Language of document : ECLI:EU:T:2015:502

Rechtssache T‑337/13

CSF Srl

gegen

Europäische Kommission

„Rechtsangleichung – Richtlinie 2006/42/EG – Maschinen, die mit der CE‑Kennzeichnung versehen sind – Grundlegende Sicherheitsanforderungen – Gefahren für die Sicherheit von Personen – Schutzklausel – Beschluss der Kommission, mit dem eine nationale Maßnahme zum Verbot des Inverkehrbringens für gerechtfertigt erklärt wird – Bedingungen für die Umsetzung der Schutzklausel – Offensichtlicher Beurteilungsfehler – Gleichbehandlung“

Leitsätze – Urteil des Gerichts (Dritte Kammer) vom 15. Juli 2015

1.      Nichtigkeitsklage – Natürliche oder juristische Personen – Handlungen, die sie unmittelbar und individuell betreffen – Unmittelbare Betroffenheit – Kriterien – Beschluss der Kommission, mit dem nationale Maßnahmen, die das Inverkehrbringen einer den Anforderungen der Richtlinie 2006/42 nicht entsprechenden Maschine verbieten, für gerechtfertigt erklärt werden – Unmittelbare Betroffenheit des Herstellers – Kein Ermessen der übrigen Mitgliedstaaten, das die Stellung des Herstellers berühren kann

(Art. 263 Abs. 4 AEUV; Richtlinie 2006/42 des Europäischen Parlaments und des Rates, Art. 7 und 11 Abs. 3; Beschluss 2013/173 der Kommission)

2.      Rechtsangleichung – Maschinen – Richtlinie 2006/42 – Inverkehrbringen – Anwendung der Schutzklausel durch einen Mitgliedstaat bei einem Risiko für die Gesundheit oder die Sicherheit– Zustimmung der Kommission – Möglichkeit für den betreffenden Mitgliedstaat, die erlassenen nationalen Maßnahmen auf andere Maschinen zu erstrecken, von denen das gleiche Risiko ausgeht – Ausschluss

(Richtlinie 2006/42 des Europäischen Parlaments und des Rates, Art. 6 Abs. 1, Art. 7 und 11)

3.      Rechtsangleichung – Maschinen – Richtlinie 2006/42 – Inverkehrbringen – Anwendung der Schutzklausel durch einen Mitgliedstaat bei einem Risiko für die Gesundheit oder die Sicherheit – Von der Kommission vorgenommene Prüfung der Rechtfertigung – Gerichtliche Nachprüfung – Umfang

(Art. 263 AEUV; Richtlinie 2006/42 des Europäischen Parlaments und des Rates, Art. 11)

4.      Rechtsangleichung – Maschinen – Richtlinie 2006/42 – Inverkehrbringen – Anwendung der Schutzklausel durch einen Mitgliedstaat bei einem Risiko für die Gesundheit oder die Sicherheit – Pflicht, das Bestehen dieses Risikos zu belegen – Umfang

(Richtlinie 2006/42 des Europäischen Parlaments und des Rates, Art. 5 Abs. 1 Buchst. a, Art. 11 und Anhang I Nr. 1.1.2 Buchst. a)

5.      Rechtsangleichung – Maschinen – Richtlinie 2006/42 – Inverkehrbringen – Erfüllung der in Anhang I aufgeführten Sicherheits- und Gesundheitsschutzanforderungen – Anforderung, dass ein geeigneter Schutzaufbau gegen das Herabfallen von Gegenständen oder Material vorhanden ist – Auslegung im Hinblick auf das vorrangige Ziel der Beseitigung oder Minimierung der Risiken – Folgen für Maschinen, die verschiedenen Zwecken dienen

(Richtlinie 2006/42 des Europäischen Parlaments und des Rates, Art. 11 und Anhang I, Nrn. 1.1.2, 1.7.4.1, 1.7.4.2 und 3.4.4)

6.      Rechtsangleichung – Maschinen – Richtlinie 2006/42 – Inverkehrbringen – Vermutung der Konformität der Maschinen, die mit der CE-Kennzeichnung versehen sind – Auswirkung auf die Möglichkeit der Mitgliedstaaten, bei einem Risiko für die Gesundheit oder die Sicherheit von der Schutzklausel Gebrauch zu machen – Fehlen

(Richtlinie 2006/42 des Europäischen Parlaments und des Rates, Art. 7 Abs. 1 und Art. 11)

7.      Rechtsangleichung – Maschinen – Richtlinie 2006/42 – Inverkehrbringen – Anwendung der Schutzklausel durch einen Mitgliedstaat bei einem Risiko für die Gesundheit oder die Sicherheit – Prüfung durch die Kommission – Ermessen – Gerichtliche Nachprüfung – Grenzen

(Art. 36 AEUV und 114 AEUV; Richtlinie 2006/42 des Europäischen Parlaments und des Rates, Art. 11)

8.      Rechtsangleichung – Maschinen – Richtlinie 2006/42 – Inverkehrbringen – Anwendung der Schutzklausel durch einen Mitgliedstaat bei einem Risiko für die Gesundheit oder die Sicherheit – Pflicht, das Bestehen dieses Risikos zu belegen – Vornahme einer Beurteilung des Risikos– Beurteilungskriterien

(Richtlinie 2006/42 des Europäischen Parlaments und des Rates, Art. 11 und Anhang I, Nr. 1.1.1 Buchst. i)

9.      Recht der Europäischen Union – Grundsätze – Gleichbehandlung – Begriff

10.    Rechtsangleichung – Maschinen – Richtlinie 2006/42 – Inverkehrbringen – Anwendung der Schutzklausel durch einen Mitgliedstaat bei einem Risiko für die Gesundheit oder die Sicherheit – Zustimmung der Kommission – Pflicht zur Prüfung, ob die nationalen Maßnahmen mit dem Gleichbehandlungsgrundsatz vereinbar sind – Fehlen

(Art. 36 AEUV und 114 AEUV; Richtlinie 2006/42 des Europäischen Parlaments und des Rates, 25. Erwägungsgrund, Art. 11 und 20)

11.    Rechtsangleichung – Maschinen – Richtlinie 2006/42 – Inverkehrbringen – Anwendung der Schutzklausel durch einen Mitgliedstaat bei einem Risiko für die Gesundheit oder die Sicherheit – Kein Erlass ähnlicher Maßnahmen gegenüber anderen Maschinen, von denen die gleichen Risiken ausgehen – Fehlen einer objektiven Rechtfertigung – Unzulässigkeit – Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz

(Richtlinie 2006/42 des Europäischen Parlaments und des Rates, Art. 11)

12.    Außervertragliche Haftung – Voraussetzungen – Rechtswidrigkeit – Schaden – Kausalzusammenhang – Kumulative Voraussetzungen – Nichtvorliegen einer der Voraussetzungen – Vollumfängliche Klageabweisung

(Art. 340 Abs. 2 AEUV)

1.      Eine natürliche oder juristische Person ist nur dann im Sinne von Art. 263 Abs. 4 AEUV von einem Rechtsakt unmittelbar betroffen, wenn dieser sich auf ihre Rechtsstellung unmittelbar auswirkt und ihren Adressaten keinerlei Ermessensspielraum lässt, sein Erlass vielmehr rein automatisch erfolgt und sich allein aus der Unionsregelung ergibt, ohne dass weitere Durchführungsvorschriften angewendet werden.

Bei einer Klage gegen einen an die Mitgliedstaaten gerichteten Beschluss der Kommission, in dem festgestellt wird, dass Maßnahmen, die nationale Behörden gestützt auf Art. 11 Abs. 3 der Richtlinie 2006/42 über Maschinen in Bezug auf die Bedingungen getroffen haben, unter denen eine Maschine auf den nationalen Markt gebracht wird, gerechtfertigt sind, hat dieser Beschluss andere Auswirkungen unmittelbar auf die Rechtsstellung des Herstellers der Maschine als die, die sich aus den genannten nationalen Maßnahmen ergeben. Denn erstens verlangt ein solcher Beschluss, dass jeder andere Mitgliedstaat als derjenige, der die fraglichen Maßnahmen erlassen hat, zweckdienliche Maßnahmen für das Inverkehrbringen oder den Verbleib der betreffenden Maschine auf seinem Markt trifft und damit die korrekte und einheitliche Anwendung der Richtlinie 2006/42 im Lichte der von dem betreffenden Mitgliedstaat erlassenen und von der Kommission für gerechtfertigt erklärten Maßnahmen gewährleistet. Unmittelbare Folge dieses Beschlusses ist daher die Einleitung nationaler Verfahren, die das dem Hersteller bis dahin in der gesamten Union zustehende Recht in Frage stellen, eine Maschine in Verkehr zu bringen, für die die Vermutung der Konformität nach Art. 7 dieser Richtlinie galt, da sie mit der CE-Kennzeichnung versehen und ihr die EG-Konformitätserklärung beigefügt war.

Zweitens räumt ein auf Art. 11 Abs. 3 der Richtlinie 2006/42 gestützter Beschluss seinen Adressaten hinsichtlich des zu erreichenden Ziels keinen Ermessensspielraum ein, da seine Durchführung insoweit rein automatisch erfolgt und sich allein aus der Unionsregelung ergibt, ohne dass weitere Durchführungsvorschriften angewendet werden. Zwar müssen die zuständigen nationalen Behörden, um feststellen zu können, ob der Hersteller Exemplare seiner Maschine im Inland in Verkehr gebracht hat oder dies beabsichtigt und ob von einigen dieser Exemplare das gleiche Risiko ausgeht, wie das, gegen das sich die von dem betreffenden Mitgliedstaat erlassenen nationalen Maßnahmen richten, wahrscheinlich zunächst Kontrollen durchführen. Wenn sich jedoch herausstellt, dass dies der Fall ist, haben diese Behörden davon auszugehen, dass dieser Zustand die Sicherheit von Personen zu gefährden droht, und sie haben alle zweckdienlichen Maßnahmen zur Abwehr dieser Gefahr zu ergreifen, wobei sie in diesem Rahmen die korrekte und einheitliche Anwendung der Richtlinie 2006/42 im Licht des Beschlusses der Kommission und der von diesem für gerechtfertigt erklärten nationalen Maßnahmen gewährleisten und somit das Verbot, die Rücknahme oder die Umgestaltung der in Rede stehenden Maschine anordnen oder jegliche gleichwertige Maßnahme erlassen müssen. Daher bestimmt die Entscheidung der Kommission, die die betreffenden nationalen Maßnahmen für gerechtfertigt erklärt hat, welches Ergebnis die anderen nationalen Behörden erzielen müssen, die insoweit keinen Ermessensspielraum haben.

(vgl. Rn. 17, 23, 28, 30, 31)

2.      Wenn die Mitgliedstaaten die korrekte und einheitliche Anwendung der Richtlinie 2006/42 über Maschinen gewährleisten müssen, indem sie die Konsequenzen aus einer nationalen Maßnahme ziehen, die in Bezug auf eine bestimmte Maschine getroffen und von der Kommission für gerechtfertigt erklärt wurde, dabei aber hinsichtlich des zu erreichenden Ziels über keinen Ermessensspielraum verfügen, sind sie offenkundig nicht befugt, von sich aus außerhalb des von Art. 11 Abs. 1 dieser Richtlinie vorgegebenen verfahrens- und materiellrechtlichen Rahmens den Anwendungsbereich dieser Maßnahme auf andere Maschinen mit der Begründung auszudehnen, dass diese das gleiche Risiko aufwiesen, da sie sonst gegen den in Art. 6 Abs. 1 dieser Richtlinie verankerten Grundsatz des freien Warenverkehrs und die in ihrem Art. 7 enthaltene Konformitätsvermutung verstießen. Deshalb hat der Unionsgesetzgeber diese Ausdehnung an die Durchführung eines besonderen Verfahrens geknüpft, das insbesondere den Erlass zum einen einer entsprechenden ausdrücklichen Entscheidung der Kommission und zum anderen von nationalen Maßnahmen zur Durchführung dieser Entscheidung vorsieht. Dagegen sind solche Maßnahmen für die Zwecke des Art. 11 der Richtlinie 2006/42 in Anbetracht der Tragweite dieses Artikels weder vorgesehen noch erforderlich.

(vgl. Rn. 34)

3.      Es ist zwar tatsächlich Sache der Mitgliedstaaten, die Richtlinie 2006/42 über Maschinen korrekt umzusetzen und dafür Sorge zu tragen, dass die im Inland in Verkehr gebrachten oder in Betrieb genommenen Maschinen den Bestimmungen der Richtlinie entsprechen, indem sie gegebenenfalls Maßnahmen ergreifen, wie sie in Art. 11 der Richtlinie vorgesehen sind. Nichtsdestotrotz ist es aber die Aufgabe der Kommission, zu prüfen, ob diese Maßnahmen gerechtfertigt sind, indem sie sich insbesondere der Stichhaltigheit der rechtlichen und sachlichen Begründung für deren Erlass vergewissert. Vom Ergebnis dieser Prüfung hängt es ab, ob die in Rede stehende nationale Maßnahme endgültig aufrechterhalten bleibt, da der Mitgliedstaat sie nur aufrechterhalten kann, wenn die Kommission sie für gerechtfertigt erklärt, und er sie andernfalls beenden muss.

Daraus ergibt sich, dass jeder, dessen Antrag auf Nichtigerklärung einer Entscheidung, mit der solche Maßnahmen für gerechtfertigt erklärt werden, zulässig ist, zur Stützung seines Antrags geltend machen kann, dass diese Entscheidung auf einer fehlerhaften Auslegung der Bestimmungen der Richtlinie 2006/42 beruht, auch wenn diese Auslegung, der alle Mitgliedstaaten gebührend Rechnung tragen müssen, zunächst von den zuständigen nationalen Behörden vertreten und danach von der Kommission übernommen worden ist. In einem solchen Fall muss es nämlich möglich sein, den Rechtsfehler, der zur Rechtswidrigkeit der Entscheidung führen kann, mit der die Kommission die in Rede stehenden nationalen Maßnahmen für gerechtfertigt erklärt hat, vor dem Unionsrichter zu beanstanden, da andernfalls die Tragweite von Art. 263 AEUV und des Grundsatzes des effektiven gerichtlichen Rechtsschutzes beeinträchtigt würde.

Im Übrigen kann die gerichtliche Kontrolle der Stichhaltigkeit der rechtlichen Begründung, die die Kommission dazu geführt hat, die in Rede stehenden nationalen Maßnahmen für gerechtfertigt zu erklären, nur im Rahmen einer vollständigen Kontrolle erfolgen, da es sich um eine Rechtsfrage handelt.

(vgl. Rn. 46-48)

4.      Ein Mitgliedstaat ist in Bezug auf eine konkrete Maschine oder eine konkrete auswechselbare Ausrüstung, die für eine oder mehrere Funktionen bestimmt sind, berechtigt, von der Schutzklausel nach Art. 11 der Richtlinie 2006/42 über Maschinen Gebrauch zu machen, und ist in diesem Rahmen verpflichtet, das Risiko für die Gesundheit oder die Sicherheit von Personen zu beurteilen, was Voraussetzung für die Anwendung dieser Schutzklausel ist. Diese Beurteilung und die daraus resultierende nationale Maßnahme müssen also in Bezug auf diese Maschine, wie sie in Verkehr gebracht wurde, und gegebenenfalls in Bezug auf die auswechselbare Ausrüstung, mit der die Maschine bei ihrem Inverkehrbringen oder ihrer Inbetriebnahme ausgestattet wurde, gerechtfertigt sein. Andernfalls hätte ein Mitgliedstaat die Möglichkeit, eine Beschränkung des Grundsatzes des freien Verkehrs vorzusehen, die nicht durch das Vorliegen einer tatsächlichen Gefahr für die Gesundheit oder die Sicherheit von Personen gerechtfertigt ist.

Insoweit ist nach dem Wortlaut von Nr. 1.1.2 Buchst. a des Anhangs I der Richtlinie 2006/42 festzustellen, dass „Risiken“, die mit der Installation, der Wartung oder dem Betrieb der betreffenden Maschine zusammenhängen, sei es im Rahmen bestimmungsgemäßer Verwendung oder im Rahmen einer vernünftigerweise vorhersehbaren Fehlanwendung, die Anwendung der Schutzklausel gemäß Art. 11 dieser Richtlinie rechtfertigen können. Jedoch verlangt dieser Artikel, dass das Risiko festgestellt wird, mit dem die Anwendung dieser Bestimmung begründet wird, und dass daher der Mitgliedstaat, der sich darauf beruft, das tatsächliche Vorliegen eines solchen Risikos rechtlich hinreichend dartut. Fehlt es an einem solchen Nachweis, kann die Beeinträchtigung des Grundsatzes des freien Warenverkehrs durch die nationale Maßnahme, die aufgrund der von dieser Bestimmung vorgesehenen Schutzklausel erlassen worden ist, nicht als gerechtfertigt im Sinne dieser Bestimmung angesehen werden.

Darüber hinaus ist festzustellen, dass das Vorliegen einer Gefahr für die Sicherheit und Gesundheit von Personen im Sinne von Art. 11 Abs. 1 der Richtlinie 2006/42 außer nach Maßgabe anderer Kriterien im Licht der grundlegenden Sicherheits- und Gesundheitsschutzanforderungen beurteilt werden kann, die die Hersteller von Maschinen gemäß Art. 5 Abs. 1 Buchst. a und Anhang I dieser Richtlinie beachten müssen. Denn die Erfüllung dieser Anforderungen, die aufgestellt wurden, um zu gewährleisten, dass bei der Konstruktion und dem Bau der Maschinen die mit diesen verbundenen Risiken berücksichtigt werden, ist Voraussetzung für das Inverkehrbringen dieser Maschinen. Deren Nichterfüllung kann zur Begründung einer Maßnahme geltend gemacht werden, mit der die Maschine aus dem Verkehr gezogen oder ihr Betrieb untersagt wird.

(vgl. Rn. 54, 57, 58)

5.      Die Tragweite der in Nr. 3.4.4 des Anhangs I der Richtlinie 2006/42 über Maschinen aufgeführten und herabfallende Gegenstände betreffenden besonderen Sicherheits- und Gesundheitsschutzanforderung muss im Licht der in der Richtlinie 2006/42 genannten allgemeinen Anforderungen, insbesondere von Nr. 1 der Allgemeinen Grundsätze zu Beginn ihres Anhangs I sowie der Grundsätze für die Integration der Sicherheit im Sinne von Nr. 1.1.2 dieses Anhangs ausgelegt werden. Aus diesen Bestimmungen geht zunächst klar hervor, dass Maschinen, die in der Union in den Verkehr gebracht werden sollen, so konstruiert und gebaut sein müssen, dass sie unter den vorgesehenen Bedingungen – aber auch unter Berücksichtigung einer vernünftigerweise vorhersehbaren Fehlanwendung der Maschine – ihrer Funktion gerecht werden, ohne dass Personen einer Gefährdung ausgesetzt sind, und allgemeiner, dass eine nicht bestimmungsgemäße Verwendung verhindert wird, falls diese ein Risiko mit sich bringt. Sodann müssen die dazu getroffenen Maßnahmen darauf abzielen, Risiken zu beseitigen. Schließlich muss der Hersteller, der bei der Wahl der angemessensten Lösungen freie Hand hat, um dieser Verpflichung nachzukommen, dennoch eine bestimmte Rangfolge einhalten: Vorrangig ist er zur möglichst weitgehenden Beseitigung oder Minimierung der Risiken verpflichtet.

In Anbetracht der Vorrangigkeit des Ziels der möglichst weitgehenden Beseitigung oder Minimierung der mit der bestimmungsgemäßen Verwendung und jeder vernünftigerweise vorhersehbaren Fehlanwendung verbundenen Risiken bereits bei der Konstruktion und dem Bau von Maschinen sowie der Vermeidung ihrer nicht bestimmungsgemäßen Verwendung und des Ergreifens der notwendigen Schutzmaßnahmen gegen Risiken, die sich nicht beseitigen lassen, ist festzustellen, dass eine Maschine, die je nach den verschiedenen auswechselbaren Ausrüstungen, die an ihr angebracht werden können, für eine Vielzahl unterschiedlicher Verwendungszwecke geeignet ist, vor jedem Inverkehrbringen oder jeder Inbetriebnahme mit einem geeigneten Schutzaufbau ausgestattet sein muss, wenn festgestellt wird, dass die vom Käufer beabsichtigte bestimmungsgemäße Verwendung im konkreten Fall zwar selbst kein Risiko von herabfallenden Gegenständen oder herabfallendem Material mit sich bringt, eine der anderen vernünftigerweise vorhersehbaren Verwendungen, für die die Maschine geeignet ist, aber mit einem solchen Risiko verbunden sein kann. Eine solche Maßnahme gehört nämlich zu jenen Maßnahmen, die auf die möglichst weitgehende Beseitigung oder Minimierung der Risiken abzielen, indem der Aspekt der Sicherheit in die Konstruktion und den Bau von Maschinen einbezogen wird.

Außerdem lässt die Beachtung der in den Nrn. 1.7.4.1 und 1.7.4.2 des Anhangs I der Richtlinie 2006/42 vorgesehenen Anforderung, den Maschinen eine Betriebsanleitung beizulegen, die ihre bestimmungsgemäße Verwendung beschreibt, die vorrangige Verpflichtung der Hersteller von Maschinen unberührt, bei deren Konstruktion und Bau den Sicherheitsaspekt einzubeziehen, indem sie die Risiken, die mit ihrer bestimmungsgemäßen Verwendung oder ihrer vernünftigerweise vorhersehbaren Fehlanwendung verbunden sind, soweit wie möglich beseitigen oder vermindern, wie dies aus Nr. 1.7.4.2 Buchst. l des Anhangs I der Richtlinie 2006/42 folgt. Mit anderen Worten verpflichtet die Richtlinie die Hersteller nicht nur dazu, ihre Kunden vor den Risiken zu warnen, die mit vernünftigerweise vorhersehbaren Fehlanwendungen der Maschinen verbunden sind, die sie an diese verkaufen. Sie verlangt von ihnen auch, bereits im Stadium der Konstruktion und des Baus dieser Maschinen soweit wie möglich solche Risiken zu beseitigen oder zu vermindern.

(vgl. Rn. 64, 65, 69, 70)

6.      Aus der Systematik der Richtlinie 2006/42 über Maschinen ergibt sich klar, dass die für eine Maschine nach Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie geltende Konformitätsvermutung die den Mitgliedstaaten eingeräumte Möglichkeit unberührt lässt, von der Schutzklausel des Art. 11 Gebrauch zu machen, wenn die dort genannten Voraussetzungen vorliegen.

(vgl. Rn. 72)

7.      Die Richtlinie 2006/42 über Maschinen begründet ein System der Überwachung und Regulierung des Binnenmarkts, in dem in erster Linie die zuständigen nationalen Behörden zu beurteilen haben, ob eine Maschine die Gesundheit oder Sicherheit von Personen zu gefährden droht, und, wenn diese Frage zu bejahen ist, die Maßnahmen ergreifen müssen, die erforderlich sind, um die Maschine aus dem Verkehr zu ziehen oder zu verbieten. Die zu diesem Zweck in Art. 11 der Richtlinie 2006/42 vorgesehene Schutzklausel muss in Zusammenhang mit Art. 114 Abs. 10 AEUV gesehen werden, der es den Mitgliedstaaten erlaubt, aus einem oder mehreren der in Art. 36 AEUV genannten nicht wirtschaftlichen Gründe, zu denen der Schutz der Gesundheit und des Lebens von Menschen gehört, solche Maßnahmen zu treffen. Dies kann von den zuständigen nationalen Behörden komplexe Beurteilungen technischer oder wissenschaftlicher Art verlangen.

Die Kommission muss ihrerseits im Rahmen dieser Regelung prüfen, ob die von den Mitgliedstaaten erlassenen Maßnahmen in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht gerechtfertigt sind. In diesem Rahmen ist der Kommission, damit sie das ihr gesetzte Ziel wirksam verfolgen kann und im Hinblick darauf, dass sie komplexe technische Beurteilungen vorzunehmen hat, ein weites Ermessen zuzuerkennen. Ein gleiches Ermessen wird der Kommission zugesprochen, wenn sie Maßnahmen zu prüfen hat, die von einem Mitgliedstaat im Rahmen der Regelung nach den Abs. 4 bis 6 von Art. 114 AEUV erlassen wurden. Insoweit muss der Unionsrichter im Rahmen der ihm unterbreiteten Klagegründe bei der Kontrolle eines weiten Ermessensspielraums prüfen, ob die Verfahrensvorschriften eingehalten worden sind, ob der Sachverhalt von der Kommission zutreffend festgestellt worden ist und ob keine offensichtlich fehlerhafte Würdigung dieses Sachverhalts und kein Ermessensmissbrauch vorliegen. Insbesondere muss er unter Berücksichtigung des Vorbringens der Parteien die sachliche Richtigkeit der zur Untermauerung des angefochtenen Beschlusses vorgebrachten Beweise, ihre Zuverlässigkeit und ihre Kohärenz prüfen und kontrollieren, ob diese Beweise alle relevanten Daten darstellen, die bei der Beurteilung einer komplexen Situation heranzuziehen waren, und ob sie die aus ihnen gezogenen Schlüsse zu stützen vermögen.

(vgl. Rn. 79-82)

8.      Die Risikobeurteilung, die der betreffende Mitgliedstaat vorzunehmen hat, bevor er unter Kontrolle der Kommission die in Art. 11 der Richtlinie 2006/42 über Maschinen vorgesehenen Maßnahmen ergreift, hat aus der Sicht eines durchschnittlichen und angemessen aufmerksamen und verständigen Benutzers zu erfolgen. Denn die Befugnis, die dieser Artikel den nationalen Behörden zuerkennt, stellt eine Ausnahme von dem durch die Richtlinie niedergelegten Grundsatz des freien Warenverkehrs dar und ist nur dann gerechtfertigt, wenn ein Risiko vorliegt, das mit der bestimmungsgemäßen Verwendung oder der vernünftigerweise vorhersehbaren Fehlanwendung der in Rede stehenden Maschine verbunden ist, wobei diese Fehlanwendung in Nr. 1.1.1 Buchst. i des Anhangs I dieser Richtlinie als eine Verwendung definiert ist, die sich aus leicht absehbarem menschlichem Verhalten ergeben kann. In diesem Zusammenhang trägt der Umstand, dass die nationalen Behörden das tatsächliche Vorliegen eines solchen Risikos aus der konkreten Sicht eines durchschnittlichen und angemessen sorgfältigen Benutzers und nicht abstrakt beurteilen, dazu bei, dass gewährleistet ist, dass sie den freien Verkehr mit Maschinen nicht ungerechtfertigt im Sinne von Art. 11 Abs. 1 dieser Richtlinie beeinträchtigen.

Wenn jedoch unter Bezugnahme auf einen durchschnittlichen und angemessen sorgfältigen Benutzer rechtlich hinreichend nachgewiesen ist, dass ein solches Risiko vorliegt, ist die vorherige Unterrichtung des Benutzers über dieses Risiko angesichts der in der Richtlinie 2006/42 festgelegten Rangfolge von Schutz- und Informationspflichten, die die Richtlinie den Maschinenherstellern auferlegt, und angesichts der mit der Nichtbeachtung dieser Pflichten verbundenen Folgen an und für sich unerheblich.

(vgl. Rn. 83, 84)

9.      Siehe Text der Entscheidung.

(vgl. Rn. 94)

10.    Art. 11 der Richtlinie 2006/42 über Maschinen verpflichtet die Kommission in dem besonderen Rahmen der Prüfung, ob die ihr von den Mitgliedstaaten mitgeteilten Maßnahmen gerechtfertigt sind oder nicht, nicht zu der Prüfung, ob diese Maßnahmen im Übrigen mit dem Gleichbehandlungsgrundsatz in Einklang stehen. Wenn eine solche Maßnahme im Sinne dieser Bestimmung gerechtfertigt ist, kann die Entscheidung, mit der die Kommission sie für gerechtfertigt erklärt, nicht mit der Begründung in Frage gestellt werden, dass es auf dem in Rede stehenden nationalen Markt Maschinen gebe, die mit der von dieser Maßnahme erfassten Maschine vergleichbar seien, aber unter Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes nicht Gegenstand von ähnlichen Maßnahmen gewesen seien.

Erstens ist in einem Bereich, der auf Unionsebene abschließend harmonisiert wurde, jede einschlägige nationale Maßnahme anhand der Bestimmungen dieser Harmonisierungsmaßnahme und nicht anhand des Primärrechts zu beurteilen. Dies gilt insbesondere, wenn die betreffende Maßnahme nicht einen Rechtsakt mit Gesetzes- oder Verordnungscharakter, sondern eine Individualmaßnahme darstellt. Da die Richtlinie 2006/42 eine abschließende Harmonisierung der Regelungen auf Unionsebene herbeigeführt hat, die nicht nur die grundlegenden Sicherheitsanforderungen für Maschinen und die Bescheinigung der Konformität dieser Maschinen mit diesen Anforderungen betreffen, sondern auch die möglichen Maßnahmen der Mitgliedstaaten in Bezug auf die Maschinen, bei denen von der Konformität mit diesen Anforderungen ausgegangen wird, ist anhand der Bestimmungen dieser Richtlinie zu prüfen, ob die Kommission gegen ihre Verpflichtungen verstoßen hat, indem sie nicht untersucht hat, ob die zuständigen Behörden die nationalen Maßnahmen unter Beachtung des Gleichbehandlungsgrundsatzes erlassen haben, oder ob es nicht zu den Aufgaben der Kommission gehört, eine solche Kontrolle durchzuführen.

Zweitens hat Art. 11 der Richtlinie 2006/42 der Kommission nicht die Aufgabe übertragen, in jeder Hinsicht die Rechtmäßigkeit der Maßnahmen nationaler Behörden zu kontrollieren, wenn diese feststellen, dass Maschinen die Gesundheit oder die Sicherheit von Personen zu gefährden drohen. Denn wie sich aus dem 25. Erwägungsgrund und aus Art. 20 der Richtlinie ergibt, obliegt eine solche Kontrolle den nationalen Gerichten. Drittens muss, auch wenn Art. 11 Abs. 3 der Richtlinie 2006/42 lediglich vorsieht, dass die Kommission prüft, ob die Maßnahmen der Mitgliedstaaten gerechtfertigt sind oder nicht, diese Verpflichtung aufgrund der Systematik dieses Artikels im Zusammenhang mit den Verpflichtungen gesehen werden, die nach den Abs. 1 und 2 dieses Artikels zuvor den nationalen Behörden obliegen.

Im Übrigen bezieht sich Art. 114 Abs. 10 AEUV, der den Unionsgesetzgeber dazu ermächtigt, Schutzklauseln wie die von Art. 11 der Richtlinie 2006/42 eingeführte vorzusehen, und der auf die Gründe im Sinne von Art. 36 Satz 1 AEUV verweist, nicht auf den Art. 36 Satz 2 AEUV, wonach die Verbote und Beschränkungen, die aus diesen Gründen gerechtfertigt sein können, weder ein Mittel zur willkürlichen Diskriminierung noch eine verschleierte Beschränkung des Handels zwischen den Mitgliedstaaten darstellen dürfen. Er weicht damit von Art. 114 Abs. 4 bis 6 AEUV ab, die Bestimmungen betreffen, die ein Mitgliedstaat nach dem Erlass einer Harmonisierungsmaßnahme im Sinne von Abs. 1 erlassen oder beibehalten kann.

(vgl. Rn. 98-105)

11.    Jeder Unionsrechtsakt ist im Einklang mit dem gesamten Primärrecht, darunter auch mit dem Grundsatz der Gleichbehandlung auszulegen. Ebenso sind bei der Auslegung aller Vorschriften des Unionsrechts nicht nur deren Wortlaut, sondern auch die allgemeine Systematik, der Zusammenhang und die Zielsetzung der Regelung zu berücksichtigen, zu der sie gehören.

Es widerspräche nicht nur dem Gleichbehandlungsgrundsatz, sondern auch dem Ziel der Richtlinie 2006/42 über Maschinen, die insbesondere die Bedingungen, unter denen die Maschinen auf dem Binnenmarkt in Verkehr gebracht werden und dort frei verkehren, harmonisieren und gleichzeitig die Gesundheit und die Sicherheit der Personen vor den sich aus der Verwendung der Maschinen ergebenden Risiken schützen soll, sowie der allgemeinen Systematik der Regelung, die zur Gewährleistung der korrekten und einheitlichen Anwendung dieser Richtlinie durch die nationalen Behörden unter der Kontrolle der Kommission eingeführt wurde, wenn ein Mitgliedstaat in Bezug auf eine Maschine, die die Gesundheit oder die Sicherheit zu gefährden droht, die Schutzklausel des Art. 11 dieser Richtlinie anwenden könnte, bei vergleichbaren Maschinen ohne eine objektive Rechtfertigung aber von einer gleichen Behandlung absehen könnte.

(vgl. Rn. 108, 109)

12.    Siehe Text der Entscheidung.

(vgl. Rn. 116)