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URTEIL DES GERICHTSHOFS (Neunte Kammer)

16. September 2020(*)

„Vorlage zur Vorabentscheidung – Freier Kapitalverkehr – Gesellschaftsrecht – Zum Handel am geregelten Markt zugelassene Aktien – Investmentgesellschaft – Nationale Regelung, mit der eine Obergrenze für die Beteiligung am Kapital bestimmter Investmentgesellschaften eingeführt wird – Gesetzliche Vermutung für gemeinsames Handeln“

In der Rechtssache C‑339/19

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht von der Înalta Curte de Casație și Justiție (Oberster Kassations- und Gerichtshof, Rumänien) mit Entscheidung vom 20. Februar 2018, beim Gerichtshof eingegangen am 25. April 2019, in dem Verfahren

SC Romenergo SA,

Aris Capital SA

gegen

Autoritatea de Supraveghere Financiară

erlässt

DER GERICHTSHOF (Neunte Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten S. Rodin, der Richterin K. Jürimäe (Berichterstatterin) und des Richters N. Piçarra,

Generalanwalt: M. Campos Sánchez-Bordona,

Kanzler: A. Calot Escobar,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

–        der SC Romenergo SA und der Aris Capital SA, vertreten durch C. C. Vasile, C. Secrieru und M. Strîmbei, avocați,

–        der rumänischen Regierung, zunächst vertreten durch E. Gane, L. Liţu und C.‑R. Canţăr, dann durch E. Gane und L. Liţu als Bevollmächtigte,

–        der niederländischen Regierung, vertreten durch J. M. Hoogveld und M. Bulterman als Bevollmächtigte,

–        der Europäischen Kommission, vertreten durch H. Støvlbæk, L. Malferrari, J. Rius und L. Nicolae als Bevollmächtigte,

aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,

folgendes

Urteil

1        Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Art. 63 bis 65 AEUV in Verbindung mit Art. 2 Abs. 2 der Richtlinie 2004/25/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. April 2004 über Übernahmeangebote (ABl. 2004, L 142, S. 12) sowie mit Art. 87 der Richtlinie 2001/34/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 28. Mai 2001 über die Zulassung von Wertpapieren zur amtlichen Börsennotierung und über die hinsichtlich dieser Wertpapiere zu veröffentlichenden Informationen (ABl. 2001, L 184, S. 1).

2        Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der SC Romenergo SA (im Folgenden: Romenergo) und der Aris Capital SA (im Folgenden: Aris Capital) auf der einen und der Autoritatea de Supraveghere Financiară (Finanzaufsichtsbehörde, Rumänien) (im Folgenden: ASF) auf der anderen Seite wegen einer Klage auf Nichtigerklärung von Art. 2 Abs. 3 Buchst. j der Regulamentul Comisiei Naționale a Valorilor Mobiliare nr. 1/2006 privind emitenții și operațiunile cu valori mobiliare (Verordnung der nationalen Wertpapierkommission Nr. 1/2006 über Emittenten und Geschäfte mit Wertpapieren) (Monitorul Oficial al României, Teil I, Nr. 312 bis vom 6. April 2004, im Folgenden: Verordnung Nr. 1/2006) und auf Aufhebung der durch die ASF hinsichtlich dieser Gesellschaften erlassenen Verwaltungsentscheidungen.

 Rechtlicher Rahmen

 Unionsrecht

 Richtlinie 2004/25

3        In den Erwägungsgründen 2, 6, 18 und 20 der Richtlinie 2004/25 heißt es:

„(2)      Wenn Gesellschaften, die dem Recht eines Mitgliedstaats unterliegen, Gegenstand eines Übernahmeangebots oder eines Kontrollwechsels sind und zumindest ein Teil der Wertpapiere dieser Gesellschaften zum Handel auf einem geregelten Markt eines Mitgliedstaats zugelassen sind, ist es notwendig, die Interessen der Inhaber dieser Wertpapiere zu schützen.

(6)      Um effektiv zu sein, sollte die Übernahmeregelung flexibel sein und neu auftretende Umstände erfassen können und damit Ausnahmen und abweichende Regelungen erlauben. Bei der Anwendung von Regeln oder Ausnahmen bzw. beim Erlass von abweichenden Regelungen sollten die Aufsichtsstellen jedoch bestimmte allgemeine Grundsätze beachten.

(18)      Um die geltenden Vorschriften über den freien Handel mit Wertpapieren der von dieser Richtlinie erfassten Gesellschaften und die freie Stimmrechtsausübung in ihrer Wirkung zu stärken, müssen die Abwehrstrukturen und -mechanismen dieser Gesellschaften offen gelegt und regelmäßig der Hauptversammlung in einem Bericht mitgeteilt werden.

(20)      Alle von den Mitgliedstaaten an Gesellschaften gehaltenen Sonderrechte sollten im Rahmen des freien Kapitalverkehrs und der einschlägigen Bestimmungen des Vertrags betrachtet werden. Von den Mitgliedstaaten an Gesellschaften gehaltene Sonderrechte, die im einzelstaatlichen Privatrecht oder öffentlichen Recht vorgesehen sind, sollten von der Durchgriffsklausel ausgenommen werden, wenn sie mit dem Vertrag vereinbar sind.“

4        Art. 2 der Richtlinie lautet:

„(1)      Im Sinne dieser Richtlinie gelten folgende Begriffsbestimmungen:

a)      ‚Übernahmeangebot‘ oder ‚Angebot‘ ist ein an die Inhaber der Wertpapiere einer Gesellschaft gerichtetes (und nicht von der Zielgesellschaft selbst abgegebenes) öffentliches Pflicht- oder freiwilliges Angebot zum Erwerb eines Teils oder aller dieser Wertpapiere, das sich an den Erwerb der Kontrolle der Zielgesellschaft im Sinne des einzelstaatlichen Rechts anschließt oder diesen Erwerb zum Ziel hat.

b)      ‚Zielgesellschaft‘ ist eine Gesellschaft, deren Wertpapiere Gegenstand eines Angebots sind.

c)      ‚Bieter‘ ist jede natürliche oder juristische Person des öffentlichen Rechts oder des Privatrechts, die ein Angebot abgibt.

d)      ‚Gemeinsam handelnde Personen‘ sind natürliche oder juristische Personen, die mit dem Bieter oder der Zielgesellschaft auf der Grundlage einer ausdrücklichen oder stillschweigenden, mündlich oder schriftlich getroffenen Vereinbarung zusammenarbeiten, um die Kontrolle über die Zielgesellschaft zu erhalten bzw. den Erfolg des Übernahmeangebots zu vereiteln.

(2)      Für die Zwecke des Absatzes 1 Buchstabe d) gelten die von einer anderen Person kontrollierten Personen im Sinne von Artikel 87 der Richtlinie 2001/34 … als Personen, die gemeinsam miteinander und mit der sie kontrollierenden Person handeln.“

 Richtlinie 2001/34

5        Art. 87 der Richtlinie 2001/34 bestimmt:

„(1)      Ein kontrolliertes Unternehmen im Sinne dieses Kapitels ist ein Unternehmen, bei dem eine natürliche oder juristische Person

a)      über die Mehrheit der Stimmrechte der Aktionäre oder Gesellschafter verfügt oder

b)      das Recht hat, die Mehrheit der Mitglieder des Verwaltungs-, Leitungs- oder Aufsichtsorgans zu bestellen oder abzuberufen und gleichzeitig Aktionär oder Gesellschafter des betreffenden Unternehmens ist, oder

c)      Aktionär oder Gesellschafter ist und aufgrund einer mit anderen Aktionären oder Gesellschaftern dieses Unternehmens getroffenen Vereinbarung über die Mehrheit der Stimmrechte seiner Aktionäre oder Gesellschafter allein verfügt.

(2)      Für die Anwendung von Absatz 1 sind die Stimmrechte des Mutterunternehmens sowie dessen Rechte auf Ernennung oder Abberufung mit den Rechten aller anderen kontrollierten Unternehmen sowie mit den Rechten einer in eigenem Namen, aber für Rechnung des Mutterunternehmens oder eines anderen kontrollierten Unternehmens handelnden Person zusammenzurechnen.“

 Rumänisches Recht

6        Art. 2861 der legea nr. 297/2004 privind piețele de capital (Gesetz Nr. 297/2004 über die Kapitalmärkte) (Monitorul Oficial al României, Teil I, Nr. 571 vom 29. Juni 2004) in der auf den Rechtsstreit des Ausgangsverfahrens anwendbaren Fassung (im Folgenden: Gesetz über die Kapitalmärkte) sieht vor:

„(1)      Jede Person kann allein oder zusammen mit Personen, mit denen sie gemeinsam handelt, Aktien von Investmentgesellschaften erwerben oder halten, die aus der Umwandlung privater Fonds hervorgegangen sind, aber nicht mehr als 5 % des Gesellschaftskapitals der Investmentgesellschaften.

(2)      Die Ausübung des Stimmrechts wird für Aktien von Aktionären ausgesetzt, die die in Abs. 1 festgelegten Grenzen überschreiten.

(3)      Bei Erreichen der Obergrenze von 5 % sind Personen im Sinne von Abs. 1 verpflichtet, binnen drei Werktagen die Investmentgesellschaft, die nationale Wertpapierkommission und den geregelten Markt, auf dem die betreffenden Aktien gehandelt werden, zu informieren.

(4)      Die Aktionäre, die sich in einer solchen Situation befinden, sind verpflichtet, innerhalb von drei Monaten ab dem Zeitpunkt, zu dem die Obergrenze von 5 % des Gesellschaftskapitals der Investmentgesellschaften überschritten wurde, die Aktien zu veräußern, die die Beteiligungsgrenze überschreiten.“

7        Art. 2 Abs. 1 Nr. 22 dieses Gesetzes definiert den Begriff „beteiligte Personen“ wie folgt:

„a)      Personen, die einen Emittenten kontrollieren oder von einem Emittenten kontrolliert werden oder einer gemeinsamen Kontrolle unterliegen;

c)      natürliche Personen innerhalb der emittierenden Gesellschaft mit Leitungs- oder Kontrollaufgaben;

…“

8        Art. 2 Abs. 1 Nr. 23 des Gesetzes über die Kapitalmärkte lautet:

„gemeinsam handelnde Personen – zwei oder mehr Personen, die durch eine ausdrückliche oder stillschweigende Vereinbarung gebunden sind, um hinsichtlich eines Emittenten eine gemeinsame Politik zu verfolgen. Bis zum Beweis des Gegenteils wird vermutet, dass folgende Personen gemeinsam handeln:

a)      beteiligte Personen;

c)      eine Handelsgesellschaft mit den Mitgliedern ihres Leitungs- oder Kontrollgremiums und mit den beteiligten Personen sowie diese Personen untereinander;

…“

9        Die Verordnung Nr. 1/2006 bestimmt:

„Gemäß Art. 2 Abs. 1 Nr. 23 des Gesetzes Nr. 297/2004 wird bis zum Beweis des Gegenteils vermutet, dass u. a. folgende Personen gemeinsam handeln:

a)      Personen, die im Rahmen wirtschaftlicher Transaktionen Finanzmittel verwenden, die die gleiche Herkunft haben oder aus verschiedenen Einheiten stammen, bei denen es sich um beteiligte Personen handelt;

j)      Personen, die mit oder ohne Verbindung zum Kapitalmarkt gemeinsam wirtschaftliche Transaktionen vorgenommen haben oder vornehmen.“

 Ausgangsrechtsstreit und Vorlagefrage

10      Romenergo war Aktionärin der SIF Banat Crişana SA (im Folgenden: Banat Crişana), einer Investmentgesellschaft, die aus der Privatisierungswelle in Rumänien hervorgegangen ist und deren Aktien auf dem Kapitalmarkt gehandelt werden, und zwar mit einem Anteil von 4,55498 % der mit den Aktien der letzteren Gesellschaft einhergehenden Stimmrechte. Romenergo trat in der Folge sämtliche Aktien, die sie an diesem Unternehmen hielt, an Aris Capital ab.

11      Am 18. März 2014 erließ die ASF die Bescheide Nrn. A/209, A/210 und A/211 (im Folgenden zusammen: streitige Verwaltungsentscheidungen) mit folgendem Inhalt:

–        Es wird vermutet, dass XV, YW, ZX, Romenergo, Smalling Limited und Gardner Limited hinsichtlich Banat Crișana gemeinsam im Sinne von Art. 2 Abs. 1 Nr. 22 Buchst. a und c sowie Nr. 23 Buchst. a und c des Gesetzes über die Kapitalmärkte in Verbindung mit Art. 2 Abs. 3 Buchst. j der Verordnung Nr. 1/2006 handeln;

–        die SC Depozitarul Central SA ist verpflichtet, die Maßnahmen zu ergreifen, die erforderlich sind, um in ihrer Buchhaltung die Aussetzung der Stimmrechtsausübung für die Aktien der Banat Crişana auszuweisen, die 5 % der Stimmrechte übersteigen und von XV, YW, ZX, Romenergo, Smalling Limited und Gardner Limited gehalten werden;

–        das Leitungs- und Kontrollgremium von Banat Crişana ist verpflichtet, die Maßnahmen zu ergreifen, die erforderlich sind, um sicherzustellen, dass die Gruppe der Aktionäre XV, YW, ZW, Romenergo, Smalling Limited und Gardner Limited, bei denen vermutet wird, dass sie gemeinsam handeln, nicht die Stimmrechte ausüben kann, die mit der Position verbunden sind, die sie unter Verstoß gegen Art. 2861 Abs. 1 des Gesetzes über die Kapitalmärkte sowie gegen Art. 2 Abs. 3 Buchst. j der Verordnung Nr. 1/2006 innehaben.

12      Die ASF gab daher den oben angeführten Aktionären, bei denen vermutet wurde, dass sie gemeinsam handelten, auf, einen Teil der an Banat Crişana gehaltenen Aktien innerhalb von drei Monaten so zu veräußern, dass ihre Aktien zusammengenommen die nach rumänischem Recht vorgeschriebene Obergrenze von 5 % nicht überschritten.

13      Da Romenergo und Aris Capital der Ansicht waren, dass die streitigen Verwaltungsentscheidungen gegen Unionsrecht verstießen, erhoben sie Klage vor der Curtea de Apel București (Berufungsgericht Bukarest, Rumänien), mit der zum einen die Gültigkeit dieser Entscheidungen und zum anderen jene von Art. 2 Abs. 3 Buchst. j der Verordnung Nr. 1/2006 angefochten wurde.

14      Im Lauf des Verfahrens vor der ASF und der Curtea de Apel București (Berufungsgericht Bukarest) brachten die Rechtsmittelführerinnen des Ausgangsverfahrens vor, dass die betreffenden nationalen Bestimmungen u. a. gegen die unionsrechtlichen Vorschriften über den freien Kapitalverkehr verstießen. Außerdem gelte der Begriff „gemeinsames Handeln“, wie ihn das Unionsrecht vorsehe, nur im Rahmen eines öffentlichen Pflichtangebots, da der Unionsgesetzgeber vermute, dass gemeinsam handelnde Personen solche seien, die kontrolliert würden oder andere Personen kontrollierten, und die alle zusammen die Kontrolle über die emittierende Gesellschaft durch die Übernahme oder die Vereitelung des Erfolgs des Angebots beabsichtigten. Art. 2 Abs. 2 der Richtlinie 2004/25 stelle aber nur hinsichtlich jener Personen eine Vermutung auf, die von einer anderen Person, die über die Mehrheit der Stimmrechte verfüge, kontrolliert würden.

15      Nach Ansicht von Romenergo und Aris Capital sieht das Unionsrecht nicht die Möglichkeit vor, eine Vermutung für ein gemeinsames Handeln aufzustellen, die allgemein auf „wirtschaftlichen“ Überlegungen beruhe, und lasse das Vorliegen eines gemeinsamen Handelns nicht gelten, wenn Personen zur Vornahme wirtschaftlicher Transaktionen Finanzmittel verwendeten, die die gleiche Herkunft hätten oder über den Umweg verschiedener Einrichtungen von beteiligten Personen stammten.

16      Am 4. Mai 2015 wies die Curtea de Apel București (Berufungsgericht Bukarest) die Klage von Romenergo und Aris Capital als unbegründet ab. Diese legten daraufhin ein Rechtsmittel beim vorlegenden Gericht ein.

17      Unter diesen Umständen hat die Înalta Curte de Casație și Justiție (Oberster Kassations- und Gerichtshof, Rumänien) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorzulegen:

Ist Art. 63 AEUV in Verbindung mit Art. 2 Abs. 2 der Richtlinie 2004/25 und mit Art. 87 der Richtlinie 2001/34 dahin auszulegen, dass er einer nationalen Rechtsvorschrift entgegensteht (im vorliegenden Fall Art. 2 Abs. 3 Buchst. j der Verordnung Nr. 1/2006), mit der eine gesetzliche Vermutung für gemeinsames Handeln bei Beteiligungen an Gesellschaften aufgestellt wird, deren Aktien zum Handel auf einem geregelten Markt zugelassen sind und die alternativen Investmentfonds gleichstehen („Investmentgesellschaften“ genannt), in Bezug auf

–        Personen, die mit oder ohne Verbindung zum Kapitalmarkt gemeinsam wirtschaftliche Transaktionen vorgenommen haben oder vornehmen, und

–        Personen, die bei der Vornahme wirtschaftlicher Transaktionen Finanzmittel verwenden, die die gleiche Herkunft haben oder aus verschiedenen Einrichtungen stammen, bei denen es sich um beteiligte Personen handelt?

 Zur Vorlagefrage

 Zur Zulässigkeit des Vorabentscheidungsersuchens

18      In ihren Erklärungen äußert die rumänische Regierung Zweifel an der Zulässigkeit des Vorabentscheidungsersuchens, da die dem Gerichtshof vorgelegte Frage Vermutungen für das gemeinsame Handeln im Rahmen bestimmter wirtschaftlicher Vorgänge betreffe, die nicht Gegenstand des Rechtsstreits des Ausgangsverfahrens und somit hypothetisch seien.

19      Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass es allein Sache des nationalen Gerichts ist, das mit dem Rechtsstreit befasst ist und in dessen Verantwortungsbereich die zu erlassende Entscheidung fällt, anhand der Besonderheiten der Rechtssache sowohl die Erforderlichkeit einer Vorabentscheidung für den Erlass seines Urteils als auch die Erheblichkeit der Fragen zu beurteilen, die es dem Gerichtshof vorlegt. Daher ist der Gerichtshof grundsätzlich gehalten, über ihm vorgelegte Fragen zu befinden, wenn diese die Auslegung einer Vorschrift des Unionsrechts betreffen (Urteil vom 10. Dezember 2018, Wightman u. a., C‑621/18, EU:C:2018:999, Rn. 26 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).

20      Folglich gilt für Fragen, die das Unionsrecht betreffen, eine Vermutung der Entscheidungserheblichkeit. Der Gerichtshof kann die Beantwortung einer Vorlagefrage eines nationalen Gerichts nur ablehnen, wenn die erbetene Auslegung einer Vorschrift des Unionsrechts offensichtlich in keinem Zusammenhang mit den Gegebenheiten oder dem Gegenstand des Ausgangsrechtsstreits steht, wenn das Problem hypothetischer Natur ist oder wenn der Gerichtshof nicht über die tatsächlichen und rechtlichen Angaben verfügt, die für eine zweckdienliche Beantwortung der ihm vorgelegten Fragen erforderlich sind (Urteil vom 10. Dezember 2018, Wightman u. a., C‑621/18, EU:C:2018:999, Rn. 27 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).

21      Im vorliegenden Fall ist der Vorlageentscheidung zu entnehmen, dass Romenergo und Aris Capital namentlich die rumänischen Gerichte mit einer Klage gegen die streitigen Verwaltungsentscheidungen befasst haben. Diese Entscheidungen sehen im Wesentlichen vor, dass die Stimmrechte, die zusammengenommen 5 % überschreiten, von Personen, für die eine Vermutung des gemeinsamen Handelns gilt und zu denen Romenergo und Aris Capital zählen, ausgesetzt werden und diese Personen innerhalb von drei Monaten den Anteil aller von ihnen an Banat Crişana gehaltenen Aktien, der diese Obergrenze von 5 % übersteigt, zu veräußern haben.

22      Die Bedenken des vorlegenden Gerichts betreffen aber im Wesentlichen die Vereinbarkeit der rumänischen Regelung über die Beschränkung der Beteiligung am Kapital einer Investmentgesellschaft auf 5 %, um die es im Ausgangsverfahren geht und die durch bestimmte Vermutungen für ein gemeinsames Handeln genau festgelegt wird, mit dem Unionsrecht. Daher kann nicht angenommen werden, dass die Vorlagefrage hypothetischer Natur wäre, weil sie in keinem Zusammenhang mit den Gegebenheiten oder dem Gegenstand des Ausgangsrechtsstreits stünde.

23      Folglich ist das Vorabentscheidungsersuchen zulässig.

 Zur Beantwortung der Frage

24      Einleitend ist erstens darauf hinzuweisen, dass es nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs ihm obliegt, im Rahmen des in Art. 267 AEUV vorgesehenen Verfahrens der Zusammenarbeit mit den nationalen Gerichten dem vorlegenden Gericht eine für die Entscheidung des bei diesem anhängigen Rechtsstreits sachdienliche Antwort zu geben. Hierzu hat der Gerichtshof die ihm vorgelegte Frage gegebenenfalls umzuformulieren (Urteil vom 5. März 2020, X [Mehrwertsteuerbefreiung für telefonische Beratungen], C‑48/19, EU:C:2020:169, Rn. 35 und die dort angeführte Rechtsprechung).

25      Im vorliegenden Fall betrifft die vom vorlegenden Gericht gestellte Frage die Vereinbarkeit bestimmter Vermutungen für gemeinsames Handeln im Rahmen der Beteiligung am Kapital einer Investmentgesellschaft mit den Bestimmungen des AEU-Vertrags über den freien Kapitalverkehr sowie mit Art. 2 Abs. 2 der Richtlinie 2004/25 und mit Art. 87 der Richtlinie 2001/34.

26      Zum einen aber ist der Begründung der Vorlageentscheidung zu entnehmen, dass das Problem, mit dem das vorlegende Gericht konfrontiert ist, allgemeiner betrachtet die Vereinbarkeit der Regelung über die Beschränkung der Beteiligung am Kapital einer Investmentgesellschaft auf 5 % mit dem Unionsrecht betrifft und nicht nur die Vermutungen für gemeinsames Handeln, die nach den Angaben dieses vorlegenden Gerichts diese Regelung bloß präzisieren. Zum anderen sieht der von diesem Gericht angeführte Art. 2 Abs. 2 der Richtlinie 2004/25 zwar sehr wohl eine Vermutung für gemeinsames Handeln vor, doch regelt diese Richtlinie nur Fälle, die im Rahmen von Übernahmeangeboten auftreten, was in Anbetracht der vom vorlegenden Gericht gemachten Angaben und der beim Gerichtshof eingereichten Erklärungen vorbehaltlich von Überprüfungen, die das vorlegende Gericht vorzunehmen hat, im Ausgangsverfahren wohl nicht der Fall ist.

27      Zweitens ist klarzustellen, dass die Bestimmungen des AEU-Vertrags über den freien Kapitalverkehr nicht auf rein innerstaatliche Sachverhalte, bei denen die Kapitalbewegungen nicht über die Grenzen eines Mitgliedstaats hinausweisen, anwendbar sind. Daher wird das vorlegende Gericht vor einer Anwendung von Art. 63 AEUV zu prüfen haben, ob im Ausgangsverfahren eine Situation mit grenzüberschreitendem Bezug vorliegt, in der vom freien Kapitalverkehr innerhalb der Europäischen Union Gebrauch gemacht wird (vgl. in diesem Sinne Beschluss vom 12. Oktober 2017, Fisher, C‑192/16, EU:C:2017:762, Rn. 35).

28      Im vorliegenden Fall wird vermutet, dass Romenergo sowie Aris Capital mit mehreren Gesellschaften, die außerhalb des rumänischen Hoheitsgebiets ihren Sitz haben, gemeinsam handeln. Somit ist vorbehaltlich von durch das vorlegende Gericht vorzunehmender Überprüfungen anzunehmen, dass im Ausgangsverfahren ein solcher grenzüberschreitender Sachverhalt vorliegt.

29      Mithin möchte das vorlegende Gericht mit seiner Frage wissen, ob Art. 63 AEUV dahin auszulegen ist, dass er einer nationalen Maßnahme entgegensteht, die eine Obergrenze von 5 % für eine Beteiligung am Kapital von Investmentgesellschaften vorsieht.

30      Für die Beantwortung dieser Frage ist als Erstes zu bestimmen, ob es sich beim Erwerb einer Beteiligung am Kapital einer Investmentgesellschaft wie dem im Ausgangsverfahren in Rede stehenden um Kapitalverkehr im Sinne von Art. 63 Abs. 1 AEUV handelt.

31      Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs verbietet diese Bestimmung ganz allgemein Beschränkungen des Kapitalverkehrs zwischen den Mitgliedstaaten (Urteil vom 6. März 2018, SEGRO und Horváth, C‑52/16 und C‑113/16, EU:C:2018:157, Rn. 61 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).

32      Da der AEU-Vertrag keine Definition des Begriffs „Kapitalverkehr“ im Sinne seines Art. 63 Abs. 1 enthält, hat der Gerichtshof der Nomenklatur für den Kapitalverkehr in Anhang I der Richtlinie 88/361/EWG des Rates vom 24. Juni 1988 zur Durchführung von Artikel 67 [EG] [(dieser Artikel ist durch den Vertrag von Amsterdam aufgehoben worden)] (ABl. 1988, L 178, S. 5) Hinweischarakter zuerkannt. So hat der Gerichtshof entschieden, dass „Kapitalverkehr“ im Sinne von Art. 63 Abs. 1 AEUV insbesondere sogenannte Direktinvestitionen sind, also Investitionen in Form der Beteiligung an einem Unternehmen durch Besitz von Aktien, die die Möglichkeit verschafft, sich tatsächlich an der Verwaltung und der Kontrolle dieses Unternehmens zu beteiligen (Urteil vom 22. Oktober 2013, Essent u. a., C‑105/12 bis C‑107/12, EU:C:2013:677, Rn. 40 und die dort angeführte Rechtsprechung).

33      Da die Direktinvestitionen der Schaffung oder Aufrechterhaltung dauerhafter und direkter Beziehungen zwischen denjenigen, die diese Mittel bereitstellen, und dem Unternehmen, für das diese Mittel bestimmt sind, dienen, müssen die Aktionäre die Möglichkeit haben, sich effektiv an der Verwaltung der Gesellschaft oder an deren Kontrolle zu beteiligen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 10. November 2011, Kommission/Portugal, C‑212/09, EU:C:2011:717, Rn. 43).

34      Somit fällt der Erwerb einer Beteiligung am Kapital einer Investmentgesellschaft wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden, insbesondere weil er mit Stimmrechten einhergeht, die dem prozentualen Anteil dieser Beteiligung entsprechen, unter den Begriff „Kapitalverkehr“ im Sinne von Art. 63 Abs. 1 AEUV.

35      Was als Zweites die Frage anbelangt, ob eine nationale Maßnahme, die eine Obergrenze von 5 % für die Beteiligung an einer solchen Investmentgesellschaft vorsieht, eine Beschränkung des freien Kapitalverkehrs darstellt, hat der Gerichtshof klargestellt, dass eine nationale Maßnahme als „Beschränkung“ im Sinne von Art. 63 Abs. 1 AEUV eingestuft werden kann, selbst wenn sie keine Diskriminierung oder formale Unterscheidung zwischen Personen nach ihrer Staatsangehörigkeit oder ihrem Wohnsitz oder aufgrund der Herkunft ihres Kapitals festlegt. Für eine solche Einstufung reicht es nämlich aus, dass diese nationale Maßnahme geeignet ist, den Erwerb von Aktien der betreffenden Unternehmen zu verhindern oder zu beschränken oder aber Investoren anderer Mitgliedstaaten davon abzuhalten, in das Kapital dieser Unternehmen zu investieren (Urteil vom 23. Oktober 2007, Kommission/Deutschland, C‑112/05, EU:C:2007:623, Rn. 19 und die dort angeführte Rechtsprechung). Dies ist insbesondere bei einer nationalen Regelung der Fall, die die Aussetzung der mit Beteiligungen am Kapital bestimmter Unternehmen verbundenen Stimmrechte vorsieht (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 2. Juni 2005, Kommission/Italien, C‑174/04, EU:C:2005:350, Rn. 30).

36      Daher wirkt sich auch eine nationale Maßnahme, die eine Obergrenze von 5 % für die Beteiligung am Kapital einer Investmentgesellschaft vorsieht, dahin aus, von Investitionen in Form einer Beteiligung an einem Unternehmen durch Aktienbesitz abzuhalten. Diese Aktien sind nämlich geeignet, die Möglichkeit zu verschaffen, sich tatsächlich an der Verwaltung und der Kontrolle des Unternehmens zu beteiligen, insbesondere wenn das Halten von Aktien mit Stimmrechten im proportionalen Verhältnis zu den gehaltenen Gesellschaftsanteilen einhergeht. Eine solche nationale Maßnahme stellt demnach eine Beschränkung des freien Kapitalverkehrs im Sinne von Art. 63 Abs. 1 AEUV dar.

37      Als Drittes kann nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs der freie Kapitalverkehr durch nationale Regelungen beschränkt werden, wenn sie aus einem der in Art. 65 AEUV genannten Gründe oder aus zwingenden Gründen des Allgemeininteresses gerechtfertigt sind, soweit keine Harmonisierungsmaßnahme auf Unionsebene vorliegt, die bereits die zur Gewährleistung des Schutzes der betroffenen legitimen Interessen erforderlichen Maßnahmen vorsieht (Urteil vom 23. Oktober 2007, Kommission/Deutschland, C‑112/05, EU:C:2007:623, Rn. 72 und die dort angeführte Rechtsprechung).

38      Fehlt eine solche Harmonisierung, ist es grundsätzlich Sache der Mitgliedstaaten, zu entscheiden, auf welchem Niveau sie den Schutz solcher legitimen Interessen sicherstellen wollen und wie dieses Niveau erreicht werden soll. Sie können dies jedoch nur in dem vom Vertrag vorgegebenen Rahmen tun, wonach die getroffenen Maßnahmen dazu geeignet sein müssen, die Verwirklichung des verfolgten Ziels zu gewährleisten, und nicht über das hinausgehen dürfen, was zur Erreichung dieses Ziels erforderlich ist (Urteil vom 23. Oktober 2007, Kommission/Deutschland, C‑112/05, EU:C:2007:623, Rn. 73 und die dort angeführte Rechtsprechung).

39      Eine nationale Maßnahme einer Obergrenze von 5 % für die Beteiligung an einer Investmentgesellschaft wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende kann nicht auf der Grundlage eines der in Art. 65 AEUV genannten Gründe gerechtfertigt werden.

40      Eine solche Maßnahme fällt nämlich nicht unter das in Art. 65 Abs. 1 Buchst. a AEUV genannte Steuerrecht und soll auch nicht Zuwiderhandlungen gegen innerstaatliche Rechts- und Verwaltungsvorschriften verhindern, so dass sie nicht auf der Grundlage von Art. 65 Abs. 1 Buchst b AEUV gerechtfertigt werden kann. Im Übrigen können nach ständiger Rechtsprechung Gründe der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit, wie sie in letzterer Bestimmung vorgesehen sind, nur geltend gemacht werden, wenn eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefährdung vorliegt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt; sie dürfen überdies nicht rein wirtschaftlichen Zwecken dienen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 7. Juni 2012, VBV – Vorsorgekasse, C‑39/11, EU:C:2012:327, Rn. 29 und die dort angeführte Rechtsprechung).

41      Daher ist zu ermitteln, ob eine nationale Maßnahme einer Obergrenze von 5 % für die Beteiligung an einer Investmentgesellschaft durch einen zwingenden Grund des Allgemeininteresses gerechtfertigt werden kann.

42      Im vorliegenden Fall gibt die rumänische Regierung an, dass die im Lauf des Jahres 1996 gegründeten Investmentgesellschaften in Form von Aktiengesellschaften dem alleinigen Zweck dienten, kollektive Investitionen durch Kapitalanlage in liquiden Finanzinstrumenten nach dem Grundsatz der Risikostreuung und der vorsichtigen Vermögensverwaltung zu tätigen. Diese Investmentgesellschaften seien also Organismen für gemeinsame Anlagen, die private Kapitalanlagen sichern sollten. In diesem Sinne solle die stärkere Streuung ihrer Beteiligungsstruktur den Schutz des allgemeinen Interesses sämtlicher Aktionäre gewährleisten, ohne dass eine Person oder eine Gruppe von Personen, die gemeinsam handelten, die Kontrolle über die strategischen Entscheidungen einer dieser Gesellschaften übernehmen könne.

43      Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass der Wille, die Beteiligungsstreuung bestimmter Investmentgesellschaften sicherzustellen, ein wirtschaftlicher Grund ist, der im Übrigen nur die Personen betrifft, die Aktien an solchen Gesellschaften halten.  Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs können wirtschaftliche Gründe keinen zwingenden Grund des Allgemeininteresses darstellen, der eine Beschränkung des freien Kapitalverkehrs rechtfertigen kann (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 8. Juli 2010, Kommission/Portugal, C‑171/08, EU:C:2010:412, Rn. 71 und die dort angeführte Rechtsprechung).

44      Daher stellt eine nationale Maßnahme einer Obergrenze von 5 % für die Beteiligung am Kapital einer Investmentgesellschaft wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende vorbehaltlich der vom vorlegenden Gericht vorzunehmenden Überprüfungen eine Beschränkung des freien Kapitalverkehrs dar, die weder durch einen der in Art. 65 AEUV genannten Gründe noch durch einen zwingenden Grund des Allgemeininteresses gerechtfertigt ist.

45      Nach alledem ist auf die Vorlagefrage zu antworten, dass Art. 63 AEUV dahin auszulegen ist, dass er einer nationalen Maßnahme entgegensteht, die eine Obergrenze von 5 % für die Beteiligung am Kapital einer Investmentgesellschaft vorsieht, wenn diese Maßnahme nicht durch einen zwingenden Grund des Allgemeininteresses gerechtfertigt ist, was zu prüfen Sache des vorlegenden Gerichts ist.

 Zeitliche Beschränkung der Wirkungen des Urteils

46      Die rumänische Regierung hat für den Fall, dass der Gerichtshof entscheiden sollte, dass eine nationale Maßnahme wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende eine nicht gerechtfertigte Beschränkung des freien Kapitalverkehrs darstellt, beantragt, die Wirkungen des vorliegenden Urteils zeitlich zu beschränken.

47      Insoweit wird nach ständiger Rechtsprechung durch die Auslegung einer Vorschrift des Unionsrechts, die der Gerichtshof in Ausübung seiner Befugnisse aus Art. 267 AEUV vornimmt, erläutert und verdeutlicht, in welchem Sinne und mit welcher Tragweite die Vorschrift seit ihrem Inkrafttreten zu verstehen und anzuwenden ist oder gewesen wäre. Daraus folgt, dass die Gerichte die Vorschrift in dieser Auslegung auch auf Rechtsverhältnisse anwenden können und müssen, die vor dem Erlass des auf das Ersuchen um Auslegung ergangenen Urteils entstanden sind, wenn alle sonstigen Voraussetzungen für die Anrufung der zuständigen Gerichte in einem die Anwendung der Vorschrift betreffenden Streit vorliegen (Urteil vom 3. Oktober 2019, Schuch-Ghannadan, C‑274/18, EU:C:2019:828, Rn. 60 und die dort angeführte Rechtsprechung).

48      Nur ganz ausnahmsweise kann sich der Gerichtshof aufgrund des allgemeinen der Unionsrechtsordnung innewohnenden Grundsatzes der Rechtssicherheit veranlasst sehen, die für alle Betroffenen bestehende Möglichkeit zu beschränken, sich auf eine von ihm ausgelegte Vorschrift zu berufen, um in gutem Glauben begründete Rechtsbeziehungen in Frage zu stellen. Eine solche Beschränkung ist nur dann zulässig, wenn zwei grundlegende Kriterien erfüllt sind, nämlich guter Glaube der Betroffenen und die Gefahr schwerwiegender Störungen (Urteil vom 3. Oktober 2019, Schuch-Ghannadan, C‑274/18, EU:C:2019:828, Rn. 61 und die dort angeführte Rechtsprechung).

49      Genauer genommen hat der Gerichtshof auf diese Lösung nur unter ganz bestimmten Umständen zurückgegriffen, namentlich, wenn eine Gefahr schwerwiegender wirtschaftlicher Auswirkungen bestand, die insbesondere mit der großen Zahl von Rechtsverhältnissen zusammenhingen, die in gutem Glauben auf der Grundlage der als gültig betrachteten Regelung eingegangen worden waren, und wenn sich herausstellte, dass die Einzelnen und die nationalen Behörden zu einem mit dem Unionsrecht unvereinbaren Verhalten veranlasst worden waren, weil hinsichtlich der Tragweite der Unionsbestimmungen eine bedeutende objektive Unsicherheit bestand, zu der eventuell auch das Verhalten anderer Mitgliedstaaten oder der Europäischen Kommission beigetragen hatte (Urteil vom 3. Oktober 2019, Schuch-Ghannadan, C‑274/18, EU:C:2019:828, Rn. 62 und die dort angeführte Rechtsprechung).

50      Es obliegt jedoch dem Mitgliedstaat, der eine Begrenzung der zeitlichen Wirkungen des Urteils beantragt, dem Gerichtshof Nachweise vorzulegen, um darzutun, dass eine Gefahr schwerwiegender Störungen besteht (vgl. entsprechend Urteil vom 14. April 2015, Manea, C‑76/14, EU:C:2015:216, Rn. 55).

51      Im vorliegenden Fall begnügt sich die rumänische Regierung aber mit der Behauptung, dass eine solche Gefahr bestehe, da die innerstaatliche Rechtsordnung, die sich aus der Durchführung von Art. 2861 Abs. 2 und 4 des Gesetzes über die Kapitalmärkte ergebe, in Frage gestellt werde. Damit tut die rumänische Regierung nicht dar, dass das vorliegende Urteil schwerwiegende Störungen verursachen könnte, sondern beschränkt sich auf den Hinweis, dass diese nationalen Vorschriften geeignet sind, Beschränkungen des freien Kapitalverkehrs darzustellen, was das nationale Gericht veranlassen könnte, sie unangewendet zu lassen.

52      Unter diesen Voraussetzungen ist festzustellen, dass in der vorliegenden Rechtssache nichts vorgebracht worden ist, was geeignet wäre, eine Abweichung von dem Grundsatz zu rechtfertigen, dass ein Auslegungsurteil seine Wirkungen ab dem Zeitpunkt des Inkrafttretens der ausgelegten Regelung entfaltet.

53      Folglich sind die zeitlichen Wirkungen des vorliegenden Urteils nicht zu begrenzen.

 Kosten

54      Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem beim vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Neunte Kammer) für Recht erkannt:

Art. 63 AEUV ist dahin auszulegen, dass er einer nationalen Maßnahme entgegensteht, die eine Obergrenze von 5 % für die Beteiligung am Kapital einer Investmentgesellschaft vorsieht, wenn diese Maßnahme nicht durch einen zwingenden Grund des Allgemeininteresses gerechtfertigt ist, was zu prüfen Sache des vorlegenden Gerichts ist.

Unterschriften


*      Verfahrenssprache: Rumänisch.