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Vorläufige Fassung

SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS

Nicholas EMILIOU

vom 6. Juni 2024(1)

Verbundene Rechtssachen C119/22 und C149/22

Teva BV und

Teva Finland Oy

gegen

Merck Sharp & Dohme Corp.

(Vorabentscheidungsersuchen des Markkinaoikeus [Marktgericht, Finnland])

und

Merck Sharp & Dohme Corp.

gegen

Clonmel Healthcare Limited

(Vorabentscheidungsersuchen des Supreme Court [Oberstes Gericht, Irland])

„Vorlage zur Vorabentscheidung – Humanarzneimittel – Ergänzendes Schutzzertifikat (ESZ) – Verordnung (EG) Nr. 469/2009 – Erzeugnisse, die aus einer Wirkstoffzusammensetzung bestehen – Bedingungen für die Erteilung – Art. 3 – Buchst. a – Das Erzeugnis ist durch ein Grundpatent ‚geschützt‘ – Buchst. c – Für das Erzeugnis ‚[wurde] nicht bereits ein Zertifikat erteilt‘ – Richtige Kriterien für die Beurteilung dieser Bedingungen“






I.      Einleitung

1.        Die vorliegenden Vorabentscheidungsersuchen des Markkinaoikeus (Marktgericht, Finnland) und des Supreme Court (Oberstes Gericht, Irland) betreffen die Bedingungen für die Erteilung eines ergänzenden Schutzzertifikats (ESZ) für Arzneimittel nach Art. 3 der Verordnung (EG) Nr. 469/2009(2) (im Folgenden: ESZ-Verordnung). Die vorgenannten Gerichte möchten im Wesentlichen wissen, ob und inwieweit ein ESZ für eine Wirkstoffzusammensetzung erteilt werden kann, die in einem solchen Erzeugnis verwendet wird, wenn für einen dieser Wirkstoffe bereits ein früheres ESZ erteilt wurde. Sie ersuchen insoweit um Hinweise zur Auslegung von zwei dieser Bedingungen, nämlich dass eine solche Zusammensetzung „durch ein in Kraft befindliches Grundpatent geschützt“ ist (Art. 3 Buchst. a) und dass für sie „nicht bereits ein [ESZ] erteilt wurde“ (Art. 3 Buchst. c).

2.        Wie in den vorliegenden Schlussanträgen erläutert werden wird, können diese Fragen kaum als neu angesehen werden. Sie waren nämlich bereits Gegenstand mehrerer Entscheidungen des Gerichtshofs, darunter die Urteile Actavis I(3), Actavis II(4) und Teva I(5). Trotz (oder, wie einige unfreundliche Verfasser vielleicht sagen würden, gerade wegen) dieser Entscheidungen bereitet der sichere Umgang mit den Kriterien, die für die in Rede stehenden Bedingungen maßgeblich sind, den für die Erteilung von ESZ befassten nationalen Behörden und den für die Überprüfung ihrer Gültigkeit zuständigen Gerichten nach wie vor Probleme. Diese Unsicherheit führt zu Schwierigkeiten und Abweichungen bei der Beurteilung, ob für bestimmte Gegenstände ein ESZ erteilt werden kann (u. a. bei Wirkstoffzusammensetzungen).

3.        Die vorlegenden Gerichte möchten insoweit im Hinblick auf die Beurteilung der jeweiligen Bedingung wissen, welches die richtigen Kriterien sind. Ihre Fragen richten sich insoweit auf bestimmte mehrdeutige Teile der Urteile Actavis I, Actavis II und Teva I und darauf, in welchem Verhältnis die ersten beiden Urteile zum dritten Urteil stehen. Ihre Ersuchen geben dem Gerichtshof erneut Gelegenheit, die Frage, hoffentlich endgültig, zu klären.

II.    Rechtlicher Rahmen

4.        Art. 3 („Bedingungen für die Erteilung des Zertifikats“) der ESZ-Verordnung bestimmt:

„[Ein ESZ] wird erteilt, wenn in dem Mitgliedstaat, in dem die Anmeldung nach Artikel 7 eingereicht wird, zum Zeitpunkt dieser Anmeldung

a)      das Erzeugnis durch ein in Kraft befindliches Grundpatent geschützt ist;

b)      für das Erzeugnis als Arzneimittel eine gültige Genehmigung für das Inverkehrbringen … erteilt wurde;

c)      für das Erzeugnis nicht bereits ein [ESZ] erteilt wurde;

d)      die unter Buchstabe b erwähnte Genehmigung die erste Genehmigung für das Inverkehrbringen dieses Erzeugnisses als Arzneimittel ist.“

III. Sachverhalt, Ausgangsverfahren und Vorlagefragen

A.      Rechtssache C119/22

5.        Die Merck Sharp & Dohme Corp. (im Folgenden: Merck) ist ein pharmazeutisches Unternehmen. Sie ist Inhaberin des europäischen Patents EP 1 412 357, das vom Europäischen Patentamt (im Folgenden: EPA) am 22. März 2006 u. a. für Finnland mit Prioritätstag 5. Juli 2002 erteilt wurde (im Folgenden: Grundpatent in der Rechtssache C‑119/22). Dieses Patent war bis zum 5. Juli 2022 gültig.

6.        Die Bezeichnung des in Rede stehenden Patents lautet „Beta-Amino-Tetrahydroimidazo(1,2-A)Pyrazine und -Tetrahydrotriazolo(4,3-A)Pyrazine als Dipeptidyl Peptidase Inhibitoren zur Behandlung oder Prävention von Diabetes“. Im Abschnitt „Zusammenfassung der Erfindung“ der Beschreibung des in Rede stehenden Patents wird ausgeführt, dass die Erfindung gemäß dem Grundpatent Stoffe betrifft, die Inhibitoren des Dipeptidylpeptidase IV-Enzyms („DP IV Inhibitoren“) sind und die sich somit zur Behandlung oder Prävention von Erkrankungen eignen, bei denen das Dipeptidylpeptidase IV-Enzym beteiligt ist, wie z. B. Diabetes, insbesondere Typ‑2-Diabetes. Außerdem heißt es in dem genannten Abschnitt, dass die Erfindung auch pharmazeutische Zusammensetzungen, die diese Stoffe enthalten, und die Verwendung dieser Stoffe und Zusammensetzungen bei der Behandlung oder Prävention solcher Erkrankungen, bei denen das Dipeptidylpeptidase IV-Enzym beteiligt ist, betrifft.

7.        Dieses Patent enthält insgesamt 30 Patentansprüche. Patentanspruch 1 stellt einen Produktanspruch dar, der in Form einer sogenannten Markush-Formel abgefasst ist; die Patentansprüche 15, 26 und 28 beziehen sich konkreter auf bestimmte, unter diese Formel fallende, in Form von chemischen Strukturformeln dargestellte Stoffe, u. a. einen Stoff, der später unter der Bezeichnung „Sitagliptin“ bekannt wurde; ferner beziehen sich die Patentansprüche 20, 25 und 30 auf a) Verbindungen aus einem der Stoffe, die Gegenstand eines Patentanspruchs sind, mit einem oder mehreren anderen, aus einer in diesen Ansprüchen aufgelisteten Gruppe ausgewählten Stoffen, die ebenfalls zur Behandlung von Diabetes verwendet werden, sowie b) pharmazeutische Zusammensetzungen, die eine solche Verbindung enthalten. Insbesondere bezieht sich Patentanspruch 30 auf eine pharmazeutische Zusammensetzung, die aus einer Verbindung eines der Stoffe, die Gegenstand des Patentanspruchs sind, mit einem als „Metformin“ bekannten Stoff (bei dem es sich um einen gemeinfreien Arzneistoff handelt, der ebenfalls zur Behandlung von Diabetes verwendet wird) bestehen(6).

8.        Merck wurde am 21. März 2007 eine Genehmigung für das Inverkehrbringen für das Arzneimittel „Januvia“ erteilt, ein Arzneimittel, das zur Behandlung von Typ‑2-Diabetes verwendet wird und als Wirkstoff ausschließlich Sitagliptin enthält.

9.        Merck wurde am 31. August 2008 eine weitere Genehmigung für das Inverkehrbringen für das Arzneimittel „Janumet“ erteilt, ein weiteres Arzneimittel, das zur Behandlung von Typ‑2-Diabetes verwendet wird, aber Sitagliptin und Metforminhydrochlorid (ein pharmazeutisch annehmbares Metforminsalz) als Wirkstoffzusammensetzung enthält.

10.      Merck wurde am 13. März 2012 ein ESZ (nämlich ESZ Nr. 343) für Sitagliptin in Finnland erteilt, und zwar aufgrund i) des in der Rechtssache C‑119/22 in Rede stehenden Grundpatents und ii) der Genehmigung für das Inverkehrbringen für „Januvia“. Dieses ESZ lief am 23. September 2022 ab.

11.      Merck wurde am 20. März 2012 ein weiteres ESZ (nämlich ESZ Nr. 342) für die Kombination von Sitagliptin und Metforminhydrochlorid erteilt, und zwar aufgrund i) desselben Patents und ii) der Genehmigung für das Inverkehrbringen für „Janumet“. Dieses ESZ war bis zum 8. April 2023 gültig.

12.      Anschließend erhoben Teva B.V. und Teva Finland Oy (im Folgenden zusammen: Teva), ein pharmazeutisches Unternehmen, das Generikaarzneimittel herstellt, beim Markkinaoikeus (Marktgericht) Klage gegen Merck auf Nichtigerklärung des zweiten ESZ (ESZ Nr. 342). Teva macht geltend, dass dieses Zertifikat unter Verstoß gegen die Voraussetzungen nach Art. 3 der ESZ-Verordnung erteilt worden sei.

13.      Konkret bringt Teva u. a. vor, dass das angefochtene ESZ unter Verstoß gegen Art. 3 Buchst. a der ESZ-Verordnung erteilt worden sei, da das „Erzeugnis“, für das es erteilt worden sei, nämlich die Kombination von Sitagliptin und Metformin, nicht (im Sinne dieser Bestimmung) durch das Grundpatent in der Rechtssache C‑119/22 „geschützt“ sei.

14.      Ferner sei das ESZ Nr. 342 unter Verstoß gegen Art. 3 Buchst. c der ESZ-Verordnung erteilt worden. Da für Sitagliptin bereits ein erstes ESZ (in der vorliegenden Rechtssache ESZ Nr. 343) in Finnland erteilt worden sei, sei nach dieser Bestimmung die Erteilung eines weiteren ESZ für diesen Wirkstoff in der Kombination mit Metformin ausgeschossen.

15.      Merck trat dem Antrag von Teva entgegen und beantragte, die Klage abzuweisen. In Bezug auf Art. 3 Buchst. a der ESZ-Verordnung machte Merck geltend, das Vorbringen von Teva beruhe auf einem falschen Kriterium zur Beurteilung dieser Voraussetzung. Nach dem richtigen Kriterium seien Sitagliptin und Metformin als Kombination sehr wohl (im Sinne dieser Bestimmung) durch das Grundpatent in der Rechtssache C‑119/22 „geschützt“. In Bezug auf Art. 3 Buchst. c dieser Verordnung machte Merck geltend, dass die vorherige Erteilung eines ESZ für Sitagliptin (ESZ Nr. 343) die Erteilung eines weiteren ESZ für eine Kombination von Sitagliptin mit Metformin (ESZ Nr. 342) nicht ausgeschlossen habe, da diese Zusammensetzung im Sinne dieser Bestimmung ein anderes und von Sitagliptin allein zu unterscheidendes „Erzeugnis“ sei.

16.      Vor diesem Hintergrund hat das Markkinaoikeus (Marktgericht) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

1.      Welche Kriterien sind anzuwenden, um zu entscheiden, wann für ein Erzeugnis nicht bereits ein ergänzendes Schutzzertifikat erteilt worden ist im Sinne von Art. 3 Buchst. c der ESZ-Verordnung?

2.      Ist davon auszugehen, dass sich die Beurteilung der in Art. 3 Buchst. c der ESZ-Verordnung genannten Voraussetzung von der Beurteilung der in Art. 3 Buchst. a dieser Verordnung genannten Voraussetzung unterscheidet, und wenn ja, in welcher Weise?

3.      Sind die Ausführungen über die Auslegung von Art. 3 Buchst. a der ESZ-Verordnung in den Urteilen des Gerichtshofs Teva I und Royalty Pharma(7) als relevant für die Beurteilung der Voraussetzung des Art. 3 Buchst. c der ESZ-Verordnung anzusehen, und wenn ja, in welcher Weise? Insofern wird insbesondere darauf verwiesen, was in den genannten Urteilen in Bezug auf Art. 3 Buchst. a der ESZ-Verordnung ausgeführt wurde über:

–        die wesentliche Bedeutung von Patentansprüchen sowie

–        die Beurteilung des Falles aus der Sicht eines Fachmanns und im Lichte des Standes der Technik bei der Einreichung des Grundpatents oder am Prioritätstag.

4.      Sind die Begriffe „Kern der erfinderischen Tätigkeit“, „zentrale erfinderische Tätigkeit“ und/oder „Gegenstand der Erfindung“ des Grundpatents für die Auslegung von Art. 3 Buchst. c der ESZ-Verordnung von Bedeutung und, falls einige oder alle dieser Begriffe von Bedeutung sind, wie sind diese Begriffe für die Auslegung von Art. 3 Buchst. c der ESZ-Verordnung zu verstehen? Macht es hinsichtlich der Anwendung der genannten Begriffe irgendeinen Unterschied, ob es sich um ein Erzeugnis handelt, das aus einem einzigen Wirkstoff (sogenanntes „Monoprodukt“) besteht oder um ein Erzeugnis, das aus einer Kombination von Wirkstoffen (sogenanntes Kombinationsprodukt) besteht, und wenn ja, in welcher Hinsicht? Wie ist die letztgenannte Frage in einem Fall zu beurteilen, in dem das Grundpatent einerseits einen Patentanspruch für ein Monoprodukt und andererseits einen Patentanspruch für ein Kombinationsprodukt enthält, wobei letztgenannter Patentanspruch eine Wirkstoffkombination betrifft, die sich aus dem Wirkstoff des Monoprodukts und zusätzlich aus einem oder mehreren Wirkstoffen nach dem bekannten Stand der Technik zusammensetzt?

B.      Rechtssache C149/22

17.      Merck ist ebenso Inhaberin des europäischen Patents EP 0 720 599, das vom EPA am 19. März 1999 u. a. für Irland mit Prioritätstag 21. September 1993 erteilt wurde (im Folgenden: Grundpatent in der Rechtssache C‑149/22). Dieses Patent lief im September 2014 ab.

18.      Die Bezeichnung des in Rede stehenden Patents lautet „Hydroxy-substituierte Azetidinoneverbindungen, die sich als hypocholesterolemische Wirkstoffe eignen“. Laut der Beschreibung des Patents haben bestimmte, als „Azetidinone“ bekannte Stoffe die Wirkung, die Resorption von Cholesterin in den Blutkreislauf an den Rändern der Darmzotten im Dünndarm zu hemmen. Somit sind diese Stoffe zur Behandlung und Prävention von Atherosklerose geeignet(8).

19.      Die Patentansprüche 1 bis 8 dieses Patents betreffen einzelne Moleküle, einschließlich eines als „Ezetimib“ bekannten Stoffs. Dagegen betreffen die Patentansprüche 9, 12, 15 und 16 die Verwendung von Ezetimib in Kombination mit anderen Molekülen, darunter Statinen (bei denen es sich ebenfalls um zur Behandlung von hohem Cholesterinspiegel verwendete Stoffe handelt)(9). Ferner betrifft der Patentanspruch 17 eine Kombination von Ezetimib und einem der in diesem Anspruch aufgeführten Statine, u. a. „Simvastatin“ (einem gemeinfreien Stoff).

20.      Merck wurde 2003 eine Genehmigung für das Inverkehrbringen für ein Arzneimittel mit der Bezeichnung „Ezetrol“ erteilt, ein cholesterinsenkendes Arzneimittel, das als einzigen Wirkstoff Ezetimib enthält.

21.      Merck wurde im gleichen Jahr ein ESZ (nämlich ESZ Nr. 2003/014) für Ezetimib in Irland erteilt, und zwar aufgrund i) des in der Rechtssache C‑149/22 in Rede stehenden Grundpatents und ii) der Genehmigung für das Inverkehrbringen für „Ezetrol“. Dieses ESZ lief im April 2018 ab.

22.      Merck wurde 2004 eine Genehmigung für das Inverkehrbringen für ein weiteres Arzneimittel mit der Bezeichnung „Inegy“ erteilt, ein ebenfalls cholesterinsenkendes Arzneimittel, das jedoch Ezetimib und Simvastatin als Wirkstoffkombination enthält.

23.      Merck wurde 2005 ein weiteres ESZ (nämlich ESZ Nr. 2005/01) für die Kombination von Ezetimib und Simvastatin in Irland erteilt, und zwar aufgrund i) des in der Rechtssache C‑149/22 in Rede stehenden Grundpatents und ii) der Genehmigung für das Inverkehrbringen für „Inegy“. Dieses ESZ lief im April 2019 ab.

24.      Nach Ablauf des ESZ für Ezetimib, aber noch während der Gültigkeit des ESZ für Ezetimib und Simvastatin brachte Clonmel Healthcare Limited (im Folgenden: Clonmel), ein pharmazeutisches Unternehmen, das Generikaarzneimittel herstellt, eine Generikaversion von „Inegy“ in den Verkehr.

25.      Da Merck der Ansicht war, dass die Herstellung und das Inverkehrbringen dieses Generikaarzneimittels eine Verletzung des zweiten ESZ darstellte, erhob Merck beim High Court (Hohes Gericht, Irland) Patentverletzungsklage auf Unterlassung und Schadensersatz.

26.      Im Rahmen ihrer Verteidigung in jenem Verfahren machte Clonmel geltend, dass das ESZ für Ezetimib und Simvastatin ungültig sei, weil es unter Verstoß gegen die Voraussetzungen nach Art. 3 der ESZ-Verordnung erteilt worden sei. Im Wesentlichen machte Clonmel erstens geltend, dass die fragliche Wirkstoffkombination nicht (im Sinne von Art. 3 Buchst. a dieser Verordnung) durch das Grundpatent in der Rechtssache C‑149/22 „geschützt“ sei, und zweitens, dass die Erteilung des ersten ESZ für Ezetimib nach Art. 3 Buchst. c dieser Verordnung die Erteilung eines zweiten ESZ für diesen Wirkstoff in Kombination mit Simvastatin ausschließe.

27.      Der High Court (Hohes Gericht) kam am 29. November 2019 zu dem Schluss, dass das ESZ für Ezetimib und Simvastatin nach Art. 3 Buchst. a und Art. 3 Buchst. c der ESZ-Verordnung ungültig sei und ordnete somit den Widerruf dieses ESZ an. Diese Entscheidung wurde am 24. Februar 2021 vom Court of Appeal (Berufungsgericht, Irland) bestätigt.

28.      Gegen das Urteil des Court of Appeal (Berufungsgericht) beantragte Merck am 24. Mai 2021 die Zulassung eines Rechtsmittels; diesem Antrag wurde vom Supreme Court (Oberstes Gericht) am 4. August 2021 stattgegeben.

29.      Unter Hinweis darauf, dass die wesentliche Frage des Ausgangsverfahrens die Gültigkeit des für die Kombination von Ezetimib und Simvastatin erteilten ESZ betreffe, die wiederum von der richtigen Auslegung von Art. 3 Buchst. a und c der ESZ-Verordnung abhänge, und dass diese Frage in der Rechtsprechung des Gerichtshofs (weiterhin) ungeklärt sei, hat der Supreme Court (Oberstes Gericht) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

(1)      (a)      Genügt es für die Erteilung eines ESZ und für die Rechtsgültigkeit desselben nach Art. 3 Buchst. a der ESZ-Verordnung, dass das Erzeugnis, für das das ESZ erteilt wird, in den Patentansprüchen ausdrücklich identifiziert wird und von diesem Patent erfasst ist, oder ist es für die Erteilung eines ESZ erforderlich, dass der Patentinhaber, dem eine Genehmigung für das Inverkehrbringen erteilt wurde, auch die Neuheit oder erfinderische Tätigkeit nachweist oder belegt, dass das Erzeugnis sich im engeren Sinn als die von dem Patent erfasste Erfindung beschreiben lässt?

(b)      Was muss der Patentinhaber und Inhaber der Genehmigung für das Inverkehrbringen im letzteren Fall, nämlich dem der von dem Patent erfassten Erfindung, nachweisen, um ein gültiges ESZ zu erlangen?

(2)      Wenn das Patent wie in der vorliegenden Rechtssache einen bestimmten Arzneistoff, hier Ezetimib, umfasst und die Patentansprüche angeben, dass seine Anwendung in der Humanmedizin in der Verwendung entweder allein dieses Arzneistoffs oder in Kombination mit einem anderen, hier Simvastatin, einem gemeinfreien Arzneistoff, bestehen kann, kann dann ein ESZ nach Art. 3 Buchst. a der ESZ-Verordnung nur für ein Erzeugnis erteilt werden, das Ezetimib, ein Monotherapeutikum, umfasst, oder auch für eines oder alle der in den Patentansprüchen identifizierten Kombinationserzeugnisse?

(3)      Wird für eine Monotherapie mit dem Arzneistoff A, in diesem Fall Ezetimib, ein ESZ erteilt, oder wird für eine Kombinationstherapie, bestehend aus einer Kombination der Arzneistoffe A und B, die von den Patentansprüchen erfasst sind, wobei aber nur A selbst neu und somit patentiert ist, während andere Arzneistoffe bereits bekannt oder gemeinfrei sind, zuerst ein ESZ erteilt, ist dann die Erteilung eines ESZ auf das erste Inverkehrbringen entweder des Monotherapeutikums A oder des ersten Kombinationspräparats mit A und B, für das ein ESZ erteilt wurde, mit der Folge beschränkt, dass nach dieser ersten Erteilung eines ESZ keine zweite oder dritte solche Erteilung für das Monotherapeutikum oder ein anderes Kombinationspräparat als das erste erfolgen kann, für das ein ESZ erteilt wurde?

(4)      Wenn die Ansprüche eines Patents sowohl ein einzelnes, neuartiges Molekül als auch eine Kombination dieses Moleküls mit einem bereits vorhandenen und bekannten Arzneistoff, der möglicherweise gemeinfrei ist, umfassen oder wenn mehrere solche Ansprüche betreffend ein Kombinationspräparat vorliegen, beschränkt dann Art. 3 Buchst. c der ESZ-Verordnung die Erteilung eines ESZ

(a)      auf das einzelne Molekül, wenn dieses als ein Erzeugnis in den Verkehr gebracht wird,

(b)      auf das erstmalige Inverkehrbringen eines von dem Patent erfassten Erzeugnisses, und zwar unabhängig davon, ob es sich dabei um den von dem in Kraft befindlichen Grundpatent erfassten, monotherapeutischen Arzneistoff oder um das erste Kombinationspräparat handelt, oder

(c)      nach Wahl des Patentinhabers auf (a) oder (b), und zwar unabhängig von dem Datum der Genehmigung des Inverkehrbringens?

Und wie lautet die Begründung, wenn eine der obigen Alternativen zutreffend ist?

IV.    Verfahren vor dem Gerichtshof

30.      In der Rechtssache C‑119/22 haben Teva, Merck, Irland, die französische, die lettische, die ungarische und die niederländische Regierung sowie die Europäische Kommission schriftliche Erklärungen eingereicht. In der Rechtssache C‑149/22 haben Merck, Clonmel, Irland, die französische, die ungarische, die niederländische und die polnische Regierung sowie die Kommission schriftliche Erklärungen eingereicht.

31.      Mit Beschluss des Präsidenten des Gerichtshofs vom 17. Januar 2023 sind die Rechtssachen C‑119/22 und C‑149/22 zu gemeinsamer mündlicher Verhandlung und gemeinsamer Entscheidung verbunden worden.

32.      Teva, Clonmel, Merck, Irland, die französische, die lettische, die ungarische und die niederländische Regierung sowie die Kommission waren in der mündlichen Verhandlung vom 8. März 2023 vertreten.

V.      Würdigung

33.      Wie in der Einleitung ausgeführt, betreffen die vorliegenden Rechtssachen die Voraussetzungen, nach denen in der Union ESZ für in Arzneimitteln verwendete Wirkstoffzusammensetzungen erteilt werden können. Bevor ich die dem Gerichtshof vorgelegten Fragen im Einzelnen prüfe, ist es meines Erachtens angebracht, dem mit den Feinheiten dieses komplexen Rechtsgebietes möglicherweise nicht vertrauten Leser einen grundlegenden Überblick über den Hintergrund und die einschlägigen Regelungen zu geben.

34.      Wenn jemand (in der Regel ein pharmazeutisches Unternehmen) durch Forschung zu der Erkenntnis gelangt, dass ein bestimmter Stoff (oder eine Stofffamilie oder eine Kombination von Stoffen usw.) eine bestimmte Wirkung auf den menschlichen Organismus hat, durch die er zur Behandlung, Prävention oder Steuerung einer bestimmten Krankheit oder eines bestimmten Leidens (oder mehrerer Krankheiten oder Leiden usw.) geeignet ist, kann er sich unter bestimmten Umständen die Ergebnisse dieser Forschung gegenüber Wettbewerbern durch das Patentsystem schützen lassen. In Europa kann insbesondere(10) nach dem durch das EPÜ(11) eingeführten zentralisierten Verfahren beim Europäischen Patentamt (im Folgenden: EPA) in München (Deutschland) ein „europäisches Patent“ angemeldet werden. Für die Erteilung eines solchen Patents müssen bestimmte Voraussetzungen erfüllt sein (im Folgenden: Voraussetzungen für die Patentierbarkeit): Der Gedanke der Verwendung des fraglichen Stoffs als Arzneimittel muss eine „Erfindung“ darstellen, die u. a. „neu“ ist und auf einer „erfinderischen Tätigkeit“ beruht(12). Für die vorliegenden Zwecke reicht die Feststellung, dass bei Erfüllung dieser Voraussetzungen ein solches Patent (in der Regel für einen Zeitraum von 20 Jahren) erteilt wird(13), und dieses seinem Inhaber in mehreren oder allen europäischen Ländern, die Vertragspartei des EPÜ sind, bestimmte ausschließliche Rechte (im Wesentlichen ein Handelsmonopol) an der patentierten „Erfindung“ gewährt(14). Der Patentinhaber kann somit Dritte daran hindern, ein Arzneimittel, das die fragliche „Erfindung“ verwendet, im Hoheitsgebiet dieser Staaten herzustellen und anzubieten. Als Gegenleistung für diesen 20‑jährigen Schutz vor Wettbewerb muss der Patentinhaber seine Erfindung in dem Patent „offenbaren“(15), d. h. sie der Öffentlichkeit offenlegen, so dass jedermann sie nach Ablauf des Patents frei nutzen kann (einschließlich der Herstellung einer Kopie oder Generikaversion(16) eines solchen Arzneimittels)(17).

35.      Um eine solche patentierte pharmazeutische Erfindung in der Union als Arzneimittel in den Verkehr bringen zu können, muss der Patentinhaber jedoch eine Genehmigung für das Inverkehrbringen dieses Erzeugnisses von den zuständigen Behörden einholen(18). Hierzu müssen umfassende vorklinische und klinische Versuche durchgeführt werden, um die Sicherheit und Wirksamkeit des Erzeugnisses nachzuweisen. Das Verfahren zur Erteilung einer solchen Genehmigung dauert somit in der Regel Jahre. Dementsprechend verkürzt sich letztlich der Zeitraum, in dem der Patentinhaber in der Lage ist, seine Erfindung unter dem Patentschutz zu vertreiben und aus seinem Monopol Nutzen zu ziehen.

36.      Vor diesem Hintergrund hielt der Unionsgesetzgeber es für angemessen, pharmazeutischen Unternehmen einen Ausgleich für diese regulatorischen Verzögerungen dadurch zu gewähren, dass ihnen unter bestimmten Umständen für einen weiteren Zeitraum Marktexklusivität gewährt wird. Zu diesem Zweck führte er das ESZ-System ein.

37.      Dieses System ist kein schlichter Mechanismus zur Patentverlängerung, wie diejenigen, die in anderen Rechtsordnungen bestehen und durch die die Gültigkeit eines Patents unmittelbar für eine bestimmte Anzahl von Jahren verlängert wird. Denn auch wenn das ESZ seiner Konzeption nach zur Verlängerung der Patentrechte dienen soll (da es, wie seine Bezeichnung schon zeigt, einen Schutz bietet, der die Letzteren „ergänzt“), ist die rechtliche Wirklichkeit leider komplexer. Ein ESZ ist nämlich ein Recht des geistigen Eigentums sui generis, dessen Gegenstand und Funktionsweise nicht unkompliziert sind.

38.      Im Wesentlichen kann ein ESZ für ein „Erzeugnis“ erteilt werden, das durch ein bestimmtes Patent „geschützt“ ist (das insoweit als „Grundpatent“ bezeichnet wird)(19), und für das erstmalig eine Genehmigung für das Inverkehrbringen erteilt worden ist(20). Nach der Definition in Art. 1 Buchst. b der ESZ-Verordnung kann es sich bei einem solchen „Erzeugnis“ entweder um den „Wirkstoff“(21) oder die „Wirkstoffzusammensetzung“ eines solchen Arzneimittels handeln. Der Inhaber eines europäischen Patents, das ein solches „Erzeugnis“ „schützt“, kann für Letzteres innerhalb einer Frist von sechs Monaten, gerechnet ab dem Zeitpunkt, zu dem die Genehmigung für das Inverkehrbringen erteilt wurde, die Anmeldung eines ESZ einreichen(22). Da es sich bei dem ESZ um einen nationalen Rechtstitel handelt, muss der Patentinhaber sich hierzu jeweils einzeln an die nationalen Patentämter aller Mitgliedstaaten wenden, für die dieses europäische Patent und diese Genehmigung erteilt wurden. Wird es erteilt, gilt ein ESZ ab Ablauf der 20‑jährigen Laufzeit des „Grundpatents“ für eine Dauer, die dem Zeitraum entspricht, der für die Erteilung dieser Genehmigung für das Inverkehrbringen verstrichen ist, jedenfalls aber höchstens fünf Jahre(23). Während seiner Laufzeit gewährt das ESZ die gleichen ausschließlichen Rechte wie das Grundpatent (nach dem auf dieses Patent anwendbaren Recht), jedoch nur für das spezifische „Erzeugnis“, für das dieses Zertifikat erteilt wurde(24). Letztlich gewährleistet das ESZ dem Patentinhaber für bis zu fünf weitere Jahre ein Handelsmonopol für das betreffende „Erzeugnis“.

39.      Das ESZ-System und die mit ihm ermöglichte (Form einer) Patentverlängerung sind zwar auf den ersten Blick in ihrer Wirkung begrenzt, in der Praxis jedoch tatsächlich von außerordentlicher Bedeutung. Dieses System ist nämlich im Licht der enormen (und divergierenden) wirtschaftlichen Interessen der Beteiligten im Arzneimittelsektor zu betrachten. Einerseits hängt das Geschäftsmodell pharmazeutischer Unternehmen, die neue Arzneimittel entwickeln (im Folgenden: Originalpräparatesektor), stark von den sich aus Patenten für ihre Arzneimittel ergebenden Monopolen für ihre Arzneimittel (und den von ihnen hieraus erzielten hohen Einnahmen) ab. Logischerweise sind diese Unternehmen bestrebt, diese Monopole so weit wie möglich zu verlängern. Andererseits besteht das Geschäftsmodell der Hersteller von Generikaarzneimitteln darin, erfolgreichen Originalarzneimitteln gleichwertige Generika auf den Markt zu bringen, womit sie ebenfalls erhebliche Einnahmen erzielen können. Diese Möglichkeit besteht für diese Unternehmen jedoch in rechtmäßiger Weise so lange nicht, wie ein solches Monopol besteht. Diese divergierenden wirtschaftlichen Interessen erklären, warum der Zeitraum um den Ablauf von Patenten für Originalarzneimittel häufig konfliktbehaftet ist und insbesondere die Erteilung von ESZ vielfach zu Rechtsstreitigkeiten führt.

40.      Die Rechtssachen der Ausgangsverfahren veranschaulichen die vorgenannten Erwägungen. Was meine Würdigung angeht, sind die relevanten Merkmale dieser Rechtssachen im Wesentlichen die gleichen; sie lassen sich wie folgt zusammenfassen.

41.      In jeder Rechtssache fand Merck zu einem bestimmten Zeitpunkt heraus, dass eine bestimmte Stofffamilie (in der Rechtssache C‑119/22 Pyrazine und in der Rechtssache C‑149/22 Azetidinone) eine bestimmte Wirkung auf den menschlichen Organismus hatten (Pyrazine hemmen das Dipeptidylpeptidase IV-Enzym, und Azetidinone hemmen die Resorption von Cholesterin in den Blutkreislauf). Anschließend wurde Merck in den 1990er Jahren ein europäisches Patent (mit Geltung für verschiedene Mitgliedstaaten) für eine Erfindung erteilt, die in dem innovativen Gedanken bestand, Stoffe, die zu dieser Familie gehören, aufgrund ihrer Wirkung auf den menschlichen Organismus als Arzneimittel zur Behandlung bestimmter Krankheiten oder gesundheitlicher Leiden (Pyrazine u. a. gegen Diabetes, Azetidinone gegen hohen Cholesterinspiegel und Atherosklerose) zu verwenden. Das fragliche Patent bezog sich ferner auf den Gedanken, diese Stoffe in Kombination mit anderen Stoffen zu verwenden, die zum Zeitpunkt der Einreichung der Anmeldung dieses Patents bereits zur Behandlung dieser Krankheiten oder gesundheitlichen Leiden verwendet wurden (Metformin gegen Diabetes, Statine gegen hohen Cholesterinspiegel und Atherosklerose).

42.      Merck entwickelte ein erstes Arzneimittel zur Behandlung der betreffenden Krankheiten oder gesundheitlichen Leiden und erhielt für dieses eine Genehmigung für das Inverkehrbringen, das als seinen einzigen Wirkstoff einen Stoff enthielt, der zu der fraglichen patentierten Familie gehörte (in der Rechtssache C‑119/22 Sitagliptin und in der Rechtssache C‑149/22 Ezetimib). Diesen Stoff werde ich aus Gründen der Vereinfachung in den vorliegenden Schlussanträgen im Weiteren regelmäßig als „A“ bezeichnen. Anschließend wurde Merck als Ausgleich für den zur Erlangung dieser Genehmigung verstrichenen Zeitraum ein erstes ESZ für A (für verschiedene Mitgliedstaaten) erteilt.

43.      Später entwickelte Merck ein weiteres Arzneimittel zur Behandlung der gleichen Krankheiten oder gesundheitlichen Leiden und erhielt für dieses eine Genehmigung für das Inverkehrbringen, dessen Wirkstoffe A in Kombination mit einem der anderen Stoffe waren, die hierzu, wie im Patent von Merck vorgesehen, bereits verwendet wurden (in der Rechtssache C‑119/22 Metformin und in der Rechtssache C‑149/22 Statine). Diesen anderen bekannten Stoff werde ich aus Gründen der Vereinfachung in den vorliegenden Schlussanträgen im Weiteren regelmäßig als „B“ und diese Kombination von Wirkstoffen somit als „A+B“ bezeichnen. Danach wurde von Merck (wiederum für verschiedene Mitgliedstaaten) ein zweites ESZ für A+B angemeldet und ihr auch erteilt.

44.      Dieses zweite ESZ (in seiner in Finnland bzw. Irland erteilten nationalen Fassung) steht im Mittelpunkt der Rechtssachen der Ausgangsverfahren. Im Wesentlichen wird von Herstellern generischer Arzneimittel (in der Rechtssache C‑119/22 Teva und in der Rechtssache C‑149/22 Clonmel), die durch diese weitere Verlängerung des Monopols von Merck an der Herstellung und Vermarktung von Generikaversionen der Arzneimittel von Merck gehindert wurden, die Gültigkeit dieses ESZ vor den vorlegenden Gerichten angefochten.

45.      Diese Hersteller machen in jeder Rechtssache geltend, dass das zweite ESZ nichtig sei, weil es unter Verstoß gegen die kumulativen(25) Voraussetzungen nach Art. 3 der ESZ-Verordnung erteilt worden sei(26). Gegen die Gültigkeit führen sie hauptsächlich die Bedingungen nach Art. 3 Buchst. a und c dieser Verordnung an. Nach der ersten Bestimmung ist erforderlich, dass „das Erzeugnis durch ein in Kraft befindliches Grundpatent geschützt ist“, und nach der zweiten, dass „für das Erzeugnis nicht bereits ein [ESZ] erteilt wurde“. Ihrer Ansicht nach erfüllte das angefochtene ESZ diese Voraussetzungen nicht; Merck bestreitet dies.

46.      Die unterschiedlichen Ansichten der Prozessparteien beruhen auf einem unterschiedlichen Verständnis dieser Voraussetzungen. Insoweit betreffen zum einen die erste und die zweite Frage in der Rechtssache C‑149/22(27), die zusammen zu prüfen sind, Art. 3 Buchst. a der ESZ-Verordnung. Zum anderen betreffen alle Fragen in der Rechtssache C‑119/22 sowie die dritte und vierte Frage in der Rechtssache C‑149/22, die ebenfalls zusammen zu prüfen sind, Art. 3 Buchst. c dieser Verordnung. Wie in der Einleitung ausgeführt, geht es im Kern dieser zahlreichen Fragen darum, welches die richtigen Kriterien für die Beurteilung jeder Voraussetzung sind, und letztlich, ob (und gegebenenfalls inwieweit) durch die eine oder die andere Voraussetzung (oder beide Voraussetzungen) die Erteilung eines ESZ für eine Wirkstoffzusammensetzung (A+B) ausgeschlossen wird, und zwar insbesondere in der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Fallkonstellation, in der dem Patentinhaber zuvor ein ESZ für einen dieser Wirkstoffe (A) erteilt wurde.

47.      Auch wenn dies nicht naheliegend erscheinen mag, werde ich zunächst auf die Fragen zu Art. 3 Buchst. c der ESZ-Verordnung eingehen. Mehrere Streithelfer haben nämlich vor dem Gerichtshof geltend gemacht, dass dort der Schlüssel zur Entscheidung über die vorliegenden Rechtssachen liege. Ich bin anderer Ansicht und möchte dazu vorab einige (wohl erforderliche) Klarstellungen und eine (relativ) schnelle Antwort voranstellen (Abschnitt A). Meines Erachtens liegt der Schlüssel zur Entscheidung über diese Rechtssachen vielmehr in der richtigen Auslegung von Art. 3 Buchst. a dieser Verordnung, die eine eingehendere Erörterung erforderlich macht (Abschnitt B).

A.      Art. 3 Buchst. c der ESZ-Verordnung (erste bis vierte Frage in der Rechtssache C119/22 und dritte und vierte Frage in der Rechtssache C149/22)

48.      Zu den kumulativen Voraussetzungen für die Erteilung eines ESZ gehört, wie bereits ausgeführt, nach Art. 3 Buchst. c der ESZ-Verordnung, dass „für das Erzeugnis nicht bereits ein [ESZ] erteilt wurde“.

49.      Insoweit fragen die vorlegenden Gerichte (i) allgemein nach den richtigen Kriterien für die Beurteilung, ob diese Voraussetzung in einem bestimmten Fall erfüllt ist, und (ii) konkret, ob nach den richtigen Kriterien diese Voraussetzung die Erteilung eines ESZ für eine Wirkstoffzusammensetzung (A+B) ausschließt, wenn ein ESZ bereits für einen dieser Wirkstoffe (A) erteilt wurde.

50.      Die Kriterien, die der Beurteilung der Voraussetzung nach Art. 3 Buchst. c der ESZ-Verordnung zugrunde zu legen sind, sind recht einfach (oder sollten es sein). Wie von Merck vorgetragen und wie sich aus dem eindeutigen Wortlaut dieser Bestimmung ergibt, bestehen diese Kriterien darin, (i) das „Erzeugnis“ zu definieren, für das die zu überprüfende ESZ-Anmeldung erfolgt oder das angefochtene ESZ erteilt wurde, und (ii) zu prüfen, ob dem Patentinhaber bereits zu einem früheren Zeitpunkt ein ESZ für das gleiche „Erzeugnis“ erteilt wurde.

51.      Für die Zwecke u. a. dieser Bestimmung ist, wie bereits ausgeführt, in Art. 1 Buchst. b der ESZ-Verordnung eine Definition des Begriffs „Erzeugnis“ geregelt, wonach dieser „den Wirkstoff oder die Wirkstoffzusammensetzung eines Arzneimittels“ bezeichnet (Hervorhebung nur hier).

52.      In beiden Ausgangsverfahren wurde das angefochtene ESZ für A+B erteilt. Nach der im vorstehenden Absatz angeführten Definition stellt diese Wirkstoffzusammensetzung für sich genommen ein „Erzeugnis“ dar. Wie von Merck vorgetragen, ist zur Prüfung der Voraussetzung nach Art. 3 Buchst. c der ESZ-Verordnung nach den oben in Nr. 50 erläuterten Kriterien somit i) als relevantes „Erzeugnis“ die Zusammensetzung A+B anzusehen und ii) festzustellen, ob dem Patentinhaber für diese Zusammensetzung bereits ein ESZ erteilt wurde. Vorliegend ist unstreitig, dass für A+B kein früheres ESZ erteilt worden war. Diese Voraussetzung ist daher erfüllt.

53.      Dieses Ergebnis wird nicht dadurch in Frage gestellt (oder sollte zumindest nicht dadurch in Frage gestellt werden), dass Merck in beiden Rechtssachen ein früheres ESZ für A erteilt worden war. Denn nach der Definition in Art. 1 Buchst. b der ESZ-Verordnung ist A, als einzelner Wirkstoff, ein „Erzeugnis“, das sich von A+B als Wirkstoffzusammensetzung unterscheidet. Die Erteilung eines ESZ für A sollte somit nach Art. 3 Buchst. c dieser Verordnung die Erteilung eines weiteren ESZ für A+B nicht ausschließen(28).

54.      Die Zweifel der vorlegenden Gerichte im Hinblick auf die Auslegung von Art. 3 Buchst. c der ESZ-Verordnung ergeben sich indes aus zwei Entscheidungen des Gerichtshofs, nämlich den in der Einleitung erwähnten Urteilen Actavis I und Actavis II, in denen der Gerichtshof von den vorstehend dargestellten einfachen Folgerungen abgewichen ist.

55.      Die Rechtssachen, in denen die vorgenannten Urteile ergangen sind, wiesen eine gewisse Nähe zum Sachverhalt der vorliegenden Rechtssachen auf. In jeder dieser früheren Rechtssachen i) war einem Patentinhaber ein erstes ESZ für einen Wirkstoff (A) auf der Grundlage eines Patents und einer Genehmigung für das Inverkehrbringen für ein diesen Wirkstoff enthaltendes Arzneimittel und ii) ein zweites ESZ für die Zusammensetzung dieses Wirkstoffs mit einem weiteren gemeinfreien Wirkstoff (A+B) erteilt worden. In jeder Rechtssache hatte ein Gericht des Vereinigten Königreichs über die Gültigkeit des zweiten ESZ zu entscheiden und legte dem Gerichtshof hierzu mehrere Fragen nach der richtigen Auslegung u. a. von Art. 3 Buchst. a und c der ESZ-Verordnung vor.

56.      Der Gerichtshof folgte in beiden Urteilen im Wesentlichen den gleichen Begründungserwägungen. Er kam im Wesentlichen zu der Auffassung, dass Art. 3 Buchst. c der ESZ-Verordnung die Erteilung des ESZ für A+B ausschließe. Er führte insoweit an, dass nur A durch das in Rede stehende Grundpatent (im Sinne von Art. 3 Buchst. a dieser Verordnung) „geschützt“ sei, da dieser Wirkstoff die „zentrale erfinderische Tätigkeit“ (so die Formulierung des Gerichtshofs im Urteil Actavis I)(29) oder den „alleinigen Gegenstand der Erfindung“ (so die Formulierung des Gerichtshofs im Urteil Actavis II)(30) im Rahmen dieses Patents bilde. Dagegen handele es sich bei B um einen bekannten, gemeinfreien Wirkstoff. Unter diesen Umständen komme die Erteilung eines ESZ für die Zusammensetzung A+B der Erteilung eines zweiten ESZ für A gleich, was im Widerspruch zu Art. 3 Buchst. c dieser Verordnung stehe(31).

57.      Diese Auslegung von Art. 3 Buchst. c sollte nach den weiteren Ausführungen des Gerichtshofs mit den mit der ESZ-Verordnung verfolgten Zielen im Einklang stehen. Mit dem ESZ-System habe nämlich Patentinhabern ein Ausgleich für die regulatorischen Verzögerungen gewährt werden sollen, mit denen sie konfrontiert seien (wie oben in Nrn. 35 und 36 erläutert), bevor sie ihre pharmazeutischen Erfindungen erstmals in den Verkehr bringen könnten. In jenen Rechtssachen sollte nach Auffassung des Gerichtshofs nur A eine solche Erfindung darstellen; somit sollte das erste ESZ für A diese Funktion bereits erfüllt haben. Könnte der Patentinhaber dagegen jedes Mal ein neues ESZ erhalten, wenn er seine Erfindung (A) „in jeder möglichen Form“ in den Verkehr brächte, einschließlich in Form von Kombinationspräparaten, die andere, bekannte Wirkstoffe (B) enthielten, würden die Interessen der pharmazeutischen Industrie über diejenigen der Generikahersteller und letztlich diejenigen der Volksgesundheit gestellt (während der Gesetzgeber mit der ESZ-Verordnung alle diese Interessen habe berücksichtigen und gegeneinander abwägen wollen)(32). Damit könnten ferner „Evergreening“-Strategien gefördert werden(33), mit denen pharmazeutische Unternehmen ihre Monopole übermäßig verlängern könnten, indem sie zunächst ein Arzneimittel, das A enthalte, in Verkehr brächten, dann ein Arzneimittel, das A+B enthalte, und dann ein weiteres, das A+C enthalte, usw.(34).

58.      Verständlicherweise sind Teva, Clonmel, die am Verfahren beteiligten Regierungen (mit Ausnahme der ungarischen Regierung) sowie die Kommission der Ansicht, dass der Gerichtshof dieser Auslegung von Art. 3 Buchst. c der ESZ-Verordnung auch in den vorliegenden Rechtssachen folgen sollte. Dieser Ansicht bin ich nicht.

59.      Klarzustellen ist, dass ich große Sympathie für die pragmatischen und teleologischen Begründungserwägungen der Urteile Actavis I und Actavis II habe. Ich stimme mit den vom Gerichtshof angeführten politischen Erwägungen somit durchaus überein. Auch wenn die ESZ-Verordnung, wie oben in Nr. 38 ausgeführt, die Möglichkeit der Erteilung von ESZ für Wirkstoffzusammensetzungen ausdrücklich vorsieht, hätte es dem Sinn und Zweck dieser Verordnung widersprochen, dies dort zuzulassen. Unter bestimmten Umständen, auf die im folgenden Abschnitt näher eingegangen werden wird, wäre es unangemessen, die Erteilung eines ESZ an Patentinhaber für solche Zusammensetzungen zuzulassen. Dennoch ist die Auslegung von Art. 3 Buchst. c der ESZ-Verordnung, der in diesen Urteilen gefolgt wird, meines Erachtens hierfür nicht der richtige Weg.

60.      Zum einen lässt Art. 3 Buchst. c der ESZ-Verordnung meines Erachtens eine solche teleologische Auslegung nicht zu. Diese Bestimmung ist nämlich in Bezug auf das Wesen der darin enthaltenen Voraussetzung weder mehrdeutig noch unbestimmt. Für die Zwecke dieser Bestimmung ist die Definition des „Erzeugnisses“ in Art. 1 Buchst. b dieser Verordnung auch insoweit klar, als ein „Wirkstoff“ und eine „Wirkstoffzusammensetzung“ zwei verschiedene Dinge sind. Diese Definition ist zudem nach der vom Gerichtshof im Urteil Santen(35) vertretenen Auffassung als „eng“ anzusehen. Durch das Außerachtlassen dieser Definition in den Urteilen Actavis I und Actavis II hat der Gerichtshof sich meines Erachtens, so anerkennenswert seine Absicht auch gewesen sein mag, über den eindeutigen Wortlaut dieser Verordnung hinweggesetzt.

61.      Ferner hat der Gerichtshof in diesen Urteilen auch die in Art. 3 der ESZ-Verordnung festgelegte Systematik verfälscht. Obschon nämlich in diesem Artikel vier kumulative Voraussetzungen genannt sind, von denen jede eigene Grundgedanken und eine eigene Zielsetzung hat, die dementsprechend unabhängig voneinander zu beurteilen sind, hat der Gerichtshof letztlich zwei von ihnen miteinander vermengt. Denn er hat im Wesentlichen verlangt, im Rahmen der Prüfung zu bestimmen, was von einem Patent „geschützt“ wird (A, B und/oder A+B?), um dann darüber zu entscheiden, ob beide, auf dieser Grundlage erteilten ESZ das gleiche „Erzeugnis“ betreffen. Damit hat der Gerichtshof in Art. 3 Buchst. c dieser Verordnung eine Prüfung importiert, die ihrem Wesen nach Gegenstand von Art. 3 Buchst. a der Verordnung ist(36). Dieser Status quo führt zu einer bedauerlichen Verwirrung, die nationale Behörden vor die Frage stellt, ob sie im Rahmen beider Voraussetzungen ein und dieselbe Prüfung oder eine ganz andere vorzunehmen haben(37).

62.      Zum anderen kann, wie von der ungarischen Regierung vorgetragen, Art. 3 Buchst. c der ESZ-Verordnung selbst in seiner Auslegung nach den Urteilen Actavis I  und Actavis II einer dem Sinn und Zweck dieser Verordnung widersprechenden Erteilung von ESZ für Wirkstoffzusammensetzungen tatsächlich allein nicht entgegenstehen. Erstens hinge die Anwendung dieser Bestimmung von der früheren Erteilung eines ESZ für einen der in dieser Zusammensetzung enthaltenen Wirkstoffe ab, und zweitens kann das in dieser Bestimmung aufgestellte Verbot nach dem Urteil des Gerichtshofs Biogen(38) von Pharmakonzernen leicht umgangen werden(39).

63.      Daher sollte der Gerichtshof in der vorliegenden Rechtssache meines Erachtens der oben in Nr. 52 angeführten einfachen und wortlautbasierten Auslegung von Art. 3 Buchst. c folgen. Er sollte die Integrität des dort geregelten Systems dadurch wiederherstellen, dass die Frage, was durch ein Patent „geschützt“ wird, allein Gegenstand der Prüfung der Voraussetzung nach Art. 3 Buchst. a dieser Verordnung ist. Die Erwägungen des Gerichtshofs in den Urteilen Actavis I und Actavis II, die diese Fragestellung betrafen (insbesondere die Begriffe „zentrale erfinderische Tätigkeit“ und „Gegenstand der Erfindung“), sollten insoweit überprüft werden.

64.      Entgegen dem Vorbringen von Teva, Clonmel und der litauischen Regierung wäre eine solche wortlautbasierte Anwendung von Art. 3 Buchst. c der ESZ-Verordnung kein Einfallstor für einen Missbrauch des ESZ-Systems. Ich stimme nämlich mit der ungarischen Regierung darin überein, dass den vom Gerichtshof in den Urteilen Actavis I und Actavis II angesprochenen politischen Bedenken im Hinblick auf die Erteilung von SEZ für Wirkstoffzusammensetzungen in einer Weise Rechnung getragen werden kann, die sowohl wirksamer ist als auch den Wortlaut und die Systematik der EZS-Verordnung durch richtige Auslegung und enge Anwendung der letzteren Voraussetzung besser wahrt, wie im nächsten Abschnitt erläutert werden wird.

B.      Art. 3 Buchst. a der ESZ-Verordnung (erste und zweite Frage in der Rechtssache C149/22)

65.      Nach Art. 3 Buchst. a der ESZ-Verordnung kann, wie bereits ausgeführt, ein ESZ für ein bestimmtes „Erzeugnis“ nur erteilt werden, wenn es „durch ein in Kraft befindliches Grundpatent geschützt ist“.

66.      In jeder der Rechtssachen der Ausgangsverfahren ist unstreitig, dass das relevante „Grundpatent“ (d. h. das europäische Patent, das von Merck in den Verfahren zur Erteilung des zweiten, angefochtenen ESZ angegeben wurde) zu dem Zeitpunkt, als dieses ESZ angemeldet wurde, „in Kraft“ war.

67.      Dagegen ist zwischen den Parteien des Rechtsstreits sehr streitig, ob das „Erzeugnis“, für das dieses ESZ erteilt wurde (nämlich, wie bereits erwähnt, A+B als Wirkstoffzusammensetzung)(40), durch dieses Patent „geschützt“ war. Die Antwort auf diese Frage hängt davon ab, was mit „geschützt“ gemeint ist.

68.      Da dieser Begriff in der ESZ-Verordnung nicht definiert ist, haben nationale Gerichte den Gerichtshof mehrfach um Hinweise zu seiner Auslegung ersucht, häufig in Verbindung mit „Erzeugnissen“, die, wie in den vorliegenden Rechtssachen, aus Wirkstoffzusammensetzungen bestehen. Die sich daraus ergebende Rechtsprechung erinnert an die von den Beatles beschriebene „Long and Winding Road“. In der ersten Reihe von Entscheidungen gab der Gerichtshof eher divergierende Erläuterungen hierzu ab (Abschnitt 1). Da diese windungsreiche Rechtsprechung Rechtsunsicherheit entstehen ließ, unternahm der Gerichtshof (Große Kammer) vor einigen Jahren den Versuch, seine Rechtsprechung klarzustellen und in seinem Urteil Teva I endgültige Kriterien aufzustellen (Abschnitt 2). Gleichwohl besteht nach wie vor Unsicherheit. Jenes Urteil (und die dort aufgestellten Kriterien) machen nämlich wichtige Klarstellungen erforderlich (Abschnitt 3). Sofern der Gerichtshof diese Klarstellungen in dem in den vorliegenden Rechtssachen zu erwartenden Urteil vornehmen sollte, werden Patentrechtler und nationale Behörden, die mit ESZ-Sachen befasst sind, hoffentlich endlich das „Tor“ erreichen, zu dem dieser „Weg“ führt.

1.      Rechtsprechung des Gerichtshofs vor dem Urteil Teva I

69.      Die erste Rechtssache überhaupt, in der der Gerichtshof um Klarstellung der Bedeutung des Begriffs „geschützt“ in Art. 3 Buchst. a der ESZ-Verordnung ersucht wurde, war die Rechtssache Farmitalia(41). Es kann auf eine Wiedergabe des Sachverhalts jener Rechtssache verzichtet und lediglich angeführt werden, dass der Gerichtshof eine einfache Antwort dahin gab, dass „[d]a es an einer Harmonisierung des Patentrechts in der Gemeinschaft fehlt, … der Umfang des Patentschutzes anhand der einschlägigen Vorschriften, die nicht zum Gemeinschaftsrecht gehören, zu bestimmen [ist]“. Dementsprechend war die Frage, ob ein bestimmtes „Erzeugnis“ im Sinne dieser Bestimmung durch ein Patent „geschützt“ ist, nicht anhand des Unionsrechts zu beurteilen, sondern allein anhand des (nationalen oder sich aus dem EPÜ ergebenden) Patentrechts(42).

70.      Im Urteil Farmitalia verwies der Gerichtshof somit in dieser Frage offenbar vollständig auf die Vorschriften des (nationalen oder internationalen) Patentrechts über den Umfang des Schutzes (oder den „Schutzbereich“) eines Patents (dem insbesondere für Patentverletzungsverfahren zentrale Bedeutung zukommt), wie etwa Art. 69 EPÜ. Nach dieser Bestimmung und dem sie erläuternden Protokoll hängt der „Schutzbereich“ des europäischen Patents von den Patentansprüchen ab, die im Licht der im Patent enthaltenen Beschreibung (und etwaigen Zeichnungen) auszulegen sind. Wird dieses Kriterium des „Schutzbereichs“ auf den Kontext von Art. 3 Buchst. a der ESZ-Verordnung angewendet, wäre ein „Erzeugnis“, einschließlich einer Wirkstoffzusammensetzung (A+B), als durch ein Patent „geschützt“ anzusehen, wenn es von den Patentansprüchen in der vorgenannten Auslegung erfasst ist.

71.      Ungeachtet dieser ersten Stellungnahme hat der Gerichtshof jedoch in späteren Rechtssachen zwei (offenbar eigenständige, auf dem Unionsrecht basierende) Kriterien dafür aufgestellt, ob ein bestimmtes „Erzeugnis“ durch ein Patent im Sinne von Art. 3 Buchst. a der ESZ-Verordnung „geschützt“ ist.

72.      Zum einen hat er in seinen Urteilen Medeva(43) und Eli Lilly(44) hierfür ein, von mir im Folgenden so bezeichnetes, Kriterium der „Identifizierung“ aufgestellt. Er stellte in den vorgenannten Urteilen zunächst fest, dass die Frage dem nationalen Recht überlassen sei (im letzteren Urteil ausdrücklich unter Verweis auf die Bestimmungen über den „Schutzbereich“, insbesondere Art. 69 EPÜ), und dann, dass ein „Erzeugnis“ nur dann im Sinne von Art. 3 Buchst. a der ESZ-Verordnung als durch ein Patent „geschützt“ angesehen werden könne, wenn es „in den Ansprüchen … genannt“ sei (Urteil Medeva)(45) oder zumindest in den Ansprüchen entweder ausdrücklich oder „stillschweigend, aber notwendigerweise … in spezifischer Art und Weise“ „identifiziert“ sei (Urteil Eli Lilly)(46). Ebenso wie das oben in Nr. 70 erörterte Kriterium des „Schutzbereichs“ hängt das Kriterium der „Identifizierung“ von der Formulierung der Ansprüche des Grundpatents ab, stellt insoweit aber weiter gehende Anforderungen(47). Insbesondere könnte nach dem letzteren Kriterium ein ESZ für eine Wirkstoffzusammensetzung (A+B) nur erteilt werden, wenn sie in diesen Ansprüchen ausdrücklich (mit einer chemischen Bezeichnung oder Strukturformel) benannt oder zumindest mit hinreichender Spezifität identifizierbar wäre.

73.      Zum anderen hat der Gerichtshof parallel dazu in seinen Urteilen Actavis I und Actavis II ein, von mir im Folgenden so bezeichnetes, Kriterium der „Erfindung“ aufgestellt. Wie im vorstehenden Abschnitt erörtert, war in jeder dieser Rechtssachen auf der Grundlage des gleichen Patents i) einem Patentinhaber ein erstes ESZ für einen Wirkstoff (A) und ii) ein zweites ESZ für die Zusammensetzung dieses Wirkstoffs mit einem weiteren, gemeinfreien Wirkstoff (A+B) erteilt worden. Die Gültigkeit des ESZ für die Zusammensetzung wurde angefochten. In den einschlägigen Passagen jedes Urteils stellte der Gerichtshof fest, dass das Grundpatent seiner Auffassung nach nur A (und somit nicht A+B) „schützt“. Er bezog sich nicht auf die Patentansprüche dieses Patents, sondern stütze sich in seiner Begründung vielmehr darauf, dass A die „zentrale erfinderische Tätigkeit“ (Actavis I)(48) oder den „alleinigen Gegenstand der Erfindung“ (Actavis II)(49) im Rahmen dieses Patents bilde. Er wies weiter darauf hin, dass die Zusammensetzung A+B nur dann als „geschützt“ hätte angesehen werden können, wenn es sich bei ihr um eine „andere Innovation“ (vermutlich als A) gehandelt hätte(50). Zusammenfassend sollte nach der vom Gerichtshof in den vorgenannten Urteilen vertretenen Auffassung offenbar unabhängig davon, ob die Ansprüche des Grundpatents das in den vorstehenden Absätzen erörterte Kriterium der „Identifizierung“ erfüllen(51) (das er nicht einmal erwähnte), für ein bestimmtes „Erzeugnis“, insbesondere eine Wirkstoffzusammensetzung, ein ESZ nur erteilt werden können, wenn es der „Erfindung“ entspricht, für die dieses Patent erteilt wurde.

2.      Das „endgültige Kriterium“ nach dem Urteil Teva I

74.      Angesichts der Unsicherheiten, die sich aus den divergierenden Hinweisen ergaben, die in den im vorstehenden Abschnitt erörterten Urteilen gegeben wurden, nahm der Gerichtshof (Große Kammer) die sich ihm durch ein weiteres Vorabentscheidungsersuchen zu Art. 3 Buchst. a der ESZ-Verordnung bietende Gelegenheit zu einer Klarstellung seiner Rechtsprechung wahr; dies erfolgte im Urteil Teva I.

75.      Die dieser Entscheidung zugrunde liegende Rechtssache betraf wiederum die Frage, ob ein ESZ für eine Wirkstoffzusammensetzung erteilt werden konnte. Im Wesentlichen war Gilead Sciences Inc. ein Patent für eine Erfindung erteilt worden, die in der Verwendung einer Familie von Wirkstoffen zur Behandlung u. a. von HIV bestand. Die Patentansprüche dieses Patents bezogen sich u. a. auf i) einen dieser Stoffe (A) und ii) eine pharmazeutische Kombination, die diesen Stoff sowie „gegebenenfalls andere therapeutische Bestandteile“ enthielt. Gilead Sciences Inc. entwickelte ein Arzneimittel und erhielt für dieses eine Genehmigung für das Inverkehrbringen, das A+B als Wirkstoffzusammensetzung enthielt (wobei B ein gemeinfreier, ebenfalls zur Behandlung von HIV geeigneter Stoff war). Anschließend wurde ihr für diese Kombination ein ESZ erteilt, dessen Wirksamkeit von Teva UK vor den Gerichten des Vereinigten Königreichs angefochten wurde. Das nationale Gericht hielt insoweit für klärungsbedürftig, ob das Kriterium der „Identifizierung“, das in den Urteilen Medeva und Eli Lilly aufgestellt wurde, unter den in Rede stehenden Umständen erfüllt war und ob zusätzlich zu (oder möglicherweise anstelle von) diesem Kriterium das Kriterium der „Erfindung“, das sich aus den Urteilen Actavis I und Actavis II ergab, erfüllt sein musste, um die Kombination A+B nach Art. 3 Buchst. a der ESZ-Verordnung als durch das Grundpatent „geschützt“ ansehen zu können.

76.      Der Gerichtshof stellte zunächst in den Rn. 31 bis 33 des Urteils Teva I erneut fest, dass die Frage dem nationalen Patentrecht, genauer gesagt den Bestimmungen über den „Schutzbereich“, wie etwa Art. 69 EPÜ, überlassen sei. Allerdings führte er, nachdem er detaillierte Ausführungen zu seiner Begründung gemacht hatte, die im nächsten Abschnitt geprüft werden wird, in Rn. 57 und im Tenor seines Urteils sein endgültiges Kriterium wie folgt ein:

„… [E]in aus mehreren Wirkstoffen mit kombinierter Wirkung bestehendes Erzeugnis[(52)] [ist] im Sinne [von Art. 3 Buchst. a der ESZ-Verordnung] ‚durch ein in Kraft befindliches Grundpatent geschützt‘ …, wenn sich die Ansprüche des Grundpatents notwendigerweise und spezifisch auf die Kombination der Wirkstoffe, aus denen das Erzeugnis besteht, beziehen, auch wenn sie darin nicht ausdrücklich erwähnt wird. Dabei muss aus der Sicht des Fachmanns nach dem Stand der Technik bei der Einreichung oder am Prioritätstag des Grundpatents

–        die Kombination der Wirkstoffe im Licht der Beschreibung und der Zeichnungen des Patents notwendigerweise von der durch das Patent geschützten Erfindung erfasst sein und

–        jeder der Wirkstoffe im Licht aller durch das Patent offengelegten Angaben spezifisch identifizierbar sein.“

3.      Unsicherheiten aufgrund des Urteils Teva I und erforderliche Klarstellungen

77.      Trotz des Urteils Teva I ist nach wie vor umstritten, welche Anforderungen erfüllt sein müssen, um ein „Erzeugnis“ im Sinne von Art. 3 Buchst. a der ESZ-Verordnung als durch ein Patent „geschützt“ ansehen zu können. Dies wird durch die vorliegenden Rechtssachen veranschaulicht.

78.      Allerdings ist anzuerkennen, dass Teva, Clonmel und Merck (sowie die übrigen Beteiligten) in einem Punkt übereinstimmen. Entgegen den Ausführungen im Urteil Farmitalia dürfte der in Art. 3 Buchst. a der ESZ-Verordnung verwendete Begriff „schützen“ eindeutig nicht durch die (nationalen oder internationalen) Patentbestimmungen, wie etwa Art. 69 EPÜ, definiert sein. Auch wenn der Gerichtshof diesen Hinweis leider auch zu Beginn seines Urteils Teva I wiederholt hat, kann dies schlicht nicht der Fall sein, denn andernfalls hätte er seine Begründungserwägungen mit Rn. 33 jenes Urteils abgeschlossen.

79.      Dass er dies nicht getan hat, sondern diese vielmehr fortgesetzt und eine Reihe von Erwägungen und Anforderungen zur Auslegung von Art. 3 Buchst. a der ESZ-Verordnung hinzugefügt hat, belegt, dass er dem in dieser Bestimmung verwendeten Begriff „geschützt“ vielmehr eine autonome, unionsrechtliche Bedeutung zugewiesen hat (die mit dem Verständnis des „Schutzbereichs“ eines Patents nach Art. 69 EPÜ nur partiell deckungsgleich ist).

80.      Dieser Ansatz ist meines Erachtens zutreffend. Nach ständiger Rechtsprechung muss nämlich eine Bestimmung des Unionsrechts, die – wie Art. 3 Buchst. a der ESZ-Verordnung – für die Ermittlung ihrer Bedeutung und ihrer Tragweite nicht ausdrücklich auf das nationale (oder internationale) Recht verweist, in der Regel in der gesamten Union eine autonome und einheitliche Auslegung erhalten, wobei der Kontext, in dem sie verwendet wird, und die Ziele, die mit der Regelung, zu der sie gehört, verfolgt werden, zu berücksichtigen sind(53).

81.      Dies ist hier angesichts dessen umso notwendiger, dass Art. 3 Buchst. a der ESZ-Verordnung ein Erfordernis regelt, das für die Erteilung von ESZ in den Mitgliedstaaten von zentraler Bedeutung ist. Es geht dabei nicht so sehr um das Gebot, dass ESZ überall in der Union nach gleichen Voraussetzungen erteilt werden(54), denn der Umfang eines europäischen Patents ist nach Art. 69 EPÜ in allen Mitgliedstaaten in gleicher Weise festgelegt(55). Vielmehr ist eine autonome Auslegung des in Art. 3 Buchst. a der ESZ-Verordnung verwendeten Begriffs „geschützt“ im Licht des konkreten Kontexts und der Ziele, die mit dieser Regelung verfolgt werden, erforderlich(56), um zu gewährleisten, dass ESZ nur erteilt werden, wenn dies mit dem Sinn und Zweck dieser Regelung im Einklang steht. Auf diese Bestimmung einfach die Regelungen über den „Schutzbereich“ von Patenten, wie etwa Art. 69 EPÜ, anzuwenden, würde dieses Ergebnis nicht durchgängig gewährleisten, wie ich unten erläutern werde.

82.      Der Prüfung, ob ein „Erzeugnis“ im Sinne von Art. 3 Buchst. a der ESZ-Verordnung durch ein Patent „geschützt“ ist, muss somit ein autonomes Kriterium zugrunde gelegt werden, das sich (partiell) von dem im Rahmen des Patentrechts angewendeten Kriterium des „Schutzbereichs“ unterscheidet(57). Klar ist ebenso, dass das Erstere strenger ist als das Letztere. Es können nämlich bestimmte „Erzeugnisse“ vom Standpunkt des Patentrechts betrachtet als durch ein Patent geschützt angesehen werden, wohingegen sie im Sinne von Art. 3 Buchst. a dieser Verordnung nicht als durch dieses Patent „geschützt“ anzusehen sind. Wenn dieser (bisher implizite) Status quo durch den Gerichtshof in dem in den vorliegenden Rechtssachen zu erwartenden Urteil eindeutig anerkannt würde, wäre dies bereits eine begrüßenswerte Klarstellung des Urteils Teva I.

83.      Hier beginnt der Streit. Wie das vorlegende Gericht in der Rechtssache C‑149/22 hervorhebt, gibt es nämlich zwei Möglichkeiten, wie das in Rn. 57 (und im Tenor) des Urteils Teva I aufgestellte Kriterium und sein Verhältnis zur früheren Rechtsprechung des Gerichtshofs verstanden werden kann.

84.      Nach einer ersten, von Merck vertretenen Auslegung hat der Gerichtshof im Urteil Teva I das in den Urteilen Medeva und Eli Lilly genannte Kriterium der „Identifizierung“ bestätigt und präzisiert. Ein „Erzeugnis“, einschließlich einer Wirkstoffzusammensetzung, sei somit im Sinne von Art. 3 Buchst. a der ESZ-Verordnung als durch ein Grundpatent „geschützt“ anzusehen, wenn es „ausdrücklich in den Patentansprüchen genannt“ werde (erste Fallkonstellation) oder wenn „diese Patentansprüche sich notwendigerweise und spezifisch auf dieses Erzeugnis beziehen“ (zweite Fallkonstellation). In der ersten Fallkonstellation (die nicht diejenige des Urteils Teva I sei) sei die in dieser Bestimmung aufgestellte Voraussetzung automatisch erfüllt. Der Gerichtshof habe nämlich nicht verlangt, weiter zu prüfen, ob ein in dieser Weise ausdrücklich genanntes „Erzeugnis“ die „zentrale erfinderische Tätigkeit“ oder den „Gegenstand der Erfindung“ im Rahmen des Patents bilde. Der Gerichtshof habe somit implizit das in den Urteilen Actavis I und Actavis II genannte Kriterium der „Erfindung“ verworfen und sei von den letztgenannten Urteilen abgewichen. Dagegen gewönnen in der zweiten Fallkonstellation (die diejenige des Urteils Teva I sei) die beiden Gedankenstriche am Ende von Rn. 57 jenes Urteils Bedeutung; sie stellten eine Art „Unterkriterium“ „dabei“(58) dar, zu prüfen, ob die Patentansprüche als solche angesehen werden könnten, die sich „notwendigerweise und spezifisch“ auf ein „Erzeugnis“ bezögen, das sie nicht ausdrücklich erwähnten(59).

85.      Nach einer zweiten Auslegung des Urteils Teva I, die von Teva, Clonmel, den am Verfahren beteiligten Regierungen und der Kommission vertreten wird, hat der Gerichtshof sowohl das Kriterium der „Identifizierung“ als auch das der „Erfindung“ bestätigt. Er habe sie präzisiert und zu dem in Rn. 57 jenes Urteils genannten neuen, zweiteiligen Kriterium gemacht, das in jedem Fall für die Prüfung maßgeblich sei, ob ein „Erzeugnis“ im Sinne von Art. 3 Buchst. a der ESZ-Verordnung durch ein Patent „geschützt“ sei. Danach müsse das „Erzeugnis“ hierzu nicht nur in den Patentansprüchen ausdrücklich genannt oder zumindest für einen Fachmann „in spezifischer Weise identifizierbar“ sein (zweiter Teil), sondern auch „von der Erfindung erfasst sein“, d. h. der „Erfindung“ entsprechen, für die das Patent erteilt worden sei (erster Teil).

86.      In der Rechtssache C‑149/22 ersucht das vorlegende Gericht den Gerichtshof um Klarstellung, welche Auslegung des Urteils Teva I zutreffend sei. Abgesehen davon, dass die Mehrdeutigkeit jenes Urteils offenbar zu uneinheitlichen Entscheidungen auf der nationalen Ebene geführt habe, sei dies für den Ausgang des Ausgangsverfahrens von zentraler Bedeutung. Dieses nationale Gericht hat nämlich festgestellt, dass die Kombination aus Ezetimib und Simvastatin, die Gegenstand des zweiten, angefochtenen ESZ sei, in einem Patentanspruch des betreffenden Grundpatents „ausdrücklich erwähnt“ sei(60).

87.      Meines Erachtens ist die zweite Auslegung des Urteils Teva I zutreffend. Ich stimme nämlich zwar durchaus damit überein, dass Rn. 57 und der Tenor jenes Urteils auf den ersten Blick in der von Merck vertretenen Weise verstanden werden könnten (was zugestandenermaßen bedauerlich ist), komme jedoch aus folgenden Gründen zu einer anderen Ansicht:

88.      Zu Beginn des Urteils Teva I (insbesondere in Rn. 30) erklärte der Gerichtshof, was seine Absicht war. Auf das Ersuchen des vorlegenden Gerichts hin sollte er klarstellen, ob es dafür, dass ein „Erzeugnis“ im Sinne von Art. 3 Buchst. a der ESZ-Verordnung als durch ein Patent „geschützt“ angesehen werden kann, ausreicht, dass es das in den Urteilen Medeva und Eli Lilly genannte Kriterium der „Identifizierung“ erfüllt, oder ob darüber hinaus „ein zusätzliches Kriterium“ erfüllt sein muss. Damit waren offenkundig die „zentrale erfinderische Tätigkeit“ und der „Gegenstand der Erfindung“ gemeint, die in den Urteilen Actavis I und Actavis II genannt sind und die das nationale Gericht ausdrücklich erwähnte(61).

89.      Die Antwort, die vom Gerichtshof in den folgenden Begründungserwägungen gegeben wird, ist zwar zugestandenermaßen nicht ganz einfach, sondern bewegt sich leicht vor und zurück. Setzt man die Teile des Puzzles zusammen, erkennt man jedoch das vollständige Bild, das meines Erachtens ein klares ist.

90.      Einerseits verwendete der Gerichtshof einen erheblichen Teil seiner Begründung auf die erneute Darlegung, dass ein „Erzeugnis“ nur dann im Sinne von Art. 3 Buchst. a der ESZ-Verordnung als durch ein Grundpatent „geschützt“ angesehen werden könne, wenn es das erstmals in den Urteilen Medeva und Eli Lilly genannte Kriterium der „Identifizierung“ erfülle. Der Gerichtshof wiederholte die im letzteren Urteil zu findende Feststellung, dass ein solches „Erzeugnis“ nur dann in diesem Sinne als „geschützt“ angesehen werden könne, wenn es „[in den Patentansprüchen dieses Patents] ausdrücklich genannt wird“ oder zumindest „die Patentansprüche [sich] notwendigerweise und in spezifischer Weise auf dieses Erzeugnis beziehen“(62).

91.      Außerdem stellte der Gerichtshof klar, wann angenommen werden kann, dass die Patentansprüche eines Patents sich „notwendigerweise und in spezifischer Weise“ auf ein „Erzeugnis“ beziehen (in diesem Punkt hatte er im Urteil Eli Lilly viel Raum für Auslegung gelassen). Dies sei der Fall, wenn dieses „Erzeugnis“ für einen Fachmann im Licht aller durch das Grundpatent offengelegten Angaben (insbesondere der Beschreibung)(63) und nach dem Stand der Technik bei der Einreichung oder am Prioritätstag dieses Patents „spezifisch identifizierbar“ sei. Hierbei handelt es sich in der Tat um den zweiten Teil des Kriteriums, das am Ende von Rn. 57 und im Tenor des Urteils Teva I aufgestellt wird(64).

92.      Der Gerichtshof erläuterte ferner den Sinn und Zweck, der hinter diesem Erfordernis steht. In Anbetracht des Zwecks der durch ein ESZ gewährten zusätzlichen Ausschließlichkeitsfrist, nämlich „eine Amortisierung der Investitionen [des Inhabers des Grundpatents] in die Forschung zu ermöglichen“, soll mit diesem Teil des Kriteriums gewährleistet werden, dass ESZ nur für „Erzeugnisse“ erteilt werden, die zum Zeitpunkt der Einreichung der Anmeldung des Grundpatents durch eine solche Forschung entwickelt worden waren. Es liefe nämlich dem Zweck eines ESZ zuwider, wenn ein Patentinhaber auf der Grundlage weit formulierter Patentansprüche (u. a. allgemein gehaltener funktioneller Definitionen, die eine übergroße Familie von Stoffen erfassen) ein solches Zertifikat für einen Stoff erhalten könnte, der zum Zeitpunkt der Einreichung der Anmeldung nicht bekannt war, sondern später als Ergebnis weiterer Forschung, die möglicherweise von einem Dritten durchgeführt wurde, entwickelt wurde(65).

93.      Andererseits geht aus mehreren Feststellungen im Urteil Teva I meines Erachtens eindeutig hervor, dass ein „Erzeugnis“ nicht schon dann im Sinne von Art. 3 Buchst. a der ESZ-Verordnung als durch ein Patent „geschützt“ angesehen werden kann, wenn es „[in den Patentansprüchen dieses Patents] ausdrücklich genannt wird“ oder „sich die Patentansprüche notwendigerweise und in spezifischer Weise auf dieses Erzeugnis beziehen“, sondern dass vielmehr das in Rn. 30 jenes Urteils angedeutete „zusätzliche Kriterium“ erfüllt sein muss.

94.      Insbesondere hat der Gerichtshof in Rn. 43 des Urteils Teva I festgestellt, dass die Ansprüche des Grundpatents auch „anhand der Grenzen [der] aus der Beschreibung und den Zeichnungen des Patents hervorgehenden [durch das Patent geschützten] Erfindung verstanden werden [müssen]“.

95.      Insoweit fügte der Gerichtshof in Rn. 46 jenes Urteils hinzu, dass „sich der Gegenstand des Schutzes durch ein ESZ auf die technischen Merkmale der durch das Grundpatent geschützten Erfindung [‚technical specifications of the invention‘], wie sie nach diesem Patent beansprucht werden, beschränken muss“. Leider ist die Bedeutung dieser Feststellung durch einen Übersetzungsfehler in der englischen Sprachfassung des Urteils verloren gegangen. Für Patentrechtler ist die Formulierung „technical specifications of the invention“ bestenfalls nichtssagend und schlimmstenfalls verwirrend(66). In der französischen Sprachfassung jenes Urteils (also der Sprache, in der es abgefasst wurde) ist in diesem Absatz nämlich von den „caractéristiques techniques“ der Erfindung, d. h. von ihren „technischen Merkmalen“, die Rede(67).

96.      Dementsprechend folgt, wie von Teva, Clonmel, den am Verfahren beteiligten Regierungen und der Kommission vorgetragen, aus diesen Absätzen, dass zur Entscheidung über die Frage, ob ein „Erzeugnis“ durch ein Grundpatent „geschützt“ ist, auch i) innerhalb der Patentansprüche, in ihrer Auslegung im Licht der Beschreibung und Zeichnungen dieses Patents, der Gegenstand dieses Patents (die „Erfindung“ und ihre technischen Merkmale,  was einen engeren Begriff darstellt als der „Schutzbereich“ des Patents, der um diesen Gegenstand herum gewährt wird)(68) zu identifizieren ist und ii) darüber zu entscheiden ist, ob dieses „Erzeugnis“ dieser „Erfindung“ entspricht(69).

97.      Der Gerichtshof hat daraus später geschlossen, dass ein „Erzeugnis“ nur dann als durch ein Patent „geschützt“ angesehen werden könne, wenn es „notwendigerweise zu der Erfindung gehört“, für die dieses Patent erteilt worden sei. Dies ist letztlich das, worum es im ersten Teil des am Ende von Rn. 57 und im Tenor des Urteils Teva I aufgestellten Kriteriums geht.

98.      Wie von den vorgenannten Verfahrensbeteiligten vorgetragen, erfordert dieses Kriterium mehr als eine bloße Benennung des „Erzeugnisses“ in den Patentansprüchen des Grundpatents. Insbesondere wenn es sich bei dem „Erzeugnis“, für das ein ESZ angemeldet werden soll, um eine Wirkstoffzusammensetzung handelt, sind der/die sich auf diese Kombination beziehende/n Patentanspruch/Patentansprüche im Licht der Beschreibung und Zeichnungen dieses Patents auszulegen, um zu bestimmen, ob diese Kombination der „Erfindung“ entspricht, für die dieses Patent erteilt wurde. Dieses Kriterium stellt somit eine Bestätigung und Präzisierung des Kriteriums der „Erfindung“ dar, das in den Urteilen Actavis I und Actavis II genannt wird.

99.      Entgegen dem Vorbringen von Merck wird dieses Ergebnis meines Erachtens nicht dadurch in Frage gestellt, dass der Gerichtshof in Rn. 31 seines Urteils Royalty Pharma auf Ersuchen des vorlegenden Gerichts ausgeführt hat, dass der (im Urteil Actavis I verwendete) Begriff „zentrale erfinderische Tätigkeit“ im Kontext von Art. 3 Buchst. a der ESZ-Verordnung nicht (mehr) relevant sei.

100. Wenngleich der Gerichtshof diese Begriffe verworfen hat, hat er nämlich im selben Absatz erneut ausgeführt, dass „sich der Gegenstand des Schutzes durch ein ESZ auf die technischen Merkmale der durch das Grundpatent geschützten Erfindung … beschränken muss“, und bestätigt, dass Art und Umfang der „Erfindung“ dafür maßgeblich seien, ob ein „Erzeugnis“ im Sinne dieser Bestimmung durch ein Patent „geschützt“ sei. Der Gerichtshof wollte somit meines Erachtens in dem in Rede stehenden Absatz eine Änderung der Terminologie, nicht aber des Inhalts bestätigen. Er ersetzte den Begriff „zentrale erfinderische Tätigkeit“ durch den Begriff „Erfindung“ (wie er dies in der Tat bereits im Urteil Actavis II getan hatte), wahrscheinlich weil der erstere Begriff Patentrechtlern geläufig ist und somit die zu übermittelnde Botschaft besser erfasst als der letztere(70). Der allen diesen Begriffen zugrunde liegende Gedanke ist jedoch im Wesentlichen derselbe, nämlich die Frage, ob das „Erzeugnis“ der „Erfindung“, für die das Patent erteilt wurde, entspricht.

101. Die Begründung, die der Gerichtshof zum Zweck des ersten Teils des im Urteil Teva I genannten Kriteriums gegeben hat, bestätigt diese Auslegung meines Erachtens. In Rn. 40 jenes Urteils hat der Gerichtshof ausgeführt, dass es dem Ziel der ESZ-Verordnung, das in der Förderung von Innovationen im pharmazeutischen Sektor besteht, und der mit ihr insoweit angestrebten Interessenabwägung widerspräche, ein ESZ für ein „Erzeugnis“ zu erteilen, das nicht von der durch das Grundpatent geschützten „Erfindung“ erfasst ist, „da ein solches ESZ nicht die mit diesem Patent beanspruchten Forschungsergebnisse beträfe“. Hierzu sind einige Erläuterungen erforderlich.

102. Dieser erste Teil wurde im Wesentlichen mit Blick auf Wirkstoffzusammensetzungen formuliert. Insoweit ist der Definition des Begriffs „Erzeugnis“ in Art. 1 Buchst. b der ESZ-Verordnung eindeutig zu entnehmen, dass, wie von Merck betont, diese Verordnung die Erteilung von ESZ für solche Zusammensetzungen vorsieht. Aus der Begründung des Vorschlags für eine Verordnung geht nämlich hervor, dass die Verfasser des ESZ-Systems die Entwicklung „neue[r] Zusammensetzung[en] unter Einbeziehung eines neuen oder bereits bekannten Erzeugnisses“, belohnen wollten(71). Gleichwohl möchte ich im Hinblick auf Wirkstoffzusammensetzungen zwischen zwei Fallkonstellation differenzieren.

103. Zum einen kann der Gedanke, bestimmte (neue oder bekannte) Wirkstoffe in einer bestimmten Kombination zu verwenden, eine „Erfindung“ darstellen, die „neu“ ist und eine „erfinderische Tätigkeit“ beinhaltet und für die somit ein Patent erteilt werden kann. Dies ist der Fall, wenn diese Wirkstoffe, wenn sie miteinander kombiniert werden, eine innovative, „synergetische Wirkung“ zeigen, die über ihre bloße additive Wirkung hinausgeht(72) und die für die Behandlung bestimmter Krankheiten und gesundheitlicher Leiden geeignet ist. Ist dies der Fall, ist die Kombination in der Regel Gegenstand eines eigenen Patents, mit dem die innovative Wirkung dieser Kombination offenbart wird. Wie von den am Verfahren beteiligten Regierungen vorgetragen, handelt es sich dabei um die Arten von „neue[n] Zusammensetzung[en]“, die der Unionsgesetzgeber im Blick hatte und die er im Rahmen des ESZ-Systems fördern wollte(73). Somit sind sie dann, wenn sie entwickelt werden, mit einem ESZ zu belohnen.

104. Zum anderen, dürfte es, wie von der ungarischen Regierung in ihren Erklärungen hilfreich dargestellt, ständige Praxis sein, dass pharmazeutische Unternehmen dann, wenn sie Anmeldungen für Patente einreichen, die sich auf die Entwicklung neuer, einzelner Wirkstoffe beziehen, bei diesen Anmeldungen zusätzlich zu den Hauptpatentansprüchen, die sich auf den/die betreffenden Wirkstoff/e (A) beziehen, noch einen oder mehrere (abhängige) Patentansprüche(74) für die Verwendung dieses Wirkstoffs/dieser Wirkstoffe in Kombination mit anderen bekannten Stoffen (A+B, A+C usw.) als besondere „Ausführungsarten“ der Erfindung mit einreichen. Die Beschreibung offenbart in der Regel keine diesen Kombinationen eigene innovative „synergetische Wirkung“. Häufig legt diese Beschreibung nicht einmal ihre Eignung (also Fähigkeit, gut miteinander zu funktionieren, Fehlen gefährlicher Nebenwirkungen usw.) dar. Diese Kombinationsansprüche sind nämlich möglicherweise rein spekulativ und werden allein zu dem Zweck hinzugefügt, den Umfang des Patentschutzes nach Art. 69 EPÜ zu erweitern.

105. Obwohl diese Praxis, wie von Merck vorgetragen, vom EPA offenbar akzeptiert wird (und offenbar in der Tat zahlreiche, von diesem Amt erteilte europäische Patente solche Kombinationsansprüche enthalten)(75), würde es, wie von den anderen Beteiligten erwidert, eindeutig den Zielen der ESZ-Verordnung und der mit ihr angestrebten Interessenabwägung widersprechen, in der zweiten Fallkonstellation ESZ für Wirkstoffzusammensetzungen zu erteilen.

106. In dieser Fallkonstellation ist nämlich die Kombination A+B selbst nicht der neue und erfinderische Gedanke, der das Ergebnis der Forschung ist, die im Patent offenbart wird, sondern A. Somit sollte die Entwicklung von A durch ein ESZ belohnt werden. Die Kombination A+B sollte dagegen nicht allein deshalb in dieser Weise belohnt werden, weil dem Patent für A ein spekulativer Patentanspruch für diese Kombination hinzugefügt wurde.

107. Das Vorbringen von Merck, dass die Erteilung eines ESZ für eine solche Wirkstoffzusammensetzung die Entwicklung und das Inverkehrbringen eines diese Zusammensetzung enthaltenden Arzneimittels voraussetze, wofür Forschung und Tests erforderlich seien (um die Genehmigung für das Inverkehrbringen zu erhalten), stellt diese Auslegung nicht in Frage. Wie in der oben in Nr. 104 beschriebenen Fallkonstellation dargelegt, besteht die „Erfindung“, die im Grundpatent offenbart wird, in A. Dass nach der Einreichung der Patentanmeldung die Sicherheit und Eignung der Zusammensetzung A+B durch weitere Forschung nachgewiesen wurde, ist nicht zu berücksichtigen. Ferner sollte, wie von der ungarischen Regierung vorgetragen, mit dem ESZ-System nicht jedwede pharmazeutische Forschung belohnt werden, die dazu führt, dass ein neues Arzneimittel in den Verkehr gebracht wird, sondern diejenige Art von Forschung, die zur Entdeckung u. a. neuer Wirkstoffzusammensetzungen in dem oben in Nr. 103 genannten Sinne führt, nämlich solcher, die eine „synergetische Wirkung“ zeigen(76). Dagegen verdient die (bisweilen sehr relative) Erfindung, die darin besteht, A und einen weiteren bekannten Arzneistoff (B), die jeweils eine voneinander unabhängige Wirkung auf den menschlichen Organismus haben, in einem Kombinationspräparat einzusetzen, um die Anwendung einer Kombinationstherapie gegen eine bestimmte Krankheit zu ermöglichen, eine solche Belohnung nicht. Wie vom Gerichtshof in den Urteilen Actavis I  und Actavis II festgestellt, bezweckt die ESZ- Verordnung nicht, einem Patentinhaber die Rückstände in der wirtschaftlichen Verwertung seiner Erfindung in allen möglichen Formen dieser Verwertung, einschließlich derjenigen eines solchen Kombinationspräparats, auszugleichen(77).

108. Es ist somit zwischen der ersten und der zweiten Art von Wirkstoffzusammensetzungen zu differenzieren. Das erscheint mit Blick darauf umso gebotener, dass, wie der Gerichtshof in Rn. 42 des Urteils Teva I (unter Verweis auf das Urteil Actavis II) festgestellt hat, dann, wenn dem Patentinhaber auf der Grundlage der gleichen Erfindung (A) in Form von Kombinationspräparaten mehrere ESZ erteilt werden könnten, „Evergreening“-Strategien gefördert würden, mit denen pharmazeutische Unternehmen ihre Monopole übermäßig verlängern könnten, indem sie zunächst ein Arzneimittel, das „A“ enthält, in Verkehr bringen, dann ein Arzneimittel, das „A+B“ enthält, und dann ein weiteres, das „A+C“ enthält, usw.(78).

109. Das in den Urteilen Actavis I und Actavis II genannte und im Urteil Teva I präzisierte Kriterium der „Erfindung“ ist insoweit geeignet und verhältnismäßig. Es gewährleistet nämlich eine angemessene Abwägung insoweit, als die Erteilung von ESZ für Zusammensetzungen, die ergänzenden Schutz verdienen, zugelassen (und somit Innovation in dieser Hinsicht gefördert) wird, während eine Erteilung mehrerer ESZ für einzelne Wirkstoffe in leicht abgeänderter, neuer „Kombinations-“ Verpackung vermieden wird.

110. Umgekehrt und entgegen dem Vorbringen von Merck ist das Kriterium der „Identifizierung“ hierzu nicht geeignet. Zwar wird durch dieses Kriterium dadurch, dass es die Erteilung von ESZ auf Wirkstoffzusammensetzungen begrenzt, die in den Patentansprüchen des Grundpatents ausdrücklich genannt sind oder die darin zumindest „spezifisch identifizierbar“ sind, für den Patentinhaber durchaus die Möglichkeit eingeschränkt, mehrere ESZ für A in Form von Kombinationspräparaten zu erhalten. Es würde jedoch lediglich (sehr) partiell zu diesem Ziel beitragen. Wie von Teva vorgetragen, würde es nämlich schlicht Anreize für pharmazeutische Unternehmen dafür schaffen, bei der Gestaltung ihrer Patentanmeldungen ein Standardverzeichnis von Wirkstoffen (Diuretika, Antibiotika usw.) darin aufzunehmen, die mit den Stoffen, die Gegenstand dieser Anmeldungen sind, kombiniert werden können(79).

111. Meines Erachtens ist auch das Vorbringen von Merck nicht überzeugend, dass solche „Evergreening“-Bestrebungen eher theoretischer als realer Natur seien, weil nach Art. 13 Abs. 2 der ESZ-Verordnung der durch jedes ESZ auf der Grundlage desselben Grundpatents gewährte Schutz in jedem Fall auf den Zeitraum von fünf Jahren nach Ablauf dieses Patents begrenzt sei.

112. Zum einen kann nämlich, wie von Clonmel vorgetragen, in Anbetracht der in Rede stehenden (wirtschaftlichen) Interessen die einem Patentinhaber offenstehende Möglichkeit, wenn auch nur für wenige Monate zusätzlichen Schutz zu erhalten, indem er mehrere ESZ-Anmeldungen für A in Kombinationspräparaten einreicht, kaum als triviale Angelegenheit angesehen werden(80). Zum anderen ist es für pharmazeutische Unternehmen recht einfach, die Begrenzung auf fünf Jahre nach Art. 13 Abs. 2 der ESZ-Verordnung zu umgehen. Da diese Begrenzung nämlich nur für ESZ gilt, die auf der Grundlage desselben Patents erteilt wurden, muss ein solches Unternehmen lediglich in bestimmten zeitlichen Abständen verschiedene Patente für denselben Wirkstoff (für die Stofffamilie, zu der er gehört, für spezifische Stoffe der Familie, für eine spezifische Verwendung derselben usw.) erwirken, von denen einige spekulative Patentansprüche für die Verwendung dieses Wirkstoffs in Kombination mit anderen Stoffen enthalten, und Anmeldungen für ESZ auf der Grundlage dieser verschiedenen Patente einreichen(81).

113. Die von mir vertretene Ansicht wird auch nicht durch das Vorbringen von Merck in Frage gestellt, wonach das Kriterium der „Erfindung“ komplex sei und der Prüfung einer „erfinderischen Tätigkeit“ gleichkomme (wohingegen das ESZ-System seiner Konzeption nach „einfach“ sein solle)(82) und somit Unsicherheit entstehen lasse, die dazu führen könne, dass von nationalen Patentbehörden voneinander abweichende Entscheidungen über im Wesentlichen gleiche Sachverhalte getroffen würden, was dem mit dieser Verordnung verfolgten Ziel der Einheitlichkeit widerspreche.

114. Es wäre zweifellos (bisweilen) einfacher, der Prüfung, ob ein „Erzeugnis“ im Sinne von Art. 3 Buchst. a der ESZ-Verordnung durch ein Grundpatent „geschützt“ ist, lediglich das Kriterium der „Identifizierung“ zugrunde zu legen, als zusätzlich noch das Kriterium der „Erfindung“ anzuwenden. Dies würde jedoch zu Ergebnissen führen, die dem, in den vorliegenden Schlussanträgen erläuterten, Sinn und Zweck dieses Rechtsakts widersprechen. Im Übrigen muss das Argument der Rechtssicherheit relativiert werden. Einzelne Wirkstoffe werden das letztere Kriterium ohne Weiteres erfüllen; lediglich bei „Erzeugnissen“, die aus Wirkstoffzusammensetzungen bestehen, ist eine weitere Prüfung erforderlich, und, selbst insoweit, dürften Patentrechtler meines Erachtens, von Grenzfällen abgesehen, im Vorhinein beurteilen können, wann für diese Zusammensetzungen ein ESZ erteilt werden kann und wann nicht.

115. Der erste Teil des im Urteil Teva I genannten Kriteriums ist nämlich nicht so komplex, wie Merck ihn darstellt. Was die Anwendung dieses Kriteriums angeht, ist darauf hinzuweisen, dass der Gerichtshof in Rn. 48 jenes Urteils konkretisiert hat, dass ein „Erzeugnis“ „notwendigerweise von der durch das Patent geschützten Erfindung erfasst wird“, wenn „der Fachmann auf der Grundlage seiner allgemeinen Kenntnisse und im Licht der im Grundpatent enthaltenen Beschreibung und Zeichnungen der Erfindung eindeutig erkennen kann, dass das Erzeugnis, auf das sich die Ansprüche des Grundpatents beziehen, ein für die Lösung des technischen Problems, das von dem Patent offengelegt wird, erforderliches Merkmal ist“(83).

116. Auch wenn die im vorangegangenen Absatz gegebene Erläuterung zugestandenermaßen den „Problem-und-Lösung“-Ansatz wiedergibt, dem zur Prüfung des Vorliegens einer „erfinderischen Tätigkeit“ nach Art. 56 EPÜ gefolgt wird, geht es bei ihm in Wirklichkeit nicht um die Prüfung, ob die Kombination A+B die Voraussetzungen für die Patentierbarkeit erfüllt. Vielmehr geht es um eine Ex-post-Beurteilung dessen, was mit dem Patent (insbesondere der Beschreibung) offenbart wird. Wird durch das Patent, als Erfindung, die Verwendung von A+B im Hinblick auf ihre kombinierte synergetische Wirkung auf den menschlichen Organismus zur Lösung eines bestimmten (medizinischen) technischen Problems beschrieben, so dass (nach der Formulierung des Gerichtshofs im Urteil Teva I) die Kombination von A und B ein für die Lösung dieses technischen Problems „erforderliches Merkmal“ wäre? Oder wird durch das Patent vielmehr, als Erfindung, der Gedanke der Verwendung bestimmter einzelner Wirkstoffe (einschließlich A) im Hinblick auf ihre (einzelne) Wirkung auf den menschlichen Organismus zur Behandlung bestimmter Krankheiten oder gesundheitlicher Leiden beschrieben, jedoch ebenso hinzugefügt, dass diese Stoffe auch in Kombination mit anderen Stoffen (B, C usw.) verwendet werden könnten, ohne eine dieser Kombination eigene „synergetische Wirkung“ zu offenbaren? In diesem Fall ist die Kombination A+B (oder C usw.) kein „erforderliches Merkmal“ der Erfindung. Auch wenn es Sache der vorlegenden Gerichte wäre, hierzu entsprechende Feststellungen zu treffen, dürfte das Ausgangsverfahren meines Erachtens der zweiten Fallkonstellation entsprechen(84).

VI.    Ergebnis

117. Nach alledem schlage ich dem Gerichtshof vor, die Vorlagefrage des Markkinaoikeus (Marktgericht, Finnland) und des Supreme Court (Oberstes Gericht, Irland) wie folgt zu beantworten:

1.      Art. 3 Buchst. a der Verordnung (EG) Nr. 469/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 6. Mai 2009 über das ergänzende Schutzzertifikat für Arzneimittel

ist dahin auszulegen, dass ein „Erzeugnis“ im Sinne dieser Bestimmung nur dann als „durch ein … Grundpatent geschützt“ anzusehen ist, wenn es nicht nur i) in den Patentansprüchen ausdrücklich genannt oder zumindest „spezifisch identifizierbar“ ist, sondern auch ii) von der durch dieses Patent geschützten Erfindung erfasst ist.

2.      Art. 3 Buchst. c der Verordnung Nr. 469/2009

ist dahin auszulegen, dass die Erteilung eines ergänzenden Schutzzertifikats (ESZ) für eine Wirkstoffzusammensetzung nach dieser Bestimmung nicht ausgeschlossen ist, wenn für einen dieser Wirkstoffe ein früheres ESZ erteilt wurde. Die Begriffe „zentrale erfinderische Tätigkeit“ und „Gegenstand der Erfindung“ sind für die Beurteilung der in dieser Bestimmung geregelten Bedingung nicht von Bedeutung.


1      Originalsprache: Englisch.


2      Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates vom 6. Mai 2009 über das ergänzende Schutzzertifikat für Arzneimittel (ABl. 2009, L 152, S. 1).


3      Urteil vom 12. Dezember 2013, Actavis Group PTC und Actavis UK (C‑443/12, EU:C:2013:833; im Folgenden: Urteil Actavis I).


4      Urteil vom 12. März 2015, Actavis Group PTC und Actavis UK (C‑577/13, EU:C:2015:165; im Folgenden: Urteil Actavis II).


5      Urteil vom 25. Juli 2018, Teva UK u. a. (C‑121/17, EU:C:2018:585; im Folgenden: Urteil Teva I).


6      Metformin hat eine andere Wirkung auf den Organismus und trägt in anderer Weise zur Behandlung von Diabetes bei als Sitagliptin. Metformin wirkt nämlich dadurch, dass es die Glukosebildung in der Leber vermindert, die Insulinsensitivität des Körpergewebes erhöht und die GDF15-Sekretion erhöht, was zu einer Reduzierung von Appetit und Kalorienaufnahme führt.


7      Urteil vom 30. April 2020, Royalty Pharma Collection Trust (C‑650/17, EU:C:2020:327; im Folgenden: Urteil Royalty Pharma).


8      Atherosklerose beinhaltet eine Verhärtung der Arterien, die infolge der Ansammlung u. a. von Cholesterin in und auf den Arterienwänden eintritt.


9      Statine haben andere Wirkungen und sind zur Behandlung eines hohen Cholesterinspiegels in anderer Weise als Azetidinone geeignet. Während Azetidinone, einschließlich Ezetimib, die Resorption von Cholesterin hemmen, wirken Statine, indem sie den Abbau von Cholesterin in der Leber fördern.


10      Patente können auch von Staaten nach von ihren nationalen Patentämtern durchgeführten Eintragungsverfahren erteilt werden. Da es sich bei den in den Rechtssachen der Ausgangsverfahren in Rede stehenden Patenten um europäische Patente handelt, werde ich mich auf die Vorschriften des Europäischen Patentübereinkommens (EPÜ) konzentrieren. Die in den Mitgliedstaaten für nationale Patente geltenden Vorschriften sind mit diesen jedoch im Wesentlichen identisch.


11      Das EPÜ ist für 39 Vertragsparteien verbindlich, zu denen die Mitgliedstaaten der Europäischen Union gehören. Die Europäische Union selbst ist nicht Vertragspartei dieses Übereinkommens, das somit nicht Teil des Unionsrechts ist.


12      Vgl. Art. 52 Abs. 1, Art. 54 und Art. 56 EPÜ. Die Erfindung muss ferner „gewerblich anwendbar“ sein (vgl. Art. 57 des Übereinkommens), diese Voraussetzung lasse ich jedoch außer Betracht, da sie bei pharmazeutischen Arzneimitteln selten streitig ist.


13      Vom Anmeldetag an berechnet (vgl. Art. 63 Abs. 1 EPÜ).


14      Genau genommen ist ein Europäisches Patent kein einheitlicher Rechtstitel, der einen einheitlichen Schutz in allen Staaten gewährt, für die er erteilt wurde, sondern kommt im Wesentlichen als Bündel nationaler Patente zustande (vgl. meine ersten Schlussanträge in der Rechtssache BSH Hausgeräte, C‑339/22, EU:C:2024:159, Nr. 21).


15      Vgl. Art. 83 EPÜ.


16      Ein generisches Arzneimittel ist ein einem Originalarzneimittel mit Markennahmen entsprechendes Arzneimittel; es hat u. a. die gleichen Wirkstoffe wie das Originalarzneimittel.


17      Vgl. Pila, J., und Torremans, P., European Intellectual Property Law, Oxford University Press, 2016, S. 114.


18      Vgl. Richtlinie 2001/83/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 6. November 2001 zur Schaffung eines Gemeinschaftskodexes für Humanarzneimittel (ABl. 2001, L 311, S. 67).


19      Vgl. Art. 1 Buchst. c. der ESZ-Verordnung, wonach ein „Grundpatent“ definiert ist als „ein Patent, das ein Erzeugnis als solches, ein Verfahren zur Herstellung eines Erzeugnisses oder eine Verwendung eines Erzeugnisses schützt und das von seinem Inhaber für das Verfahren zur Erteilung eines Zertifikats bestimmt ist“.


20      Vgl. in diesem Sinne Art. 2 und Art. 3 Buchst. a, b und d der ESZ-Verordnung. Somit kommen für ein ESZ nur „Erzeugnisse“ in Betracht, die in dem Sinne „neu“ sind, dass sie zuvor niemals für irgendeine medizinische Verwendung in den Verkehr gebracht wurden (vgl. hierzu Urteil vom 9. Juli 2020, Santen, C‑673/18, EU:C:2020:531).


21      Der/die „Wirkstoff(e)“ eines Arzneimittels im Sinne von Art. 1 Buchst. b der ESZ-Verordnung ist/sind der/die Stoff(e), der/die eine eigene therapeutische Wirkung hat/haben, und nicht die zur Zusammensetzung dieses Erzeugnisses gehörenden Stoffe, die keine eigene Wirkung auf den menschlichen Organismus haben (vgl. Urteil vom 9. Juli 2020, Santen, C‑673/18, EU:C:2020:531, Rn. 42 und die dort angeführte Rechtsprechung).


22      Vgl. Art. 7 Abs. 1 der ESZ-Verordnung.


23      Vgl. Art. 13 der ESZ-Verordnung.


24      Vgl. in diesem Sinne zehnter Erwägungsgrund sowie die Art. 4 und 5 der ESZ-Verordnung.


25      Vgl. Urteil vom 15. Januar 2015, Forsgren (C‑631/13, EU:C:2015:13, Rn. 32).


26      Vgl. zu diesem Nichtigkeitsgrund Art. 15 Abs. 1 Buchst. a. der ESZ-Verordnung.


27      Auch wenn das vorlegende Gericht in der Rechtssache C‑119/22 keine Frage zu Art. 3 Buchst. a der ESZ-Verordnung vorgelegt hat, wird eine Klärung der Frage auch für dieses Gericht bei der Entscheidung über den Ausgangsrechtsstreit in dieser Rechtssache von Nutzen sein.


28      Der Gerichtshof hat hierzu in seinem Urteil vom 12. Dezember 2013, Georgetown University (C‑484/12, EU:C:2013:828, Rn. 30), bestätigt, dass Art. 3 Buchst. c der ESZ-Verordnung, wie sich aus seinem Wortlaut ergibt, die Erteilung mehrerer ESZ auf der Grundlage desselben Patents nicht ausschließt, wenn diese Zertifikate nicht das gleiche, sondern sich voneinander unterscheidende „Erzeugnisse“ betreffen.


29      Rn. 30 und 41.


30      Rn. 26, 36, 39 und Tenor.


31      Vgl. in diesem Sinne Urteile Actavis I (Rn. 29 und 42) und Actavis II (Rn. 33). Der Begründung des Gerichtshofs ist zu entnehmen, dass es sich seiner Auffassung nach bei A+B um das gleiche „Erzeugnis“ wie A handelte oder dass A das relevante „Erzeugnis“ aller ESZ war. Er wies darauf hin, dass die Bewertung anders ausgefallen wäre, wenn es sich bei A+B um eine „andere Innovation“ (vermutlich als A) gehandelt hätte (vgl. Urteil Actavis I, Rn. 42).


32      Vgl. hierzu zehnter Erwägungsgrund der ESZ-Verordnung.


33      Mit dem Begriff „Evergreening“ werden die verschiedenen Strategien bezeichnet, mit denen pharmazeutische Unternehmen die Laufzeit der Patente, die ihre Arzneimittel schützen, zu verlängern suchen, um den Wettbewerb zu verzögern und Monopoleinnahmen zu erhalten (vgl. hierzu Max-Planck‑Institut für Innovation und Wettbewerb, Study on the Legal Aspects of Supplementary Protection Certificates in the EU, Amt für Veröffentlichungen der Europäischen Union, 2018, S. 115).


34      Vgl. Urteile Actavis I (Rn. 39 bis 41) und Actavis II (Rn. 34 bis 37).


35      Urteil vom 9. Juli 2020 (C‑673/18, EU:C:2020:531, Rn. 46 und 52).


36      Nämlich, wie ausgeführt, ob „das Erzeugnis durch ein in Kraft befindliches Grundpatent geschützt ist“. In der Tat gab der Gerichtshof, der sich offenbar der Art und Weise durchaus bewusst war, in der er beide Voraussetzungen im Urteil Actavis I miteinander vermengt hatte, im Urteil Actavis II eine pauschale Antwort, wonach „Art. 3 Buchst. a und c“ der ESZ-Verordnung die Erteilung eines ESZ für eine Wirkstoffzusammensetzung unter den oben in Nr. 55 dargestellten Umständen ausschlössen, ohne zwischen beiden Bestimmungen zu differenzieren.


37      Vgl. hierzu die zweite, dritte und vierte Frage des vorlegenden Gerichts in der Rechtssache C‑119/22.


38      Urteil vom 23. Januar 1997 (C‑181/95, EU:C:1997:32).


39      Im Urteil vom 23. Januar 1997, Biogen (C‑181/95, EU:C:1997:32, Rn. 28), hat der Gerichtshof Art. 3 Buchst. c der EZS-Verordnung dahin ausgelegt, dass er nicht zulässt, dass einem einzigen Patentinhaber für dasselbe „Erzeugnis“ mehrere ESZ erteilt werden. Wenn mehrere rechtlich getrennte Einheiten Inhaber mehrerer, dasselbe „Erzeugnis“ schützender Patente sind, kann jeder von ihnen für Letzteres ein ESZ erteilt werden, ohne dass diese Bestimmung zum Tragen kommt. Somit könnten Pharmakonzerne, die in der Regel Inhaber mehrerer Patente im Umfeld ihrer Erfindungen sind, das in dieser Bestimmung geregelte Verbot ohne Weiteres umgehen: Gesellschaft 1 könnte ein ESZ für A auf der Grundlage des A schützenden ersten Patents beantragen, und Gesellschaft 2 könnte dann ungehindert ein ESZ für A+B auf der Grundlage eines anderen Patents erteilt werden.


40      Vgl. Art. 1 Buchst. b der ESZ-Verordnung. Die Frage ist somit nicht, ob das Grundpatent A oder B jeweils einzeln „schützt“, sondern vielmehr, ob es A+B als solches „schützt“.


41      Urteil vom 16. September 1999 (C‑392/97, EU:C:1999:416; im Folgenden: Urteil Farmitalia).


42      Urteil Farmitalia (Rn. 27 bzw. 29).


43      Urteil vom 24. November 2011, Medeva (C‑322/10, EU:C:2011:773; im Folgenden: Urteil Medeva).


44      Urteil vom 12. Dezember 2013, Eli Lilly and Company (C‑493/12, EU:C:2013:835; im Folgenden: Urteil Eli Lilly).


45      Rn. 25 und 28 sowie Tenor.


46      Rn. 38 und 39 sowie Tenor.


47      Nach Art. 69 EPÜ ist nämlich nicht erforderlich, dass etwas in den Patentansprüchen „genannt“ ist oder diese sich stillschweigend „notwendigerweise … in spezifischer Weise“ darauf beziehen, damit es als von ihnen erfasst angesehen werden kann. Für Wirkstoffzusammensetzungen wären hierfür z. B. allgemeine Formulierungen, wie etwa die Verwendung von „A in Kombination mit anderen Wirkstoffen“, ausreichend.


48      Rn. 30 und 41.


49      Rn. 26, 36, 39 und Tenor.


50      Vgl. Urteil Actavis I (Rn. 42).


51      Im ersten Fall enthielt das Grundpatent einen Anspruch auf Verwendung von A in Kombination mit anderen Wirkstoffen, die allgemein formuliert war (vgl. Urteil Actavis I, Rn. 11). Im zweiten Fall enthielt das Grundpatent hingegen einen Anspruch, der sich spezifisch auf die Kombination A+B bezog. Allerdings wurde dieser Anspruch nach der Anmeldung eines ESZ für A+B hinzugefügt (vgl. Urteil Actavis II, Rn. 14 bis 18). Dieser Umstand spielt jedoch in den Erwägungen des Gerichtshofs keine Rolle.


52      Zwar sind in Rn. 57 des Urteils Teva I nur Wirkstoffkombinationen genannt, aus den Rn. 52 und 53 jenes Urteils ergibt sich jedoch, dass das dort genannte Kriterium auch für „Erzeugnisse“ gilt, die nur aus einem einzelnen Wirkstoff bestehen.


53      Vgl. u. a. Urteil vom 6. Juli 2023, Staatssecretaris van Justitie en Veiligheid (Besonders schwere Straftat) (C‑402/22, EU:C:2023:543, Rn. 23 und 24 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).


54      Vgl. siebter Erwägungsgrund der ESZ-Verordnung und Urteil Medeva (Rn. 24).


55      Selbst für nationale Patente sind die nationalen Regelungen über den „Schutzbereich“ im Wesentlichen in allen Mitgliedstaaten die gleichen und entsprechen Art. 69 EPÜ.


56      Außerdem ist, im Gegensatz zu Art. 3 Buchst. c der ESZ-Verordnung (siehe oben, Nr. 60), der in Art. 3 Buchst. a dieser Verordnung verwendete Begriff „geschützt“ aufgrund seiner Unbestimmtheit einer solchen teleologischen Auslegung zugänglich.


57      Genauer gesagt, könnte diesem Kriterium nach Art. 3 Buchst. a dieser Verordnung eine Art „Hybridnatur“ zwischen Unionsrecht und (nationalem oder internationalem) Patentrecht zugeschrieben werden. Wie unten erläutert werden wird, hat der Gerichtshof nämlich zwar das, was mit „geschützt“ im Sinne von Art. 3 Buchst. a der ESZ-Verordnung gemeint ist, autonom definiert, diese Definition stützt sich jedoch auf bestimmte Begriffe des Patentrechts, wie etwa „Erfindung“. Außerdem müssen bei der Beurteilung, ob ein bestimmtes „Erzeugnis“ von dieser autonomen Definition erfasst ist, bestimmte Grundsätze des Patentrechts beachtet werden (siehe unten, Fn. 63).


58      Urteil Teva I (Rn. 38).


59      Vgl. ebenfalls mit diesem Verständnis Schlussanträge des Generalanwalts Hogan in den verbundenen Rechtssachen Royalty Pharma Collection Trust u. a.  (C‑650/17 und C‑114/18, EU:C:2019:704, Nrn. 41 und 49). Nach Ansicht von Merck sollen nach diesem zweiteiligen Kriterium die Patentansprüche als „notwendigerweise und spezifisch“ auf ein „Erzeugnis“ bezogen anzusehen sein, wenn ein Fachmann in der Lage wäre, i) zu erkennen, dass dieses „Erzeugnis“ in dem Sinne „notwendigerweise von der durch das Patent geschützten Erfindung erfasst [sei]“, dass das Vorhandensein des betreffenden Wirkstoffs/der betreffenden Wirkstoffe dem Wortlaut der Patentansprüche dieses Patents nach nicht nur möglich, sondern erforderlich sei, und ii) diese Wirkstoffe „in spezifischer Weise“ im Licht aller durch das Patent offengelegten Angaben aus der Formulierung dieser Patentansprüche zu identifizieren seien. Sei ein „Erzeugnis“ in den Patentansprüchen ausdrücklich genannt, sei das im Urteil Teva I genannte zweiteilige (Unter‑) Kriterium nicht zu prüfen, da es offensichtlich erfüllt sei. Wenn dieses „Erzeugnis“ nämlich in den Patentansprüchen ausdrücklich genannt sei, i) sei sein Vorhandensein nach diesen Patentansprüchen erforderlich und ii) sei das Erzeugnis „in spezifischer Weise identifizierbar“, da es in spezifischer Weise identifiziert sei.


60      Dagegen ist im Ausgangsverfahren in der Rechtssache C‑119-22 über diese Frage vom vorlegenden Gericht offenbar noch nicht entschieden worden. Teva bestreitet, dass die Kombination von Sitagliptin und Metformin, die Gegenstand des zweiten ESZ in jener Rechtssache ist, in dem betreffenden Grundpatent „ausdrücklich erwähnt“ sei.


61      Vgl. Urteil Teva I (Rn. 26).


62      Vgl. Urteil Teva I (Rn. 34, 36 und 37).


63      Für den Gerichtshof beinhaltete die Beantwortung dieser Frage nämlich eine Auslegung von Patentansprüchen. Für die Auslegung von Patentansprüchen sind im Patentrecht bestimmte Grundsätze einzuhalten (die in Art. 1 des Protokolls über Art. 69 EPÜ wiedergegeben sind). Nach diesen Grundsätzen sind erstens die Patentansprüche unter Heranziehung des Standpunkts eines Fachmanns auszulegen (unter Rückgriff auf eine rechtliche Fiktion) und zweitens die Beschreibung und die Zeichnungen des Grundpatents zu berücksichtigen, wie in Art. 69 EPÜ und dem zugehörigen Protokoll vorgesehen (vgl. Urteil Teva I, Rn. 38 und 47).


64      Vgl. Urteil Teva I (Rn. 49 bis 51). Im Urteil Royalty Pharma (Rn. 40) hat der Gerichtshof klargestellt, dass es entscheidend darauf ankomme, ob das in Rede stehende „Erzeugnis“ mit dem Grundpatent offenbart werde (zu diesem Begriff siehe oben, Nr. 34) und dass der hierfür geltende Maßstab derjenige sei, ob der Fachmann dieses „Erzeugnis“ aus der Patentschrift – wie eingereicht – „unmittelbar und eindeutig … ableiten kann“ (Hervorhebung nur hier). Dies ist in der Tat der „Goldstandard“ für die Offenbarung, der im Patentrecht für verschiedene Zwecke gilt, u. a. für die Frage der Zulässigkeit von Änderungen an Patentanmeldungen nach Art. 123 Abs. 2 EPÜ. Zur Entscheidung darüber, ob ein „Erzeugnis“ im Sinne des zweiten Teils des Kriteriums des Urteils Teva I „spezifisch identifizierbar“ ist, können Patentrechtler sich somit eine vertraute Frage stellen: Könnte das Grundpatent, im Wege einer Änderung, auf dieses „Erzeugnis“ begrenzt werden, ohne dass gegen Art. 123 Abs. 2 EPÜ verstoßen wird? Ist dies zu verneinen, kann nach Art. 3 Buchst. a der ESZ-Verordnung für dieses „Erzeugnis“ auch kein ESZ erteilt werden.


65      Vgl. Urteil Teva I (Rn. 39 bis 41 und 50). Vgl. auch Urteile Eli Lilly (Rn. 41 bis 43) und Royalty Pharma (Rn. 45 und 46).


66      Sie könnte im Sinne der „Patentschrift“ verstanden werden, also dem rechtlichen Dokument, das einer Patentanmeldung beigefügt ist und das die Beschreibung der Erfindung enthält. In den vorliegenden Rechtssachen macht Merck sich diesen Fehler (wissentlich oder unabsichtlich) zunutze, soweit sie geltend macht, dass in Rn. 46 des Urteils Teva I lediglich zum Ausdruck komme, dass das „Erzeugnis“ im Patent „spezifiziert“ sein müsse.


67      Vgl. z. B. Regel 43 Abs. 1 der Ausführungsordnung zum Übereinkommen über die Erteilung europäischer Patente (Hervorhebung nur hier). Bedauerlicherweise wiederholte dieser Fehler sich im Urteil Royalty Pharma (Rn. 31). Zur Vermeidung weiterer Unklarheiten bitte ich den Gerichtshof dringend nicht nur um Klarstellung der Frage in den in den vorliegenden Rechtssachen zu erwartenden Urteilen, sondern auch um Berichtigung der englischen Sprachfassungen der Urteile Teva I und Royalty Pharma.


68      Im Patentrecht wird nämlich anhand der Patentansprüche sowohl die Erfindung als auch der um sie herum begehrte Schutz definiert. Für den Gerichtshof ist jedoch nur die Erstere von Interesse. Deshalb beharrt er darauf, dass die Ansprüche im Licht der Beschreibung und Zeichnungen des Patents auszulegen sind, die auch die Erfindung abbilden.


69      Der Gerichtshof will damit offenbar sicherstellen, dass der Gegenstand des Patents („die Erfindung“) und der Gegenstand eines ESZ („das Erzeugnis“) miteinander übereinstimmen.


70      Außerdem bestand möglicherweise eine zu große terminologische Nähe der „zentralen erfinderischen Tätigkeit“ zu dem Begriff „erfinderische Tätigkeit“ und somit zu den Voraussetzungen für die Patentierbarkeit.


71      Vgl. Begründung des Vorschlags für eine Verordnung (EWG) des Rates über die Schaffung eines ergänzenden Schutzzertifikats für Arzneimittel vom 11. April 1990 (KOM[90] 101 endg.) (im Folgenden: Begründung des Vorschlags für eine Verordnung), Nr. 29.


72      Der Begriff „additive Wirkung“ beschreibt eine Situation, in der die kombinierten Wirkungen zweier Arzneistoffe der Summe der Wirkungen beider, unabhängig voneinander wirkender Arzneistoffe gleicht. Dagegen beschreibt eine „synergetische Wirkung“ eine Situation, in der die kombinierten Wirkungen beider Arzneistoffe größer sind als die Summe ihrer Einzelwirkungen.


73      Begründung des Vorschlags für eine Verordnung, Nr. 29.


74      Vgl. Regel 43 Abs. 3 der Ausführungsordnung zum Übereinkommen über die Erteilung europäischer Patente.


75      Im Wesentlichen werden, im Rahmen der Voraussetzungen für die Patentierbarkeit, was die Neuheit (Art. 54 EPÜ) und die erfinderische Leistung (Art. 56 EPÜ) angeht, der (unabhängige) Patentanspruch für A und der (abhängige) Patentanspruch für A+B offenbar in der Regel einheitlich beurteilt. Somit wird die Kombination von A+B allein deshalb als neu und als erfinderische Leistung beurteilt, weil dies bei A der Fall ist.


76      Vgl. entsprechend Urteil vom 9. Juli 2020, Santen (C‑673/18, EU:C:2020:531, Rn. 55).


77      Vgl. Urteile Actavis I (Rn. 40) und Actavis II (Rn. 35).


78      Solche „Evergreening“-Strategien könnten insbesondere für die öffentliche Gesundheit besonders schädlich sein. Wie von Generalanwältin Trstenjak in ihren Schlussanträgen in den verbundenen Rechtssachen Medeva (C‑322/10 und C‑422/10, EU:C:2011:476, Nr. 77) ausgeführt, „[haben nämlich] die staatlichen Systeme der Volksgesundheit … ein besonderes Interesse daran …, zu verhindern, dass alte Wirkstoffe in leicht abgeänderter Form aber ohne wirkliche Innovation zertifikatgeschützt auf den Markt gebracht werden und dadurch die Ausgaben im Gesundheitsbereich künstlich in die Höhe treiben“.


79      Vgl. Romandini, R., „Art. 3(a) SPC Regulation: An analysis of the CJEU’s ruling in Teva (C‑121/17) and a proposal for its implementation“, Journal of Intellectual Property Law & Practice, Bd. 14, Nr. 3, 2019, S. 230 bis 251, insbesondere S. 245.


80      Beispielsweise erlangte Merck im Ausgangsverfahren der Rechtssache C‑149/22 durch das erste ESZ, das Merck für A erteilt wurde, offenbar drei Jahre und sieben Monate zusätzlichen Schutz. Durch das ihr nachfolgend erteilte zweite ESZ für A+B erlangte Merck ein weiteres Jahr Schutz.


81      Vgl. Romandini, R., a. a. O., S. 245.


82      Vgl. Begründung des Vorschlags für eine Verordnung, Nr. 16.


83      In Rn. 48 des Urteils Teva I ist in der englischen Sprachfassung ebenfalls fehlerhaft von „[technical] specification“ anstatt von „feature“ die Rede, so dass auch insoweit eine Berichtigung erforderlich wäre.


84      Siehe insbesondere oben, Nr. 41.