Language of document : ECLI:EU:T:2018:167

Rechtssache T‑540/15

Emilio De Capitani

gegen

Europäisches Parlament

„Zugang zu Dokumenten – Verordnung (EG) Nr. 1049/2001 – Dokumente betreffend ein laufendes Gesetzgebungsverfahren – Triloge – Vierspaltige Tabelle zum Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über Europol und zur Aufhebung der Beschlüsse 2009/371/JI und 2005/681/JI – Teilweise Verweigerung des Zugangs – Nichtigkeitsklage – Rechtsschutzinteresse – Zulässigkeit – Art. 4 Abs. 3 Unterabs. 1 der Verordnung Nr. 1049/2001 – Ausnahme zum Schutz des Entscheidungsprozesses – Fehlen einer allgemeinen Vermutung, dass der Zugang zu den im Rahmen der Triloge erstellten vierspaltigen Tabellen verweigert wird“

Leitsätze – Urteil des Gerichts (Siebte erweiterte Kammer) vom 22. März 2018

1.      Nichtigkeitsklage – Natürliche oder juristische Personen – Rechtsschutzinteresse – Klage gegen den Beschluss eines Organs, mit dem ein nur teilweiser Zugang zu Dokumenten betreffend ein laufendes Gesetzgebungsverfahren gewährt wurde – Öffentliche Zugänglichmachung der fraglichen Dokumente nach Ablauf des Gesetzgebungsverfahrens – Fortbestand des Rechtsschutzinteresses – Zulässigkeit – Voraussetzungen

(Art. 266 Abs. 1 AEUV; Verordnung Nr. 1049/2001 des Europäischen Parlaments und des Rates, Art. 4)

2.      Organe der Europäischen Union – Recht der Öffentlichkeit auf Zugang zu Dokumenten – Verordnung Nr. 1049/2001 – Ausnahmen vom Recht auf Zugang zu Dokumenten – Begründungspflicht – Umfang

(Verordnung Nr. 1049/2001 des Europäischen Parlaments und des Rates, 11. Erwägungsgrund und Art. 4 Abs. 3 Unterabs. 1)

3.      Organe der Europäischen Union – Recht der Öffentlichkeit auf Zugang zu Dokumenten – Verordnung Nr. 1049/2001 – Ausnahmen vom Recht auf Zugang zu Dokumenten – Schutz des Entscheidungsprozesses – Voraussetzungen – Konkrete, tatsächliche und schwere Beeinträchtigung dieses Prozesses – Möglichkeit des Organs, sich auf allgemeine Vermutungen zu stützen, die für bestimmte Kategorien von Dokumenten gelten – Grenzen

(Verordnung Nr. 1049/2001 des Europäischen Parlaments und des Rates, Art. 4 Abs. 3 Unterabs. 1)

4.      Organe der Europäischen Union – Recht der Öffentlichkeit auf Zugang zu Dokumenten – Verordnung Nr. 1049/2001 – Ausnahmen vom Recht auf Zugang zu Dokumenten – Schutz des Entscheidungsprozesses – Begriff – Bedeutung – Besonderheit des Gesetzgebungsverfahrens – Grundsätze der Offenheit und der Transparenz

(Art. 15 Abs. 2 AEUV und Art. 294 Abs. 1 AEUV; Verordnung Nr. 1049/2001 des Europäischen Parlaments und des Rates, 6. Erwägungsgrund und Art. 4 Abs. 3 Unterabs. 1)

5.      Organe der Europäischen Union – Recht der Öffentlichkeit auf Zugang zu Dokumenten – Verordnung Nr. 1049/2001 – Ausnahmen vom Recht auf Zugang zu Dokumenten – Schutz des Entscheidungsprozesses – Umfang – Begründung der Verweigerung des Zugangs mit dem Bedürfnis, den Entscheidungsprozess gegen Druck von außen zu schützen – Beweislast

(Verordnung Nr. 1049/2001 des Europäischen Parlaments und des Rates, Art. 4 Abs. 3 Unterabs. 1)

6.      Organe der Europäischen Union – Recht der Öffentlichkeit auf Zugang zu Dokumenten – Verordnung Nr. 1049/2001 – Ausnahmen vom Recht auf Zugang zu Dokumenten – Schutz des Entscheidungsprozesses – Umfang – Im Rahmen eines Trilogs erstellte Dokumente betreffend ein laufendes Gesetzgebungsverfahren – Begründung der Verweigerung des Zugangs damit, dass die in diesen Dokumenten enthaltenen Informationen vorläufig seien – Unzulässigkeit

(Verordnung Nr. 1049/2001 des Europäischen Parlaments und des Rates, Art. 4 Abs. 3 Unterabs. 1)

7.      Organe der Europäischen Union – Recht der Öffentlichkeit auf Zugang zu Dokumenten – Verordnung Nr. 1049/2001 – Ausnahmen vom Recht auf Zugang zu Dokumenten – Schutz des Entscheidungsprozesses – Umfang – Im Rahmen eines Trilogs erstellte Dokumente betreffend ein laufendes Gesetzgebungsverfahren – Begründung der Verweigerung des Zugangs mit der möglichen Verschlechterung der loyalen Zusammenarbeit zwischen den Organen – Beweislast

(Art. 4 Abs. 3 Unterabs. 1 EUV und Art. 13 Abs. 2 EUV; Verordnung Nr. 1049/2001 des Europäischen Parlaments und des Rates, Art. 4 Abs. 3 Unterabs. 1)

1.      Eine Nichtigkeitsklage einer natürlichen oder juristischen Person ist nur zulässig, wenn der Kläger ein Interesse an der Nichtigerklärung der angefochtenen Handlung hat.

Insoweit hat ein Kläger weiterhin ein Interesse daran, eine Handlung eines Unionsorgans für nichtig erklären zu lassen, um zu verhindern, dass sich der behauptete Rechtsverstoß in Zukunft wiederholt. Dieses Rechtsschutzinteresse kann jedoch nur gegeben sein, wenn sich der behauptete Rechtsverstoß unabhängig von den Umständen der Rechtssache, die zur Klageerhebung geführt haben, in Zukunft wiederholen kann.

Dies ist der Fall, wenn bei einer Klage gegen einen Beschluss, mit dem der Zugang zu Dokumenten betreffend ein laufendes Gesetzgebungsverfahren verweigert wurde, der behauptete Rechtsverstoß auf einer Auslegung einer der in der Verordnung Nr. 1049/2001 über den Zugang der Öffentlichkeit zu Dokumenten des Europäischen Parlaments, des Rates und der Kommission vorgesehenen Ausnahmen beruht, deren Wiederholung durch das mit dem Antrag auf Zugang zu Dokumenten befasste Organ anlässlich eines neuerlichen Antrags sehr wahrscheinlich ist, zumal ein Teil der geltend gemachten Gründe für die Verweigerung des Zugangs in dem angefochtenen Beschluss sich übergreifend auf alle Anträge auf Zugang zu den Arbeiten der laufenden Triloge übertragen lassen.

Wenn im Übrigen sowohl der Erstantrag auf Zugang zu Dokumenten als auch der Zweitantrag ausdrücklich darauf gerichtet sind, eine Reihe von Dokumenten zu übermitteln, die laufende Gesetzgebungstätigkeiten betreffen, und das betreffende Organ einen nur teilweisen Zugang zu diesen Dokumenten gewährt hat, wird der Antragsteller durch die öffentliche Zugänglichmachung dieser Dokumente nach Ablauf des Gesetzgebungsverfahrens, auf das sie sich beziehen, angesichts des Gegenstands seiner Anträge nicht vollständig zufrieden gestellt, so dass er weiterhin ein Interesse daran hat, die Nichtigerklärung des angefochtenen Beschlusses zu beantragen.

(vgl. Rn. 29, 32, 33)

2.      Siehe Text der Entscheidung.

(vgl. Rn. 59-62)

3.      Siehe Text der Entscheidung.

(vgl. Rn. 63-67)

4.      Siehe Text der Entscheidung.

(vgl. Rn. 77, 84)

5.      Auch wenn das Risiko eines Drucks von außen einen legitimen Grund für die Beschränkung des Zugangs zu Dokumenten im Zusammenhang mit dem Beschlussfassungsverfahren darstellen kann, ist es jedoch erforderlich, dass das Vorliegen solchen Drucks von außen eindeutig erwiesen ist und dass der Nachweis erbracht wird, dass das Risiko, dass die zu treffende Entscheidung erheblich beeinträchtigt wird, wegen dieses Drucks von außen bei verständiger Betrachtung absehbar ist.

(vgl. Rn. 99)

6.      Bei einem Antrag auf Zugang zu Dokumenten, die im Rahmen von Trilogen während eines ordentlichen Gesetzgebungsverfahrens erstellt wurden, kann der Umstand, dass der Wortlaut des vorläufigen Kompromisses oder der vorläufige Standpunkt des Ratsvorsitzes gegenüber den vom Parlament vorgeschlagenen Abänderungen insofern vorläufig sind, als sich deren Inhalt je nach dem Fortgang der Arbeiten der Triloge weiterentwickeln sollte, für sich genommen nicht die Anwendung der Ausnahme gemäß Art. 4 Abs. 3 Unterabs. 1 der Verordnung Nr. 1049/2001 über den Zugang der Öffentlichkeit zu Dokumenten des Europäischen Parlaments, des Rates und der Kommission rechtfertigen, da diese Bestimmung nicht nach dem jeweiligen Stand der Beratungen unterscheidet. Sie erfasst nämlich allgemein Dokumente, die sich auf eine Angelegenheit beziehen, in der das betreffende Organ „noch keinen Beschluss gefasst hat“, anders als Art. 4 Abs. 3 Unterabs. 2 dieser Verordnung, der sich auf die Fälle bezieht, in denen das betreffende Organ bereits entschieden hat.

Insoweit ist es unerheblich, ob die in Rede stehenden Dokumente in einem frühen, fortgeschrittenen oder im Endstadium des Entscheidungsprozesses erstellt oder übermittelt wurden. Ebenso wenig spielt es für die Auslegung der Ausnahmeregelung in Art. 4 Abs. 3 Unterabs. 1 der Verordnung Nr. 1049/2001 eine Rolle, ob dies in einem formellen oder informellen Kontext geschah.

Im Übrigen dient ein Vorschlag seinem Wesen nach dazu, diskutiert zu werden, und ist nicht davon auszugehen, dass er nach dieser Diskussion unverändert fortbestehen soll. Die öffentliche Meinung ist durchaus imstande nachzuvollziehen, dass der Urheber eines Vorschlags dessen Inhalt in der Folge ändern kann. Gerade aus diesen Gründen ist sich eine Person, die einen Antrag auf Zugang zu Dokumenten eines laufenden Trilogs stellt, des vorläufigen Charakters dieser Informationen vollkommen bewusst. Ferner wird sie uneingeschränkt nachzuvollziehen können, dass entsprechend dem Grundsatz, dass „nichts vereinbart ist, solange nicht alles vereinbart ist“, die in dem beantragten Dokument enthaltenen Informationen im Laufe der Beratungen in den Trilogen einer Änderung unterliegen, bis eine Einigung über den gesamten Text erzielt worden ist.

(vgl. Rn. 100-102)

7.      Siehe Text der Entscheidung.

(vgl. Rn. 103, 104)