Language of document : ECLI:EU:C:2011:631

Verbundene Rechtssachen C‑403/08 und C‑429/08

Football Association Premier League Ltd u. a.

gegen

QC Leisure u. a.

und

Karen Murphy

gegen

Media Protection Services Ltd

(Vorabentscheidungsersuchen des High Court of Justice [England & Wales], Chancery Division, und des High Court of Justice [England & Wales], Queen’s Bench Division [Administrative Court])

„Satellitenrundfunk – Ausstrahlung von Fußballspielen – Empfang der Rundfunksendung mit Satellitendecoder-Karten – Satellitendecoder-Karten, die rechtmäßig auf den Markt eines Mitgliedstaats gebracht wurden und in einem anderen Mitgliedstaat verwendet werden – Verbot des Inverkehrbringens und der Verwendung in einem Mitgliedstaat – Zeigen von Sendungen unter Missachtung der vergebenen Exklusivrechte – Urheberrecht – Fernsehausstrahlungsrecht – Ausschließliche Lizenzen für die Rundfunkausstrahlung im Hoheitsgebiet eines einzigen Mitgliedstaats – Freier Dienstleistungsverkehr – Art. 56 AEUV – Wettbewerb – Art. 101 AEUV – Bezweckte Wettbewerbsbeschränkung – Schutz von zugangskontrollierten Diensten – Illegale Vorrichtung – Richtlinie 98/84/EG – Richtlinie 2001/29/EG – Vervielfältigung von Werken im Speicher eines Satellitendecoders und auf einem Fernsehbildschirm – Ausnahme vom Vervielfältigungsrecht – Öffentliche Wiedergabe von Werken in Gastwirtschaften – Richtlinie 93/83/EWG“

Leitsätze des Urteils

1.        Freier Dienstleistungsverkehr – Rechtlicher Schutz von zugangskontrollierten Diensten und von Zugangskontrolldiensten – Richtlinie 98/84 – Illegale Vorrichtung – Begriff – Rechtmäßig in den Verkehr eines Mitgliedstaats gebrachte Decodiervorrichtungen, die in einem anderen Mitgliedstaat verwendet werden – Ausschluss

(Richtlinie 98/84 des Europäischen Parlaments und des Rates, Art. 2 Buchst. e)

2.        Freier Dienstleistungsverkehr – Rechtlicher Schutz von zugangskontrollierten Diensten und von Zugangskontrolldiensten – Richtlinie 98/84 – Geltungsbereich –Nationale Regelung, die die Verwendung ausländischer Decodiervorrichtungen verbietet – Ausschluss

(Richtlinie 98/84 des Europäischen Parlaments und des Rates, Art. 3 Abs. 2)

3.        Freier Dienstleistungsverkehr – Freier Warenverkehr – Nationale Regelung, die diese beiden Grundfreiheiten betrifft – Prüfung anhand derjenigen von ihnen, die im Vordergrund steht

(Art. 56 AEUV)

4.        Freier Dienstleistungsverkehr – Beschränkungen – Rechtmäßig in den Verkehr eines Mitgliedstaats gebrachte Decodiervorrichtungen, die in einem anderen Mitgliedstaat verwendet werden, um Sportveranstaltungen zu übertragen

(Art. 56 AEUV)

5.        Wettbewerb – Kartelle – Vereinbarungen zwischen Unternehmen – Beeinträchtigung des Wettbewerbs – Ausschließliche Lizenz zwischen einem Inhaber von Rechten des geistigen Eigentums und einem Sendeunternehmen – Verbot der Lieferung von Decodiervorrichtungen für diese Übertragung außerhalb des vom Lizenzvertrag erfassten Gebiets – Unzulässigkeit

(Art. 101 AEUV)

6.        Rechtsangleichung – Urheberrecht und verwandte Schutzrechte – Richtlinie 2001/29 – Harmonisierung bestimmter Aspekte des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte in der Informationsgesellschaft – Vervielfältigungsrecht – Teilweise Vervielfältigung – Umfang

(Richtlinie 2001/29 des Europäischen Parlaments und des Rates, Art. 2 Buchst. a)

7.        Rechtsangleichung – Urheberrecht und verwandte Schutzrechte – Richtlinie 2001/29 – Harmonisierung bestimmter Aspekte des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte in der Informationsgesellschaft – Vervielfältigungsrecht – Ausnahmen und Beschränkungen

(Richtlinie 2001/29 des Europäischen Parlaments und des Rates, Art. 5 Abs. 1)

8.        Rechtsangleichung – Urheberrecht und verwandte Schutzrechte – Richtlinie 2001/29 – Harmonisierung bestimmter Aspekte des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte in der Informationsgesellschaft – Öffentliche Wiedergabe – Begriff

(Richtlinie 2001/29 des Europäischen Parlaments und des Rates, Art. 3 Abs. 1)

9.        Rechtsangleichung – Urheberrecht und verwandte Schutzrechte – Richtlinie 93/83 – Wirkungen – Rechtmäßigkeit von Vervielfältigungshandlungen, die im Speicher eines Satellitendecoders und auf einem Fernsehbildschirm erfolgen – Fehlen

(Richtlinie 93/83 des Rates)

1.        Der Begriff der illegalen Vorrichtung im Sinne von Art. 2 Buchst. e der Richtlinie 98/84 über den rechtlichen Schutz von zugangskontrollierten Diensten und von Zugangskontrolldiensten ist dahin auszulegen, dass er weder ausländische Decodiervorrichtungen – die Zugang zu den Satellitenrundfunkdiensten eines Sendeunternehmens gewähren und mit Erlaubnis dieses Unternehmens hergestellt und in den Verkehr gebracht, aber gegen seinen Willen außerhalb des geografischen Bereichs verwendet werden, für den sie ausgeliefert wurden – noch durch Angabe eines falschen Namens und einer falschen Anschrift beschaffte oder aktivierte Decodiervorrichtungen oder Decodiervorrichtungen umfasst, die unter Verstoß gegen eine vertragliche Beschränkung, wonach ihre Nutzung nur zu privaten Zwecken erlaubt ist, verwendet worden sind.

Nach dieser Bestimmung ist nämlich unter dem Begriff der illegalen Vorrichtung jedes Gerät oder Computerprogramm zu verstehen, das dazu „bestimmt“ oder entsprechend „angepasst“ ist, um den Zugang zu einem geschützten Dienst in verständlicher Form ohne Erlaubnis des Diensteanbieters zu ermöglichen. Der Wortlaut ist also auf Geräte beschränkt, die vor ihrer Ingebrauchnahme manuellen oder automatisierten Arbeitsvorgängen unterzogen werden und einen Empfang von geschützten Diensten ohne Zustimmung von Anbietern dieser Dienste ermöglichen. Folglich erfasst der Wortlaut nur Geräte, die ohne Erlaubnis des Diensteanbieters hergestellt, manipuliert, angepasst oder nachjustiert werden, und nicht die Verwendung ausländischer Decodiervorrichtungen.

Diese ausländischen Decodiervorrichtungen werden mit Erlaubnis des Diensteanbieters hergestellt und in den Verkehr gebracht, ermöglichen keinen kostenlosen Zugang zu den geschützten Diensten und ermöglichen oder erleichtern nicht die Umgehung technischer Maßnahmen, die ergriffen werden, um die Entrichtung des Entgelts für diese Dienstleistungen sicherzustellen, da in dem Mitgliedstaat, in dem sie in den Verkehr gebracht wurden, ein Entgelt gezahlt worden ist.

(vgl. Randnrn. 63-64, 66-67, Tenor 1)

2.        Art. 3 Abs. 2 der Richtlinie 98/84 über den rechtlichen Schutz von zugangskontrollierten Diensten und von Zugangskontrolldiensten steht einer nationalen Regelung nicht entgegen, mit der die Verwendung ausländischer Decodiervorrichtungen einschließlich derjenigen, die durch Angabe eines falschen Namens und einer falschen Anschrift beschafft oder aktiviert worden sind, sowie derjenigen, die unter Verstoß gegen eine vertragliche Beschränkung dahin gehend, dass ihre Nutzung nur zu privaten Zwecken erlaubt ist, verwendet worden sind, untersagt wird, da eine solche Regelung nicht in den durch diese Richtlinie koordinierten Bereich fällt.

(vgl. Randnr. 74, Tenor 2)

3.        Betrifft eine nationale Maßnahme sowohl den freien Warenverkehr als auch den freien Dienstleistungsverkehr, prüft der Gerichtshof sie grundsätzlich nur im Hinblick auf eine dieser beiden Grundfreiheiten, wenn sich herausstellt, dass die eine der beiden Freiheiten gegenüber der anderen völlig zweitrangig ist und ihr zugeordnet werden kann. Obwohl im Telekommunikationsbereich diese beiden Aspekte häufig eng miteinander verknüpft sind, ohne dass eine von ihnen als völlig zweitrangig gegenüber der anderen angesehen werden könnte, ist dies nicht der Fall, wenn eine nationale Regelung nicht darauf abzielt, die Anforderungen näher zu bestimmen, denen Decodiervorrichtungen genügen müssen, oder Voraussetzungen für ihr Inverkehrbringen festzulegen, sondern behandelt sie nur in ihrer Eigenschaft als Instrumente, die es den Abonnenten ermöglichen, in den Genuss der kodierten Rundfunkdienste zu kommen.

(vgl. Randnrn. 78-79, 82)

4.        Art. 56 AEUV ist dahin auszulegen, dass er der Regelung eines Mitgliedstaats entgegensteht, wonach im Inland die Einfuhr, der Verkauf und die Verwendung ausländischer Decodiervorrichtungen, die den Zugang zu einem kodierten Satellitenrundfunkdienst aus einem anderen Mitgliedstaat ermöglichen, der nach der Regelung des erstgenannten Staates geschützte Gegenstände umfasst, rechtswidrig sind. An diesem Ergebnis ändert sich weder dadurch etwas, dass die ausländische Decodiervorrichtung durch Angabe eines falschen Namens und einer falschen Anschrift in der Absicht, die fragliche Gebietsbeschränkung zu umgehen, beschafft oder aktiviert wurde, noch dadurch, dass diese Vorrichtung zu gewerblichen Zwecken verwendet wird, obwohl sie der privaten Nutzung vorbehalten war.

Diese Beschränkung kann nicht mit dem Ziel gerechtfertigt werden, die Rechte des geistigen Eigentums zu schützen.

Sportereignisse sind zwar als solche einzigartig und haben insoweit einen Originalcharakter, der sie möglicherweise zu Gegenständen werden lässt, die einen mit dem Schutz von Werken vergleichbaren Schutz verdienen. Da jedoch die Wahrung der Rechte, die den spezifischen Gegenstand des betreffenden geistigen Eigentums ausmachen, den Rechtsinhabern nur eine angemessene Vergütung und nicht die höchstmögliche Vergütung für die gewerbliche Nutzung der Schutzgegenstände garantiert, werden diese Rechte gewahrt, sofern die Rechtsinhaber eine Vergütung für die Rundfunkübertragung der Schutzgegenstände von dem Sendemitgliedstaat aus, in dem nach Art. 1 Abs. 2 Buchst. b der Richtlinie 93/83 zur Koordinierung bestimmter urheber- und leistungsschutzrechtlicher Vorschriften betreffend Satellitenrundfunk und Kabelweiterverbreitung der Sendeakt stattzufinden hat, und in dem daher die angemessene Vergütung geschuldet ist, erhalten, und sofern sie einen Betrag verlangen können, der der tatsächlichen und potenziellen Einschaltquote sowohl im Sendemitgliedstaat als auch in jedem anderen Mitgliedstaat, in dem die Sendungen mit den Schutzgegenständen ebenfalls empfangen werden, Rechnung trägt.

Was den Aufschlag betrifft, den die Sendeunternehmen für die Einräumung einer gebietsabhängigen Exklusivität zahlen, so ist er geeignet, zu künstlichen Preisunterschieden zwischen den abgeschotteten nationalen Märkten zu führen, wobei eine solche Marktabschottung und ein solcher daraus folgender künstlicher Preisunterschied mit dem grundlegenden Ziel des Vertrags – der Verwirklichung des Binnenmarkts – nicht vereinbar sind. Unter diesen Umständen kann dieser Aufschlag nicht als Teil der angemessenen Vergütung angesehen werden, die den betreffenden Rechtsinhabern zu gewährleisten ist, und seine Zahlung geht daher über das hinaus, was erforderlich ist, um den Rechtsinhabern eine angemessene Vergütung zu gewährleisten.

(vgl. Randnrn. 100, 106-108, 113-117, 125, 131, Tenor 3)

5.        Die Klauseln eines Vertrags über eine ausschließliche Lizenz zwischen einem Inhaber von Rechten des geistigen Eigentums und einem Sendeunternehmen stellen eine nach Art. 101 AEUV verbotene Wettbewerbsbeschränkung dar, sofern sie dem Sendeunternehmen die Pflicht auferlegen, keine den Zugang zu den Schutzgegenständen dieses Rechtsinhabers ermöglichenden Decodiervorrichtungen zum Zweck ihrer Verwendung außerhalb des vom Lizenzvertrag erfassten Gebiets zur Verfügung zu stellen.

(vgl. Randnr. 146, Tenor 4)

6.        Art. 2 Buchst. a der Richtlinie 2001/29 zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte in der Informationsgesellschaft ist dahin auszulegen, dass sich das Vervielfältigungsrecht auf flüchtige Fragmente der Werke im Speicher eines Satellitendecoders und auf einem Fernsehbildschirm erstreckt, sofern diese Fragmente Elemente enthalten, die die eigene geistige Schöpfung der betreffenden Urheber zum Ausdruck bringen, wobei das zusammengesetzte Ganze der gleichzeitig wiedergegebenen Fragmente zu prüfen ist, um zu klären, ob es solche Elemente enthält.

(vgl. Randnr. 159, Tenor 5)

7.        Vervielfältigungshandlungen, die im Speicher eines Satellitendecoders und auf einem Fernsehbildschirm erfolgen, erfüllen die Voraussetzungen des Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie 2001/29 zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte in der Informationsgesellschaft und dürfen daher ohne Erlaubnis der betreffenden Urheberrechtsinhaber vorgenommen werden.

(vgl. Randnr. 182, Tenor 6)

8.        Der Begriff der öffentliche Wiedergabe im Sinne von Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2001/29 zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte in der Informationsgesellschaft ist dahin auszulegen, dass er die Übertragung durch Rundfunk gesendeter Werke über einen Fernsehbildschirm und Lautsprecher für die sich in einer Gastwirtschaft aufhaltenden Gäste umfasst.

Wenn nämlich die Übertragung eines durch Rundfunk gesendeten Werks an einem Ort stattfindet, zu dem die Öffentlichkeit Zugang hat, und für ein zusätzliches Publikum, das über die Besitzer von Fernsehgeräten, die das Signal allein oder im privaten bzw. familiären Kreis empfangen und die Sendungen verfolgen, hinausgeht und das vom Besitzer des Fernsehgeräts in die Lage versetzt wird, das Werk anzuhören oder anzusehen, ist ein solches absichtliches Tätigwerden als eine Handlung anzusehen, durch die das fragliche Werk für ein neues Publikum wiedergegeben wird. Das ist der Fall, wenn der Inhaber einer Gastwirtschaft durch Rundfunk gesendete Werke für die dort anwesenden Gäste überträgt, denn diese Gäste stellen ein zusätzliches Publikum dar, das von den Urhebern nicht berücksichtigt worden ist, als sie der Sendung ihrer Werke durch den Rundfunk zugestimmt haben.

Was zudem die Übertragung des durch Rundfunk gesendeten Werks an eine Öffentlichkeit anbelangt, die im Sinne des 23. Erwägungsgrundes der Urheberrechtsrichtlinie „an dem Ort, an dem die Wiedergabe ihren Ursprung nimmt, nicht anwesend ist“, werden „direkte Aufführungen und Darbietungen“, also Aufführungen von Werken vor der Öffentlichkeit, die sich in unmittelbarem körperlichen Kontakt mit der Person befindet, die diese Werke aufführt oder darbietet, von der Urheberrechtsrichtlinie wie auch von der Berner Übereinkunft zum Schutz von Werken der Literatur und Kunst nicht erfasst. Ein solches Element des unmittelbaren körperlichen Kontakts fehlt aber gerade im Fall der Übertragung eines durch Rundfunk gesendeten Werks über einen Fernsehbildschirm und Lautsprecher an einem Ort wie einer Gastwirtschaft für eine Öffentlichkeit, die am Ort dieser Übertragung, nicht aber an dem Ort anwesend ist, an dem die Wiedergabe im Sinne des 23. Erwägungsgrundes der Urheberrechtsrichtlinie ihren Ursprung nimmt, also am Ort der durch Rundfunk gesendeten Aufführung.

(vgl. Randnrn. 198-203, 207, Tenor 7)

9.        Die Richtlinie 93/83 zur Koordinierung bestimmter urheber- und leistungsschutzrechtlicher Vorschriften betreffend Satellitenrundfunk und Kabelweiterverbreitung ist dahin auszulegen, dass sie sich nicht auf die Rechtmäßigkeit von Vervielfältigungshandlungen auswirkt, die im Speicher eines Satellitendecoders und auf einem Fernsehbildschirm erfolgen.

(vgl. Randnr. 210, Tenor 8)