Language of document : ECLI:EU:T:2010:96

Rechtssache T‑9/07

Grupo Promer Mon Graphic, SA

gegen

Harmonisierungsamt für den Binnenmarkt (Marken, Muster und Modelle) (HABM)

„Gemeinschaftsgeschmacksmuster – Nichtigkeitsverfahren – Eingetragenes Gemeinschaftsgeschmacksmuster, das einen runden Werbeträger wiedergibt – Älteres Gemeinschaftsgeschmacksmuster – Nichtigkeitsgrund – Kollision – Fehlen eines anderen Gesamteindrucks – Begriff der Kollision – Fragliches Erzeugnis – Grad der Gestaltungsfreiheit des Entwerfers – Informierter Benutzer – Art. 10 und 25 Abs. 1 Buchst. d der Verordnung (EG) Nr. 6/2002“

Leitsätze des Urteils

1.      Gemeinschaftsgeschmacksmuster – Nichtigkeitsgründe – Kollision mit einem älteren Geschmacksmuster – Begriff – Geschmacksmuster, das beim informierten Benutzer keinen anderen Gesamteindruck als das ältere Geschmacksmuster erweckt

(Verordnung Nr. 6/2002 des Rates, Art. 10 und 25 Abs. 1 Buchst. d)

2.      Gemeinschaftsgeschmacksmuster – Anmeldung – Voraussetzungen – Angabe der Erzeugnisse

(Verordnung Nr. 6/2002 des Rates, Art. 36 Abs. 2 und 6)

3.      Gemeinschaftsgeschmacksmuster – Nichtigkeitsgründe – Kollision mit einem älteren Geschmacksmuster – Geschmacksmuster, das beim informierten Benutzer keinen anderen Gesamteindruck als das ältere Geschmacksmuster erweckt – Informierter Benutzer – Begriff

(Verordnung Nr. 6/2002 des Rates, Art. 10 Abs. 1 und 25 Abs. 1 Buchst. d)

4.      Gemeinschaftsgeschmacksmuster – Nichtigkeitsgründe – Kollision mit einem älteren Geschmacksmuster – Geschmacksmuster, das beim informierten Benutzer keinen anderen Gesamteindruck als das ältere Geschmacksmuster erweckt – Beurteilungskriterien

(Verordnung Nr. 6/2002 des Rates, Art. 10 und 25 Abs. 1 Buchst. d)

1.      Art. 25 Abs. 1 Buchst. d der Verordnung Nr. 6/2002 über das Gemeinschaftsgeschmacksmuster ist dahin auszulegen, dass ein Gemeinschaftsgeschmacksmuster dann mit einem älteren Geschmacksmuster kollidiert, wenn es unter Berücksichtigung der Gestaltungsfreiheit des Entwerfers bei seiner Entwicklung keinen anderen Gesamteindruck beim informierten Benutzer erweckt als das in Anspruch genommene ältere Geschmacksmuster.

Diese Auslegung von Art. 25 Abs. 1 Buchst. d der Verordnung Nr. 6/2002 ist die einzige, die einen Schutz der Rechte des Inhabers eines Geschmacksmusters, der ein älteres Recht der in dieser Bestimmung beschriebenen Art hat, vor allen Beeinträchtigungen dieses Geschmacksmusters zu gewährleisten imstande ist, die sich aus der Koexistenz mit einem jüngeren Gemeinschaftsgeschmacksmuster ergeben, das beim informierten Benutzer den gleichen Gesamteindruck erweckt. Würde diese Bestimmung nicht so ausgelegt, wäre nämlich dem Inhaber eines älteren Rechts die Möglichkeit entzogen, die Nichtigerklärung eines solchen jüngeren Gemeinschaftsgeschmacksmusters zu beantragen, und er wäre des effektiven Schutzes beraubt, den ihm sein Geschmacksmuster nach Art. 10 der Verordnung Nr. 6/2002 oder Art. 9 der Richtlinie 98/71 über den rechtlichen Schutz von Mustern und Modellen verleiht.

(vgl. Randnrn. 52-53)

2.      Da ein Geschmacksmuster nach Art. 3 Buchst. a der Verordnung Nr. 6/2002 über das Gemeinschaftsgeschmacksmuster die Erscheinungsform eines Erzeugnisses darstellt, muss die Anmeldung eines Gemeinschaftsgeschmacksmusters nach Art. 36 Abs. 2 dieser Verordnung die Angabe der Erzeugnisse enthalten, in die es aufgenommen oder bei denen es verwendet werden soll. Allerdings ist zwar die Angabe dieser Erzeugnisse im Antrag auf Eintragung des Geschmacksmusters zwingend, doch beeinträchtigt sie nach Art. 36 Abs. 6 der Verordnung nicht den Schutzumfang des Geschmacksmusters als solchen.

Demgemäß ergibt sich aus Art. 36 Abs. 6 der Verordnung Nr. 6/2002, dass es zur Bestimmung des Erzeugnisses, in das das streitige Geschmacksmuster aufgenommen oder bei dem es verwendet werden soll, erforderlich ist, die sich auf dieses Erzeugnis beziehende Angabe in der Anmeldung dieses Geschmacksmusters zu berücksichtigen, daneben jedoch gegebenenfalls auch das Geschmacksmuster selbst, soweit es die Art, Bestimmung oder Funktion des Erzeugnisses näher beschreibt. Die Berücksichtigung des Geschmacksmusters selbst kann es nämlich ermöglichen, das Erzeugnis innerhalb einer bei der Eintragung angegebenen weiter gefassten Erzeugniskategorie zu ermitteln und damit den informierten Benutzer und den Grad der Gestaltungsfreiheit des Entwerfers bei der Entwicklung des Geschmacksmusters wirksam zu bestimmen.

(vgl. Randnrn. 55-56)

3.      Dem informierten Benutzer im Sinne des Art. 10 Abs. 1 der Verordnung Nr. 6/2002 über das Gemeinschaftsgeschmacksmuster ist eine besondere Wachsamkeit eigen, und er verfügt über eine gewisse Kenntnis vom vorherigen Stand der Technik, d. h. vom Formenschatz der sich auf das fragliche Erzeugnis beziehenden Geschmacksmuster, die am Anmeldetag des streitigen Geschmacksmusters oder gegebenenfalls an dem in Anspruch genommenen Prioritätstag zugänglich waren.

(vgl. Randnr. 62)

4.      Der Grad der Gestaltungsfreiheit des Entwerfers bei der Entwicklung des Geschmacksmusters wird insbesondere durch die Vorgaben bestimmt, die sich aus den durch die technische Funktion des Erzeugnisses oder eines Bestandteils des Erzeugnisses bedingten Merkmalen oder aus den auf das Erzeugnis anwendbaren gesetzlichen Vorschriften ergeben. Diese Vorgaben führen zu einer Standardisierung bestimmter Merkmale, die dann zu gemeinsamen Merkmalen aller beim betreffenden Erzeugnis verwendeten Geschmacksmuster werden.

Im Rahmen der konkreten Beurteilung des durch die fraglichen Geschmacksmuster beim informierten Benutzer, der eine gewisse Kenntnis vom vorherigen Stand der Technik hat, erweckten Gesamteindrucks ist der Grad der Gestaltungsfreiheit des Entwerfers bei der Entwicklung des streitigen Geschmacksmusters zu berücksichtigen. Infolgedessen haben zwischen den fraglichen Geschmacksmustern bestehende Ähnlichkeiten, soweit sie gemeinsame Merkmale betreffen, für den Gesamteindruck, der beim informierten Benutzer durch diese Geschmacksmuster erweckt wird, nur geringe Bedeutung. Hinzu kommt, dass, je beschränkter die Gestaltungsfreiheit des Entwerfers bei der Entwicklung des streitigen Geschmacksmusters ist, desto eher geringfügige Unterschiede zwischen den betreffenden Geschmacksmustern für die Erzeugung eines unterschiedlichen Gesamteindrucks beim informierten Benutzer ausreichen können.

(vgl. Randnrn. 67, 72)