Language of document : ECLI:EU:C:2022:1016

Verbundene Rechtssachen C148/21 und C184/21

Christian Louboutin

gegen

Amazon Europe Core Sàrl (C148/21)
und
Amazon EU Sàrl (C148/21)
und
Amazon Services Europe Sàrl (C148/21)
und
Amazon.com Inc. (C184/21)
und
Amazon Services LLC (C184/21)

(Vorabentscheidungsersuchen des Tribunal d’arrondissement de Luxembourg)

 Urteil des Gerichtshofs (Große Kammer) vom 22. Dezember 2022

„Vorlage zur Vorabentscheidung – Unionsmarke – Verordnung (EU) 2017/1001 – Art. 9 Abs. 2 Buchst. a – Rechte aus der Unionsmarke – Begriff ‚Benutzung‘ – Betreiber einer Online-Verkaufsplattform mit integriertem Online-Marktplatz – Anzeigen, die auf diesem Marktplatz von Drittanbietern veröffentlicht werden, die in diesen Anzeigen ein mit einer fremden Marke identisches Zeichen für Waren benutzen, die mit denjenigen identisch sind, für die diese Marke eingetragen ist – Wahrnehmung dieses Zeichens als fester Bestandteil der kommerziellen Kommunikation dieses Betreibers – Präsentationsweise der Anzeigen, die es nicht ermöglicht, die Angebote des Betreibers klar von denen der Drittanbieter zu unterscheiden“

1.        Unionsmarke – Wirkungen der Unionsmarke – Rechte aus der Marke – Recht, die Benutzung der Marke zu verbieten – Begriff der Benutzung

(Verordnung 2017/1001 des Europäischen Parlaments und des Rates, Art. 9 Abs. 2)

(vgl. Rn. 25-31)

2.        Unionsmarke – Wirkungen der Unionsmarke – Rechte aus der Marke – Recht, die Benutzung der Marke zu verbieten – Begriff der Benutzung – Betreiben eines Online-Marktplatzes – Vorliegen einer Verbindung zwischen den Dienstleistungen des Betreibers und dem kollidierenden Zeichen – Einbeziehung – Präsentationsweise der Anzeigen – Art und Umfang der vom Betreiber erbrachten Dienstleistungen – Auswirkung

(Verordnung 2017/1001 des Europäischen Parlaments und des Rates, Art. 9 Abs. 2)

(vgl. Rn. 38-43, 48-54 und Tenor)

Zusammenfassung

Herr Louboutin, ein französischer Designer von Luxusschuhen und ‑handtaschen, ist seit 2016 Inhaber einer Unionsmarke für die auf der Außensohle eines hochhackigen Schuhs aufgebrachte rote Farbe.

Amazon betreibt Websites für den Online-Verkauf unterschiedlicher Waren, die sie sowohl direkt im eigenen Namen und für eigene Rechnung als auch indirekt durch Bereitstellung eines Online-Marktplatzes für andere Händler anbietet. Sie bietet diesen anderen Händlern außerdem als Nebendienstleistungen die Lagerung und den Versand ihrer Waren an.

Herr Louboutin stellte fest, dass auf den Websites von Amazon regelmäßig Verkaufsanzeigen für rotbesohlte Schuhe erscheinen, die nach seinen Angaben ohne seine Zustimmung in Verkehr gebracht worden sind. Er erhob daher beim Tribunal d’arrondissement de Luxembourg (Bezirksgericht Luxemburg, Luxemburg)(1) und beim Tribunal de l’entreprise francophone de Bruxelles (französischsprachiges Unternehmensgericht von Brüssel, Belgien)(2) zwei Klagen gegen Amazon, mit denen er eine Verletzung seiner ausschließlichen Rechte aus der fraglichen Marke geltend macht.

Diese Gerichte haben daraufhin jeweils beschlossen, dem Gerichtshof mehrere Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen.

Sie haben den Gerichtshof im Wesentlichen gefragt, ob die Unionsmarkenverordnung(3) dahin auszulegen ist, dass davon ausgegangen werden kann, dass der Betreiber einer Online-Verkaufsplattform, die neben den eigenen Verkaufsangeboten dieses Betreibers einen Online-Marktplatz umfasst, ein Zeichen, das mit einer fremden Unionsmarke identisch ist, für Waren, die mit denjenigen identisch sind, für die diese Marke eingetragen ist, selbst benutzt, wenn Drittanbieter ohne die Zustimmung des Inhabers dieser Marke solche mit diesem Zeichen versehenen Waren auf dem betreffenden Marktplatz zum Verkauf anbieten.

Die vorlegenden Gerichte fragen sich insbesondere, ob insoweit relevant ist, dass dieser Betreiber die auf seiner Plattform veröffentlichten Angebote einheitlich präsentiert, indem er die Anzeigen für die im eigenen Namen und für eigene Rechnung verkauften Waren zusammen mit den Anzeigen für die von Drittanbietern auf dem betreffenden Marktplatz angebotenen Waren einblendet, dass er bei all diesen Anzeigen sein eigenes Logo als renommierter Vertreiber erscheinen lässt und dass er den Drittanbietern im Rahmen des Vertriebs ihrer Waren zusätzliche Dienstleistungen anbietet, die darin bestehen, sie bei der Präsentation ihrer Anzeigen zu unterstützen sowie die auf dem fraglichen Marktplatz angebotenen Waren zu lagern und zu versenden. In diesem Zusammenhang stellen sich die vorlegenden Gerichte auch die Frage, ob gegebenenfalls die Wahrnehmung der Nutzer der betreffenden Plattform zu berücksichtigen ist.

Der Gerichtshof (Große Kammer) hat damit die Gelegenheit erhalten, wichtige Klarstellungen zu der Frage vorzunehmen, ob der Betreiber einer Online-Verkaufsplattform mit integriertem Online-Marktplatz unmittelbar für Verletzungen der Rechte des Inhabers einer Unionsmarke haftet, die sich daraus ergeben, dass ein mit dieser Marke identisches Zeichen auf diesem Marktplatz in den Anzeigen von Drittanbietern erscheint.

Würdigung durch den Gerichtshof

Nach der Unionsmarkenverordnung(4) verleiht die Eintragung einer Unionsmarke ihrem Inhaber das Recht, Dritten zu verbieten, im geschäftlichen Verkehr ein mit dieser Marke identisches Zeichen für Waren oder Dienstleistungen zu benutzen, die mit denjenigen identisch sind, für die diese Marke eingetragen ist.

Der Gerichtshof stellt zunächst fest, dass der Begriff „benutzen“ in der Unionsmarkenverordnung nicht definiert wird. Ungeachtet dessen setzt dieser Ausdruck ein aktives Verhalten und eine unmittelbare oder mittelbare Herrschaft über die Benutzungshandlung voraus, da nur ein Dritter, der eine solche Herrschaft innehat, tatsächlich in der Lage ist, die Benutzung einer Marke, die ohne die Zustimmung ihres Inhabers erfolgt, zu beenden.

Die Benutzung eines mit einer Marke identischen oder ihr ähnlichen Zeichens durch einen Dritten setzt außerdem zumindest voraus, dass der Dritte das Zeichen im Rahmen seiner eigenen kommerziellen Kommunikation benutzt. So kann eine Person zulassen, dass ihre Kunden Zeichen benutzen, die mit Marken identisch oder ihnen ähnlich sind, ohne dass darin eine Benutzung der betreffenden Zeichen durch diese Person selbst läge. Dementsprechend hat der Gerichtshof in Bezug auf den Betreiber eines Online-Marktplatzes festgestellt, dass die Benutzung von mit Marken identischen oder ihnen ähnlichen Zeichen in Verkaufsangeboten, die auf diesem Marktplatz angezeigt werden, ausschließlich durch die als Verkäufer auftretenden Kunden dieses Betreibers, nicht aber durch den Betreiber selbst erfolgt, sofern er das betreffende Zeichen nicht im Rahmen seiner eigenen kommerziellen Kommunikation verwendet.

Der Gerichtshof weist jedoch darauf hin, dass er im Rahmen seiner früheren Rechtsprechung nicht danach gefragt worden ist, wie sich der Umstand auswirkt, dass die fragliche Verkaufsplattform neben dem Online-Marktplatz auch Verkaufsangebote des Plattformbetreibers selbst umfasst, wohingegen die vorliegenden Rechtssachen gerade diese Auswirkung betreffen. So fragen sich die vorlegenden Gerichte im vorliegenden Fall, ob neben dem Drittanbieter auch ein Betreiber einer Verkaufsplattform mit integriertem Online-Marktplatz wie Amazon in seiner eigenen kommerziellen Kommunikation ein mit einer fremden Marke identisches Zeichen für Waren benutzt, die mit denjenigen identisch sind, für die diese Marke eingetragen ist, so dass er für die Verletzung der Rechte des Inhabers dieser Marke verantwortlich gemacht werden könnte, wenn der Drittanbieter solche Waren, die mit diesem Zeichen versehen sind, auf dem betreffenden Marktplatz zum Verkauf anbietet.

Der Gerichtshof stellt fest, dass sich diese Frage unabhängig davon stellt, dass die Rolle eines solchen Betreibers gegebenenfalls auch anhand anderer Rechtsvorschriften geprüft werden kann. Auch wenn es Sache der nationalen Gerichte ist, die Frage einer solchen Benutzung durch den Betreiber abschließend zu beurteilen, kann der Gerichtshof Hinweise zur Auslegung des Unionsrechts geben, die ihnen insoweit dienlich sein können.

Insoweit stellt der Gerichtshof in Bezug auf die kommerzielle Kommunikation klar, dass der Betreiber einer Website mit integriertem Online-Marktplatz ein mit der fremden Marke identisches Zeichen nur dann in seiner eigenen kommerziellen Kommunikation benutzt, wenn dieses Zeichen aus Sicht Dritter als fester Bestandteil seiner Kommunikation und damit als zu seiner Tätigkeit gehörig erscheint.

In diesem Zusammenhang weist der Gerichtshof auf seine Rechtsprechung hin, wonach in dem Fall, dass der Erbringer einer Dienstleistung ein mit einer fremden Marke identisches oder ihr ähnliches Zeichen verwendet, um für Waren zu werben, die einer seiner Kunden mit Hilfe dieser Dienstleistung vermarktet, dieser Dienstleister das betreffende Zeichen selbst benutzt, wenn er es so verwendet, dass eine Verbindung zwischen dem Zeichen und den von ihm erbrachten Dienstleistungen hergestellt wird.

Dementsprechend hat der Gerichtshof bereits festgestellt, dass ein solcher Dienstleister ein mit einer fremden Marke identisches oder ihr ähnliches Zeichen nicht selbst benutzt, wenn die von ihm erbrachte Dienstleistung nicht mit einer Dienstleistung vergleichbar ist, die den Vertrieb von mit diesem Zeichen versehenen Waren fördern soll, und nicht impliziert, dass eine Verbindung zwischen dieser Dienstleistung und dem Zeichen hergestellt wird, weil der betreffende Dienstleister gegenüber dem Verbraucher nicht in Erscheinung tritt, was jede gedankliche Verbindung zwischen seinen Dienstleistungen und dem betreffenden Zeichen ausschließt.

Dagegen hat der Gerichtshof entschieden, dass eine solche Verbindung gegeben ist, wenn der Betreiber eines Online-Marktplatzes mit Hilfe eines Internetreferenzierungsdienstes und ausgehend von einem mit einer fremden Marke identischen Schlüsselwort Werbung für Waren dieser Marke macht, die von seinen Kunden auf seinem Online-Marktplatz zum Verkauf angeboten werden. Eine solche Werbung weckt nämlich bei den Internetnutzern, die anhand dieses Schlüsselworts eine Suche durchführen, eine offenkundige Assoziation zwischen diesen Markenprodukten und der Möglichkeit, sie über diesen Marktplatz zu erwerben. Aus diesem Grund darf der Inhaber dieser Marke dem betreffenden Betreiber eine solche Benutzung verbieten, wenn die Werbung das Markenrecht verletzt, weil für einen normal informierten und angemessen aufmerksamen Internetnutzer nicht oder nur schwer zu erkennen ist, ob die Waren von dem Inhaber der Marke oder einem mit ihm wirtschaftlich verbundenen Unternehmen oder vielmehr von einem Dritten stammen.

Der Gerichtshof folgert daraus, dass zur Klärung der Frage, ob der Betreiber einer Verkaufsplattform mit integriertem Online-Marktplatz ein mit einer fremden Marke identisches Zeichen, das in Anzeigen für von Drittanbietern auf diesem Marktplatz angebotene Waren verwendet wird, selbst benutzt, zu beurteilen ist, ob ein normal informierter und angemessen aufmerksamer Nutzer dieser Plattform eine Verbindung zwischen den Dienstleistungen dieses Betreibers und dem betreffenden Zeichen herstellt.

Um festzustellen, ob eine auf dem fraglichen Marktplatz von einem dort tätigen Drittanbieter veröffentlichte Anzeige, in der ein mit einer fremden Marke identisches Zeichen verwendet wird, als Bestandteil der kommerziellen Kommunikation des Betreibers der betreffenden Plattform angesehen werden kann, ist folglich zu prüfen, ob diese Anzeige geeignet ist, eine Verbindung zwischen den von diesem Betreiber angebotenen Dienstleistungen und dem fraglichen Zeichen herzustellen, weil ein Nutzer glauben könnte, dass dieser Betreiber derjenige ist, der die Ware, für die das fragliche Zeichen benutzt wird, im eigenen Namen und für eigene Rechnung vertreibt.

Im Rahmen dieser umfassenden Würdigung der Umstände des Einzelfalls kommt insbesondere der Art und Weise, in der die Anzeigen sowohl einzeln als auch in ihrer Gesamtheit auf der fraglichen Plattform präsentiert werden, sowie der Art und dem Umfang der von ihrem Betreiber erbrachten Dienstleistungen besondere Bedeutung zu.

Was zum einen die Art der Präsentation der Anzeigen betrifft, so müssen Online-Anzeigen nach dem Unionsrecht transparent sein, damit ein normal informierter und angemessen aufmerksamer Nutzer ohne Weiteres zwischen Angeboten des Plattformbetreibers und Angeboten von Drittanbietern, die auf dem Online-Marktplatz tätig sind, unterscheiden kann. Wenn der Betreiber die veröffentlichten Angebote einheitlich präsentiert, indem er seine eigenen Anzeigen zusammen mit den Anzeigen von Drittanbietern einblendet und sein eigenes Logo als renommierter Vertreiber sowohl auf seiner Plattform als auch bei sämtlichen Anzeigen erscheinen lässt, so kann dies jedoch eine solche Unterscheidung erschweren und somit den Eindruck vermitteln, dass der Betreiber derjenige ist, der im eigenen Namen und für eigene Rechnung die von diesen Dritten zum Verkauf angebotenen Waren vertreibt.

Zum anderen können Art und Umfang der Dienstleistungen, die der Betreiber eines Online-Marktplatzes an Händler erbringt, insbesondere Dienstleistungen, die in der Lagerung, dem Versand und der Abwicklung des Rückversands von Waren bestehen, einem normal informierten und angemessen aufmerksamen Nutzer ebenfalls den Eindruck vermitteln, dass die Waren von diesem Betreiber vertrieben werden, wodurch aus Sicht der Nutzer eine Verbindung zwischen seinen Dienstleistungen und den auf diesen Waren und in den Anzeigen der Drittanbieter verwendeten Zeichen entstehen kann.

Im Ergebnis hat der Gerichtshof für Recht erkannt, dass davon ausgegangen werden kann, dass der Betreiber einer Online-Verkaufsplattform, die neben den eigenen Verkaufsangeboten dieses Betreibers einen Online-Marktplatz umfasst, ein Zeichen, das mit einer fremden Unionsmarke identisch ist, für Waren, die mit denjenigen identisch sind, für die diese Marke eingetragen ist, selbst benutzt, wenn Drittanbieter ohne die Zustimmung des Inhabers dieser Marke solche mit diesem Zeichen versehenen Waren auf dem betreffenden Marktplatz zum Verkauf anbieten, sofern ein normal informierter und angemessen aufmerksamer Nutzer dieser Plattform eine Verbindung zwischen den Dienstleistungen dieses Betreibers und dem fraglichen Zeichen herstellt, was insbesondere dann der Fall ist, wenn ein solcher Nutzer in Anbetracht aller Umstände des Einzelfalls den Eindruck haben könnte, dass dieser Betreiber derjenige ist, der die mit diesem Zeichen versehenen Waren im eigenen Namen und für eigene Rechnung selbst vertreibt. Insoweit ist relevant,

•      dass dieser Betreiber die auf seiner Plattform veröffentlichten Angebote einheitlich präsentiert, indem er die Anzeigen für die im eigenen Namen und für eigene Rechnung verkauften Waren zusammen mit den Anzeigen für die von Drittanbietern auf dem betreffenden Marktplatz angebotenen Waren einblendet,

•      dass er bei all diesen Anzeigen sein eigenes Logo als renommierter Vertreiber erscheinen lässt

•      und dass er Drittanbietern im Rahmen des Vertriebs der mit dem fraglichen Zeichen versehenen Waren zusätzliche Dienstleistungen anbietet, die u. a. darin bestehen, diese Waren zu lagern und zu versenden.


1      Rechtssache C‑148/21.


2      Rechtssache C‑184/21.


3      Genauer: Art. 9 Abs. 2 Buchst. a der Verordnung (EU) 2017/1001 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14. Juni 2017 über die Unionsmarke (ABl. 2017, L 154, S. 1).


4      Art. 9 Abs. 2 Buchst. a der Verordnung (EU) 2017/1001 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14. Juni 2017 über die Unionsmarke (ABl. 2017, L 154, S. 1).