Language of document : ECLI:EU:C:2017:982

Rechtssache C521/15

Königreich Spanien

gegen

Rat der Europäischen Union

„Nichtigkeitsklage – Durchführungsbeschluss (EU) 2015/1289 – Verhängung einer Geldbuße gegen einen Mitgliedstaat im Rahmen der haushaltspolitischen Überwachung der Euro-Zone – Manipulation von Defizitdaten des betroffenen Mitgliedstaats – Gerichtliche Zuständigkeit – Verordnung (EU) Nr. 1173/2011 – Art. 8 Abs. 1 und 3 – Delegierter Beschluss 2012/678/EU – Art. 2 Abs. 1 und 3 und Art. 14 Abs. 2 – Verordnung (EG) Nr. 479/2009 – Art. 3 Abs. 1, Art. 8 Abs. 1 sowie Art. 11 und 11a – Verteidigungsrechte – Charta der Grundrechte der Europäischen Union – Art. 41 Abs. 1 – Recht auf gute Verwaltung – Art. 121, 126 und 136 AEUV – Protokoll Nr. 12 über das Verfahren bei einem übermäßigen Defizit – Vorliegen der Zuwiderhandlung – Verfälschung der Darstellung – Festsetzung der Geldbuße – Verbot der Rückwirkung von Strafvorschriften“

Leitsätze – Urteil des Gerichtshofs (Große Kammer) vom 20. Dezember 2017

1.        Organe der Europäischen Union – Ausübung der Zuständigkeiten – Der Kommission oder dem Rat verliehene Durchführungsbefugnis – Natur des erlassenen Rechtsakts –Erfordernis der Verbindlichkeit des Rechtsakts und seiner Durchführbarkeit durch die Mitgliedstaaten – Bedeutung

(Art. 291 Abs. 1 und 2 AEUV; Verordnung Nr. 1173/2011 des Europäischen Parlaments und des Rates, Art. 8 Abs. 1; Beschluss 2015/1289 des Rates)

2.        Wirtschafts- und Währungspolitik – Wirtschaftspolitik – Haushaltspolitische Überwachung der Euro-Zone – Verhängung von Sanktionen wegen Manipulation von Statistiken – Erlass eines Sanktionsbeschlusses auf der Grundlage von Informationen, die vor Einleitung der Untersuchung und Annahme des Beschlusses über die für Untersuchungen und Sanktionen geltenden Regeln gesammelt wurden – Verletzung der Verteidigungsrechte des betroffenen Mitgliedstaats – Fehlen

(Verordnung Nr. 1173/2011 des Europäischen Parlaments und des Rates, Art. 8 Abs. 1; Verordnung Nr. 479/2009 des Europäischen Parlaments und Rates, Art. 11 und 11a; Beschluss 2012/678 der Kommission)

3.        Grundrechte – Charta der Grundrechte der Europäischen Union – Recht auf eine gute Verwaltung – Reichweite – Geltendmachung durch einen Mitgliedstaat – Zulässigkeit

(Charta der Grundrechte der Europäischen Union, Art. 41 Abs. 1)

4.        Grundrechte– Charta der Grundrechte der Europäischen Union – Recht auf eine gute Verwaltung– Erfordernis der Unparteilichkeit – Begriff

(Charta der Grundrechte der Europäischen Union, Art. 41 Abs. 1)

5.        Wirtschafts- und Währungspolitik – Wirtschaftspolitik – Haushaltspolitische Überwachung der Euro-Zone – Verhängung von Sanktionen wegen Manipulation von Statistiken – Erlass eines Sanktionsbeschlusses am Ende einer Untersuchung durch Bedienstete von Eurostat, die zuvor an Kontrollbesuchen in dem betroffenen Mitgliedstaat teilgenommen haben – Verstoß gegen das Gebot der Unparteilichkeit – Fehlen

(Verordnung Nr. 1173/2011 des Europäischen Parlaments und des Rates, Art. 8 Abs. 1 und 3; Verordnung Nr. 479/2009 des Rates)

6.        Wirtschafts- und Währungspolitik – Wirtschaftspolitik – Haushaltspolitische Überwachung der Euro-Zone – Verhängung von Sanktionen wegen Manipulation von Statistiken – Voraussetzungen – Verfälschungen der Darstellung durch einen Mitgliedstaat in Bezug auf sein Defizit – Prognosecharakter der in den Darstellungen enthaltenen Daten – Keine Auswirkung

(Verordnung Nr. 1173/2011 des Europäischen Parlaments und des Rates, Art. 8 Abs. 1; Verordnung Nr. 479/2009 des Rates, Art. 3 und 6)

7.        Wirtschafts- und Währungspolitik – Wirtschaftspolitik – Haushaltspolitische Überwachung der Euro-Zone – Verhängung von Sanktionen wegen Manipulation von Statistiken – Voraussetzungen – Verfälschungen der Darstellung durch einen Mitgliedstaat in Bezug auf sein Defizit – Erfordernis einer Beeinträchtigung der Koordinierung und Überwachung der Wirtschafts- und Haushaltspolitik durch die Verfälschungen – Fehlen

(Verordnung Nr. 1173/2011 des Europäischen Parlaments und des Rates, Art. 8 Abs. 1)

8.        Wirtschafts- und Währungspolitik – Wirtschaftspolitik – Haushaltspolitische Überwachung der Euro-Zone – Verhängung von Sanktionen wegen Manipulation von Statistiken – Voraussetzungen – Vorliegen einer absichtlichen oder schwerwiegenden Nachlässigkeit seitens des betreffenden Mitgliedstaats – Beurteilungskriterien

(Verordnung Nr. 1173/2011 des Europäischen Parlaments und des Rates, Art. 8 Abs. 1 und 3; Verordnung Nr. 479/2009 des Rates, Art. 3)

9.        Gerichtliches Verfahren – Vorbringen neuer Klage- und Verteidigungsgründe im Laufe des Verfahrens – Erweiterung eines bereits zuvor vorgetragenen Klagegrundes – Zulässigkeit

(Verfahrensordnung des Gerichtshofs, Art. 127 Abs. 1)

10.      Recht der Europäischen Union – Grundsätze – Verbot der Rückwirkung von Strafvorschriften – Geltungsbereich – Geldbußen, die im Rahmen der haushaltspolitischen Überwachung der Euro-Zone gegen einen Mitgliedstaat verhängt werden – Einbeziehung

(Charta der Grundrechte der Europäischen Union, Art. 49;Verordnung Nr. 1173/2011 des Europäischen Parlaments und des Rates, Art. 8 Abs. 1 und Art. 9)

11.      Recht der Europäischen Union – Grundsätze – Verbot der Rückwirkung von Strafvorschriften – Geltendmachung durch einen Mitgliedstaat – Zulässigkeit

(Charta der Grundrechte der Europäischen Union, Art. 49)

12.      Wirtschafts- und Währungspolitik – Wirtschaftspolitik – Haushaltspolitische Überwachung der Euro-Zone – Verhängung von Geldbußen wegen Manipulation von Statistiken – Geldbußen – Höhe – Kriterien – Festsetzung des Referenzbetrags auf 5 % des höheren Wertes der Auswirkungen der Verfälschung der Darstellung entweder auf das Defizit oder den Schuldenstand – Begriff „höherer Wert“

(Verordnung Nr. 1173/2011 des Europäischen Parlaments und des Rates, Art. 8 Abs. 1; Beschluss 2012/678 der Kommission, Art. 14 Abs. 2)

1.      Nicht als in Ausübung einer dem Rat nach Art. 291 Abs. 2 AEUV übertragenen Durchführungsbefugnis erlassen anzusehen ist der Beschluss 2015/1289 zur Verhängung einer Geldbuße gegen Spanien wegen der Manipulation von Defizitdaten in der Autonomen Gemeinschaft Valencia. Denn obschon dieser Beschluss als eine in Ausübung einer Durchführungsbefugnis erlassene Handlung anzusehen ist, da er in Anwendung der dem Rat durch Art. 8 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1173/2011 über die wirksame Durchsetzung der haushaltspolitischen Überwachung im Euro-Währungsgebiet verliehenen Befugnisse erlassen wurde, stellt für die Durchführung einer solchen Befugnis durch den Rat Art. 291 Abs. 2 AEUV nur eine mögliche Rechtsgrundlage neben anderen dar.

Art. 291 Abs. 2 AEUV bezieht sich ausschließlich auf verbindliche Rechtsakte der Union, die grundsätzlich ebenso wie die von Art. 291 Abs. 1 AEUV in Bezug genommenen für eine Durchführung durch die Mitgliedstaaten geeignet sind, im Gegensatz zu diesen jedoch aus einem bestimmten Grund einer Durchführung durch Maßnahmen bedürfen, die nicht von jedem betroffenen Mitgliedstaat, sondern von der Kommission oder dem Rat erlassen werden, um eine einheitliche Anwendung innerhalb der Union zu gewährleisten. Bei einem Rechtsakt, mit dem eine Befugnis eingeführt wird, die in der Verhängung einer Geldbuße gegen einen Mitgliedstaat besteht, ist das allerdings eindeutig nicht der Fall. Denn ein solcher Rechtsakt ist in keiner Weise geeignet, durch die Mitgliedstaaten selbst durchgeführt zu werden, da eine derartige Durchführung den Erlass einer Zwangsmaßnahme gegen einen von ihnen impliziert.

(vgl. Rn. 44, 48, 49, 51)

2.      Ohne die Verteidigungsrechte des Mitgliedstaats zu verletzten, gegen den gemäß Art. 8 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1173/2011 über die wirksame Durchsetzung der haushaltspolitischen Überwachung im Euro-Währungsgebiet eine Geldbuße verhängt wurde, hat sich der Rat in dem Sanktionsbeschluss auf Informationen gestützt, die von einem Dienst der Kommission, nämlich Eurostat, anlässlich von Besuchen in diesem Mitgliedstaat vor dem Erlass des Beschlusses über die Einleitung einer Untersuchung und vor dem Inkrafttreten des Delegierten Beschlusses 2012/678 über Untersuchungen und Geldbußen in Zusammenhang mit der Manipulation von Statistiken gemäß der Verordnung Nr. 1173/2011 gesammelt wurden.

Da nämlich die verschiedenen Besuche, die in dem betroffenen Mitgliedstaat stattfanden, nach dem Inkrafttreten der Verordnung Nr. 1173/2011 organisiert wurden, führt erstens der Umstand, dass Eurostat anlässlich dieser Besuche Informationen sammelte, nicht dazu, dass der fragliche Beschluss mit einer Verletzung der Verteidigungsrechte behaftet ist. Zweitens stellt die Verordnung Nr. 479/2009 über die Anwendung des dem Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft beigefügten Protokolls über das Verfahren bei einem übermäßigen Defizit, genauer ihr Art. 11a, eine Rechtsgrundlage dar, die Eurostat dazu ermächtigt, im Rahmen solcher Besuche Informationen über eine mögliche Verfälschung der Darstellung der Defizitdaten zu sammeln. Der ständige Dialog, den Eurostat mit den statistischen Behörden der Mitgliedstaaten nach Art. 11 der Verordnung Nr. 479/2009 unterhält, impliziert im Übrigen notwendigerweise, dass es die unterschiedlichen Besuche und Missionen, die die Ausübung seiner Zuständigkeiten erforderlich macht, über die speziell in diesem Artikel vorgesehenen Besuche hinaus durchführen kann.

(vgl. Rn. 62, 66, 73, 75, 83)

3.      Das Recht auf eine gute Verwaltung in Art. 41 Abs. 2 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union spiegelt einen allgemeinen Grundsatz des Unionsrechts wider, der als solcher von den Mitgliedstaaten geltend gemacht werden kann.

(vgl. Rn. 89)

4.      Die Unionsorgane sind verpflichtet, das Recht auf eine gute Verwaltung im Rahmen von Verwaltungsverfahren zu beachten, die gegenüber Mitgliedstaaten eingeleitet werden und zu sie beschwerenden Entscheidungen führen können. Insbesondere obliegt es den Organen, dem Unparteilichkeitsgebot in seinen beiden Ausprägungen nachzukommen, zum einen der subjektiven Unparteilichkeit, wonach kein Mitglied des befassten Organs Voreingenommenheit oder persönliche Vorurteile an den Tag legen darf, und zum anderen der objektiven Unparteilichkeit in dem Sinne, dass das Organ hinreichende Garantien bieten muss, um jeden berechtigten Zweifel im Hinblick auf etwaige Vorurteile auszuschließen.

In diesem Zusammenhang sind die Unionsorgane, wenn mehreren von ihnen eigene und unterschiedliche Zuständigkeiten im Rahmen eines gegen einen Mitgliedstaat eingeleiteten Verfahrens, das zu einer ihn beschwerenden Entscheidung führen kann, zukommen, verpflichtet, jeweils soweit es sie angeht, das Gebot der objektiven Unparteilichkeit zu beachten. Folglich kann selbst in einem Fall, in dem nur eines von ihnen diesem Gebot nicht nachgekommen ist, die am Ende des betreffenden Verfahrens getroffene Entscheidung rechtswidrig sein.

(vgl. Rn. 90, 91, 94)

5.      Der Umstand, dass die Ermittlung in einem auf Art. 8 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1173/2011 über die wirksame Durchsetzung der haushaltspolitischen Überwachung im Euro-Währungsgebiet gestützten Untersuchungsverfahren auf ein Team übertragen wird, das zu einem großen Teil aus Bediensteten von Eurostat besteht, die bereits an von diesem Dienst auf der Grundlage der Verordnung Nr. 479/2009 über die Anwendung des dem Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft beigefügten Protokolls über das Verfahren bei einem übermäßigen Defizit in dem betreffenden Mitgliedstaat organisierten Besuchen teilgenommen haben, lässt nicht als solcher die Schlussfolgerung zu, dass der am Ende dieses Verfahrens erlassene Beschluss aufgrund eines der Kommission anzulastenden Verstoßes gegen das Gebot der objektiven Unparteilichkeit rechtswidrig ist.

Zudem behält Art. 8 Abs. 3 der Verordnung Nr. 1173/2011 nicht Eurostat, dessen Zuständigkeiten in der Verordnung Nr. 479/2009 eindeutig festgelegt sind, sondern der Kommission und somit den als Kollegium handelnden Kommissaren erstens die Befugnis, die Einleitung eines Untersuchungsverfahrens zu beschließen, zweitens die Zuständigkeit, die Untersuchung durchzuführen, und drittens die Möglichkeit vor, dem Rat die Empfehlungen und Vorschläge zu unterbreiten, die am Ende dieser Untersuchung geboten erscheinen. Insoweit überträgt die Verordnung Nr. 1173/2011 den Bediensteten von Eurostat hinsichtlich der Führung des Untersuchungsverfahrens keine eigene Zuständigkeit.

(vgl. Rn. 101-103)

6.      Der Anwendungsbereich von Art. 8 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1173/2011 über die wirksame Durchsetzung der haushaltspolitischen Überwachung im Euro-Währungsgebiet umfasst alle Verfälschungen der Darstellungen seitens der Mitgliedstaaten in Bezug auf Daten über ihr Defizit und ihren Schuldenstand, die Eurostat gemäß Art. 3 der Verordnung Nr. 479/2009 über die Anwendung des dem Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft beigefügten Protokolls über das Verfahren bei einem übermäßigen Defizit mitzuteilen sind, einschließlich der Darstellungen voraussichtlicher Daten. Das Argument, die Einbeziehung von Verfälschungen von Darstellungen in Bezug auf voraussichtliche Daten in den Anwendungsbereich von Art. 8 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1173/2011 nehme Art. 6 der Verordnung Nr. 479/2009 die Bedeutung, da Art. 6 den Mitgliedstaaten gestatte, die Eurostat zuvor mitgeteilten Daten zu korrigieren, stellt diese Schlussfolgerung nicht in Frage. Denn Art. 6 der Verordnung Nr. 479/2009 verpflichtet die Mitgliedstaaten dazu, sowohl die Fälle einer Korrektur voraussichtlicher Daten als auch die einer Korrektur tatsächlicher Daten anzuzeigen, unabhängig von der dem Rat verliehenen Befugnis, ihnen eine Sanktion aufzuerlegen, wenn die fraglichen Daten falsch dargestellt wurden.

(vgl. Rn. 119-121)

7.      Art. 8 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1173/2011 über die wirksame Durchsetzung der haushaltspolitischen Überwachung im Euro-Währungsgebiet definiert Verfälschungen der Darstellung durch die Mitgliedstaaten unter Bezugnahme auf die betreffenden Daten, also das Defizit und den Schuldenstand des fraglichen Mitgliedstaats, unabhängig davon, ob sie sich dahin auswirken, dass sie die Koordinierung und Überwachung der Wirtschafts- und Haushaltspolitik, die Rat und Kommission gewährleisten, beeinträchtigen.

(vgl. Rn. 124, 125)

8.      Die Beurteilung, ob eine schwerwiegende Nachlässigkeit seitens des betreffenden Mitgliedstaats vorliegt, für die in Art. 8 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1173/2011 über die wirksame Durchsetzung der haushaltspolitischen Überwachung im Euro-Währungsgebiet vorgesehene Qualifizierung der Zuwiderhandlung hängt nicht davon ab, ob die der Verfälschung der Darstellung zugrunde liegenden Unregelmäßigkeiten begrenzt auftreten oder nicht, sondern davon, welchen Umfang der Verstoß dieses Mitgliedstaats gegen die Sorgfaltspflicht hat, die ihm bei der Erstellung und Prüfung der Eurostat gemäß Art. 3 der Verordnung Nr. 479/2009 über die Anwendung des dem Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft beigefügten Protokolls über das Verfahren bei einem übermäßigen Defizit mitzuteilenden Daten obliegt.

Da die Einleitung des in Art. 8 Abs. 3 der Verordnung Nr. 1173/2011 vorgesehenen Untersuchungsverfahrens dadurch zu rechtfertigen ist, dass ernsthafte Hinweise auf das Vorhandensein von Umständen vorliegen, die vermuten lassen, dass eine absichtliche oder auf schwerwiegender Nachlässigkeit beruhende Verfälschung von Daten vorliegt, ist das Vorliegen dieser schwerwiegenden Nachlässigkeit anhand der den Tatbestand einer Verfälschung der Darstellung erfüllenden Umstände zu prüfen und hat dabei das Verhalten, das dieser Mitgliedstaat danach an den Tag gelegt hat, außer Betracht zu bleiben. Daraus folgt, dass weder der Umstand, dass die Verfälschung der Darstellung lediglich das Defizit einer einzigen Autonomen Gemeinschaft betrifft, noch der Umstand, dass der Mitgliedstaat bei der von der Kommission durchgeführten Untersuchung kooperiert hat, nachdem er ihr die Unregelmäßigkeiten von sich aus angezeigt hatte, die vom Rat zugrunde gelegte Qualifizierung als schwerwiegende Nachlässigkeit in Frage zu stellen vermögen.

(vgl. Rn. 128-131)

9.      Siehe Text der Entscheidung.

(vgl. Rn. 141)

10.    Das Verbot der Rückwirkung von Strafvorschriften stellt einen allgemeinen Grundsatz des Unionsrechts dar. Dieser allgemeine Rechtsgrundsatz verlangt es, dass die einer Person vorgeworfene Zuwiderhandlung und die ihr hierfür auferlegte Sanktion den Tatbeständen und Sanktionen entsprechen, die zu dem Zeitpunkt vorgesehen waren, zu dem das Tun oder das Unterlassen, das die Zuwiderhandlung begründet, begangen wurde. Insbesondere findet dieser allgemeine Rechtsgrundsatz auch auf Geldbußen Anwendung, die den Charakter von Verwaltungsmaßnahmen haben. Folglich ist die Auferlegung einer Geldbuße nach Art. 8 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1173/2011 über die wirksame Durchsetzung der haushaltspolitischen Überwachung im Euro-Währungsgebiet trotz der Klarstellung in Art. 9 dieser Verordnung, dass eine solche Sanktion den Charakter einer Verwaltungsmaßnahme hat, der Anwendung dieses allgemeinen Rechtsgrundsatzes nicht entzogen.

(vgl. Rn. 145, 146)

11.    Die Mitgliedstaaten können den allgemeinen Grundsatz des Verbots der Rückwirkung von Strafvorschriften geltend machen, um die Rechtmäßigkeit der Geldbußen anzufechten, die ihnen im Fall eines Verstoßes gegen das Unionsrecht auferlegt werden.

(vgl. Rn. 147)

12.    Im Rahmen der Berechnung der einem Mitgliedstaat nach Art. 8 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1173/2011 über die wirksame Durchsetzung der haushaltspolitischen Überwachung im Euro-Währungsgebiet aufzuerlegenden Geldbuße ist der Begriff „höherer Wert“ im Sinne von Art. 14 Abs. 2 des Delegierten Beschlusses 2012/678 über Untersuchungen und Geldbußen in Zusammenhang mit der Manipulation von Statistiken gemäß der Verordnung Nr. 1173/2011 angesichts des von dieser Bestimmung verfolgten Zwecks dahin zu verstehen, dass er auf die Gesamtheit der Auswirkungen verweist, die die Verfälschung der Darstellung auf das Defizit oder den Schuldenstand des Mitgliedstaats, der sie in die Welt gesetzt hat, während aller Jahre, die von seiner Mitteilung erfasst und von der Verfälschung betroffen sind, gehabt hat.

(vgl. Rn. 162)