Language of document : ECLI:EU:C:2019:893

URTEIL DES GERICHTSHOFS (Zehnte Kammer)

24. Oktober 2019(*)

„Vorlage zur Vorabentscheidung – Verordnung (EG) Nr. 1370/2007 – Öffentliche Personenverkehrsdienste – Eisenbahnverkehr – Öffentliche Dienstleistungsaufträge – Direktvergabe – Verpflichtung zur vorherigen Veröffentlichung einer Bekanntmachung über die Direktvergabe – Umfang“

In der Rechtssache C‑515/18

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Tribunale amministrativo regionale per la Sardegna (Regionales Verwaltungsgericht für Sardinien, Italien) mit Entscheidung vom 4. Juli 2018, beim Gerichtshof eingegangen am 6. August 2018, in dem Verfahren

Autorità Garante della Concorrenza e del Mercato

gegen

Regione autonoma della Sardegna,

Beteiligte:

Trenitalia SpA,

erlässt

DER GERICHTSHOF (Zehnte Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten I. Jarukaitis sowie der Richter E. Juhász (Berichterstatter) und C. Lycourgos,

Generalanwalt: M. Campos Sánchez-Bordona,

Kanzler: A. Calot Escobar,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

–        der Autorità Garante della Concorrenza e del Mercato, vertreten durch S. Gattamelata, avvocato,

–        der Regione autonoma della Sardegna, vertreten durch S. Sau und A. Camba, avvocatesse,

–        der Trenitalia SpA, vertreten durch L. Torchia und F. G. Albisinni, avvocati,

–        der italienischen Regierung, vertreten durch G. Palmieri als Bevollmächtigte, im Beistand von F. Sclafani, avvocato dello Stato,

–        der österreichischen Regierung, vertreten durch G. Hesse als Bevollmächtigten,

–        der Europäischen Kommission, vertreten durch W. Mölls und G. Conte als Bevollmächtigte,

aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,

folgendes

Urteil

1        Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 7 Abs. 2 und 4 der Verordnung (EG) Nr. 1370/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. Oktober 2007 über öffentliche Personenverkehrsdienste auf Schiene und Straße und zur Aufhebung der Verordnungen (EWG) Nr. 1191/69 und (EWG) Nr. 1107/70 des Rates (ABl. 2007, L 315, S. 1).

2        Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Autorità Garante della Concorrenza e del Mercato (italienische Wettbewerbs- und Marktaufsichtsbehörde, Italien) (im Folgenden: AGCM) und der Regione autonoma della Sardegna (Autonome Region Sardinien, Italien) (im Folgenden: Region Sardinien) über die Direktvergabe eines Auftrags für öffentliche Personenverkehrsdienste auf der Schiene durch die Region Sardinien an die Trenitalia SpA.

 Rechtlicher Rahmen

 Unionsrecht

3        In den Erwägungsgründen 25, 29 und 30 der Verordnung Nr. 1370/2007 heißt es:

„(25)      Der öffentliche Schienenpersonenverkehr wirft spezielle Fragen in Bezug auf die Investitionslast und die Infrastrukturkosten auf. Die [Europäische] Kommission hat im März 2004 eine Änderung der Richtlinie 91/440/EWG des Rates vom 29. Juli 1991 zur Entwicklung der Eisenbahnunternehmen der Gemeinschaft [(ABl. 1991, L 237, S. 25)] vorgeschlagen, damit alle Eisenbahnunternehmen der Gemeinschaft zur Durchführung grenzüberschreitender Personenverkehrsdienste Zugang zur Infrastruktur aller Mitgliedstaaten erhalten. Mit der vorliegenden Verordnung soll ein Rechtsrahmen für die Gewährung einer Ausgleichsleistung und/oder ausschließlicher Rechte für öffentliche Dienstleistungsaufträge geschaffen werden; eine weitere Öffnung des Marktes für Schienenverkehrsdienste ist nicht beabsichtigt.

(29)      Hinsichtlich der Vergabe öffentlicher Dienstleistungsaufträge sollten die zuständigen Behörden – außer bei Notmaßnahmen und Aufträgen für geringe Entfernungen – die notwendigen Maßnahmen ergreifen, um mindestens ein Jahr im Voraus bekannt zu geben, dass sie solche Aufträge zu vergeben beabsichtigen, so dass potenzielle Betreiber eines öffentlichen Dienstes darauf reagieren können.

(30)      Bei direkt vergebenen öffentlichen Dienstleistungsaufträgen sollte für größere Transparenz gesorgt werden.“

4        Art. 2 Buchst. h dieser Verordnung definiert die „Direktvergabe“ als „die Vergabe eines öffentlichen Dienstleistungsauftrags an einen bestimmten Betreiber eines öffentlichen Dienstes ohne Durchführung eines vorherigen wettbewerblichen Vergabeverfahrens“.

5        Art. 5 Abs. 6 der Verordnung bestimmt:

„Sofern dies nicht nach nationalem Recht untersagt ist, können die zuständigen Behörden entscheiden, öffentliche Dienstleistungsaufträge im Eisenbahnverkehr – mit Ausnahme anderer schienengestützter Verkehrsträger wie Untergrund- oder Straßenbahnen – direkt zu vergeben. Abweichend von Artikel 4 Absatz 3 haben diese Aufträge eine Höchstlaufzeit von zehn Jahren, soweit nicht Artikel 4 Absatz 4 anzuwenden ist.“

6        Art. 7 Abs. 2 bis 4 der Verordnung lautet:

„(2)      Jede zuständige Behörde ergreift die erforderlichen Maßnahmen, um sicherzustellen, dass spätestens ein Jahr vor Einleitung des wettbewerblichen Vergabeverfahrens oder ein Jahr vor der Direktvergabe mindestens die folgenden Informationen im Amtsblatt der Europäischen Union veröffentlicht werden:

a)      der Name und die Anschrift der zuständigen Behörde;

b)      die Art des geplanten Vergabeverfahrens;

c)      die von der Vergabe möglicherweise betroffenen Dienste und Gebiete.

Die zuständigen Behörden können beschließen, diese Informationen nicht zu veröffentlichen, wenn der öffentliche Dienstleistungsauftrag eine jährliche öffentliche Personenverkehrsleistung von weniger als 50 000 km aufweist.

Sollten sich diese Informationen nach ihrer Veröffentlichung ändern, so hat die zuständige Behörde so rasch wie möglich eine Berichtigung zu veröffentlichen. Diese Berichtigung erfolgt unbeschadet des Zeitpunkts der Einleitung der Direktvergabe oder des wettbewerblichen Vergabeverfahrens.

Dieser Absatz findet keine Anwendung auf Artikel 5 Absatz 5.

(3)      Bei der Direktvergabe von öffentlichen Dienstleistungsaufträgen im Eisenbahnverkehr nach Artikel 5 Absatz 6 macht die zuständige Behörde innerhalb eines Jahres nach der Auftragsvergabe folgende Informationen öffentlich zugänglich:

a)      den Namen des Auftraggebers, seine Eigentümer sowie gegebenenfalls den/die Namen der Partei oder Parteien, die eine rechtliche Kontrolle ausübt/ausüben;

b)      die Dauer des öffentlichen Dienstleistungsauftrags;

c)      eine Beschreibung der zu erbringenden Personenverkehrsdienste;

d)      eine Beschreibung der Parameter für die finanzielle Ausgleichsleistung;

e)      Qualitätsziele wie beispielsweise in Bezug auf Pünktlichkeit und Zuverlässigkeit und anwendbare Prämien und Sanktionen;

f)      Bedingungen in Bezug auf die wichtigsten Wirtschaftsgüter.

(4)      Die zuständige Behörde übermittelt jeder interessierten Partei auf entsprechenden Antrag ihre Gründe für die Entscheidung über die Direktvergabe eines öffentlichen Dienstleistungsauftrags.“

7        Die Verordnung Nr. 1370/2007 wurde durch die Verordnung (EU) 2016/2338 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14. Dezember 2016 (ABl. 2016, L 354, S. 22) geändert. Da diese Änderungsverordnung am 24. Dezember 2017 in Kraft getreten ist, findet sie auf den Sachverhalt des Ausgangsverfahrens keine Anwendung.

 Italienisches Recht

8        Art. 61 der Legge del 23 luglio 2009, n. 99 – Disposizioni per lo sviluppo e l’internazionalizzazione delle imprese, nonché in materia di energia (Gesetz Nr. 99 mit Bestimmungen für die Entwicklung und die Internationalisierung der Unternehmen sowie im Bereich Energie) vom 23. Juli 2009 (GURI Nr. 176 vom 31. Juli 2009) bestimmt:

„Die für die Vergabe von Dienstleistungsaufträgen zuständigen Behörden können sich, auch abweichend von den sektorspezifischen Vorschriften, auf Art. 5 Abs. 2, 4, 5 und 6 sowie auf Art. 8 Abs. 2 der [Verordnung Nr. 1370/2007] stützen. Für die in Italien oder im Ausland ansässigen Unternehmen, denen der Zuschlag für einen Dienstleistungsauftrag im Sinne dieser Verordnung … Nr. 1370/2007 erteilt wurde, gilt der Ausschluss gemäß Art. 18 Abs. 2 Buchst. a des [decreto legislativo del 19 novembre 1997, n. 422 – Conferimento alle regioni ed agli enti locali di funzioni e compiti in materia di trasporto pubblico locale, a norma dell’articolo 4, comma 4, della legge 15 marzo 1997, n. 59 (Gesetzesdekret Nr. 422 – Übertragung von Funktionen und Aufgaben im Bereich des öffentlichen Nahverkehrs an die Regionen und lokalen Einrichtungen gemäß Art. 4 Abs. 4 der Legge [Gesetz] Nr. 59 vom 15. März 1997) vom 19. November 1997 (GURI Nr. 287 vom 10. Dezember 1997, S. 4)] nicht.“

9        Das Decreto legislativo del 18 aprile 2016, n. 50 – Attuazione delle direttive 2014/23/UE, 2014/24/UE e 2014/25/UE sull’aggiudicazione dei contratti di concessione, sugli appalti pubblici e sulle procedure d’appalto degli enti erogatori nei settori dell’acqua, dell’energia, dei trasporti e dei servizi postali, nonché per il riordino della disciplina vigente in materia di contratti pubblici relativi a lavori, servizi e forniture (Gesetzesdekret Nr. 50 – Umsetzung der Richtlinien 2014/23/EU, 2014/24/EU und 2014/25/EU über die Konzessionsvergabe, über die öffentliche Auftragsvergabe und über die Vergabe von Aufträgen durch Auftraggeber im Bereich der Wasser‑, Energie- und Verkehrsversorgung sowie der Postdienste, sowie für die Neuordnung der geltenden Bestimmungen betreffend die Bau‑, Dienstleistungs- und Lieferaufträge) vom 18. April 2016 (GURI Nr. 91 vom 19. April 2016) stellt den neuen Codice dei contratti pubblici (Gesetzbuch über die öffentlichen Aufträge) dar.

10      Art. 4 dieses Gesetzbuchs sieht vor:

„Die Vergabe öffentlicher Bau‑, Dienstleistungs- und Lieferaufträge, die teilweise oder gänzlich vom sachlichen Anwendungsbereich des vorliegenden Gesetzbuchs ausgeschlossen sind, erfolgt nach den Grundsätzen der Wirtschaftlichkeit, der Effektivität, der Unparteilichkeit, der Gleichbehandlung, der Transparenz, der Verhältnismäßigkeit, der Öffentlichkeit, des Umweltschutzes und der Energieeffizienz.“

11      Art. 17 Abs. 1 Buchst. i des Gesetzbuchs sieht vor:

„Die Bestimmungen des vorliegenden Gesetzbuchs gelten nicht für die Vergabe von Dienstleistungsaufträgen und ‑konzessionen betreffend die öffentlichen Personenverkehrsdienste auf der Schiene oder per Untergrundbahn.“

 Ausgangsverfahren und Vorlagefragen

12      Am 29. Dezember 2015 veröffentlichte die Region Sardinien gemäß Art. 7 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1370/2007 eine Vorinformation über eine Direktvergabe von öffentlichen Verkehrsdiensten auf der Schiene.

13      Nach der Veröffentlichung dieser Vorinformation erhielt sie neben dem Angebot des etablierten Betreibers Trenitalia zwei Interessenbekundungen von in diesem Sektor tätigen Wirtschaftsteilnehmern. Einer dieser Betreiber ersuchte in diesem Zusammenhang die Region Sardinien um Hinweise zum formalen Rahmen, in dem das wettbewerbliche Vergabeverfahren erfolgen werde, sowie um zusätzliche Unterlagen mit detaillierteren Informationen.

14      Da die Region Sardinien der Ansicht war, kein wettbewerbliches Vergabeverfahren durchführen zu müssen, vergab sie nach Verhandlungen mit Trenitalia mit Entscheidungen vom 27. Juni und vom 17. Juli 2017 den Auftrag für öffentliche regionale Personenverkehrsdienste auf der Schiene für den Zeitraum vom 1. November 2017 bis zum 31. Dezember 2025 direkt an Trenitalia.

15      Nachdem die AGCM einen Hinweis auf angebliche Mängel dieses Direktvergabeverfahrens erhalten hatte, erhob sie beim Tribunale amministrativo regionale per la Sardegna (Regionales Verwaltungsgericht für Sardinien, Italien) Klage gegen diese Vergabe.

16      Vor diesem Gericht macht die AGCM geltend, dass sich die Direktvergaben an den allgemeinen Grundsätzen der Gleichbehandlung, der Nichtdiskriminierung und der Transparenz orientieren müssten. Die Erwägungsgründe 29 und 30 der Verordnung Nr. 1370/2007 sähen die Veröffentlichung der Absicht vor, öffentliche Dienstleistungsaufträge zu vergeben, um eventuellen Marktteilnehmern die Möglichkeit zu geben, darauf zu reagieren, und im Fall einer Direktvergabe eine größere Transparenz zu wahren. Außerdem hätte die Region Sardinien, da der Zweck von Art. 7 Abs. 2 dieser Verordnung darin bestehe, den Interessierten die Möglichkeit zu geben, im Rahmen des Direktvergabeverfahrens ein Angebot auszuarbeiten, den etablierten Betreiber auffordern müssen, alle in seinem Besitz befindlichen Angaben über die Höhe der Nachfrage, den Personalbedarf, das rollende Material und andere Informationen zu übermitteln, um sie den anderen Wirtschaftsteilnehmern, die ihr Interesse bekundet hätten, zur Verfügung zu stellen.

17      Nach Ansicht der AGCM muss nämlich eine regionale Behörde, die beabsichtigt, einen Auftrag für öffentliche Personenverkehrsdienste auf der Schiene direkt zu vergeben, den potenziell interessierten Wirtschaftsteilnehmern alle für die Erstellung eines wirtschaftlichen Angebots erforderlichen Informationen zur Verfügung stellen. Außerdem müsse sie eine vergleichende Analyse der Angebote vornehmen, die im Anschluss an die nach Art. 7 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1370/2007 erfolgte Vorinformation eingereicht worden seien, und die Wahl des Wirtschaftsteilnehmers, dem der Auftrag erteilt werde, begründen.

18      Dagegen sind nach Ansicht der Region Sardinien, unterstützt von Trenitalia, alle verfahrensrechtlichen Erfordernisse im Rahmen eines Direktvergabeverfahrens erfüllt gewesen, und eine vergleichende Analyse oder eine Einleitung des wettbewerblichen Vergabeverfahrens für die möglicherweise eingegangenen Angebote oder Interessenbekundungen liefe dem Charakter des Direktvergabeverfahrens an sich, wie es in der Verordnung Nr. 1370/2007 vorgesehen sei, zuwider.

19      Unter diesen Umständen hat das Tribunale amministrativo regionale per la Sardegna (Regionales Verwaltungsgericht für die Region Sardinien) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

1.      Ist Art. 7 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1370/2007 dahin auszulegen, dass er die zuständige Behörde, die die Direktvergabe eines Auftrags beabsichtigt, verpflichtet, die notwendigen Maßnahmen zur Veröffentlichung oder Mitteilung der erforderlichen Informationen zu ergreifen, damit allen potenziell an der Erbringung der Dienstleistung interessierten Marktteilnehmern ermöglicht wird, ein ernst zu nehmendes und angemessenes Angebot auszuarbeiten?

2.      Ist Art. 7 Abs. 4 der Verordnung Nr. 1370/2007 dahin auszulegen, dass die zuständige Behörde vor der Direktvergabe des Auftrags alle nach Veröffentlichung der Vorinformation gemäß dieser Bestimmung möglicherweise eingegangenen Angebote zur Erbringung der Dienstleistung vergleichend zu bewerten hat?

 Zu den Vorlagefragen

20      Mit diesen Fragen, die zusammen zu prüfen sind, möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 7 Abs. 2 und 4 der Verordnung Nr. 1370/2007 dahin auszulegen ist, dass die zuständigen nationalen Behörden, die beabsichtigen, einen Auftrag für öffentliche Personenverkehrsdienste auf der Schiene direkt zu vergeben, zum einen verpflichtet sind, alle erforderlichen Informationen zu veröffentlichen oder den interessierten Wirtschaftsteilnehmern zu übermitteln, damit sie ein Angebot erstellen können, das hinreichend detailliert ist und Gegenstand einer vergleichenden Bewertung sein kann, und zum anderen verpflichtet sind, eine solche vergleichende Bewertung aller nach der Veröffentlichung dieser Informationen möglicherweise eingegangenen Angebote vorzunehmen.

21      Nach Art. 7 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1370/2007 ergreift jede zuständige Behörde die erforderlichen Maßnahmen, um sicherzustellen, dass spätestens ein Jahr vor Einleitung des wettbewerblichen Vergabeverfahrens oder ein Jahr vor der Direktvergabe mindestens einige Informationen im Amtsblatt der Europäischen Union veröffentlicht werden, die diese Bestimmung ausdrücklich nennt. Nach dieser Bestimmung handelt es sich um den Namen und die Anschrift der zuständigen Behörde, um die Art des geplanten Vergabeverfahrens und die von der Vergabe möglicherweise betroffenen Dienste und Gebiete.

22      Art. 7 Abs. 4 der Verordnung verlangt, dass die zuständige Behörde jeder interessierten Partei auf entsprechenden Antrag ihre Gründe für die Entscheidung über die Direktvergabe eines öffentlichen Dienstleistungsauftrags übermittelt.

23      Für die Feststellung, ob diese Bestimmungen, wie die AGCM vorträgt, die zuständige Behörde verpflichten, so viele Informationen zu veröffentlichen oder mitzuteilen, wie erforderlich sind, um eine vergleichende Bewertung der eventuell eingegangenen Angebote und ein wirksames wettbewerbliches Vergabeverfahren durchzuführen, sind nach ständiger Rechtsprechung nicht nur ihr Wortlaut, sondern auch ihr Zusammenhang und die Ziele zu berücksichtigen, die mit der Regelung, zu der sie gehören, verfolgt werden, wobei die Entstehungsgeschichte dieser Bestimmungen ebenfalls relevante Anhaltspunkte für deren Auslegung liefern kann (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 8. Mai 2019, Inspecteur van de Belastingdienst, C‑631/17, EU:C:2019:381, Rn. 29 und die dort angeführte Rechtsprechung).

24      Was zunächst den Wortlaut dieser Bestimmungen angeht, ist festzustellen, dass sie weder verlangen, dass Informationen über die beabsichtigte Vergabe veröffentlicht oder mitgeteilt werden, anhand deren sich ein Angebot ausarbeiten lässt, das Gegenstand einer vergleichenden Bewertung sein kann, noch vorsehen, dass eine vergleichende Bewertung der möglicherweise nach Veröffentlichung dieser Informationen eingegangenen Angebote durchgeführt wird.

25      Zum einen nämlich beschränkt sich Art. 7 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1370/2007 auf die Aufzählung der Informationen, die die zuständige Behörde im Amtsblatt der Europäischen Union spätestens ein Jahr vor der Direktvergabe zwingend zu veröffentlichen hat. Überdies lässt sich anhand dieser Informationen für sich genommen kein Angebot vorbereiten, das Gegenstand einer vergleichenden Bewertung sein kann. Insoweit genügt der Hinweis, dass allein schon die in dieser Bestimmung enthaltenen Informationen über den Auftrag für öffentliche Personenverkehrsdienste auf der Schiene, dessen Direktvergabe die zuständige Behörde beabsichtigt, auf die „von der Vergabe möglicherweise betroffenen Dienste und Gebiete“ abzielen. Diese Informationen versetzen einen interessierten Wirtschaftsteilnehmer nicht in die Lage, die konkreten Merkmale des beabsichtigten Auftrags zu erkennen.

26      Zum anderen kann – was die Verpflichtung zur Mitteilung der Begründung der Entscheidung über die Direktvergabe im Sinne von Art. 7 Abs. 4 der Verordnung Nr. 1370/2007 angeht – aus dem Wortlaut dieser Bestimmung nicht abgeleitet werden, dass sich diese Verpflichtung nicht nur auf die Gründe bezieht, die die zuständige Behörde veranlasst haben, eine Direktvergabe vorzunehmen, sondern auch auf die quantitativen oder qualitativen Bewertungen der Angebote, die die zuständige Behörde möglicherweise erhalten hat.

27      Des Weiteren ist, was den Zusammenhang der Bestimmungen des Art. 7 Abs. 2 und 4 der Verordnung Nr. 1370/2007 und die mit der Regelung, zu der sie gehören, verfolgten Ziele betrifft, erstens darauf hinzuweisen, dass diese Verordnung die Regeln über die Vergabe, entweder die Direktvergabe oder die mittels wettbewerblichen Vergabeverfahrens erfolgende Vergabe, von Aufträgen für öffentliche Personenverkehrsdienste auf Schiene und Straße festlegt.

28      Mit Art. 2 Buchst. h dieser Verordnung soll zwischen zwei Regelungen über die Vergabe von Aufträgen für die öffentlichen Personenverkehrsdienste auf Schiene und Straße unterschieden werden, indem der Begriff „Direktvergabe“ als die Vergabe eines öffentlichen Dienstleistungsauftrags an einen bestimmten Betreiber eines öffentlichen Dienstes ohne Durchführung eines vorherigen wettbewerblichen Vergabeverfahrens definiert wird.

29      Daher schließt die „Direktvergabe“ jedes vorherige wettbewerbliche Vergabeverfahren aus.

30      Wenn aber die Bestimmungen des Art. 7 Abs. 2 und 4 der Verordnung Nr. 1370/2007 so zu verstehen wären, dass sie eine Regelung über eine Veröffentlichung einführen, die im Wesentlichen jener entspricht, die für das wettbewerbliche Vergabeverfahren kennzeichnend ist, und dass sie eine vergleichende Bewertung der eventuell eingegangenen Angebote erfordern, würde eine solche Auslegung zu einer Gleichsetzung des Direktvergabeverfahrens mit dem wettbewerblichen Vergabeverfahren führen und so die erheblichen Unterschiede missachten, die die Verordnung Nr. 1370/2007 für diese Verfahren vorsieht.

31      In diesem Zusammenhang ist wie im 25. Erwägungsgrund der Verordnung Nr. 1370/2007 darauf hinzuweisen, dass mit dieser Verordnung ein Rechtsrahmen für die Gewährung einer Ausgleichsleistung und/oder ausschließlicher Rechte für öffentliche Dienstleistungsaufträge geschaffen werden soll, aber eine weitere Öffnung des Marktes für Schienenverkehrsdienste nicht beabsichtigt ist.

32      Zweitens ist zu betonen, dass diese Verordnung nach ihrem 30. Erwägungsgrund einen größeren Grad an Transparenz bei direkt vergebenen öffentlichen Dienstleistungsaufträgen schaffen will und dass nach dem 29. Erwägungsgrund der Verordnung die in deren Art. 7 Abs. 2 vorgesehenen Maßnahmen zur Bekanntmachung potenziellen Betreibern eines öffentlichen Dienstes ermöglichen sollen, darauf zu reagieren.

33      Daher müssen die gemäß Art. 7 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1370/2007 veröffentlichten Informationen einem Wirtschaftsteilnehmer erlauben, ab dem in dieser Bestimmung genannten Zeitpunkt prinzipielle Einwände gegen die von der zuständigen Behörde beabsichtigte Direktvergabe zu erheben (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 20. September 2018, Rudigier, C‑518/17, EU:C:2018:757, Rn. 64 und 66). Daher ist zwar auf die Wirksamkeit eines solchen Anfechtungsrechts zu achten, doch kann ein prinzipieller Einwand gegen die Direktvergabe des öffentlichen Dienstleistungsauftrags von einem Wirtschaftsteilnehmer auch sachgerecht erhoben werden, ohne dass von der zuständigen Behörde im Vorfeld verlangt wird, alle erforderlichen Informationen zu veröffentlichen oder den betroffenen Wirtschaftsteilnehmern mitzuteilen, damit sie ein ernst zu nehmendes und angemessenes Angebot einreichen können.

34      Schließlich bestätigt auch die Entstehungsgeschichte von Art. 7 Abs. 2 und 4 der Verordnung Nr. 1370/2007 die grammatikalische Auslegung dieser Bestimmung.

35      Wie die österreichische Regierung in ihren schriftlichen Erklärungen hervorgehoben hat, verwarf der Unionsgesetzgeber einen im Rahmen der Vorarbeiten zur Verordnung Nr. 1370/2007 vorgelegten Kommissionsvorschlag, der in Richtung einer größeren Öffnung für den Wettbewerb ging. Die Kommission hatte nämlich u. a. für die direkt vergebenen Aufträge beabsichtigt, dass binnen sechs Monaten nach Veröffentlichung der Vorinformation andere potenzielle Betreiber der zuständigen Behörde ein Alternativangebot unterbreiten können, in dem sie die Ergebnisse bestreiten, die zuvor von dem Betreiber, an den der Auftrag direkt vergeben werden sollte, erzielt wurden. Laut diesem Vorschlag hätte die zuständige Behörde diese Angebote in Betracht zu ziehen und die Gründe bekannt zu geben gehabt, aus denen sie diese Angebote annimmt oder ablehnt (Art. 7 Abs. 2 des Geänderten Vorschlags für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über Maßnahmen der Mitgliedstaaten im Zusammenhang mit Anforderungen des öffentlichen Dienstes und der Vergabe öffentlicher Dienstleistungsaufträge für den Personenverkehr auf der Schiene, der Straße und auf Binnenschifffahrtswegen (KOM[2002] 107 endg. vom 21. Februar 2002 [ABl. 2002, C 151 E, S. 146]).

36      Der Unionsgesetzgeber hat sich jedoch für eine Fassung von Art. 7 Abs. 2 und 4 der Verordnung Nr. 1370/2007 entschieden, die in keiner Weise eine wie auch immer geartete Verpflichtung erwähnt, die möglicherweise nach der Veröffentlichung gemäß Art. 7 Abs. 2 eingegangenen Angebote vergleichend zu bewerten.

37      Nach alledem ist auf die Vorlagefragen zu antworten, dass Art. 7 Abs. 2 und 4 der Verordnung Nr. 1370/2007 dahin auszulegen ist, dass die zuständigen nationalen Behörden, die beabsichtigen, einen Auftrag für öffentliche Personenverkehrsdienste auf der Schiene direkt zu vergeben, zum einen nicht verpflichtet sind, alle erforderlichen Informationen zu veröffentlichen oder den möglicherweise interessierten Wirtschaftsteilnehmern zu übermitteln, damit sie ein Angebot erstellen können, das hinreichend detailliert ist und Gegenstand einer vergleichenden Bewertung sein kann, und zum anderen nicht verpflichtet sind, eine solche vergleichende Bewertung aller nach der Veröffentlichung dieser Informationen möglicherweise eingegangenen Angebote vorzunehmen.

 Kosten

38      Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem beim vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Zehnte Kammer) für Recht erkannt:

Art. 7 Abs. 2 und 4 der Verordnung (EG) Nr. 1370/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. Oktober 2007 über öffentliche Personenverkehrsdienste auf Schiene und Straße und zur Aufhebung der Verordnungen (EWG) Nr. 1191/69 und (EWG) Nr. 1107/70 des Rates ist dahin auszulegen, dass die zuständigen nationalen Behörden, die beabsichtigen, einen Auftrag für öffentliche Personenverkehrsdienste auf der Schiene direkt zu vergeben, zum einen nicht verpflichtet sind, alle erforderlichen Informationen zu veröffentlichen oder den möglicherweise interessierten Wirtschaftsteilnehmern zu übermitteln, damit sie ein Angebot erstellen können, das hinreichend detailliert ist und Gegenstand einer vergleichenden Bewertung sein kann, und zum anderen nicht verpflichtet sind, eine solche vergleichende Bewertung aller nach der Veröffentlichung dieser Informationen möglicherweise eingegangenen Angebote vorzunehmen.

Unterschriften


*      Verfahrenssprache: Italienisch.