Language of document : ECLI:EU:C:2023:1023

URTEIL DES GERICHTSHOFS (Dritte Kammer)

21. Dezember 2023(*)

„Vorlage zur Vorabentscheidung – Rechtsangleichung – Umwelt – Richtlinie 94/62/EG – Verpackungen und Verpackungsabfälle – Richtlinie 98/34/EG – Informationsverfahren auf dem Gebiet der Normen und technischen Vorschriften und der Vorschriften für die Dienste der Informationsgesellschaft – Pflicht der Mitgliedstaaten, der Europäischen Kommission jeden Entwurf einer technischen Vorschrift mitzuteilen – Nationale Regelung, die restriktivere technische Vorschriften vorsieht als die Regelung der Europäischen Union“

In der Rechtssache C‑86/22

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Tribunale amministrativo regionale per il Lazio (Regionales Verwaltungsgericht Latium, Italien) mit Entscheidung vom 7. Februar 2022, beim Gerichtshof eingegangen am 9. Februar 2022, in dem Verfahren

Papier Mettler Italia Srl

gegen

Ministero della Transizione Ecologica,

Ministero dello Sviluppo Economico,

Beteiligte:

Associazione Italiana delle Bioplastiche e dei Materiali Biodegradabili e Compostabili – Assobioplastiche,

erlässt

DER GERICHTSHOF (Dritte Kammer)

unter Mitwirkung der Kammerpräsidentin K. Jürimäe sowie der Richter N. Piçarra, M. Safjan, N. Jääskinen und M. Gavalec (Berichterstatter),

Generalanwalt: M. Campos Sánchez-Bordona,

Kanzler: C. Di Bella, Verwaltungsrat,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 22. März 2023,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

–        der Papier Mettler Italia Srl, vertreten durch V. Cannizzaro, Avvocato,

–        der Associazione Italiana delle Bioplastiche e dei Materiali Biodegradabili e Compostabili – Assobioplastiche, vertreten durch G. Belotti, F. De Leonardis und S. Micono, Avvocati,

–        der italienischen Regierung, vertreten durch G. Palmieri als Bevollmächtigte im Beistand von M. Cherubini und G. Palatiello, Avvocati dello Stato,

–        der Europäischen Kommission, vertreten durch M. Escobar Gómez, G. Gattinara und L. Haasbeek als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 25. Mai 2023

folgendes

Urteil

1        Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Art. 1, 2, 9, 16 und 18 der Richtlinie 94/62/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Dezember 1994 über Verpackungen und Verpackungsabfälle (ABl. 1994, L 365, S. 10) in der durch die Richtlinie 2013/2/EU der Kommission vom 7. Februar 2013 (ABl. 2013, L 37, S. 10) geänderten Fassung (im Folgenden: Richtlinie 94/62) und von Art. 8 der Richtlinie 98/34/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Juni 1998 über ein Informationsverfahren auf dem Gebiet der Normen und technischen Vorschriften und der Vorschriften für die Dienste der Informationsgesellschaft (ABl. 1998, L 204, S. 37) in der durch die Verordnung (EU) Nr. 1025/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. Oktober 2012 (ABl. 2012, L 316, S. 12) geänderten Fassung (im Folgenden: Richtlinie 98/34) sowie von Art. 114 Abs. 5 und 6 AEUV.

2        Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Papier Mettler Italia Srl auf der einen Seite und dem Ministero della Transizione Ecologica (Ministerium für die ökologische Wende, Italien) (im Folgenden: Umweltministerium) sowie dem Ministero dello Sviluppo Economico (Ministerium für wirtschaftliche Entwicklung, Italien) auf der anderen Seite über zum einen die Rechtmäßigkeit eines Dekrets, mit dem für die Vermarktung von Kunststofftragetaschen die Beachtung bestimmter technischer Merkmale vorgeschrieben wird, und zum anderen den Ersatz der Schäden, die durch den Erlass dieses Dekrets entstanden sein sollen.

 Rechtlicher Rahmen

 Unionsrecht

 Richtlinie 94/62

3        In den Erwägungsgründen 1, 2, 4, 7 und 33 der Richtlinie 94/62 heißt es:

„Die unterschiedlichen Maßnahmen der Mitgliedstaaten im Bereich der Verpackungen und der Verpackungsabfallbewirtschaftung sind zu harmonisieren, um einerseits Auswirkungen dieser Abfälle auf die Umwelt zu vermeiden oder solche Auswirkungen zu verringern und so ein hohes Umweltschutzniveau sicherzustellen und andererseits das Funktionieren des Binnenmarkts zu gewährleisten und zu verhindern, dass es in der [Europäischen] Gemeinschaft zu Handelshemmnissen und Wettbewerbsverzerrungen und ‑beschränkungen kommt.

Die beste Art, Verpackungsabfall zu vermeiden, ist die Verringerung der Gesamtmenge an Verpackungen.

Die Verringerung der Abfallmengen ist eine unabdingbare Voraussetzung für das ausdrücklich im Vertrag über die Europäische Union genannte beständige Wachstum.

Entsprechend der in der Entschließung des Rates vom 7. Mai 1990 über die Abfallpolitik [(ABl. 1990, C 122, S. 2)] enthaltenen Gemeinschaftsstrategie für die Abfallbewirtschaftung sowie der Richtlinie 75/442/EWG des Rates vom 15. Juli 1975 über Abfälle [(ABl. 1975, L 194, S. 39)] umfasst die Verpackungs- und die Verpackungsabfallwirtschaft als erste Priorität die Vermeidung von Verpackungsabfall und als weitere Hauptprinzipien die Wiederverwendung der Verpackungen, die stoffliche Verwertung und die anderen Formen der Verwertung der Verpackungsabfälle sowie als Folge daraus eine Verringerung der einer endgültigen Beseitigung zuzuführenden Abfälle.

Unbeschadet der Richtlinie 83/189/EWG des Rates vom 28. März 1983 über ein Informationsverfahren auf dem Gebiet der Normen und technischen Vorschriften [(ABl. 1983, L 109, S. 8)] sollten die Mitgliedstaaten die Entwürfe der von ihnen geplanten Maßnahmen vor ihrer Annahme der Kommission vorlegen, damit ermittelt werden kann, ob sie dieser Richtlinie entsprechen.“

4        Art. 1 („Ziele“) der Richtlinie 94/62 bestimmt:

„(1)      Diese Richtlinie bezweckt, die Vorschriften der Mitgliedstaaten im Bereich der Verpackungs- und der Verpackungsabfallwirtschaft zu harmonisieren, um einerseits Auswirkungen dieser Abfälle in allen Mitgliedstaaten sowie in dritten Ländern auf die Umwelt zu vermeiden bzw. diese Auswirkungen zu verringern und so ein hohes Umweltschutzniveau sicherzustellen und andererseits das Funktionieren des Binnenmarktes zu gewährleisten und zu verhindern, dass es in der Gemeinschaft zu Handelshemmnissen und Wettbewerbsverzerrungen und ‑beschränkungen kommt.

(2)      Hierzu werden in dieser Richtlinie Maßnahmen vorgeschrieben, die auf Folgendes abzielen: Erste Priorität ist die Vermeidung von Verpackungsabfällen; weitere Hauptprinzipien sind die Wiederverwendung der Verpackungen, das Recycling und die anderen Formen der Verwertung der Verpackungsabfälle sowie als Folge daraus eine Verringerung der endgültigen Beseitigung der Abfälle, um einen Beitrag zum Übergang zu einer Kreislaufwirtschaft zu leisten.“

5        In Art. 2 („Geltungsbereich“) der Richtlinie 94/62 heißt es:

„(1)      Diese Richtlinie gilt für alle in der Gemeinschaft in Verkehr gebrachten Verpackungen und alle Verpackungsabfälle, unabhängig davon, ob sie in der Industrie, im Handel, in der Verwaltung, im Gewerbe, im Dienstleistungsbereich, in Haushalten oder anderswo anfallen, unabhängig von den Materialien, aus denen sie bestehen.

…“

6        Mit der Richtlinie (EU) 2015/720 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2015 zur Änderung der Richtlinie 94/62/EG betreffend die Verringerung des Verbrauchs von leichten Kunststofftragetaschen (ABl. 2015, L 115, S. 11) wurden in Art. 3 („Begriffsbestimmungen“) der Richtlinie 94/62 die Nrn. 1b und 1c eingefügt, die bestimmen:

„Im Sinne dieser Richtlinie bezeichnet der Ausdruck

1b.      ‚Kunststofftragetaschen‘ Tragetaschen mit oder ohne Tragegriff aus Kunststoff, die den Verbrauchern in der Verkaufsstelle der Waren oder Produkte angeboten werden;

1c.      ‚leichte Kunststofftragetaschen‘ Kunststofftragetaschen mit einer Wandstärke unter 50 [Mikrometern]“.

7        Mit der Richtlinie 2015/720 wurden außerdem in Art. 4 („Abfallvermeidung“) der Richtlinie 94/62 die Abs. 1a und 1b eingefügt, die bestimmen:

„(1a)      Die Mitgliedstaaten treffen Maßnahmen, um eine dauerhafte Verringerung des Verbrauchs an leichten Kunststofftragetaschen in ihrem Hoheitsgebiet zu erreichen.

Diese Maßnahmen können die Festlegung nationaler Verringerungsziele, die Beibehaltung oder Einführung wirtschaftlicher Instrumente und Marktbeschränkungen unter Abweichung von Artikel 18 umfassen, sofern diese Beschränkungen verhältnismäßig und nichtdiskriminierend sind.

Diese Maßnahmen können abhängig von den Umweltauswirkungen von leichten Kunststofftragetaschen nach ihrer Verwertung oder Entsorgung, ihren Kompostierungseigenschaften, ihrer Haltbarkeit oder ihrem spezifischen Verwendungszweck variieren.

Die Mitgliedstaaten ergreifen eine oder beide der folgenden Maßnahmen:

a)      der Erlass von Maßnahmen, durch die sichergestellt wird, dass der jährliche Verbrauch an leichten Kunststofftragetaschen pro Person bis 31. Dezember 2019 höchstens 90 und bis 31. Dezember 2025 höchstens 40 beträgt, oder gleichwertige Zielvorgaben in Gewicht ausgedrückt nicht überschreitet. Sehr leichte Kunststofftragetaschen können von den nationalen Verbrauchszielen ausgenommen werden;

b)      der Erlass von Instrumenten, durch die sichergestellt wird, dass leichte Kunststofftragetaschen in Verkaufsstellen von Waren oder Produkten spätestens bis 31. Dezember 2018 nicht unentgeltlich zur Verfügung gestellt werden, sofern keine gleichermaßen wirksamen Instrumente eingesetzt werden. Sehr leichte Kunststofftragetaschen können von diesen Maßnahmen ausgenommen werden.

(1b)      Unbeschadet des Artikels 15 können die Mitgliedstaaten in Bezug auf sämtliche Arten von Kunststofftragetaschen ungeachtet ihrer Wanddicke Maßnahmen wie den Einsatz von wirtschaftlichen Instrumenten oder nationale Verringerungsziele ergreifen.“

8        Art. 9 („Grundlegende Anforderungen“) der Richtlinie 94/62 sieht vor:

„(1)      Die Mitgliedstaaten gewährleisten drei Jahre nach Inkrafttreten dieser Richtlinie, dass nur Verpackungen in den Verkehr gebracht werden dürfen, die alle grundlegenden Anforderungen dieser Richtlinie einschließlich des Anhangs II erfüllen.

…“

9        In Art. 16 („Notifizierung“) der Richtlinie 94/62 bestimmt:

„(1)      Unbeschadet der Richtlinie 83/189/EWG teilen die Mitgliedstaaten die Entwürfe der von ihnen im Rahmen der vorliegenden Richtlinie geplanten Maßnahmen – mit Ausnahme steuerlicher Maßnahmen, jedoch einschließlich technischer Spezifikationen, die in der Absicht, die Betreffenden zur Einhaltung dieser Spezifikationen zu bewegen, mit steuerlichen Maßnahmen verknüpft wurden – vor deren Verabschiedung der Kommission mit, damit diese sie unter jeweiliger Anwendung des in der obengenannten Richtlinie vorgesehenen Verfahrens auf ihre Übereinstimmung mit den bestehenden Vorschriften hin überprüfen kann.

(2)      Handelt es sich bei der beabsichtigten Maßnahme auch um eine technische Vorschrift im Sinne der Richtlinie 83/189/EWG, so kann der betreffende Mitgliedstaat im Rahmen der Mitteilungsverfahren gemäß der vorliegenden Richtlinie darauf hinweisen, dass die Mitteilung auch für die Richtlinie 83/189/EWG gilt.“

10      Art. 18 („Freiheit des Inverkehrbringens“) der Richtlinie 94/62 lautet:

„Die Mitgliedstaaten dürfen in ihrem Hoheitsgebiet das Inverkehrbringen von Verpackungen, die dieser Richtlinie entsprechen, nicht verbieten.“

11      In Anhang II („Grundlegende Anforderungen an die Zusammensetzung, die Wiederverwendbarkeit und Verwertbarkeit, einschließlich stofflicher Verwertbarkeit, von Verpackungen“) der Richtlinie 94/62 heißt es:

„1.      Anforderungen an die Herstellung und Zusammensetzung von Verpackungen

–        Verpackungen sind so herzustellen, dass das Verpackungsvolumen und ‑gewicht auf das Mindestmaß begrenzt werden, das zur Erhaltung der erforderlichen Sicherheit und Hygiene des verpackten Produkts und zu dessen Akzeptanz für den Verbraucher angemessen ist.

–        Verpackungen sind so auszulegen, zu fertigen und zu vertreiben, dass ihre Wiederverwendung oder ‑verwertung, einschließlich des Recyclings, im Einklang mit der Abfallhierarchie möglich ist und ihre Umweltauswirkungen bei der Beseitigung von Verpackungsabfällen oder von bei der Verpackungsabfallbewirtschaftung anfallenden Rückständen auf ein Mindestmaß beschränkt sind.

–        Verpackungen sind so herzustellen, dass schädliche und gefährliche Stoffe und Materialien in Verpackungen oder Verpackungsbestandteilen auf ein Mindestmaß beschränkt sind, was ihr Vorhandensein in Emissionen, Asche oder Sickerwasser betrifft, wenn die Verpackungen oder Rückstände aus der Entsorgung oder Verpackungsabfälle verbrannt oder deponiert werden.

2.      Anforderungen an die Wiederverwertbarkeit der Verpackung

Nachstehende Anforderungen müssen gleichzeitig erfüllt sein:

–        Die physikalischen Eigenschaften und Merkmale der Verpackung müssen unter den normalerweise vorhersehbaren Verwendungsbedingungen ein mehrmaliges Durchlaufen des Wirtschaftskreislaufs ermöglichen;

–        die gebrauchte Verpackung muss im Hinblick auf die Einhaltung der Gesundheits- und Sicherheitsbedingungen für die betroffenen Arbeitnehmer verarbeitet werden können;

–        die Anforderungen an die Verwertbarkeit der Verpackung nach Beendigung ihrer Verwendung, d. h. als Abfall, müssen erfüllt sein.

3.      Anforderungen an die Verwertbarkeit von Verpackungen

a)      Stoffliche Verwertung

Die Verpackungen müssen so gefertigt sein, dass ein bestimmter Gewichtsprozentsatz der verwendeten Materialien bei der Herstellung handelsfähiger Produkte stofflich verwertet werden kann, wobei die in der Gemeinschaft geltenden Normen einzuhalten sind. Die Festsetzung dieses Prozentsatzes kann je nach der Art des Materials, aus dem die Verpackung besteht, variieren.

b)      Verwertung in Form der energetischen Verwertung

Verpackungsabfälle, die zum Zwecke der energetischen Verwertung aufbereitet werden, müssen eine Mindestverbrennungswärme haben, die auch beim niedrigsten Wert eine optimale Energienutzung ermöglicht.

c)      Verwertung in Form der biologischen Verwertung

Zum Zwecke der biologischen Verwertung aufbereitete Verpackungsabfälle müssen separat sammelbar und so biologisch abbaubar sein, dass der Vorgang der biologischen Verwertung nicht beeinträchtigt wird.

d)      Biologisch abbaubare Verpackungen

Biologisch abbaubare Verpackungsabfälle müssen durch physikalische, chemische, wärmetechnische oder biologische Prozesse so zersetzt werden können, dass sich der Großteil des Endproduktes in Kohlendioxid, Biomasse und Wasser aufspaltet.“

 Richtlinie 98/34

12      Art. 1 Nr. 12 der Richtlinie 98/34, die durch die Richtlinie (EU) 2015/1535 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 9. September 2015 über ein Informationsverfahren auf dem Gebiet der technischen Vorschriften und der Vorschriften für die Dienste der Informationsgesellschaft (ABl. 2015, L 241, S. 1) aufgehoben wurde, in zeitlicher Hinsicht aber auf den Ausgangsrechtsstreit anwendbar bleibt, bestimmte:

„Für diese Richtlinie gelten folgende Begriffsbestimmungen:

12.      ‚Entwurf einer technischen Vorschrift‘: Wortlaut einer technischen Spezifikation oder einer sonstigen Vorschrift oder einer Vorschrift betreffend Dienste einschließlich Verwaltungsvorschriften, der ausgearbeitet worden ist, um diese als technische Vorschrift festzuschreiben oder letztlich festschreiben zu lassen, und der sich im Stadium der Ausarbeitung befindet, in dem noch wesentliche Änderungen möglich sind.“

13      Art. 8 Abs. 1 der Richtlinie 98/34 bestimmte:

„Vorbehaltlich des Artikels 10 übermitteln die Mitgliedstaaten der Kommission unverzüglich jeden Entwurf einer technischen Vorschrift, sofern es sich nicht um eine vollständige Übertragung einer internationalen oder europäischen Norm handelt; in diesem Fall reicht die Mitteilung aus, um welche Norm es sich handelt. Sie unterrichten die Kommission gleichzeitig in einer Mitteilung über die Gründe, die die Festlegung einer derartigen technischen Vorschrift erforderlich machen, es sei denn, die Gründe gehen bereits aus dem Entwurf hervor.

…“

14      Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie 98/34 lautete:

„Die Mitgliedstaaten nehmen den Entwurf einer technischen Vorschrift nicht vor Ablauf von drei Monaten nach Eingang der Mitteilung gemäß Artikel 8 Absatz 1 bei der Kommission an.“

 Italienisches Recht

15      Art. 1 Abs. 1129 und 1130 der Legge n. 296 – Disposizioni per la formazione del bilancio annuale e pluriennale dello Stato (Gesetz Nr. 296 zur Festlegung des Jahres- und Mehrjahreshaushalts des Staates) vom 27. Dezember 2006 (GURI Nr. 299 vom 27. Dezember 2006 – Supplemento ordinario Nr. 244) sah ein Vermarktungsverbot für nicht biologisch abbaubare Kunststofftragetaschen vor, das ab dem 1. Januar 2010 hätte angewandt werden müssen. Das Inkrafttreten dieses Verbots wurde jedoch bis zum Erlass des Decreto-legge n. 2 – Misure straordinarie e urgenti in materia ambientale (Gesetzesdekret Nr. 2 über außerordentliche Dringlichkeitsmaßnahmen in Umweltangelegenheiten) vom 25. Januar 2012 (GURI Nr. 20 vom 25. Januar 2012) (im Folgenden: Gesetzesdekret Nr. 2/2012) aufgeschoben. Art. 2 Abs. 1 dieses Gesetzesdekrets sah die Verlängerung der in Art. 1 Abs. 1130 des Gesetzes Nr. 296 vom 27. Dezember 2006 für das Inkrafttreten des genannten Verbots vorgesehenen Frist bis zum Erlass eines Dekrets durch das Umweltministerium und das Ministerium für wirtschaftliche Entwicklung vor.

16      Das Gesetzesdekret Nr. 2/2012 wurde durch die Legge n. 28 – Conversione in legge, con modificazioni, del decreto-legge 25 gennaio 2012, n. 2, recante misure straordinarie e urgenti in materia ambientale (Gesetz Nr. 28 zur Umwandlung und Änderung des Gesetzesdekrets Nr. 2 vom 25. Januar 2012 – Dringlichkeitsmaßnahmen in Umweltangelegenheiten) vom 24. März 2012 (GURI Nr. 71 vom 24. März 2012) mit Änderungen in ein Gesetz umgewandelt. In Art. 2 des Gesetzesdekrets Nr. 2/2012 hieß es:

„(1)      Die in Art. 1 Abs. 1130 des [Gesetzes Nr. 296 vom 27. Dezember 2006] für das Inkrafttreten des Verbots der Vermarktung von Tragetaschen vorgesehene Frist wird bis zum Erlass des in Abs. 2 genannten Dekrets nur für die Vermarktung von Einweg-Kunststofftragetaschen verlängert, die nach Bescheinigungen akkreditierter Stellen der harmonisierten Norm UNI EN 13432:2002 entsprechen, sowie von wiederverwendbaren und aus anderen Polymeren hergestellten Taschen, die einen nicht in der nutzbaren Größe der Tasche enthaltenen Tragegriff und eine Wandstärke von mehr als 200 Mikrometern haben, sofern sie für den Lebensmittelbereich bestimmt sind, und von 100 Mikrometern, sofern sie für andere Zwecke bestimmt sind, sowie von wiederverwendbaren und aus anderen Polymeren hergestellten Taschen, die einen in der nutzbaren Größe der Tasche enthaltenen Tragegriff und eine Wandstärke von mehr als 100 Mikrometern haben, sofern sie für den Lebensmittelbereich bestimmt sind, und von 60 Mikrometern, sofern sie für andere Zwecke bestimmt sind.

(2)      Unbeschadet der Bestimmungen von Abs. 1 können mit unterhalb der Verordnungsebene ergehendem Dekret, das von den [Ministern für Umwelt] und für wirtschaftliche Entwicklung nach Anhörung der zuständigen parlamentarischen Ausschüsse erlassen wird, gemäß dem Unionsrecht mitgeteilt wird und bis zum 31. Dezember 2012 zu erlassen ist, in Einklang mit der Normenhierarchie der für die Abfallbehandlung … zu ergreifenden Maßnahmen etwaige ergänzende technische Merkmale für die Zwecke ihrer Vermarktung festgelegt werden, und zwar auch durch Festlegung von Formen zur Förderung der Umstellung bestehender Anlagen sowie jedenfalls der Modalitäten der Unterrichtung der Verbraucher, ohne neue oder größere Belastungen der öffentlichen Finanzen zu verursachen.“

17      Art. 1 („Begriffsbestimmungen“) des Decreto ministeriale n. 73 – Individuazione delle caratteristiche tecniche dei sacchi per l’asporto delle merci (Ministerialdekret Nr. 73 zur Festlegung der technischen Merkmale von Einwegtaschen) vom 18. März 2013 (GURI Nr. 73 vom 27. März 2013) (im Folgenden: im Ausgangsverfahren in Rede stehendes Dekret) sah vor:

„Im Sinne dieses Dekrets bedeutet

a)      Einwegtaschen: Einkaufstaschen für den Lebensmittelbereich und den Nicht-Lebensmittelbereich, die dem Verbraucher kostenlos oder kostenpflichtig in der Verkaufsstelle zur Verfügung gestellt werden.

…“

18      In Art. 2 („Inverkehrbringen“) des im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Dekrets hieß es:

„(1)      Das Inverkehrbringen von Einkaufstaschen folgender Kategorien ist zulässig:

a)      biologisch abbaubare und kompostierbare Einwegtaschen, die der harmonisierten Norm UNI EN 13432:2002 entsprechen;

b)      wiederverwendbare Tragetaschen, die aus nicht unter den Buchst. a fallenden Polymeren bestehen und einen nicht in der nutzbaren Größe der Tasche enthaltenen Tragegriff haben:

b.1)      Taschen mit einer Wandstärke von mehr als 200 Mikrometern und einem Anteil an recyceltem Kunststoff von mindestens 30 Prozent, sofern sie für den Lebensmittelbereich bestimmt sind;

b.2)      Taschen mit einer Wandstärke von mehr als 100 Mikrometern und einem Anteil an recyceltem Kunststoff von mindestens 10 Prozent, sofern sie nicht für den Lebensmittelbereich bestimmt sind;

c)      wiederverwendbare Tragetaschen, die aus nicht unter den Buchst. a fallenden Polymeren bestehen und einen in der nutzbaren Größe der Tasche enthaltenen Tragegriff haben:

c.1)      Taschen mit einer Wandstärke von mehr als 100 Mikrometern und einem Anteil an recyceltem Kunststoff von mindestens 30 Prozent, sofern sie für den Lebensmittelbereich bestimmt sind;

c.2)      Taschen mit einer Wandstärke von mehr als 60 Mikrometern und einem Anteil an recyceltem Kunststoff von mindestens 10 Prozent, sofern sie nicht für den Lebensmittelbereich bestimmt sind.

…“

19      Art. 6 des Dekrets sah vor:

„Die vorliegende Verordnung unterliegt dem Kommunikationsverfahren gemäß Richtlinie [98/34] des Europäischen Parlaments und des Rates und tritt nach erfolgreichem Abschluss des Verfahrens in Kraft.“

 Ausgangsrechtsstreit und Vorlagefragen

20      Papier Mettler Italia ist eine im Vertrieb von Verpackungen und Aufmachungen aus Papier und Kunststoff tätige Gesellschaft. Sie hat ihre Tätigkeit auf die Entwicklung und Herstellung von Polyäthylenverpackungen – insbesondere Kunststofftaschen wie Einkaufstaschen – konzentriert.

21      Das Umweltministerium und das Ministerium für wirtschaftliche Entwicklung verabschiedeten am 18. März 2013 das im Ausgangsverfahren in Rede stehende Dekret, das die Herstellung und Vermarktung von Kunststofftragetaschen verbietet, die bestimmte, in dem Dekret detailliert aufgeführte Anforderungen nicht erfüllen. Im Einzelnen beschränkte Art. 2 des Dekrets das Inverkehrbringen zum einen auf biologisch abbaubare, kompostierbare und der Norm UNI EN 13432:2002 entsprechende Einweg-Kunststofftragetaschen und zum anderen auf wiederverwendbare Kunststofftaschen mit einer bestimmten Wandstärke, die je nach deren Form und Bestimmung für den Lebensmittelbereich variiert.

22      Papier Mettler Italia erhob beim Tribunale amministrativo regionale per il Lazio (Regionales Verwaltungsgericht Latium, Italien), dem vorlegenden Gericht, Klage auf Nichtigerklärung des genannten Dekrets und auf Verurteilung der Verwaltung zum Ersatz des gesamten durch den Erlass dieses Dekrets verursachten Schadens.

23      Papier Mettler Italia stützt diese Klage im Wesentlichen darauf, dass das im Ausgangsverfahren in Rede stehende Dekret aus mehreren Gründen rechtswidrig sei. Als Erstes hätten die italienischen Behörden aus drei Gründen gegen ihre Pflicht verstoßen, der Kommission den Entwurf des Dekrets mitzuteilen. Erstens hätten die Behörden in Anbetracht dessen, dass dieses Dekret technische Vorschriften im Sinne der Richtlinie 98/34 enthalte, gegen ihre in Art. 8 Abs. 1 der Richtlinie vorgesehene Pflicht zur vorherigen Übermittlung des Entwurfs technischer Vorschriften verstoßen. Zweitens hätten die Behörden gegen ihre Pflicht verstoßen, der Kommission den Entwurf der Maßnahmen vorab mitzuteilen, die sie gemäß Art. 16 der Richtlinie 94/62 zu erlassen beabsichtigt hätten. Drittens hätten diese Behörden auch gegen Art. 114 Abs. 5 AEUV verstoßen, da sie der Kommission nicht die Maßnahmen mitgeteilt hätten, die sie zu Umweltschutzzwecken zu erlassen beabsichtigt hätten.

24      Als Zweites macht Papier Mettler Italia geltend, dass das im Ausgangsverfahren in Rede stehende Dekret gegen die Art. 1, 9 und 18 der Richtlinie 94/62 in der durch den Anhang II ergänzten Fassung verstoße, da dieses Dekret ein Verbot des Inverkehrbringens von Verpackungen einführe, die gleichwohl eine der in Anhang II Nr. 3 aufgestellten Verwertungsbedingungen erfüllten. Papier Mettler Italia macht weiter geltend, dass selbst unter der Annahme, dass mit dem Erlass dieses Dekrets Vorschriften des Gesetzesdekrets Nr. 2/2012, das ebenfalls gegen die Bestimmungen dieser Richtlinie verstoße, hätten präzisiert werden sollen, die italienischen Behörden das Unionsrecht dadurch nicht unmittelbar angewandt hätten, dass sie dieses Gesetzesdekret unangewendet gelassen hätten.

25      Als Drittes trägt Papier Mettler Italia schließlich vor, dass das im Ausgangsverfahren in Rede stehende Dekret insoweit ein Hindernis für den freien Verkehr von Kunststofftragetaschen darstelle, als es verlange, dass alle in Italien verkauften Kunststofftragetaschen zwingend Angaben in italienischer Sprache zur Information der Verbraucher über ihre Eigenschaften aufweisen müssten.

26      Das Umweltministerium und das Ministerium für wirtschaftliche Entwicklung entgegnen, dass es zur Erreichung des Ziels, den italienischen Verbraucher dazu zu bringen, mit der Gewohnheit der Verwendung von Einweg-Kunststofftragetaschen zur Sammlung organischer Abfälle zu brechen, erforderlich gewesen sei, durch die in dem im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Dekret vorgesehenen technischen Vorschriften die Verwendung biologisch abbaubarer und kompostierbarer Kunststofftragetaschen sowie die Verwendung wiederverwendbarer Tragetaschen zu fördern.

27      Sodann sei der Entwurf des Dekrets gemäß den Anforderungen der Richtlinie 94/62 und der Richtlinie 98/34 übermittelt worden, da diese Mitteilung am 12. März 2013 erfolgt sei, bevor der Entwurf am 27. März 2013 in der Gazzetta ufficiale della Repubblica italiana veröffentlicht worden sei. Art. 6 des im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Dekrets habe dessen Inkrafttreten von der Voraussetzung abhängig gemacht, dass das nach der Richtlinie 98/34 bei der Kommission eingeleitete Verfahren erfolgreich abgeschlossen werde.

28      Ferner tragen die italienischen Behörden vor, dass der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gewahrt sei, da das durch die im Ausgangsverfahren in Rede stehende Regelung eingeführte Verbot insofern selektiv sei, als es nur Einweg-Kunststofftragetaschen betreffe, die eine Gefahr für die Umwelt darstellten. Daher enthalte das im Ausgangsverfahren in Rede stehende Dekret kein Verbot der Vermarktung jeglicher Kunststofftragetaschen, sondern die Erlaubnis der Vermarktung von biologisch abbaubaren, kompostierbaren und der harmonisierten Norm UNI EN 13432:2002 entsprechenden Kunststofftragetaschen, von herkömmlichen, eine bestimmte Wandstärke aufweisenden und damit wiederverwendbaren Kunststofftragetaschen sowie von wiederverwendbaren Tragetaschen, die aus anderen Materialien als Polymer bestünden, wie z. B. Papier, Natur- oder Polyamidfasern.

29      Schließlich weisen die italienischen Behörden darauf hin, dass die genannte Regelung nur die später auf Unionsebene erlassenen Umweltschutzmaßnahmen vorweggenommen habe.

30      Unter diesen Umständen hat das Tribunale amministrativo regionale per il Lazio (Regionales Verwaltungsgericht Latium) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

1.      Stehen Art. 114 Abs. 5 und 6 AEUV, Art. 16 Abs. 1 der Richtlinie 94/62 und Art. 8 der Richtlinie 98/34 der Anwendung einer nationalen Bestimmung wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Dekret vorgesehenen entgegen, die das Inverkehrbringen von Einwegtaschen, die aus biologisch nicht abbaubaren Materialien hergestellt sind, aber die übrigen Anforderungen der Richtlinie 94/62 erfüllen, verbietet, wenn der Mitgliedstaat diese nationale Bestimmung, die restriktivere technische Vorschriften als die Unionsvorschriften enthält, bei der Europäischen Kommission nicht zuvor angemeldet hat, sondern erst nach Erlass der Maßnahme und vor ihrer Bekanntmachung?

2.      Sind die Art. 1 und 2, Art. 9 Abs. 1 und Art. 18 der Richtlinie 94/62, ergänzt durch die Bestimmungen von Anhang II Nrn. 1 bis 3 der Richtlinie, dahin auszulegen, dass sie dem Erlass einer nationalen Vorschrift entgegenstehen, die das Inverkehrbringen von Einwegtaschen, die aus biologisch nicht abbaubaren Materialien hergestellt sind, aber die übrigen Anforderungen der Richtlinie 94/62 erfüllen, verbietet, oder lassen sich die in den nationalen Rechtsvorschriften vorgesehenen weiteren technischen Vorschriften mit dem Ziel rechtfertigen, ein höheres Umweltschutzniveau zu gewährleisten, wobei gegebenenfalls die besonderen Probleme bei der Abfallsammlung in dem Mitgliedstaat und die Notwendigkeit berücksichtigt werden, dass dieser Staat auch die in diesem Zusammenhang vorgesehenen unionsrechtlichen Pflichten erfüllt?

3.      Sind die Art. 1 und 2, Art. 9 Abs. 1 und Art. 18 der Richtlinie 94/62, ergänzt durch die Bestimmungen von Anhang II Nrn. 1 bis 3 der Richtlinie, dahin auszulegen, dass sie eine klare und genaue Regelung darstellen, mit der jedes Hindernis für das Inverkehrbringen von Beuteln, die den Anforderungen der Richtlinie entsprechen, verboten werden kann und die alle staatlichen Organe einschließlich der öffentlichen Verwaltungen dazu verpflichtet, ihr möglicherweise entgegenstehende nationale Rechtsvorschriften unangewendet zu lassen?

4.      Kann schließlich der Erlass einer nationalen Vorschrift, die das Inverkehrbringen von Einwegbeuteln, die aus biologisch nicht abbaubaren Materialien hergestellt sind, aber die Anforderungen der Richtlinie 94/62 erfüllen, verbietet, einen schwerwiegenden und offensichtlichen Verstoß gegen Art. 18 der Richtlinie 94/62 darstellen, wenn diese Vorschrift nicht durch das Ziel der Gewährleistung eines höheren Umweltschutzniveaus, durch besondere Probleme bei der Abfallsammlung in dem Mitgliedstaat und durch die Notwendigkeit, dass dieser Staat auch die in diesem Zusammenhang vorgesehenen unionsrechtlichen Pflichten erfüllt, gerechtfertigt ist?

 Zur Zulässigkeit des Vorabentscheidungsersuchens

31      Die Associazione Italiana delle Bioplastiche e dei Materiali Biodegradabili e Compostabili – Assobioplastiche (Italienischer Verband für Bioplastik und biologisch abbaubare und kompostierbare Materialien – Assobioplastiche, im Folgenden: AIB) und die italienische Regierung tragen im Wesentlichen vor, das Vorabentscheidungsersuchen sei unzulässig, weil das im Ausgangsverfahren in Rede stehende Dekret nie in Kraft getreten oder zumindest später aufgehoben worden sei, da das Mitteilungsverfahren nicht erfolgreich abgeschlossen worden sei.

32      Die AIB rügt die Unzulässigkeit des Vorabentscheidungsersuchens ferner damit, dass das vorlegende Gericht den in Art. 4 der Richtlinie 94/62 eingefügten Abs. 1a verkannt habe, da der Absatz speziell für Kunststofftragetaschen geltende Vorschriften enthalte.

33      Keiner dieser Gründe greift durch.

34      Insoweit ist nämlich darauf hinzuweisen, dass es allein Sache des nationalen Gerichts ist, das mit dem Rechtsstreit befasst ist und in dessen Verantwortungsbereich die zu erlassende Entscheidung fällt, anhand der Besonderheiten der Rechtssache sowohl die Erforderlichkeit einer Vorabentscheidung für den Erlass seines Urteils als auch die Erheblichkeit der Fragen zu beurteilen, die es dem Gerichtshof vorlegt. Daher ist der Gerichtshof grundsätzlich gehalten, über ihm vorgelegte Fragen zu befinden, wenn diese die Auslegung einer Vorschrift des Unionsrechts betreffen (Urteil vom 6. Oktober 2021, Sumal, C‑882/19, EU:C:2021:800, Rn. 27 und die dort angeführte Rechtsprechung).

35      Folglich gilt für Fragen, die das Unionsrecht betreffen, eine Vermutung der Entscheidungserheblichkeit. Der Gerichtshof kann die Beantwortung einer Vorlagefrage eines nationalen Gerichts nur ablehnen, wenn die erbetene Auslegung einer Vorschrift des Unionsrechts offensichtlich in keinem Zusammenhang mit den Gegebenheiten oder dem Gegenstand des Ausgangsrechtsstreits steht, wenn das Problem hypothetischer Natur ist oder wenn der Gerichtshof nicht über die tatsächlichen und rechtlichen Angaben verfügt, die für eine zweckdienliche Beantwortung der ihm vorgelegten Fragen erforderlich sind (Urteil vom 6. Oktober 2021, Sumal, C‑882/19, EU:C:2021:800, Rn. 28 und die dort angeführte Rechtsprechung).

36      Das ist vorliegend aber nicht der Fall. Wie aus der Vorlageentscheidung hervorgeht, hängt die Entscheidung des Ausgangsrechtsstreits von den Antworten ab, die der Gerichtshof auf die vier Vorlagefragen zu geben hat, da diese Antworten es dem vorlegenden Gericht ermöglichen, über die Haftungsklage von Papier Mettler Italia zu entscheiden, die einen entgangenen Gewinn geltend macht, der ihr durch die Einstellung des Verkaufs von Einwegtaschen entstanden sein soll, die aus nicht biologisch abbaubaren und nicht kompostierbaren Materialien hergestellt werden, aber die übrigen der in der Richtlinie 94/62 festgelegten Anforderungen erfüllen, nachdem das Verbot in Kraft getreten ist, das in dem im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Dekret vorgesehen ist.

37      Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass der Gerichtshof im Rahmen der Verteilung der Zuständigkeiten zwischen ihm und den nationalen Gerichten in Bezug auf den tatsächlichen und rechtlichen Kontext, in den sich die Vorlagefragen einfügen, von den Feststellungen des vorlegenden Gerichts auszugehen hat, so dass die Prüfung einer Vorlage zur Vorabentscheidung nicht anhand der von der Regierung eines Mitgliedstaats oder einer Partei des Ausgangsrechtsstreits vertretenen Beurteilung des nationalen Rechts erfolgen kann (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 15. April 2021, État belge [Nach der Überstellungsentscheidung eingetretene Umstände], C‑194/19, EU:C:2021:270, Rn. 26 und die dort angeführte Rechtsprechung).

38      Daher kann weder geltend gemacht werden, dass die erbetene Auslegung in keinem Zusammenhang mit den Gegebenheiten oder dem Gegenstand des Ausgangsrechtsstreits steht, noch, dass das vom vorlegenden Gericht aufgeworfene Problem hypothetischer Natur ist. Im Übrigen verfügt der Gerichtshof über die tatsächlichen und rechtlichen Angaben, die für eine zweckdienliche Beantwortung der ihm vorgelegten Fragen erforderlich sind.

39      Des Weiteren ist das Vorbringen der AIB, mit dem ein Verstoß gegen den in Art. 4 der Richtlinie 94/62 eingefügten Abs. 1a gerügt wird, zurückzuweisen, da dieser Absatz in zeitlicher Hinsicht auf den Sachverhalt des Ausgangsverfahrens nicht anwendbar ist. Dieser Absatz wurde nämlich durch die Richtlinie 2015/720 und damit zu einem nach diesem Sachverhalt liegenden Zeitpunkt eingefügt.

40      Folglich ist das Vorabentscheidungsersuchen zulässig.

 Zur Beantwortung der Vorlagefragen

 Zur ersten Frage

41      Mit seiner ersten Frage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob die Art. 8 und 9 der Richtlinie 98/34 sowie Art. 16 der Richtlinie 94/62 dahin auszulegen sind, dass sie dem Erlass einer nationalen Regelung entgegenstehen, die die Vermarktung von Einwegtaschen, die aus nicht biologisch abbaubaren und nicht kompostierbaren Materialien hergestellt sind, aber die übrigen Anforderungen der Richtlinie 94/62 erfüllen, verbietet, wenn diese Regelung der Kommission nur wenige Tage vor ihrem Erlass und ihrer Bekanntmachung übermittelt wurde.

42      Zunächst ist vorauszuschicken, dass im vorliegenden Fall Art. 2 des im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Dekrets, der die Herstellung und Vermarktung von Kunststofftragetaschen, die – wie in Rn. 21 des vorliegenden Urteils ausgeführt – bestimmte der darin im Einzelnen festgelegten Anforderungen nicht erfüllen, unstreitig eine „technische Vorschrift“ im Sinne von Art. 1 der Richtlinie 98/34 darstellt.

43      Nach dieser Vorbemerkung ist als Erstes darauf hinzuweisen, dass die Richtlinie 98/34 nach ständiger Rechtsprechung durch eine vorbeugende Kontrolle den freien Warenverkehr schützen soll, der zu den Grundlagen der Union gehört, und dass diese Kontrolle insofern sinnvoll ist, als unter die Richtlinie fallende technische Vorschriften möglicherweise Beschränkungen des Warenaustauschs zwischen Mitgliedstaaten darstellen, die nur zugelassen werden können, wenn sie notwendig sind, um zwingenden Erfordernissen zu genügen, mit denen ein im allgemeinen Interesse liegendes Ziel verfolgt wird (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 30. April 1996, CIA Security International, C‑194/94, EU:C:1996:172, Rn. 40 und 48, vom 8. September 2005, Lidl Italia, C‑303/04, EU:C:2005:528, Rn. 22, und vom 9. Juni 2011, Intercommunale Intermosane und Fédération de l’industrie et du gaz, C‑361/10, EU:C:2011:382, Rn. 10).

44      Desgleichen ergibt sich aus der ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofs, dass eine technische Vorschrift nicht angewandt werden darf, wenn sie nicht gemäß Art. 8 Abs. 1 der Richtlinie 98/34 mitgeteilt wurde oder wenn sie trotz Mitteilung vor Ablauf der in Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie vorgesehenen Stillhaltefrist von drei Monaten angenommen und durchgeführt wurde (Urteil vom 16. Juli 2015, UNIC und Uni.co.pel, C‑95/14, EU:C:2015:492, Rn. 29 und die dort angeführte Rechtsprechung).

45      Was insoweit erstens die Pflicht zur vorherigen Mitteilung nach Art. 8 Abs. 1 der Richtlinie 98/34 betrifft, ist festzustellen, dass nach dieser Bestimmung die Mitgliedstaaten der Kommission jeden „Entwurf einer technischen Vorschrift“ übermitteln, der in Art. 1 Nr. 12 der Richtlinie als „Vorschrift …, [die] sich im Stadium der Ausarbeitung befindet, in dem noch wesentliche Änderungen möglich sind“ definiert wird.

46      Aus der Vorlageentscheidung geht jedoch hervor, dass das im Ausgangsverfahren in Rede stehende Dekret der Kommission zunächst am 12. März 2013 gemäß Art. 8 der Richtlinie 98/34 mitgeteilt wurde. Das Dekret wurde dann am 18. März 2013 erlassen und schließlich am 27. März 2013 in der Gazzetta ufficiale della Repubblica italiana bekannt gemacht.

47      Folglich kann nicht angenommen werden, dass diese Mitteilung einen „Entwurf einer technischen Vorschrift“ im Sinne von Art. 1 Nr. 12 der Richtlinie 98/34 betraf, da diese Mitteilung – wie der Generalanwalt in Nr. 45 seiner Schlussanträge ausgeführt hat – keinen „Entwurf einer technischen Vorschrift“ im Sinne dieser Bestimmung betraf, sondern eine endgültige Fassung dieser Vorschrift, die sich in einem Stadium der Vorbereitung befand, in dem es also weder möglich war, wesentliche Änderungen vorzunehmen, noch, die Bemerkungen und die ausführlichen Stellungnahmen, die die Mitgliedstaaten nach dieser Mitteilung abgegeben haben, zu berücksichtigen.

48      Zweitens ist festzustellen, dass der Erlass des im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Dekrets innerhalb von sechs Tagen nach seiner Mitteilung an die Kommission auf der Grundlage von Art. 8 Abs. 1 der Richtlinie 98/34 auch gegen die Pflicht aus Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie verstößt, wonach die Mitgliedstaaten den „Entwurf einer technischen Vorschrift“ nicht vor Ablauf von drei Monaten nach Eingang der Mitteilung gemäß Art. 8 Abs. 1 der Richtlinie bei der Kommission annehmen dürfen.

49      In dieser Hinsicht ist festzustellen, dass die beiden Gründe, die die italienische Regierung angeführt hat, um den unter solchen Umständen erfolgenden Erlass des im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Dekrets zu rechtfertigen, nicht überzeugen können.

50      Zum einen ist insoweit, als die italienische Regierung vorträgt, dass sich das von dem im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Dekret betroffene Vermarktungsverbot auf die Wiedergabe einer Regelung beschränke, die der Kommission bereits am 5. April 2011 als „Gesetzentwurf über das Verbot der Vermarktung von nicht biologisch abbaubaren Tragetaschen“ mitgeteilt worden sei, in Übereinstimmung mit den Ausführungen des Generalanwalts in den Nrn. 49 und 50 seiner Schlussanträge festzustellen, dass die Mitteilung des betreffenden Entwurfs nicht als bloße Wiederholung der Mitteilung aus dem Jahr 2011 angesehen werden kann. Das im Ausgangsverfahren in Rede stehende Dekret enthält nämlich strengere technische Spezifikationen als die, die in dem am 5. April 2011 mitgeteilten Rechtsakt enthalten waren, so dass dieses Dekret nach Art. 8 Abs. 1 der Richtlinie 98/34 der Kommission mitzuteilen war.

51      Zum anderen trägt die italienische Regierung vor, dass das Inkrafttreten des im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Dekrets gemäß dessen Art. 6 von einem „erfolgreichen Abschluss“ des am 12. März 2013 auf der Grundlage von Art. 8 Abs. 1 der Richtlinie 98/34 eingeleiteten Mitteilungsverfahrens abhängig gewesen sei. Dieses Verfahren sei jedoch nicht erfolgreich abgeschlossen worden, da die Kommission keine Stellungnahme zu diesem Dekret abgegeben habe. Dieses Vorbringen ist zurückzuweisen, da erstens der Erlass und die Bekanntmachung dieses Dekrets an und für sich bestimmte Auswirkungen auf den freien Verkehr der betreffenden Erzeugnisse haben können, zweitens sie es nicht ermöglicht haben, die Bemerkungen und die ausführlichen Stellungnahmen des Königreichs der Niederlande, des Königreichs Schweden und des Vereinigten Königreichs Großbritannien und Nordirland zu berücksichtigen, und sie drittens – wie der Generalanwalt in Nr. 52 seiner Schlussanträge ausgeführt hat – eine Gesetzgebungstechnik darstellen, die gegen den Grundsatz der Rechtssicherheit verstößt.

52      Aus den vorstehenden Erwägungen ergibt sich, dass die Mitteilung des im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Dekrets an die Kommission nur wenige Tage vor dessen Erlass und Bekanntmachung gegen Art. 8 Abs. 1 und Art. 9 der Richtlinie 98/34 verstößt.

53      Als Zweites ist zu prüfen, ob der Verstoß eines Mitgliedstaats gegen seine Pflicht zur vorherigen Mitteilung der Entwürfe von Maßnahmen, deren Erlass er im Rahmen der Richtlinie 94/62 vorsieht, nach Art. 16 Abs. 1 der Richtlinie zur Unanwendbarkeit und damit zur Unwirksamkeit der betreffenden Regelung gegenüber Einzelnen führt, entsprechend den in Rn. 44 des vorliegenden Urteils genannten Folgen, die sich aus einem Verstoß eines Mitgliedstaats gegen seine in Art. 8 Abs. 1 der Richtlinie 98/34 vorgesehene Pflicht zur vorherigen Mitteilung technischer Vorschriften ergeben.

54      Insoweit ist festzustellen, dass sich Art. 16 Abs. 1 der Richtlinie 94/62 im Wesentlichen darauf beschränkt, die Mitgliedstaaten zu verpflichten, der Kommission die Entwürfe der Maßnahmen, die sie im Rahmen dieser Richtlinie zu erlassen beabsichtigen, vor deren Erlass mitzuteilen, damit die Kommission sie anhand der bestehenden Bestimmungen prüfen kann. Art. 16 Abs. 2 der Richtlinie 94/62 sieht vor, dass der betreffende Mitgliedstaat dann, wenn es sich bei der beabsichtigten Maßnahme auch um eine technische Vorschrift im Sinne der Richtlinie 98/34 handelt, darauf hinweisen kann, dass die nach der Richtlinie 94/62 vorgenommene Mitteilung auch für die Zwecke der Richtlinie 98/34 gilt.

55      Aus dem Wortlaut von Art. 16 der Richtlinie 94/62 ergibt sich, dass dieser Artikel kein Verfahren zur Kontrolle dieser Entwürfe durch die Union vorsieht und das Inkrafttreten dieser Entwürfe nicht davon abhängig macht, dass die Kommission ihnen zustimmt oder nicht widerspricht.

56      Das mit der Richtlinie 94/62 verfolgte Ziel besteht – wie sich aus ihrem ersten Erwägungsgrund ergibt – darin, die unterschiedlichen Maßnahmen der Mitgliedstaaten im Bereich der Verpackungen und der Verpackungsabfallbewirtschaftung zu harmonisieren, um einerseits Auswirkungen dieser Abfälle auf die Umwelt zu vermeiden oder solche Auswirkungen zu verringern und so ein hohes Umweltschutzniveau sicherzustellen und andererseits das Funktionieren des Binnenmarkts zu gewährleisten und zu verhindern, dass es zu Handelshemmnissen und Wettbewerbsverzerrungen und ‑beschränkungen kommt. Das mit Art. 16 der Richtlinie verfolgte speziellere Ziel besteht – wie sich aus ihrem 33. Erwägungsgrund ergibt – darin, der Kommission die Feststellung zu ermöglichen, ob die beabsichtigten Maßnahmen der Richtlinie entsprechen.

57      Die Verpflichtung der Mitgliedstaaten nach Art. 16 Abs. 1 der Richtlinie 94/62 soll es der Kommission somit ermöglichen, von den im Bereich der Verpackungen und Verpackungsabfälle beabsichtigten nationalen Maßnahmen Kenntnis zu nehmen, um beurteilen zu können, ob die ihr vorgelegten Maßnahmenentwürfe mit dem Unionsrecht vereinbar sind, und um gegebenenfalls die angemessenen rechtlichen Konsequenzen zu ziehen.

58      Folglich lassen weder der Wortlaut noch das Ziel von Art. 16 Abs. 1 der Richtlinie 94/62 die Annahme zu, dass die Nichteinhaltung der den Mitgliedstaaten obliegenden Pflicht zur vorherigen Mitteilung die in Rn. 44 des vorliegenden Urteils genannten selben Auswirkungen wie die Nichteinhaltung der in Art. 8 der Richtlinie 98/34 vorgesehenen Pflicht zur vorherigen Mitteilung hat.

59      Wie die Kommission in ihren Erklärungen vorträgt, kann aus dem Umstand, dass Art. 16 der Richtlinie 94/62 auf die Richtlinie 83/189 verweist, die durch die Richtlinie 98/34 ersetzt worden ist, nicht gefolgert werden, dass ein Verstoß gegen diese Bestimmung dieselben Auswirkungen wie ein Verstoß gegen Art. 8 der Richtlinie 98/34 hat. Wie der Generalanwalt in Nr. 64 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, soll dieser Querverweis nämlich lediglich verhindern, dass ein und derselbe Maßnahmenentwurf der Kommission mehrfach aufgrund verschiedener Mitteilungspflichten übermittelt wird.

60      Daraus folgt, dass die in Art. 16 der Richtlinie 94/62 aufgestellte Pflicht zur vorherigen Mitteilung eine bloße Pflicht zur Unterrichtung der Mitgliedstaaten gegenüber der Kommission darstellt, deren Verletzung keinen wesentlichen Mangel darstellen kann, der zu einer Unanwendbarkeit der von den Mitgliedstaaten geplanten Maßnahmen in dem Sinne führen kann, dass sie dem Einzelnen nicht entgegengehalten werden können. Folglich kann dieser Artikel vor einem nationalen Gericht nicht dazu geltend gemacht werden, um die Nichtigerklärung nicht mitgeteilter Vorschriften oder deren relative Unwirksamkeit zu erreichen.

61      Nach alledem ist auf die erste Frage zu antworten, dass die Art. 8 und 9 der Richtlinie 98/34 dahin auszulegen sind, dass sie dem Erlass einer nationalen Regelung, die die Vermarktung von Einwegtaschen, die aus nicht biologisch abbaubaren und nicht kompostierbaren Materialien hergestellt sind, aber die übrigen Anforderungen der Richtlinie 94/62 erfüllen, verbietet, dann entgegenstehen, wenn diese Regelung der Kommission nur wenige Tage vor ihrem Erlass und ihrer Bekanntmachung übermittelt wurde.

 Zur zweiten Frage

62      Mit seiner zweiten Frage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob Art. 18 der Richtlinie 94/62 in Verbindung mit deren Art. 9 und Anhang II einer nationalen Regelung entgegensteht, die die Vermarktung von Einwegtaschen verbietet, die aus nicht biologisch abbaubaren und nicht kompostierbaren Materialien hergestellt sind, aber die übrigen Anforderungen der Richtlinie 94/62 erfüllen, und gegebenenfalls, ob diese Regelung durch das Ziel der Gewährleistung eines höheren Umweltschutzniveaus gerechtfertigt sein kann.

63      Als Erstes ist festzustellen, dass nach Art. 18 („Freiheit des Inverkehrbringens“) der Richtlinie 94/62 die Mitgliedstaaten in ihrem Hoheitsgebiet das Inverkehrbringen von Verpackungen, die dieser Richtlinie entsprechen, nicht verbieten dürfen.

64      Nach Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie 94/62 dürfen nur Verpackungen in den Verkehr gebracht werden, die alle grundlegenden Anforderungen dieser Richtlinie einschließlich des Anhangs II erfüllen. In dem Anhang werden die grundlegenden Anforderungen an die Zusammensetzung, die Wiederverwendbarkeit und die Verwertbarkeit der betreffenden Verpackungen genannt. Genauer gesagt enthält er in Nr. 3 eine Liste der spezifischen Anforderungen, die durch stoffliche Verwertung verwertbare Verpackungen, durch energetische Verwertung verwertbare Verpackungen, durch biologische Verwertung verwertbare Verpackungen sowie biologisch abbaubare Verpackungen erfüllen müssen.

65      Der Gerichtshof hat entschieden, dass die in den Art. 8 bis 11 und Anhang II der Richtlinie 94/62 geregelten Anforderungen an die Zusammensetzung und die Wiederverwendbarkeit oder Kompostierbarkeit vollständig harmonisiert worden sind (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 14. Dezember 2004, Radlberger Getränkegesellschaft und S. Spitz, C‑309/02, EU:C:2004:799, Rn. 56, und vom 14. Dezember 2004, Kommission/Deutschland, C‑463/01, EU:C:2004:797, Rn. 44).

66      Nach ständiger Rechtsprechung sind die Mitgliedstaaten in einem Bereich, der auf Unionsebene vollständig harmonisiert worden ist, gebunden und dürfen weder entgegenstehende nationale Bestimmungen beibehalten noch den Verkehr der betreffenden Erzeugnisse von zusätzlichen Voraussetzungen abhängig machen (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 8. Mai 2003, ATRAL, C‑14/02, EU:C:2003:265, Rn. 44, und vom 12. April 2018, Fédération des entreprises de la beauté, C‑13/17, EU:C:2018:246, Rn. 23).

67      Außerdem nehmen die Unionsorgane – wie der Generalanwalt in Nr. 72 seiner Schlussanträge ausgeführt hat – bei der Vornahme einer umfassenden Harmonisierung die erforderliche Abwägung zwischen dem Ziel des freien Verkehrs des betreffenden Erzeugnisses und dem Schutz anderer allgemeiner und besonderer Interessen vor, so dass das Ergebnis dieser Abwägung von den nationalen Behörden nicht in Frage gestellt werden kann.

68      Im vorliegenden Fall ergibt sich aus Art. 2 des im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Dekrets, dass dieser Artikel nur die Vermarktung von biologisch abbaubaren und kompostierbaren Kunststofftragetaschen zulässt, die der harmonisierten Norm UNI EN 13432:2002 entsprechen, und von Taschen, die die in Rn. 18 des vorliegenden Urteils genannten Merkmale in Bezug auf Form und Wandstärke aufweisen, unter Ausschluss aller anderen Taschen, einschließlich derjenigen, die die übrigen Verwertungsanforderungen nach Anhang II Nr. 3 der Richtlinie 94/62 erfüllen.

69      Daraus folgt, dass Art. 18 der Richtlinie 94/62 in Verbindung mit deren Art. 9 und Anhang II einer nationalen Regelung wie der im Ausgangsverfahren fraglichen entgegensteht.

70      Als Zweites ist ferner festzustellen, dass die italienische Regierung dann, wenn sie aus Umweltgründen strengere Bestimmungen für das Inverkehrbringen von Kunststofftragetaschen hätte erlassen wollen, dies nur gemäß Art. 114 Abs. 5 und 6 AEUV hätte tun können.

71      Art. 114 Abs. 5 und 6 AEUV ermächtigt den Mitgliedstaat, der dies nach dem Erlass einer Harmonisierungsmaßnahme für erforderlich hält, auf neue wissenschaftliche Erkenntnisse gestützte einzelstaatliche Bestimmungen zum Schutz der Umwelt einzuführen, die sich nach dem Erlass dieser Maßnahme ergeben, sofern er der Kommission die in Aussicht genommenen Maßnahmen sowie die Gründe für ihre Einführung mitteilt.

72      Weder aus der Vorlageentscheidung noch aus den beim Gerichtshof eingereichten Erklärungen ergibt sich jedoch, dass die italienische Regierung der Kommission auf der Grundlage von Art. 114 Abs. 5 und 6 AEUV ihre Absicht mitgeteilt hätte, eine abweichende Maßnahme einzuführen.

73      Als Drittes genügt in Bezug auf das Vorbringen der italienischen Regierung und der AIB, das auf die Einführung eines Abs. 1a in Art. 4 der Richtlinie 94/62 durch die Richtlinie 2015/720 gestützt wird, schließlich die Feststellung, dass dieser Absatz – wie in Rn. 39 des vorliegenden Urteils ausgeführt – in zeitlicher Hinsicht auf den Ausgangsrechtsstreit nicht anwendbar ist.

74      Nach alledem ist auf die zweite Frage zu antworten, dass Art. 18 der Richtlinie 94/62 in Verbindung mit deren Art. 9 und Anhang II dahin auszulegen ist, dass er einer nationalen Regelung entgegensteht, die die Vermarktung von Einwegtaschen verbietet, die aus nicht biologisch abbaubaren und nicht kompostierbaren Materialien hergestellt sind, aber die übrigen Anforderungen der Richtlinie erfüllen. Diese Regelung kann jedoch mit dem Ziel gerechtfertigt werden, ein höheres Umweltschutzniveau zu gewährleisten, wenn die Voraussetzungen nach Art. 114 Abs. 5 und 6 AEUV erfüllt sind.

 Zur dritten Frage

75      Mit seiner dritten Frage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob Art. 18 der Richtlinie 94/62 in Verbindung mit deren Art. 9 Abs. 1 und Anhang II unmittelbare Wirkung hat, so dass dieses Gericht eine nationale Regelung, die gegen Art. 18 verstößt, unangewendet lassen muss.

76      Nach ständiger Rechtsprechung kann eine Bestimmung einer Richtlinie nur dann unmittelbare Wirkung entfalten, wenn sie inhaltlich unbedingt und hinreichend genau ist. Eine Bestimmung ist unbedingt, wenn sie eine Verpflichtung normiert, die an keine Bedingung geknüpft ist und zu ihrer Durchführung oder Wirksamkeit auch keiner weiteren Maßnahmen der Unionsorgane oder der Mitgliedstaaten bedarf. Eine Bestimmung ist als hinreichend genau anzusehen, um von einem Einzelnen geltend gemacht und vom Gericht angewandt zu werden, wenn sie in unzweideutigen Worten eine Verpflichtung festlegt (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 8. März 2022, Bezirkshauptmannschaft Hartberg-Fürstenfeld [Unmittelbare Wirkung], C‑205/20, EU:C:2022:168, Rn. 17 und 18).

77      Eine Bestimmung einer Richtlinie kann auch dann, wenn die Richtlinie den Mitgliedstaaten einen gewissen Gestaltungsspielraum beim Erlass der Durchführungsvorschriften lässt, als unbedingt und genau angesehen werden, wenn sie den Mitgliedstaaten unmissverständlich eine Verpflichtung zur Erreichung eines bestimmten Ergebnisses auferlegt, die im Hinblick auf die Anwendung der dort aufgestellten Regel durch keinerlei Bedingungen eingeschränkt ist (Urteil vom 8. März 2022, Bezirkshauptmannschaft Hartberg-Fürstenfeld [Unmittelbare Wirkung], C‑205/20, EU:C:2022:168, Rn. 19).

78      Im vorliegenden Fall dürfen nach Art. 18 der Richtlinie 94/62 die Mitgliedstaaten in ihrem Hoheitsgebiet das Inverkehrbringen von Verpackungen, die dieser Richtlinie entsprechen, nicht verbieten.

79      Aus dem Wortlaut von Art. 18 der Richtlinie 94/62 ergibt sich somit zum einen, dass er unmissverständlich eine Unterlassungspflicht begründet, so dass er eine „hinreichend genaue Bestimmung“ im Sinne der in den Rn. 76 und 77 des vorliegenden Urteils angeführten Rechtsprechung darstellt. Folglich dürfen die Mitgliedstaaten keine Maßnahmen erlassen, die die Vermarktung von Verpackungen beschränken, die den Bestimmungen dieser Richtlinie entsprechen.

80      Zum anderen weist Art. 18 der Richtlinie 94/62 einen „unbedingten Charakter“ im Sinne der genannten Rechtsprechung auf, da das darin aufgestellte Verbot keiner Maßnahme der Unionsorgane bedarf und den Mitgliedstaaten nicht die Befugnis verleiht, dieses Verbot an Bedingungen zu knüpfen oder den Umfang dieses Verbots einzuschränken.

81      Zwar ergibt sich aus Art. 18 der Richtlinie 94/62, dass die betreffenden Verpackungen dieser Richtlinie entsprechen müssen, d. h., dass sie den grundlegenden Anforderungen von Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie entsprechen müssen, der auf deren Anhang II verweist.

82      Wie der Generalanwalt in Nr. 89 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, galt das Recht auf freie Vermarktung von Verpackungen gemäß der Richtlinie 94/62 aber unbedingt, bis der durch die Richtlinie 2015/720 in Art. 4 der Richtlinie 94/62 eingefügte Abs. 1a in Kraft trat, mit dem die Mitgliedstaaten ermächtigt wurden, für die Vermarktung leichter Kunststofftaschen restriktivere Maßnahmen einzuführen. Wie in Rn. 39 des vorliegenden Urteils ausgeführt, ist die zuletzt genannte Bestimmung jedoch in zeitlicher Hinsicht auf den Sachverhalt des Ausgangsverfahrens nicht anwendbar.

83      Nach alledem ist auf die dritte Frage zu antworten, dass Art. 18 der Richtlinie 94/62 in Verbindung mit deren Art. 9 Abs. 1 und Anhang II dahin auszulegen ist, dass er unmittelbare Wirkung hat, so dass ein nationales Gericht in einem Rechtsstreit zwischen einem Einzelnen und nationalen Behörden eine gegen Art. 18 verstoßende nationale Regelung unangewendet lassen muss.

 Zur vierten Frage

84      Mit seiner vierten Frage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob Art. 18 der Richtlinie 94/62 dahin auszulegen ist, dass der Erlass einer nationalen Regelung, die die Vermarktung von Einwegtaschen verbietet, die aus nicht biologisch abbaubaren und nicht kompostierbaren Materialien hergestellt sind, aber die übrigen Anforderungen der Richtlinie erfüllen, einen hinreichend qualifizierten Verstoß gegen Art. 18 darstellen kann.

85      Was die Haftung der Mitgliedstaaten bei Verstößen gegen das Unionsrecht betrifft, setzt der Ersatzanspruch des Einzelnen nach ständiger Rechtsprechung u. a. voraus, dass der Verstoß gegen die betreffende Norm des Unionsrechts hinreichend qualifiziert ist (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 22. Dezember 2022, Ministre de la Transition écologique et Premier ministre [Haftung des Staates für die Luftverschmutzung], C‑61/21, EU:C:2022:1015, Rn. 44).

86      Nach ständiger Rechtsprechung bedeutet ein hinreichend qualifizierter Verstoß, dass der Mitgliedstaat die Grenzen, die seinem Ermessen gesetzt sind, offenkundig und erheblich überschritten hat (Urteil vom 5. März 1996, Brasserie du pêcheur und Factortame, C‑46/93 und C‑48/93, EU:C:1996:79, Rn. 55).

87      Zu den insoweit zu berücksichtigenden Gesichtspunkten gehören u. a. das Maß an Klarheit und Genauigkeit der verletzten Bestimmung, der Umfang des Wertungsspielraums, den die verletzte Bestimmung den nationalen Behörden belässt, die Entschuldbarkeit oder Unentschuldbarkeit eines etwaigen Rechtsirrtums, die Frage, ob der Verstoß vorsätzlich oder nicht vorsätzlich begangen bzw. der Schaden vorsätzlich oder nicht vorsätzlich zugefügt wurde, und der Umstand, dass das Verhalten eines Unionsorgans möglicherweise dazu beigetragen hat, dass nationale Maßnahmen oder Praktiken in unionsrechtswidriger Weise unterlassen, eingeführt oder aufrechterhalten wurden (Urteile vom 5. März 1996, Brasserie du pêcheur und Factortame, C‑46/93 und C‑48/93, EU:C:1996:79, Rn. 56, und vom 4. Oktober 2018, Kantarev, C‑571/16, EU:C:2018:807, Rn. 105).

88      Ferner kann in dem Fall, dass der Mitgliedstaat keine Wahl zwischen verschiedenen gesetzgeberischen Möglichkeiten hat und über einen erheblich verringerten oder gar auf null reduzierten Ermessensspielraum verfügt, die bloße Verletzung des Unionsrechts genügen, um einen hinreichend qualifizierten Verstoß zu begründen (Urteil vom 16. Oktober 2008, Synthon, C‑452/06, EU:C:2008:565, Rn. 38).

89      Insoweit genügt die Feststellung, dass Art. 18 der Richtlinie 94/62 – wie in Rn. 79 des vorliegenden Urteils ausgeführt – unmissverständlich eine Unterlassungspflicht begründet, so dass er eine „hinreichend genaue Bestimmung“ im Sinne der in den Rn. 76 und 77 des vorliegenden Urteils angeführten Rechtsprechung darstellt, und dass die Mitgliedstaaten daher vom Erlass von Maßnahmen absehen müssen, mit denen die Vermarktung von Verpackungen, die den Vorschriften dieser Richtlinie entsprechen, beschränkt wird. Daraus folgt, wie der Generalanwalt in Nr. 98 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, dass Art. 18 der Richtlinie 94/62 in Verbindung mit deren Art. 9 Abs. 1 und Anhang II den italienischen Behörden keinen Ermessensspielraum ließ, um in ihrem Hoheitsgebiet Verpackungen zu verbieten, die den Vorschriften der Richtlinie entsprechen.

90      Nach alledem ist auf die vierte Frage zu antworten, dass Art. 18 der Richtlinie 94/62 dahin auszulegen ist, dass eine nationale Regelung, die die Vermarktung von Einwegtaschen verbietet, die aus nicht biologisch abbaubaren und nicht kompostierbaren Materialien hergestellt sind, aber die übrigen Anforderungen der Richtlinie erfüllen, einen hinreichend qualifizierten Verstoß gegen Art. 18 darstellen kann.

 Kosten

91      Für die Beteiligten des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren Teil des beim vorlegenden Gericht anhängigen Verfahrens; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Dritte Kammer) für Recht erkannt:

1.      Die Art. 8 und 9 der Richtlinie 98/34/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Juni 1998 über ein Informationsverfahren auf dem Gebiet der Normen und technischen Vorschriften und der Vorschriften für die Dienste der Informationsgesellschaft in der durch die Verordnung (EU) Nr. 1025/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. Oktober 2012 geänderten Fassung

sind dahin auszulegen, dass

sie dem Erlass einer nationalen Regelung, die die Vermarktung von Einwegtaschen, die aus nicht biologisch abbaubaren und nicht kompostierbaren Materialien hergestellt sind, aber die übrigen Anforderungen der Richtlinie 94/62/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Dezember 1994 über Verpackungen und Verpackungsabfälle in der durch die Richtlinie 2013/2/EU der Kommission vom 7. Februar 2013 geänderten Fassung erfüllen, verbietet, dann entgegenstehen, wenn diese Regelung der Europäischen Kommission nur wenige Tage vor ihrem Erlass und ihrer Bekanntmachung übermittelt wurde.

2.      Art. 18 der Richtlinie 94/62 in der durch die Richtlinie 2013/2 geänderten Fassung in Verbindung mit Art. 9 und Anhang II der Richtlinie 94/62 in der geänderten Fassung

ist dahin auszulegen, dass

er dem Erlass einer nationalen Regelung entgegensteht, die die Vermarktung von Einwegtaschen verbietet, die aus nicht biologisch abbaubaren und nicht kompostierbaren Materialien hergestellt sind, aber die übrigen Anforderungen der Richtlinie 94/62 in der geänderten Fassung erfüllen. Diese Regelung kann jedoch mit dem Ziel gerechtfertigt werden, ein höheres Umweltschutzniveau zu gewährleisten, wenn die Voraussetzungen nach Art. 114 Abs. 5 und 6 AEUV erfüllt sind.

3.      Art. 18 der Richtlinie 94/62 in der durch die Richtlinie 2013/2 geänderten Fassung in Verbindung mit Art. 9 Abs. 1 und Anhang II der Richtlinie 94/62 in der geänderten Fassung

ist dahin auszulegen, dass

er unmittelbare Wirkung hat, so dass ein nationales Gericht in einem Rechtsstreit zwischen einem Einzelnen und nationalen Behörden eine gegen Art. 18 verstoßende nationale Regelung unangewendet lassen muss.

4.      Art. 18 der Richtlinie 94/62 in der durch die Richtlinie 2013/2 geänderten Fassung

ist dahin auszulegen, dass

eine nationale Regelung, die die Vermarktung von Einwegtaschen verbietet, die aus nicht biologisch abbaubaren und nicht kompostierbaren Materialien hergestellt sind, aber die übrigen Anforderungen der Richtlinie 94/62 in der geänderten Fassung erfüllen, einen hinreichend qualifizierten Verstoß gegen Art. 18 darstellen kann.

Unterschriften


*      Verfahrenssprache: Italienisch.