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Vorabentscheidungsersuchen der Cour administrative (Luxemburg), eingereicht am 18. Dezember 2015 – Berlioz Investment Fund S.A./Directeur de l’administration des contributions directes

(Rechtssache C-682/15)

Verfahrenssprache: Französisch

Vorlegendes Gericht

Cour administrative

Parteien des Ausgangsverfahrens

Berufungsklägerin: Berlioz Investment Fund S.A.

Berufungsbeklagter: Directeur de l’administration des contributions directes

Vorlagefragen

Führt ein Mitgliedstaat das Unionsrecht durch und eröffnet daher den Anwendungsbereich der Charta gemäß deren Art. 51 Abs. 1, wenn er in einer Situation wie der hier vorliegenden gegen einen Adressaten eine finanzielle Verwaltungssanktion wegen des Vorwurfs der Verletzung seiner Mitwirkungspflichten festsetzt, die sich aus einer Anordnung ergeben, die die zuständige nationale Behörde auf der Grundlage der zu diesem Zweck eingeführten Verfahrensvorschriften des innerstaatlichen Rechts im Rahmen der diesem Mitgliedstaat in seiner Eigenschaft als ersuchtem Staat obliegenden Erledigung eines Ersuchens um Austausch von Informationen erlassen hat, das von einem anderen Mitgliedstaat ausgeht und von diesem u. a. auf die Bestimmungen der Richtlinie 2011/16 über den Informationsaustausch auf Ersuchen1 gestützt wird?

Falls die Anwendbarkeit der Charta auf den vorliegenden Fall bejaht wird: Kann der Adressat sich auf Art. 47 der Charta berufen, wenn er der Ansicht ist, dass die vorstehend genannte, gegen ihn festgesetzte finanzielle Verwaltungssanktion darauf gerichtet sei, ihn zur Lieferung von Informationen im Rahmen der von der zuständigen Behörde des ersuchten Mitgliedstaats, in dem er ansässig ist, besorgten Erledigung eines von einem anderen Mitgliedstaat ausgehenden Informationsersuchens zu verpflichten, das hinsichtlich des tatsächlichen steuerlichen Ziels in keiner Weise gerechtfertigt sei, so dass es im vorliegenden Fall an einem legitimen Ziel fehle, und das darauf abziele, Informationen zu erhalten, denen es an der voraussichtlichen Erheblichkeit für den betreffenden Besteuerungsfall fehle?

Falls die Anwendbarkeit der Charta auf den vorliegenden Fall bejaht wird: Erfordert das Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf und auf Zugang zu einem unparteiischen Gericht, wie es in Art. 47 der Charta verankert ist und ohne dass nach Art. 52 Abs. 1 der Charta Einschränkungen zulässig wären, dass das zuständige nationale Gericht zu unbeschränkter Nachprüfung befugt sein und somit die Befugnis haben muss, zumindest auf eine entsprechende Einrede hin die Gültigkeit einer Anordnung, die die zuständige Behörde eines Mitgliedstaats im Rahmen der Erledigung eines von der zuständigen Behörde eines anderen Staats u. a. auf der Grundlage der Richtlinie 2011/16 vorgelegten Auskunftsersuchens erlassen hat, zu überprüfen im Rahmen der Klage, die der Dritte, der die Informationen besitzt und Adressat der Anordnung ist, erhoben hat und die gegen die Festsetzung einer finanziellen Verwaltungssanktion wegen der ihm vorgeworfenen Verletzung seiner Pflicht zur Mitwirkung im Rahmen des genannten Ersuchens gerichtet ist?

Falls die Anwendbarkeit der Charta auf den vorliegenden Fall bejaht wird: Sind Art. 1 Abs. 1 und Art. 5 der Richtlinie 2011/16 im Licht der Parallelität zum Erfordernis der voraussichtlichen Erheblichkeit, das sich aus dem Musterabkommen der OECD zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen ergibt, einerseits und des in Art. 4 EUV verankerten Grundsatzes der loyalen Zusammenarbeit andererseits, die zusammen den Regelungszweck der Richtlinie 2011/16 bilden, dahin auszulegen, dass die voraussichtliche Erheblichkeit der Informationen, um die ein Mitgliedstaat einen anderen Mitgliedstaat ersucht, für den betreffenden Besteuerungsfall und den angegebenen steuerlichen Zweck eine Voraussetzung darstellt, die das Informationsersuchen erfüllen muss, um die Verpflichtung der zuständigen Behörde des ersuchten Mitgliedstaats, ihm zu entsprechen, auszulösen und eine von ihr gegen einen die Informationen besitzenden Dritten erlassene Anordnung zu rechtfertigen?

Falls die Anwendbarkeit der Charta auf den vorliegenden Fall bejaht wird: Sind Art. 1 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 5 der Richtlinie 2011/16 sowie Art. 47 der Charta dahin auszulegen, dass sie einer Rechtsvorschrift eines Mitgliedsstaats entgegenstehen, die die Prüfung der Gültigkeit eines Informationsersuchens durch die zuständige nationale Behörde in ihrer Eigenschaft als ersuchte Behörde allgemein auf eine Kontrolle der formalen Rechtmäßigkeit beschränkt, und dass sie das Gericht im Rahmen einer bei ihm anhängigen Klage, wie sie oben in der dritten Vorlagefrage beschrieben ist, verpflichten, die Einhaltung der Voraussetzung der voraussichtlichen Erheblichkeit der erbetenen Informationen unter allen Gesichtspunkten, die mit dem jeweiligen konkreten Besteuerungsfall, dem geltend gemachten steuerlichen Zweck und der Beachtung von Art. 17 der Richtlinie 2011/16 in Zusammenhang stehen, zu prüfen?

Falls die Anwendbarkeit der Charta auf den vorliegenden Fall bejaht wird: Steht Art. 47 Abs. 2 der Charta einer Rechtsvorschrift eines Mitgliedsstaats entgegen, die es untersagt, dem zuständigen nationalen Gericht des ersuchten Staats im Rahmen einer bei ihm anhängigen Klage, wie sie oben in der dritten Vorlagefrage beschrieben ist, das von der zuständigen Behörde eines anderen Mitgliedstaats gestellte Auskunftsersuchen vorzulegen, und gebietet er es, dem zuständigen nationalen Gericht dieses Dokument vorzulegen und dem die Informationen besitzenden Dritten Zugang zu ihm zu gewähren oder zumindest dem nationalen Gericht dieses Dokument vorzulegen, ohne dass dieser Dritte – wegen der Vertraulichkeit dieses Dokuments – Zugang zu ihm erhält, sofern sämtliche Schwierigkeiten, die dem Dritten aufgrund einer Beschränkung seiner Rechte entstehen, durch das Verfahren vor dem zuständigen nationalen Gericht hinreichend aufgewogen werden?

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1 Richtlinie 2011/16/EU des Rates vom 15. Februar 2011 über die Zusammenarbeit der Verwaltungsbehörden im Bereich der Besteuerung und zur Aufhebung der Richtlinie 77/799/EWG (ABl. L 64, S. 1).