SCHLUSSANTRÄGE DER GENERALANWÄLTIN
JULIANE KOKOTT
vom 29. September 2022(1)
Rechtssache C‑78/21
AS „PrivatBank“,
A,
B,
Unimain Holdings Limited
gegen
Finanšu un kapitāla tirgus komisija
(Vorabentscheidungsersuchen des Administratīvā apgabaltiesa [Regionales Verwaltungsgericht, Lettland])
„Vorabentscheidungsersuchen – Art. 56 und 63 AEUV – Freier Dienstleistungsverkehr – Freier Kapital- und Zahlungsverkehr – Finanzdienstleistungen – Beschränkungen – Verbot für ein Kreditinstitut, Geschäftsbeziehungen mit Personen ohne Verbindung zu Lettland aufzunehmen oder aufrechtzuerhalten – Rechtfertigung – Verhinderung der Nutzung des Finanzsystems zum Zwecke der Geldwäsche und der Terrorismusfinanzierung – Art. 65 Abs. 1 Buchst. b AEUV – Richtlinie (EU) 2015/849 – Verhältnismäßigkeit“
I. Einleitung
1. Das System zur Verhinderung der Geldwäsche und der Terrorismusfinanzierung in der Europäischen Union begründet bestimmte Anforderungen an die Risikomanagementsysteme von Banken. Dazu gehört u. a. die Pflicht, die Identität der Kunden vor Begründung einer Geschäftsbeziehung oder Ausführung einer Transaktion zu überprüfen und Informationen über den Zweck der Geschäftsbeziehung einzuholen. Ist dies nicht möglich, dürfen die betreffenden Transaktionen und Geschäftsbeziehungen nicht ausgeführt bzw. begründet werden. Die Intensität der Sorgfaltspflichten hängt dabei vom Risikoprofil des Kunden ab, das gemäß dem 22. Erwägungsgrund der Richtlinie (EU) 2015/849(2) nach einem ganzheitlichen, risikobasierten Ansatz zu bestimmen ist.
2. Vorliegend hat die für die Bekämpfung der Geldwäsche zuständige lettische Aufsichtsbehörde, die Finanšu un kapitāla tirgus komisija (Finanz- und Kapitalmarktkommission, Lettland, im Folgenden: FKTK), über einen gewissen Zeitraum hinweg Mängel beim Risikomanagementsystem eines in Lettland niedergelassenen Kreditinstituts festgestellt. Dieses war offensichtlich nicht in der Lage, die notwendigen Sorgfaltspflichten gegenüber seinen Kunden zu erfüllen. Daher hat die FKTK diesem Kreditinstitut die Verpflichtung auferlegt, keine Geschäftsbeziehungen zu begründen bzw. diese unverzüglich zu beenden, wenn festgestellt wird, dass die Person, mit der nach Erlass der Entscheidung der FKTK eine Geschäftsbeziehung begründet wurde, keine Verbindung zur Republik Lettland aufweist und ihr monatliches Habenumsatzvolumen eine bestimmte Schwelle überschreitet. Dies wirft die Frage auf, ob, und wenn ja, unter welchen Umständen und Bedingungen, eine solche Maßnahme mit den Grundfreiheiten vereinbar ist.
II. Rechtlicher Rahmen
A. Unionsrecht
1. AEUV
3. Gemäß Art. 56 Abs. 1 AEUV sind die Beschränkungen des freien Dienstleistungsverkehrs innerhalb der Union für Angehörige der Mitgliedstaaten, die in einem anderen Mitgliedstaat als demjenigen des Leistungsempfängers ansässig sind, nach Maßgabe der folgenden Vertragsbestimmungen verboten.
4. Nach Art. 63 Abs. 1 AEUV sind alle Beschränkungen des Kapitalverkehrs zwischen den Mitgliedstaaten sowie zwischen den Mitgliedstaaten und dritten Ländern verboten.
5. Art. 65 Abs. 1 Buchst. b AEUV bestimmt, dass Art. 63 AEUV nicht das Recht der Mitgliedstaaten berührt, die unerlässlichen Maßnahmen zu treffen, um Zuwiderhandlungen gegen innerstaatliche Rechts- und Verwaltungsvorschriften, insbesondere auf dem Gebiet des Steuerrechts und der Aufsicht über Finanzinstitute, zu verhindern, sowie Meldeverfahren für den Kapitalverkehr zwecks administrativer oder statistischer Information vorzusehen oder Maßnahmen zu ergreifen, die aus Gründen der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit gerechtfertigt sind.
2. Die Richtlinie 2015/849
6. Die vierte EU-Geldwäscherichtlinie 2015/849 hat die dritte EU‑Geldwäscherichtlinie 2005/60/EG(3) neu gefasst. Die fünfte EU‑Geldwäscherichtlinie 2018/843(4) ist hier zeitlich noch nicht anwendbar.
7. Der 22. Erwägungsgrund der Richtlinie 2015/849 lautet wie folgt:
„Das Risiko der Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung ist nicht in allen Fällen gleich hoch. Aus diesem Grund sollte nach einem ganzheitlichen, risikobasierten Ansatz verfahren werden. Dieser stellt nicht die Möglichkeit einer ungebührlich ausufernden Freistellung für Mitgliedstaaten und Verpflichtete dar. Er setzt eine faktengestützte Entscheidungsfindung voraus, die es ermöglicht, gezielter auf die für die Union und die dort tätigen natürlichen und juristischen Personen bestehenden Risiken der Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung einzugehen.“
8. Art. 1 Abs. 1 und 2 der Richtlinie 2015/849 bezeichnen ihren Gegenstand:
„(1) Ziel dieser Richtlinie ist die Verhinderung der Nutzung des Finanzsystems der Union zum Zwecke der Geldwäsche und der Terrorismusfinanzierung.
(2) Die Mitgliedstaaten sorgen dafür, dass Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung untersagt werden.“
9. Art. 5 der Richtlinie 2015/849 sieht vor:
„Die Mitgliedstaaten können zur Verhinderung von Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung in den Grenzen des Unionsrechts strengere Vorschriften auf dem unter diese Richtlinie fallenden Gebiet erlassen oder beibehalten.“
10. Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 2015/849 betrifft die Risikobewertung durch die Mitgliedstaaten:
„(1) Jeder Mitgliedstaat unternimmt angemessene Schritte, um die für ihn bestehenden Risiken der Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung sowie alle Datenschutzprobleme in diesem Zusammenhang zu ermitteln, zu bewerten, zu verstehen und zu mindern. Der Mitgliedstaat hält die Risikobewertung auf aktuellem Stand.“
11. Art. 8 Abs. 1 der Richtlinie 2015/849 hat die Risikobewertung durch die Finanzinstitute zum Gegenstand:
„(1) Die Mitgliedstaaten sorgen dafür, dass die Verpflichteten angemessene Schritte unternehmen, um die für sie bestehenden Risiken der Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung unter Berücksichtigung von Risikofaktoren, einschließlich in Bezug auf ihre Kunden, Länder oder geografische Gebiete, Produkte, Dienstleistungen, Transaktionen oder Vertriebskanäle zu ermitteln und zu bewerten. Diese Schritte stehen in einem angemessenen Verhältnis zu Art und Größe der Verpflichteten.“
12. Kapitel II der Richtlinie 2015/849 regelt die Sorgfaltspflichten gegenüber Kunden. Im Abschnitt 1, versehen mit der Überschrift „Allgemeine Bestimmungen“, legen die Art. 13 und 14 die Standardsorgfaltspflichten gegenüber Kunden fest. Nach Art. 13 Abs. 1 bestehen diese in der Feststellung der Identität des Kunden (Buchst. a) und des wirtschaftlichen Eigentümers (Buchst. b), in der Bewertung und gegebenenfalls Einholung von Informationen über den Zweck und die angestrebte Art der Geschäftsbeziehung (Buchst. c) und der kontinuierlichen Überwachung der Geschäftsbeziehung (Buchst. d).
13. Art. 14 Abs. 4 Unterabs. 1 der Richtlinie 2015/849 regelt die Folgen der Unmöglichkeit, den in Art. 13 der Richtlinie genannten Sorgfaltspflichten nachzukommen:
„(4) Die Mitgliedstaaten schreiben vor, dass die Verpflichteten – wenn sie den in Artikel 13 Absatz 1 Unterabsatz 1 Buchstabe a, b oder c genannten Sorgfaltspflichten gegenüber Kunden nicht nachkommen können – keine Transaktion über ein Bankkonto vornehmen, keine Geschäftsbeziehung begründen und keine Transaktionen ausführen dürfen und dass sie die Geschäftsbeziehung beenden und in Erwägung ziehen müssen, in Bezug auf den Kunden eine Verdachtsmeldung gemäß Artikel 33 an die zentrale Meldestelle zu erstatten.“
14. Abschnitte 2 und 3 des Kapitels II der Richtlinie 2015/849 regeln jeweils vereinfachte bzw. verstärkte Sorgfaltspflichten gegenüber Kunden.
15. In Bezug auf die vereinfachten Sorgfaltspflichten geht aus Art. 15 Abs. 1 und 2 der Richtlinie 2015/849 hervor, dass, wenn ein Mitgliedstaat oder ein Verpflichteter feststellt, dass in bestimmten Bereichen nur ein geringeres Risiko besteht, oder wenn ein Verpflichteter sich vergewissert hat, dass die Geschäftsbeziehung oder die Transaktion tatsächlich mit einem geringeren Risiko verbunden ist, es dem Verpflichteten gestattet sein kann, vereinfachte Sorgfaltspflichten gegenüber Kunden anzuwenden. Für die jeweilige Risikobewertung verweist Art. 16 der Richtlinie auf die in Anhang II dargelegten Faktoren für ein potenziell geringeres Risiko.
16. In Bezug auf die verstärkten Sorgfaltspflichten ergibt sich aus Art. 18 Abs. 1 der Richtlinie 2015/849, dass in den in den Art. 19 bis 24 genannten Fällen und bei natürlichen oder juristischen Personen, die in von der Kommission ermittelten Drittländern mit hohem Risiko niedergelassen sind, sowie in anderen Fällen mit höheren Risiken, die Mitgliedstaaten oder Verpflichtete ermittelt haben, die Letzteren zur angemessenen Steuerung und Minderung dieser Risiken verstärkte Sorgfaltspflichten anzuwenden haben. Für die Risikobewertung verweist Art. 18 Abs. 3 auf die in Anhang III dargelegten Faktoren für ein potenziell höheres Risiko.
17. Abschnitt 4 von Kapitel VI der Richtlinie 2015/849 mit der Überschrift „Strategien, Verfahren und Aufsicht“ regelt die Sanktionen. Nach Art. 58 Abs. 1 Satz 2 müssen die sich zur Umsetzung der Richtlinie ergebenden Sanktionen oder Maßnahmen wirksam, verhältnismäßig und abschreckend sein. Art. 59 Abs. 2 der Richtlinie listet verwaltungsrechtliche Sanktionen und Maßnahmen auf, die die Mitgliedstaaten mindestens verhängen können, nach Buchst. c dieser Bestimmung insbesondere den Entzug oder die Aussetzung der Zulassung bei Verpflichteten, die einer Zulassungspflicht unterliegen.
18. Art. 59 Abs. 4 der Richtlinie 2015/849 erlaubt ferner verwaltungsrechtliche Sanktionen, die in der Richtlinie nicht vorgesehen sind:
„(4) Die Mitgliedstaaten können die zuständigen Behörden ermächtigen, weitere Arten von verwaltungsrechtlichen Sanktionen zusätzlich zu den in Absatz 2 Buchstaben a bis d vorgesehenen verwaltungsrechtlichen Sanktionen zu verhängen oder Geldbußen zu verhängen, die über die in Absatz 2 Buchstabe e und in Absatz 3 genannten Beträge hinausgehen.“
19. Die Anhänge II und III der Richtlinie 2015/849 enthalten eine jeweils nicht erschöpfende Aufzählung von Faktoren und möglichen Anzeichen für ein potenziell geringeres bzw. höheres Risiko. Nach Nr. 1 Buchst. c in Verbindung mit Nr. 3 Buchst. a des Anhangs II befinden sich die Mitgliedstaaten in einem geografischen Gebiet mit geringerem Risiko. Nach Nr. 3 Buchst. b des Anhangs III werden unter den Faktoren für ein potenziell höheres geografisches Risiko „Drittländer, in denen Korruption oder andere kriminelle Tätigkeiten laut glaubwürdigen Quellen signifikant stark ausgeprägt sind“, angeführt.
B. Lettisches Recht
20. Art. 6 Abs. 1 und 12 Nr. 2 des Noziedzīgi iegūtu līdzekļu legalizācijas un terorisma un proliferācijas finansēšanas novēršanas likums (Gesetz zur Verhinderung der Geldwäsche sowie der Finanzierung von Terrorismus und Proliferation, im Folgenden: Antigeldwäschegesetz) vom 17. Juli 2008 (Latvijas Vēstnesis, 2008, Nr. 116) legt fest, dass das Kreditinstitut eine Bewertung und Dokumentation der Risiken der Geldwäsche und der Terrorismus- und Proliferationsfinanzierung durchführt und auf der Grundlage dieser Bewertung ein internes Kontrollsystem zur Verhinderung von Geldwäsche und Terrorismus- und Proliferationsfinanzierung einführt. Dabei sind insbesondere die nationalen und geografischen Risiken zu berücksichtigen, d. h. das Risiko, dass der Kunde oder sein wirtschaftlicher Eigentümer eine Verbindung zu einem Land oder Gebiet aufweist, dessen wirtschaftliche, soziale, rechtliche oder politische Umstände auf ein diesem Land oder Gebiet inhärentes hohes Risiko der Geldwäsche und der Terrorismus- und Proliferationsfinanzierung hindeuten könnten.
21. Weiterhin bestimmen Art. 5, Art. 6 Nr. 13 und Art. 7 Abs. 1 Nr. 3 des Finanšu un kapitāla tirgus komisijas likums (Gesetz über die Finanz- und Kapitalmarktkommission vom 1. Juni 2000, Latvijas Vēstnesis, 2000, Nr. 230/232), Art. 45 Abs. 1 Nr. 1 des Antigeldwäschegesetzes sowie Art. 991 und Art. 113 Abs. 1 Nr. 4 des Kredītiestāžu likums (Gesetz über Kreditinstitute vom 5. Oktober 1995, Latvijas Vēstnesis, 1995, Nr. 163), dass die FKTK die Einhaltung des Antigeldwäschegesetzes durch die Finanz- und Kapitalmarktakteure beaufsichtigt und kontrolliert und befugt ist, Beschränkungen der Rechte und Geschäftstätigkeiten eines Kreditinstituts, einschließlich der vollständigen oder teilweisen Aussetzung der Finanzdienstleistungen, sowie Beschränkungen hinsichtlich der Erfüllung von Verpflichtungen zu verhängen.
III. Sachverhalt und Vorabentscheidungsersuchen
22. Die AS „PrivatBank“ (im Folgenden: PrivatBank) ist ein Kreditinstitut mit Sitz in Lettland. Die zyprischen Staatsangehörigen A und B sowie die zyprische Gesellschaft Unimain Holdings Limited sind Aktionäre der PrivatBank.
23. Vom 17. bis zum 30. Oktober 2017 führte die FKTK eine Prüfung der Geschäftstätigkeit der PrivatBank in Bezug auf die Einhaltung der Rechtsvorschriften zur Verhinderung von Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung bei der Erfüllung ihrer Sorgfaltspflicht gegenüber den mit ihren Aktionären in Verbindung stehenden Kunden und bei der Überwachung ihrer Transaktionen durch.
24. Bei dieser Prüfung stellte die FKTK fest, dass die PrivatBank insbesondere gegen die im lettischen Gesetz über Kreditinstitute sowie im Antigeldwäschegesetz festgelegten Bestimmungen zur Verhinderung von Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung verstoßen habe. Nach Ansicht der FKTK war das interne Kontrollsystem der Bank in Bezug auf die Sorgfaltspflichten gegenüber Kunden und die Überwachung der Transaktionen schon über einen längeren Zeitraum hinweg nicht hinreichend wirksam, um innerhalb der Bank die Einhaltung aller Rechtsvorschriften zur Verhinderung von Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung sowie ein effizientes Management der entsprechenden Risiken sicherzustellen. Insbesondere habe die PrivatBank für einen Teil der Kunden, deren wirtschaftliche Eigentümer ihre Aktionäre seien, sowohl bei der Überwachung der Transaktionen bestehender Kunden als auch bei der Aufnahme neuer Kunden in diese Gruppe günstigere Bedingungen angewandt.
25. Mit Beschluss vom 13. September 2019 verhängte die FKTK gegen die PrivatBank eine Geldbuße und erlegte ihr eine Reihe von Verpflichtungen auf (im Folgenden: streitiger Beschluss). Unter anderem wurde der Bank bis zur Umsetzung der im streitigen Beschluss vorgesehenen Maßnahmen und bis zur Genehmigung durch die FKTK die Verpflichtung auferlegt, keine Geschäftsbeziehungen zu begründen bzw. diese unverzüglich zu beenden, wenn festgestellt wird, dass die Person, mit der nach Erlass des streitigen Beschlusses eine Geschäftsbeziehung begründet wurde, eines der folgenden Kriterien erfüllt:
– Die natürliche Person weist keine Verbindung zur Republik Lettland auf, und ihr monatliches Habenumsatzvolumen beträgt mehr als 15 000 Euro bzw. die wirtschaftliche Tätigkeit der juristischen Person weist keine Verbindung zur Republik Lettland auf, und ihr monatliches Habenumsatzvolumen beträgt mehr als 50 000 Euro (Nr. 4.4.1.2 des streitigen Beschlusses);
– die wirtschaftlichen Eigentümer der Gesellschaft sind Aktionäre der Bank oder mit ihnen verbundene Personen (Nr. 4.4.1.3 des streitigen Beschlusses).
26. Weiterhin wurde der PrivatBank die Verpflichtung auferlegt, sicherzustellen, dass das monatliche Habenumsatzvolumen sowohl der Kunden, deren wirtschaftliche Eigentümer Aktionäre der Bank oder mit ihnen verbundene Personen sind, als auch der Kunden, die zur Gruppe der mit diesen Kunden verbundenen Kunden gehören, nicht das durchschnittliche monatliche Habenumsatzvolumen des jeweiligen Kunden für das Jahr 2019 gemäß den von der Bank zur Verfügung gestellten Daten überschreitet (Nr. 4.4.2 des streitigen Beschlusses).
27. Die PrivatBank hat bei dem Administratīvā apgabaltiesa (Regionales Verwaltungsgericht, Lettland) in Bezug auf den festgestellten Verstoß und die verhängte Geldbuße Klage auf Aufhebung des streitigen Beschlusses erhoben. A, B sowie die Gesellschaft Unimain Holdings Limited haben bei demselben Gericht eine Klage auf Aufhebung der in den Nrn. 4.4.1.2, 4.4.1.3 und 4.4.2 des streitigen Beschlusses auferlegten Verpflichtungen erhoben. Nach Ansicht der Aktionäre der PrivatBank verstößt der streitige Beschluss gegen die Art. 18 und 63 AEUV. Die in dem streitigen Beschluss erlassenen Beschränkungen beruhten weder auf der Ausübung einer rechtswidrigen Tätigkeit noch auf den in der EU, einschließlich Lettlands, geltenden Verbotsvorschriften zur Verhinderung von Geldwäsche. Die Beschränkungen seien jeder natürlichen oder juristischen Person, selbst wenn sie rechtmäßig handle, auferlegt worden und entfalteten ihr gegenüber Wirkungen. Infolge der Verpflichtung, ausschließlich mit Staatsangehörigen und Unternehmen aus der Republik Lettland zusammenzuarbeiten, müsse die Bank alle anderen Personen, d. h. auch Staatsangehörige und Unternehmen der Europäischen Union, automatisch als gefährliche Personen mit potenziell hohem Risiko einstufen. Sie sei als Bank nicht befugt, anders zu entscheiden und mit solchen Personen zusammenzuarbeiten.
28. Die FKTK macht dagegen geltend, dass der streitige Beschluss nicht als Beschränkung des freien Kapitalverkehrs angesehen werden könne, da er zum einen nur für ein bestimmtes Kreditinstitut gelte und zum anderen nur eine begrenzte Gruppe von Kunden dieses Kreditinstituts betreffe. Die streitige Entscheidung nehme diesen Kunden nicht das Recht, Gelder bei jedem anderen in der Republik Lettland zugelassenen Kreditinstitut einzuzahlen. Das Ziel der streitigen Verpflichtungen sei es, von der Bank begangene Verstöße gegen Rechtsvorschriften zu unterbinden und eventuelle zukünftige Verstöße zu verhindern, die nicht nur im Hinblick auf das Risiko, dass die Bank in Geldwäsche oder versuchte Geldwäsche, Umgehung oder Nichteinhaltung von internationalen Sanktionen verwickelt werde, sondern auch für das Ansehen des Finanzsektors insgesamt schwerwiegende Folgen haben könnten. Demnach stelle dieser Beschluss eine zulässige und verhältnismäßige Beschränkung im Sinne von Art. 65 Abs. 1 Buchst. b AEUV dar.
29. Unter diesen Umständen hat das Administratīvā apgabaltiesa (Regionales Verwaltungsgericht) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof mit Beschluss vom 11. Januar 2021 folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:
1. Sind die in Anhang I der Richtlinie 88/361/EWG des Rates vom 24. Juni 1988 zur Durchführung von Artikel 67 des [EWG‑]Vertrages(5) genannten Darlehen und Finanzkredite sowie Kontokorrent- und Termingeschäfte mit Finanzinstitutionen (einschließlich Banken) auch als Kapitalverkehr im Sinne von Art. 63 Abs. 1 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union anzusehen?
2. Stellt eine (sich nicht unmittelbar aus den Rechtsvorschriften des Mitgliedstaats ableitende) Beschränkung, mit der die zuständige Behörde eines Mitgliedstaats einem bestimmten Kreditinstitut das Verbot der Begründung von Geschäftsbeziehungen und die Verpflichtung zur Beendigung von bestehenden Geschäftsbeziehungen mit Personen auferlegt, die nicht Staatsangehörige der Republik Lettland sind, eine Maßnahme eines Mitgliedstaats im Sinne von Art. 63 Abs. 1 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union dar, und hat sie als solche eine Beschränkung des in diesem Artikel verankerten Grundsatzes des freien Kapitalverkehrs zwischen den Mitgliedstaaten zur Folge?
3. Rechtfertigt das in Art. 1 der Richtlinie 2015/849 genannte Ziel der Verhinderung der Nutzung des Finanzsystems der Union zum Zweck der Geldwäsche und der Terrorismusfinanzierung die Beschränkung des in Art. 63 Abs. 1 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union garantierten freien Kapitalverkehrs?
4. Ist das von dem Mitgliedstaat gewählte Mittel – die Verpflichtung eines bestimmten Kreditinstituts, keine Geschäftsbeziehungen zu Personen, die nicht Staatsangehörige eines bestimmten Mitgliedstaats (der Republik Lettland) sind, zu begründen und bestehende Geschäftsbeziehungen zu beenden – zur Erreichung des in Art. 1 der Richtlinie 2015/849 genannten Ziels geeignet und stellt somit eine Ausnahme im Sinne von Art. 65 Abs. 1 Buchst. b des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union dar?
30. Auf ein Klarstellungsersuchen des Gerichtshofs hin hat das vorlegende Gericht am 10. März 2022 ergänzende Ausführungen zum Sachverhalt gemacht und dabei klargestellt, dass die in Nr. 4.4.1.2 des streitigen Beschlusses genannte Maßnahme nicht an die lettische Staatsangehörigkeit, sondern an die Verbindung zu Lettland anknüpft.
31. Im Verfahren vor dem Gerichtshof haben die PrivatBank sowie die lettische und die italienische Regierung und die Europäische Kommission schriftlich zu den Fragen des vorlegenden Gerichts Stellung genommen. In der mündlichen Verhandlung vom 27. April 2022 haben sich A u. a., die lettische Regierung, die FKTK und die Europäische Kommission geäußert.
IV. Rechtliche Würdigung
32. Gegenstand des Vorabentscheidungsersuchens ist die Rechtmäßigkeit der Verpflichtung der PrivatBank, keine Geschäftsbeziehungen zu begründen bzw. diese unverzüglich zu beenden, wenn festgestellt wird, dass der Partner der Geschäftsbeziehung eine Person ohne Verbindung zu Lettland ist. Diese Restriktionen gelten nur ab einem bestimmten monatlichen Habenumsatzvolumen: für natürliche Personen ab einem Habenumsatz von 15 000 Euro, für juristische Personen ab 50 000 Euro.(6)
33. Auf ein Klarstellungsersuchen des Gerichtshofs hin hat das vorlegende Gericht bestätigt, dass der streitige Beschluss nicht an die Staatsangehörigkeit der betroffenen Kunden, sondern an ihre Verbindung zu Lettland anknüpft.
34. Im Folgenden werde ich zunächst zur Frage der anwendbaren Grundfreiheiten Stellung nehmen (A) und anschließend zu deren Beschränkung (B). Schließlich werde ich untersuchen, ob das Ziel der Verhinderung der Nutzung des Finanzsystems zum Zwecke der Geldwäsche und der Terrorismusfinanzierung eine solche Beschränkung rechtfertigen kann (C).
A. Erste Frage: anwendbare Grundfreiheiten
35. Das vorlegende Gericht möchte zunächst wissen, ob Darlehen und Finanzkredite sowie Kontokorrent- und Termingeschäfte mit Finanzinstituten und insbesondere Banken als „Kapitalverkehr“ im Sinne von Art. 63 Abs. 1 AEUV anzusehen sind.
36. Da die Verträge keine Definition des Begriffs „Kapitalverkehr“ enthalten, hat der Gerichtshof der Nomenklatur für den Kapitalverkehr in Anhang I der Richtlinie 88/361 Hinweischarakter zuerkannt.(7) Nach der Einleitung dieses Anhangs umfasst der in dieser Nomenklatur genannte Kapitalverkehr insbesondere alle für die Durchführung des Kapitalverkehrs erforderlichen Geschäfte sowie Kredit- oder Darlehensrückzahlungen, wobei die darin enthaltene Aufzählung keinen erschöpfenden Charakter hat. Rubrik VI des Anhangs I führt „Kontokorrent- und Termingeschäfte mit Finanzinstitutionen“ auf und Rubrik VIII „Darlehen und Finanzkredite“. Im Übrigen bestimmt dieser Anhang in seinem mit „Begriffsbestimmungen“ überschriebenen Abschnitt, dass u. a. Banken als „Finanzinstitutionen“ gelten. Zudem hat der Gerichtshof bereits klargestellt, dass die Tätigkeit der gewerbsmäßigen Kreditvergabe grundsätzlich den freien Kapitalverkehr betrifft.(8)
37. Demnach ist die erste Frage dahin zu beantworten, dass Darlehen und Finanzkredite sowie Kontokorrent- und Termingeschäfte mit Finanzinstitutionen wie Banken als „Kapitalverkehr“ im Sinne von Art. 63 Abs. 1 AEUV anzusehen sind.
38. Wie der Gerichtshof bereits entschieden hat, stellt die Tätigkeit der Kreditvergabe zudem eine Dienstleistung im Sinne von Art. 56 AEUV dar. Sie steht grundsätzlich in einer Beziehung sowohl zum freien Dienstleistungsverkehr im Sinne der Art. 56 ff. AEUV als auch zum freien Kapitalverkehr im Sinne der Art. 63 ff. AEUV.(9)
39. Daher stellt sich die Frage, ob beide Grundfreiheiten zu prüfen sind oder ob unter den Umständen des Ausgangsverfahrens die eine hinter die andere zurücktritt.
40. Aus Art. 57 Abs. 1 AEUV, nach dem „Dienstleistungen im Sinne der Verträge […] Leistungen [sind], die in der Regel gegen Entgelt erbracht werden, soweit sie nicht den Vorschriften über den freien Waren- und Kapitalverkehr und über die Freizügigkeit der Personen unterliegen“, lässt sich nämlich nach Ansicht des Gerichtshofs keine allgemeine Subsidiarität der Dienstleistungs- gegenüber der Kapitalverkehrsfreiheit ableiten.(10)
41. Vielmehr prüft der Gerichtshof eine Maßnahme, die in einer Beziehung sowohl zur Dienstleistungs- als auch zur Kapitalverkehrsfreiheit steht, grundsätzlich nur im Hinblick auf eine dieser beiden Freiheiten, wenn sich herausstellt, dass unter den Umständen des Einzelfalls eine der beiden Freiheiten der anderen gegenüber völlig zweitrangig ist und ihr zugeordnet werden kann.(11) Ist dagegen nicht erkennbar, dass eine der beiden Grundfreiheiten gegenüber der anderen völlig zweitrangig ist, sind beide Grundfreiheiten zu prüfen.(12)
42. Unter bestimmten Umständen hat der Gerichtshof angenommen, dass die Tätigkeit der Kreditvergabe vorrangig die Dienstleistungsfreiheit betraf. Die Verminderung der grenzüberschreitenden Geldströme, die mit diesen Dienstleistungen zusammenhingen, stellte dabei nur eine zwangsläufige Folge der Beschränkung des freien Dienstleistungsverkehrs dar. Daher wurde nur die Dienstleistungsfreiheit geprüft.(13)
43. So verhält es sich im vorliegenden Fall allerdings nicht.
44. Hier betrifft die Unterbindung bestimmter Geschäftsbeziehungen(14) vielmehr in gleichem Maße sowohl die Inanspruchnahme von Finanzdienstleistungen der Bank als auch den Kapitalverkehrsfluss als solchen. Denn dieser Beschluss knüpft erstens durch das Kriterium der Höhe des Habenumsatzes unabhängig von der Inanspruchnahme bestimmter Beratungsdienstleistungen direkt an den Kapitalverkehr an. Zweitens ist das Ziel der auferlegten Beschränkungen die Verhinderung grenzüberschreitender Geldströme, deren Zweck in der Verschleierung von Geldwäschevorgängen besteht. Drittens verbietet der Beschluss durch das Anknüpfen an die Höhe des Habenumsatzes nicht nur Kreditgeschäfte, sondern auch sämtliche weiteren Geschäftsbeziehungen der PrivatBank mit Kapitalbewegungen auf den Konten der betroffenen Kunden, bei denen sich nicht pauschal bestimmen lässt, ob sie der Dienstleistungs- oder der Kapitalverkehrsfreiheit oder beiden unterfallen. Und schließlich geht auch die Richtlinie 2015/849 von der Anwendbarkeit beider Grundfreiheiten im Bereich der Geldwäscheprävention aus.(15)
45. Aus diesen Gründen teile ich die Ansicht der Kommission und der italienischen Regierung, dass die streitige Beschränkung der Geschäftsbeziehungen der PrivatBank sowohl unter die Vorschriften über den freien Dienstleistungsverkehr als auch unter diejenigen über den freien Kapitalverkehr fällt. Daher werde ich nachfolgend die Fragen des vorlegenden Gerichts im Hinblick auf beide Grundfreiheiten beantworten.
46. Somit kann auch dahinstehen, ob und gegebenenfalls inwieweit Einschränkungen des freien Kapitalverkehrs leichter möglich sein könnten, wenn nur die Kapitalverkehrsfreiheit gilt, was insbesondere der Wortlaut von Art. 65 AEUV nahelegt(16).
B. Zweite Frage: Beschränkung der Dienstleistungs- und der Kapitalverkehrsfreiheit
47. Die Verpflichtung einer Bank, Geschäftsbeziehungen mit Kunden ohne Verbindung zu dem Mitgliedstaat, in dem diese Bank ihren Sitz hat, zu beenden bzw. nicht zu begründen, knüpft nicht an die Staatsangehörigkeit der betroffenen Kunden an. Daher liegt keine unmittelbare Diskriminierung aufgrund der Staatsangehörigkeit, sondern nur eine nach Art. 56 Abs. 1 und Art. 63 Abs. 1 AEUV ebenfalls verbotene(17) mittelbare Diskriminierung vor.
48. Dabei wird die Verbindung zu Lettland, wie die lettische Regierung ausgeführt hat, als Bezug wirtschaftlicher oder persönlicher Natur verstanden. Ein solcher Bezug kann durch Wohnsitz, Eigentum im Land oder sonstige Faktoren begründet werden. Auch bei lettischen Staatsangehörigen kann die Verbindung zu Lettland fehlen, beispielsweise wenn sie im Ausland leben und keinerlei Beziehungen zu ihrem Heimatland pflegen.
49. Es ist jedoch davon auszugehen, dass lettische Staatsangehörige wesentlich öfter die notwendige Verbindung zu Lettland haben als Personen ohne diese Staatsangehörigkeit. Also führt die Anknüpfung an die Verbindung zu Lettland dazu, dass überwiegend Kunden, die keine lettischen Staatsangehörigen sind, betroffen sind.
50. Dieser mittelbar diskriminierenden Wirkung kann auch nicht der Standpunkt der FKTK entgegengesetzt werden, dass Personen, die Bindungen zu Lettland haben, und jene, die keine solchen haben, sich nicht in einer vergleichbaren Situation befänden. Der Gerichtshof prüft das Kriterium der objektiv vergleichbaren Lage als zusätzliche Voraussetzung einer Diskriminierung teilweise nicht mehr.(18) An der Anwendung dieses Kriteriums habe ich darüber hinaus bereits mehrfach andernorts Bedenken geäußert, da es letztlich nur zu einer Vorverlagerung der Rechtfertigungsprüfung führt.(19)
51. So ist es zwar offensichtlich, dass sich Personen mit Verbindungen zu Lettland und Personen ohne solche Verbindungen nicht in der gleichen Lage befinden. Hierauf kann es aber für die Prüfung des Vorliegens einer Beschränkung der Dienstleistungs- und der Kapitalverkehrsfreiheit nicht ankommen. Denn wenn man die fehlende Verbindung zum betreffenden Mitgliedstaat als objektiven Unterschied der Sachverhalte ohne Weiteres ausreichen ließe, um das Vorliegen einer Diskriminierung zu verneinen, würde man die Grundfreiheiten de facto aushöhlen. Sie sollen es nämlich gerade ermöglichen, grenzüberschreitend Dienstleistungen in Anspruch zu nehmen und Kapitalbewegungen zu anderen Mitgliedstaaten und Drittländern aufzubauen. Daher verbieten sie – vorbehaltlich ihrer Rechtfertigung – Beschränkungen aufgrund fehlender Beziehungen zu einem bestimmten Mitgliedstaat.
52. Die Frage ist vielmehr, ob die vorliegende Beschränkung aufgrund der Unterschiede zwischen den inländischen und den ausländischen Kunden gerechtfertigt sein kann. Die Erfüllung der Sorgfaltspflichten der Bank gestaltet sich nämlich bei ausländischen Kunden schwieriger als bei inländischen; darauf hat die FKTK in der mündlichen Verhandlung hingewiesen. Dies betrifft jedoch die Rechtfertigung der Maßnahme und nicht die Frage, ob sie eine Beschränkung der Dienstleistungs- und der Kapitalverkehrsfreiheit darstellt.
53. Ebenso wenig überzeugend ist das Vorbringen der lettischen Regierung gegen das Vorliegen einer Beschränkung, dass betroffene Kunden die Dienste von jedem anderen in Lettland zugelassenen Kreditinstitut in Anspruch nehmen können. Denn es gehört zum Wesensgehalt der Dienstleistungs- und der Kapitalverkehrsfreiheit, dass die Begünstigten selbst entscheiden können, mit welcher Bank sie Beziehungen aufnehmen, um etwa bestimmte Konditionen oder Produkte für sich in Anspruch zu nehmen.
54. Auch kann es kein Argument gegen die beschränkende Wirkung der Maßnahme sein, dass nur wenige Kunden betroffen sind, nämlich die Kunden der PrivatBank ohne Verbindung zu Lettland, die das festgelegte Habenumsatzvolumen überschreiten, oder dass die Maßnahme nur für einen begrenzten Zeitraum gilt. Nach der ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofs ist selbst eine geringfügige Einschränkung einer Grundfreiheit verboten.(20) Abgesehen davon gilt die Maßnahme potenziell für alle Personen ohne Verbindung zu Lettland, die mit der PrivatBank Geschäfte ab der festgelegten Höhe des Habenumsatzes eingehen wollen. Das können auch viele Kunden sein.
55. Mithin beschränkt eine derartige Verpflichtung zur Unterbindung von Geschäftsbeziehungen sowohl den freien Dienstleistungs- als auch den freien Kapitalverkehr.
C. Dritte und vierte Frage: Rechtfertigung der Beschränkung, insbesondere Verhältnismäßigkeit
56. Mit seiner dritten und seiner vierten Frage, die zusammen geprüft werden können, möchte das vorlegende Gericht wissen, ob die Beschränkung zur Verhinderung der Geldwäsche und der Terrorismusfinanzierung(21) und als Ausnahme nach Art. 65 Abs. 1 Buchst. b AEUV gerechtfertigt werden kann.
57. Nach ständiger Rechtsprechung ist eine Beschränkung der Grundfreiheiten nur zulässig, wenn sie erstens durch einen der geschriebenen Rechtfertigungsgründe oder durch einen zwingenden Grund des Allgemeininteresses gerechtfertigt ist und zweitens den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit beachtet. Sie muss insbesondere geeignet sein, die Erreichung des verfolgten Ziels in kohärenter und systematischer Weise zu gewährleisten, und darf nicht über das hinausgehen, was zur Erreichung dieses Ziels erforderlich ist.(22)
1. Zum Ziel der Verhinderung der Geldwäsche und der Terrorismusfinanzierung
58. Nach den Ausführungen der FKTK und der lettischen Regierung besteht das Ziel der Beschränkung der Geschäftsbeziehungen der PrivatBank insbesondere darin, Zuwiderhandlungen der Bank gegen die Rechtsvorschriften im Bereich der Geldwäscheprävention zu unterbinden und zukünftigen Verstößen vorzubeugen. Diese Rechtsvorschriften sollen dem Ziel der Verhinderung der Nutzung des Finanzsystems zum Zwecke der Geldwäsche und der Terrorismusfinanzierung nach Art. 1 Abs. 1 der Richtlinie 2015/849 dienen.
59. Die Bekämpfung der Geldwäsche und der Terrorismusfinanzierung stellt ein legitimes Ziel dar, das eine Beschränkung der durch den Vertrag garantierten Grundfreiheiten rechtfertigen kann.(23) Da die Richtlinie 2015/849 eine Mindestharmonisierung vorsieht(24), können die Mitgliedstaaten hierzu weiter reichende nationale Bestimmungen erlassen.(25)
60. Neben dem Ziel der Verhinderung der Geldwäsche und der Terrorismusfinanzierung bezweckt die vorliegend streitige Beschränkung, Rechtsvorschriften der Finanzaufsicht im Bereich der Geldwäscheprävention durchzusetzen. Daher verfolgt sie auch das in Art. 65 Abs. 1 Buchst. b AEUV vorausgesetzte(26) Ziel einer Maßnahme zur Verhinderung von Zuwiderhandlungen gegen innerstaatliche Rechts- und Verwaltungsvorschriften auf dem Gebiet der Aufsicht über Finanzinstitute.
2. Zur Geeignetheit der Maßnahme
61. Eine nationale Maßnahme ist nur dann zur Erreichung ihres Ziels geeignet, wenn sie dem Anliegen gerecht wird, dieses Ziel in kohärenter und systematischer Weise zu erreichen.(27)
62. Wie die lettische Regierung in der mündlichen Verhandlung dargelegt hat, besteht eines der Kernprinzipien der Richtlinie 2015/849 darin, dass Banken ihre Kunden kennen müssen („Know your customer“-Prinzip). Aus diesem Grund sieht Art. 8 dieser Richtlinie allgemeine Sorgfaltspflichten für Banken vor, deren Einhaltung die Mitgliedstaaten gemäß Art. 7 überwachen.
63. Zwar geht die Richtlinie 2015/849 davon aus, dass Kunden aus anderen Mitgliedstaaten kein größeres Risiko darstellen.(28) Dennoch kann es für die Finanzinstitute im Einzelnen schwierig sein, Informationen über Kunden zu erhalten, die in dem Land, in dem sie ein Bankkonto eröffnen, keine wirtschaftliche Tätigkeit ausüben, dort weder Wohnsitz noch Eigentum haben und auch sonst keine nennenswerten Beziehungen zu diesem Land pflegen. Da die Banken schwieriger Auskunft über die Herkunft der finanziellen Mittel und die Geschäfte der Kunden im Ausland erhalten können, entstehen potenziell größere Risiken. So kann die weite Entfernung des Kunden von der Bank die Anonymität von Transaktionen begünstigen, was wiederum zu einem erhöhten Geldwäscherisiko führen kann.(29)
64. Mit Blick auf die zuvor festgestellten Mängel des Risikomanagementsystems der PrivatBank und das von der FKTK festgestellte Risiko in Bezug auf die Erfüllung der Sorgfaltspflichten der Bank gegenüber Kunden mit Sitz im Ausland(30) erscheint mir die streitige Verpflichtung daher als eine geeignete Maßnahme zur Minderung des Risikos der Geldwäsche und der Terrorismusfinanzierung.
65. Zudem hat die FKTK in der mündlichen Verhandlung darauf hingewiesen, dass das Vorliegen erheblicher monatlicher Habenumsätze von Personen, die keinerlei Verbindung zu Lettland haben, bereits für sich genommen einen Risikofaktor darstellt. Durch die Anknüpfung der streitigen Maßnahme an die Höhe des monatlichen Habenumsatzvolumens konnte die FKTK dieses Risiko ebenfalls berücksichtigen.
66. Dass die FKTK mit dem Kriterium der Höhe des Habenumsatzes Kunden der Bank ohne Verbindung zu Lettland mit einem geringeren monatlichen Habenumsatzvolumen, von denen auch ein Geldwäscherisiko ausgehen könnte, von der Maßnahme ausnimmt, bedeutet entgegen der Ansicht der Kommission nicht, dass die Maßnahme das angestrebte Ziel nicht in kohärenter und systematischer Weise verfolgt.
67. Zum einen haben die Mitgliedstaaten Beurteilungsspielräume bei der Auswahl der zu berücksichtigenden Risikofaktoren, wie die Anhänge II und III der Richtlinie 2015/849 zeigen. So ist die darin jeweils enthaltene Aufzählung von Faktoren und möglichen Anzeichen für ein potenziell geringeres bzw. höheres Risiko explizit nicht erschöpfend. Dies bestätigt auch Art. 5 dieser Richtlinie, wonach die Mitgliedstaaten zur Verhinderung von Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung in den Grenzen des Unionsrechts strengere Vorschriften erlassen können.
68. Zum anderen weist die Richtlinie 2015/849 in ihrem 22. Erwägungsgrund darauf hin, dass das Risiko der Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung nicht in allen Fällen gleich hoch ist. Dementsprechend sieht die Richtlinie vereinfachte Sorgfaltspflichten vor, wenn das Risiko gering ist(31) oder wenn Transaktionen nur gelegentlich oder in sehr begrenztem Umfang ausgeführt werden.(32) Zudem findet sich der Wert von 15 000 Euro als Mindestwert für die Anwendung von Sorgfaltspflichten bei der Ausführung gelegentlicher Transaktionen wieder.(33) Die Wahl des monatlichen Habenumsatzvolumens von über 15 000 Euro bei Privatpersonen bzw. 50 000 Euro bei juristischen Personen ist daher nicht unangemessen und zudem milder, als wenn alle Geschäfte erfasst wären.
69. Aus alledem folgt, dass eine Beschränkung der Geschäftsbeziehungen wie die streitige geeignet sein kann, das Ziel der Verhinderung der Geldwäsche und der Terrorismusfinanzierung in kohärenter und systematischer Weise zu erreichen. Dafür muss erwiesen sein, dass die Bank ihren Sorgfaltspflichten wegen der Entfernung des Kunden nicht nachkommen kann und die Bestimmung der von der Maßnahme erfassten Kundengruppe dem festgestellten Geldwäscherisiko entspricht.
3. Zur Erforderlichkeit der Maßnahme
70. Weiterhin muss der Mitgliedstaat darlegen, dass das angeführte Ziel nicht mit weniger einschränkenden Maßnahmen erreicht werden kann.(34)
71. Die Kommission hat Bedenken hinsichtlich der Erforderlichkeit der generellen Untersagung der Geschäftsbeziehungen mit Kunden ohne Verbindung zu Lettland und der Verpflichtung, solche Geschäftsbeziehungen zu beenden, geäußert. Dieser Maßnahme sei keine individuelle Risikobewertung im Hinblick auf den konkreten Kunden vorausgegangen; es kämen mildere Maßnahmen wie die verstärkten Sorgfaltspflichten nach Art. 18 der Richtlinie 2015/849 in Betracht.
72. Wie eingangs erläutert ist der Ausgangspunkt für das System der Präventionsmaßnahmen nach der Richtlinie 2015/849 eine Risikobewertung nach einem ganzheitlichen, risikobasierten Ansatz. Wie Generalanwalt Pitruzzella jüngst ausgeführt hat, stellt diese Risikobewertung eine Vorbedingung für die Auswahl von geeigneten Vorbeugungsmaßnahmen – d. h. Sorgfaltspflichten gegenüber Kunden – dar, die so weit wie möglich Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung verhindern oder zumindest einschränken sollen. Fehlt es an einer Risikobewertung, ist es nämlich weder dem betreffenden Mitgliedstaat noch gegebenenfalls einem Betroffenen möglich, im Einzelfall zu entscheiden, welche Maßnahmen anzuwenden sind.(35)
73. In diesem Zusammenhang unterscheidet die Richtlinie 2015/849 drei Arten von Sorgfaltspflichten(36), die die Verpflichteten gegenüber ihren Kunden je nach dem ermittelten Risikoniveau anzuwenden haben: Standard‑, vereinfachte und verstärkte Sorgfaltspflichten.(37)
74. Allen diesen Sorgfaltspflichten ist jedoch gemeinsam, dass sie eine Risikobewertung in Bezug auf den jeweiligen Kunden und dementsprechend individuelle Maßnahmen erfordern. Die Risikobewertung bezieht sich also auf konkrete Situationen und wird nicht abstrakt vorgenommen.(38)
75. Die vorliegend streitige Maßnahme ähnelt zwar der in Art. 14 Abs. 4 Unterabs. 1 der Richtlinie 2015/849 enthaltenen Anordnung des Abbruchs von Geschäftsbeziehungen. Letztere setzt aber voraus, dass die Bank einer der in Art. 13 Abs. 1 Unterabs. 1 Buchst. a bis c genannten Sorgfaltspflichten in einem konkreten Fall nicht nachkommen kann. Die Erfüllung der Sorgfaltspflichten muss somit in Bezug auf einen bestimmten Kunden unmöglich sein. Dies bestätigt die Systematik, da sich in Art. 14 Abs. 4 Unterabs. 1 a. E. betreffend die Verdachtsmeldung explizit die Formulierung „in Bezug auf den Kunden“ findet. Nach der Begründung zur Aufnahme dieser Regelung in die dritte Geldwäscherichtlinie 2005/60(39) sollte mit dem Vorschlag gewährleistet werden, dass die Geschäftsbeziehung zu einem Kunden beendet wird, wenn das Kundenidentifizierungsverfahren nicht zufriedenstellend zum Abschluss gebracht werden kann.(40)
76. Wie die Kommission bin ich daher der Ansicht, dass sich die streitige Maßnahme nicht auf Art. 14 Abs. 4 Unterabs. 1 der Richtlinie 2015/849 stützen lässt. Denn sie bezieht sich nicht auf einen bestimmten Kunden, sondern ordnet die streitigen Verpflichtungen pauschal für eine anhand allgemeiner Kriterien definierte Kundengruppe an.
77. Generell fügt sich diese Maßnahme nicht in das System der Sorgfaltspflichten gegenüber Kunden nach der Richtlinie 2015/849 ein. Denn auch die darin vorgesehenen verstärkten Sorgfaltspflichten verstärken den Umfang und die Art der Überwachung einer bestimmten Geschäftsbeziehung. Das gilt z. B. für die Ermittlung der Herkunft der Vermögenswerte, die im Rahmen der Geschäftsbeziehung oder der Transaktion eingesetzt werden. Die Anwendung dieser Sorgfaltspflichten setzt also stets die Feststellung eines höheren Risikos im Einzelfall voraus.(41)
78. Zwar erlaubt die Richtlinie auch die Berücksichtigung geografischer Faktoren. So führt Nr. 3 Buchst. b des Anhangs III der Richtlinie „Drittländer, in denen Korruption oder andere kriminelle Tätigkeiten laut glaubwürdigen Quellen signifikant stark ausgeprägt sind“, als einen Faktor für ein höheres Risiko an.(42) Die streitige Beschränkung erfasst zumindest potenziell Kunden aus solchen Ländern.
79. Allerdings schließt sie zwangsläufig auch Gebiete anderer Mitgliedstaaten ein, die sich nach der Konzeption der Richtlinie in einem geografischen Gebiet mit geringerem Risiko befinden (Anhang II Nr. 1 Buchst. c in Verbindung mit Nr. 3 Buchst. a der Richtlinie).
80. Die Kernfrage bleibt daher, ob eine Maßnahme, die durch das weite Kriterium der „fehlenden Verbindung“ zu Lettland auch Kunden betreffen kann, von denen nach der Richtlinie 2015/849 a priori keine erhöhte Gefahr für die Geldwäsche oder die Terrorismusfinanzierung ausgehen sollte, noch als erforderlich anzusehen ist.
81. Vorliegend wurden nach dem Vortrag der lettischen Regierung in der Vergangenheit bereits mildere Maßnahmen angeordnet, doch sie waren nicht hinreichend wirksam, um den festgestellten Risiken entgegenzuwirken. Dies zu überprüfen ist Aufgabe des vorlegenden Gerichts.
82. Nach der Systematik der Richtlinie 2015/849 wäre die nächste Stufe im Fall der schwerwiegenden, wiederholten oder systematischen Nichterfüllung von Sorgfaltspflichten gegenüber Kunden die Anordnung von verwaltungsrechtlichen Sanktionen nach ihrem Art. 59 Abs. 1.
83. Dabei haben die Mitgliedstaaten einen großen Spielraum. Sie können ein höheres Schutzniveau als das vom Unionsgesetzgeber gewählte festlegen, andere als die in dieser Richtlinie vorgesehenen Sorgfaltspflichten gegenüber Kunden zulassen oder vorschreiben oder im Rahmen des ihnen eingeräumten Ermessensspielraums andere Situationen ermitteln, die ein hohes Risiko darstellen.(43) Aus Art. 59 Abs. 4 der Richtlinie ergibt sich ferner, dass weitere Arten von verwaltungsrechtlichen Sanktionen als die in diesem Artikel genannten zulässig sind.
84. Nach Art. 59 Abs. 2 Buchst. c kommt auch der Entzug oder die Aussetzung der Zulassung bei Verpflichteten, die einer Zulassungspflicht unterliegen, in Betracht.
85. Demgegenüber erscheint die Untersagung bzw. die Verpflichtung zum Abbruch von Geschäftsbeziehungen mit Kunden ohne Verbindung zu Lettland als das mildere Mittel.
86. Zudem haben sowohl die Kommission als auch die lettische Regierung in der mündlichen Verhandlung bestätigt, dass Finanzinstitute in Lettland besonders häufig mit dem Risiko der Geldwäsche konfrontiert sind. Die lettische Regierung hat darauf hingewiesen, dass die Republik Lettland aufgrund dieser Umstände von der Möglichkeit der Schaffung weiterer Maßnahmen Gebrauch gemacht hat.
87. Die Situation zeichnet sich somit nach den Informationen, die dem Gerichtshof zur Verfügung stehen, dadurch aus, dass besondere Risikofaktoren festgestellt wurden und der Entzug der Lizenz der betroffenen Bank droht. Ein milderes, gleich wirksames Mittel scheint nicht ersichtlich, was das vorlegende Gericht nachzuprüfen hat. Mit dieser Maßgabe halte ich eine derartige zeitweilige Unterbindung der Geschäftsbeziehungen mit Kunden ohne Verbindung zum Mitgliedstaat der Finanzaufsicht für erforderlich.(44)
4. Zur Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne
88. Neben der Geeignetheit und Erforderlichkeit ist schließlich noch die Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne zu prüfen.(45) Danach ist sicherzustellen, dass die Unterbindung von Geschäftsbeziehungen mit Kunden ohne Verbindung zu Lettland nicht zu einer übermäßigen Beeinträchtigung der berechtigten Interessen der PrivatBank und ihrer (potenziellen) Kunden führt. Dabei sind die Interessen der Bank und der betroffenen Kunden mit dem Ziel der Verhinderung der Geldwäsche und der Terrorismusfinanzierung in schonenden Ausgleich zu bringen.
89. Die lettische Aufsichtsbehörde hat den Abbruch bzw. die Nichtaufnahme von Geschäftsbeziehungen der PrivatBank mit den betroffenen Kunden nur für einen begrenzten Zeitraum angeordnet. Das Verbot der Aufnahme von Geschäftsbeziehungen galt erst ab Erlass des streitigen Beschlusses. Weiter mussten nur diejenigen Geschäftsbeziehungen abgebrochen werden, die nach Erlass dieses Beschlusses – und damit unter dessen Missachtung – aufgenommen worden waren. Beide Verpflichtungen galten darüber hinaus nur bis zur Umsetzung der weiteren Maßnahmen, die gleichzeitig angeordnet wurden und auf die Behebung der Missstände im Risikomanagement der Bank abzielten.(46) Diese zeitliche Einschränkung hatte disziplinierenden Charakter für die Bank, da sie selbst das Ende der Einschränkungen beeinflussen konnte. Nach Angaben der FKTK gelten sie mittlerweile nicht mehr.
90. Zudem steht die Intensität der Maßnahme zulasten der PrivatBank nicht außer Verhältnis zu dem angestrebten Ziel der Verhinderung der Geldwäsche und der Terrorismusfinanzierung. Zum einen konnte die Bank bestehende Geschäftsbeziehungen selbst zu Kunden ohne Verbindung zu Lettland mit einem hohen monatlichen Habenumsatzvolumen beibehalten, da das Verbot erst für nach Erlass des streitigen Beschlusses begründete Geschäftsbeziehungen galt. Zum anderen konnte die Bank neue Geschäftsbeziehungen zu Kunden ohne Bezug zu Lettland mit einem geringeren als dem in diesem Beschluss festgelegten Habenumsatzvolumen aufnehmen. Im Vergleich zu diesen Beschränkungen wäre der Entzug der Lizenz der Bank eine wesentlich intensivere Maßnahme, die die streitige Beschränkung gerade abwendet.(47)
91. Im Übrigen hat die PrivatBank die Risikolage, auf die die lettische Finanzaufsicht reagieren musste, selbst schuldhaft mitbegründet, indem sie nach den Feststellungen der FKTK über einen langen Zeitraum hinweg Verstöße gegen die Rechtsvorschriften zur Verhinderung der Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung begangen hat.(48)
92. Auch aus Sicht der Kunden überwiegen die mit der Unterbindung bestimmter Geschäftsbeziehungen verbundenen Nachteile nicht die Vorteile einer effektiven Geldwäschebekämpfung. Die Kapitalverkehrsfreiheit schützt zwar die freie Auswahl des Kreditinstituts, verleiht jedoch kein Recht auf Aufnahme von Geschäftsbeziehungen mit einer bestimmten Bank unabhängig von den konkreten Umständen.
5. Ergebnis zur dritten und zur vierten Frage
93. Nach alledem verstößt eine Unterbindung von Geschäftsbeziehungen mit Kunden, die keine Verbindung zu dem Mitgliedstaat haben, in dem eine Bank ihren Sitz hat, nicht gegen die Dienstleistungs- und die Kapitalverkehrsfreiheit, sofern diese Maßnahme im Hinblick auf das Ziel der Geldwäsche- und Terrorismusbekämpfung verhältnismäßig ist. Dies hat das vorlegende Gericht unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls zu beurteilen. Hierzu gehören insbesondere das ermittelte Geldwäscherisiko, die Rezidivität der Verstöße der Bank gegen die Vorschriften über die Geldwäscheprävention und die schon in der Vergangenheit erfolglos ergriffenen Maßnahmen sowie die Dauer der Beschränkung und ihre Intensität im Vergleich zu anderen gleich wirksamen Mitteln.
V. Ergebnis
94. Aufgrund der vorstehenden Erwägungen schlage ich dem Gerichtshof vor, auf die Vorlagefragen des Administratīvā apgabaltiesa (Regionales Verwaltungsgericht, Lettland) wie folgt zu antworten:
1. Darlehen und Finanzkredite sowie Kontokorrent- und Termingeschäfte mit Finanzinstitutionen wie Banken sind „Kapitalverkehr“ im Sinne von Art. 63 Abs. 1 AEUV.
2. Eine Anordnung, mit der die zuständige Behörde eines Mitgliedstaats einem bestimmten Kreditinstitut das Verbot der Begründung von Geschäftsbeziehungen und die Verpflichtung zur Beendigung von nach Erlass dieser Anordnung begründeten Geschäftsbeziehungen mit Personen auferlegt, die keine Verbindung zu diesem Mitgliedstaat aufweisen, beschränkt den freien Dienstleitungsverkehr im Sinne von Art. 56 Abs. 1 sowie den freien Kapitalverkehr im Sinne von Art. 63 Abs. 1 AEUV.
3. Eine solche Beschränkung kann durch das Ziel der Verhinderung der Geldwäsche und der Terrorismusfinanzierung gerechtfertigt sein und unter die Ausnahme nach Art. 65 Abs. 1 Buchst. b AEUV fallen. Das setzt voraus, dass die Bank mangels Verbindung der betreffenden Kunden zu dem betroffenen Mitgliedstaat ihren Sorgfaltspflichten nicht nachkommen kann und die Bestimmung der von der Maßnahme erfassten Kundengruppe dem festgestellten Geldwäscherisiko entspricht. Weiter muss der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit beachtet werden.
4. Bei der Verhältnismäßigkeitsprüfung sind insbesondere zu berücksichtigen:
– das ermittelte Geldwäscherisiko,
– die Rezidivität der Verstöße der Bank gegen die Vorschriften über die Geldwäscheprävention und die schon in der Vergangenheit erfolglos ergriffenen Maßnahmen,
– die Intensität und Dauer der Beschränkung.