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Rechtssache C‑475/11

Kostas Konstantinides

(Vorabentscheidungsersuchen des Berufsgerichts für Heilberufe bei dem Verwaltungsgericht Gießen)

„Freier Dienstleistungsverkehr für Ärzte – Dienstleister, der sich in einen anderen Mitgliedstaat begibt, um die Dienstleistung zu erbringen – Anwendbarkeit der standesrechtlichen Regeln des Aufnahmemitgliedstaats, insbesondere der Regeln über Honorare und Werbung“

Leitsätze – Urteil des Gerichtshofs (Vierte Kammer) vom 12. September 2013

1.        Freier Dienstleistungsverkehr – Beschränkungen – Ärztliche Leistungen – Anerkennung von Berufsqualifikationen – Richtlinie 2005/36, Art. 5 – Geltungsbereich – Berufsregeln über Honorare und Werbung – Ausschluss – Anwendbarkeit nur der Regeln, die in unmittelbarem Zusammenhang mit der Ausübung der ärztlichen Heilkunst und dem Schutz des Patienten stehen

(Art. 56 AEUV; Richtlinie 2005/36 des Europäischen Parlaments und des Rates, Art. 5 Abs. 3)

2.        Vorabentscheidungsverfahren – Zuständigkeit des Gerichtshofs – Bestimmung der relevanten Elemente des Unionsrechts – Umformulierung der Fragen – Lieferung aller sich aus dem Unionsrecht ergebenden Auslegungskriterien an das vorlegende Gericht

(Art. 267 AEUV)

3.        Freier Dienstleistungsverkehr – Beschränkungen – Verbot – Umfang

(Art. 56 AEUV)

4.        Freier Dienstleistungsverkehr – Beschränkungen – Ärztliche Leistungen – Geltung der Berufsregeln über Honorare und Werbung für in anderen Mitgliedstaaten niedergelassene Dienstleister – Beurteilung durch das nationale Gericht – Zu berücksichtigende Gesichtspunkte – Rechtfertigung durch zwingende Gründe des Allgemeininteresses unter Wahrung der Grundsätze der Verhältnismäßigkeit und der Nichtdiskriminierung

(Art. 56 AEUV)

5.        Vorabentscheidungsverfahren – Zulässigkeit – Ohne hinreichende Angaben zum tatsächlichen und rechtlichen Zusammenhang gestellte Fragen

(Art. 267 AEUV)

6.        Freier Dienstleistungsverkehr – Beschränkungen – Ärztliche Leistungen – Anerkennung von Berufsqualifikationen – Richtlinie 2005/36, Art. 6 – Verpflichtung des in einem anderen Mitgliedstaat niedergelassenen Dienstleisters, sich den Berufsregeln und Disziplinarverfahren des Aufnahmemitgliedstaats zu unterwerfen – Fehlen

(Richtlinie 2005/36 des Europäischen Parlaments und des Rates, Art. 6 Buchst. a und Art. 5 Abs. 3)

1.        Art. 5 Abs. 3 der Richtlinie 2005/36 über die Anerkennung von Berufsqualifikationen ist dahin auszulegen, dass Regeln, die in der Berufsordnung für die Ärztinnen und Ärzte in einem Bundesland eines Mitgliedstaats enthalten sind, wonach zum einen Honorarforderungen angemessen sein müssen und, soweit nicht andere gesetzliche Vergütungsregelungen gelten, auf der Grundlage der Amtlichen Gebührenordnung für Ärzte zu bemessen sind, und zum anderen den Ärzten berufswidrige Werbung untersagt ist, nicht in seinen Geltungsbereich fallen.

Aus dem Gegenstand, der Zielsetzung und der allgemeinen Systematik der Richtlinie 2005/36 ergibt sich nämlich, dass von ihrem Art. 5 Abs. 3 nur solche berufsständischen Regeln erfasst werden, die in unmittelbarem Zusammenhang mit der Ausübung der ärztlichen Heilkunst selbst stehen und deren Nichtbeachtung den Schutz des Patienten beeinträchtigt.

Es ist jedoch Sache des vorlegenden Gerichts, zu prüfen, ob die Regeln über Honorare und Werbung eine Beschränkung im Sinne von Art. 56 AEUV darstellen und – wenn ja – ob mit ihnen ein im Allgemeininteresse liegendes Ziel verfolgt wird, ob sie geeignet sind, dessen Erreichung zu gewährleisten, und ob sie nicht über das hinausgehen, was zur Erreichung des verfolgten Ziels erforderlich ist.

(vgl. Randnrn. 36, 39, 40, 41, 53, Tenor 1)

2.        Siehe Text der Entscheidung.

(vgl. Randnr. 42)

3.        Siehe Text der Entscheidung.

(vgl. Randnrn. 44, 45, 47)

4.        Regeln, die in der Berufsordnung für die Ärztinnen und Ärzte in einem Bundesland eines Mitgliedstaats enthalten sind und zum einen vorsehen, dass Honorarforderungen angemessen sein müssen und, soweit nicht andere gesetzliche Vergütungsregelungen gelten, auf der Grundlage der Amtlichen Gebührenordnung für Ärzte zu bemessen sind, sowie zum anderen den Ärzten berufswidrige Werbung untersagen, können unter bestimmten Bedingungen eine Beschränkung des freien Dienstleistungsverkehrs im Sinne von Art. 56 AEUV darstellen.

Zwar kann allein daraus, dass sich Ärzte, die in anderen Mitgliedstaaten als dem Aufnahmemitgliedstaat niedergelassen sind, bei der Berechnung ihrer Honorare für in diesen Mitgliedstaaten erbrachte Leistungen den dort geltenden Regeln unterwerfen müssen, nicht auf das Vorliegen einer Beschränkung im Sinne des Vertrags geschlossen werden, jedoch würde, wenn einer Regelung über die Honorarbemessung jegliche Flexibilität fehlte, ihre Anwendung, die auf Ärzte aus anderen Mitgliedstaaten abschreckend wirken könnte, eine Beschränkung im Sinne des Vertrags darstellen, die eventuell durch ein zwingendes Ziel oder einen zwingenden Grund des Allgemeininteresses wie den Schutz des Lebens und der Gesundheit von Menschen gerechtfertigt werden könnte. Es ist Sache des vorlegenden Gerichts, zu prüfen, ob diese Regelung tatsächlich dem Anliegen gerecht wird, das verfolgte Ziel in kohärenter und systematischer Weise zu erreichen. Bei der Prüfung der Verhältnismäßigkeit ist insbesondere die Schwere der beabsichtigten Sanktion zu berücksichtigen.

Was die berufswidrige Werbung anbelangt, so ist ein Verbot von Werbung mit berufswidrigem Inhalt, das eine gewisse Mehrdeutigkeit aufweist, geeignet, den freien Verkehr der betreffenden ärztlichen Dienstleistungen zu behindern. Jedoch kann die diskriminierungsfreie Anwendung nationaler oder regionaler Regeln, die im Hinblick auf ein berufsethisches Kriterium die Voraussetzungen aufstellen, unter denen ein Arzt seine Tätigkeiten auf dem betreffenden Gebiet bewerben darf, auf einen in einem anderen Mitgliedstaat niedergelassenen Arzt durch zwingende, den Gesundheits- und Verbraucherschutz betreffende Erwägungen des Allgemeininteresses gerechtfertigt werden, sofern – was zu prüfen Sache des vorlegenden Gerichts ist – die eventuelle Verhängung von Sanktionen gegenüber einem Arzt, der von der Dienstleistungsfreiheit Gebrauch macht, in angemessenem Verhältnis zu dem Verhalten steht, das dem Betroffenen vorgeworfen wird.

(vgl. Randnrn. 48-52, 56-58, Tenor 1)

5.        Siehe Text der Entscheidung.

(vgl. Randnrn. 61, 62)

6.        Art. 6 Buchst. a der Richtlinie 2005/36 über die Anerkennung von Berufsqualifikationen ist dahin auszulegen, dass er weder die Berufsregeln noch die Disziplinarverfahren vorschreibt, denen ein Dienstleister unterworfen werden kann, der sich zur vorübergehenden und gelegentlichen Ausübung seines Berufs in den Aufnahmemitgliedstaat begibt, sondern nur vorsieht, dass die Mitgliedstaaten, um die Anwendung der Disziplinarbestimmungen gemäß Art. 5 Abs. 3 dieser Richtlinie zu erleichtern, entweder eine automatische vorübergehende Eintragung oder eine Pro-forma-Mitgliedschaft bei einer Berufsorganisation vorsehen können.

(vgl. Randnrn. 63, 64, Tenor 2)