Language of document : ECLI:EU:T:2006:262

Rechtssache T-122/05

Robert Benkö u. a.

gegen

Kommission der Europäischen Gemeinschaften

„Nichtigkeitsklage – Richtlinie 92/43/EWG – Erhaltung der natürlichen Lebensräume sowie der wildlebenden Tiere und Pflanzen – Entscheidung 2004/798/EG – Liste von Gebieten von gemeinschaftlicher Bedeutung in der kontinentalen biogeografischen Region – Unmittelbar und individuell betroffene Personen – Unzulässigkeit“

Leitsätze des Beschlusses

1.      Nichtigkeitsklage – Natürliche oder juristische Personen – Handlungen, die sie unmittelbar und individuell betreffen

(Artikel 230 Absatz 4 EG; Richtlinie 92/43 des Rates; Entscheidung 2004/798 der Kommission)

2.      Europäische Gemeinschaften – Gerichtliche Kontrolle der Rechtmäßigkeit von Handlungen der Organe

(Artikel 230 Absatz 4 EG, 234 EG und 241 EG)

3.      Nichtigkeitsklage – Natürliche oder juristische Personen – Handlungen, die sie unmittelbar und individuell betreffen

(Artikel 230 Absatz 4 EG; Richtlinie 92/43 des Rates; Entscheidung 2004/798 der Kommission)

1.      Die unmittelbare Betroffenheit des Klägers als Voraussetzung für die Zulässigkeit einer Nichtigkeitsklage im Sinne von Artikel 230 Absatz 4 EG ist nur dann gegeben, wenn sich die beanstandete Maßnahme der Gemeinschaft auf seine Rechtsstellung unmittelbar auswirkt und ihren Adressaten, die mit ihrer Durchführung betraut sind, keinerlei Ermessensspielraum lässt, diese Durchführung vielmehr rein automatisch erfolgt und sich allein aus der Gemeinschaftsregelung ergibt, ohne dass dabei weitere Vorschriften angewandt werden.

Die Eigentümer von Grundstücken sind von der Entscheidung 2004/798, mit der gemäß der Richtlinie 92/43 zur Erhaltung der natürlichen Lebensräume die Liste von Gebieten von gemeinschaftlicher Bedeutung in der kontinentalen biogeografischen Region verabschiedet wurde, nicht unmittelbar betroffen. Die in Artikel 6 Absätze 2 bis 4 der Richtlinie vorgesehene Schutzregelung, der die Grundstücke der Kläger durch die angefochtene Entscheidung unterstellt werden, wirkt sich nämlich nicht unmittelbar auf ihre Rechtsstellung aus.

Es ist zwar richtig, dass nach Artikel 4 Absatz 5 der Richtlinie ein Gebiet, sobald es in die Liste der Gebiete von gemeinschaftlicher Bedeutung nach Absatz 2 Unterabsatz 3 dieses Artikels aufgenommen ist, den Bestimmungen des Artikels 6 Absätze 2 bis 4 der Richtlinie unterliegt, doch lassen die letztgenannten Bestimmungen den einzelstaatlichen Behörden einen Ermessensspielraum. Folglich gibt die Aufnahme eines Gebietes in die Liste der Gebiete von gemeinschaftlicher Bedeutung keinen genauen Hinweis auf die Maßnahmen, die von den einzelstaatlichen Behörden im Einklang mit den Bestimmungen der Richtlinie getroffen werden.

Sollten schließlich schwerwiegende wirtschaftliche Folgen sowie Rechtsnachteile in Form erhöhter Verwaltungskosten und des Wertverlusts des Grundeigentums der Kläger die unmittelbare Folge der genannten Entscheidung sein, so würden sie nicht die Rechtsstellung der Grundeigentümer betreffen, sondern nur deren faktische Lage, und daher nicht den Schluss zulassen, dass die Kläger unmittelbar betroffen sind.

(vgl. Randnrn. 35, 38, 46-47)

2.      Der Vertrag hat mit seinen Artikeln 230 EG und 241 EG einerseits und mit seinem Artikel 234 EG andererseits ein vollständiges System von Rechtsbehelfen und Verfahren geschaffen, das die Kontrolle der Rechtmäßigkeit von Handlungen der Organe gewährleisten soll, mit der der Gemeinschaftsrichter betraut wird. Nach diesem System haben natürliche oder juristische Personen, die wegen der Zulässigkeitsvoraussetzungen des Artikels 230 Absatz 4 EG Gemeinschaftshandlungen von allgemeiner Geltung nicht unmittelbar anfechten können, die Möglichkeit, je nach den Umständen des Falles die Ungültigkeit solcher Handlungen entweder inzident nach Artikel 241 EG vor dem Gemeinschaftsrichter oder aber vor den nationalen Gerichten geltend zu machen und diese Gerichte, die nicht selbst die Ungültigkeit der genannten Handlungen feststellen können, zu veranlassen, dem Gerichtshof insoweit Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen.

(vgl. Randnr. 49)

3.      Von der Entscheidung 2004/798, mit der gemäß der Richtlinie 92/43 zur Erhaltung der natürlichen Lebensräume die Liste von Gebieten von gemeinschaftlicher Bedeutung in der kontinentalen biogeografischen Region verabschiedet wurde, sind die österreichischen Gemeinden, in deren Territorium solche Gebiete ausgewiesen wurden, nicht individuell betroffen.

Selbst wenn man nämlich unterstellt, dass diese Gemeinden für die Umsetzung der Richtlinie zuständig wären, könnte diese Zuständigkeit sie jedenfalls nicht im Sinne von Artikel 230 Absatz 4 EG individualisieren, da sich ihre rechtliche Situation nicht von der Situation jeder anderen innerstaatlichen Behörde unterscheidet, die mit der Umsetzung der Richtlinie und insbesondere ihres Artikels 6 Absätze 2 bis 4 betraut ist, und da sich angesichts des allgemeinen und abstrakten Charakters der Festlegung der in der Entscheidung ausgewiesenen Gebiete der etwaige Einfluss der aus der Richtlinie resultierenden Verpflichtungen auf die Ausübung der Gebietshoheit dieser Gemeinden in gleicher Weise bei allen Gemeinden auswirkt, in deren Territorium ein in der Entscheidung ausgewiesenes Gebiet liegt.

Das allgemeine Interesse, das eine regionale oder lokale Verwaltungsbehörde als zuständige Behörde für die in ihrem Gebiet auftretenden Wirtschafts- und Sozialfragen an einem für den Wohlstand dieses Gebietes günstigen Ergebnis haben kann, reicht für sich genommen nicht aus, um sie als von Handlungen mit allgemeiner Geltung betroffen im Sinne des Artikels 230 Absatz 4 EG anzusehen.

(vgl. Randnrn. 61-64, 72)