Language of document : ECLI:EU:T:2014:71

URTEIL DES GERICHTS (Zweite Kammer)

12. Februar 2014(*)

„Dumping – Einfuhren von Verbindungselementen aus nichtrostendem Stahl mit Ursprung in China und in Taiwan – Antrag auf Erstattung erhobener Zölle – Art. 11 Abs. 8 Unterabs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 1225/2009 – Rechtssicherheit“

In der Rechtssache T‑81/12

Beco Metallteile-Handels GmbH mit Sitz in Spaichingen (Deutschland), Prozessbevollmächtigter: Rechtsanwalt T. Pfeiffer,

Klägerin,

gegen

Europäische Kommission, vertreten durch H. van Vliet und T. Maxian Rusche als Bevollmächtigte,

Beklagte,

wegen Nichtigerklärung des Beschlusses K (2011) 9112 endgültig der Kommission vom 13. Dezember 2011 über einen Antrag auf Erstattung von Antidumpingzöllen, die auf die Einfuhren von Verbindungselementen aus nichtrostendem Stahl mit Ursprung in der Volksrepublik China und in Taiwan entrichtet wurden,

erlässt

DAS GERICHT (Zweite Kammer)

unter Mitwirkung des Präsidenten N. J. Forwood sowie der Richter F. Dehousse und J. Schwarcz (Berichterstatter),

Kanzler: K. Andová, Verwaltungsrätin,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 5. Juni 2013

folgendes

Urteil

 Vorgeschichte des Rechtsstreits

1        Im Zeitraum vom 8. September 2000 bis 5. Mai 2003 hatte die Klägerin, die Beco Metallteile-Handels GmbH, Verbindungselemente aus nichtrostendem Stahl nach Deutschland eingeführt, die nach Ansicht des Hauptzollamts Karlsruhe (Deutschland) (im Folgenden: Hauptzollamt) ursprünglich aus China und aus Taiwan stammten.

2        Am 17. August 2005 hatte das Hauptzollamt einen Steuerbescheid erlassen, mit dem der Klägerin mitgeteilt wurde, dass sie gemäß der Verordnung (EG) Nr. 393/98 des Rates vom 16. Februar 1998 zur Einführung eines endgültigen Antidumpingzolls auf die Einfuhren von Verbindungselementen und Teilen aus nichtrostendem Stahl mit Ursprung in der Volksrepublik China, Indien, der Republik Korea, Malaysia, Taiwan und Thailand (ABl. L 50, S. 1) auf die oben genannten Einfuhren Antidumpingzölle in Höhe von 815 754,32 Euro schulde (im Folgenden: Steuerbescheid von 2005).

3        Am 22. August 2005 legte die Klägerin beim Hauptzollamt Einspruch gegen den Steuerbescheid von 2005 ein und beantragte die Aussetzung der Vollziehung dieses Bescheids.

4        Mit Entscheidung vom 2. September 2005 setzte das Hauptzollamt die Vollziehung des Steuerbescheids von 2005 bis zur Entscheidung über den Einspruch aus.

5        Mit dem geänderten Bescheid vom 14. April 2010 (im Folgenden: erster geänderter Bescheid von 2010) reduzierte das Hauptzollamt die von der Klägerin zu zahlenden Antidumpingzölle auf 633 475,99 Euro und setzte ihr eine Zahlungsfrist bis zum 30. April 2010. Dieser geänderte Abgabenbescheid war zum Zeitpunkt der Einreichung der vorliegenden Klage Gegenstand eines Rechtsstreits vor dem Finanzgericht Baden-Württemberg.

6        Am 19. April 2010 stellte die Klägerin gemäß Art. 11 Abs. 8 der Verordnung (EG) Nr. 1225/2009 des Rates vom 30. November 2009 über den Schutz gegen gedumpte Einfuhren aus nicht zur Europäischen Gemeinschaft gehörenden Ländern (ABl. L 343, S. 51, berichtigt in ABl. 2010, L 7, S. 22, im Folgenden: Grundverordnung) einen Antrag auf Erstattung der mit dem Steuerbescheid von 2005 festgesetzten Antidumpingzölle in Höhe von 815 754,32 Euro. Auf eine Frage des Gerichts hat die Klägerin dargelegt, warum dieser Antrag auf die Erstattung des im Steuerbescheid von 2005 und nicht des im ersten geänderten Bescheid von 2010 angegebenen Betrags gerichtet gewesen sei. Die Europäische Kommission hat diesem Vorbringen nicht widersprochen. Da nämlich der letztgenannte Bescheid dem Anwalt der Klägerin erst am 19. April 2010 zuging, wurde er in dem genannten, am selben Tag abgesandten Erstattungsantrag nicht berücksichtigt, da der Anwalt der Klägerin vor der Absendung des Antrags keine Kenntnis von diesem Bescheid nehmen konnte.

7        In ihrem Erstattungsantrag machte die Klägerin geltend, die dem Steuerbescheid von 2005 zugrunde liegende Dumpingspanne sei beseitigt bzw. unter den geltenden Zollsatz gesenkt worden. Da ein solcher Antrag voraussetze, dass die betreffenden Antidumpingzölle bereits entrichtet worden seien, beantragte sie unter Bezugnahme auf Fn. 6 der Bekanntmachung der Kommission über die Erstattung von Antidumpingzöllen (ABl. 2002, C 127, S. 10, im Folgenden: Auslegungsbekanntmachung) auch die Aussetzung der Untersuchung bis zur endgültigen Festsetzung der genannten Zölle.

8        Am 28. April 2010 erließ das Hauptzollamt einen zweiten geänderten Bescheid (im Folgenden: zweiter geänderter Bescheid von 2010), mit dem es von der Klägerin nachträglich Einfuhrumsatzsteuer in Höhe von 101 356,15 Euro forderte, da sie eine unrichtige Steuerbefreiung erhalten habe.

9        Am 30. April 2010 entrichtete die Klägerin den im ersten geänderten Bescheid 2010 festgesetzten Betrag von 633 475,99 Euro und am 14. Mai 2010 den im zweiten geänderten Bescheid von 2010 festgesetzten Betrag von 101 356,15 Euro.

10      Mit Schreiben vom 15. November 2010 setzte die Kommission die Klägerin davon in Kenntnis, dass der fragliche Erstattungsantrag gemäß Art. 11 Abs. 8 der Grundverordnung und der Auslegungsbekanntmachung als unzulässig betrachtet werde.

11      Mit Schreiben vom 15. Dezember 2010 antwortete die Klägerin, dass gemäß Nr. 2.1 der Auslegungsbekanntmachung die Frist für die Einreichung eines Antrags auf Erstattung von Antidumpingzöllen nicht laufe, solange diese Zölle noch nicht entrichtet worden seien. Nach Fn. 6 zu Nr. 2.1 der Auslegungsbekanntmachung habe sie ihren Antrag vor Entrichtung der Antidumpingzölle stellen können, sie sei hierzu aber nicht verpflichtet gewesen. Da sie die betreffenden Zölle erst am 30. April 2010 entrichtet habe, hätte der fragliche Erstattungsantrag als innerhalb der verbindlichen Sechsmonatsfrist eingereicht und somit als zulässig betrachtet werden müssen.

12      Mit Schreiben vom 2. August 2011 unterrichtete die Kommission die Klägerin über die wesentlichen Tatsachen und Erwägungen, auf deren Grundlage der fragliche Erstattungsantrag abzulehnen sei.

13      In ihrem Antwortschreiben vom 15. September 2011 wiederholte die Klägerin ihre Auslegung der Auslegungsbekanntmachung, wie sie oben in Rn. 11 zusammengefasst ist. Sie machte zudem geltend, die Kommission handle bei der Ablehnung des fraglichen Erstattungsantrags nicht in gutem Glauben und verstoße gegen den Grundsatz der Rechtssicherheit und die berechtigten Erwartungen, die sich aus dem Wortlaut der Auslegungsbekanntmachung ergäben.

14      Mit ihrem Beschluss K (2011) 9112 endgültig vom 13. Dezember 2011 über einen Antrag auf Erstattung von Antidumpingzöllen, die auf die Einfuhren von Verbindungselementen aus nichtrostendem Stahl mit Ursprung in der Volksrepublik China und in Taiwan entrichtet wurden (im Folgenden: angefochtener Beschluss), lehnte die Kommission den fraglichen Erstattungsantrag ab.

15      Im fünften Erwägungsgrund des angefochtenen Beschlusses führte die Kommission aus, die Sechsmonatsfrist für die Einreichung des Erstattungsantrags habe zum Zeitpunkt der endgültigen Festsetzung der Antidumpingzölle, d. h. am 17. August 2005, zu laufen begonnen. Diese Frist sei somit am 17. Februar 2006 abgelaufen. Da die Klägerin den Erstattungsantrag erst am 19. April 2010 gestellt habe, habe dieser aufgrund seiner offensichtlichen Unzulässigkeit nicht geprüft werden können.

16      Um die von der Klägerin im Verwaltungsverfahren vorgetragenen Argumente zu widerlegen, führte die Kommission zunächst in den Erwägungsgründen 8, 9 und 15 des angefochtenen Beschlusses aus, dass die Fristen, innerhalb deren ein Erstattungsantrag gestellt werden müsse, speziell in Art. 11 Abs. 8 Unterabs. 2 der Grundverordnung geregelt seien. Nach dieser Vorschrift beginne die Frist zur Stellung eines Erstattungsantrags ab dem Zeitpunkt zu laufen, zu dem die zu erhebenden Antidumpingzölle ordnungsgemäß festgesetzt worden seien, d. h. am 17. August 2005, und nicht ab dem Zeitpunkt, zu dem sie entrichtet worden seien. Dass das Hauptzollamt die Vollziehung des Steuerbescheids von 2005 ausgesetzt habe, ändere nichts an dieser Schlussfolgerung.

17      Ferner wies die Kommission in den Erwägungsgründen 10, 11 und 15 des angefochtenen Beschlusses darauf hin, dass der Wortlaut von Nr. 2.1 Buchst. b der Auslegungsbekanntmachung als Ganzes zu lesen sei, d. h. sowohl der Text dieser Bestimmung als auch die darin eingefügte Fn. 6 berücksichtigt werden müsse. In dieser Fußnote hieß es, dass ein Einführer, wenn er die Anwendung eines Antidumpingzolls auf seine Einfuhren anfechte, dennoch, sofern er es wünsche, innerhalb von sechs Monaten einen Antrag auf Erstattung der Antidumpingzölle stellen und die Kommission zugleich auffordern sollte, die Erstattungsuntersuchung bis zur Feststellung der endgültigen Zollschuld auszusetzen. Die Wendungen „sollte“ und „sofern er es wünscht“ in dieser Fußnote bezögen sich darauf, dass ein Einführer darüber entscheiden könne, ob er einen solchen Antrag innerhalb der in Art. 11 Abs. 8 der Grundverordnung festgelegten Sechsmonatsfrist stelle oder nicht, bedeuteten jedoch nicht, dass er nach Ablauf dieser Frist noch rechtmäßig eine Erstattung beantragen könne. Im 15. Erwägungsgrund des angefochtenen Beschlusses führte die Kommission aus, dass diese Auffassung durch Nr. 3.1.3 der Auslegungsbekanntmachung bestätigt werde, die klarstelle, dass die Frist von sechs Monaten selbst dann gelte, wenn die Verordnung zur Einführung des betreffenden Zolls vor den einzelstaatlichen Gerichten und Verwaltungsbehörden angefochten werde.

18      Daher gelangte die Kommission im 17. Erwägungsgrund des angefochtenen Beschlusses zu dem Ergebnis, dass die Auslegungsbekanntmachung nicht im Widerspruch zu Art. 11 Abs. 8 der Grundverordnung stehe und dass keine berechtigten Erwartungen in Fällen geweckt würden, in denen die Zölle nicht gezahlt worden seien.

19      Im 16. Erwägungsgrund des angefochtenen Beschlusses erklärte die Kommission ferner, das Verhalten der Klägerin scheine im Widerspruch zu dem von ihr vorgetragenen Argument zu stehen, dass ein Antrag auf Erstattung der Antidumpingzölle erst nach Entrichtung dieser Zölle zulässig sei. Tatsächlich habe die Klägerin ihren Erstattungsantrag am 19. April 2010 gestellt, die betreffenden Antidumpingzölle jedoch erst am darauffolgenden 30. April entrichtet.

20      Schließlich führte die Kommission in den Erwägungsgründen 19 bis 21 des angefochtenen Beschlusses aus, dass die verschiedenen Urteile, die die Klägerin zur Begründung ihres Vorbringens angeführt habe, wonach die Kommission nicht in gutem Glauben gehandelt habe und den Grundsatz der Rechtssicherheit und die durch die Auslegungsbekanntmachung erweckten berechtigten Erwartungen verletzt habe, nicht geeignet seien, den Antrag der Klägerin zu stützen.

 Verfahren und Anträge der Parteien

21      Mit Klageschrift, die am 15. Februar 2012 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen ist, hat die Klägerin die vorliegende Klage erhoben.

22      Im Rahmen prozessleitender Maßnahmen hat das Gericht (Zweite Kammer) die Parteien aufgefordert, bestimmte Schriftstücke vorzulegen und bestimmte Fragen zu beantworten. Die Parteien sind dieser Aufforderung fristgemäß nachgekommen.

23      Auf Bericht des Berichterstatters hat das Gericht (Zweite Kammer) beschlossen, die mündliche Verhandlung zu eröffnen.

24      Die Parteien haben sich zum Sitzungsbericht nicht geäußert.

25      In der Sitzung vom 5. Juni 2013 haben die Parteien mündlich verhandelt und Fragen des Gerichts beantwortet.

26      Die Klägerin beantragt,

–        den angefochtenen Beschluss für nichtig zu erklären;

–        der Kommission die Kosten aufzuerlegen.

27      Die Kommission beantragt,

–        die Klage abzuweisen;

–        der Klägerin die Kosten aufzuerlegen.

 Rechtliche Würdigung

28      Die Klägerin stützt ihre Klage im Wesentlichen auf zwei Gründe. Der erste wird aus Verstößen gegen Art. 11 Abs. 8 der Grundverordnung und die Auslegungsbekanntmachung und der zweite aus Verstößen gegen die Grundsätze des Vertrauensschutzes, des guten Glaubens und der Rechtssicherheit hergeleitet.

 Zum ersten Klagegrund: Verstöße gegen Art. 11 Abs. 8 der Grundverordnung und die Auslegungsbekanntmachung

29      Der erste Klagegrund besteht aus zwei Rügen. Mit der ersten wird ein Verstoß gegen Art. 11 Abs. 8 der Grundverordnung, mit der zweiten ein Verstoß gegen die Auslegungsbekanntmachung geltend gemacht.

 Zur ersten Rüge: Verstoß gegen Art. 11 Abs. 8 der Grundverordnung

30      Unter Bezugnahme auf Art. 11 Abs. 8 Unterabs. 1 der Grundverordnung, wonach „ein Einführer die Erstattung der erhobenen Zölle beantragen [kann], wenn nachgewiesen wird, dass die Dumpingspanne, auf deren Grundlage die Zölle entrichtet wurden, beseitigt oder soweit verringert worden ist, dass sie niedriger als der geltende Zoll ist“, macht die Klägerin geltend, dass ein Erstattungsantrag erst nach Entrichtung der betreffenden Antidumpingzölle zulässig sei.

31      Die Kommission meint dagegen, dass Art. 11 Abs. 8 Unterabs. 1 der Grundverordnung lediglich die materiell-rechtlichen Voraussetzungen vorsehe, unter denen die von dem betroffenen Einführer entrichteten Antidumpingzölle erstattet werden könnten, und dass spezielle Verfahrensregeln in Unterabs. 2 dieser Vorschrift vorgesehen seien.

32      Ordnungsgemäß festgesetzt werde der Antidumpingzoll im Übrigen mit der Mitteilung der Zollschuld gemäß Art. 221 Abs. 1 der Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 des Rates vom 12. Oktober 1992 zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaften (ABl. L 302, S. 1, im Folgenden: Zollkodex der Gemeinschaften), da der Schuldner zu diesem Zeitpunkt von ihm Kenntnis erlange. Es gebe keinen systematischen Grund, der es erforderlich machen würde, für die Stellung eines Erstattungsantrags gemäß Art. 11 Abs. 8 der Grundverordnung das Ergebnis einer Anfechtung auf nationaler Ebene abzuwarten, da nicht die nationalen Behörden, sondern nur die Kommission im konkreten Fall des betreffenden Einführers eine Verringerung oder Beseitigung der Dumpingspanne, auf deren Grundlage die Antidumpingzölle berechnet worden seien, feststellen könne.

33      Hierzu ist festzustellen, dass Art. 11 Abs. 8 Unterabs. 1 der Grundverordnung zwar vorsieht, dass „[u]nbeschadet des Absatzes 2 … ein Einführer die Erstattung der erhobenen Zölle beantragen [kann], wenn nachgewiesen wird, dass die Dumpingspanne, auf deren Grundlage die Zölle entrichtet wurden, beseitigt oder soweit verringert worden ist, dass sie niedriger als der geltende Zoll ist“, jedoch die in dieser Bestimmung enthaltenen Formulierungen „erhobene Zölle“ und „Zölle entrichtet wurden“ lediglich klarstellen, dass nur bereits entrichtete Beträge Gegenstand einer Erstattung sein können. Diese Bestimmung legt somit nur den Grundsatz und die materiell-rechtlichen Voraussetzungen für eine Erstattung fest.

34      Für das zu befolgende Verfahren stellt Art. 11 Abs. 8 Unterabs. 2 die maßgebliche Bestimmung dar. Ihr Wortlaut bezieht sich auf die „zu erhebenden“ Antidumpingzölle. Danach ist die Zulässigkeit eines Erstattungsantrags nicht an die Entrichtung dieser Zölle geknüpft.

35      Folglich unterliegt der Beginn der in Art. 11 Abs. 8 Unterabs. 2 der Grundverordnung vorgesehenen Sechsmonatsfrist keineswegs der Voraussetzung, dass die Antidumpingzölle vorher entrichtet wurden.

36      Auf eine Frage des Gerichts hat die Klägerin jedoch geltend gemacht, dass sich Art. 11 Abs. 8 Unterabs. 3 der Grundverordnung mittelbar auf die Bestimmung des Beginns der in Unterabs. 2 dieser Vorschrift vorgesehenen Frist auswirke.

37      Art. 11 Abs. 8 Unterabs. 3 der Grundverordnung bestimmt, dass ein „Antrag auf Erstattung … nur als hinreichend durch Beweise begründet [gilt], wenn er genaue Angaben über den Betrag der beantragten Erstattung von Antidumpingzöllen und alle Zollbelege für die Berechnung und Entrichtung dieses Betrags enthält“, dass „[d]azu auch Nachweise zu den Normalwerten und den Preisen bei der Ausfuhr in die Union während eines repräsentativen Zeitraums für die Ausführer oder Hersteller [gehören], für die die Zölle gelten“, dass, „[wenn] … der Einführer mit dem betroffenen Ausführer oder Hersteller nicht geschäftlich verbunden [ist] und … diese Informationen nicht sofort zur Verfügung [stehen] oder … der Ausführer oder der Hersteller nicht bereit [ist], dem Einführer diese Informationen zu erteilen, … der Antrag eine Erklärung des Ausführers oder des Herstellers [enthält], wonach die Dumpingspanne nach Maßgabe dieses Artikels verringert oder beseitigt worden ist und die einschlägigen Nachweise der Kommission übermittelt werden“, und dass, „[wenn] … diese Nachweise von dem Ausführer oder dem Hersteller nicht innerhalb einer angemessenen Frist übermittelt [werden], … der Antrag abgelehnt [wird]“.

38      Die Klägerin meint, da Art. 11 Abs. 8 Unterabs. 3 der Grundverordnung in seinem ersten Satz vorsehe, dass der Erstattungsantrag, damit er „hinreichend begründet“ sei, alle Zollbelege für die Berechnung und Entrichtung des Betrags der fraglichen Antidumpingzölle enthalten müsse, die Entrichtung der Antidumpingzölle Voraussetzung für die Zulässigkeit des Erstattungsantrags sei.

39      Insoweit wirkt sich Art. 11 Abs. 8 Unterabs. 3 der Grundverordnung, wie von der Kommission vorgetragen, lediglich auf die Bestimmung des Beginns der in Art. 11 Abs. 8 Unterabs. 4 Satz 2 dieser Verordnung genannten Frist aus. Nach diesem Satz erfolgt nämlich „[d]ie Erstattung von [Antidumpingzöllen] … innerhalb von 12 Monaten und in keinem Fall später als 18 Monate nach dem Zeitpunkt, zu dem der hinreichend begründete Erstattungsantrag von einem Einführer der Ware gestellt wurde, die Gegenstand des Antidumpingzolls ist“.

40      Zudem lässt sich dem Wortlaut von Art. 11 Abs. 8 Unterabs. 2 der Grundverordnung nicht entnehmen, dass Erstattungsanträge bereits bei ihrer Einreichung hinreichend begründet im Sinne des Unterabs. 3 der Vorschrift sein müssen. Sie können nach und nach im Lauf des Verfahrens vervollständigt werden. Anderenfalls hätte der Gesetzgeber in Art. 11 Abs. 8 Unterabs. 4 Satz 2 vorgesehen, dass die genannte Frist von 12 bzw. 18 Monaten mit der Einreichung des Erstattungsantrags und nicht ab dem Zeitpunkt, zu dem dieser Antrag „hinreichend begründet“ ist, zu laufen beginnt.

41      Daher kann das aus Art. 11 Abs. 8 Unterabs. 3 der Grundverordnung hergeleitete Argument die oben in den Rn. 34 und 35 gezogenen Schlussfolgerungen nicht entkräften.

42      In der Erwiderung trägt die Klägerin zudem vor, dass Antidumpingzölle nur dann als ordnungsgemäß festgesetzt angesehen werden könnten, wenn ihr Betrag zutreffend berechnet worden sei. Da jedoch der Betrag der zu entrichtenden Antidumpingzölle durch den ersten geänderten Bescheid von 2010 erheblich herabgesetzt worden sei, könne nicht davon ausgegangen werden, dass der Betrag der endgültigen zu erhebenden Antidumpingzölle durch den Steuerbescheid von 2005 „ordnungsgemäß“ festgesetzt worden sei. Der Erstattungsantrag der Klägerin könne also nicht als verspätet angesehen werden.

43      Wie die Kommission zu Recht ausgeführt hat, genügt insoweit im vorliegenden Fall die Feststellung, dass sich diese Argumentation darauf stützt, dass die nationalen Behörden den ersten geänderten Bescheid von 2010 erlassen haben, von dessen Existenz die Kommission zum Zeitpunkt des Erlasses des angefochtenen Beschlusses keine Kenntnis hatte.

44      Indes ist nach ständiger Rechtsprechung die Rechtmäßigkeit eines angefochtenen Rechtsakts nach dem Sachverhalt und der Rechtslage zu beurteilen, die bei Erlass des Aktes bestanden (Urteile des Gerichtshofs vom 7. Februar 1979, Frankreich/Kommission, 15/76 und 16/76, Slg. 1979, 321, Rn. 7, und vom 5. Juli 1984, Société d’initiatives et de coopération agricoles und Société interprofessionnelle des producteurs et expéditeurs de fruits, légumes, bulbes et fleurs d’Ille-et-Vilaine/Kommission, 114/83, Slg. 1984, 2589, Rn. 22; Urteile des Gerichts vom 22. Oktober 1996, SNCF und British Railways/Kommission, T‑79/95 und T‑80/95, Slg. 1996, II‑1491, Rn. 48, und vom 22. Januar 2013, Griechenland/Kommission, T‑46/09, Rn. 149). Insbesondere sind Bewertungen, die die Kommission vorgenommen hat, nur anhand der Informationen zu prüfen, über die diese bei der Entscheidungsfindung verfügte (Urteil des Gerichts vom 11. Mai 2005, Saxonia Edelmetalle und ZEMAG/Kommission, T‑111/01 und T‑133/01, Slg. 2005, II‑1579, Rn. 67).

45      Die Klägerin macht hingegen im Wesentlichen geltend, dass es allein auf die mangelnde Sorgfalt der Kommission zurückzuführen sei, dass der erste geänderte Bescheid im Verwaltungsverfahren nicht vorgelegt oder erwähnt worden sei. Entgegen Nr. 3.2.1 Buchst. b der Auslegungsbekanntmachung habe die Kommission keine weiteren Informationen von ihr angefordert, insbesondere auch nicht solche zur Bemessungsgrundlage und zum genauen Betrag der erhobenen Antidumpingzölle.

46      Zwar sieht Nr. 3.2.1 der Auslegungsbekanntmachung vor, dass die Kommission den Antragsteller über die zu übermittelnden Informationen unterrichtet und eine angemessene Frist setzt, innerhalb deren die erforderlichen Nachweise beizubringen sind, und dass zu diesen Informationen Zollunterlagen gehören, in denen die Einfuhrgeschäfte, für die eine Erstattung beantragt wird, aufgeführt sind und die insbesondere Aufschluss über die Zollbemessungsgrundlage sowie den genauen Betrag der erhobenen Antidumpingzölle geben. Jedoch trägt die Kommission zu Recht vor, dass sie nicht verpflichtet ist, von Amts wegen mutmaßend zu prüfen, welche Gesichtspunkte ihr hätten vorgetragen werden können. Die genannte Bestimmung kann nämlich nur dahin verstanden werden, dass die Kommission dem Antragsteller mitteilen muss, welche Arten oder Kategorien von Informationen oder Dokumenten ihr vorzulegen sind, damit sie einen Erstattungsantrag bearbeiten kann.

47      Folglich kann die Argumentation der Klägerin, wonach der Betrag der endgültigen zu erhebenden Antidumpingzölle durch den Steuerbescheid von 2005 nicht ordnungsgemäß festgesetzt worden sei, keinen Erfolg haben.

48      Die Rüge eines Verstoßes gegen Art. 11 Abs. 8 der Grundverordnung ist daher zurückzuweisen.

 Zur zweiten Rüge: Verstoß gegen die Auslegungsbekanntmachung

49      Die Klägerin trägt vor, der angefochtene Beschluss verstoße gegen Nr. 1, Nr. 2.1 Buchst. b und die darin eingefügte Fn. 6 sowie Nr. 2.2 Buchst. a der Auslegungsbekanntmachung.

50      Hierzu genügt der Hinweis, dass nach ständiger Rechtsprechung ein Auslegungsakt wie die Auslegungsbekanntmachung, in der gemäß ihrer Präambel die Leitlinien für die Anwendung des Art. 11 Abs. 8 der Grundverordnung dargelegt werden, die in einer Verordnung enthaltenen zwingenden Vorschriften nicht ändern kann (Urteil des Gerichtshofs vom 28. Januar 1992, Soba, C‑266/90, Slg. 1992, I‑287, Rn. 19, und Urteil des Gerichts vom 22. April 1993, Peugeot/Kommission, T‑9/92, Slg. 1993, II‑493, Rn. 44).

51      Denn nach gefestigter Rechtsprechung ist die Kommission zwar durch die von ihr erlassenen Rahmen und Mitteilungen gebunden, jedoch gilt dies nur, soweit diese nicht von höherrangigen Vorschriften abweichen (vgl. in diesem Sinne Urteil des Gerichtshofs vom 2. Dezember 2010, Holland Malt/Kommission, C‑464/09 P, Slg. 2010, I‑12443, Rn. 47 und die dort angeführte Rechtsprechung).

52      Daher muss im Fall der Überschneidung und der Unvereinbarkeit mit einer solchen Vorschrift der Auslegungsakt zurücktreten (vgl. in diesem Sinne Urteil des Gerichtshofs vom 14. April 2005, Belgien/Kommission, C‑110/03, Slg. 2005, I‑2801, Rn. 33).

53      Daraus folgt, dass eine etwaige Nichtbefolgung bestimmter Regeln der Auslegungsbekanntmachung durch den angefochtenen Beschluss keine Auswirkungen auf die Richtigkeit der Anwendung von Art. 11 Abs. 8 der Grundverordnung, die die Rechtsgrundlage des angefochtenen Beschlusses bildet, durch die Kommission haben kann. Soweit die Klägerin mit ihrem Vorbringen in Wirklichkeit einen Verstoß gegen den Grundsatz der Rechtssicherheit geltend macht, deckt sich ihr Vortrag teils mit den im Rahmen des zweiten Klagegrundes entwickelten Argumenten und wird daher unten in den Rn. 55 ff. geprüft.

54      Deshalb ist die zweite Rüge und demzufolge der erste Klagegrund insgesamt zurückzuweisen.

 Zum zweiten Klagegrund: Verstöße gegen die Grundsätze des Vertrauensschutzes, des guten Glaubens und der Rechtssicherheit

55      Als Erstes ist die Rüge eines Verstoßes gegen den Grundsatz der Rechtssicherheit zu prüfen.

56      Die Klägerin macht geltend, der Grundsatz der Rechtssicherheit verlange, dass eine Regelung klar und deutlich sein müsse, damit die Betroffenen ihre Rechte und Pflichten unzweideutig erkennen könnten. Da Nr. 1, Nr. 2.1 Buchst. b und Nr. 2.2 Buchst. a der Auslegungsbekanntmachung auf „bereits entrichtete Antidumpingzölle“, „Einfuhren …, für die die Antidumpingzölle in vollem Umfang entrichtet wurden“, und „[j]ede[n] Einführer, der nachweisen kann, dass er … Antidumpingzölle auf bestimmte Einfuhren entrichtet hat“, abstellten, verbiete es dieser Grundsatz, ihren Erstattungsantrag mit der Begründung abzulehnen, dass sie ihren Antrag noch vor Entrichtung der Antidumpingzölle hätte stellen müssen.

57      Auch sehe das Modell eines Erstattungsantrags im Anhang der Auslegungsbekanntmachung unter der Rubrik „Pflichtangaben“ u. a. eine Erklärung vor, dass die Zölle, deren Erstattung beantragt wird, in vollem Umfang entrichtet worden seien.

58      Im Übrigen werde in Fn. 6 der Nr. 2.1 Buchst. b der Auslegungsbekanntmachung klargestellt: „Ficht ein Einführer die Rechtmäßigkeit der Anwendung eines Antidumpingzolls auf seine Einfuhren an (unabhängig davon, ob dadurch die Entrichtung der Zölle ausgesetzt wird oder nicht) oder haben die einzelstaatlichen Zollbehörden die Leistung einer Sicherheit für möglicherweise fällig werdende Antidumpingzölle gefordert, so sollte der Einführer (sofern er es wünscht) dennoch innerhalb von sechs Monaten einen Antrag auf Erstattung der Antidumpingzölle stellen und die Kommission zugleich auffordern, die Erstattungsuntersuchung bis zur Feststellung der endgültigen Zollschuld auszusetzen.“ Die Wendungen „sollte“ und „sofern er es wünscht“ in dieser Fußnote wiesen darauf hin, dass die Sechsmonatsfrist bei einer Anfechtung des Betrags der zu entrichtenden Antidumpingzölle nicht zu laufen beginne.

59      Aus Fn. 6 der Auslegungsbekanntmachung ergebe sich, dass der betroffene Einführer, solange die fraglichen Antidumpingzölle noch nicht entrichtet seien, einen Erstattungsantrag einreichen könne, aber nicht müsse. Entgegen dem Vorbringen der Kommission gelte diese Fußnote nicht nur für Fälle der Sicherheitsleistung.

60      Die Klägerin trägt vor, die geltenden Bestimmungen befolgt zu haben, als sie am 19. April 2010 ihren Antrag auf Erstattung der im Steuerbescheid von 2005 festgesetzten Antidumpingzölle eingereicht und einen Antrag auf Aussetzung der Untersuchung beigefügt habe, da diese Zölle noch nicht entrichtet worden seien.

61      Daher macht die Klägerin geltend, dass die in Art. 11 Abs. 8 Unterabs. 2 der Grundverordnung vorgesehene Frist nicht ablaufen könne, bevor sie ihren Erstattungsantrag vorschriftsgemäß habe einreichen können.

62      Die Kommission meint, die Auslegungsbekanntmachung sehe klar vor, dass die Frist für die Einreichung des Erstattungsantrags sechs Monate ab dem Zeitpunkt betrage, zu dem der Betrag des zu entrichtenden Antidumpingzolls ordnungsgemäß festgesetzt worden sei.

63      Der Wortlaut von Nr. 2.1 Buchst. b der Auslegungsbekanntmachung sei als Ganzes zu lesen, d. h. zusammen mit Fn. 6. Danach müsse ein Einführer, wenn er die Anwendung eines Antidumpingzolls auf seine Einfuhr anfechte, einen Antrag auf Erstattung der Antidumpingzölle dennoch innerhalb der Sechsmonatsfrist stellen und die Kommission auffordern, die Erstattungsuntersuchung bis zur Feststellung der endgültigen Zollschuld auszusetzen.

64      Nr. 2.1 Buchst. b der Auslegungsbekanntmachung betreffe nämlich im Wesentlichen den Fall, dass der Betrag des Antidumpingzolls noch nicht ordnungsgemäß festgesetzt worden sei und der Einführer bis dahin eine Sicherheit leiste. Fn. 6 dieser Bekanntmachung beziehe sich auf eine Konstellation, für die der Zollkodex selbst die Leistung einer Sicherheit vorschreibe.

65      Es gehe um die Situation, in der der Einführer gegen die ordnungsgemäße Festsetzung des Antidumpingzolls gemäß Art. 243 des Zollkodex einen Rechtsbehelf bei den nationalen Behörden eingelegt habe. Art. 244 des Zollkodex schreibe vor, dass die Aussetzung des Vollzugs, wenn die nationalen Behörden sie ausnahmsweise anordneten, von einer Sicherheitsleistung abhängig gemacht werde. Fn. 6 der Auslegungsbekanntmachung stelle klar, dass in diesem zweiten Fall ein Erstattungsantrag gestellt werden könne. Dies ergebe sich daraus, dass – anders als im in Nr. 2.1 Buchst. b dieser Bekanntmachung geregelten ersten Fall – der Antidumpingzoll bereits ordnungsgemäß festgesetzt worden sei. Durch die Ausdrücke „sollte“ und „sofern er es wünscht“ habe die Kommission unterstreichen wollen, dass die Stellung eines Erstattungsantrags keine Vorbedingung für die Einlegung eines Rechtsbehelfs bei den nationalen Behörden sei und dass es Sache des Einführers sei, darüber zu entscheiden, ob er einen solchen Antrag stelle. Diesen Ausdrücken lasse sich nicht entnehmen, dass der Einführer nach Ablauf der Frist weiterhin rechtmäßig eine Erstattung beantragen könne.

66      Ebenso wie in Art. 11 Abs. 8 Unterabs. 1 der Grundverordnung würden in Nr. 1, Nr. 2.1 Buchst. b und Nr. 2.2 Buchst. a der Auslegungsbekanntmachung, auf die sich die Klägerin stütze, lediglich materiell-rechtliche Voraussetzungen der Erstattung festgelegt. Es sei nämlich normal, dass ein Betrag gezahlt werden müsse, bevor er zurückerstattet werden könne. Die Regeln, die das einzuhaltende Verfahren beträfen, seien dagegen in Nr. 2.6 Buchst. a und Nr. 3.1.3 Buchst. a Abs. 2 („Welche Fristen sind einzuhalten?“ und „Sechsmonatsfrist“) der Auslegungsbekanntmachung enthalten. Da diese Regeln vorsähen, dass „Anträge gemäß Artikel 11 Absatz 8 der Grundverordnung … innerhalb von sechs Monaten nach dem Zeitpunkt, zu dem der Betrag der auf diese Waren zu erhebenden Antidumpingzölle festgesetzt wurde, einzureichen [sind]“ und dass „[d]iese Frist von sechs Monaten für die Antragstellung … selbst dann [gilt], wenn die Verordnung zur Einführung des betreffenden Zolls vor dem Gericht … oder vor den einzelstaatlichen Verwaltungsbehörden bzw. Gerichten angefochten wird“, bestätigten sie, dass die Sechsmonatsfrist ab dem Zeitpunkt, zu dem der Betrag der endgültigen Antidumpingzölle ordnungsgemäß festgesetzt worden sei, rechtlich verbindlich sei.

67      Doch seien bei der Auslegung einer Unionsvorschrift nach ständiger Rechtsprechung nicht nur ihr Wortlaut, sondern auch ihr Zusammenhang und die Ziele zu berücksichtigen, die mit der Regelung, zu der sie gehöre, verfolgt würden (Urteil des Gerichtshofs vom 17. November 1983, Merck, 292/82, Slg. 1983, 3781, Rn. 12). Somit seien Nr. 1, Nr. 2.1 Buchst. b und Nr. 2.2 Buchst. a der Auslegungsbekanntmachung nicht isoliert zu betrachten, sondern im Zusammenhang mit den anderen Bestimmungen dieser Bekanntmachung und mit Art. 11 Abs. 8 der Grundverordnung.

68      Hierzu ergibt sich aus der Rechtsprechung, dass der Grundsatz der Rechtssicherheit ein grundlegendes Prinzip des Unionsrechts darstellt, das insbesondere verlangt, dass eine Regelung klar und deutlich ist, damit der Rechtsunterworfene seine Rechte und Pflichten unzweideutig erkennen und somit seine Vorkehrungen treffen kann. Gehört jedoch ein gewisser Grad an Unbestimmtheit in Bezug auf den Sinn und die Reichweite einer Rechtsnorm zu deren Wesen, so ist zu prüfen, ob die betreffende Rechtsnorm derart unklar ist, dass die Rechtsunterworfenen etwaige Zweifel in Bezug auf die Reichweite oder den Sinn dieser Rechtsnorm nicht mit hinreichender Sicherheit ausräumen können (Urteil des Gerichts vom 22. Mai 2007, Mebrom/Kommission, T‑216/05, Slg. 2007, II‑1507, Rn. 108).

69      Zunächst ist daran zu erinnern, dass die von der Klägerin vertretene Auslegung von Art. 11 Abs. 8 der Grundverordnung, wie im Rahmen der Prüfung der ersten Rüge des ersten Klagegrundes festgestellt, zurückzuweisen ist. Es ist jedoch auch festzustellen, dass diese Bestimmung, die die Rechtsgrundlage des angefochtenen Beschlusses darstellt, einen gewissen Grad an Unbestimmtheit in Bezug auf den Sinn und die Reichweite der fraglichen Rechtsregel aufweist. Dieser Grad an Ungewissheit ergibt sich daraus, dass in dieser Bestimmung gleichzeitig von „erhobenen Zöllen“ und „entrichteten Zöllen“ im Gegensatz zu „zu erhebenden endgültigen Zöllen“, deren Betrag „ordnungsgemäß festgesetzt wurde“, die Rede ist.

70      Es ist zu beachten, dass Leitlinien, wie sie in Mitteilungen oder Auslegungsbekanntmachungen der Kommission enthalten sind, erlassen werden, um die Transparenz, Vorhersehbarkeit und Rechtssicherheit des Vorgehens der Kommission zu gewährleisten (Urteil des Gerichtshofs vom 30. Mai 2013, Kommission/Schweden, C‑270/11, Rn. 41).

71      Aus dem oben in Rn. 68 angeführten Urteil Mebrom/Kommission (Rn. 109) ergibt sich auch, dass eine Auslegungsbekanntmachung unter bestimmten Umständen die Möglichkeit der Rechtsunterworfenen beeinträchtigen kann, etwaige Zweifel in Bezug auf die Reichweite oder den Sinn der ausgelegten Rechtsnorm mit hinreichender Sicherheit auszuräumen.

72      Im vorliegenden Fall ergibt sich aus der Präambel der Auslegungsbekanntmachung, dass diese zum Ziel hat, die Leitlinien für die Anwendung des Art. 11 Abs. 8 der Grundverordnung darzulegen und damit den von einer Erstattungsuntersuchung betroffenen Parteien zu erläutern, welche Voraussetzungen ein Erstattungsantrag erfüllen muss. Sie wurde somit erlassen, um für diese Parteien die Rechtssicherheit von Art. 11 Abs. 8 der Grundverordnung zu erhöhen.

73      Da sich die Auslegungsbekanntmachung an die Wirtschaftsteilnehmer richtet und diese nicht verpflichtet sind, systematisch Rechtsberatung für ihre laufenden Geschäfte in Anspruch zu nehmen, ist es entscheidend, dass die Auslegung von Art. 11 Abs. 8 der Grundverordnung in der Bekanntmachung in möglichst klaren und eindeutigen Worten erfolgt. Entsprechend dem Zweck und dem Wesen dieser Bekanntmachung muss ein sorgfältiger und informierter Wirtschaftsteilnehmer ihren Bestimmungen seine Rechte und Pflichten unzweideutig entnehmen und etwaige Zweifel in Bezug auf die Reichweite oder den Sinn dieser Bestimmungen ausräumen können.

74      Die Bekanntmachung, die zu den Voraussetzungen für die Einreichung eines Antrags auf Erstattung von Antidumpingzöllen widersprüchliche Hinweise gibt, erfüllt diese Bedingungen jedoch nicht.

75      Im vorliegenden Fall sieht Nr. 2.6 Buchst. a der Auslegungsbekanntmachung im Wesentlichen vor, dass Anträge nach Art. 11 Abs. 8 der Grundverordnung innerhalb von sechs Monaten nach dem Zeitpunkt, zu dem der Betrag der Antidumpingzölle festgesetzt wurde, einzureichen sind.

76      In Nr. 1 der Auslegungsbekanntmachung wird ebenso wie in Art. 11 Abs. 8 Unterabs. 1 der Grundverordnung lediglich darauf hingewiesen, dass nur bereits entrichtete Beträge Gegenstand einer Erstattung sein können (siehe oben, Rn. 33). Diese Bestimmung definiert somit lediglich den Grundsatz und die materiell-rechtlichen Voraussetzungen einer Erstattung.

77      Soweit jedoch Nr. 2.1 Buchst. b und Nr. 2.2 Buchst. a der Auslegungsbekanntmachung vorsehen, dass Erstattungsanträge nur für Einfuhren gestellt werden können, für die die Antidumpingzölle in vollem Umfang entrichtet wurden, und dass ein Einführer, der nachgewiesen hat, dass er die Antidumpingzölle entrichtet hat, die Erstattung beantragen kann, stehen diese Bestimmungen im Widerspruch zu Nr. 2.6 Buchst. a der Auslegungsbekanntmachung.

78      Der Standpunkt der Klägerin wird auch durch den Anhang der Auslegungsbekanntmachung mit dem Modell eines Standarderstattungsantrags gestützt, soweit darin unter der Rubrik „Pflichtangaben“ vorgesehen ist, dass der Antragsteller erklärt, dass die Zölle, deren Erstattung er beantragt, in vollem Umfang entrichtet wurden.

79      Fn. 6 der Auslegungsbekanntmachung, auf die die Klägerin ihr Begehren insbesondere gestützt hat und die vorsieht, dass ein Einführer, wenn er die Rechtmäßigkeit der Anwendung eines Antidumpingzolls auf seine Einfuhren anficht, unabhängig davon, ob dadurch die Entrichtung der Zölle ausgesetzt wird oder nicht, dennoch, sofern er es wünscht, innerhalb von sechs Monaten einen Antrag auf Erstattung der Antidumpingzölle stellen und die Kommission zugleich auffordern „sollte“ ‒ nicht „muss“ ‒, die Erstattungsuntersuchung bis zur Feststellung der endgültigen Zollschuld auszusetzen, kann für sich genommen nicht dahin verstanden werden, dass sie einen Einführer, der sich in dieser Situation befindet, verpflichtet, innerhalb von sechs Monaten ab der ordnungsgemäßen Festsetzung des Betrags der Antidumpingzölle einen Antrag einzureichen. Sie steht daher für sich genommen im Widerspruch zu Nr. 2.6 Buchst. a der Bekanntmachung.

80      Da sich aus dem ersten Satz unter der Überschrift der Nr. 2 der Auslegungsbekanntmachung ergibt, dass diese Nummer insgesamt einen kurzen Überblick über das Erstattungsverfahren geben soll, das danach unter Nr. 3 im Einzelnen erläutert wird, ist Fn. 6 dieser Bekanntmachung jedoch im Licht von Nr. 3.1.3 Buchst. a Abs. 2 der Bekanntmachung auszulegen, die ebenfalls eine Situation vorsieht, in der der Betrag der zu entrichtenden Antidumpingzölle vor den nationalen Behörden angefochten wird. Nach dieser Bestimmung gilt die in Art. 11 Abs. 8 Unterabs. 2 der Grundverordnung festgelegte Frist von sechs Monaten selbst in diesem Fall.

81      Doch müssen nach Nr. 3.1.3 Buchst. a dritter und letzter Absatz der Auslegungsbekanntmachung alle unter Nr. 3.1.1 dieser Bekanntmachung genannten Voraussetzungen innerhalb einer Frist von sechs Monaten ab dem Zeitpunkt der ordnungsgemäßen Festsetzung der Antidumpingzölle erfüllt sein. Da der Einführer nach Nr. 3.1.1 Ziff. i und ii in seinem Antrag eine Erklärung abgeben muss, dass die Antidumpingzölle, deren Erstattung beantragt wird, in vollem Umfang entrichtet wurden, ist die Zulässigkeit eines solchen Antrags in Wirklichkeit an die Voraussetzung geknüpft, dass die fraglichen Antidumpingzölle innerhalb der in Art. 11 Abs. 8 Unterabs. 2 der Grundverordnung vorgesehenen Frist entrichtet wurden. Eine solche Verpflichtung ist weder mit letzterer Bestimmung noch mit Nr. 2.6 Buchst. a der Bekanntmachung vereinbar. Im Übrigen kann ihre Erfüllung einem Einführer unmöglich sein, der von einer Aussetzung der Vollziehung des Steuerbescheids, die ihm die nationalen Behörden gemäß dem Zollkodex gewährt haben, profitieren möchte. Um die praktische Wirksamkeit dieser Maßnahme zu erhalten, kann die Frist für die Einreichung eines Antrags auf Erstattung der Antidumpingzölle daher nicht zu laufen beginnen, solange der Betroffene nicht verpflichtet ist, die fraglichen Antidumpingzölle zu entrichten.

82      Daraus folgt, dass Fn. 6 in Verbindung mit Nr. 3.1.3 Buchst. a Abs. 3 der Auslegungsbekanntmachung in Widerspruch zu Nr. 2.6 Buchst. a dieser Bekanntmachung steht.

83      Folglich führt die Auslegungsbekanntmachung, die doch bezwecken soll, dass die Wirtschaftsteilnehmer über das Verfahren der Erstattung von Antidumpingzöllen aufgeklärt werden und damit die Rechtssicherheit für sie erhöht wird, zum gegenteiligen Ergebnis (vgl. in diesem Sinne Urteil des Gerichtshofs vom 16. Dezember 1975, Suiker Unie u. a./Kommission, 40/73 bis 48/73, 50/73, 54/73 bis 56/73, 111/73, 113/73 und 114/73, Slg. 1975, 1663, Rn. 556 und 557). Daher kann sie bei Wirtschaftsteilnehmern wie der Klägerin, die sich bei der Durchführung ihrer laufenden Transaktionen auf sie berufen, berechtigte Zweifel in Bezug auf die richtige Auslegung von Art. 11 Abs. 8 der Grundverordnung wecken.

84      Im Übrigen wird die vorstehend in Rn. 83 dargestellte Schlussfolgerung durch die Antworten der Kommission auf Fragen des Gerichts in der mündlichen Verhandlung zur Inkohärenz einiger Bestimmungen der Auslegungsbekanntmachung bestätigt, in denen die Kommission im Wesentlichen eingeräumt hat, dass diese Bekanntmachung hätte besser formuliert sein können.

85      Die Rüge der Verletzung des Grundsatzes der Rechtssicherheit ist somit begründet.

86      Ohne dass die übrigen Rügen geprüft zu werden brauchten, ist dem zweiten Klagegrund stattzugeben und der angefochtene Beschluss für nichtig zu erklären.

 Kosten

87      Nach Art. 87 § 2 der Verfahrensordnung des Gerichts ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da die Kommission unterlegen ist, sind ihr gemäß dem Antrag der Klägerin die Kosten aufzuerlegen.

Aus diesen Gründen hat

DAS GERICHT (Zweite Kammer)

für Recht erkannt und entschieden:

1.      Der Beschluss K (2011) 9112 endgültig der Kommission vom 13. Dezember 2011 über einen Antrag auf Erstattung von Antidumpingzöllen, die auf die Einfuhren von Verbindungselementen aus nichtrostendem Stahl mit Ursprung in der Volksrepublik China und in Taiwan entrichtet wurden, wird für nichtig erklärt.

2.      Die Europäische Kommission trägt die Kosten.

Forwood

Dehousse

Schwarcz

Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 12. Februar 2014.

Unterschriften


* Verfahrenssprache: Deutsch.