Language of document : ECLI:EU:C:2012:648

SCHLUSSANTRÄGE DER GENERALANWÄLTIN

ELEANOR SHARPSTON

vom 18. Oktober 2012(1)

Rechtssache C‑396/11

Ministerul Public – Parchetul de pe lângă Curtea de Apel Constanţa

gegen

Ciprian Vasile Radu

(Vorabentscheidungsersuchen der Curte de Apel Constanţa [Rumänien])

„Polizeiliche und justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen – Rahmenbeschluss über den Europäischen Haftbefehl und die Übergabeverfahren zwischen den Mitgliedstaaten – Zur Frage der Möglichkeit des Vollstreckungsmitgliedstaats, das Ersuchen um Übergabe der gesuchten Person abzulehnen“






1.        Mit dem vorliegenden Vorabentscheidungsersuchen wird der Gerichtshof um Auslegung des Rahmenbeschlusses 2002/584(2) ersucht. Im Kern werden drei Problemkreise angesprochen. Erstens geht es um die Auslegung des Beschlusses nach Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon und insbesondere um die Frage, ob sich diese Auslegung aufgrund der durch Art. 6 EUV erfolgten Modifikationen des Vertrags über die Europäische Union ändern muss. Zweitens wird die Wechselbeziehung angesprochen zwischen einerseits Art. 5 der Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) und Art. 6 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden: Charta) und andererseits den Bestimmungen des Rahmenbeschlusses, die die Entziehung der Freiheit der gesuchten Person im Zuge der Vollstreckung eines Europäischen Haftbefehls vorsehen. Drittens stellt sich die Frage, ob der Rahmenbeschluss dahin auszulegen ist, dass ein Mitgliedstaat die Vollstreckung eines solchen Haftbefehls ablehnen kann, wenn Verstöße gegen Menschenrechtsbestimmungen, einschließlich der soeben genannten Artikel, vorliegen.

 Rechtlicher Rahmen

 Unionsrechtsvorschriften

 Vertrag über die Europäische Union

2.        Art. 6 EUV bestimmt:

„(1) Die Union erkennt die Rechte, Freiheiten und Grundsätze an, die in der Charta der Grundrechte der Europäischen Union vom 7. Dezember 2000 in der am 12. Dezember 2007 in Straßburg angepassten Fassung niedergelegt sind; die Charta der Grundrechte und die Verträge sind rechtlich gleichrangig.

(3) Die Grundrechte, wie sie in der Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten gewährleistet sind und wie sie sich aus den gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten ergeben, sind als allgemeine Grundsätze Teil des Unionsrechts.“(3)

 Charta

3.        Art. 6 der Charta bestimmt:

„Jeder Mensch hat das Recht auf Freiheit und Sicherheit.“

4.        Des Weiteren sieht Art. 47 der Charta vor:

„Jede Person, deren durch das Recht der Union garantierte Rechte oder Freiheiten verletzt worden sind, hat das Recht, nach Maßgabe der in diesem Artikel vorgesehenen Bedingungen bei einem Gericht einen wirksamen Rechtsbehelf einzulegen.

Jede Person hat ein Recht darauf, dass ihre Sache von einem unabhängigen, unparteiischen und zuvor durch Gesetz errichteten Gericht in einem fairen Verfahren, öffentlich und innerhalb angemessener Frist verhandelt wird. …“

5.        Art. 48 lautet:

„(1) Jeder Angeklagte gilt bis zum rechtsförmlich erbrachten Beweis seiner Schuld als unschuldig.

(2) Jedem Angeklagten wird die Achtung der Verteidigungsrechte gewährleistet.“

6.        Art. 52 sieht vor:

„(1) Jede Einschränkung der Ausübung der in dieser Charta anerkannten Rechte und Freiheiten muss gesetzlich vorgesehen sein und den Wesensgehalt dieser Rechte und Freiheiten achten. Unter Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit dürfen Einschränkungen nur vorgenommen werden, wenn sie erforderlich sind und den von der Union anerkannten dem Gemeinwohl dienenden Zielsetzungen oder den Erfordernissen des Schutzes der Rechte und Freiheiten anderer tatsächlich entsprechen.

(3) Soweit diese Charta Rechte enthält, die den durch die Europäische Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten garantierten Rechten entsprechen, haben sie die gleiche Bedeutung und Tragweite, wie sie ihnen in der genannten Konvention verliehen wird. Diese Bestimmung steht dem nicht entgegen, dass das Recht der Union einen weiter gehenden Schutz gewährt.

…“

 Rahmenbeschluss

7.        Der Rahmenbeschluss ersetzt das frühere, im Europäischen Auslieferungsübereinkommen vom 13. Dezember 1957 vorgesehene Verfahren der gegenseitigen Auslieferung durch eine auf dem Europäischen Haftbefehl beruhende Regelung. Gemäß dieser neuen Regelung kann in Fällen, in denen sich eine Person (im Folgenden: gesuchte Person), die von den Behörden eines Mitgliedstaats (im Folgenden: Ausstellungsmitgliedstaat) wegen der Begehung oder behaupteten Begehung einer Straftat gesucht wird, im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats (im Folgenden: Vollstreckungsmitgliedstaat) befindet, die zuständige Behörde des Ausstellungsmitgliedstaats einen Europäischen Haftbefehl erlassen, mit dem die Festnahme und Übergabe der gesuchten Person durch den Vollstreckungsmitgliedstaat beantragt wird.

8.        Kapitel 1 („Allgemeine Grundsätze“) des Rahmenbeschlusses umfasst die Art. 1 bis 8. Art. 1 lautet:

„(1)      Bei dem Europäischen Haftbefehl handelt es sich um eine justizielle Entscheidung, die in einem Mitgliedstaat ergangen ist und die Festnahme und Übergabe einer gesuchten Person durch einen anderen Mitgliedstaat zur Strafverfolgung oder zur Vollstreckung einer Freiheitsstrafe oder einer freiheitsentziehenden Maßregel der Sicherung bezweckt.

(2)      Die Mitgliedstaaten vollstrecken jeden Europäischen Haftbefehl nach dem Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung und gemäß den Bestimmungen dieses Rahmenbeschlusses.

(3)      Dieser Rahmenbeschluss berührt nicht die Pflicht, die Grundrechte und die allgemeinen Rechtsgrundsätze, wie sie in Artikel 6 des Vertrags über die Europäische Union niedergelegt sind, zu achten.“

9.        In den Art. 3 und 4 ist eine Reihe von Gründen aufgeführt, aus denen die Vollstreckung des Europäischen Haftbefehls abzulehnen ist bzw. abgelehnt werden kann.

10.      Art. 8 schreibt Inhalt und Form des Europäischen Haftbefehls vor. Insbesondere verlangt Art. 8 Abs. 1 Buchst. c „die Angabe, ob ein vollstreckbares Urteil, ein Haftbefehl oder eine andere vollstreckbare justizielle Entscheidung mit gleicher Rechtswirkung nach den Artikeln 1 und 2 vorliegt“.

11.      Kapitel 2 („Übergabeverfahren“) des Rahmenbeschlusses umfasst die Art. 9 bis 25. Darin sind eine Reihe von allgemeinen Voraussetzungen sowie Bestimmungen enthalten, die den Schutz der gesuchten Person bezwecken. Insbesondere gilt Folgendes:

–        Eine gesuchte Person ist bei der Festnahme vom Inhalt des Haftbefehls sowie davon zu unterrichten, dass sie übergeben werden kann; wird die gesuchte Person zum Zwecke der Vollstreckung eines Europäischen Haftbefehls festgenommen, hat sie Anspruch darauf, einen Rechtsbeistand und einen Dolmetscher hinzuzuziehen (Art. 11).

–        Die vollstreckende Justizbehörde kann nach Festnahme der gesuchten Person deren Haftentlassung und jederzeit eine vorläufige Haftentlassung verfügen, sofern die erforderlichen Maßnahmen zur Verhinderung einer Flucht der gesuchten Person getroffen werden (Art. 12).

–        Stimmt die gesuchte Person der Übergabe zu, muss sie dies freiwillig und in vollem Bewusstsein der sich daraus ergebenden Folgen bekunden; zu diesem Zweck hat sie das Recht, einen Rechtsbeistand beizuziehen (Art. 13). Stimmt die gesuchte Person nicht zu, hat sie das Recht, von der zuständigen Justizbehörde des Vollstreckungsmitgliedstaats vernommen zu werden, die den Ausstellungsmitgliedstaat um weitere Informationen bitten kann (Art. 14 und 15).

–        Ein Europäischer Haftbefehl wird als Eilsache erledigt. Stimmt die gesuchte Person ihrer Übergabe zu, soll die endgültige Entscheidung über die Vollstreckung des Haftbefehls innerhalb von zehn Tagen nach Erteilung der Zustimmung erfolgen; in anderen Fällen beträgt die Frist 60 Tage nach der Festnahme. Solange noch keine endgültige Entscheidung über die Vollstreckung des Haftbefehls ergangen ist, stellt die vollstreckende Justizbehörde sicher, dass die materiellen Voraussetzungen für eine tatsächliche Übergabe der Person weiterhin gegeben sind (Art. 17).

–        Wurde der Haftbefehl zum Zweck der Strafverfolgung der gesuchten Person erlassen, ist die vollstreckende Justizbehörde in der Regel zur Vernehmung der gesuchten Person verpflichtet (Art. 18 und 19).

–        Entscheidet die Justizbehörde des Vollstreckungsmitgliedstaats, dass die gesuchte Person übergeben werden soll, erfolgt die Übergabe spätestens zehn Tage nach der endgültigen Entscheidung über die Vollstreckung des Europäischen Haftbefehls. Diese Frist kann sich verlängern, wenn Umstände eintreten, die sich dem Einfluss der Mitgliedstaaten entziehen, oder wenn schwerwiegende humanitäre Gründe gegen die Übergabe sprechen (Art. 23).

 EMRK

12.      Art. 5 EMRK bestimmt, soweit hier von Belang:

„(1)      Jede Person hat das Recht auf Freiheit und Sicherheit. Die Freiheit darf nur in den folgenden Fällen und nur auf die gesetzlich vorgeschriebene Weise entzogen werden:

a)      rechtmäßige Freiheitsentziehung nach Verurteilung durch ein zuständiges Gericht;

      …

c)      rechtmäßige Festnahme oder Freiheitsentziehung zur Vorführung vor die zuständige Gerichtsbehörde, wenn hinreichender Verdacht besteht, dass die betreffende Person eine Straftat begangen hat, oder wenn begründeter Anlass zu der Annahme besteht, dass es notwendig ist, sie an der Begehung einer Straftat oder an der Flucht nach Begehung einer solchen zu hindern;

      …

f)      rechtmäßige Festnahme oder Freiheitsentziehung zur Verhinderung der unerlaubten Einreise sowie bei Personen, gegen die ein Ausweisungs- oder Auslieferungsverfahren im Gange ist.

(3)      Jede Person, die nach Absatz 1 Buchstabe c von Festnahme oder Freiheitsentziehung betroffen ist, muss unverzüglich einem Richter oder einer anderen gesetzlich zur Wahrnehmung richterlicher Aufgaben ermächtigten Person vorgeführt werden; sie hat Anspruch auf ein Urteil innerhalb angemessener Frist oder auf Entlassung während des Verfahrens. Die Entlassung kann von der Leistung einer Sicherheit für das Erscheinen vor Gericht abhängig gemacht werden.

(4)      Jede Person, die festgenommen oder der die Freiheit entzogen ist, hat das Recht zu beantragen, dass ein Gericht innerhalb kurzer Frist über die Rechtmäßigkeit der Freiheitsentziehung entscheidet und ihre Entlassung anordnet, wenn die Freiheitsentziehung nicht rechtmäßig ist.“


13.      Art. 6 EMRK lautet:

„(1)      Jede Person hat ein Recht darauf, dass über Streitigkeiten in Bezug auf ihre zivilrechtlichen Ansprüche und Verpflichtungen oder über eine gegen sie erhobene strafrechtliche Anklage von einem unabhängigen und unparteiischen, auf Gesetz beruhenden Gericht in einem fairen Verfahren, öffentlich und innerhalb angemessener Frist verhandelt wird. …

(2)      Jede Person, die einer Straftat angeklagt ist, gilt bis zum gesetzlichen Beweis ihrer Schuld als unschuldig.

(3)      Jede angeklagte Person hat mindestens folgende Rechte:

a)      innerhalb möglichst kurzer Frist in einer ihr verständlichen Sprache in allen Einzelheiten über Art und Grund der gegen sie erhobenen Beschuldigung unterrichtet zu werden;

b)      ausreichende Zeit und Gelegenheit zur Vorbereitung ihrer Verteidigung zu haben;

c)      sich selbst zu verteidigen, sich durch einen Verteidiger ihrer Wahl verteidigen zu lassen oder, falls ihr die Mittel zur Bezahlung fehlen, unentgeltlich den Beistand eines Verteidigers zu erhalten, wenn dies im Interesse der Rechtspflege erforderlich ist;

d)      Fragen an Belastungszeugen zu stellen oder stellen zu lassen und die Ladung und Vernehmung von Entlastungszeugen unter denselben Bedingungen zu erwirken, wie sie für Belastungszeugen gelten;

e)      unentgeltliche Unterstützung durch einen Dolmetscher zu erhalten, wenn sie die Verhandlungssprache des Gerichts nicht versteht oder spricht.“

 Wechselbeziehung zwischen Charta und EMRK

14.      Aus Art. 52 Abs. 3 der Charta geht hervor, dass sich die Bestimmungen der Charta und die Bestimmungen der EMRK überschneiden und überschneiden sollen. Soweit für die vorliegenden Schlussanträge von Belang, findet Art. 6 der Charta seine Entsprechung in Art. 5 EMRK. Art. 47 Abs. 2 der Charta entspricht Art. 6 Abs. 1 EMRK, und Art. 48 der Charta entspricht Art. 6 Abs. 1 und 2 EMRK(4).

 Nationales Recht

 Rumänien

15.      Die Bestimmungen zur Umsetzung des Rahmenbeschlusses in nationales Recht finden sich in den Art. 97 f. des Gesetzes Nr. 302 vom 28. Juni 2004 über die internationale justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen in geänderter Fassung. Die genannten Vorschriften gehören zu Titel III dieses Gesetzes.

16.      In Art. 97 („Besondere Voraussetzungen“) sind bestimmte Erfordernisse hinsichtlich der Garantien genannt, die der einen Haftbefehl ausstellende Mitgliedstaat vorsehen muss.

17.      Art. 98 Abs. 1 enthält Bestimmungen über die zwingende Ablehnung der Vollstreckung eines Europäischen Haftbefehls. Diese entsprechen im Wesentlichen den Bestimmungen von Art. 3 des Rahmenbeschlusses.

18.      Gründe, aus denen die Vollstreckung eines Europäischen Haftbefehls abgelehnt werden kann, sind in Art. 98 Abs. 2 aufgeführt. Dabei handelt es sich weitgehend um dieselben Gründe, die in Art. 4 des Rahmenbeschlusses genannt sind.

 Deutschland

19.      Deutschland hat den Rahmenbeschluss durch das Gesetz zur Umsetzung des Rahmenbeschlusses über den Europäischen Haftbefehl und die Übergabeverfahren zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union vom 21. Juli 2004 umgesetzt. Dieses Gesetz ist nach seinem Erlass vom Bundesverfassungsgericht im Jahr 2005 für verfassungswidrig und nichtig erklärt worden(5). Durch ein weiteres Gesetz – vom 20. Juli 2006 – hat Deutschland eine neue Maßnahme erlassen, mit der die vom Bundesverfassungsgericht aufgezeigten Mängel behoben und der Rahmenbeschluss in vollem Umfang in nationales Recht umgesetzt werden sollten. Diese Maßnahme ist noch in Kraft.

 Sachverhalt, Verfahren und Vorlagefragen

20.      Zu verschiedenen Zeitpunkten in den Jahren 2007 und 2008 stellten Staatsanwaltschaften in Deutschland Europäische Haftbefehle zur Festnahme von Herrn Radu aus. Alle diese Haftbefehle bezogen sich auf den Straftatbestand des Raubes. Raub stellt auch nach dem rumänischen Recht eine Straftat gemäß Art. 211 des rumänischen Strafgesetzbuchs dar. Herr Radu stimmte seiner Übergabe nicht zu.

21.      Mit Urteil vom 5. Juni 2009 ordnete die Curte de Apel Constanţa (Berufungsgericht Constanţa) die Vollstreckung dreier der in Rede stehenden Haftbefehle an. Die Vollstreckung des vierten Haftbefehls lehnte es mit der Begründung ab, gegen Herrn Radu sei wegen derselben Handlung, auf die sich der Haftbefehl beziehe, bereits ein Strafverfahren in Rumänien anhängig(6).

22.      Gegen dieses Urteil legte Herr Radu Kassationsbeschwerde bei der Înalta Curte de Casaţie şi Justiţie a României (Oberster Kassations- und Gerichtshof von Rumänien) ein. Mit Urteil vom 18. Juni 2009 gab dieses Gericht der Kassationsbeschwerde statt und verwies die Sache zur erneuten Prüfung zurück an die Curte de Apel Constanţa. Darüber hinaus ordnete die Înalta Curte de Casaţie şi Justiţie a României die Freilassung von Herrn Radu aus der Haft an, erlegte ihm jedoch bestimmte Beschränkungen seiner Bewegungsfreiheit auf, einschließlich eines Verbots, sich von seiner Wohnsitzgemeinde ohne richterliche Erlaubnis zu entfernen.

23.      Am 22. Februar 2011 wurde die Sache erneut in das Verfahrensregister der Curte de Apel eingetragen. Bei diesem Gericht führt Herr Radu drei Hauptargumente zur Begründung seines Antrags auf Nichtvollstreckung der in Rede stehenden Haftbefehle an. Erstens seien zum Zeitpunkt des Erlasses des Rahmenbeschlusses weder die EMRK noch die Charta ausdrücklich als Rechtsnormen in die Gründungsverträge der Europäischen Union einbezogen gewesen. Anders verhalte es sich hingegen bei der konsolidierten Fassung des EU‑Vertrags, die am 1. Dezember 2009 mit dem Vertrag von Lissabon in Kraft getreten sei. Deshalb müsse der Rahmenbeschluss entsprechend den Vorschriften der Charta und der EMRK ausgelegt und angewandt werden. Zweitens macht er geltend, dass die Verfahren der Mitgliedstaaten zur Anwendung des Rahmenbeschlusses uneinheitlich ausgestaltet seien, und weist auf die Voraussetzung der Gegenseitigkeit bei der Durchführung von Haftbefehlen sowohl beim Vollstreckungsstaat als auch beim Ausstellungsstaat hin. Drittens müsse der Vollstreckungsstaat die Wahrung der in der Charta und der EMRK festgelegten Rechte und Garantien im Ausstellungsstaat prüfen. Eine Nichtbeachtung dieser Rechte und Garantien seitens des Ausstellungsstaats stelle einen Grund für die Ablehnung der Vollstreckung des in Rede stehenden Europäischen Haftbefehls dar.

24.      Unter diesen Umständen hat die Curte de Apel Constanţa das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

1.      Sind die Bestimmungen des Art. 5 Abs. 1 EMRK sowie des Art. 6 in Verbindung mit den Art. 48 und 52 der Charta auch im Hinblick auf Art. 5 Abs. 3 und 4 sowie Art. 6 Abs. 2 und 3 EMRK Rechtsnormen des primären Unionsrechts, die in den Gründungsverträgen enthalten sind?

2.      Stellt die Vorgehensweise der zuständigen Justizbehörde des Staates bei der Vollstreckung eines Europäischen Haftbefehls in Form des Freiheitsentzugs und der zwangsweisen Übergabe ohne Zustimmung der Person, gegen die der Europäische Haftbefehl ausgestellt wurde (der Person, die festgenommen und übergeben werden soll), einen Eingriff des Staates der Vollstreckung des Haftbefehls in das individuelle Freiheitsrecht der Person, die festgenommen und übergeben werden soll, dar, das im Unionsrecht gemäß Art. 6 EUV in Verbindung mit Art. 5 Abs. 1 EMRK und gemäß Art. 6 in Verbindung mit den Art. 48 und 52 der Charta auch im Hinblick auf Art. 5 Abs. 3 und 4 sowie Art. 6 Abs. 2 und 3 EMRK verankert ist?

3.      Muss der Eingriff des Staates der Vollstreckung eines Europäischen Haftbefehls in die Rechte und Garantien, die in Art. 5 Abs. 1 EMRK und in Art. 6 in Verbindung mit den Art. 48 und 52 der Charta auch im Hinblick auf Art. 5 Abs. 3 und 4 sowie Art. 6 Abs. 2 und 3 EMRK verankert sind, die Voraussetzung der Notwendigkeit in einer demokratischen Gesellschaft und die Voraussetzung der Verhältnismäßigkeit im Hinblick auf das konkret verfolgte Ziel erfüllen?

4.      Kann die zuständige Justizbehörde des Staates der Vollstreckung eines Europäischen Haftbefehls das Übergabeersuchen ohne Verletzung der in den Gründungsverträgen und anderen Vorschriften des Unionsrechts festgelegten Verpflichtungen mit der Begründung ablehnen, dass die in Art. 5 Abs. 1 EMRK und in Art. 6 in Verbindung mit den Art. 48 und 52 der Charta der auch im Hinblick auf Art. 5 Abs. 3 und 4 sowie Art. 6 Abs. 2 und 3 EMRK festgelegten Voraussetzungen insgesamt nicht erfüllt seien?

5.      Kann die zuständige Justizbehörde des Staates der Vollstreckung eines Europäischen Haftbefehls das Übergabeersuchen ohne Verletzung der in den Gründungsverträgen und anderen Vorschriften des Unionsrechts festgelegten Verpflichtungen wegen unterlassener oder unvollständiger Durchführung oder wegen fehlerhafter Durchführung (im Sinne einer Nichtbeachtung der Voraussetzung der Gegenseitigkeit) des Rahmenbeschlusses durch den Staat, der den Europäischen Haftbefehl erlassen hat, ablehnen?

6.      Steht das nationale Recht des Mitgliedstaats der Europäischen Union – Rumänien –, insbesondere Titel III des Gesetzes Nr. 302/2004, im Widerspruch zu den Bestimmungen des Art. 5 Abs. 1 EMRK und des Art. 6 in Verbindung mit den Art. 48 und 52 der Charta auch im Hinblick auf Art. 5 Abs. 3 und 4 sowie Art. 6 Abs. 2 und 3 EMRK, auf die Art. 6 EUV verweist, und ist der Rahmenbeschluss mit diesen nationalen Rechtsnormen ordnungsgemäß durchgeführt worden?

25.      Der Minister Public – Parchet de pe lângă Curtea de Apel Constanţa (Staatsanwaltschaft bei der Curte de Apel Constanţa), die tschechische, die deutsche, die litauische, die österreichische, die polnische, die rumänische Regierung, die Regierung des Vereinigten Königreichs und die Europäische Kommission haben schriftliche Erklärungen eingereicht. In der Sitzung vom 10. Juli 2012 haben Herr Radu, die deutsche und die rumänische Regierung sowie die Europäische Kommission mündlich verhandelt und Fragen des Gerichtshofs beantwortet.

 Würdigung

 Vorbemerkungen

 Zulässigkeit

26.      Es wurden mehrere Einreden hinsichtlich der Zulässigkeit des Vorabentscheidungsersuchens geltend gemacht. Alle Verfahrensbeteiligten, die Erklärungen abgegeben haben, sind sich einig, dass die sechste Frage, mit der der Gerichtshof um Auslegung von Bestimmungen des nationalen Rechts ersucht wird und auf die ich unten noch zu sprechen kommen werde(7), unzulässig ist. Die deutsche Regierung erhebt die Einrede der teilweisen Unzulässigkeit, während die österreichische und die rumänische Regierung die Vorlage für gänzlich unzulässig halten. Die tschechische, die litauische und die polnische Regierung sowie die Regierung des Vereinigten Königreichs äußern sich nicht weiter zur Zulässigkeit.

27.      Mit den Einreden wird im Wesentlichen geltend gemacht, dass die Vorlageentscheidung nicht detailliert genug und zu hypothetisch sei, um dem Gerichtshof sachdienliche Antworten an das nationale Gericht zu ermöglichen.

28.      Unbestreitbar ist die Darstellung des Sachverhalts des Ausgangsverfahrens und insbesondere der Gründe für die vom nationalen Gericht vorgelegten Fragen in der Vorlageentscheidung knapp gehalten.

29.      Aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs ergibt sich jedoch, dass „hinsichtlich der Verteilung der richterlichen Aufgaben zwischen den einzelstaatlichen Gerichten und dem Gerichtshof aufgrund von [Art. 267 AEUV] … das einzelstaatliche Gericht, das allein über eine unmittelbare Kenntnis des Sachverhalts und der von den Parteien vorgetragenen Argumente verfügt und das die Verantwortung für die zu fällende Entscheidung zu tragen hat, die besseren Voraussetzungen [besitzt], um – in voller Kenntnis der Sache – die Erheblichkeit der Rechtsfragen zu beurteilen, die durch den bei ihm anhängigen Rechtsstreit aufgeworfen werden, und um zu entscheiden, ob für den Erlass seines Urteils die Einholung einer Vorabentscheidung erforderlich ist“(8). Der Gerichtshof hat sogar entschieden, dass er in Fällen, in denen die Vorlagefragen die Auslegung einer Bestimmung des Unionsrechts betreffen, „grundsätzlich gehalten [ist], darüber zu befinden“(9).

30.      Ein solcher Fall liegt meines Erachtens hier vor. Das nationale Gericht führt in seiner Vorlageentscheidung aus, dass es eine Beantwortung seiner Fragen für die Entscheidung des bei ihm anhängigen Rechtsstreits für unerlässlich erachte. Dies wäre für sich allein genommen jedoch nicht entscheidend, wenn die Vorlageentscheidung so formuliert wäre, dass den Regierungen der Mitgliedstaaten und den Organen die Abgabe von Erklärungen offensichtlich unmöglich ist(10). So verhält es sich hier indessen nicht. Nicht weniger als sieben Regierungen sowie die Staatsanwaltschaft und die Kommission haben Erklärungen eingereicht. Von ganz wenigen Ausnahmen abgesehen waren sie alle in der Lage, sachdienliche Ausführungen zu den Fragen des nationalen Gerichts zu machen.

31.      Mit einer Erklärung der Unzulässigkeit der Vorlageentscheidung im vorliegenden Fall wäre nichts gewonnen. Ich bin daher der Ansicht, dass mit Ausnahme des Vorbringens zur sechsten Frage die Unzulässigkeitseinreden zurückzuweisen sind.

 Zuständigkeit des Gerichtshofs

32.      Rumänien hat gemäß dem früheren Art. 35 Abs. 2 EU eine Erklärung abgegeben, dass es die Zuständigkeit des Gerichtshofs für Vorabentscheidungen gemäß des früheren Art. 35 Abs. 3 Buchst. b EU anerkennt(11). Nach Art. 10 Abs. 1 des dem AEU‑Vertrag beigefügten Protokolls Nr. 36 über die Übergangsbestimmungen bleiben die Befugnisse des Gerichtshofs nach Titel VI des EU-Vertrags in der früheren Fassung, die vor dem Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon erlassene Rechtsakte der Union betreffen, unverändert, einschließlich in den Fällen, in denen sie nach dem früheren Art. 35 Abs. 2 EU anerkannt wurden(12). Der Gerichtshof besitzt daher die Zuständigkeit für eine Entscheidung über die vom nationalen Gericht gestellten Fragen.

 Rahmenbeschluss

33.      Ehe ich inhaltlich auf die Frage eingehe, lohnt sich eine Untersuchung der Grundlagen des Rahmenbeschlusses und der mit ihm verfolgten Ziele.

34.      Der Beschluss ist im Rahmen der Zielsetzung zu sehen, dass sich die Union zu einem Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts entwickeln soll. Zu diesem Zweck wurde ein System des freien Verkehrs strafrechtlicher justizieller Entscheidungen – und zwar sowohl in der Phase vor der Urteilsverkündung als auch in der Phase danach – geschaffen. Dieses System findet im Europäischen Haftbefehl seine praktische Ausprägung. Der Haftbefehl verwirklicht das vom Europäischen Rat in den Schlussfolgerungen von Tampere als „Eckstein“ der justiziellen Zusammenarbeit qualifizierte Prinzip der gegenseitigen Anerkennung(13). Damit dieses Prinzip Wirkung entfalten kann, ist ein hohes Maß an Vertrauen zwischen den Mitgliedstaaten erforderlich(14).

35.      Ein wesentliches Ziel der durch den Rahmenbeschluss eingeführten neuen Regelung besteht in der Beseitigung der Verzögerungen, die dem früheren Auslieferungssystem innewohnten(15). Dieses Ziel ist in der Praxis offenbar erreicht worden. In ihrem Bericht von 2011 über die Umsetzung des Beschlusses(16) stellt die Kommission fest, dass die Auslieferung durchschnittlich etwa ein Jahr dauerte. Im Rahmen des Systems des Europäischen Haftbefehls hat sich in Fällen, in denen die gesuchte Person ihrer Übergabe zustimmt, der durchschnittliche Zeitraum der Ausführung auf 14 bis 17 Tage verkürzt. Bei Nichterteilung einer Zustimmung beträgt dieser Zeitraum 48 Tage.

36.      Die Pflichten, die sich für die Mitgliedstaaten aus dem Rahmenbeschluss ergeben, betreffen zwar im Wesentlichen Verfahrensangelegenheiten, jedoch bedeutet dies nicht, dass der Gesetzgeber bei Erlass des Rahmenbeschlusses die Grund- und Menschenrechte außer Acht gelassen hätte. Ganz im Gegenteil hat er diesen Rechten auf mehrfache Art und Weise Rechnung getragen.

37.      Erstens hat er ausdrückliche Bezugnahmen auf diese Rechte in den Beschluss aufgenommen. Dies wird z. B. in den Erwägungsgründen 10, 12 und 13 deutlich. Noch grundsätzlicher ist die konkrete Aussage in Art. 1 Abs. 3, wonach der Rahmenbeschluss nicht die Pflicht berührt, die Grundrechte und die allgemeinen Rechtsgrundsätze, wie sie im jetzigen Art. 6 EUV niedergelegt sind, zu achten. Auf diesen Punkt werde ich unten noch zurückkommen(17).

38.      Zweitens setzt das im zehnten Erwägungsgrund angesprochene hohe Maß an gegenseitigem Vertrauen zwischen den Mitgliedstaaten voraus, dass jeder Mitgliedstaat sowohl die in der EMRK verankerten Rechte als auch die Grundrechte beachtet, die Bestandteil der gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten sind. Seit dem Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon am 1. Dezember 2009 ist dieser Aufzählung nunmehr noch die Charta hinzuzufügen – soweit sie zuvor nicht ohnehin eine Rolle gespielt hat.

39.      Drittens enthält der Rahmenbeschluss eine Reihe von Bestimmungen, die den Schutz der Grundrechte der gesuchten Person bezwecken. Ich habe diese oben in Nr. 11 dargestellt und will sie an dieser Stelle nicht wiederholen, verweise jedoch nochmals auf das Recht, vernommen zu werden, das ausdrücklich vorgesehen ist, wenn die gesuchte Person ihrer Übergabe nicht zustimmt (Art. 14) oder wenn der Europäische Haftbefehl zum Zweck der Strafverfolgung erlassen wird (Art. 18).

40.      Was die mit dem Rahmenbeschluss verfolgten Ziele betrifft, so wäre es verfehlt, den Zweck des damit geschaffenen Systems allein in einer Erleichterung für die Verwaltungsbehörden zu sehen. Durch die Einführung einer Verfahrensform, die effizienter und wirksamer als die Vorgängerregelung sein soll, wollte der Gesetzgeber auch den Schutz der Opfer strafbarer Handlungen verbessern, indem er dafür sorgt, dass die Täter schneller und wirkungsvoller zur Verantwortung gezogen werden.

41.      Obwohl die Erfolgsbilanz der Mitgliedstaaten bei der Erfüllung ihrer Verpflichtungen im Bereich der Menschenrechte löblich sein mag, ist sie nicht makellos. Allein aufgrund der Tatsache, dass die Überstellung der gesuchten Person von einem anderen Mitgliedstaat beantragt wird, kann noch nicht davon ausgegangen werden, dass die Menschenrechte dieser Person bei ihrer Ankunft dort auch automatisch garantiert sind(18). Allerdings dürfte zugunsten der Achtung der Menschenrechte eine Vermutung bestehen, die nur bei Vorliegen denkbar eindeutiger Beweise widerlegbar ist. Dabei muss es sich um konkrete Beweise handeln – allgemeine Behauptungen, so gut sie auch belegt sein mögen, genügen nicht.

 Erste Frage

42.      Mit seiner ersten Frage möchte das nationale Gericht wissen, ob die Bestimmungen der Charta und der EMRK zum primären Unionsrecht gehören.

43.      Ich werde mich zunächst mit der seit Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon bestehenden Rechtslage befassen.

44.      Gemäß Art. 6 Abs. 1 EUV sind die Charta und die Verträge rechtlich gleichrangig, so dass die Charta nunmehr Teil des primären Unionsrechts ist.

45.      Darüber hinaus sind die Bestimmungen der EMRK im Vertrag von Lissabon verankert. Nach Art. 6 Abs. 3 EUV sind die Grundrechte, wie sie in der EMRK gewährleistet sind und wie sie sich aus den gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten ergeben, als allgemeine Grundsätze Teil des Unionsrechts.

46.      Folglich sind die Charta und die EMRK nicht nur für die Union und ihre Organe, sondern auch für die Mitgliedstaaten bei der Auslegung und Anwendung des Unionsrechts bindend(19).

47.      Dies genügt für sich allein genommen bereits zur Beantwortung der ersten Frage des nationalen Gerichts in ihrem reinen Wortsinn. Aus der Vorlageentscheidung ergibt sich jedoch, dass es in dem beim nationalen Gericht anhängigen Rechtsstreit um eine umfassendere Problematik geht, da Herr Radu offenbar geltend macht, dass sich mit Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon die gebotene Anwendung der Grundrechte und Grundsätze in der Union grundsätzlich gewandelt habe(20). Um dem nationalen Gericht sachdienliche Hinweise zu geben, muss deshalb die Rechtslage, wie sie vor dem 1. Dezember 2009 galt, untersucht werden.

48.      Die Charta wurde zwar am 7. Dezember 2000 in Nizza feierlich proklamiert, die Entscheidung über ihren genauen rechtlichen Status wurde hingegen vertagt. Infolgedessen wurde die Charta in keinen der Verträge einbezogen, noch erhielten ihre Bestimmungen in sonstiger Weise Gesetzeskraft. Gleichwohl wurde die Charta schon bald als verbindlicher Grundrechtskatalog angesehen, da sie die dem Prinzip der Rechtsstaatlichkeit innewohnenden allgemeinen Grundsätze bestätigte, die den Verfassungsüberlieferungen aller Mitgliedstaaten gemein sind. Der Gerichtshof hat sich in seinen Urteilen häufig von den Bestimmungen der Charta leiten lassen(21). Infolgedessen erlangte die Charta den Status von „soft law“, d. h., dass ihre Bestimmungen zwar keine unmittelbare Anwendung als Teil des Unionsrechts fanden, aber dennoch – vielfach weitreichende – Rechtswirkungen in der Union zu entfalten vermochten.

49.      Die Funktion der EMRK im Unionsrecht ist wesentlich tiefer verwurzelt. Bereits im Jahr 1969 hat der Gerichtshof im Urteil Stauder(22) entschieden, dass „in den allgemeinen Grundsätzen der Gemeinschaftsrechtsordnung, deren Wahrung der Gerichtshof zu sichern hat, … Grundrechte der Person [enthalten sind]“. Diese – zunächst nur im Ansatz bestehende – Rechtsprechung wurde in Grundsatzentscheidungen wie in den Rechtssachen Internationale Handelsgesellschaft(23) und Nold(24) bis zum heutigen Tag übernommen und fortentwickelt. Im Urteil Kadi und Al Barakaat International Foundation/Rat und Kommission hat der Gerichtshof rundweg erklärt, dass „Maßnahmen, die mit der Achtung [der Menschenrechte] unvereinbar sind, in der Gemeinschaft nicht als rechtens anerkannt werden können“(25). Speziell im Hinblick auf die EMRK hat der Gerichtshof im Urteil Der Grüne Punkt – Duales System Deutschland/Kommission das durch Art. 6 Abs. 1 EMRK verliehene Recht auf ein faires Verfahren als „allgemeine[n] Grundsatz des Gemeinschaftsrechts“(26) bezeichnet.

50.      Lässt sich angesichts dessen behaupten, dass durch das Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon eine wesentliche Änderung des Unionsrechts eingetreten ist?

51.      Ich meine nicht. Meines Erachtens stellt Art. 6 Abs. 1 und 3 EUV lediglich eine vom Vereinigten Königreich in seinen Erklärungen sogenannte „Kodifizierung“ der früher bestehenden Rechtslage dar. Die genannte Vorschrift verkörpert, um es anders auszudrücken, ein politisches Bestreben, den Bestimmungen, die durch sie normiert und geschützt werden sollen, einen sichtbareren Ausdruck zu verleihen. Sie stellt keinerlei grundsätzlichen Wandel dar. Aus diesem Grund ist meiner Ansicht nach jedes Vorbringen dahin, dass die Bestimmungen des Rahmenbeschlusses aufgrund des Inkrafttretens von Art. 6 Abs. 1 und 3 EUV anders auszulegen seien, zurückzuweisen(27).

52.      Nach alledem ist die erste Frage dahin zu beantworten, dass die Bestimmungen der Charta, einschließlich deren Art. 6, 48 und 52, Teil des primären Unionsrechts sind. Die Grundrechte, wie sie in der EMRK gewährleistet sind, einschließlich der in Art. 5 Abs. 1, 3 und 4 und Art. 6 Abs. 2 und 3 EMRK niedergelegten Rechte, stellen allgemeine Grundsätze des Unionsrechts dar.

 Zweite und dritte Frage

53.      Mit diesen Fragen, die am zweckmäßigsten zusammen zu behandeln sind, möchte das nationale Gericht im Wesentlichen wissen, ob die Entziehung der Freiheit der gesuchten Person und deren zwangsweise Übergabe, die mit einem Europäischen Haftbefehl verbunden sind, einen Eingriff in das Freiheitsrecht dieser Person darstellen und ob zur Rechtfertigung dieses Eingriffs nach Art. 5 Abs. 1 EMRK und Art. 6 der Charta die Voraussetzung der Notwendigkeit und die Voraussetzung der Verhältnismäßigkeit erfüllt sein müssen(28).

54.      Jeder Mensch hat das Recht auf Freiheit. So viel steht nach Art. 5 EMRK und Art. 6 der Charta jedenfalls fest. Fraglich ist indessen, ob eine Freiheitsentziehung gerechtfertigt werden kann. Insoweit muss der Europäische Haftbefehl in seinem Kontext gesehen werden. Er soll die persönliche Anwesenheit der Person, gegen die der Haftbefehl ausgestellt wird, im Ausstellungsmitgliedstaat sicherstellen, damit der Betreffende sich dort in einem Strafprozess verantwortet oder gegebenenfalls in Haft genommen wird. Die Verfolgung dieses Ziels ist meines Erachtens im Interesse der Gesellschaft eindeutig notwendig.

55.      Insoweit ist in Art. 5 EMRK ausdrücklich ein Katalog von Fällen normiert, in denen einer Person rechtmäßig die Freiheit entzogen werden kann. Diese Fälle umfassen (gemäß Buchst. a) die Freiheitsentziehung nach Verurteilung durch ein zuständiges Gericht und (gemäß Buchst. c) die Festnahme oder Freiheitsentziehung u. a. dann, wenn die Person der Begehung einer Straftat verdächtigt wird. Für die Prüfung des vorliegenden Falls ist vor allem Buchst. f von Bedeutung, da durch diese Bestimmung das Freiheitsrecht in Fällen qualifiziert wird, in denen die rechtmäßige Festnahme oder Freiheitsentziehung zum Zweck u. a. der Auslieferung (das zwischenstaatliche Verfahren, das durch den Europäischen Haftbefehl abgelöst wurde) erfolgt.

56.      Die entscheidende Frage lautet, ob die aufgrund eines Haftbefehls erfolgende Freiheitsentziehung verhältnismäßig ist. Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) zu Art. 5 Abs. 1 Buchst. f EMRK „verlangt diese Bestimmung nicht, dass die Entziehung der Freiheit einer Person, gegen die ein Auslieferungsverfahren im Gange ist, als vernünftigerweise erforderlich angesehen wird, z. B. um die Person an der Begehung einer Straftat oder an der Flucht zu hindern. Insoweit sieht Art. 5 Abs. 1 Buchst. f ein anderes Schutzniveau als Art. 5 Abs. 1 Buchst. c vor: Nach Buchst. f ist lediglich notwendig, dass ‚ein Ausweisungs- oder Auslieferungsverfahren im Gange ist‘. Im Rahmen von Art. 5 Abs. 1 Buchst. f ist daher unerheblich, ob die zugrunde liegende Ausweisungsverfügung nach nationalem Recht oder dem Recht der EMRK gerechtfertigt werden kann …“(29).

57.      Allerdings wäre es verfehlt, diesen Aspekt der Rechtsprechung zur EMRK dahin zu verstehen, dass eine Freiheitsentziehung nach Art. 5 Abs. 1 Buchst. f stets rechtmäßig ist, wenn sie zum Zweck der Ausweisung oder Auslieferung erfolgt. Der EGMR hat nämlich auch entschieden, dass „eine Freiheitsentziehung nach Art. 5 Abs. 1 Buchst. f zweiter Halbsatz nur … so lange gerechtfertigt ist, wie das Ausweisungs- oder Auslieferungsverfahren[(30)] im Gange ist. Wird ein solches Verfahren nicht mit der gebotenen Sorgfalt durchgeführt, ist die Freiheitsentziehung nicht mehr nach Art. 5 Abs. 1 Buchst. f zulässig … Darüber hinaus muss die Freiheitsentziehung ‚rechtmäßig‘ sein. In Fällen, in denen die ‚Rechtmäßigkeit‘ einer Freiheitsentziehung streitig ist, u. a., wenn es um die Frage geht, ob ‚auf die gesetzlich vorgeschriebene Weise‘ vorgegangen worden ist, verweist die EMRK im Wesentlichen auf das nationale Recht und statuiert eine Verpflichtung zur Beachtung der materiellen und prozessualen Vorschriften des nationalen Rechts. Die Einhaltung des nationalen Rechts allein genügt jedoch nicht: Art. 5 Abs. 1 verlangt darüber hinaus, dass eine Freiheitsentziehung nicht dem Ziel zuwiderläuft, den Einzelnen vor Willkür zu schützen. Grundsätzlich gilt, dass eine willkürliche Freiheitsentziehung nicht mit Art. 5 Abs. 1 vereinbar sein kann und dass der Begriff ‚Willkür‘ im Sinne von Art. 5 Abs. 1 mehr bedeutet als nur mangelnde Konformität mit nationalem Recht, so dass eine Freiheitsentziehung nach innerstaatlichem Recht zwar rechtmäßig, aber dennoch willkürlich sein und damit gegen die EMRK verstoßen kann … Um nicht als willkürlich zu gelten, muss eine Freiheitsentziehung nach Art. 5 Abs. 1 Buchst. f in gutem Glauben erfolgen, sie muss in engem Zusammenhang mit dem von den [nationalen Behörden] geltend gemachten Grund für die Freiheitsentziehung stehen, Ort und Bedingungen der Freiheitsentziehung müssen angemessen sein und die Dauer der Freiheitsentziehung darf nicht über das hinausgehen, was zur Erreichung des verfolgten Ziels vernünftigerweise erforderlich ist …“(31).

58.      Aus Gründen der Vollständigkeit habe ich nicht nur auf Art. 5 Abs. 1 EMRK, sondern auch auf die ihm entsprechende Vorschrift der Charta, d. h. deren Art. 6, zu verweisen. In Art. 6 findet sich keine dem Art. 5 Abs. 1 Buchst. f EMRK entsprechende Bestimmung. Aus Art. 52 Abs. 3 der Charta ergibt sich jedoch, dass, soweit in der Charta Rechte normiert sind, die den in der EMRK verankerten Rechten entsprechen, die Chartarechte die gleiche Bedeutung und Tragweite haben, wie sie ihnen in der EMRK verliehen wird. Somit findet Art. 5 Abs. 1 Buchst. f implizit Anwendung.

59.      Folglich müssen die zuständigen Behörden bei der Durchführung von Art. 12 des Rahmenbeschlusses den oben in Nr. 57 dargelegten Grundsätzen Rechnung tragen. Ihre Anwendung wird zwangsläufig von Fall zu Fall unterschiedlich sein; die Festlegung unumstößlicher Regeln ist nicht möglich.

60.      Ich möchte jedoch Folgendes hinzufügen. Wie die Kommission in ihrem Bericht von 2011 ausführt, sei an den Modalitäten der Umsetzung des Rahmenbeschlusses durch die Mitgliedstaaten u. a. zu kritisieren, dass das Vertrauen in den Rahmenbeschluss durch die systematische Ausstellung von Europäischen Haftbefehlen für die Übergabe von Personen untergraben worden sei, die häufig wegen sehr geringfügiger Vergehen gesucht würden, die nicht schwer genug seien, um die für die Vollstreckung solcher Haftbefehle erforderliche Zusammenarbeit und die damit verbundenen Maßnahmen zu rechtfertigen. Die Freiheit der Betroffenen werde unverhältnismäßig eingeschränkt, wenn Europäische Haftbefehle in Fällen ausgestellt würden, in denen Untersuchungshaft ansonsten als unangemessen angesehen würde(32).

61.      Dem stimme ich zu.

62.      Nach alledem sind die zweite und die dritte Frage dahin zu beantworten, dass die mit dem Verfahren des Europäischen Haftbefehls verbundene Entziehung der Freiheit der gesuchten Person und deren zwangsweise Übergabe einen Eingriff in das Freiheitsrecht dieser Person im Sinne von Art. 5 EMRK und Art. 6 der Charta darstellen. Dieser Eingriff wird normalerweise aufgrund von Art. 5 Abs. 1 Buchst. f EMRK als „in einer demokratischen Gesellschaft notwendig“ gerechtfertigt sein. Die Freiheitsentziehung nach dieser Bestimmung darf jedoch nicht willkürlich sein. Um nicht willkürlich zu sein, muss eine Freiheitsentziehung in gutem Glauben erfolgen, sie muss in engem Zusammenhang mit dem von der vollstreckenden Justizbehörde geltend gemachten Grund für die Freiheitsentziehung stehen, Ort und Bedingungen der Freiheitsentziehung müssen angemessen sein und die Dauer der Freiheitsentziehung darf nicht über das hinausgehen, was zur Erreichung des verfolgten Ziels vernünftigerweise erforderlich ist (sie muss somit das Kriterium der Verhältnismäßigkeit erfüllen). Art. 6 der Charta ist in derselben Weise wie Art. 5 Abs. 1 EMRK auszulegen.

 Vierte Frage

63.      Mit seiner vierten Frage möchte das nationale Gericht de facto wissen, ob ein Vollstreckungsmitgliedstaat die Ausführung eines Europäischen Haftbefehls ablehnen darf, wenn dessen Vollstreckung die Rechte der gesuchten Person aus den Art. 5 und 6 EMRK oder den Art. 6, 48 und 52 der Charta verletzen würde oder könnte.

64.      Im Gegensatz zu der zweiten und der dritten Frage, in deren Rahmen der Gerichtshof um die Prüfung der Verhältnisse bei der Entziehung der Freiheit der gesuchten Person im Zeitraum von der Zustellung eines Europäischen Haftbefehls bis zur Überstellung der Person an den Ausstellungsmitgliedstaat ersucht wird, geht es hier um einen weiter gesteckten Problemkreis. Darf die zuständige Justizbehörde des Vollstreckungsmitgliedstaats die Vollstreckung eines Haftbefehls generell ablehnen, wenn eine Verletzung der Menschenrechte der gesuchten Person in Frage steht?

65.      Diese Problematik wird in der Frage unter Bezugnahme auf die angeführten Bestimmungen der Art. 5 und 6 EMRK und des Art. 6 der Charta angesprochen. In der mündlichen Verhandlung hat Herr Radu erklärt, dass „er über die gegen ihn erhobenen Vorwürfe nicht unterrichtet wurde, ihretwegen nicht vorgeladen wurde und sich in einer Lage befunden hat, in der ihm eine Verteidigung vollkommen unmöglich war“. Da die Unmöglichkeit, sich wirksam zu verteidigen, zumindest potenziell auch im Hinblick auf Art. 6 Abs. 1 EMRK und Art. 47 der Charta problematisch ist, werde ich diesen Punkt der Vollständigkeit halber in meine Würdigung einbeziehen.

66.      Eine flüchtige Lektüre des Rahmenbeschlusses könnte den Schluss nahelegen, dass solche Verletzungen (ungeachtet ihrer zeitlichen Wirkung) unbeachtlich seien. In den Art. 3 und 4 sind die Fälle aufgeführt, in denen die Justizbehörde des Vollstreckungsmitgliedstaats die Vollstreckung eines Europäischen Haftbefehls entweder ablehnen muss (Art. 3) oder ablehnen kann (Art. 4). In keiner der beiden Vorschriften sind Streitfragen im Bereich der Menschenrechte als Ablehnungsgrund genannt. Der Gerichtshof hat entschieden, dass die Gründe in den beiden Artikeln abschließend aufgezählt sind(33).

67.      Zu diesem Ergebnis könnte man auch aufgrund der Zielsetzung des Beschlusses gelangen. Die durch ihn eingeführte Übergaberegelung beruht auf dem Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung(34) und einem hohen Maß an gegenseitigem Vertrauen zwischen den Mitgliedstaaten(35); es dient der Beseitigung der Verzögerungen, die dem früheren Auslieferungsverfahren innewohnten(36).

68.      Der Gerichtshof hat – zweifellos mit Blick auf diese Erwägungen – ausgeführt, dass „[d]er Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung, der der Systematik des Rahmenbeschlusses zugrunde liegt, … nach dessen Art. 1 Abs. 2 [bedeutet], dass die Mitgliedstaaten grundsätzlich verpflichtet sind, einen Europäischen Haftbefehl zu vollstrecken“(37). Es liegt auf der Hand, dass diese Auffassung richtig sein muss, denn andernfalls bestünde die Gefahr, dass die Erreichung der mit dem Beschluss verfolgten Ziele ernsthaft gefährdet wird.

69.      Meiner Meinung nach spricht jedoch weder der Wortlaut des Rahmenbeschlusses noch die Rechtsprechung für einen engen Ansatz, wonach Erwägungen, die die Menschenrechte betreffen, vollkommen ausgeschlossen wären.

70.      Nach seinem Art. 1 Abs. 3 berührt der Rahmenbeschluss nicht die Pflicht, die Grundrechte und die allgemeinen Rechtsgrundsätze, wie sie in Art. 6 EU (nach Änderung jetzt Art. 6 EUV) niedergelegt sind, zu achten. Daraus folgt meines Erachtens, dass die Pflicht zur Achtung dieser Rechte und Grundsätze durchgängig für den gesamten Rahmenbeschluss gilt. Daraus folgt, dass diese Rechte im Rahmen der Begründung einer Entscheidung, einen Haftbefehl nicht zu vollstrecken, berücksichtigt werden können. Bei einer gegenteiligen Auslegung von Art. 1 Abs. 3 bestünde die Gefahr, dass diese Vorschrift – außer vielleicht als elegante Plattitüde – keinerlei Bedeutung hat.

71.      Diese Sichtweise lässt sich auch auf die Ausführungen zur Auslegung des Rahmenbeschlusses stützen, die sich in einer Reihe von Schlussanträgen der Generalanwälte des Gerichtshofs finden. Ich möchte insbesondere auf die Schlussanträge von Generalanwalt Cruz Villalón in der Rechtssache I. B.(38) verweisen, in denen er darlegt:

„… [Ich bin] der Ansicht, dass bei einer Auslegung nach dem Wortlaut und dem Zweck des Rahmenbeschlusses sämtliche mit ihm verfolgten Ziele zu berücksichtigen sind. Wenn es richtig ist, dass die gegenseitige Anerkennung ein Instrument zur Stärkung des Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts ist, so trifft es doch nicht weniger zu, dass der Schutz der Grundrechte und ‑freiheiten ein prius darstellt, das das Bestehen und die Entwicklung dieses Raums legitimiert. Dies wird in den Erwägungsgründen 10, 12, 13 und 14 sowie in Art. 1 Abs. 3 des Rahmenbeschlusses wiederholt zum Ausdruck gebracht. …“(39)

72.      Dem schließe ich mich an.

73.      Für mich ist offensichtlich, dass die Justizbehörden eines Vollstreckungsmitgliedstaats gehalten sind, bei der Prüfung der Frage, ob sie einen Europäischen Haftbefehl vollstrecken sollen, die in der EMRK und der Charta niedergelegten Grundrechte zu berücksichtigen. In welchen Fällen also müssen sie sich weigern, eine Übergabeverfügung zu erlassen, und welche Kriterien müssen sie bei einer solchen Entscheidung heranziehen?

74.      Aus der Rechtsprechung des EGMR geht hervor, dass nicht jeder Verstoß gegen die EMRK die Ablehnung einer Auslieferungsverfügung rechtfertigt(40). So hat er z. B. im Urteil Dzhaksybergenov/Ukraine festgestellt, dass „der Hinweis auf ein allgemeines Problem hinsichtlich der Achtung der Menschenrechte in einem bestimmten Land für sich allein genommen nicht als Grundlage für die Verweigerung der Auslieferung dienen kann“(41).

75.      Im Urteil Soering/Vereinigtes Königreich(42) hat der EGMR zu Art. 3 EMRK(43) entschieden, dass „die Entscheidung eines Vertragsstaates, einen Flüchtigen auszuliefern, Anlass für eine Überprüfung anhand von Art. 3 geben und danach die Verantwortlichkeit dieses Staates aufgrund der Konvention auslösen [kann], wenn begründete Tatsachen für die Annahme vorliegen, dass die betroffene Person nach ihrer Auslieferung einem realen Risiko von Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen ist“(44). Zu Art. 6 hat er ausgeführt: „Das Recht auf einen fairen Prozess im Strafverfahren nimmt, wie es in Art. 6 gewährleistet ist, einen herausragenden Platz in jeder demokratischen Gesellschaft ein … Der Gerichtshof schließt nicht aus, dass ausnahmsweise eine Frage in Bezug auf Art. 6 durch eine Auslieferungsentscheidung aufgeworfen werden könnte. Dies ist in den Fällen denkbar, in denen der flüchtige Straftäter im ersuchenden Staat eine offenkundige Verweigerung eines fairen Prozesses erfahren musste oder hierfür ein Risiko besteht“(45).

76.      Es gibt zwar kein unmittelbar entsprechendes Diktum in der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union zum Rahmenbeschluss, jedoch ergaben sich ähnliche Fragen in der Rechtssache N. S. u. a.(46), in der der Gerichtshof zu prüfen hatte, welche Konsequenzen sich aus Art. 4 der Charta(47) für die Pflichten ergeben, die den nationalen Behörden u. a. gemäß der Verordnung Nr. 343/2003(48) obliegen. Ebenso wie im Rahmenbeschluss enthält diese Verordnung Vorschriften für die Überstellung von Personen – dort Asylbewerber – von einem Mitgliedstaat an einen anderen unter Einhaltung bestimmter Verfahren und Fristen. Der Gerichtshof hat entschieden, dass „nicht geschlossen werden [kann], dass jede Verletzung eines Grundrechts durch den … Mitgliedstaat [an den der Asylbewerber nach den Bestimmungen der Verordnung zu überstellen wäre] die Verpflichtungen der übrigen Mitgliedstaaten zur Beachtung der Bestimmungen der Verordnung … berühren würde“. Würden die Voraussetzungen so niedrig angesetzt, könne die Erreichung der mit der Maßnahme verfolgten Ziele gefährdet sein. Im Weiteren hat der Gerichtshof ausgeführt: „Damit die Union und ihre Mitgliedstaaten ihren Verpflichtungen in Bezug auf den Schutz der Grundrechte der Asylbewerber nachkommen können, obliegt es … den Mitgliedstaaten einschließlich der nationalen Gerichte, einen Asylbewerber nicht an den ‚zuständigen Mitgliedstaat‘ im Sinne der Verordnung Nr. 343/2003 zu überstellen, wenn ihnen nicht unbekannt sein kann, dass die systemischen Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber in diesem Mitgliedstaat ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte Gründe für die Annahme darstellen, dass der Antragsteller tatsächlich Gefahr läuft, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 4 der Charta ausgesetzt zu werden.“(49)

77.      Zusammenfassend lässt sich also sagen, dass beide Gerichtshöfe davon ausgehen, dass sich die Grundrechte auf die Rechtspflichten eines Mitgliedstaats zur Überstellung einer Person an einen anderen Staat auswirken können. Was Art. 3 EMRK und den ihm entsprechenden Art. 4 der Charta betrifft, ist den Gerichtshöfen zufolge entscheidend, ob „begründete Tatsachen für die Annahme“ bzw. „ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte Gründe für die Annahme“ vorliegen, dass ein „reales Risiko“ bzw. die „tatsächliche Gefahr“ besteht, dass die genannte Bestimmung in dem Staat, an den der Betreffende ansonsten zu überstellen wäre, verletzt wird. Im Kontext von Art. 6 EMRK hat der EGMR entschieden, dass die Überstellungsverpflichtung nur „ausnahmsweise“ berührt sein werde, und zwar dann, wenn der Betreffende „eine offenkundige Verweigerung“ seiner Rechte aus der EMRK „erfahren musste oder hierfür ein Risiko besteht“. Der Gerichtshof der Europäischen Union hat bisher noch keine Entscheidung zu den Art. 47 und 48 der Charta erlassen.

78.      Zu der dem Beschwerdeführer obliegenden Beweislast hat der EGMR festgestellt, dass die Frage des Vorliegens eines Risikos zwangsläufig nach strengen Maßstäben zu beurteilen und es Sache des Beschwerdeführers sei, die notwendigen Beweise beizubringen(50). Was die Beweisanforderungen angeht, die erfüllt sein müssen, damit eine Überstellungsverweigerung gerechtfertigt ist, hat der EGMR im Urteil Garabayev/Russland(51) dargelegt, dass „der Gerichtshof bei der Würdigung der Beweise, auf die die Entscheidung über eine Verletzung von Art. 3 gestützt werden soll, verlangt, dass ‚kein vernünftiger Zweifel‘ möglich sein darf, fügt allerdings hinzu, dass sich ein solcher Beweis parallel aus hinreichend zwingenden, eindeutigen und stimmigen Rückschlüssen oder ähnlichen unbestrittenen Tatsachenannahmen ergeben kann. Insoweit ist das Verhalten der Parteien bei der Beweiserhebung zu berücksichtigen …“(52). Auch wenn sich diese Aussage auf Art. 3 EMRK bezieht, so ist es ausgeschlossen, in Bezug auf Art. 6 höhere Beweisanforderungen zu stellen, und zwar aus dem einfachen Grund, weil es keine höheren Beweisanforderungen gibt.

79.      Sollte der Gerichtshof der Europäischen Union die vom EGMR formulierten Kriterien übernehmen?

80.      Bei der Auswertung der Rechtsprechung des Gerichtshofs ist stets zu berücksichtigen, dass Art. 52 Abs. 3 der Charta die Möglichkeit eröffnet, im Unionsrecht einen weiter gehenden Schutz als in der EMRK vorzusehen.

81.      Ich vermag ohne Weiteres zu akzeptieren, dass ein Vollstreckungsmitgliedstaat nur ausnahmsweise die Überstellung einer gesuchten Person nach Maßgabe des Rahmenbeschlusses ablehnen sollte. Offensichtlich würde der eigentliche Zweck des Beschlusses ausgehöhlt, wenn es möglich wäre, aufgrund nomineller Menschenrechtsverletzungen als „routinemäßig“ zu bezeichnende Einwendungen zu erheben. Es darf nicht vergessen werden, dass auch das Interesse des Verbrechensopfers, den Täter zur Verantwortung zu ziehen, betroffen ist(53).

82.      Daraus folgt eindeutig, dass für die Zulässigkeit einer Ablehnung strenge Voraussetzungen gelten müssen. Allerdings habe ich zwei Einwände gegen die Rechtsprechung des EGMR. Erstens kann dem Gerichtshof meiner Meinung nach nicht die Übernahme des Kriteriums empfohlen werden, wonach die in Rede stehende Verletzung „offenkundig“ (engl. flagrant) sein muss. Ich empfinde diesen Begriff als zu nebulös, um in der gesamten Union einheitlich ausgelegt zu werden. Es wird die Meinung vertreten, dass die Verletzung so tief greifend sein muss, dass sie auf eine vollständige Versagung oder Aufhebung des Rechts auf ein faires Verfahren hinausläuft(54).

83.      Ein solches Kriterium – selbst wenn es sich unmissverständlich bestimmen ließe – scheint mir jedoch unangemessen streng zu sein. In gewisser Weise wäre dann nämlich zu verlangen, dass jeder einzelne Aspekt des Verfahrensablaufs unfair ist. Doch auch bei nur teilweise unfairen Verfahren kann nicht garantiert werden, dass der Gerechtigkeit Genüge getan wird. Ich schlage als angemessenes Kriterium vielmehr vor, dass der Mangel oder die Mängel im Verfahren dergestalt sein muss bzw. müssen, dass die Fairness des Verfahrens fundamental zerstört ist(55).

84.      Zweitens ist es im Hinblick auf die Beweisanforderungen meines Erachtens nicht richtig, dass eine drohende Rechtsverletzung so weit nachgewiesen werden muss, dass „kein vernünftiger Zweifel“ möglich ist. Eine solche Anforderung mag angemessen sein – und gilt in bestimmten Ländern – zur Kennzeichnung des Beweismaßstabs, den die Staatsanwaltschaft in Strafverfahren erfüllen muss. Damit ist sichergestellt, dass die Gefahr einer zu Unrecht erfolgenden Verurteilung so weit wie nur irgend möglich reduziert wird. Das scheint mir hier jedoch keine Rolle zu spielen. Zudem besteht die Gefahr, dass für den Betroffenen, der womöglich mittellos und auf staatliche Unterstützung zur Verteidigung seiner Rechte angewiesen ist, ein Beweismaßstab gilt, der praktisch unmöglich zu erfüllen ist.

85.      Andererseits ist allerdings auch mehr zu verlangen als die bloße Behauptung einer potenziellen Unbotmäßigkeit. Wenn der Entscheider einen Europäischen Haftbefehl nicht ausführen soll, weil das reale Risiko einer Verletzung der Rechte der gesuchten Person besteht, genügt es nicht, rudimentäre Zweifel in ihm zu wecken. Ich schlage als angemessenes Kriterium vor, dass die gesuchte Person den Entscheider davon überzeugen muss, dass ihre Einwände gegen die Überstellung in der Sache begründet sind(56).

86.      In meiner vorstehenden Untersuchung habe ich mich darauf konzentriert, inwieweit sich eine zukünftige Verletzung der Menschenrechte einer Person auf die Entscheidung über die Überstellung dieser Person an einen anderen Mitgliedstaat auswirken kann. Auch die Ausführungen des EGMR und des Gerichtshofs der Europäischen Union, die am ehesten einschlägig sind, betreffen eben diesen Fragenkomplex. Ich werde mich nunmehr mit den Auswirkungen einer zurückliegenden Rechtsverletzung befassen.

87.      Meines Erachtens bleibt der Schwerpunkt der Überlegungen gleich.

88.      Erstens dürften abhilfefähige Rechtsverletzungen eine Ablehnung der Überstellung der gesuchten Person an den „zuwiderhandelnden“ Mitgliedstaat nicht rechtfertigen. Solche Verstöße können nicht schwerer wiegen als die Verwirklichung des Ziels einer zügigen und wirksamen Rechtspflege, die mit dem Rahmenbeschluss gefördert werden soll. Der EGMR hat wiederholt entschieden, dass bei der Prüfung der Frage, ob ein Verstoß gegen Art. 6 EMRK nachgewiesen ist, beurteilt werden muss, „ob das Verfahren insgesamt gesehen … fair war“(57). Der Betroffene ist selbstverständlich nicht daran gehindert, gemäß den einschlägigen Grundsätzen des Unions- oder des nationalen Rechts oder gegebenenfalls Art. 41 EMRK Schadensersatz wegen des Verstoßes zu verlangen.

89.      Folglich können nur Verstöße, die die Fairness des Verfahrens fundamental zerstören (also das oben in Nr. 83 formulierte Kriterium erfüllen), von Bedeutung sein. Bei einem in der Vergangenheit liegenden Verstoß ist das aber nur dann möglich, wenn nachgewiesen wird, dass entweder seine Wirkung, soweit sie abgeschlossen ist, als solche dergestalt ist, dass ein faires Verfahren nicht möglich ist, oder dass seine zurückliegenden Wirkungen, soweit sie anhalten, dergestalt sind, dass dasselbe Ergebnis eintritt.

90.      Lassen Sie mich dies anhand zweier Beispiele verdeutlichen. Im ersten Beispiel ist eine gesuchte Person im Ausstellungsmitgliedstaat des Mordes angeklagt. Es wird ein Europäischer Haftbefehl ausgestellt, um die Überstellung der Person aus dem Vollstreckungsmitgliedstaat zu erwirken. Zuvor haben die zuständigen Behörden des erstgenannten Mitgliedstaats jedoch die Vernichtung von Beweismitteln – DNA‑Proben des Verstorbenen – angeordnet, die nach Ansicht der gesuchten Person zur Feststellung seiner Unschuld unerlässlich sind. Die gesuchte Person hatte durch ihren Verteidiger im Ausstellungsmitgliedstaat die Aufbewahrung der Proben verlangt, um sie als Beweismittel in ihrem Strafprozess zu verwenden. Es besteht kein ernsthafter Zweifel, dass die Vernichtungsverfügung wegen Verletzung der Menschenrechte der gesuchten Person rechtswidrig ist. Es gibt keine anderen substanziellen Beweismittel, mit denen sich ihre Unschuld belegen ließe. In einem solchen Fall kann meines Erachtens kaum zweifelhaft sein, dass die vollstreckende Justizbehörde die Vollstreckung des Haftbefehls ablehnen sollte. Im zweiten Beispiel liegt derselbe Sachverhalt vor, nur dass der gerügte Verstoß gegen Art. 6 darin besteht, dass die gesuchte Person nicht von dem gegen sie anhängigen Verfahren unterrichtet wurde. Einem solchen Verstoß kann abgeholfen werden, und eine auf ihn gestützte Rechtfertigung für eine Ablehnung der Vollstreckung des Haftbefehls dürfte nicht in Frage kommen.

91.      Man mag einwenden, dass in den meisten Fällen die gerügten Rechtsverletzungen weniger eindeutig sein dürften als in den beiden von mir soeben dargestellten extremen Situationen. Das ist richtig. Ich will insoweit nicht weiter ins Detail gehen, da meiner Meinung nach die zugrunde liegenden Fragen in einer Einzelfallprüfung von den nationalen Gerichten zu entscheiden sind. Die Festlegung unumstößlicher Regeln ist nicht möglich.

92.      Um die Frage des nationalen Gerichts vollständig zu beantworten, muss auch auf Art. 5 EMRK und Art. 6 der Charta eingegangen werden. Dabei kann ich mir kaum vorstellen, dass eine Rechtsverletzung vor der Überstellung einer gesuchten Person an den Ausstellungsmitgliedstaat nicht abhilfefähig sein soll. Diese Möglichkeit kann nicht gänzlich ausgeschlossen werden, zumindest nicht theoretisch, wenngleich der Gerichtshof zu diesem Punkt nicht angerufen worden ist. Generell sind meines Erachtens dieselben Grundsätze anzuwenden wie die für Art. 6 EMRK geltenden.

93.      Im vorliegenden Fall ist es Sache des nationalen Gerichts, unter Beachtung der vorstehenden Grundsätze zu entscheiden, ob die von Herrn Radu gerügten Grundrechtsverletzungen die Ablehnung der Vollstreckung der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Europäischen Haftbefehle rechtfertigen.

94.      In der mündlichen Verhandlung hat Herr Radu angedeutet, dass im Ausgangsverfahren Verfahrensschritte bei der Ausstellung eines Europäischen Haftbefehls streitig sein könnten. Der guten Ordnung halber möchte ich hierzu Folgendes anmerken.

95.      Erstens darf eine vollstreckende Justizbehörde die Vollstreckung eines Europäischen Haftbefehls nicht nur dann ablehnen, wenn eine erhebliche Menschenrechtsverletzung oder einer der in Art. 3 bzw. 4 des Rahmenbeschlusses aufgezählten Gründe vorliegt, aus denen die Vollstreckung abgelehnt werden muss bzw. abgelehnt werden kann. Eine Ablehnung ist auch dann möglich, wenn eine Verletzung wesentlicher Formvorschriften beim Erlass des Haftbefehls nachgewiesen wird. Steht z. B. eindeutig fest, dass aus dem Europäischen Haftbefehl nicht ordnungsgemäß das Vorliegen eines nationalen Haftbefehls hervorgeht, wie dies Art. 8 Abs. 1 Buchst. c des Beschlusses verlangt (etwa weil der nationale Haftbefehl nach dem Verfahrensrecht des Ausstellungsmitgliedstaats ungültig ist), sollte der Haftbefehl meiner Meinung nach nicht vollstreckt werden. Aufgrund der Verfahrensrechte der gesuchten Person nach den Art. 11 bis 23 des Rahmenbeschlusses besteht ausgiebig Gelegenheit, vor der Vollstreckung eines Haftbefehls Einwände dieser Art zu erheben.

96.      Zweitens bezweckt der Rahmenbeschluss nicht die Harmonisierung oder Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Gründe und die Verfahren für die Ausstellung eines Haftbefehls gegen eine Person, die der Begehung einer Straftat verdächtigt wird oder wegen einer Straftat verurteilt worden ist. Der im Beschluss festgeschriebene Grundsatz des gegenseitigen Vertrauens beinhaltet zwangsläufig, dass jeder Mitgliedstaat die Anwendung des in den anderen Mitgliedstaaten geltenden Strafrechts akzeptiert(58).

97.      Nach alledem ist die vierte Frage dahin zu beantworten, dass die zuständige Justizbehörde des Staates der Vollstreckung eines Europäischen Haftbefehls das Übergabeersuchen ohne Verletzung der in den Gründungsverträgen und anderen Vorschriften des Gemeinschaftsrechts festgelegten Verpflichtungen ablehnen kann, wenn nachgewiesen wird, dass die Menschenrechte der Person, die übergeben werden soll, bei oder nach dem Übergabeverfahren verletzt worden sind oder in Zukunft verletzt werden. Eine solche Ablehnung ist jedoch nur in Ausnahmefällen zulässig. In Fällen, in denen die Art. 5 und 6 EMRK und/oder die Art. 6, 47 und 48 der Charta betroffen sind, muss die in Rede stehende Rechtsverletzung dergestalt sein, dass die Fairness des Verfahrens fundamental zerstört wird. Die Person, die den Rechtsverstoß geltend macht, muss den Entscheider davon überzeugen, dass ihre Einwände in der Sache begründet sind. Zurückliegende Verstöße, denen abgeholfen werden kann, sind zur Begründung solcher Einwände nicht geeignet.

 Fünfte Frage

98.      Mit dieser Frage möchte das nationale Gericht wissen, ob ein Vollstreckungsmitgliedstaat die Vollstreckung eines Europäischen Haftbefehls wegen unterlassener oder fehlerhafter Durchführung des Rahmenbeschlusses ablehnen darf.

99.      Insoweit entspricht es der ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofs, dass ein Mitgliedstaat die Nichtdurchführung des Unionsrechts nicht mit dem Hinweis rechtfertigen kann, ein anderer Mitgliedstaat habe dieselben oder ähnliche Verpflichtungen ebenfalls nicht umgesetzt(59).

100. Danach wäre die Frage eindeutig zu verneinen.

101. Ändert sich hieran etwas unter dem Gesichtspunkt der Gegenseitigkeit, auf den das nationale Gericht abstellt? Dies ist offenbar der Streitpunkt im Ausgangsverfahren(60), da Herr Radu geltend macht, der Rahmenbeschluss sei nicht ordnungsgemäß in deutsches Recht umgesetzt worden.

102. Es trifft zu, dass das deutsche Bundesverfassungsgericht im Jahr 2005 das innerstaatliche Gesetz zur Umsetzung des Beschlusses für verfassungswidrig und damit nichtig erklärt hat(61). Ich verstehe die – von Deutschland in der mündlichen Verhandlung bestätigte – Rechtslage jedoch eindeutig dahin, dass dem durch den Erlass des neuen Gesetzes im Jahr 2006 abgeholfen wurde.

103. Ich möchte eines hinzufügen. In der mündlichen Verhandlung hat Deutschland das Beispiel einer gestohlenen Gans angeführt. Der genannte Mitgliedstaat meint, dass er, falls er um Vollstreckung eines Europäischen Haftbefehls wegen dieser Straftat ersucht würde und in dem Ausstellungsmitgliedstaat dafür eine Freiheitsstrafe von sechs Jahren verhängt worden wäre, die Vollstreckung wohl ablehnen würde. Eine solche Ablehnung sei aufgrund der Geltung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes gerechtfertigt; insoweit sei auf Art. 49 Abs. 3 der Charta zu verweisen, wonach „[d]as Strafmaß … zur Straftat nicht unverhältnismäßig sein [darf]“. Es liegt noch keine Entscheidung des Gerichtshofs zur Auslegung dieser Vorschrift vor. Bezüglich der EMRK hat der EGMR ausgeführt, dass zwar grundsätzlich Fragen der Angemessenheit des Strafmaßes weitgehend außerhalb des Geltungsbereichs der EMRK lägen, dass aber ein „grob unverhältnismäßiges“ Strafmaß eine Misshandlung im Sinne von Art. 3 darstellen könne, wenngleich dieser Sachverhalt wohl nur in „seltenen und einzelnen Fällen“ vorliegen werde(62). Es wäre interessant, Mutmaßungen über die gebotene Auslegung von Art. 49 Abs. 3 der Charta unter Berücksichtigung der vom EGMR vorgenommenen Auslegung von Art. 3 EMRK anzustellen. Ich will dieses Problem jedoch nicht weiter vertiefen, und zwar aus dem einfachen Grund, weil es sich hier nicht stellt. Selbst angenommen, dass eine solche Haltung der vollstreckenden Justizbehörden in Deutschland tatsächlich eine Nichterfüllung seiner Verpflichtungen aus dem Rahmenbeschluss darstellt, würde dies unter dem Gesichtspunkt der fünften Frage nicht rechtfertigen, dass ein Vollstreckungsmitgliedstaat die Vollstreckung eines in Deutschland ausgestellten Europäischen Haftbefehls ablehnt.

104. Aus diesen Gründen ist auf die fünfte Frage zu antworten, dass die zuständige Justizbehörde des Staates der Vollstreckung eines Europäischen Haftbefehls das Übergabeersuchen nicht ohne Verletzung der in den Gründungsverträgen und anderen Vorschriften des Unionsrechts festgelegten Verpflichtungen wegen unterlassener oder unvollständiger Durchführung oder wegen fehlerhafter Durchführung des Rahmenbeschlusses durch den Staat, der den Europäischen Haftbefehl erlassen hat, ablehnen kann.

 Sechste Frage

105. Mit dieser Frage möchte das nationale Gericht wissen, ob bestimmte Vorschriften des nationalen Rechts mit der EMRK und der Charta vereinbar sind und ob mit diesen Vorschriften der Rahmenbeschluss korrekt in nationales Recht umgesetzt wurde.

106. Nach ständiger Rechtsprechung ist es im Verfahren nach Art. 267 AEUV nicht Sache des Gerichtshofs, über die Vereinbarkeit nationaler Vorschriften mit dem Unionsrecht zu befinden(63). Zwar kann er in Einschränkung dieser Regel dem vorlegenden Gericht Hinweise zur Auslegung des Gemeinschaftsrechts geben, die es diesem ermöglichen, die Frage der Vereinbarkeit zu beurteilen, jedoch genügen im vorliegenden Fall die Angaben des nationalen Gerichts in seiner Vorlageentscheidung nicht, um dem Gerichtshof solche Hinweise zu ermöglichen(64).

107. Die sechste Frage ist daher unzulässig.

 Ergebnis

108. Nach alledem schlage ich dem Gerichtshof vor, die von der Curte de Apel Constanţa vorgelegten Fragen folgendermaßen zu beantworten:

1.      Die Bestimmungen der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, einschließlich deren Art. 6, 48 und 52, sind Teil des primären Unionsrechts. Die Grundrechte, wie sie in der Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten gewährleistet sind, einschließlich der in Art. 5 Abs. 1, 3 und 4 und Art. 6 Abs. 2 und 3 EMRK niedergelegten Rechte, stellen allgemeine Grundsätze des Unionsrechts dar.

2.      Die mit dem Verfahren des Europäischen Haftbefehls verbundene Entziehung der Freiheit der gesuchten Person und deren zwangsweise Übergabe stellen einen Eingriff in das Freiheitsrecht dieser Person im Sinne von Art. 5 EMRK und Art. 6 der Charta dar. Dieser Eingriff wird normalerweise aufgrund von Art. 5 Abs. 1 Buchst. f EMRK als „in einer demokratischen Gesellschaft notwendig“ gerechtfertigt sein. Die Freiheitsentziehung nach dieser Bestimmung darf jedoch nicht willkürlich sein. Um nicht willkürlich zu sein, muss eine Freiheitsentziehung in gutem Glauben erfolgen, sie muss in engem Zusammenhang mit dem von der vollstreckenden Justizbehörde geltend gemachten Grund für die Freiheitsentziehung stehen, Ort und Bedingungen der Freiheitsentziehung müssen angemessen sein und die Dauer der Freiheitsentziehung darf nicht über das hinausgehen, was zur Erreichung des verfolgten Ziels vernünftigerweise erforderlich ist. Art. 6 der Charta ist in derselben Weise wie Art. 5 Abs. 1 EMRK auszulegen.

3.      Die zuständige Justizbehörde des Mitgliedstaats der Vollstreckung eines Europäischen Haftbefehls kann das Übergabeersuchen ohne Verletzung der in den Gründungsverträgen und anderen Vorschriften des Unionsrechts festgelegten Verpflichtungen ablehnen, wenn nachgewiesen wird, dass die Menschenrechte der Person, die übergeben werden soll, bei oder nach dem Übergabeverfahren verletzt worden sind oder in Zukunft verletzt werden. Eine solche Ablehnung ist jedoch nur in Ausnahmefällen zulässig. In Fällen, in denen die Art. 5 und 6 EMRK und/oder die Art. 6, 47 und 48 der Charta betroffen sind, muss die in Rede stehende Rechtsverletzung dergestalt sein, dass die Fairness des Verfahrens fundamental zerstört wird. Die Person, die den Rechtsverstoß geltend macht, muss den Entscheider davon überzeugen, dass ihre Einwände in der Sache begründet sind. Zurückliegende Verstöße, denen abgeholfen werden kann, sind zur Begründung solcher Einwände nicht geeignet.

4.      Die zuständige Justizbehörde des Staates der Vollstreckung eines Europäischen Haftbefehls kann das Übergabeersuchen nicht ohne Verletzung der in den Gründungsverträgen und anderen Vorschriften des Unionsrechts festgelegten Verpflichtungen wegen unterlassener oder unvollständiger Durchführung oder wegen fehlerhafter Durchführung des Rahmenbeschlusses durch den Staat, der den Europäischen Haftbefehl erlassen hat, ablehnen.


1 – Originalsprache: Englisch.


2 – Rahmenbeschluss 2002/584/JI des Rates vom 13. Juni 2002 über den Europäischen Haftbefehl und die Übergabeverfahren zwischen den Mitgliedstaaten (ABl. L 190, S. 1, im Folgenden: Rahmenbeschluss oder Beschluss). Der Beschluss wurde durch den Rahmenbeschluss 2009/299/JI des Rates vom 26. Februar 2009 (ABl. L 81, S. 24) geändert. Die Änderungen sind für diese Schlussanträge jedoch unerheblich.


3 –      Art. 6 EUV hat – mit einigen Änderungen – Art. 6 EU ersetzt, der sowohl bei Erlass des Rahmenbeschlusses als auch bei Erlass der im vorliegenden Fall ausgestellten Europäischen Haftbefehle galt. Art. 6 Abs. 1 und 2 EU lautete:


      „(1) Die Union beruht auf den Grundsätzen der Freiheit, der Demokratie, der Achtung der Menschenrechte und Grundfreiheiten sowie der Rechtsstaatlichkeit; diese Grundsätze sind allen Mitgliedstaaten gemeinsam.


      (2) Die Union achtet die Grundrechte, wie sie in der am 4. November 1950 in Rom unterzeichneten Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten gewährleistet sind und wie sie sich aus den gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten als allgemeine Grundsätze des Gemeinschaftsrechts ergeben.“


4 – Vgl. Erläuterungen zur Charta der Grundrechte (ABl. 2007, C 303, S. 17).


5 – Urteil vom 18. Juli 2005, 2 BvR 2236/4. Das Bundesverfassungsgericht begründete die Verfassungswidrigkeit mit der Anwendbarkeit des Umsetzungsgesetzes auf deutsche Staatsangehörige.


6 – Dieser Ablehnungsgrund ist in Art. 4 Abs. 2 des Rahmenbeschlusses und Art. 98 Abs. 2 Buchst. b des Gesetzes Nr. 302/2004 normiert.


7 – Siehe unten, Nrn. 105 ff.


8 – Vgl. u. a. Urteil vom 29. November 1978, Redmond (83/78, Slg. 1978, 2347, Randnr. 25).


9 – Vgl. u. a. Urteil vom 8. November 1990, Gmurzynska-Bscher (C‑231/89, Slg. 1990, I‑4003, Randnr. 20).


10 – Vgl. in diesem Sinne Urteil vom 3. Mai 2007, Advocaten voor de Wereld (C‑303/05, Slg. 2007, I‑3633, Randnr. 20).


11 – Vgl. ABl. 2010, C 56, S. 7.


12 – Gemäß Art. 10 Abs. 3 des Protokolls tritt die Übergangsmaßnahme nach Art. 10 Abs. 1 fünf Jahre nach dem Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon außer Kraft, d. h. am 30. November 2014.


13 – Vgl. Schlussfolgerungen des Vorsitzes, Tampere Europäischer Rat, abrufbar unter www.cvce.eu.


14 – Vgl. allgemein Erwägungsgründe 5, 6 und 10 des Rahmenbeschlusses.


15 – Vgl. fünfter Erwägungsgrund des Rahmenbeschlusses.


16 – Bericht der Kommission vom 11. April 2011 an das Europäische Parlament und den Rat über die seit 2007 erfolgte Umsetzung des Rahmenbeschlusses (KOM[2011] 175 endg., im Folgenden: Bericht von 2011), Abschnitt 1.


17 – Siehe unten, Nr. 70.


18 – Vgl. hierzu u. a. Bericht von 2011, Abschnitt 4. Vgl. auch meine Schlussanträge in der Rechtssache People’s Mojahedin Organization of Iran (C‑27/09 P, Urteil vom 21. Dezember 2011, Slg. 2011, I‑13427, Nr. 249 und Fn. 97).


19 – Bezüglich der Charta vgl. auch deren Art. 51 Abs. 1, wonach sie für die Mitgliedstaaten ausschließlich bei der Durchführung des Rechts der Union gilt. Es liegt auf der Hand, dass die Mitgliedstaaten im Rahmen der Erfüllung ihrer sich aus dem Rahmenbeschluss ergebenden Verpflichtungen das Recht der Union durchführen. Da alle Mitgliedstaaten Vertragsparteien der EMRK sind, ist diese für sie nicht nur bei der Durchführung des Rechts der Union, sondern auch im Kontext ihrer innerstaatlichen Regelungen bindend.


20 – Siehe oben, Nr. 23.


21 – Vgl. z. B. Urteile vom 13. März 2007, Unibet (C‑432/05, Slg. 2007, I‑2271, Randnr. 37), und vom 3. September 2008, Kadi und Al Barakaat International Foundation/Rat und Kommission (C‑402/05 P und C‑415/05 P, Slg. 2008, I‑6351, Randnr. 335).


22 – Urteil vom 12. November 1969 (29/69, Slg. 1969, 419, Randnr. 7).


23 – Urteil vom 17. Dezember 1970 (11/70, Slg. 1970, 1125, Randnr. 4).


24 – Urteil vom 14. Mai 1974 (4/73, Slg. 1974, 491, Randnr. 13).


25 – Oben in Fn. 21 angeführt, Randnr. 284. Vgl. auch die dort angeführte Rechtsprechung.


26 – Urteil vom 16. Juli 2009 (C‑385/07 P, Slg. 2009, I‑6155, Randnr. 178). Vgl. auch die dort angeführte Rechtsprechung.


27 – Der Vollständigkeit halber sollte ich noch auf die Schlussanträge des Generalanwalts Cruz Villalón in der Rechtssache I. B. (C‑306/09, Urteil vom 21. Oktober 2010, Slg. 2010, I‑10341, Nr. 44) verweisen, in denen er ausführt, dass „[d]ie Notwendigkeit, den Rahmenbeschluss im Licht der Grundrechte auszulegen, … nach dem Inkrafttreten der Charta der Grundrechte … noch dringlicher geworden [ist]“. Diese Formulierung mag zwar auf den ersten Blick nahelegen, dass damit die Notwendigkeit einer novellierten Auslegung des Rahmenbeschlusses nach dem Inkrafttreten von Art. 6 Abs. 1 EUV gemeint ist, jedoch sind die Ausführungen meines Erachtens nicht in diesem Sinne gemacht worden. Ich verstehe sie vielmehr als Hinweis auf das nachdrückliche politische Bestreben zur Sichtbarmachung, das ich oben angesprochen habe.


28 – In den Fragen des nationalen Gerichts wird zwar auch auf andere Bestimmungen der Charta und des Vertrags Bezug genommen, ich verstehe diese Bezugnahmen jedoch als Hinweis auf den Funktionsrahmen des Freiheitsrechts in Strafsachen. Ich habe mich daher auf die Vorschriften konzentriert, die mir am relevantesten erscheinen.


29 – Vgl. Urteile des EGMR vom 15. November 1996, Chahal/Vereinigtes Königreich, Reports of Judgments and Decisions 1996-V, Ziff. 112, vom 24. April 2008, Ismoilov u. a./Russland (Beschwerde Nr. 2947/06, Ziff. 135), und vom 20. September 2011 Lokpo und Toure/Ungarn (Beschwerde Nr. 10816/10, Ziff. 16).


30 – Das Urteil ist zwar in einer Rechtssache ergangen, die ein Auslieferungsverfahren und nicht den Europäischen Haftbefehl betraf, meines Erachtens besteht aber im Hinblick auf den vorliegenden Fall kein grundlegender Unterschied. Das bedeutet selbstverständlich nicht, dass es immer korrekt sein wird, für die Auslieferung entwickelte Grundsätze auf solche Fälle anzuwenden.


31 – Urteil des EGMR (Große Kammer) vom 19. Februar 2009, A. u. a./Vereinigtes Königreich (Beschwerde Nr. 3455/05, Ziff. 164, ECHR 2009).


32 – Vgl. Bericht von 2011, Abschnitt 5.


33 – Vgl. in diesem Sinne Urteile vom 1. Dezember 2008, Leymann und Pustovarov (C‑388/08 PPU, Slg. 2008, I‑8993, Randnr. 51), und vom 6. Oktober 2009, Wolzenburg (C‑123/08, Slg. 2009, I‑9621, Randnr. 57). Zu Art. 4 vgl. auch Urteil vom 13. Oktober 2011, Prism Investments (C‑139/10, Slg. 2011, I‑9511, Randnr. 33).


34 – Vgl. u. a. Urteile Advocaten voor der Wereld (oben in Fn. 10 angeführt, Randnr. 28), und vom 17. Juli 2008, Kozlowski (C‑66/08, Slg. 2008, I‑6041, Randnr. 31).


35 – Vgl. zehnter Erwägungsgrund des Rahmenbeschlusses.


36 – Vgl. fünfter Erwägungsgrund des Rahmenbeschlusses.


37 – Vgl. Urteil vom 16. November 2010, Mantello (C‑261/09, Slg. 2010, I‑11477, Randnr. 36 und die dort angeführte Rechtsprechung).


38 – Oben in Fn. 27 angeführt.


39 –      Nr. 43. Vgl. auch die Schlussanträge des Generalanwalts Bot in den Rechtssachen Wolzenburg (Urteil oben in Fn. 33 angeführt, Nrn. 148 und 151) und Mantello (Urteil oben in Fn. 37 angeführt, Nrn. 87 f.) sowie des Generalanwalts Mengozzi in der Rechtssache Lopes da Silva Jorge (C‑42/11, Urteil vom 20. März 2012, Nr. 28).


40 – Wie oben in Fn. 30 ausgeführt, besteht im hier maßgebenden Zusammenhang meiner Ansicht nach kein grundlegender Unterschied zwischen dem Auslieferungsverfahren und dem Verfahren des Europäischen Haftbefehls.


41 – Urteil des EGMR vom 10. Februar 2011 (Beschwerde Nr. 12343/10, Ziff. 37).


42 – Urteil des EGMR vom 7. Juli 1989 (Beschwerde Nr. 14038/88).


43 – Art. 3 EMRK verbietet Folter und unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe.


44 – Ziff. 91, Hervorhebung nur hier.


45 – Randnr. 113, Hervorhebung nur hier.


46 – Urteil vom 21. Dezember 2011 (C‑411/10 und C‑493/10, Slg. 2011, I‑13905).


47 – Art. 4 der Charta entspricht Art. 3 EMRK.


48 – Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates vom 18. Februar 2003 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen in einem Mitgliedstaat gestellten Asylantrags zuständig ist (ABl. L 50, S. 1).


49 – Randnrn. 82 und 94, Hervorhebung nur hier.


50 – Vgl. Urteil des EGMR vom 28. Februar 2008, Saadi/Italien (Beschwerde Nr. 37201/06, Ziff. 128 f.).


51 – Urteil vom 7. Juni 2007 (Beschwerde Nr. 38411/02).


52 – Ziff. 76.


53 – Siehe oben, Nr. 40.


54 – Vgl. das gemeinsame teilweise abweichende Votum der Richter Bratza, Bonello und Hedigan des EGMR in der Rechtssache Mamatkulov und Askarov/Türkei (Urteil des EGMR vom 4. Februar 2005, Beschwerden Nrn. 46827/99 und 46951/99, Ziff. 14).


55 – Diesen Ansatz verfolgt z. B. Lord Phillips in seinem Votum im House of Lords in der Rechtssache RB (Algerien) u. a./Secretary of State for the Home Department, Randnr. 136 (abrufbar unter http://www.publications.parliament.uk/pa/ld200809/ldjudgmt/jd090218/rbalge‑1.htm).


56 – Der Gerichtshof hat Herrn Radu in der mündlichen Verhandlung aufgefordert, konkret anzugeben, welche Menschenrechtsverletzungen er geltend macht. Ich gestehe, dass ich persönlich seine Antwort nicht besonders erhellend fand.


57 – Vgl. u. a. Urteil des EGMR vom 23. April 1998, Bernard/Frankreich (Beschwerde Nr. 22885/93, Ziff. 37, Reports of Judgments and Decisions 1998‑II).


58 – Vgl. in diesem Sinne Urteil vom 11. Februar 2003, Gözütok und Brügge (C‑187/01 und C‑385/01, Slg. 2003, I‑1345, Randnrn. 32 f.).


59 – Vgl. in diesem Sinne u. a. Urteil vom 25. September 1979, Kommission/Frankreich (232/78, Slg. 1979, 2729, Randnr. 9).


60 – Siehe oben, Nrn. 19 und 23.


61 – Siehe oben, Nr. 19 und Fn. 5.


62 – Vgl. Urteil des EGMR vom 17. Januar 2012, Vinter u. a./Vereinigtes Königreich (Beschwerden Nrn. 66069/09, 130/10 und 3096/10, Ziff. 89).


63 – Vgl. u. a. Urteil vom 27. Januar 2011, Vandoorne (C‑489/09, Slg. 2011, I‑225, Randnr. 25 und die dort angeführte Rechtsprechung).


64 – Die Kommission weist in ihren Erklärungen auf die Feststellung im Bericht von 2011 hin, wonach Rumänien die für den vorliegenden Fall bedeutsamen Bestimmungen des Rahmenbeschlusses korrekt umgesetzt habe. Aus offensichtlichen Gründen kommt einer solchen Feststellung lediglich eine Hinweisfunktion zu.