Language of document : ECLI:EU:C:2011:816

URTEIL DES GERICHTSHOFS (Zweite Kammer)

8. Dezember 2011(*)

„Rechtsmittel – Wettbewerb – Kartelle – Markt für Kupfer-Installationsrohre – Geldbußen – Größe des Marktes, Zuwiderhandlungsdauer und Zusammenarbeit, die berücksichtigt werden können – Effektiver gerichtlicher Rechtsschutz“

In der Rechtssache C‑389/10 P

betreffend ein Rechtsmittel nach Art. 56 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union, eingelegt am 28. Juli 2010,

KME Germany AG, vormals KM Europa Metal AG, mit Sitz in Osnabrück (Deutschland),

KME France SAS, vormals Tréfimétaux SA, mit Sitz in Courbevoie (Frankreich),

KME Italy SpA, vormals Europa Metalli SpA, mit Sitz in Florenz (Italien),

Prozessbevollmächtigte: M. Siragusa, avvocato, A. Winckler, avocat, G. C. Rizza, avvocato, T. Graf, advokat, und M. Piergiovanni, avvocato,

Rechtsmittelführerinnen,

andere Verfahrensbeteiligte:

Europäische Kommission, vertreten durch E. Gippini Fournier und S. Noë als Bevollmächtigte im Beistand von C. Thomas, Solicitor, Zustellungsanschrift in Luxemburg,

Beklagte im ersten Rechtszug,

erlässt

DER GERICHTSHOF (Zweite Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten J. N. Cunha Rodrigues sowie der Richter U. Lõhmus, A. Rosas (Berichterstatter), A. Ó Caoimh und A. Arabadjiev,

Generalanwältin: E. Sharpston,

Kanzler: L. Hewlett, Hauptverwaltungsrätin,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 12. Mai 2011,

aufgrund des nach Anhörung der Generalanwältin ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,

folgendes

Urteil

1        Mit ihrem Rechtsmittel beantragen die KME Germany AG, vormals KM Europa Metal AG (im Folgenden: KME Germany), die KME France SAS, vormals Tréfimétaux SA (im Folgenden: KME France), und die KME Italy SpA, vormals Europa Metalli SpA (im Folgenden: KME Italy) (alle zusammen im Folgenden: KME-Gruppe), das Urteil des Gerichts der Europäischen Union vom 19. Mai 2010, KME Germany u. a./Kommission (T‑25/05, im Folgenden: angefochtenes Urteil), aufzuheben, mit dem das Gericht ihre Klage auf Herabsetzung der Geldbußen abgewiesen hat, die gegen sie gemäß Art. 2 Buchst. g bis i der Entscheidung C(2004) 2826 der Kommission vom 3. September 2004 in einem Verfahren nach Artikel 81 [EG] und Artikel 53 EWR-Abkommen (Sache COMP/E-1/38.069 – Kupferinstallationsrohre) (im Folgenden: streitige Entscheidung) verhängt worden waren.

 Rechtlicher Rahmen

2        Art. 15 Abs. 2 der Verordnung Nr. 17 des Rates vom 6. Februar 1962, Erste Durchführungsverordnung zu den Artikeln [81] und [82] des Vertrags (ABl. 1962, Nr. 13, S. 204) bestimmte:

„Die Kommission kann gegen Unternehmen und Unternehmensvereinigungen durch Entscheidung Geldbußen in Höhe von eintausend bis einer Million Rechnungseinheiten oder über diesen Betrag hinaus bis zu zehn vom Hundert des von dem einzelnen an der Zuwiderhandlung beteiligten Unternehmen im letzten Geschäftsjahr erzielten Umsatzes festsetzen, wenn sie vorsätzlich oder fahrlässig:

a)      gegen Artikel [81] Absatz (1) [EG] oder Artikel [82 EG] verstoßen,

b)      einer nach Artikel 8 Absatz (1) erteilten Auflage zuwiderhandeln.

Bei der Festsetzung der Höhe der Geldbuße ist neben der Schwere des Verstoßes auch die Dauer der Zuwiderhandlung zu berücksichtigen.“

3        Die Verordnung Nr. 17 wurde durch die Verordnung (EG) Nr. 1/2003 des Rates vom 16. Dezember 2002 zur Durchführung der in den Artikeln 81 und 82 des Vertrags niedergelegten Wettbewerbsregeln (ABl. 2003, L 1, S. 1), die seit dem 1. Mai 2004 gilt, aufgehoben und ersetzt.

4        Art. 23 Abs. 2 und 3 der Verordnung Nr. 1/2003 lautet:

„(2)      Die Kommission kann gegen Unternehmen und Unternehmensvereinigungen durch Entscheidung Geldbußen verhängen, wenn sie vorsätzlich oder fahrlässig

a)      gegen Artikel 81 oder Artikel 82 des Vertrags verstoßen …

Die Geldbuße für jedes an der Zuwiderhandlung beteiligte Unternehmen oder jede beteiligte Unternehmensvereinigung darf 10 % seines bzw. ihres jeweiligen im vorausgegangenen Geschäftsjahr erzielten Gesamtumsatzes nicht übersteigen.

(3)      Bei der Festsetzung der Höhe der Geldbuße ist sowohl die Schwere der Zuwiderhandlung als auch deren Dauer zu berücksichtigen.“

5        Art. 31 der Verordnung Nr. 1/2003 lautet:

„Bei Klagen gegen Entscheidungen, mit denen die Kommission eine Geldbuße oder ein Zwangsgeld festgesetzt hat, hat der Gerichtshof die Befugnis zu unbeschränkter Nachprüfung der Entscheidung. Er kann die festgesetzte Geldbuße oder das festgesetzte Zwangsgeld aufheben, herabsetzen oder erhöhen.“

6        In der Präambel der Mitteilung der Kommission „Leitlinien für das Verfahren zur Festsetzung von Geldbußen, die gemäß Artikel 15 Absatz 2 der Verordnung Nr. 17 und gemäß Artikel 65 Absatz 5 EGKS-Vertrag festgesetzt werden“ (ABl. 1998, C 9, S. 3, im Folgenden: Leitlinien), die zum Zeitpunkt des Erlasses der streitigen Entscheidung galt, heißt es:

„Die in diesen Leitlinien dargelegten Grundsätze sollen dazu beitragen, die Transparenz und Objektivität der Entscheidungen der Kommission sowohl gegenüber den Unternehmen als auch gegenüber dem Gerichtshof zu erhöhen, sowie den Ermessensspielraum bekräftigen, der vom Gesetzgeber der Kommission bei der Festsetzung der Geldbußen innerhalb der Obergrenze von 10 % des Gesamtumsatzes der Unternehmen eingeräumt wurde. Dieser Ermessensspielraum muss jedoch nach zusammenhängenden, nicht diskriminierenden Leitlinien ausgefüllt werden, die im Einklang mit den bei der Ahndung der Verstöße gegen die Wettbewerbsregeln verfolgten Zielen stehen.

Das neue Verfahren für die Festsetzung des Betrags der Geldbuße beruht auf folgendem Schema, dem die Errechnung eines Grundbetrags zugrunde liegt, wobei Aufschläge zur Berücksichtigung erschwerender und Abzüge zur Berücksichtigung mildernder Umstände berechnet werden können.“

7        Gemäß Nr. 1 der Leitlinien wird „[d]er Grundbetrag … nach Maßgabe der Schwere und Dauer des Verstoßes als den einzigen Kriterien von Artikel 15 Absatz 2 der Verordnung Nr. 17 errechnet“.

8        Bei der Ermittlung der Schwere eines Verstoßes sind gemäß Nr. 1 A der Leitlinien seine Art und die konkreten Auswirkungen auf den Markt, sofern diese messbar sind, sowie der Umfang des betreffenden räumlichen Marktes zu berücksichtigen. Die Verstöße werden in folgende drei Gruppen unterteilt: minder schwere, schwere und besonders schwere Verstöße.

9        Nach den Leitlinien sind besonders schwere Verstöße u. a. horizontale Beschränkungen wie z. B. „Preiskartelle“ und Marktaufteilungsquoten. Der voraussichtliche Grundbetrag liegt „oberhalb von 20 Millionen [Euro]“. Bei der Festlegung des Grundbetrags ist den Leitlinien zufolge eine Differenzierung notwendig, um Folgendes zu berücksichtigen: die Art des begangenen Verstoßes, die tatsächliche wirtschaftliche Fähigkeit der Urheber der Verstöße, Wettbewerber und den Verbraucher wirtschaftlich in erheblichem Umfang zu schädigen, die abschreckende Wirkung der Geldbuße sowie der wirtschaftliche Sachverstand und Ressourcen der Unternehmen, anhand deren sie erkennen können, in welchem Maß ihre Vorgehensweise einen Verstoß darstellt. Weiter ist bei Verstößen, an denen mehrere Unternehmen beteiligt sind, das jeweilige Gewicht und damit die tatsächliche Auswirkung des Verstoßes jedes einzelnen Unternehmens auf den Wettbewerb zu berücksichtigen, vor allem, wenn an einem Verstoß derselben Art Unternehmen von sehr unterschiedlicher Größe beteiligt waren.

10      Hinsichtlich der Dauer des Verstoßes wird in den Leitlinien unterschieden zwischen Verstößen von kurzer Dauer – in der Regel weniger als ein Jahr –, Verstößen von mittlerer Dauer – in der Regel zwischen einem und fünf Jahren – und solchen von langer Dauer – in der Regel mehr als fünf Jahre. Bei den Letztgenannten kann ein Aufschlag auf die Geldbuße erfolgen, der für jedes Jahr des Verstoßes bis zu 10 % des für die Schwere des Verstoßes ermittelten Betrags ausmachen kann. Die Leitlinien sehen außerdem eine Erhöhung der Aufschläge bei Verstößen von langer Dauer vor, um die Wettbewerbsbeschränkungen, die sich auf die Verbraucher dauerhaft schädlich ausgewirkt haben, wirksam zu ahnden und den Anreiz zu erhöhen, den Verstoß anzuzeigen oder mit der Kommission zusammenzuarbeiten.

11      Gemäß Nr. 2 der Leitlinien kann der Grundbetrag der Geldbuße bei erschwerenden Umständen wie z. B. einem erneuten, gleichartigen Verstoß des/derselben Unternehmen(s) erhöht werden. Gemäß Nr. 3 der Leitlinien kann dieser Grundbetrag bei mildernden Umständen wie z. B. ausschließlich passive Mitwirkung oder reines Mitläufertum, tatsächliche Nichtanwendung der Vereinbarungen oder aktive Mitwirkung des Unternehmens an dem Verfahren außerhalb des Anwendungsbereichs der Mitteilung der Kommission über die Nichtfestsetzung oder die niedrigere Festsetzung von Geldbußen in Kartellsachen (ABl. 1996, C 207, S. 4, im Folgenden: Mitteilung über Zusammenarbeit) verringert werden.

12      Die Leitlinien wurden mit Wirkung vom 1. September 2006 ersetzt durch die Leitlinien für das Verfahren zur Festsetzung von Geldbußen gemäß Artikel 23 Absatz 2 Buchstabe a) der Verordnung Nr. 1/2003 (ABl. 2006, C 210, S. 2).

13      In der Mitteilung über Zusammenarbeit sind die Voraussetzungen festgelegt, unter denen Geldbußen für Unternehmen, die während der Untersuchung eines Kartellfalls mit der Kommission zusammenarbeiten, entweder nicht oder niedriger festgesetzt werden können. Nach Abschnitt B dieser Mitteilung wird u. a. gegenüber einem Unternehmen, das die Absprache der Kommission anzeigt, bevor diese eine Nachprüfung vorgenommen hat und bereits über ausreichende Informationen verfügt, um das Bestehen des angezeigten Kartells zu beweisen, oder das als Erstes Angaben macht, die für den Beweis des Bestehens des Kartells von entscheidender Bedeutung sind, die Höhe der Geldbuße um mindestens 75 % niedriger festgesetzt, und es kann auf die Festsetzung der Geldbuße ganz verzichtet werden. Nach Abschnitt D dieser Mitteilung kann eine Geldbuße um 10 % bis 50 % niedriger festgesetzt werden, insbesondere wenn ein Unternehmen der Kommission vor der Mitteilung der Beschwerdepunkte Informationen, Unterlagen oder andere Beweismittel liefert, die zur Feststellung eines Verstoßes beitragen.

14      Die Mitteilung über Zusammenarbeit wurde mit Wirkung vom 14. Februar 2002 durch die Mitteilung der Kommission über den Erlass und die Ermäßigung von Geldbußen in Kartellsachen (ABl. 2002, C 45, S. 3) ersetzt. Die Kommission wandte jedoch in der vorliegenden Rechtssache die Mitteilung über Zusammenarbeit an, da die Unternehmen diese zugrunde legten, als sie mit ihr zusammenarbeiteten.

 Vorgeschichte des Rechtsstreits

15      Die Rechtsmittelführerinnen waren zusammen mit anderen Herstellern von Halbfertigerzeugnissen aus Kupfer und Kupferlegierungen an einem Kartell zur Verständigung über die Preise, zur Marktaufteilung und zum Austausch vertraulicher Informationen auf dem Markt für Kupfer-Installationsrohre beteiligt.

16      Am 3. September 2004 erließ die Kommission, nachdem sie Nachprüfungen und Untersuchungen durchgeführt hatte, die streitige Entscheidung, von der eine Zusammenfassung im Amtsblatt der Europäischen Union vom 13. Juli 2006 (ABl. L 192, S. 21) veröffentlicht ist.

17      Bei der Beurteilung der Schwere der in Rede stehenden Zuwiderhandlung berücksichtigte die Kommission die Art der Zuwiderhandlung, ihre konkreten Auswirkungen auf den Markt sowie den Umfang des betreffenden räumlichen Marktes und dessen Volumen. Sie machte geltend, dass es sich bei der Aufteilung von Märkten und der Festsetzung von Preisen, um die es im vorliegenden Fall gehe, um eine ihrer Art nach besonders schwere Zuwiderhandlung handele und dass der geografische Markt, auf den sich das Kartell bezogen habe, dem Gebiet des Europäischen Wirtschaftsraums (EWR) entspreche. Die Kommission berücksichtigte auch, dass der Markt für Kupfer-Installationsrohre einen sehr wichtigen Industriezweig darstelle. Zu den konkreten Auswirkungen auf den Markt führte sie aus, es lägen hinreichende Beweise dafür vor, dass das Kartell unter dem Strich Wirkungen auf dem betreffenden Markt gezeitigt habe. Sie zog hieraus den Schluss, dass die betreffenden Unternehmen eine besonders schwere Zuwiderhandlung begangen hätten.

18      Die Kommission bildete in der streitigen Entscheidung vier Gruppen von Unternehmen, die ihrer Ansicht nach der relativen Bedeutung der Unternehmen bei der in Rede stehenden Zuwiderhandlung entsprechen. Die KME-Gruppe wurde als größter Akteur auf dem betroffenen Markt angesehen und der ersten Kategorie zugeordnet.

19      Die Marktanteile wurden anhand der Umsätze jedes Zuwiderhandelnden mit Kupfer-Installationsrohren auf dem kombinierten Gesamtmarkt für blanke und kunststoffummantelte Kupfer-Installationsrohre bestimmt. Die Kommission setzte folglich den Ausgangsbetrag der Geldbußen für die KME-Gruppe auf 70 Mio. Euro fest.

20      Unter Berücksichtigung der Tatsache, dass KME France und KME Italy bis Juni 1995 ein von KME Germany verschiedenes Unternehmen bildeten, ist der für die KME-Gruppe insgesamt auf 70 Mio. Euro festgesetzte Ausgangsbetrag der Geldbußen wie folgt aufgeteilt: 35 Mio. Euro entfallen auf die KME-Gruppe, 17,5 Mio. Euro auf KME Germany und 17,5 Mio. Euro auf KME Italy und KME France gesamtschuldnerisch haftend.

21      Aus der streitigen Entscheidung ergibt sich, dass die Kommission die Ausgangsbeträge der Geldbußen um 10 % für jedes volle Jahr der Zuwiderhandlung und um 5 % für jeden zusätzlichen Zeitraum von sechs oder mehr Monaten, aber weniger als einem Jahr, erhöhte. So wurde entschieden, dass

–        der Ausgangsbetrag der Geldbuße von 35 Mio. Euro für die KME-Gruppe wegen der Teilnahme am Kartell für die Dauer von fünf Jahren und sieben Monaten um 55 % zu erhöhen sei,

–        der Ausgangsbetrag der Geldbuße von 17,5 Mio. Euro für KME Germany wegen der Teilnahme am Kartell für die Dauer von sieben Jahren und zwei Monaten um 70 % zu erhöhen sei und

–        der Ausgangsbetrag der Geldbuße von 17,5 Mio. Euro für KME France und KME Italy wegen der Teilnahme am Kartell für die Dauer von fünf Jahren und zehn Monaten um 55 % zu erhöhen sei.

22      Wie aus dem 719. Erwägungsgrund der streitigen Entscheidung hervorgeht, ergeben sich nach der Erhöhung wegen der Dauer der Beteiligung an der Zuwiderhandlung folgende Grundbeträge der gegen die Rechtsmittelführerinnen verhängten Geldbußen:

–        KME-Gruppe: 54,25 Mio. Euro;

–        KME Germany: 29,75 Mio. Euro;

–        KME France und KME Italy (gesamtschuldnerisch): 27,13 Mio. Euro.

23      Als mildernde Umstände berücksichtigte die Kommission, wie aus den Erwägungsgründen 758 und 759 der streitigen Entscheidung hervorgeht, dass ihr die KME-Gruppe und die von Outokumpu Oyj und der Outokumpu Copper Products Oy gebildete Gruppe (im Folgenden: Outokumpu-Gruppe) im Rahmen ihrer jeweiligen Zusammenarbeit außerhalb der Mitteilung über Zusammenarbeit Informationen geliefert hätten. Sie ermäßigte daher den Grundbetrag der gegen die Outokumpu-Gruppe verhängten Geldbuße um einen Betrag von 40,17 Mio. Euro, der der Geldbuße entspreche, die für die Zuwiderhandlung im Zeitraum von September 1989 bis Juli 1997, deren Nachweis erst durch die der Kommission von Outokumpu gelieferten Informationen ermöglicht worden sei, gegen diese verhängt worden wäre. Der Grundbetrag der gegen die KME-Gruppe verhängten Geldbuße wurde, wie aus den Erwägungsgründen 760 und 761 der streitigen Entscheidung hervorgeht, um 7,93 Mio. Euro ermäßigt, weil es der Kommission dank deren Kooperation möglich gewesen sei, nachzuweisen, dass die Zuwiderhandlung auch kunststoffummantelte Kupfer-Installationsrohre umfasst habe.

24      Die Kommission setzte die Beträge der verhängten Geldbußen für die Unternehmen, an die sich die streitige Entscheidung richtete, gemäß Art. 15 Abs. 2 der Verordnung Nr. 17 und Art. 23 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1/2003 wie folgt fest:

–        KME-Gruppe: 32,75 Mio. Euro;

–        KME Germany: 17,96 Mio. Euro;

–        KME France und KME Italy (gesamtschuldnerisch): 16,37 Mio. Euro.

 Verfahren vor dem Gericht und angefochtenes Urteil

25      Die Rechtsmittelführerinnen stützten ihre Klage auf sieben Klagegründe, die sich alle auf die Festsetzung der gegen sie verhängten Geldbuße bezogen. Mit ihnen beanstandeten sie eine nicht angemessene Berücksichtigung der konkreten Auswirkungen des Kartells auf den Markt bei der Berechnung des Ausgangsbetrags der Geldbuße, eine fehlerhafte Beurteilung der Größe des von dem Kartell betroffenen Sektors, eine fehlerhafte Beurteilung der Bedeutung der KME-Gruppe auf dem Markt für Kupfer-Installationsrohre, eine fehlerhafte Erhöhung des Ausgangsbetrags der Geldbuße aufgrund der Dauer der Zuwiderhandlung, die Nichtberücksichtigung bestimmter mildernder Umstände, eine fehlerhafte Anwendung der Mitteilung über Zusammenarbeit und die Nichtberücksichtigung der prekären finanziellen Lage der KME-Gruppe.

26      Das Gericht hat diese Klagegründe zurückgewiesen und die Klage insgesamt abgewiesen.

27      Außerdem hat es die Widerklage der Kommission auf Erhöhung der Geldbußen abgewiesen.

 Anträge der Verfahrensbeteiligten und Verfahren vor dem Gerichtshof

28      Die KME-Gruppe beantragt,

–        das angefochtene Urteil aufzuheben;

–        soweit dies auf der Grundlage des dem Gerichtshof vorliegenden Sachverhalts möglich ist, die streitige Entscheidung teilweise für nichtig zu erklären und die gegen die KME-Gruppe verhängte Geldbuße herabzusetzen;

–        der Kommission die Kosten des vorliegenden Verfahrens und des Verfahrens vor dem Gericht aufzuerlegen;

–        hilfsweise, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Rechtssache an das Gericht zurückzuverweisen.

29      Die Kommission beantragt,

–        das Rechtsmittel zurückzuweisen und

–        der KME-Gruppe die Kosten aufzuerlegen.

30      Der Gerichtshof hat in der Generalversammlung beschlossen, dass in der vorliegenden Rechtssache ohne Schlussanträge entschieden wird und dass sie am selben Tag wie die Rechtssache Chalkor/Kommission (C‑386/10 P), die dasselbe Kartell betrifft, verhandelt wird. Da die Rechtsmittelführerinnen jedoch in der bereits verhandelten Rechtssache KME Germany u. a./Kommission (C‑272/09 P), in der sie ebenfalls der Kommission gegenüberstehen und die eine Ausgangsentscheidung betrifft, mit der ein paralleles Kartell auf dem Markt für Kupfer-Industrierohre geahndet wurde, ähnliche Rechtsmittelgründe geltend gemacht haben, sind die Verfahrensbeteiligten aufgefordert worden, die Schlussanträge von Generalanwältin Sharpston vom 10. Februar 2011 in dieser Rechtssache in der mündlichen Verhandlung zu berücksichtigen.

 Zum Rechtsmittel

31      Die KME-Gruppe macht sechs Rechtsmittelgründe geltend, mit denen sie Rechtsfehler in Bezug auf die Auswirkungen der Zuwiderhandlung auf den Markt, die Berücksichtigung des Umsatzes und der Dauer der Zuwiderhandlung, einen Verstoß gegen die Leitlinien sowie die Grundsätze der Billigkeit und der Gleichbehandlung durch Nichtberücksichtigung bestimmter mildernder Umstände, einen Verstoß gegen die Leitlinien und einen Begründungsfehler und schließlich eine Verletzung des Anspruchs auf effektiven gerichtlichen Rechtsschutz rügt.

 Zum ersten Rechtsmittelgrund: Rechtsfehler in Bezug auf die Auswirkungen der Zuwiderhandlung auf den Markt

 Vorbringen der Verfahrensbeteiligten

32      Die Rechtsmittelführerinnen tragen vor, ihr erster Rechtsmittelgrund richte sich gegen die Randnrn. 81 bis 92 des angefochtenen Urteils. Diesen Randnummern geht eine Zusammenfassung des Vorbringens der Parteien sowie eine Stellungnahme des Gerichts zur Zulässigkeit bestimmter Argumente und zweier wirtschaftswissenschaftlicher Berichte voraus, die die Rechtsmittelführerinnen als Beweis dafür vorgelegt hatten, dass sich die Zuwiderhandlung nicht tatsächlich auf den Markt ausgewirkt habe; das Gericht gelangt in Randnr. 77 des angefochtenen Urteils zu dem Ergebnis, dass dieses Vorbringen und die Vorlage dieser Berichte zulässig seien.

33      Die Randnrn. 81 bis 92 des angefochtenen Urteils lauten wie folgt:

„81      Sodann ist auch in Bezug auf die Beurteilung der Schwere der Zuwiderhandlung festzustellen, dass es keinen Einfluss auf die Qualifizierung der Zuwiderhandlung als ‚besonders schwer‘ und damit auf den Betrag der Geldbuße gehabt hätte, wenn die Kommission nicht nachgewiesen hätte, dass das Kartell konkrete Auswirkungen auf den Markt hatte.

82      Aus dem gemeinschaftsrechtlichen Sanktionssystem für Verstöße gegen die Wettbewerbsregeln, wie es mit den Verordnungen Nr. 17 und Nr. 1/2003 geschaffen wurde und von der Rechtsprechung ausgelegt wird, ergibt sich, dass Absprachen wie Kartelle aufgrund ihres Wesens die schwersten Geldbußen verdienen. Die Frage nach ihren möglichen konkreten Auswirkungen auf den Markt, insbesondere die Frage, inwieweit die Wettbewerbsbeschränkung zu einem höheren Marktpreis geführt hat als dem, der ohne Kartell zu erzielen gewesen wäre, ist für die Bestimmung der Höhe der Geldbußen kein entscheidendes Kriterium (vgl. in diesem Sinne Urteile des Gerichtshofs vom 7. Juni 1983, Musique Diffusion française u. a./Kommission, 100/80 bis 103/80, Slg. 1983, 1825, Randnrn. 120 und 129, und vom 16. November 2000, Stora Kopparbergs Bergslags/Kommission, C‑286/98 P, Slg. 2000, I‑9925, Randnrn. 68 bis 77; vgl. auch Schlussanträge des Generalanwalts Mischo in der Rechtssache C‑283/98 P, Urteil des Gerichtshofs vom 16. November 2000, Mo och Domsjö/Kommission, Slg. 2000, I‑9855, I‑9858, Nrn. 95 bis 101).

83      Zudem ergibt sich aus den Leitlinien, dass Vereinbarungen oder aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen, die – wie im vorliegenden Fall – insbesondere auf die Festsetzung der Preise und die Aufteilung der Kunden abzielen, bereits aufgrund ihres Wesens als ‚besonders schwer‘ eingestuft werden können, ohne dass es erforderlich wäre, dass solche Verhaltensweisen durch eine Auswirkung oder einen besonderen räumlichen Umfang gekennzeichnet sind. Dieses Ergebnis wird dadurch bestätigt, dass zwar in der Beschreibung der ‚schweren‘ Verstöße ausdrücklich erwähnt wird, dass sie Auswirkungen auf den Markt haben und in einem größeren Teil des Gemeinsamen Marktes zum Tragen kommen, die Beschreibung der ‚besonders schweren‘ Verstöße aber kein Erfordernis konkreter Auswirkungen auf den Markt oder auf ein besonderes geografisches Gebiet enthält (Urteil des Gerichts vom 25. Oktober 2005, Groupe Danone/Kommission, T‑38/02, Slg. 2005, II‑4407, Randnr. 150).

84      Vorsorglich weist das Gericht darauf hin, dass nach seiner Auffassung die Kommission eine konkrete Auswirkung des Kartells auf den betreffenden Markt rechtlich hinreichend nachgewiesen hat.

85      In diesem Zusammenhang ist hervorzuheben, dass die Prämisse der Klägerinnen, wonach die Kommission, sofern sie sich bei der Festsetzung der Geldbuße auf eine konkrete Auswirkung des Kartells berufe, verpflichtet sei, das Vorliegen einer greifbaren wirtschaftlichen Auswirkung auf den Markt und einen Kausalzusammenhang zwischen der Auswirkung und der Zuwiderhandlung wissenschaftlich nachzuweisen, von der Rechtsprechung zurückgewiesen worden ist.

86      Das Gericht hat nämlich mehrfach entschieden, dass die konkreten Auswirkungen eines Kartells auf den Markt als hinreichend nachgewiesen anzusehen sind, wenn die Kommission in der Lage ist, konkrete und glaubhafte Indizien dafür vorzulegen, dass das Kartell mit hinreichender Wahrscheinlichkeit Auswirkungen auf den Markt hatte (Urteile des Gerichts [vom 18. Juli 2005,] Scandinavian Airlines System/Kommission, [T‑241/01, Slg. 2005, II‑2917,] Randnr. 122, vom 27. September 2006, Archer Daniels Midland/Kommission, T‑59/02, Slg. 2006, II‑3627, Randnrn. 159 bis 161, Jungbunzlauer/Kommission, T‑43/02, Slg. 2006, II‑3435, Randnrn. 153 bis 155, Archer Daniels Midland/Kommission, T‑329/01, Slg. 2006, II‑3255, Randnrn. 176 bis 178, und Roquette Frères/Kommission, T‑322/01, Slg. 2006, II‑3137, Randnrn. 73 bis 75).

87      In dieser Hinsicht ist festzustellen, dass sich die Kommission für ihre Annahme des Vorliegens konkreter Auswirkungen des Kartells auf den Markt hauptsächlich auf die Tatsachen gestützt hat, dass ein System für den Austausch von Daten über Verkaufsvolumen und Preisniveaus geschaffen wurde, die Existenz von im Zusammenhang mit den Kartelltreffen verfassten Dokumenten, die belegen, dass die Preise während bestimmter Zeiträume des Kartells gestiegen waren, und zeigen, dass das Kartell es den betreffenden Unternehmen erlaubte, ihre Preisziele zu erreichen, dass die Kartellmitglieder insgesamt über einen großen Marktanteil verfügten und dass die jeweiligen Marktanteile der Kartellteilnehmer während der Dauer der Zuwiderhandlung relativ stabil geblieben waren …

88      Die Klägerinnen machen geltend, das Kartell sei nur beschränkt durchgeführt worden und die von der Kommission vorgebrachten Tatsachen seien nicht als Nachweis dafür geeignet, dass die in Rede stehende Zuwiderhandlung konkrete Auswirkungen auf den Markt gehabt habe.

89      Aus der Rechtsprechung geht jedoch hervor, dass die Kommission auf der Grundlage der oben in Randnr. 87 genannten Indizien annehmen darf, dass die Zuwiderhandlung konkrete Auswirkungen auf den Markt hatte (vgl. in diesem Sinne Urteile Jungbunzlauer/Kommission, … Randnr. 159, Roquette Frères/Kommission, … Randnr. 78, vom 27. September 2006, Archer Daniels Midland/Kommission, T‑59/02, … Randnr. 165, Archer Daniels Midland/Kommission, T‑329/01, … Randnr. 181, und vom 14. Dezember 2006, Raiffeisen Zentralbank Österreich u. a./Kommission, T‑259/02 bis T‑264/02 und T‑271/02, Slg. 2006, II‑5169, Randnrn. 285 bis 287).

90      Im Übrigen kann nicht beanstandet werden, dass die Kommission in der [streitigen] Entscheidung festgestellt hat, dass der ursprüngliche Bericht es nicht erlaube, ihre Feststellungen in Bezug auf die tatsächlichen Auswirkungen der Zuwiderhandlung auf den Markt zu widerlegen. In dem ursprünglichen Bericht sind nämlich nur Zahlen verarbeitet, die sich auf die Klägerinnen beziehen. Nach der Rechtsprechung ist aber das von einem Unternehmen behauptete tatsächliche Verhalten bei der Bewertung der Auswirkungen eines Kartells auf den Markt nicht von Bedeutung; zu berücksichtigen sind lediglich die Wirkungen der Zuwiderhandlung in ihrer Gesamtheit (Urteil des Gerichtshofs vom 8. Juli 1999, Kommission/Anic Partecipazioni, C‑49/92 P, Slg. 1999, I‑4125, Randnrn. 150 und 152; Urteile des Gerichts vom 17. Dezember 1991, Hercules Chemicals/Kommission, T‑7/89, Slg. 1991, II‑1711, Randnr. 342, und vom 9. Juli 2003, Archer Daniels Midland und Archer Daniels Midland Ingredients/Kommission, T‑224/00, Slg. 2003, II‑2597, Randnr. 167).

91      In Anbetracht der vorstehenden Erwägungen ist der vorliegende Klagegrund somit als unbegründet zurückzuweisen.

92      Das Gericht ist ferner im Rahmen seiner Befugnis zu unbeschränkter Nachprüfung und im Licht der vorstehenden Erwägungen der Auffassung, dass der nach Maßgabe der Schwere festgesetzte Ausgangsbetrag der gegen die Klägerinnen verhängten Geldbuße, wie ihn die Kommission im 693. Erwägungsgrund der [streitigen] Entscheidung bestimmt hat, nicht in Frage zu stellen ist.“

34      Die Rechtsmittelführerinnen tragen vor, die Begründung des angefochtenen Urteils sei unlogisch und unzureichend und das Gericht habe einen Rechtsfehler begangen, indem es davon ausgegangen sei, dass die Kommission bei der Bestimmung des Ausgangsbetrags der gegen sie verhängten Geldbuße anhand der Schwere der Zuwiderhandlung die Auswirkungen des Kartells auf den relevanten Markt habe berücksichtigen dürfen, ohne nachweisen zu müssen, dass die Vereinbarungen tatsächlich solche Auswirkungen gehabt hätten, und indem es jedenfalls diese Auswirkungen aus bloßen Anhaltspunkten hergeleitet habe. Zudem habe das Gericht mit seiner Feststellung, dass die Kommission das Bestehen von Auswirkungen der Vereinbarungen auf den Markt rechtlich hinreichend dargetan habe, die ihm von der KME-Gruppe vorgelegten Tatsachen und Beweise wirtschaftlicher Art offensichtlich verfälscht.

35      Die Kommission macht zunächst geltend, dass der erste Rechtsmittelgrund ins Leere gehe. Bei diesem Klagegrund bleibe nämlich außer Acht, dass das Gericht in Randnr. 92 des angefochtenen Urteils seine Befugnis zu unbeschränkter Nachprüfung ausgeübt habe, als es den im 693. Erwägungsgrund der streitigen Entscheidung anhand der Schwere der Zuwiderhandlung bestimmten Ausgangsbetrag der gegen die KME-Gruppe verhängten Geldbuße bestätigt habe.

36      Zudem sei das Gericht zutreffend zu dem Ergebnis gelangt, dass es auf die Feststellungen in Bezug auf die Auswirkungen der Zuwiderhandlung auf den Markt nicht ankomme, und es habe jedenfalls bei der Untersuchung dieser Auswirkungen die einschlägigen rechtlichen Kriterien angewandt. Schließlich sei der erste Rechtsmittelgrund unzulässig, da er die Würdigung der Tatsachen und Beweismittel betreffe, und die Feststellungen des Gerichts seien ordnungsgemäß begründet, insbesondere die Randnr. 90 des angefochtenen Urteils, in der das Gericht darauf hingewiesen habe, dass lediglich die Wirkungen der Zuwiderhandlung in ihrer Gesamtheit zu berücksichtigen seien, was erkläre, dass es die von den Rechtsmittelführerinnen vorgelegten, sie betreffenden ökonometrischen Berichte nicht berücksichtigt habe.

 Würdigung durch den Gerichtshof

37      Die Rechtsmittelführerinnen beanstanden nicht die Feststellungen des Gerichts betreffend die Einstufung der Zuwiderhandlung als „besonders schwer“ im Sinne der Leitlinien, sondern seine Feststellungen betreffend die Berücksichtigung der konkreten Auswirkungen des Kartells auf den Markt als Faktor für die Bestimmung des Grundbetrags der Geldbuße.

38      Nach Nr. 1 A der Leitlinien sind bei der Ermittlung der Schwere eines Verstoßes dessen konkrete Auswirkungen auf den Markt nur insofern zu berücksichtigen, als sie messbar sind.

39      Um die konkreten Auswirkungen eines Kartells auf den Markt zu bestimmen, muss nämlich die sich aus dem Kartell ergebende Marktsituation mit der Marktsituation verglichen werden, die bei freiem Wettbewerb bestanden hätte. Ein solcher Vergleich erfordert angesichts der Vielzahl von Variablen, die sich auf den Markt auswirken können, zwangsläufig die Aufstellung von Hypothesen.

40      Im 629. Erwägungsgrund der streitigen Entscheidung weist die Kommission darauf hin, dass es unmöglich sei, festzustellen, wie sich die Preise während der Dauer der Zuwiderhandlung ohne das Kartell entwickelt hätten. Nach Zurückweisung des Vorbringens der Rechtsmittelführerinnen führt sie Indizien an, aus denen sie im 673. Erwägungsgrund der streitigen Entscheidung den Schluss zieht, dass der wettbewerbswidrige Plan unter dem Strich Marktwirkungen gezeitigt habe, auch wenn diese nicht genau quantifiziert werden könnten.

41      Somit geht aus der streitigen Entscheidung hervor, dass die Kommission es im vorliegenden Fall nicht für möglich hielt, bei der Bemessung der Geldbuße den fakultativen Gesichtspunkt der konkreten Auswirkungen der Zuwiderhandlung auf den Markt zu berücksichtigen, weil diese Auswirkungen nicht messbar gewesen seien. Dieses Ergebnis wurde im angefochtenen Urteil nicht in Frage gestellt.

42      Das Gericht hat in den Randnrn. 86 und 89 des angefochtenen Urteils auf die Rechtsprechung über die Anforderungen für den Nachweis der konkreten Auswirkungen eines Kartells auf den Markt verwiesen. Im Übrigen hat es in den Randnrn. 87 und 90 des angefochtenen Urteils nachgeprüft, ob die Kommission konkrete Auswirkungen des Kartells auf den Markt rechtlich hinreichend nachgewiesen hat. Es hat diese Nachprüfung jedoch, wie es in Randnr. 84 des angefochtenen Urteils ausgeführt hat, vorsorglich vorgenommen, nachdem es in dessen Randnr. 82 zutreffend darauf hingewiesen hatte, dass die Frage nach den konkreten Auswirkungen von Kartellen auf den Markt für die Bestimmung der Höhe der Geldbußen kein entscheidendes Kriterium ist. Folglich geht der gegen diesen Teil der Begründung des Gerichts gerichtete Rechtsmittelgrund ins Leere.

43      Jedenfalls ist das Gericht in seinen die Begründung der streitigen Entscheidung betreffenden Erwägungen auf das in den Randnrn. 58 bis 62 des angefochtenen Urteils zusammengefasste Vorbringen der Rechtsmittelführerinnen eingegangen, dass die Kommission in der streitigen Entscheidung keinen solchen Nachweis erbracht habe. Das Gericht ist zu dem Ergebnis gelangt, dass die gegebenen Umstände es erlaubten, solche Auswirkungen festzustellen, hat aber nicht in Zweifel gezogen, dass sich diese nicht genau messen ließen.

44      Es ist daher nicht widersprüchlich, dass das Gericht zum einen darauf hingewiesen hat, dass die Frage nach den konkreten Auswirkungen einer Zuwiderhandlung auf den Markt für die Bestimmung der Höhe der Geldbußen kein entscheidendes Kriterium ist, und zum anderen geprüft hat, ob solche Auswirkungen nachgewiesen sind.

45      Somit leiten die Rechtsmittelführerinnen in ihrem ersten Rechtsmittelgrund zu Unrecht aus der vom Gericht vorgenommenen Nachprüfung her, dass die konkreten Auswirkungen der Zuwiderhandlung auf den Markt bei der Berechnung des Ausgangsbetrags der gegen sie verhängten Geldbuße hätten berücksichtigt werden müssen. Diesem Vorbringen liegt eine falsche Prämisse zugrunde.

46      Was den Vorwurf angeht, das Gericht habe die von den Rechtsmittelführerinnen vorgelegten wirtschaftlichen Beweise verfälscht, wird nicht behauptet, dass das Gericht die wirtschaftswissenschaftlichen Berichte offensichtlich gegen ihren Wortlaut ausgelegt hat (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 10. Februar 2011, Activision Blizzard Germany/Kommission, C‑260/09 P, Slg. 2011, I‑0000, Randnr. 57), sondern dass das Gericht den Inhalt dieser Berichte falsch beurteilt habe. Jedenfalls geben die Rechtsmittelführerinnen nicht genau an, hinsichtlich welcher Teile dieser Berichte das Gericht den klaren und eindeutigen Sinn verkannt haben soll. Dieses Vorbringen ist daher unzulässig.

47      Nach alledem ist der erste Rechtsmittelgrund zurückzuweisen.

 Zum zweiten Rechtsmittelgrund: Rechtsfehler in Bezug auf die Berücksichtigung des Umsatzes

 Vorbringen der Verfahrensbeteiligten

48      Der zweite Rechtsmittelgrund ist im Wesentlichen gegen die Randnrn. 97 bis 101 des angefochtenen Urteils gerichtet, die wie folgt lauten:

„97      Zunächst ist festzustellen, dass es keinen stichhaltigen Grund dafür gibt, dass bei der Berechnung des Umsatzes eines Marktes bestimmte Produktionskosten außer Betracht gelassen werden müssten. Wie die Kommission zu Recht festgestellt hat, gibt es in allen Industriezweigen Kosten des Endprodukts, die der Hersteller nicht beherrschen kann, die aber gleichwohl einen wesentlichen Bestandteil seiner gesamten Tätigkeit bilden und daher im Rahmen der Festsetzung des Ausgangsbetrags der Geldbuße nicht von seinem Umsatz ausgenommen werden dürfen (vgl. in diesem Sinne Urteil des Gerichts vom 15. März 2000, Cimenteries CBR u. a./Kommission, T‑25/95, T‑26/95, T‑30/95 bis T‑32/95, T‑34/95 bis T‑39/95, T‑42/95 bis T‑46/95, T‑48/95, T‑50/95 bis T‑65/95, T‑68/95 bis T‑71/95, T‑87/95, T‑88/95, T‑103/95 und T‑104/95, Slg. 2000, II‑491, Randnrn. 5030 und 5031). Der Umstand, dass der Kupferpreis einen bedeutenden Teil des Endpreises der Installationsrohre darstellt oder dass die Preisschwankungen beim Kupfer sehr viel höher sind als bei anderen Rohstoffen, steht diesem Ergebnis nicht entgegen.

98      Die verschiedenen Rügen der Klägerinnen schließlich, die darauf abzielen, dass es, statt auf das Kriterium des Umsatzes des relevanten Marktes abzustellen, im Hinblick auf den Abschreckungszweck der Geldbußen und den Grundsatz der Gleichbehandlung zweckmäßiger sei, den Betrag der Geldbußen nach Maßgabe der Rentabilität der betreffenden Branche oder der entsprechenden Wertschöpfung festzusetzen, sind unerheblich.

99      In dieser Hinsicht ist zunächst festzustellen, dass die Schwere der Zuwiderhandlung unter Heranziehung zahlreicher Faktoren zu ermitteln ist, in Bezug auf die die Kommission über ein Ermessen verfügt (Urteil des Gerichts vom 12. Dezember 2007, BASF/Kommission, T‑101/05 und T‑111/05, Slg. 2007, II‑4949, Randnr. 65), ohne dass es eine zwingende oder abschließende Liste von Kriterien gäbe, die auf jeden Fall berücksichtigt werden müssten (Urteil vom 25. Januar 2007, Dalmine/Kommission, C‑407/04 P, Slg. 2007, I‑829, Randnr. 129); es ist daher nicht Sache des Richters, sondern der Kommission, im Rahmen ihres Ermessensspielraums und innerhalb der sich aus dem Gleichbehandlungsgrundsatz und den Verordnungen Nr. 17 und Nr. 1/2003 ergebenden Grenzen die Kriterien und die Zahlen auszuwählen, die sie berücksichtigen will, um eine Politik umzusetzen, die die Einhaltung der in Art. 81 EG genannten Verbote sicherstellt.

100      Sodann ist es unbestreitbar, dass der Umsatz eines Unternehmens oder eines Marktes als Beurteilungskriterium für die Schwere der Zuwiderhandlung zwangsläufig vage und unvollkommen ist. Damit wird nicht zwischen Branchen mit hoher und solchen mit geringer Wertschöpfung oder zwischen profitablen und weniger profitablen Unternehmen unterschieden. Gleichwohl wird der Umsatz trotz seines Näherungscharakters gegenwärtig sowohl vom Gesetzgeber als auch vom Gerichtshof als angemessenes Kriterium angesehen, um im Rahmen des Wettbewerbsrechts die Größe und Wirtschaftskraft der betreffenden Unternehmen zu beurteilen (vgl. insbesondere Urteil Musique Diffusion française u. a./Kommission, … Randnr. 121, Art. 15 Abs. 2 der Verordnung Nr. 17, zehnter Erwägungsgrund und Art. 14 und 15 der Verordnung [EG] Nr. 139/2004 des Rates vom 20. Januar 2004 über die Kontrolle von Unternehmenszusammenschlüssen [ABl. L 24, S. 1]).

101      Nach alledem ist festzustellen, dass die Kommission zu Recht den Kupferpreis bei der Bestimmung der Größe des betreffenden Sektors berücksichtigt hat.“

49      Die Rechtsmittelführerinnen tragen vor, das Gericht habe gegen Unionsrecht verstoßen und das angefochtene Urteil unzureichend begründet, indem es gebilligt habe, dass die Kommission, um bei der Ermittlung der Schwere als Faktor der gegen die Rechtsmittelführerinnen verhängten Geldbuße die Größe des von der Zuwiderhandlung betroffenen Marktes zu bestimmen, ein Marktvolumen zugrunde gelegt habe, das fälschlicherweise die Verkaufsumsätze auf einem getrennten, dem „Kartellmarkt“ vorgelagerten Markt umfasst habe, obwohl die Mitglieder des Kartells in den vorgelagerten Markt nicht vertikal integriert gewesen seien.

50      Die kupferverarbeitende Industrie weise spezifische Merkmale auf. Insbesondere habe es der Kunde in der Hand, den Zeitpunkt des Einkaufs auf der London Metal Exchange und damit auch den Preis zu bestimmen. Dieser Preis werde zwar vom Rohrhersteller mit der Verarbeitungsspanne dem Kunden in Rechnung gestellt, doch hieße seine Berücksichtigung bei der Ermittlung des Umsatzes des Unternehmens, die wirtschaftliche Realität des Marktes zu verkennen, die insbesondere dadurch gekennzeichnet sei, dass die Rohstoffe einen erheblichen Anteil der Produktkosten ausmachten und ihre Preise stark schwankten. Diesen Sachverhalt habe das Gericht festgestellt.

51      Das Gericht habe gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verstoßen, indem es außer Acht gelassen habe, dass die Kommission die Rechtsprechung des Gerichts und ihre eigene Entscheidungspraxis hätte berücksichtigen müssen, nach denen die Kommission bei der Bestimmung des Ausgangsbetrags der Geldbuße und/oder Anwendung der Obergrenze von 10 % des Umsatzes die Merkmale des betroffenen Marktes zu beachten habe.

52      Im Übrigen habe das Gericht dadurch, dass es zwischen den Rechtsmittelführerinnen und den anderen Unternehmen, deren Umsatz nicht ebenso vom Rohstoffpreis abhänge, keinen Unterschied gemacht habe, gegen den Grundsatz der Nichtdiskriminierung verstoßen, wonach unterschiedliche Sachverhalte unterschiedlich zu behandeln seien.

53      Schließlich beanstanden die Rechtsmittelführerinnen, dass die Rechtsprechung, auf die sich das Gericht gestützt habe, auf den Ermessensspielraum der Kommission abstelle. Das Gericht habe die von der Kommission für die Ermittlung der Schwere des Kartells herangezogenen Kriterien nicht auf ihre Relevanz und Angemessenheit überprüft.

54      Die Kommission trägt vor, das Gericht habe in Randnr. 97 des angefochtenen Urteils zu Recht darauf hingewiesen, dass es in allen Industriezweigen Kosten des Endprodukts gebe, die der Hersteller nicht beherrschen könne, die aber gleichwohl einen wesentlichen Bestandteil seiner gesamten Tätigkeit bildeten und daher im Rahmen der Festsetzung des Ausgangsbetrags der Geldbuße nicht von seinem Umsatz ausgenommen werden dürften.

55      Im Übrigen hält die Kommission den Rechtsmittelgrund für unzulässig, da die Rechtsmittelführerinnen den Gerichtshof aufforderten, die Frage, ob die Branche der Kupfer-Installationsrohre ein Sonderfall sei, anders zu beurteilen als das Gericht.

56      Das Gericht habe, indem es auf den Umsatz abgestellt habe anstatt auf streitige Daten, zu denen der Abzug „nicht beherrschbarer“ Kosten geführt hätte, eine objektive Würdigung vorgenommen. Dieses Ergebnis entspreche dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit.

57      Schließlich bestreitet die Kommission die Behauptungen der Rechtsmittelführerinnen über die Vorgehensweise zur Preisfestsetzung auf dem relevanten Markt. Es sei falsch, zwischen dem vom Kartell betroffenen Markt und einem diesem vorgelagerten, separaten Markt zu unterscheiden. Es gebe nur einen einheitlichen Markt, den für Kupferrohre, und Kupfer sei lediglich ein Kostenfaktor.

 Würdigung durch den Gerichtshof

58      Nach ständiger Rechtsprechung sind bei der Beurteilung der Schwere einer Zuwiderhandlung zahlreiche Faktoren zu berücksichtigen, die je nach der Art und den besonderen Umständen der betreffenden Zuwiderhandlung von unterschiedlicher Art und Bedeutung sind. Zu diesen Faktoren können je nach Fall die Menge und der Wert der Waren, auf die sich die Zuwiderhandlung erstreckte, sowie die Größe und Wirtschaftskraft des Unternehmens und damit der Einfluss gehören, den es auf den Markt ausüben konnte (vgl. in diesem Sinne Urteil Musique Diffusion française u. a./Kommission, Randnr. 120).

59      Der Gerichtshof hat daraus zwar geschlossen, dass bei der Festsetzung der Geldbuße sowohl der Gesamtumsatz des Unternehmens, der etwas über dessen Größe und Wirtschaftskraft aussagt, als auch der Teil dieses Umsatzes berücksichtigt werden darf, der mit den Waren erzielt worden ist, hinsichtlich deren die Zuwiderhandlung begangen wurde, und der somit einen Anhaltspunkt für das Ausmaß dieser Zuwiderhandlung liefern kann, er hat jedoch anerkannt, dass der Gesamtumsatz eines Unternehmens dessen Größe nur annähernd und unvollständig widerspiegeln kann (Urteile Musique Diffusion française u. a./Kommission, Randnr. 121, vom 17. Dezember 1998, Baustahlgewebe/Kommission, C‑185/95 P, Slg. 1998, I‑8417, Randnr. 139, vom 28. Juni 2005, Dansk Rørindustri u. a./Kommission, C‑189/02 P, C‑202/02 P, C‑205/02 P bis C‑208/02 P und C‑213/02 P, Slg. 2005, I‑5425, Randnr. 243, vom 18. Mai 2006, Archer Daniels Midland und Archer Daniels Midland Ingredients/Kommission, C‑397/03 P, Slg. 2006, I‑4429, Randnr. 100, sowie vom 19. März 2009, Archer Daniels Midland/Kommission, C‑510/06 P, Slg. 2009, I‑1843, Randnr. 74).

60      Im Übrigen hat der Gerichtshof wiederholt darauf hingewiesen, dass weder dem einen noch dem anderen dieser Umsätze eine im Verhältnis zu den anderen Faktoren der Beurteilung der Schwere einer Zuwiderhandlung übermäßige Bedeutung zugemessen werden darf (Urteile Musique Diffusion française u. a./Kommission, Randnr. 121, Dansk Rørindustri u. a./Kommission, Randnr. 243, vom 18. Mai 2006, Archer Daniels Midland und Archer Daniels Midland Ingredients/Kommission, Randnr. 100, sowie vom 19. März 2009, Archer Daniels Midland/Kommission, Randnr. 74).

61      Somit hat das Gericht in Randnr. 100 des angefochtenen Urteils rechtsfehlerfrei und insbesondere ohne Verstoß gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit oder gegen das Diskriminierungsverbot darauf hingewiesen, dass der Umsatz ein zwar vages und unvollkommenes, aber doch angemessenes Kriterium für die Beurteilung der Größe und Wirtschaftskraft der betreffenden Unternehmen ist.

62      Im Übrigen ist auch die Feststellung des Gerichts in Randnr. 97 des angefochtenen Urteils rechtsfehlerfrei, dass es keinen zwingenden Grund dafür gibt, bei der Berechnung des Umsatzes eines Marktes bestimmte Produktionskosten außer Betracht zu lassen. Wie der Gerichtshof in dem Urteil vom heutigen Tag, ebenfalls die Rechtsmittelführerinnen gegen die Kommission (C‑272/09 P), entschieden hat, müsste, sofern in einigen Fällen auf den Bruttoumsatz abgestellt würde, in anderen hingegen nicht, ein Schwellenwert in Form einer Verhältniszahl zwischen Netto- und Bruttoumsatz festgelegt werden, der schwer anwendbar wäre und Anlass zu endlosem und unlösbarem Streit, einschließlich des Vorwurfs der Ungleichbehandlung, gäbe.

63      Was die Rüge angeht, das Gericht habe die von der Kommission für die Ermittlung der Schwere des Kartells herangezogenen Kriterien nicht auf ihre Relevanz und Angemessenheit überprüft, ist darauf hinzuweisen, dass es bei einer Klage gegen eine wettbewerbsrechtliche Entscheidung Sache des Klägers ist, hiergegen Angriffsmittel vorzubringen, und es dem Gericht nicht obliegt, die Abwägung der von der Kommission zur Ermittlung der Höhe der Geldbuße berücksichtigten Faktoren von Amts wegen zu prüfen.

64      In dem angefochtenen Urteil hat das Gericht die ihm obliegende Kontrolle ausgeübt. Es ist auf das Angriffsmittel der Rechtsmittelführerinnen eingegangen und ist in Randnr. 101 des angefochtenen Urteils rechtsfehlerfrei zu dem Ergebnis gelangt, dass die Kommission zu Recht den Kupferpreis bei der Bestimmung der Größe des betreffenden Marktes berücksichtigt hat.

65      Der zweite Rechtsmittelgrund greift daher nicht durch.

 Zum dritten Rechtsmittelgrund: Rechtsfehler in Bezug auf die Berücksichtigung der Dauer der Zuwiderhandlung

 Vorbringen der Verfahrensbeteiligten

66      Die Rechtsmittelführerinnen tragen vor, ihr dritter Rechtsmittelgrund richte sich gegen die Randnrn. 111 bis 117 des angefochtenen Urteils. Das Gericht habe dadurch gegen Unionsrecht verstoßen und diesem Urteil eine unklare, unlogische und unzureichende Begründung gegeben, dass es den Abschnitt der streitigen Entscheidung, in dem die Leitlinien von der Kommission fehlerhaft angewandt würden, bestätigt habe, und es habe gegen die Grundsätze der Verhältnismäßigkeit und der Gleichbehandlung verstoßen, als es den Ausgangsbetrag der gegen die Rechtsmittelführerinnen verhängten Geldbuße wegen der Dauer der Zuwiderhandlung um den maximalen Prozentsatz erhöht habe.

67      Aus Nr. 1 B der Leitlinien ergebe sich, dass der Zweck der Erhöhung der Geldbuße wegen der Dauer der Zuwiderhandlung darin bestehe, „die Wettbewerbsbeschränkungen, die sich auf die Verbraucher dauerhaft schädlich ausgewirkt haben, wirksam zu ahnden“. Dass zwischen der Dauer der Zuwiderhandlung und deren schädlicher Auswirkung auf die Verbraucher ein Zusammenhang bestehen müsse, ergebe sich auch aus der Rechtsprechung. Das Gericht habe aber nicht untersucht, ob die Kommission bei der Beurteilung der Schwere der Zuwiderhandlung dem Umstand, dass sich die Intensität und Wirksamkeit des Kartells im Laufe der Zeit verändert hätten, gebührendes Gewicht beigemessen habe. Somit habe das Gericht in Randnr. 116 des angefochtenen Urteils die Erhöhung des Ausgangsbetrags der Geldbuße um 125 % zu Unrecht als nicht offensichtlich unverhältnismäßig angesehen.

68      Im Übrigen habe es zu einer rechtswidrigen unterschiedlichen Behandlung der KME-Gruppe und ihrer Unternehmen geführt, dass das Gericht nicht anerkannt habe, dass die Lage der KME-Gruppe derjenigen der klagenden Unternehmen in der Rechtssache, in der das Urteil des Gerichts vom 19. Mai 2010, IMI u. a./Kommission (T‑18/05, Slg. 2010, II‑1769), ergangen sei, sehr ähnlich sei, und es anders als dort abgelehnt habe, den Ausgangsbetrag der Geldbuße neu festzusetzen.

69      Die Kommission trägt vor, die Rechtsmittelführerinnen hätten die Feststellungen des Gerichts in den Randnrn. 111 bis 115 des angefochtenen Urteils nicht widerlegt. In Art. 23 Abs. 3 der Verordnung Nr. 1/2003 werde zwischen der Schwere der Zuwiderhandlung und deren Dauer unterschieden, und um in Bezug auf die Dauer der Zuwiderhandlung die Gleichbehandlung zu berücksichtigen, sei es erforderlich, diese Dauer zu prüfen und nicht die Faktoren in Bezug auf die Schwere der Zuwiderhandlung, wie die Intensität des Kartells und seine Wirkungen.

70      Zu den klagenden Unternehmen in der Rechtssache, in der das Urteil IMI u. a./Kommission ergangen ist, weist die Kommission darauf hin, dass das Gericht die Entscheidung über die Feststellung der Zuwiderhandlung wegen eines Zeitraums von 16 Monaten für nichtig erklärt habe. Diese Unternehmen hätten sich somit in einer anderen Lage als die Rechtsmittelführerinnen befunden.

71      Schließlich sähen die Leitlinien für das Verfahren zur Festsetzung von Geldbußen gemäß Artikel 23 Absatz 2 Buchstabe a) der Verordnung Nr. 1/2003, um die Schädigung aufgrund eines Kartells zu berücksichtigen, eine Erhöhung der Geldbuße um 100 % für jedes Jahr des Kartells vor. Die im vorliegenden Fall vorgenommene Erhöhung um 10 % für jedes zusätzliche Jahr sei in Wirklichkeit sehr gering und offensichtlich nicht unverhältnismäßig.

 Würdigung durch den Gerichtshof

72      Mit ihrem dritten Rechtsmittelgrund beanstanden die Rechtsmittelführerinnen sowohl den Grundsatz einer Erhöhung der Geldbuße wegen der Dauer der Zuwiderhandlung als auch das Ergebnis der Anwendung dieses Grundsatzes in ihrem Fall, nämlich die Erhöhung des auf 70 Mio. Euro festgesetzten Ausgangsbetrags der Geldbuße um 125 % für eine Zuwiderhandlungsdauer von zwölf Jahren und neun Monaten, d. h. um 10 % für jedes Jahr der Beteiligung. Nach den im 719. Erwägungsgrund der streitigen Entscheidung angeführten und in Randnr. 22 des vorliegenden Urteils wiedergegebenen Zahlen wurde der Grundbetrag für die KME-Gruppe auf diese Weise auf 111,13 Mio. Euro festgesetzt.

73      Die Beanstandung des Ergebnisses beruht jedoch auf der falschen Prämisse, dass der Erhöhungssatz 125 % betragen habe, während er nur 58,75 % (111,13/70 = 1,5875) betrug.

74      Was den Grundsatz einer Erhöhung der Geldbuße wegen der Dauer der Zuwiderhandlung angeht, muss nicht materiell dargetan werden, dass zwischen dieser Dauer und einer erhöhten Schädigung der mit den Wettbewerbsregeln verfolgten Ziele der Union ein unmittelbarer Zusammenhang besteht.

75      Bei der Anwendung von Art. 81 Abs. 1 EG brauchen nämlich die tatsächlichen Auswirkungen einer Vereinbarung nicht berücksichtigt zu werden, wenn sich ergibt, dass diese eine Verhinderung, Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs bezweckt (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 13. Juli 1966, Consten und Grundig/Kommission, 56/64 und 58/64, Slg. 1966, 322). Dies ist u. a. bei Vereinbarungen wie den vorliegenden der Fall, die offenkundige Beschränkungen des Wettbewerbs wie die Festsetzung von Preisen und die Aufteilung des Marktes umfassen. Wird durch ein Kartell der Zustand des Marktes zum Zeitpunkt des Abschlusses der Kartellvereinbarung fixiert, kann seine lange Dauer zu einer Erstarrung der Strukturen führen, wodurch die Kartellbeteiligten weniger Anreiz zu Innovation und Entwicklung erhalten. Die Rückkehr zu einem Zustand des freien Wettbewerbs wird umso schwieriger sein und umso länger dauern, je länger das Kartell selbst gedauert hat.

76      Auch wenn sich die Intensität und Wirksamkeit des Kartells im Laufe der Zeit verändern, besteht das Kartell doch fort und die Erstarrung der Marktstrukturen wird somit weiter zunehmen.

77      Für den Fall, dass eine Kartellvereinbarung überhaupt nicht durchgeführt wurde, ist in Nr. 3 der Leitlinien vorgesehen, dass die tatsächliche Nichtanwendung der Vereinbarungen über Verstöße einen mildernden Umstand darstellen kann, der zu einer Verringerung des Grundbetrags der Geldbuße führt. Dies war hier jedoch offensichtlich nicht der Fall, da die Rechtsmittelführerinnen nicht die Durchführung des Kartells ihrerseits abstreiten, sondern lediglich rügen, dass die wechselnde Intensität dieser Durchführung und der konkreten und objektiven Auswirkungen des Kartells auf die Verbraucher nicht berücksichtigt worden sei.

78      Im Übrigen kann die Bezifferung einer tatsächlichen Schädigung des Verbrauchers angesichts der Vielzahl von Variablen, die u. a. bei der Preisbildung eines Fertigungserzeugnisses einfließen, schwierig sein.

79      Jedenfalls hat der Gesetzgeber der Union die Zuwiderhandlungsdauer als Faktor angeführt, der als solcher bei der Festsetzung von Geldbußen zu berücksichtigen ist.

80      Angesichts dieser Gesichtspunkte hat das Gericht in Randnr. 117 des angefochtenen Urteils den gegen die Erhöhung der Geldbuße nach Maßgabe der Dauer gerichteten Klagegrund zu Recht als unbegründet zurückgewiesen.

81      Bei den klagenden Unternehmen in der Rechtssache, in der das Urteil IMI u. a./Kommission ergangen ist, ist das Gericht, wie aus Randnr. 96 jenes Urteils hervorgeht, von einer etwas mehr als 16 Monate dauernden Unterbrechung der Zuwiderhandlung ausgegangen. Diese Unternehmen befanden sich somit in einer ganz anderen Lage als die Rechtsmittelführerinnen, die zu keiner Zeit eine Unterbrechung der Zuwiderhandlung, sondern nur deren wechselnde Intensität geltend gemacht haben. Das Gericht hat somit nicht gegen das Diskriminierungsverbot verstoßen, indem es die Rechtsmittelführerinnen und die genannten Unternehmen unterschiedlich behandelte.

82      Nach alledem greift der dritte Rechtsmittelgrund nicht durch.

 Zum vierten Rechtsmittelgrund: Verstoß gegen die Leitlinien sowie die Grundsätze der Billigkeit und der Gleichbehandlung durch Nichtberücksichtigung bestimmter mildernder Umstände

 Vorbringen der Verfahrensbeteiligten

83      Die Rechtsmittelführerinnen tragen vor, ihr vierter Rechtsmittelgrund richte sich gegen die Randnrn. 125 bis 142 des angefochtenen Urteils. Das Gericht habe dadurch gegen Unionsrecht verstoßen, dass es den fünften Klagegrund zurückgewiesen und den Abschnitt der streitigen Entscheidung bestätigt habe, in dem die Kommission es unter Verstoß gegen die Leitlinien sowie die Grundsätze der Billigkeit und der Gleichbehandlung abgelehnt habe, ihnen eine Herabsetzung der Geldbuße zu gewähren erstens wegen der beschränkten Durchführung der Vereinbarungen, zweitens wegen der Krise in der Kupfer-Installationsrohrbranche und drittens wegen ihrer Mitwirkung außerhalb des Anwendungsbereichs der Mitteilung über Zusammenarbeit.

84      Erstens sei dem Gericht ein Rechtsfehler unterlaufen, indem es in dem angefochtenen Urteil völlig außer Acht gelassen habe, dass sie die Vereinbarungen nicht durchgeführt und sich wettbewerbskonform verhalten hätten. Sie beanstanden insoweit das in Randnr. 127 dieses Urteils genannte Kriterium, das das Gericht herangezogen habe, um zu beurteilen, ob sie die Voraussetzungen für die Anwendung des mildernden Umstands erfüllten, nämlich sich den Verpflichtungen zur Umsetzung des Kartells so eindeutig und nachdrücklich widersetzt hätten, dass dadurch dessen Funktionieren gestört worden wäre. Ein solches Kriterium sei strenger als das für die Bestimmung des Endzeitpunkts einer Beteiligung, nämlich das Kriterium der offenen Distanzierung von der rechtswidrigen Abstimmung, was unlogisch sei.

85      Zweitens habe das Gericht gegen das Diskriminierungsverbot verstoßen, denn es hätte die schwierige Lage der Installationsrohrbranche als mildernden Umstand berücksichtigen müssen.

86      Drittens habe das Gericht gegen Unionsrecht verstoßen, indem es den Abschnitt der streitigen Entscheidung bestätigt habe, in dem die Kommission es abgelehnt habe, ihnen wegen ihrer Mitwirkung außerhalb des Anwendungsbereichs der Mitteilung über Zusammenarbeit eine Herabsetzung der Geldbuße zu gewähren. Nur den Rechtsmittelführerinnen hätte eine Herabsetzung oder ein Teilerlass der Geldbuße gewährt werden dürfen, denn sie hätten einen Nachweis für die Dauer der Zuwiderhandlung beigebracht, während die Outokumpu-Gruppe nur eine Information über die gesamte Dauer des Kartells geliefert habe.

87      Nach Auffassung der Kommission hat das Gericht die Rechtsprechung, nach der die Geldbuße wegen Nichtdurchführung des Kartells herabgesetzt werden kann, richtig angewandt.

88      Im Übrigen könne eine Rüge des Verstoßes gegen das Diskriminierungsverbot nicht auf Entscheidungen über andere Kartelle gestützt werden. Jedenfalls sei die schwierige Periode für die Branche nach dem Kartell gekommen.

89      Was schließlich die Mitwirkung angeht, hält die Kommission den vierten Rechtsmittelgrund für unzulässig, weil die KME-Gruppe den Gerichtshof auffordere, seine eigene Würdigung an die Stelle der vom Gericht vorgenommenen Würdigung zu setzen.

90      Zudem sei dieser Rechtsmittelgrund unbegründet. Das Gericht habe seine Würdigung der Voraussetzungen für einen Teilerlass klar und logisch dargelegt und sei dabei auf alle Rechtsausführungen der KME-Gruppe eingegangen.

91      Im Fall der Outokumpu-Gruppe sei die Geldbuße herabgesetzt worden, weil die Kommission anhand der von dieser erhaltenen Information Ermittlungen habe durchführen und nach Beweisen habe suchen können. Die Rechtsmittelführerinnen hätten durch Lieferung von Beweisen lediglich die Aufgabe erleichtert. Anders als von den Rechtsmittelführerinnen in ihrer Rechtsmittelschrift dargestellt, hätte ihnen auch nicht ein Teilerlass nach der Mitteilung der Kommission über den Erlass und die Ermäßigung von Geldbußen in Kartellsachen gewährt werden können, da ein solcher Erlass sich auf Beweismittel für einen Sachverhalt beziehe, „von denen die Kommission zuvor keine Kenntnis hatte“, was bei der Gesamtdauer des Kartells nicht der Fall gewesen sei.

92      Schließlich stehe einem Teilerlass in dem von den Rechtsmittelführerinnen angeführten Fall Abschnitt D der Mitteilung über Zusammenarbeit entgegen, in dem bereits eine Herabsetzung der Geldbuße vorgesehen sei, wenn ein Unternehmen der Kommission Informationen, Unterlagen oder andere Beweismittel liefere, die zur Feststellung des Vorliegens eines Verstoßes beitrügen.

 Würdigung durch den Gerichtshof

93      Die erste Rüge richtet sich gegen Randnr. 127 des angefochtenen Urteils, in der das Gericht auf seine Rechtsprechung verweist, dass die Zuwiderhandelnden, um den mildernden Umstand der Nr. 3 zweiter Gedankenstrich der Leitlinien in Anspruch nehmen zu können, nachweisen müssen, dass sie sich wettbewerbskonform verhielten oder dass sie sich zumindest den Verpflichtungen zur Umsetzung des Kartells so eindeutig und nachdrücklich widersetzten, dass dadurch dessen Funktionieren gestört wurde, und dass sie der Vereinbarung auch nicht scheinbar zustimmten und dadurch andere Unternehmen zur Umsetzung des fraglichen Kartells veranlassten (Urteile des Gerichts vom 8. Juli 2004, Dalmine/Kommission, T‑50/00, Slg. 2004, II‑2395, Randnr. 292, und vom 15. März 2006, Daiichi Pharmaceutical/Kommission, T‑26/02, Slg. 2006, II‑713, Randnr. 113).

94      In Randnr. 491 des Urteils Raiffeisen Zentralbank Österreich u. a./Kommission hat das Gericht diese Rechtsprechung durch den Hinweis erläutert, dass ein Unternehmen, das trotz der Abstimmung mit seinen Konkurrenten eine mehr oder weniger unabhängige Marktpolitik verfolge, möglicherweise nur versuche, das Kartell zum eigenen Vorteil zu nutzen. Würden in einem solchen Fall mildernde Umstände zugestanden, könnten Unternehmen das Risiko, eine beträchtliche Geldbuße zahlen zu müssen, zu leicht minimieren, wenn sie zunächst von einem rechtswidrigen Kartell profitieren und anschließend eine Herabsetzung der Geldbuße mit der Begründung beanspruchen könnten, dass sie bei der Durchführung der Zuwiderhandlung nur eine begrenzte Rolle gespielt hätten, obgleich ihre Haltung andere Unternehmen dazu veranlasst habe, sich in stärkerem Maß wettbewerbsschädigend zu verhalten (vgl. auch Urteil des Gerichts vom 8. Juli 2004, Mannesmannröhren-Werke/Kommission, T‑44/00, Slg. 2004, II‑2223, Randnrn. 277 und 278).

95      Entgegen dem Vorbringen der Rechtsmittelführerinnen befindet sich ein Unternehmen, das seine Beteiligung an einem Kartell einstellt, nicht in derselben Lage wie ein Unternehmen, das dem Kartell beitritt, es aber nicht durchführt oder aufhört, dies zu tun. Im letztgenannten Fall schädigt nämlich das Unternehmen weiterhin den Wettbewerb durch seine Teilnahme an etwaigen Gesprächen sowie durch den vom Gericht hervorgehobenen Umstand, dass seine Beteiligung an dem Kartell andere Unternehmen dazu veranlassen könnte, sich wettbewerbsschädigend zu verhalten.

96      Das Gericht hat somit keinen Rechtsfehler begangen, indem es die Voraussetzungen für den mildernden Umstand der Nr. 3 zweiter Gedankenstrich der Leitlinien streng ausgelegt hat. Wie vom Gericht in Randnr. 128 des angefochtenen Urteils festgestellt, haben die Rechtsmittelführerinnen jedoch nicht behauptet, dass sie diese Voraussetzungen erfüllten. Die erste Rüge greift daher nicht durch.

97      Hinsichtlich der zweiten Rüge genügt der Hinweis, dass Kartelle im Allgemeinen gerade dann entstehen, wenn eine Branche in Schwierigkeiten ist, und dass solche Schwierigkeiten grundsätzlich keinen mildernden Umstand darstellen.

98      Zudem kann sich die Problematik des Vergleichs zwischen der Höhe von Geldbußen für Unternehmen, die an verschiedenen Vereinbarungen auf verschiedenen Märkten und zu mitunter ganz verschiedenen Zeitpunkten teilgenommen haben, aus den für die Durchführung einer wirksamen Wettbewerbspolitik erforderlichen Bedingungen ergeben (Urteil vom 2. Oktober 2003, Aristrain/Kommission, C‑196/99 P, Slg. 2003, I‑11005, Randnr. 81). Das Gericht hat daher nicht gegen das Diskriminierungsverbot verstoßen mit seiner Feststellung in Randnr. 129 des angefochtenen Urteils, dass die Kommission nicht deshalb, weil sie in früheren Fällen die wirtschaftliche Situation der Branche als mildernden Umstand berücksichtigt hat, diese Praxis unbedingt fortsetzen muss.

99      Mit der dritten Rüge beanstanden die Rechtsmittelführerinnen das angefochtene Urteil, ohne jedoch zu erläutern und zu begründen, inwiefern dem Gericht in der in den Randnrn. 136 bis 140 des angefochtenen Urteils enthaltenen Begründung ein Rechtsfehler unterlaufen sein soll, und ohne darzulegen, inwiefern die Vorlage von Beweismitteln für der Kommission bereits bekannte Tatsachen die Herabsetzung der Geldbuße wegen mildernder Umstände eher rechtfertigen soll als die früher erfolgte Vorlage einer für die Kommission neuen Information. Dieses Vorbringen ist zu unbestimmt und folglich unzulässig.

100    Nach alledem ist der vierte Rechtsmittelgrund teils unzulässig und teils unbegründet.

 Zum fünften Rechtsmittelgrund: Verstoß gegen die Leitlinien und Begründungsfehler

 Vorbringen der Verfahrensbeteiligten

101    Die Rechtsmittelführerinnen tragen vor, ihr fünfter Rechtsmittelgrund richte sich gegen die Randnrn. 163 bis 174 des angefochtenen Urteils. Das Gericht habe einen Rechtsfehler begangen und eine unlogische und unzureichende Begründung gegeben für die Zurückweisung des siebten Klagegrundes und die Bestätigung der Weigerung der Kommission, ihre Geldbuße wegen ihrer Unfähigkeit zur Zahlung – insbesondere infolge ihrer finanziellen Belastung, die ihnen im Rahmen der Sache Kupfer-Industrierohre auferlegt worden sei – herabzusetzen. Das Gericht habe nicht das angemessene Kriterium herangezogen, da das Unternehmen lediglich darzutun brauche, dass ihm durch die Verhängung einer schweren Sanktion ein besonders schwerer wirtschaftlicher und finanzieller Schaden entstehen werde. Im Übrigen habe das Gericht den zweiten Teil des in Nr. 5 Buchst. b der Leitlinien vorgesehenen Kriteriums falsch ausgelegt, indem es festgestellt habe, dass kein „gegebenes soziales Umfeld“ im Sinne dieser Bestimmung eine Herabsetzung der Geldbuße rechtfertige. Schließlich habe das Urteil nicht der rechtswidrigen Diskriminierung der Rechtsmittelführerinnen durch die Kommission gegenüber der SGL Carbon AG in den Rechtssachen abgeholfen, in denen die Urteile vom 29. Juni 2006, SGL Carbon/Kommission (C‑308/04 P, Slg. 2006, I‑5977), und vom 10. Mai 2007, SGL Carbon/Kommission (C‑328/05 P, Slg. 2007, I‑3921), ergangen seien.

102    Die Kommission weist zunächst darauf hin, dass die erste Rüge der Rechtsmittelführerinnen nicht gegen einen Rechtsfehler in dem angefochtenen Urteil gerichtet sei und dass das Gericht nicht über die Bedeutung des Ausdrucks „Unfähigkeit zur Zahlung“ entschieden habe. Ferner sei das Gericht nicht mit der Frage des „gegebenen sozialen Umfelds“ befasst gewesen. Jedenfalls seien die Behauptungen der Rechtsmittelführerinnen vage und beträfen die Tatsachen- und Beweiswürdigung, was im Rahmen eines Rechtsmittels unzulässig sei. Schließlich habe das Gericht das Vorbringen der Rechtsmittelführerinnen zur Diskriminierung mit der Begründung zurückgewiesen, dass die frühere Entscheidungspraxis der Kommission nicht als rechtlicher Rahmen für die Geldbußen diene. Jedenfalls habe sich die SGL Carbon AG in einer anderen Lage befunden.

 Würdigung durch den Gerichtshof

103    Das Gericht hat in Randnr. 165 des angefochtenen Urteils rechtsfehlerfrei darauf hingewiesen, dass die Kommission nicht verpflichtet ist, die schlechte Finanzlage eines Unternehmens zu berücksichtigen, da die Anerkennung einer solchen Verpflichtung darauf hinauslaufen würde, den am wenigsten den Marktbedingungen angepassten Unternehmen einen ungerechtfertigten Wettbewerbsvorteil zu verschaffen (vgl. Urteile vom 8. November 1983, IAZ International Belgium u. a./Kommission, 96/82 bis 102/82, 104/82, 105/82, 108/82 und 110/82, Slg. 1983, 3369, Randnrn. 54 und 55, Dansk Rørindustri u. a./Kommission, Randnr. 327, vom 29. Juni 2006, SGL Carbon/Kommission, Randnr. 105, sowie vom 10. Mai 2007, SGL Carbon/Kommission, Randnr. 100).

104    Noch weniger ist die Kommission gehalten, eine behauptete Zahlungsunfähigkeit zu berücksichtigen, die auf eine zur Ahndung einer anderen Zuwiderhandlung gegen das Wettbewerbsrecht verhängte finanzielle Sanktion zurückgeführt wird, da die Hauptverantwortung für eine solche durch ein rechtswidriges Verhalten hervorgerufene Situation bei dem Unternehmen liegt.

105    Darüber hinaus kann sich, wie in Randnr. 98 des vorliegenden Urteils ausgeführt, die Problematik des Vergleichs zwischen der Höhe von Geldbußen für Unternehmen, die an verschiedenen Vereinbarungen auf verschiedenen Märkten und zu mitunter ganz verschiedenen Zeitpunkten teilgenommen haben, aus den für die Durchführung einer wirksamen Wettbewerbspolitik erforderlichen Bedingungen ergeben. Das Gericht hat daher nicht gegen das Diskriminierungsverbot verstoßen mit seiner Feststellung in Randnr. 164 des angefochtenen Urteils, dass die Kommission nicht deshalb, weil sie in früheren Fällen die finanziellen Schwierigkeiten eines Unternehmens berücksichtigt hat, verpflichtet wäre, in einem späteren Fall ebenso zu verfahren.

106    Im Übrigen ist schließlich der fünfte Rechtsmittelgrund besonders allgemein gehalten, da die Rechtsmittelführerinnen lediglich behaupten, dem Gericht sei ein Rechtsfehler unterlaufen, ohne anzugeben, worin dieser genau bestehen soll. Jedenfalls ist der Gerichtshof zur Kontrolle reiner Tatsachenwürdigungen des Gerichts, wie sie in den Randnrn. 169 und 170 des angefochtenen Urteils enthalten sind, nicht befugt.

107    Nach alledem ist der fünfte Rechtsmittelgrund als teils unzulässig und teils unbegründet zurückzuweisen.

 Zum sechsten Rechtsmittelgrund: Verletzung des Anspruchs auf effektiven gerichtlichen Rechtsschutz

 Vorbringen der Verfahrensbeteiligten

108    Die Rechtsmittelführerinnen tragen vor, das Gericht habe dadurch gegen Unionsrecht verstoßen und ihr Grundrecht auf vollständige und effektive gerichtliche Überprüfung verletzt, dass es ihr Vorbringen nicht gründlich und genau geprüft und sich im Übermaß und in vernunftwidriger Weise auf die Wertungen der Kommission verlassen habe. Sie beanstanden insbesondere, wie das Gericht den zweiten Klagegrund betreffend die Größe des Marktes, den vierten Klagegrund betreffend die Dauer der Zuwiderhandlung und den fünften Klagegrund betreffend mildernde Umstände geprüft habe. Die Weigerung des Gerichts, die in ihrer Klageschrift dargelegten Klagegründe und Argumente gründlich und genau zu prüfen, stelle eine Verletzung ihres Grundrechts auf eine vollständige, effektive und faire gerichtliche Kontrolle der streitigen Entscheidung durch ein unparteiisches und unabhängiges Gericht dar.

109    Die Lehre vom „Ermessensspielraum“ und von der „richterlichen Zurückhaltung“ sei nunmehr überholt, da das Unionsrecht heute durch die enorme Höhe der von der Kommission verhängten Geldbußen geprägt sei, eine Entwicklung, die häufig als faktische „Pönalisierung“ des Wettbewerbsrechts der Union bezeichnet werde.

110    Im Übrigen schließe die – durch die Verordnung Nr. 1/2003 anstelle des vorherigen Genehmigungssystems eingeführte – unmittelbare Anwendbarkeit der in Art. 81 Abs. 3 EG vorgesehenen Ausnahme definitionsgemäß einen Ermessensspielraum der Kommission bei der Anwendung der Wettbewerbsregeln aus und verlange somit von den Gerichten, die deren Anwendung durch die Kommission im Einzelfall kontrollierten, nur ein sehr geringes Maß an richterlicher Zurückhaltung.

111    Zudem sei das Ermessen der Kommission nicht durch ihre angeblich höhere Fachkompetenz bei der Bewertung komplizierter Sachverhalte oder wirtschaftlicher Fragen zu rechtfertigen. Sowohl der Gerichtshof als auch das Gericht hätten in befriedigender Weise eine besonders intensive richterliche Kontrolle in komplizierten Fällen vorgenommen.

112    Ebenso wenig dürfe das Gericht angesichts der ihm durch Art. 261 AEUV und Art. 31 der Verordnung Nr. 1/2003 verliehenen Befugnis zu unbeschränkter Nachprüfung der Kommission ein Ermessen zugestehen, nicht nur, was die Angemessenheit und Verhältnismäßigkeit der Höhe der Geldbuße betrifft, sondern auch hinsichtlich der Vorgehensweise der Kommission bei ihren Berechnungen. Das Gericht müsse prüfen, wie die Kommission im Einzelfall die Schwere und die Dauer eines rechtswidrigen Verhaltens beurteilt habe, und könne somit seine eigene Würdigung an die Stelle derjenigen der Kommission setzen und die Geldbuße aufheben, herabsetzen oder erhöhen.

113    Die Kommission müsse in allen Fällen der Festsetzung einer Sanktion wegen Verletzung der Wettbewerbsregeln einer kohärenten, nicht diskriminierenden politischen Linie folgen. Dies impliziere die gleiche Behandlung von Unternehmen, die sich im Kontext unterschiedlicher und in getrennten Entscheidungen festgestellter Zuwiderhandlungen in gleichartigen Situationen befänden. Andernfalls wandele sich das Ermessen der Kommission zu einem rein willkürlichen Verhalten und es werde zugelassen, dass die Kommission ihre Politik im Bereich der Geldbußen von Fall zu Fall beliebig ändere.

114    Ferner weisen die Rechtsmittelführerinnen darauf hin, dass für den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte die Durchsetzung des Verwaltungsrechts mittels Entscheidungen der Verwaltung und Geldbußen als solche nicht gegen Art. 6 Abs. 1 der am 4. November 1950 in Rom unterzeichneten Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (im Folgenden: EMRK) verstoße. Für diese Durchsetzung müssten jedoch hinreichend wirksame Verfahrensgarantien gelten, und sie müsse durch ein effektives gerichtliches Kontrollsystem flankiert sein, in dem es eine Befugnis zu unbeschränkter Nachprüfung der Verwaltungsentscheidungen gebe. Das Recht, „bei einem Gericht einen wirksamen Rechtsbehelf einzulegen“, sei auch in Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden: Grundrechtecharta) verankert.

115    Die Kommission weist zunächst darauf hin, dass die Rechtsmittelführerinnen ihre Klage auf Herabsetzung der Geldbuße auf Art. 230 EG und nicht auf die Befugnis zu unbeschränkter Nachprüfung gemäß Art. 31 der Verordnung Nr. 1/2003 gestützt hätten.

116    Zu den Erwägungen betreffend die Klagegründe 2, 4 und 5 trägt die Kommission vor, das Gericht habe die Berechnung der gegen die KME-Gruppe verhängten Geldbuße ungeachtet der Hinweise auf das Ermessen der Kommission wirksam und gründlich nachgeprüft und sei zu seinen eigenen bestätigenden Schlussfolgerungen gelangt, dass diese Klagegründe nicht durchgriffen.

117    Schließlich belasse es die KME-Gruppe beim Hinweis auf „strafrechtliche Anklagen“ und auf Art. 6 Abs. 1 EMRK, untersuche aber nicht die daraus zu ziehenden Folgerungen.

 Würdigung durch den Gerichtshof

118    Die Rechtsmittelführerinnen beanstanden sowohl die Art und Weise, wie das Gericht gemeint habe, das weite Ermessen der Kommission berücksichtigen zu müssen, als auch, wie es die streitige Entscheidung tatsächlich nachgeprüft habe. Sie führen insoweit Art. 6 EMRK und die Grundrechtecharta an.

119    Der Grundsatz des effektiven gerichtlichen Rechtsschutzes ist ein allgemeiner Grundsatz des Unionsrechts, der nunmehr in Art. 47 der Grundrechtecharta zum Ausdruck kommt (vgl. Urteil vom 22. Dezember 2010, DEB, C‑279/09, Slg. 2010, I‑0000, Randnrn. 30 und 31, Beschluss vom 1. März 2011, Chartry, C‑457/09, Slg. 2011, I‑0000, Randnr. 25, sowie Urteil vom 28. Juli 2011, Samba Diouf, C‑69/10, Slg. 2011, I‑0000, Randnr. 49).

120    Die gerichtliche Kontrolle von Entscheidungen der Organe ist in den Gründungsverträgen geregelt. Über die nunmehr in Art. 263 AEUV vorgesehene Rechtmäßigkeitskontrolle hinaus unterliegen in Verordnungen vorgesehene Zwangsmaßnahmen einer unbeschränkten Nachprüfung.

121    Zur Rechtmäßigkeitskontrolle hat der Gerichtshof entschieden, dass, auch wenn der Kommission in Bereichen, in denen komplexe wirtschaftliche Beurteilungen erforderlich sind, in Wirtschaftsfragen ein Beurteilungsspielraum zusteht, dies nicht bedeutet, dass der Unionsrichter eine Kontrolle der Auslegung von Wirtschaftsdaten durch die Kommission unterlassen muss. Der Unionsrichter muss nämlich nicht nur die sachliche Richtigkeit der angeführten Beweise, ihre Zuverlässigkeit und ihre Kohärenz prüfen, sondern auch kontrollieren, ob diese Beweise alle relevanten Daten darstellen, die bei der Beurteilung einer komplexen Situation heranzuziehen waren, und ob sie die aus ihnen gezogenen Schlüsse zu stützen vermögen (vgl. Urteile vom 15. Februar 2005, Kommission/Tetra Laval, C‑12/03 P, Slg. 2005, I‑987, Randnr. 39, sowie vom 22. November 2007, Spanien/Lenzing, C‑525/04 P, Slg. 2007, I‑9947, Randnrn. 56 und 57).

122    Hinsichtlich der Sanktionen für Verstöße gegen das Wettbewerbsrecht bestimmt Art. 15 Abs. 2 Unterabs. 2 der Verordnung Nr. 17, dass bei der Festsetzung der Höhe der Geldbuße neben der Schwere des Verstoßes auch die Dauer der Zuwiderhandlung zu berücksichtigen ist. Art. 23 Abs. 3 der Verordnung Nr. 1/2003 hat denselben Wortlaut.

123    Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs sind bei der Festsetzung der Höhe der Geldbußen die Dauer der Zuwiderhandlungen sowie sämtliche Faktoren zu berücksichtigen, die für die Beurteilung der Schwere dieser Zuwiderhandlungen eine Rolle spielen, wie das Verhalten jedes einzelnen Unternehmens, die Rolle, die jedes Unternehmen bei der Abstimmung der Verhaltensweisen gespielt hat, der Gewinn, den die Unternehmen aus diesen Verhaltensweisen ziehen konnten, ihre Größe und der Wert der betroffenen Waren sowie die Gefahr, die derartige Zuwiderhandlungen für die Ziele der Europäischen Gemeinschaft bedeuten (Urteile Musique Diffusion française u. a./Kommission, Randnr. 129, Dansk Rørindustri u. a./Kommission, Randnr. 242, sowie vom 3. September 2009, Prym und Prym Consumer/Kommission, C‑534/07 P, Slg. 2009, I‑7415, Randnr. 96).

124    Ferner sind nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs objektive Gesichtspunkte wie Inhalt und Dauer der wettbewerbswidrigen Verhaltensweisen, deren Zahl und Intensität, der Umfang des betroffenen Marktes und die Schädigung der öffentlichen Wirtschaftsordnung einzubeziehen. Bei der Analyse sind auch die relative Bedeutung und der Marktanteil der verantwortlichen Unternehmen sowie ein etwaiger Wiederholungsfall zu berücksichtigen (Urteil vom 7. Januar 2004, Aalborg Portland u. a./Kommission, C‑204/00 P, C‑205/00 P, C‑211/00 P, C‑213/00 P, C‑217/00 P und C‑219/00 P, Slg. 2004, I‑123, Randnr. 91).

125    Diese Vielzahl an Faktoren zwingt die Kommission zu einer gründlichen Prüfung der Umstände der Zuwiderhandlung.

126    Um für Transparenz zu sorgen, hat die Kommission die Leitlinien erlassen, in denen sie darlegt, inwieweit sie die einzelnen Umstände der Zuwiderhandlung berücksichtigt und welche Konsequenzen sich daraus für die Höhe der Geldbuße ergeben.

127    Die Leitlinien – nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs eine Verhaltensnorm, die einen Hinweis auf die zu befolgende Verwaltungspraxis enthält und von der die Verwaltung im Einzelfall nicht ohne Angabe von Gründen, die mit dem Grundsatz der Gleichbehandlung vereinbar sind, abweichen kann (Urteil vom 18. Mai 2006, Archer Daniels Midland und Archer Daniels Midland Ingredients/Kommission, Randnr. 91) – beschreiben lediglich die Vorgehensweise der Kommission bei der Prüfung der Zuwiderhandlung und die Kriterien, zu deren Berücksichtigung sie sich verpflichtet, wenn sie die Höhe der Geldbuße festsetzt.

128    Es ist darauf hinzuweisen, dass Unionsrechtsakte mit einer Begründung versehen sein müssen. Dieser Pflicht kommt im vorliegenden Fall eine ganz besondere Bedeutung zu. Die Kommission muss ihre Entscheidung begründen und u. a. darlegen, wie sie die berücksichtigten Faktoren gewichtet und bewertet hat (vgl. in diesem Sinne Urteil Prym und Prym Consumer/Kommission, Randnr. 87). Das Vorliegen einer Begründung ist vom Richter von Amts wegen zu prüfen.

129    Im Übrigen ist es Sache des Unionsrichters, die ihm obliegende Rechtmäßigkeitskontrolle auf der Grundlage der vom Kläger zur Stützung seiner Klagegründe vorgelegten Beweise vorzunehmen. Bei dieser Kontrolle kann der Richter weder hinsichtlich der Wahl der Gesichtspunkte, die bei der Anwendung der in den Leitlinien genannten Kriterien berücksichtigt wurden, noch hinsichtlich ihrer Bewertung auf den Ermessensspielraum der Kommission verweisen, um auf eine gründliche rechtliche wie tatsächliche Kontrolle zu verzichten.

130    Die Rechtmäßigkeitskontrolle wird ergänzt durch die dem Unionsrichter früher durch Art. 17 der Verordnung Nr. 17, jetzt durch Art. 31 der Verordnung Nr. 1/2003 gemäß Art. 261 AEUV eingeräumte Befugnis zu unbeschränkter Nachprüfung. Diese Befugnis ermächtigt den Richter über die reine Kontrolle der Rechtmäßigkeit der Zwangsmaßnahme hinaus dazu, die Beurteilung der Kommission durch seine eigene Beurteilung zu ersetzen und demgemäß die verhängte Geldbuße oder das verhängte Zwangsgeld aufzuheben, herabzusetzen oder zu erhöhen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 15. Oktober 2002, Limburgse Vinyl Maatschappij u. a./Kommission, C‑238/99 P, C‑244/99 P, C‑245/99 P, C‑247/99 P, C‑250/99 P bis C‑252/99 P und C‑254/99 P, Slg. 2002, I‑8375, Randnr. 692).

131    Es ist jedoch darauf hinzuweisen, dass die Ausübung der Befugnis zu unbeschränkter Nachprüfung nicht einer Prüfung von Amts wegen entspricht und dass das Verfahren vor den Gerichten der Union ein streitiges Verfahren ist. Mit Ausnahme der Gründe zwingenden Rechts, die der Richter von Amts wegen zu berücksichtigen hat, wie etwa das Fehlen einer Begründung der angefochtenen Entscheidung, ist es Sache des Klägers, gegen die Entscheidung Klagegründe vorzubringen und für diese Beweise beizubringen.

132    Dieses verfahrensrechtliche Erfordernis verstößt nicht gegen den Grundsatz, wonach bei Zuwiderhandlungen gegen das Wettbewerbsrecht die Kommission die von ihr festgestellten Zuwiderhandlungen zu beweisen und die Beweismittel beizubringen hat, die das Vorliegen der eine Zuwiderhandlung darstellenden Tatsachen rechtlich hinreichend belegen. Vom Kläger wird nämlich im Rahmen einer Klage verlangt, dass er die beanstandeten Punkte der angefochtenen Entscheidung bezeichnet, insoweit Rügen formuliert und Beweise oder zumindest ernsthafte Indizien für deren Begründetheit beibringt.

133    Die in den Verträgen vorgesehene Kontrolle bedeutet somit, dass der Unionsrichter sowohl in rechtlicher als auch in tatsächlicher Hinsicht eine Kontrolle vornimmt und befugt ist, die Beweise zu würdigen, die angefochtene Entscheidung für nichtig zu erklären und die Höhe der Geldbußen zu ändern. Es ist daher nicht ersichtlich, dass die in Art. 263 AEUV vorgesehene Rechtmäßigkeitskontrolle, ergänzt um die in Art. 31 der Verordnung Nr. 1/2003 vorgesehene Befugnis zu unbeschränkter Nachprüfung hinsichtlich der Höhe der Geldbuße, gegen den in Art. 47 der Grundrechtecharta verankerten Grundsatz des effektiven gerichtlichen Rechtsschutzes verstößt.

134    Folglich greift der sechste Rechtsmittelgrund nicht durch, soweit damit unter dem Gesichtspunkt des Grundsatzes des effektiven gerichtlichen Rechtsschutzes die Grundsätze der gerichtlichen Kontrolle beanstandet werden.

135    Soweit mit dem sechsten Rechtsmittelgrund die Art und Weise beanstandet wird, wie das Gericht im Rahmen der Klagegründe 2, 4 und 5 die streitige Entscheidung nachgeprüft hat, deckt sich dieser Rechtsmittelgrund mit den Rechtsmittelgründen 2 bis 4 und ist somit vom Gerichtshof bereits geprüft worden.

136    Insoweit ist festzustellen, dass das Gericht zwar wiederholt, insbesondere in den Randnrn. 52 bis 54, 99, 114, 136 und 150 des angefochtenen Urteils, auf das „Ermessen“, den „erheblichen Wertungsspielraum“ bzw. das „weite Ermessen“ der Kommission verwiesen hat, doch hinderten solche Bezugnahmen das Gericht nicht an der Ausübung der umfassenden rechtlichen und tatsächlichen Kontrolle, zu der es verpflichtet ist.

137    Nach alledem greift der sechste Rechtsmittelgrund nicht durch.

138    Da folglich keiner der Rechtsmittelgründe durchgreift, auf die die KME-Gruppe ihr Rechtsmittel stützt, ist dieses zurückzuweisen.

 Kosten

139    Nach Art. 69 § 2 der Verfahrensordnung, der gemäß deren Art. 118 auf das Rechtsmittelverfahren entsprechende Anwendung findet, ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da die Kommission die Verurteilung der KME-Gruppe beantragt hat und diese mit ihrem Vorbringen unterlegen ist, sind der KME-Gruppe die Kosten des Rechtsmittelverfahrens aufzuerlegen.

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Zweite Kammer) für Recht erkannt und entschieden:

1.      Das Rechtsmittel wird zurückgewiesen.

2.      Die KME Germany AG, die KME France SAS und die KME Italy SpA tragen die Kosten.

Unterschriften


* Verfahrenssprache: Englisch.