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Rechtssache C‑290/04

FKP Scorpio Konzertproduktionen GmbH

gegen

Finanzamt Hamburg-Eimsbüttel

(Vorabentscheidungsersuchen des Bundesfinanzhofs)

„Artikel 59 EWG-Vertrag (später Artikel 59 EG-Vertrag und nach Änderung jetzt Artikel 49 EG) und Artikel 60 EWG-Vertrag (später Artikel 60 EG-Vertrag und jetzt Artikel 50 EG) – Steuerrecht – Einkommensteuer – Dienstleistungen eines Gebietsfremden im Rahmen von künstlerischen Darbietungen – Grundsatz des Steuerabzugs – Dienstleister, der nicht die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats besitzt“

Leitsätze des Urteils

1.        Freier Dienstleistungsverkehr – Beschränkungen – Steuerrecht

(EWG-Vertrag, Artikel 59 [später Artikel 59 EG-Vertrag und nach Änderung jetzt Artikel 49 EG] und Artikel 60 [später Artikel 60 EG-Vertrag und jetzt Artikel 50 EG])

2.        Freier Dienstleistungsverkehr – Beschränkungen – Steuerrecht

(EWG-Vertrag, Artikel 59 [später Artikel 59 EG-Vertrag und nach Änderung jetzt Artikel 49 EG] und Artikel 60 [später Artikel 60 EG-Vertrag und jetzt Artikel 50 EG])

3.        Freier Dienstleistungsverkehr – Beschränkungen – Steuerrecht

(EWG-Vertrag, Artikel 59 [später Artikel 59 EG-Vertrag und nach Änderung jetzt Artikel 49 EG] und Artikel 60 [später Artikel 60 EG-Vertrag und jetzt Artikel 50 EG])

4.        Freier Dienstleistungsverkehr – Bestimmungen des Vertrages – Persönlicher Anwendungsbereich

(EWG-Vertrag, Artikel 59 [später Artikel 59 EG-Vertrag und nach Änderung jetzt Artikel 49 EG])

1.        Die Artikel 59 EWG-Vertrag (später Artikel 59 EG-Vertrag und nach Änderung jetzt Artikel 49 EG) und Artikel 60 EWG-Vertrag (später Artikel 60 EG-Vertrag und jetzt Artikel 50 EG) sind dahin auszulegen, dass sie nationalen Rechtsvorschriften nicht entgegenstehen, nach denen auf die Vergütung eines Dienstleisters, der im Mitgliedstaat der Leistungserbringung nicht ansässig ist, ein Steuerabzugsverfahren Anwendung findet, während die Vergütung eines in diesem Mitgliedstaat ansässigen Dienstleisters diesem Verfahren nicht unterliegt, und die vorsehen, dass der Dienstleistungsempfänger in Haftung genommen wird, wenn er den Steuerabzug, zu dem er verpflichtet war, unterlassen hat.

Zwar können solche Rechtsvorschriften Dienstleistungsempfänger davon abhalten, in anderen Mitgliedstaaten ansässige Dienstleister in Anspruch zu nehmen, und somit eine nach den Artikeln 59 und 60 EWG-Vertrag grundsätzlich verbotene Beschränkung des freien Dienstleistungsverkehrs darstellen.

Sie sind jedoch durch die Notwendigkeit gerechtfertigt, die Effizienz der Beitreibung der Einkommensteuer zu gewährleisten. Das Steuerabzugsverfahren und die seiner Durchsetzung dienende Haftungsregelung stellen nämlich, wenn es keine Gemeinschaftsrichtlinie oder andere Regelung über die gegenseitige Amtshilfe zur Beitreibung steuerlicher Forderung gibt, ein legitimes und geeignetes Mittel dar, um die steuerliche Erfassung der Einkünfte einer außerhalb des Besteuerungsstaats ansässigen Person sicherzustellen und um zu verhindern, dass die betreffenden Einkünfte sowohl im Wohnsitzstaat als auch im Staat der Leistungserbringung unversteuert bleiben. Im Übrigen stellen der Steuerabzug und die unmittelbar aus dieser Art der Einkommensteuererhebung folgende eventuelle Haftung des zu einem solchen Abzug verpflichteten Dienstleistungsempfängers, die es erlaubt, das Unterlassen eines solchen Abzugs gegebenenfalls zu sanktionieren, verhältnismäßige Mittel zur Beitreibung steuerlicher Forderungen des Besteuerungsstaats dar.

(vgl. Randnrn. 33-39, Tenor 1)

2.        Die Artikel 59 EWG-Vertrag (später Artikel 59 EG-Vertrag und nach Änderung jetzt Artikel 49 EG) und Artikel 60 EWG-Vertrag (später Artikel 60 EG-Vertrag und jetzt Artikel 50 EG) sind dahin auszulegen, dass sie nationalen Rechtsvorschriften entgegenstehen, nach denen der Dienstleistungsempfänger, der Schuldner der an einen gebietsfremden Dienstleister zu zahlenden Vergütung ist, im Steuerabzugsverfahren die Betriebsausgaben, die der Dienstleister ihm mitgeteilt hat und die im unmittelbaren Zusammenhang mit dessen Tätigkeiten im Mitgliedstaat der Leistungserbringung stehen, nicht steuermindernd geltend machen kann, während bei einem gebietsansässigen Dienstleister nur die Nettoeinkünfte, d. h. die nach Abzug der Betriebsausgaben verbleibenden Einkünfte, der Steuer unterliegen.

Insoweit ist es ohne Bedeutung, dass es ein Verfahren gibt, in dem Betriebsausgaben eines gebietsfremden Dienstleisters nachträglich berücksichtigt werden können. Da ein solches Verfahren nämlich zusätzliche administrative und wirtschaftliche Belastungen verursacht und für den Dienstleister zwingend vorgeschrieben ist, stellen die streitigen Steuervorschriften eine nach den Artikeln 59 und 60 EWG-Vertrag grundsätzlich verbotene Beschränkung des freien Dienstleistungsverkehrs dar.

Dagegen stehen die genannten Artikel einer nationalen Regelung nicht entgegen, die vorsieht, dass im Steuerabzugsverfahren nur diejenigen Betriebsausgaben steuermindernd berücksichtigt werden, die im unmittelbaren Zusammenhang mit solchen Tätigkeiten stehen, aus denen die zu versteuernden Einkünfte erzielt worden sind, die in dem Mitgliedstaat der Dienstleistungserbringung ausgeführt worden sind und die der in einem anderen Mitgliedstaat ansässige Dienstleister dem Vergütungsschuldner mitgeteilt hat, und dass Betriebsausgaben, die nicht unmittelbar mit dieser wirtschaftlichen Tätigkeit zusammenhängen, gegebenenfalls in einem anschließenden Erstattungsverfahren berücksichtigt werden können.

(vgl. Randnr. 46-47, 49, 52, Tenor 2)

3.        Die Artikel 59 EWG-Vertrag (später Artikel 59 EG-Vertrag und nach Änderung jetzt Artikel 49 EG) und Artikel 60 EWG-Vertrag (später Artikel 60 EG-Vertrag und jetzt Artikel 50 EG) verbieten es nicht, dass die Steuerbefreiung, die einem gebietsfremden Dienstleister, der in Deutschland tätig geworden ist, nach dem zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Königreich der Niederlande geschlossenen Abkommen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung zusteht, vom Vergütungsschuldner im Rahmen eines Steuerabzugsverfahrens oder in einem späteren Freistellungs- oder Erstattungsverfahren oder in einem gegen den Vergütungsschuldner eingeleiteten Haftungsverfahren nur dann Berücksichtigung finden kann, wenn von der zuständigen Steuerbehörde eine Freistellungsbescheinigung erteilt worden ist, der zufolge die Voraussetzungen hierfür nach diesem Besteuerungsabkommen erfüllt sind.

Zwar stellt eine solche Maßnahme eine Beschränkung des durch die Artikel 59 und 60 EWG-Vertrag gewährleisteten freien Dienstleistungsverkehrs dar. Diese ist jedoch im Hinblick auf die Gewährleistung des ordnungsgemäßen Funktionierens des Steuerabzugsverfahrens gerechtfertigt. Wichtig ist nämlich, dass der Vergütungsschuldner nur dann von der Einbehaltung der Steuer entbunden wird, wenn er die Sicherheit hat, dass der Dienstleister die Voraussetzungen für eine Steuerbefreiung erfüllt. Dem Vergütungsschuldner kann aber nicht zugemutet werden, selbst die Frage zu klären, ob in jedem Einzelfall die betreffenden Einkünfte aufgrund eines Doppelbesteuerungsabkommens steuerfrei sind oder nicht. Würde dem Vergütungsschuldner gestattet, sich einseitig vom Steuerabzug zu befreien, könnte dies schließlich, wenn er sich irrt, die Erhebung der Steuer beim Vergütungsgläubiger gefährden.

(vgl. Randnrn. 58-61, Tenor 2)

4.        Artikel 59 EWG-Vertrag (später Artikel 59 EG-Vertrag und nach Änderung jetzt Artikel 49 EG) ist dahin auszulegen, dass er nicht zugunsten eines Dienstleisters anwendbar ist, der die Staatsangehörigkeit eines Drittstaats besitzt.

Nach dem EWG-Vertrag finden – da der Rat von der Möglichkeit des Artikels 59 Absatz 2 EWG-Vertrag keinen Gebrauch gemacht hat – die Vorschriften über den freien Dienstleistungsverkehr Anwendung, wenn folgende Voraussetzungen erfüllt sind. Zum einen muss die Dienstleistung innerhalb der Gemeinschaft erbracht werden, und zum anderen muss der Dienstleister die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats besitzen und in einem Land der Gemeinschaft ansässig sein. Daraus folgt, dass der EWG-Vertrag die Anwendung dieser Vorschriften nicht auf Dienstleister erstreckt, die Staatsangehörige eines Drittstaats sind, selbst wenn sie innerhalb der Gemeinschaft ansässig sind und es sich um eine innergemeinschaftliche Dienstleistung handelt.

(vgl. Randnrn. 67-69, Tenor 3)