Personen, Organisationen und Einrichtungen im Anhang des Beschlusses 2012/642 und in Anhang I der Verordnung Nr. 765/2006 (im Folgenden zusammen: fragliche Listen) aufgenommen.

9        In diesen Rechtsakten rechtfertigte der Rat die Aufnahme des Namens des Klägers in die fraglichen Listen mit folgenden Gründen:

„Als Generaldirektor und Eigentümer von [Synesis TAA] ist Alexander Shatrov für den Beschluss seines Unternehmens verantwortlich, den belarussischen Behörden eine Überwachungsplattform, [KIPOD], zur Verfügung zu stellen, die Videoaufnahmen durchsuchen und analysieren und Gesichtserkennungssoftware einsetzen kann. Daher trägt er zu Repressionen gegen die Zivilgesellschaft und die demokratische Opposition durch den Staatsapparat bei.

[Synesis TAA] und ihre Filiale Panoptes profitieren von ihrer Beteiligung am staatlichen Sicherheitsüberwachungssystem. Auch andere Unternehmen, wie BelBet und Synesis Sport, deren Eigentümer oder Miteigentümer [Herr] Shatrov ist, profitieren von Regierungsaufträgen.

Er gab öffentliche Erklärungen ab, in denen er die Menschen, die gegen das [Regime von Präsident Lukaschenko] protestieren, kritisierte und das Fehlen von Demokratie in Belarus relativierte. Er profitiert somit vom [Regime von Präsident Lukaschenko] und unterstützt es.“

10      Mit E‑Mail vom 12. Juli 2021 beantragte der Kläger Zugang zu den Informationen und Beweisen, die die Aufnahme seines Namens in die fraglichen Listen stützen.

11      Mit Schreiben vom 16. Juli 2021 übermittelte der Rat dem Kläger die Dokumente WK 749/2021 INIT, WK 749/2021 ADD 1, WK 6186/2021 INIT und WK 8225/2021 EXT 1.

12      Mit Schreiben vom 17. Januar 2022 teilte der Rat dem Kläger mit, dass er beabsichtige, die restriktiven Maßnahmen gegen ihn aufrechtzuerhalten, und übermittelte ihm die diese Begründung stützenden Beweise, die in den Dokumenten WK 15385/2021 REV 1, WK 15436/2021 EXT 3 und WK 15436/2021 ADD 1 zusammengefasst sind.

13      Mit Schreiben vom 1. Februar 2022 nahm der Kläger zur Absicht des Rates, die gegen ihn gerichteten restriktiven Maßnahmen aufrechtzuerhalten, und zu den ihm vom Rat zu diesem Zweck übermittelten Dokumenten Stellung.

14      Mit den Fortsetzungsrechtsakten wurde der Name des Klägers bis zum 28. Februar 2023 auf den fraglichen Listen belassen, und zwar aus folgenden Gründen:

„Als Leiter und ehemaliger Mehrheitsanteilseigner von [Synesis TAA] war Alexander Shatrov für den Beschluss dieses Unternehmens verantwortlich, den belarussischen Behörden eine Überwachungsplattform, [KIPOD], zur Verfügung zu stellen, die Videoaufnahmen durchsuchen und analysieren und Gesichtserkennungssoftware einsetzen kann. Daher trägt er zu Repressionen gegen die Zivilgesellschaft und die demokratische Opposition durch den Staatsapparat bei.

[Synesis TAA] und ihre Filiale Panoptes profitieren von ihrer Beteiligung am staatlichen Sicherheitsüberwachungssystem. Auch andere Unternehmen, wie BelBet und Synesis Sport, deren Eigentümer oder Miteigentümer [Herr] Shatrov war, profitieren von Regierungsaufträgen.

Er gab öffentliche Erklärungen ab, in denen er die Menschen, die gegen das [Regime von Präsident Lukaschenko] protestierten, kritisierte und das Fehlen von Demokratie in Belarus relativierte. Damit profitiert er vom [Regime von Präsident Lukaschenko] und unterstützt dieses.

Er ist nach wie vor Anteilseigner von [Synesis TAA].“

15      Mit Schreiben vom 25. Februar 2022 beantwortete der Rat die oben in Rn. 13 genannte Stellungnahme des Klägers. Mit demselben Schreiben teilte er ihm seine Entscheidung mit, seinen Namen auf den fraglichen Listen zu belassen.

 Anträge der Parteien

16      Der Kläger beantragt,

–        die angefochtenen Rechtsakte für nichtig zu erklären, soweit sie ihn betreffen;

–        dem Rat die Kosten aufzuerlegen.

17      Der Rat beantragt,

–        die Klagen abzuweisen;

–        dem Kläger die Kosten aufzuerlegen;

–        in der Rechtssache T‑523/21, hilfsweise, für den Fall, dass das Gericht die ursprünglichen Rechtsakte für nichtig erklärt, soweit sie den Kläger betreffen, anzuordnen, dass die Wirkungen des Durchführungsbeschlusses 2021/1002 in Bezug auf den Kläger bis zum Wirksamwerden der teilweisen Nichtigerklärung der Durchführungsverordnung 2021/997 aufrechtzuerhalten sind;

–        in der Rechtssache T‑216/22, hilfsweise, für den Fall, dass das Gericht die Fortsetzungsrechtsakte für nichtig erklärt, soweit sie den Kläger betreffen, anzuordnen, dass die Wirkungen des Beschlusses 2022/307 in Bezug auf den Kläger bis zum Wirksamwerden der teilweisen Nichtigerklärung der Durchführungsverordnung 2022/300 aufrechtzuerhalten sind.

 Rechtliche Würdigung

18      Nachdem die Parteien hierzu angehört worden sind, entscheidet das Gericht, die vorliegenden Rechtssachen gemäß Art. 68 seiner Verfahrensordnung zu gemeinsamem Urteil zu verbinden.

19      Seine Klagen stützt der Kläger auf einen einzigen Klagegrund, mit dem er Beurteilungsfehler rügt.

20      Insoweit macht er im Wesentlichen geltend, dass die in den angefochtenen Rechtsakten genannten Aufnahme- und Belassungsgründe, soweit sie ihn beträfen, auf Beurteilungsfehlern beruhten und daher die Aufnahme seines Namens in die fraglichen Listen und dessen Belassung auf diesen Listen nicht rechtfertigen könnten.

21      Zum ersten Aufnahme- und Belassungsgrund macht der Kläger zunächst geltend, der Rat könne sich nicht auf Handlungen von Synesis stützen, um seinen Namen in die fraglichen Listen aufzunehmen und darauf zu belassen, nur weil er bei diesem Unternehmen eine bestimmte Stellung innehabe oder innegehabt habe. Der Rat hätte vielmehr Beweise dafür vorlegen müssen, dass er an den ihm vorgeworfenen Handlungen von Synesis beteiligt gewesen sei, was der Rat im vorliegenden Fall jedoch nicht getan habe.

22      Sodann hätte der Rat Beweise dafür vorlegen müssen, dass der Kläger zum Zeitpunkt des Erlasses der angefochtenen Rechtsakte Generaldirektor von Synesis gewesen sei, was der Rat nicht hätte tun können, da der Kläger keine solche Stellung in diesem Unternehmen gehabt habe.

23      Schließlich bringt der Kläger vor, er könne nicht für Repressionen gegen die Zivilgesellschaft und die demokratische Opposition durch den Staatsapparat in Belarus verantwortlich gemacht werden, da zwischen seinen Tätigkeiten und den Repressionen kein ausreichender ursächlicher Zusammenhang bestehe.

24      So macht der Kläger erstens geltend, die Überwachungsplattform KIPOD könne nicht zu Zwecken der Repression verwendet werden und sei auch nicht dazu verwendet worden. Zum einen sei es nämlich nicht möglich, eine gesamte Reisepass-Datenbank auf KIPOD herunterzuladen, um danach jede darin geführte Einzelperson zu suchen, oder umgekehrt, Bilder von Einzelpersonen aus einer Menschenmenge mit einer gesamten Reisepass-Datenbank abzugleichen. Zum anderen werde KIPOD im Wesentlichen in der U‑Bahn und am Zentralbahnhof von Minsk (Belarus) zur Überwachung der Sicherheit in diesen öffentlichen Räumen verwendet, wobei jede Nutzung von KIPOD zu anderen als den genannten Zwecken gesetzwidrig sei.

25      Zweitens trägt der Kläger vor, dass Synesis KIPOD nicht betreibe und dass daher, selbst wenn KIPOD zu Zwecken der Repression verwendet werden könne und von ihren Nutzern dazu verwendet worden sei, weder Synesis noch er selbst für deren Handlungen verantwortlich gemacht werden könnten.

26      Drittens sei KIPOD den belarussischen Behörden jedenfalls nicht von Synesis, sondern von einer rechtlich eigenständigen Gesellschaft, nämlich OOO 24x7 Panoptes (im Folgenden: Panoptes), zur Verfügung gestellt worden.

27      Zum zweiten Aufnahme- und Belassungsgrund führt der Kläger aus, der Rat habe ihn zu Unrecht als natürliche Person angesehen, die vom Regime von Präsident Lukaschenko profitiere.

28      So trägt der Kläger erstens vor, der Rat habe keine Beweise dafür vorgelegt, dass Synesis oder Panoptes zum Zeitpunkt des Erlasses der angefochtenen Rechtsakte von ihrer Beteiligung am staatlichen Überwachungssystem profitiert hätten. Zum einen sei Panoptes nach dem erfolgreichen Abschluss eines Vergabeverfahrens im Wege einer öffentlichen Ausschreibung vertragliche Verpflichtungen mit den belarussischen Behörden eingegangen. Der Rat könne nicht davon ausgehen, dass eine juristische Person vom Regime von Präsident Lukaschenko profitiere, wenn der fragliche Vertrag das Ergebnis eines Vergabeverfahrens sei und die Vergabe aufgrund der im Vergabeverfahren nachgewiesenen Leistung nach Durchführung eines unparteiischen Verfahrens erfolgt sei. Zum anderen profitiere Panoptes weder vom Regime von Präsident Lukaschenko noch unterstütze sie es, da sie Entgelt nur direkt von den Unternehmen erhalte, die ihre Kameras mit dem staatlichen Überwachungssystem verbänden. Zudem könne der Rat von den Forschungs- und Entwicklungstätigkeiten von Synesis nicht darauf schließen, dass diese, geschweige denn der Kläger, das Regime von Präsident Lukaschenko unterstütze. Schließlich müsse die Unterstützung des Regimes durch die in die fraglichen Listen aufgenommene Person oder Organisation selbst erbracht werden und nicht durch andere Organisationen, die im Eigentum dieser Person oder Organisation stünden oder von ihr kontrolliert würden.

29      Was zweitens den Verweis auf BelBet und Synesis Sport betrifft, macht der Kläger in Bezug auf die ursprünglichen Rechtsakte geltend, der Rat habe nicht nachgewiesen, dass er Eigentümer oder Miteigentümer dieser Unternehmen sei. Was die Fortsetzungsrechtsakte angehe, habe der Rat, auch wenn der Kläger eine solche Stellung bei BelBet und Synesis Sport innehabe, nicht nachgewiesen, dass diese Unternehmen von Verträgen mit der Regierung profitiert hätten und er an den Handlungen dieser Unternehmen beteiligt gewesen sei.

30      Der dritte Aufnahme- und Belassungsgrund sei nicht stichhaltig, da der Kläger keinen kritischen Kommentar zu den Protesten im Zusammenhang mit den Präsidentschaftswahlen am 9. August 2020 abgegeben habe. Dieser Grund beruhe auf einem Facebook-Beitrag, den er am 25. März 2017, also lange vor diesen Protesten veröffentlicht habe. Außerdem habe er lediglich von seinem Recht auf freie Meinungsäußerung Gebrauch gemacht, als er damit bekräftigt habe, dass Gesetze zu befolgen seien.

31      Was den vierten Grund betrifft, der in den Fortsetzungsrechtsakten hinzugefügt wurde, bestreitet der Kläger nicht, dass er zum Zeitpunkt des Erlasses dieser Rechtsakte noch Anteilseigner von Synesis war, macht aber geltend, dass dieser Aufnahmegrund in keinem Zusammenhang mit den oben in den Rn. 6 und 7 genannten Kriterien stehe.

32      Der Rat tritt dem Vorbringen des Klägers entgegen.

33      Es ist darauf hinzuweisen, dass die durch Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union garantierte Wirksamkeit der gerichtlichen Kontrolle u. a. erfordert, dass sich der Unionsrichter, wenn er die Rechtmäßigkeit der einer Entscheidung, den Namen einer bestimmten Person in die fraglichen Listen aufzunehmen oder darauf zu belassen, zugrunde liegenden Begründung prüft, vergewissert, dass diese Entscheidung, die eine individuelle Betroffenheit dieser Person oder Organisation begründet, auf einer hinreichend gesicherten tatsächlichen Grundlage beruht. Dies setzt eine Überprüfung der Tatsachen voraus, die in der dieser Entscheidung zugrunde liegenden Begründung angeführt werden, so dass sich die gerichtliche Kontrolle nicht auf die Beurteilung der abstrakten Wahrscheinlichkeit der angeführten Gründe beschränkt, sondern auf die Frage erstreckt, ob diese Gründe – oder zumindest einer von ihnen, der für sich genommen als ausreichend angesehen wird, um diese Entscheidung zu stützen – erwiesen sind (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 18. Juli 2013, Kommission u. a./Kadi, C‑584/10 P, C‑593/10 P und C‑595/10 P, EU:C:2013:518, Rn. 119).

34      Der Unionsrichter hat bei dieser Prüfung gegebenenfalls von der zuständigen Unionsbehörde – vertrauliche oder nicht vertrauliche – Informationen oder Beweise anzufordern, die für eine solche Prüfung relevant sind (vgl. Urteil vom 18. Juli 2013, Kommission u. a./Kadi, C‑584/10 P, C‑593/10 P und C‑595/10 P, EU:C:2013:518, Rn. 120 und die dort angeführte Rechtsprechung).

35      Im Streitfall ist es nämlich Sache der zuständigen Unionsbehörde, die Stichhaltigkeit der gegen die betroffene Person vorliegenden Gründe nachzuweisen, und nicht Sache der betroffenen Person, den negativen Nachweis zu erbringen, dass diese Gründe nicht stichhaltig sind (Urteil vom 18. Juli 2013, Kommission u. a./Kadi, C‑584/10 P, C‑593/10 P und C‑595/10 P, EU:C:2013:518, Rn. 121).

36      Übermittelt die zuständige Unionsbehörde relevante Informationen oder Beweise, muss der Unionsrichter die inhaltliche Richtigkeit der vorgetragenen Tatsachen anhand dieser Informationen oder Beweise prüfen und deren Beweiskraft anhand der Umstände des Einzelfalls und im Licht etwaiger dazu abgegebener Stellungnahmen, insbesondere der betroffenen Person, würdigen (Urteil vom 18. Juli 2013, Kommission u. a./Kadi, C‑584/10 P, C‑593/10 P und C‑595/10 P, EU:C:2013:518, Rn. 124).

37      Bei dieser Beurteilung sind die Beweise und Informationen nicht isoliert, sondern in dem Zusammenhang zu prüfen, in dem sie stehen. Der Rat kommt der ihm obliegenden Beweislast nach, wenn er vor dem Unionsrichter auf ein Bündel von Indizien hinweist, die hinreichend konkret, genau und übereinstimmend sind und die Feststellung ermöglichen, dass eine hinreichende Verbindung zwischen der Organisation, die einer Maßnahme des Einfrierens ihrer Gelder unterworfen ist, und dem bekämpften Regime oder ganz allgemein den bekämpften Situationen besteht (vgl. Urteil vom 12. Februar 2020, Kanyama/Rat, T‑167/18, nicht veröffentlicht, EU:T:2020:49, Rn. 93 und die dort angeführte Rechtsprechung).

38      Außerdem kann sich der Unionsrichter zur Belastung und zur Entlastung auch auf einen vom Kläger während des Gerichtsverfahrens vorgebrachten Gesichtspunkt stützen. Dass die von den restriktiven Maßnahmen betroffene Person einen Gesichtspunkt zu ihrer Entlastung mitgeteilt hat, schließt nämlich nicht aus, dass ihr dieser Gesichtspunkt gegebenenfalls entgegengehalten wird, um die Stichhaltigkeit der Gründe festzustellen, die den gegen sie verhängten restriktiven Maßnahmen zugrunde liegen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 12. Februar 2020, Ilunga Luyoyo/Rat, T‑166/18, nicht veröffentlicht, EU:T:2020:50, Rn. 124 und die dort angeführte Rechtsprechung). Gleiches gilt für die Gesichtspunkte, die diese Person anlässlich eines Antrags auf Überprüfung der sie betreffenden restriktiven Maßnahmen mitgeteilt hat.

39      Schließlich ist hinsichtlich der Zuverlässigkeit und Beweiskraft von Beweisen, einschließlich solcher aus digitalen Quellen, zu beachten, dass für den Gerichtshof und das Gericht der Grundsatz der freien Beweiswürdigung gilt und dass für die Würdigung der vorgelegten Beweise allein deren Glaubhaftigkeit maßgeblich ist. Außerdem ist zur Beurteilung des Beweiswerts eines Dokuments die Wahrscheinlichkeit der darin enthaltenen Informationen zu untersuchen, wobei insbesondere die Herkunft des Dokuments, die Umstände seiner Ausarbeitung sowie sein Adressat zu berücksichtigen sind und zu prüfen ist, ob es seinem Inhalt nach sinnvoll und glaubhaft erscheint (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 14. März 2018, Kim u. a./Rat und Kommission, T‑533/15 und T‑264/16, EU:T:2018:138, Rn. 224, und vom 12. Februar 2020, Kande Mupompa/Rat, T‑170/18, EU:T:2020:60, Rn. 107 [nicht veröffentlicht]).

40      Anhand dieser Grundsätze ist im vorliegenden Fall zu prüfen, ob die Gründe für die Aufnahme des Namens des Klägers in die fraglichen Listen und seine Belassung auf diesen Listen auf einem Bündel von Indizien beruhen, die hinreichend konkret, genau und übereinstimmend sind und es ermöglichen, den Kläger als Person anzusehen, die für die Repression der Zivilgesellschaft und der demokratischen Opposition in Belarus verantwortlich ist sowie vom Regime von Präsident Lukaschenko profitiert und es unterstützt.

41      Zunächst sind die Aufnahme- und Belassungsgründe zu prüfen, die sich auf den Beitrag beziehen, den der Kläger zu Repressionen gegen die Zivilgesellschaft und die demokratische Opposition in Belarus geleistet haben soll.

42      Im Rahmen der Prüfung der Stichhaltigkeit dieser Gründe hat das Gericht erstens zu prüfen, ob Synesis den belarussischen Behörden KIPOD, die Videoaufnahmen durchsuchen und analysieren und Gesichtserkennungssoftware einsetzen kann, zur Verfügung gestellt hat, und zweitens, ob der Kläger zunächst als Generaldirektor und Eigentümer und dann als Minderheitsanteilseigner sowie früherer Leiter und Mehrheitsanteilseigner von Synesis für deren Beschluss, KIPOD den belarussischen Behörden zur Verfügung zu stellen, verantwortlich gemacht werden kann, so dass davon ausgegangen werden kann, dass er aufgrund dieses Beschlusses von Synesis zu Repressionen gegen die Zivilgesellschaft und die demokratische Opposition durch den Staatsapparat in Belarus beigetragen hat.

 Bereitstellung der Überwachungsplattform KIPOD an die belarussischen Behörden durch Synesis

43      Vorab ist festzustellen, dass die Parteien darüber einig sind, dass die Bereitstellung der in den angefochtenen Rechtsakten genannten Überwachungsplattform KIPOD an die belarussischen Behörden in Form ihrer Integration in das in Belarus bestehende staatliche Überwachungssystem erfolgte.

44      Wie aus den Beweisen Nrn. 6 und 7 des Dokuments WK 749/2021 INIT hervorgeht, wurde dieses System auf der Grundlage des Präsidialdekrets Nr. 187 vom 25. Mai 2017 über das staatliche Überwachungssystem (im Folgenden: Präsidialdekret Nr. 187 von 2017) und des Beschlusses Nr. 841 des Ministerrats der Republik Belarus vom 10. November 2017 (im Folgenden: Beschluss Nr. 841 des Ministerrats von 2017) eingerichtet. Es besteht aus Videoüberwachungskameras, Detektoren und Kommunikationsketten, die alle mit einem staatlichen Datenverarbeitungszentrum verbunden sind, das der Sammlung, Speicherung und Verarbeitung der mittels der Bestandteile des Systems erhobenen Daten dient. Gemäß dem Präsidialdekret Nr. 187 von 2017 und dem Beschluss Nr. 841 des Ministerrats von 2017 ist das Innenministerium die als Koordinator des staatlichen Überwachungssystems benannte Regierungsstelle.

45      Der Kläger bestreitet nicht die in den angefochtenen Rechtsakten angegebenen Funktionen von KIPOD, nämlich dass damit Videoaufnahmen durchsucht und ausgewertet werden können und eine Gesichtserkennungssoftware eingesetzt werden kann. Er führt aber aus, dass KIPOD nicht zu Zwecken der Repression habe verwendet werden können und auch nicht dazu verwendet worden sei. Jedenfalls habe nicht Synesis KIPOD den belarussischen Behörden bereitgestellt, sondern Panoptes, bei der es sich um eine rechtlich eigenständige Organisation handele.

46      Daher ist zum einen zu prüfen, ob KIPOD zu Zwecken der Repression verwendet werden kann und tatsächlich dazu verwendet wurde, und zum anderen, ob Synesis für die Bereitstellung von KIPOD an die belarussischen Behörden verantwortlich gemacht werden kann.

 Möglichkeit der Verwendung von KIPOD zu Zwecken der Repression und ihre Verwendung zu diesen Zwecken

47      Was erstens das Vorbringen des Klägers betrifft, KIPOD könne nicht zu Zwecken der Repression verwendet werden, ist darauf hinzuweisen, dass der Kläger nicht bestreitet, dass mit KIPOD Videoaufnahmen durchsucht und ausgewertet werden können und eine Gesichtserkennungssoftware eingesetzt werden kann. Wie aus den Beweisen Nrn. 3 und 4 des Dokuments WK 749/2021 INIT hervorgeht, deren Quellen entweder Synesis oder mit ihr verbundene Organisationen sind, ermöglichen es die Funktionen von KIPOD u. a., eine Person auf der Grundlage des bloßen Hochladens eines Fotos, selbst wenn es von schlechter Qualität ist, sofort zu identifizieren und zu bestimmen, wo sie wann gewesen ist, oder auch eine Person auf der Grundlage von Alter, Rasse, Geschlecht und anderen Merkmalen zu identifizieren.

48      Entgegen dem Vorbringen des Klägers ist festzustellen, dass in einem Land wie Belarus, das, wie sich u. a. aus dem vierten Erwägungsgrund des Beschlusses 2012/642 ergibt, seit dem Jahr 2004 durch eine ständige Repression der Zivilgesellschaft und der demokratischen Opposition gekennzeichnet ist, die oben genannten Funktionen von KIPOD, die im Rahmen des staatlichen Überwachungssystems genutzt werden, besonders geeignet sind, vom Regime von Präsident Lukaschenko zu Zwecken der Repression verwendet zu werden, da, wie aus den Bestimmungen des Präsidialdekrets Nr. 187 von 2017 hervorgeht, die beiden wichtigsten Repressionsstellen des Regimes, das Innenministerium und das Staatssicherheitskomitee (KGB), zu den Nutzern des staatlichen Überwachungssystems und damit von KIPOD gehören. Außerdem haben diese Stellen uneingeschränkten Zugang zu diesem System und damit zu den darin integrierten Funktionen von KIPOD, ohne dass eine vorherige Genehmigung oder eine nachträgliche Kontrolle erforderlich wäre.

49      Zwar trägt der Kläger vor, KIPOD sei nicht zur Integration von Reisepass-Datenbanken in der Lage, weshalb sie nicht zu Zwecken der Repression verwendet werden könne. Es ist jedoch darauf hinzuweisen, dass der fragliche Aufnahme- und Belassungsgrund nicht auf eine solche Funktion von KIPOD abzielt, sondern auf den Umstand, dass mit KIPOD Videoaufnahmen durchsucht und ausgewertet werden können und eine Gesichtserkennungssoftware eingesetzt werden kann. Wie oben in Rn. 48 ausgeführt, können die Repressionsstellen des Regimes die Funktionen von KIPOD uneingeschränkt nutzen, die es u. a. ermöglichen, eine Person auf der Grundlage des bloßen Hochladens eines Fotos, selbst wenn es von schlechter Qualität ist, sofort zu identifizieren und zu bestimmen, wo sie wann gewesen ist, oder auch eine Person auf der Grundlage von Alter, Rasse, Geschlecht und anderen Merkmalen zu identifizieren. Daher ist KIPOD besonders geeignet, vom Regime von Präsident Lukaschenko zu Zwecken der Repression verwendet zu werden.

50      Außerdem ist jedenfalls festzustellen, dass KIPOD entgegen dem Vorbringen des Klägers die Integration von Datenbanken ermöglicht. Dem Artikel vom 20. Dezember 2020, der auf der Website „tvr.by“ der belarussischen staatlichen Fernseh- und Rundfunkgesellschaft Belteleradio veröffentlicht und als Beweis Nr. 8 des Dokuments WK 749/2021 INIT vorgelegt wurde, ist zu entnehmen, dass das Innenministerium im Rahmen des staatlichen Überwachungssystems eine Datenbank mit persönlichen Informationen wie Geschlecht, Alter, Region, Arbeitsplatz, Bildung und Hobbys von Personen, die gegen die Ordnung auf den Straßen verstoßen, eingerichtet hat und methodisch speist. Dies wird im Übrigen durch die Technische Analyse von KIPOD bestätigt, die der Kläger als Anlage zu seinen Klageschriften vorgelegt hat. In dieser Analyse, auf die sich das Gericht gemäß der in Rn. 38 angeführten Rechtsprechung nicht nur zur Entlastung, sondern auch zur Belastung stützen kann, heißt es nämlich, dass KIPOD das Erstellen von persönliche Informationen enthaltenden „Personenkarten“ über zuvor identifizierte Personen ermöglicht.

51      Was zweitens das Vorbringen des Klägers betrifft, mit dem er die Verwendung von KIPOD zu Zwecken der Repression durch das Regime von Präsident Lukaschenko bestreitet, ist zunächst darauf hinzuweisen, dass die bloße Einführung eines Systems zur Überwachung der Bevölkerung wie des in Belarus bestehenden staatlichen Überwachungssystems, in dem eine Überwachungsplattform integriert ist, mit der Videoaufnahmen durchsucht und ausgewertet werden können und eine Gesichtserkennungssoftware eingesetzt werden kann und zu der das Innenministerium und das KGB uneingeschränkten Zugang haben, in einem Land wie Belarus an sich schon geeignet ist, die Zivilgesellschaft und die demokratische Opposition nachdrücklich von der Bekundung ihres Bestrebens nach der Ausübung ihrer Rechte abzuhalten, und daher einen Akt der Repression darstellt.

52      Ferner geht entgegen dem Vorbringen des Klägers aus den Aktenstücken hervor, dass die Funktionen von KIPOD von den belarussischen Behörden tatsächlich im Rahmen des staatlichen Überwachungssystems zu Zwecken der Repression verwendet wurden.

53      So enthält der Beweis Nr. 10 des Dokuments WK 749/2021 INIT, bei dem es sich um einen von der Website „pramen.io“ stammenden Artikel vom 17. August 2020 handelt, Demonstrationsvideos für die Nutzung der Funktionen von KIPOD zur Identifizierung von Personen durch die Behörden im Rahmen des staatlichen Überwachungssystems und kommt auf der Grundlage dieser Demonstration der Kapazitäten von KIPOD zu dem Schluss, dass die Behörden heutzutage problemlos die Teilnehmer von Kundgebungen identifizieren und genau diejenigen, bei denen sie es für erforderlich halten, unterdrücken können.

54      Dies wird durch den oben in Rn. 50 angeführten Artikel vom 20. Dezember 2020 bestätigt, der auf der Website „tvr.by“ veröffentlicht wurde und in dem es heißt, dass das staatliche Überwachungssystem geschaffen wurde, um die Begehung von Verbrechen und Vergehen zu verhindern, und es dem Innenministerium ermöglicht, Kontrolle zu gewährleisten und angemessen auf jede Kundgebung zerstörerischer Aktivitäten zu reagieren. Hierzu wird in dem Artikel im Wesentlichen ausgeführt, dass das staatliche Überwachungssystem es den Behörden ermöglicht, in Echtzeit Informationen über jeden Teilnehmer an Protestkundgebungen im ganzen Land zu sammeln, und dass einzelne Befürworter von Veränderungen, die mit Hilfe der Telegram-App anonyme Nachrichtenkanäle einrichten, immer häufiger in die Hände von Polizeibeamten fallen und ihre Taten bereuen.

55      Darüber hinaus werden im Beweis Nr. 11 des Dokuments WK 749/2021 INIT, nämlich einem Artikel, der am 1. Oktober 2020 auf der Website „tut.by“ – bei der es sich, wie vom Rat in Beantwortung einer prozessleitenden Maßnahme ausgeführt, um das größte unabhängige Medienunternehmen in Belarus handelt – veröffentlicht wurde, mehrere Textnachrichten zitiert, die das Innenministerium an Personen versandt hat, die an Protestkundgebungen teilgenommen haben, und in denen es den Empfängern mitteilt, dass bei ihnen ein Verstoß gegen die gesetzlichen Bestimmungen über Massenveranstaltungen festgestellt worden sei und ihre Handlungen auf Foto- und Videoaufnahmen aufgezeichnet seien.

56      Schließlich verfügte der Rat zum Zeitpunkt des Erlasses der Fortsetzungsrechtsakte über zusätzliche Beweise dafür, dass die Funktionen von KIPOD zu diesem Zeitpunkt im Rahmen des staatlichen Überwachungssystems zu Zwecken der Repression genutzt wurden. Zu diesen Beweisen gehören Artikel, die am 27. März 2021 und am 23. Dezember 2020 auf der Website „euroradio.fm“ veröffentlicht wurden und in den Beweisen Nrn. 18 bzw. 14 des Dokuments WK 15385/2021 REV 1 enthalten sind. Im ersten Artikel wird die Aussage eines ehemaligen belarussischen Polizeibeamten zitiert, der bestätigt, dass er persönlich die Funktionen von KIPOD zur Identifizierung von Personen verwendet hat. Im zweiten Artikel werden die Ergebnisse einer von ehemaligen Mitgliedern der belarussischen Polizei durchgeführten Untersuchung dargestellt, die bestätigen, dass ein Gegner des Regimes im November 2020 festgenommen wurde, nachdem er mit Hilfe der Funktionen von KIPOD im Rahmen des staatlichen Überwachungssystems identifiziert worden war.

57      Der Kläger stellt diese Beweise in Frage.

58      Insoweit ist jedoch darauf hinzuweisen, dass sich der Kläger, was erstens die Zuverlässigkeit des oben in Rn. 53 genannten Beweises betrifft, auf die Behauptung beschränkt, dieser enthalte keine „stützenden Nachweise“ für die Behauptung, mit diesem Beweis werde belegt, dass KIPOD zu Zwecken der Repression verwendet worden sei. Wie in dieser Randnummer ausgeführt, geht aus dem von der Website „pramen.io“ stammenden Artikel vom 17. August 2020 hervor, dass die darin enthaltenen Schlussfolgerungen keine bloße Meinung sind, sondern auf mehreren Demonstrationsvideos für die Nutzung der Funktionen von KIPOD zur Identifizierung von Personen durch die Behörden im Rahmen des staatlichen Überwachungssystems beruhen.

59      Zweitens sind die oben in den Rn. 55 und 56 genannten Beweise entgegen dem Vorbringen des Klägers nicht ohne Beweiswert, da, auch wenn der Kläger, Synesis oder KIPOD dort nicht ausdrücklich erwähnt werden, aus dem Kontext, in dem diese Beweise stehen, klar hervorgeht, dass sie sich auf das staatliche Überwachungssystem und auf KIPOD beziehen. Zum Zeitpunkt der Veröffentlichung der in den Beweisen enthaltenen Artikel war das vom Innenministerium in Belarus verwendete einheitliche Datenverarbeitungssystem nämlich das staatliche Überwachungssystem, und bei der Plattform, mit der Videoaufnahmen durchsucht und ausgewertet werden konnten, handelte es sich um KIPOD, die in dieses System integriert war.

60      Drittens ist festzustellen, dass die Zuverlässigkeit der im Beweis Nr. 18 des Dokuments WK 15385/2021 REV 1 enthaltenen, oben in Rn. 56 genannten Erklärung des ehemaligen belarussischen Polizisten nicht allein deshalb in Frage gestellt werden kann, weil Synesis diesen ehemaligen Polizisten aufgefordert hat, öffentlich zu erläutern, wie er KIPOD zur Identifizierung von Personen verwendet haben will, und er dies nicht getan haben soll.

61      Schließlich ist zu der Untersuchung, die in dem ebenfalls oben in Rn. 56 angeführten Beweis Nr. 14 des Dokuments WK 15385/2021 REV 1 erwähnt ist, festzustellen, dass das Vorbringen, dieser Beweis sei vom Rat erst vor Erlass der Fortsetzungsrechtsakte vorgelegt worden, seine Zuverlässigkeit nicht in Frage stellen kann, da dieser Beweis Teil des genannten Dokuments ist, das dem Kläger mit dem Schreiben des Rates übermittelt wurde, mit dem dieser dem Kläger vor dem Erlass der Fortsetzungsrechtsakte mitteilte, dass er beabsichtige, seinen Namen auf den fraglichen Listen zu belassen (siehe oben, Rn. 12). Zu den Tatsachenfehlern, auf denen dieser Beweis beruhen soll, genügt die Feststellung, dass der Kläger sein Vorbringen durch nichts belegt.

62      In Anbetracht der oben in den Rn. 47 bis 61 dargelegten Erwägungen ist der Schluss zu ziehen, dass die Funktionen von KIPOD zu Zwecken der Repression im Rahmen des staatlichen Überwachungssystems genutzt werden konnten und dazu auch genutzt wurden.

63      Das weitere Vorbringen des Klägers kann diese Schlussfolgerung nicht in Frage stellen.

64      Entgegen dem Vorbringen des Klägers werden die Funktionen von KIPOD im Rahmen des staatlichen Überwachungssystems nämlich nicht im Wesentlichen in der U‑Bahn und am Zentralbahnhof von Minsk sowie ausschließlich zur Überwachung der Sicherheit in diesen öffentlichen Räumen genutzt.

65      Nach den Bestimmungen des Präsidialdekrets Nr. 187 von 2017 und des Beschlusses Nr. 841 des Ministerrats von 2017 wurde das staatliche Überwachungssystem so konzipiert, dass es das gesamte Hoheitsgebiet der Republik Belarus abdeckt. Außerdem geht aus dem oben in Rn. 50 angeführten Artikel, der von der Website der belarussischen staatlichen Fernseh- und Rundfunkgesellschaft Belteleradio stammt, die einer der vom Regime von Präsident Lukaschenko zugelassenen Kommunikationskanäle ist, hervor, dass dieses System es den Behörden ermöglicht, in Echtzeit Informationen über jeden Teilnehmer an Protestkundgebungen im ganzen Land zu sammeln.

66      Schließlich ist jedenfalls festzustellen, dass, selbst wenn das staatliche Überwachungssystem zum Zeitpunkt des Erlasses der angefochtenen Rechtsakte noch nicht auf nationaler Ebene eingeführt gewesen sein sollte, die Orte in der Stadt Minsk, an denen es zu Massenansammlungen kommt, gemäß Art. 20 des Präsidialdekrets Nr. 187 von 2017 zwingend mit Videoüberwachungsanlagen ausgestattet sind, die mit dem staatlichen Überwachungssystem verbunden sind, und zwar seit 2014. Darüber hinaus muss nach dieser Bestimmung die Liste dieser Orte, die 2014 vom Ministerrat gebilligt wurde, mindestens einmal jährlich vom Exekutivausschuss der Stadt Minsk überprüft werden, um dem Ministerrat Vorschläge für eine Aktualisierung zu unterbreiten. Folglich werden die Funktionen von KIPOD entgegen dem Vorbringen des Klägers nicht nur in U‑Bahnstationen und am Zentralbahnhof von Minsk, sondern zumindest auch an den Orten in der Stadt Minsk genutzt, an denen es zu Massenansammlungen kommt und an denen die Kundgebungen gegen das Regime von Präsident Lukaschenko hauptsächlich stattfinden.

67      Zum Vorbringen des Klägers, die Nutzung der Funktionen von KIPOD im Rahmen des staatlichen Überwachungssystems zu Zwecken der Repression sei gesetzwidrig, ist festzustellen, dass nach Art. 3 des Beschlusses Nr. 841 des Ministerrats von 2017 mit der Einrichtung des staatlichen Überwachungssystems u. a. bezweckt wird, die öffentliche Sicherheitslage zu überwachen, um die öffentliche Ordnung zu gewährleisten, sowie Verbrechen und andere Straftaten zu verhindern, festzustellen (aufzudecken) und zu verfolgen. Aus dem zweiten Erwägungsgrund des Durchführungsbeschlusses 2021/1002 geht hervor, dass die friedlichen Demonstrationen im Anschluss an die am 9. August 2020 in Belarus abgehaltenen Präsidentschaftswahlen vom Regime von Präsident Lukaschenko brutal unterdrückt wurden. Somit kann dem Vorbringen des Klägers nicht gefolgt werden, wonach es gegen belarussische Rechtsvorschriften verstoße, die Protestkundgebungen gegen das Regime von Präsident Lukaschenko zu unterdrücken und dazu Informationen zu nutzen, die mit dem staatlichen Überwachungssystem und dessen Bestandteil KIPOD gesammelt wurden.

 Verantwortlichkeit von Synesis für die Bereitstellung von KIPOD an die belarussischen Behörden

68      Hierzu ist zunächst festzustellen, dass der Kläger in seinen Schriftsätzen bestätigt hat, dass Synesis die Organisation ist, die KIPOD entwickelt hat, und damit deren Eigentümerin ist.

69      Die Integration von KIPOD in das staatliche Überwachungssystem erfolgte notwendigerweise mit Zustimmung von Synesis als Eigentümerin von KIPOD.

70      Die Organisation, die KIPOD faktisch in dieses System integrierte, war zwar Panoptes, als diese zum technischen Betreiber des Systems wurde.

71      Ohne die Zustimmung von Synesis als Eigentümerin von KIPOD hätte Panoptes die Plattform jedoch nicht in das republikanische Überwachungssystem integrieren dürfen. Dies wird im Übrigen durch den Finanzbericht über die Tätigkeit von Synesis bestätigt, den der Kläger als Anlage zu den Klageschriften vorgelegt hat. In diesem Bericht, auf den sich das Gericht gemäß der in Rn. 38 angeführten Rechtsprechung nicht nur zur Entlastung, sondern auch zur Belastung stützen kann, heißt es nämlich, dass Synesis am 25. Juni 2018 Panoptes Nutzungsrechte für KIPOD einräumte.

72      Außerdem geht aus den Beweisen Nrn. 3 und 7 des Dokuments WK 6186/2021 INIT hervor, dass Panoptes zu der Zeit, als KIPOD in das staatliche Überwachungssystem integriert wurde, eine Tochtergesellschaft von Synesis war. Daraus folgt, dass Panoptes entgegen dem Vorbringen des Klägers, selbst wenn sie zu der Zeit, als KIPOD in das staatliche Überwachungssystem integriert wurde, rechtlich eine gesonderte Organisation war, keine im Verhältnis zu Synesis eigenständige Organisation war, da Synesis als alleinige Eigentümerin die Handlungen von Panoptes kontrollierte und somit zwangsläufig dafür die Verantwortung übernahm.

73      Entgegen dem Vorbringen des Klägers ist Synesis daher unmittelbar für die Bereitstellung von KIPOD an die belarussischen Behörden verantwortlich.

 Beitrag des Klägers zu Repressionen gegen die Zivilgesellschaft und die demokratische Opposition durch den Staatsapparat in Belarus aufgrund des Beschlusses von Synesis, den belarussischen Behörden KIPOD zur Verfügung zu stellen

74      Was die Rolle des Klägers bei Synesis in Bezug auf deren Beschluss, KIPOD den belarussischen Behörden zur Verfügung zu stellen, und seinen Beitrag zu Repressionen gegen die Zivilgesellschaft und die demokratische Opposition in Belarus aufgrund dieser Rolle betrifft, ist zwischen den ursprünglichen Rechtsakten und den Fortsetzungsrechtsakten zu unterscheiden, da der Rat seine in diesen Rechtsakten vorgenommene Einstufung geändert hat, wie oben aus den Rn. 9 und 14 hervorgeht.

 Ursprüngliche Rechtsakte

75      Mit dem ersten Aufnahmegrund in den ursprünglichen Rechtsakten wirft der Rat dem Kläger vor, zu Repressionen gegen die Zivilgesellschaft und die demokratische Opposition durch den Staatsapparat in Belarus beigetragen zu haben, weil er als Generaldirektor und Eigentümer von Synesis für deren Beschluss, KIPOD den belarussischen Behörden zur Verfügung zu stellen, verantwortlich sei.

76      Zunächst ist zur Einstufung des Klägers als „Eigentümer“ von Synesis festzustellen, dass dieser in seinen Schriftsätzen nicht bestreitet, dass er zum Zeitpunkt des Erlasses der ursprünglichen Rechtsakte alleiniger Eigentümer dieses Unternehmens war. Dies wird auch durch den Artikel bestätigt, der am 8. April 2021 auf der Website „belsat.eu“ veröffentlicht und als Beweis Nr. 5 des Dokuments WK 6186/2021 INIT vorgelegt wurde.

77      Im Übrigen bestreitet der Kläger diesen Beweis nicht und bestätigt diese Information durch die Dokumente, die er in den vorliegenden Gerichtsverfahren vorgelegt hat, insbesondere durch Anlage A.8 zur Klageschrift in der Rechtssache T‑523/21, die einen Auszug aus dem Einheitlichen staatlichen Register von juristischen Personen und Einzelunternehmern über die juristische Person enthält, aus dem hervorgeht, dass der Kläger am 31. Dezember 2020 alleiniger Anteilseigner von Synesis war.

78      Sodann ist zu den Leitungsfunktionen des Klägers bei Synesis erstens festzustellen, dass der Kläger, auch wenn er bestreitet, die vom Rat angenommene formale Funktion des Generaldirektors dieses Unternehmens ausgeübt zu haben, weder ernsthaft in Abrede stellt, an der Leitung von Synesis beteiligt zu sein, noch erläutert, warum er als alleiniger Eigentümer dieses Unternehmens keine Entscheidungsbefugnis in Bezug auf die von diesem getroffenen Beschlüsse gehabt habe oder dass diese Befugnis nur dem formell bestellten Generaldirektor zugestanden habe.

79      Zweitens zeigen die zu den Akten gereichten Beweise, dass der Kläger zum Zeitpunkt des Erlasses der ursprünglichen Rechtsakte öffentlich als Leiter von Synesis auftrat und wahrgenommen wurde, in deren Namen er sich in öffentlichen Gesprächen äußerte. Wie aus den Beweisen Nrn. 1, 4 und 8 des Dokuments WK 6186/2021 INIT hervorgeht, die aus auf YouTube (Beweise Nrn. 1 und 8) bzw. der Website „sevreality.com“ (Beweis Nr. 4) veröffentlichten Interviews mit dem Kläger stammen, wird dieser als „Mitbegründer“ oder „Leiter“ von Synesis bezeichnet; er setzt sich mit Synesis gleich und verwendet das Personalpronomen „wir“, wenn er auf das Unternehmen Bezug nimmt, und zeigt, dass er detaillierte Kenntnisse von den von Synesis durchgeführten Projekten, insbesondere KIPOD, hat. Außerdem verweist er in dem am 24. Dezember 2020 veröffentlichten und als Beweis Nr. 8 des Dokuments WK 6186/2021 INIT vorgelegten Interview, das die Aufnahme von Synesis in die fraglichen Listen betraf, auf KIPOD, indem er den Ausdruck „unser System“ verwendet.

80      Drittens ist weder ersichtlich, dass sich der Kläger als Eigentümer von Synesis zu irgendeinem Zeitpunkt von den von Synesis getroffenen Beschlüssen distanziert hätte, noch, dass er in Bezug auf die Zustimmung von Synesis als Eigentümerin von KIPOD zu deren Integration in das staatliche Überwachungssystem die geringsten Proteste, Vorbehalte oder Differenzierungen geäußert hätte (vgl. entsprechend Urteil vom 23. September 2014, Ipatau/Rat, T‑646/11, nicht veröffentlicht, EU:T:2014:800, Rn. 144). Vielmehr hat er, wie sich aus den oben in Rn. 79 genannten Beweisen ergibt, öffentlich die Handlungen von Synesis in Bezug auf die Bereitstellung von KIPOD an die belarussischen Behörden unterstützt.

81      Aus den vorstehenden Erwägungen lässt sich somit schließen, dass der Kläger als Leiter und alleiniger Eigentümer von Synesis zwangsläufig die Verantwortung für die Handlungen dieses Unternehmens übernahm (vgl. entsprechend Urteil vom 12. Dezember 2013, Nabipour u. a./Rat, T‑58/12, nicht veröffentlicht, EU:T:2013:640, Rn. 110).

82      Nach alledem ist festzustellen, dass der Rat in den ursprünglichen Rechtsakten beurteilungsfehlerfrei davon ausgegangen ist, dass der Kläger Eigentümer von Synesis ist, er die wichtigste Leitungsfunktion in diesem Unternehmen innehat und folglich für den Beschluss von Synesis, KIPOD den belarussischen Behörden zur Verfügung zu stellen, verantwortlich ist.

83      Diese Schlussfolgerung kann nicht durch das Vorbringen des Klägers in Frage gestellt werden, wonach der Rat nicht rechtlich hinreichend nachgewiesen habe, dass er zum Zeitpunkt des Erlasses der ursprünglichen Rechtsakte formal der Generaldirektor von Synesis gewesen sei.

84      Selbst wenn dem Rat nämlich ein Beurteilungsfehler unterlaufen wäre, als er davon ausging, dass der Kläger formal Generaldirektor von Synesis ist, oder die Formulierung der ursprünglichen Rechtsakte insoweit eine gewisse Unklarheit aufweisen sollte, könnte dies nicht seine Beurteilung in Frage stellen, wonach der Kläger als alleiniger Eigentümer von Synesis für die von ihr getroffenen Beschlüsse und damit für ihren Beschluss, KIPOD den belarussischen Behörden zur Verfügung zu stellen, verantwortlich ist.

85      Zumindest in seiner Eigenschaft als alleiniger Eigentümer von Synesis wusste der Kläger notwendigerweise, welche Folgen der Beschluss von Synesis, KIPOD den belarussischen Behörden zur Verfügung zu stellen, haben würde, nämlich dass gemäß dem Präsidialdekret Nr. 187 von 2017 und dem Beschluss Nr. 841 des Ministerrats von 2017 das Innenministerium und das KGB im Rahmen des staatlichen Überwachungssystems insbesondere einen in Bezug auf Quellen oder Quantität uneingeschränkten Zugang zur Nutzung von KIPOD haben würden. Denn das Dekret und der Beschluss sind Teil des in Belarus geltenden Rechtsrahmens.

86      Außerdem konnte ihm im gesellschaftspolitischen Kontext von Belarus, das, wie oben in Rn. 48 ausgeführt, seit dem Jahr 2004 durch die Repression der Zivilgesellschaft und der demokratischen Opposition gekennzeichnet ist, vernünftigerweise nicht verborgen bleiben, dass die Möglichkeit für die Repressionsstellen des Regimes, die oben in Rn. 47 genannten Funktionen von KIPOD uneingeschränkt zu nutzen, diese Plattform besonders anfällig dafür machen würde, vom Regime von Präsident Lukaschenko zu Zwecken der Repression genutzt zu werden.

87      Schließlich lässt sich kaum bestreiten, dass der Kläger von der Nutzung der Funktionen von KIPOD durch die belarussischen Behörden im Rahmen des staatlichen Überwachungssystems zu Zwecken der Repression wusste, da Synesis, deren alleiniger Eigentümer er war, als alleinige Eigentümerin von Panoptes deren Handlungen kontrollierte und somit zwangsläufig dafür die Verantwortung übernahm.

88      Aus den am 5. November 2020 und am 8. April 2021 auf den Websites „euroradio.fm“ und „belsat.eu“ veröffentlichten und als Beweise Nrn. 7 bzw. 5 des Dokuments WK 6186/2021 INIT vorgelegten Artikeln geht nämlich hervor, dass Panoptes seit 2018 der technische Betreiber des staatlichen Überwachungssystems war, was der Kläger im Übrigen nicht bestreitet.

89      Gemäß Art. 11 des Präsidialdekrets Nr. 187 von 2017 war Panoptes als technischer Betreiber des staatlichen Überwachungssystems nicht nur dafür verantwortlich, die Funktionen von KIPOD in dieses System zu integrieren, sondern hatte auch die Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass die im Präsidialdekret Nr. 187 von 2017 genannten Behörden, darunter das Innenministerium und das KGB, uneingeschränkten Zugang sowohl zum System selbst als auch zu den von ihm gesammelten Informationen erhielten. Diese Behörden nutzten, wie sich aus den Ausführungen oben in den Rn. 47 bis 61 ergibt, die Funktionen von KIPOD im Rahmen des staatlichen Überwachungssystems zu Zwecken der Repression.

90      Nach alledem ist festzustellen, dass der Kläger zumindest in seiner Eigenschaft als alleiniger Eigentümer von Synesis die Folgen des Beschlusses von Synesis, KIPOD den belarussischen Behörden zur Verfügung zu stellen, für den er verantwortlich war, vernünftigerweise nicht ignorieren konnte, nämlich den Beitrag zu Repressionen gegen die Zivilgesellschaft und die demokratische Opposition in Belarus.

91      Folglich ist der Rat beurteilungsfehlerfrei davon ausgegangen, dass der Kläger zum Zeitpunkt des Erlasses der ursprünglichen Rechtsakte – zumindest als Eigentümer von Synesis – für den Beschluss dieses Unternehmens, KIPOD den belarussischen Behörden zur Verfügung zu stellen, verantwortlich war, und dass er aufgrund der Folgen dieses Beschlusses, die er vernünftigerweise nicht ignorieren konnte, zu Repressionen gegen die Zivilgesellschaft und die demokratische Opposition des Staatsapparats in Belarus beitrug.

 Fortsetzungsrechtsakte

92      Vorab ist darauf hinzuweisen, dass im vorliegenden Fall eine Gesamtbetrachtung der Gründe, auf deren Grundlage der Name des Klägers auf den fraglichen Listen belassen wurde, hinreichend klar erkennen lässt, dass der erste und der vierte in den Fortsetzungsrechtsakten genannte Grund zusammen und insbesondere im Rahmen des oben in Rn. 6 erwähnten Kriteriums zu betrachten sind.

93      Aus diesen Gründen geht nämlich hervor, dass der Rat dem Kläger vorwirft, zu Repressionen gegen die Zivilgesellschaft und die demokratische Opposition in Belarus beizutragen, weil er als ehemaliger Leiter und Eigentümer von Synesis für den Beschluss von Synesis, KIPOD den belarussischen Behörden zur Verfügung zu stellen, verantwortlich sei und weil er nach wie vor Minderheitsanteilseigner von Synesis sei.

94      Das Gericht hat bereits entschieden, dass sich nicht jeder in der Begründung genannte Gesichtspunkt ausdrücklich auf die einschlägigen Kriterien des Rechtsakts, auf den der Rat die Aufnahme des Namens des Klägers in eine Liste der restriktiven Maßnahmen unterliegenden Personen gestützt hat, beziehen muss, wenn die Begründung in ihrer Gesamtheit die Kriterien, auf deren Grundlage der Name dieser Person in die Liste aufgenommen wurde, hinreichend klar erkennen lässt (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 30. November 2016, Rotenberg/Rat, T‑720/14, EU:T:2016:689, Rn. 51 bis 59).

95      Im vorliegenden Fall sind sich die Parteien zwar darüber einig, dass der Kläger zum Zeitpunkt des Erlasses der Fortsetzungsrechtsakte nach wie vor Minderheitsanteilseigner von Synesis war, sie sind jedoch darüber uneinig, welche Konsequenzen aus diesem Anteilseignerwechsel für den Beitrag des Klägers zu Repressionen gegen die Zivilgesellschaft und die demokratische Opposition in Belarus aufgrund der Beschlüsse von Synesis über die Bereitstellung von KIPOD an die belarussischen Behörden zu ziehen sind.

96      Nach ständiger Rechtsprechung bedeutet der Umstand, dass eine Person ihre Funktionen in einer Organisation aufgegeben hat, für sich genommen nicht, dass diese ehemaligen Funktionen unerheblich wären, da ihre frühere Tätigkeit ihr Verhalten beeinflussen könnte. Die Rechtsprechung hat jedoch auch klargestellt, dass ehemalige Funktionen einer Person für sich genommen die Aufnahme ihres Namens in die fraglichen Listen nicht rechtfertigen können. Beabsichtigte der Rat, sich auf die frühere Tätigkeit der genannten Person zu stützen, so müsste er nämlich gewichtige und übereinstimmende Indizien vorlegen, die vernünftigerweise darauf schließen ließen, dass der Betreffende zum Zeitpunkt des Erlasses des fraglichen Rechtsakts Verbindungen zu der Organisation, bei der er diese Funktionen ausübte, aufrechterhält, die nach Aufgabe seiner Tätigkeit in dieser Organisation seine Aufnahme in die Liste rechtfertigen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 24. November 2021, Assi/Rat, T‑256/19, EU:T:2021:818, Rn. 128 und die dort angeführte Rechtsprechung).

97      Im vorliegenden Fall ist festzustellen, dass sich die Verbindungen, die der Kläger zu Synesis aufrechterhielt, nicht wesentlich verändert haben. Dass der Kläger – und sei es auch nur als Minderheitsanteilseigner – weiterhin zu den Anteilseignern von Synesis gehört, zeigt nämlich rechtlich hinreichend, dass zwischen ihm und dieser Gesellschaft zum Zeitpunkt des Erlasses der Fortsetzungsrechtsakte wirtschaftliche Beziehungen und Kapitalverflechtungen bestanden, die es ihm nach wie vor ermöglichten, Einfluss auf den Entscheidungsprozess bei Synesis zu nehmen.

98      Aus den Beweisen in den Akten, insbesondere den als Beweis Nr. 2 des Dokuments WK 15385/2021 REV 1 vorgelegten Auszügen der Website von KIPOD, geht hervor, dass Synesis zum Zeitpunkt des Erlasses der Fortsetzungsrechtsakte nach wie vor Eigentümerin von KIPOD war, was der Kläger in seinen Schriftsätzen auch nicht bestritten hat. Es ist darauf hinzuweisen, dass der Kläger nie angegeben hat, dass Synesis, deren Anteilseigner er geblieben ist, sich als Eigentümerin von KIPOD der Nutzung dieser Plattform im Rahmen des staatlichen Überwachungssystems und der Nutzung ihrer Funktionen durch die belarussischen Behörden im Rahmen dieses Systems zu Zwecken der Repression widersetzt habe.

99      Außerdem geht aus den Beweisen, die dem Rat zum Zeitpunkt des Erlasses der Fortsetzungsrechtsakte zur Verfügung standen, hervor, dass der Kläger, auch wenn er Minderheitsanteilseigner von Synesis geworden war, seine Verbindungen zu diesem Unternehmen als alleiniger Eigentümer von Panoptes, der Gesellschaft, die KIPOD im Rahmen des staatlichen Überwachungssystems betreibt, aufrechterhalten hatte. Aus dem Beweis Nr. 7 des Dokuments WK 15385/2021 REV 1 ergibt sich nämlich, dass der Kläger einige Monate nach der Aufnahme von Synesis in die fraglichen Listen alleiniger Eigentümer von Panoptes – dem technischen Betreiber des staatlichen Überwachungssystems – wurde und dass mit diesem Anteilseignerwechsel verhindert werden sollte, dass Panoptes von den gegen Synesis erlassenen restriktiven Maßnahmen betroffen würde.

100    In diesem Zusammenhang durfte der Rat davon ausgehen, dass die früheren Tätigkeiten des Klägers bei Synesis für die Rechtfertigung der Belassung seines Namens auf den fraglichen Listen erheblich waren, da die Verbindungen, die er zu dieser Gesellschaft aufrechterhalten hatte, sein Verhalten als Minderheitsanteilseigner von Synesis beeinflussen konnten, und zwar insbesondere im Hinblick auf die Nutzung von KIPOD, das nach wie vor im Eigentum von Synesis stand, durch Panoptes, dem technischen Betreiber des von den belarussischen Behörden zu Zwecken der Repression verwendeten staatlichen Überwachungssystems.

101    Daraus folgt, dass der Rat in den Fortsetzungsrechtsakten beurteilungsfehlerfrei davon ausgegangen ist, dass der Kläger zu Repressionen gegen die Zivilgesellschaft und die demokratische Opposition in Belarus beigetragen hat.

102    Nach alledem ist festzustellen, dass der erste Aufnahmegrund sowie der erste und der vierte Belassungsgrund nicht auf Beurteilungsfehlern beruhen.

 Weitere Aufnahmegründe

103    Nach ständiger Rechtsprechung lässt sich in Anbetracht des präventiven Charakters von Entscheidungen, mit denen restriktive Maßnahmen erlassen werden, die Nichtigerklärung einer solchen Entscheidung dann, wenn der Unionsrichter zu der Auffassung gelangt, dass zumindest einer der angeführten Gründe hinreichend präzise und konkret ist, dass er nachgewiesen ist und dass er für sich genommen eine hinreichende Grundlage für diese Entscheidung darstellt, nicht damit rechtfertigen, dass dies auf andere der Gründe nicht zutrifft (vgl. Urteil vom 28. November 2013, Rat/Manufacturing Support & Procurement Kala Naft, C‑348/12 P, EU:C:2013:776, Rn. 72 und die dort angeführte Rechtsprechung).

104    Da die im ersten Aufnahmegrund sowie im ersten und im vierten Belassungsgrund behaupteten Tatsachen rechtlich hinreichend dargetan sind und diese Gründe für sich genommen die Aufnahme des Namens des Klägers in die fraglichen Listen und seine Belassung darauf rechtfertigen, ist weder zu prüfen, ob der zweite und der dritte Aufnahme- und Belassungsgrund hinreichend präzise und konkret sind, noch, ob diese Gründe nachgewiesen sind und für sich genommen eine hinreichende Grundlage für die angefochtenen Rechtsakte darstellen können.

105    Nach alledem ist der einzige Klagegrund als unbegründet zurückzuweisen, so dass die Klagen insgesamt abzuweisen sind.

 Kosten

106    Nach Art. 134 Abs. 1 der Verfahrensordnung des Gerichts ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen.

107    Da der Kläger im vorliegenden Fall unterlegen ist, sind ihm gemäß dem Antrag des Rates die Kosten aufzuerlegen.

Aus diesen Gründen hat

DAS GERICHT (Fünfte Kammer)

für Recht erkannt und entschieden:

1.      Die Rechtssachen T523/21 und T216/22 werden zu gemeinsamem Urteil verbunden.

2.      Die Klagen werden abgewiesen.

3.      Herr Alexander Evgenevich Shatrov trägt neben seinen eigenen Kosten die Kosten des Rates der Europäischen Union.

Svenningsen

Laitenberger

Stancu

Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 13. September 2023.

Der Kanzler

 

Der Präsident

V. Di Bucci

 

S. Papasavvas


*      Verfahrenssprache: Deutsch.