Language of document : ECLI:EU:C:2019:775

SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS

EVGENI TANCHEV

vom 24. September 2019(1)

Verbundene Rechtssachen C558/18 und C563/18

Miasto Łowicz

gegen

Skarb Państwa – Wojewoda Łódzki (C‑558/18),

weitere Beteiligte:

Prokurator Generalny zastępowany przez Prokuraturę Krajową (vormals Prokuratura Regionalna w Łodzi),

Rzecznik Praw Obywatelskich

(Vorabentscheidungsersuchen des Sąd Okręgowy w Łodzi [Bezirksgericht Lodz, Polen])

und

Prokurator Generalny zastępowany przez Prokuraturę Krajową (vormals Prokuratura Okręgowa w Płocku)

gegen

VX,

WW,

XV (C‑563/18)

(Vorabentscheidungsersuchen des Sąd Okręgowy w Warszawie [Bezirksgericht Warschau, Polen])

„Vorabentscheidungsersuchen – Art. 267 AEUV – Zulässigkeit der Fragen – Rechtsstaatlichkeit – Art. 2 EUV – Art. 19 Abs. 1 EUV – Grundsatz des wirksamen richterlichen Rechtsschutzes – Grundsatz der richterlichen Unabhängigkeit – Nationale Maßnahmen zur Einführung einer Regelung für Disziplinarverfahren gegen Richter“






I.      Einleitung

1.        Die Schlussanträge in den vorliegenden Rechtssachen sind die vierten in einer Reihe von Schlussanträgen, die ich im Hinblick auf die Reform des polnischen Justizsystems verfasst habe(2), die durch im Jahr 2017 verabschiedete Maßnahmen eingeleitet wurde und Gegenstand des begründeten Vorschlags der Kommission nach Art. 7 Abs. 1 EUV zur Rechtsstaatlichkeit in Polen ist(3). Die Änderungen der Gesetze dieses Mitgliedstaats, die sich auf die Unabhängigkeit der polnischen Justiz auswirken, haben erhebliche internationale Kritik auf sich gezogen(4) und sind auch Gegenstand einer Reihe anderer Rechtssachen, mit denen der Gerichtshof befasst worden ist(5).

2.        In den vorliegenden Rechtssachen möchten der Sąd Okręgowy w Łodzi (Bezirksgericht Lodz, Polen) und der Sąd Okręgowy w Warszawie (Bezirksgericht Warschau, Polen) vom Gerichtshof wissen, ob die neue Regelung der Disziplinarverfahren gegen Richter in Polen den Erfordernissen der richterlichen Unabhängigkeit nach Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV gerecht wird. Es geht dabei u. a. darum, dass der Justizminister den Vorlagebeschlüssen zufolge Einfluss auf die Einleitung und die Durchführung von Disziplinarverfahren gegen Richter und die Gesetzgebungsorgane Einfluss auf die Zusammensetzung der Krajowa Rada Sądownictwa (Landesjustizrat) erlangt haben, des Gremiums, das für die Auswahl der Gruppe der Richter zuständig ist, die für eine Berufung in die Disziplinarkammer des Obersten Gerichts in Frage kommen, von der die Disziplinarsachen der Richter geprüft werden.

3.        Darüber hinaus bringen die vorlegenden Gerichte in den Vorlagebeschlüssen zum Ausdruck, dass sie Vergeltungsmaßnahmen befürchten, falls sie nicht zugunsten des Staates entschieden, eine Befürchtung, die darauf zurückgehe, dass es unter der neuen Regelung zu einem Missbrauch bei Disziplinarverfahren gekommen sei. Es ist auch bemerkenswert, dass Richter der vorlegenden Gerichte angeben, sie seien im Rahmen von Untersuchungen, die im Nachgang der vorliegenden Vorabentscheidungsersuchen eingeleitet worden seien, aufgefordert worden, über ihre Entscheidungen, die fraglichen Vorabentscheidungsersuchen vorzulegen, Rechenschaft abzulegen, wenn auch Disziplinarverfahren gegen diese Richter nicht förmlich eingeleitet worden seien.

4.        Ich bin zu dem Ergebnis gekommen, dass die Vorabentscheidungsersuchen in den vorliegenden Rechtssachen unzulässig sind, da der Gerichtshof nach Art. 267 AEUV keine Stellungnahmen zu allgemeinen oder hypothetischen Fragen abgeben kann.

5.        Insbesondere fehlt es in den Vorlagebeschlüssen, die nicht in dem erforderlichen Maß in den Verfahrensunterlagen ergänzt werden, an ausreichenden Erklärungen zur Verbindung zwischen den streitigen Maßnahmen des Mitgliedstaats und den maßgeblichen Vorschriften des Unionsrechts, nämlich Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV, der vor strukturellen Verstößen gegen die richterliche Unabhängigkeit(6) schützt, da er die Mitgliedstaaten dazu verpflichtet, „die erforderlichen Rechtsbehelfe [zu schaffen], damit ein wirksamer Rechtsschutz in den vom Unionsrecht erfassten Bereichen gewährleistet ist“(7).

6.        Mit anderen Worten ist den Anforderungen an den Inhalt eines Vorabentscheidungsersuchens, die in Art. 94 der Verfahrensordnung aufgeführt sind, den es, wie der Gerichtshof wiederholt entschieden hat, sorgfältig zu beachten gilt(8), nicht Genüge getan. Diese Anforderungen finden sich auch in den Empfehlungen des Gerichtshofs an die nationalen Gerichte bezüglich der Vorlage von Vorabentscheidungsersuchen(9).

II.    Rechtlicher Rahmen

A.      Unionsrecht

7.        Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV lautet:

„Die Mitgliedstaaten schaffen die erforderlichen Rechtsbehelfe, damit ein wirksamer Rechtsschutz in den vom Unionsrecht erfassten Bereichen gewährleistet ist.“

B.      Polnisches Recht

1.      Das Gesetz über das Oberste Gericht von 2017

8.        Art. 3 der Ustawa o Sądzie Najwyższym (Gesetz über das Oberste Gericht) vom 8. Dezember 2017 (Dz. U. 2018, Pos. 5, 650, 771, 847, 848, 1045 und 1443) (im Folgenden: Gesetz über das Oberste Gericht von 2017), das am 3. April 2018 in Kraft getreten ist, sieht vor, dass das Oberste Gericht in mehrere Kammern, darunter die Disziplinarkammer, gegliedert ist.

9.        Art. 27 des Gesetzes über das Oberste Gericht von 2017 bestimmt:

„§ 1.      Die Disziplinarkammer ist zuständig für

1)      Disziplinarsachen

a)      der Richter des Obersten Gerichts,

b)      die vor dem Obersten Gericht in Disziplinarverfahren anhängig sind, die auf der Grundlage folgender Gesetze betrieben werden:

–        Ustawa z dnia 21 sierpnia 1997 r. – Prawo o ustroju sądów wojskowych [(Dz. U. 2017, Pos. 2243 und 2265, und Dz. U. 2018, Pos. 3 und 5) (Militärgerichtsverfassungsgesetz vom 21. August 1997)];

–        Ustawa z dnia 27 lipca 2001 r. – Prawo o ustroju sądów powszechnych [(Gerichtsverfassungsgesetz vom 27. Juli 2001)];

§ 2.      Zur Disziplinarkammer gehören:

1)      die Erste Abteilung,

2)      die Zweite Abteilung.

§ 3.      Zur Zuständigkeit der Ersten Abteilung gehören insbesondere Streitigkeiten

1)      der Richter des Obersten Gerichts,

2)      der Richter und Staatsanwälte, die Disziplinarvergehen betreffen, bei denen es sich um vorsätzliche Straftaten handelt, die von Amts wegen verfolgt werden, sowie Vergehen, die im Antrag nach Art. 97 § 3 genannt werden.

§ 4.      Die Zweite Abteilung ist insbesondere zuständig für

1)      Rechtsmittel gegen Entscheidungen der erstinstanzlichen Disziplinargerichte in Verfahren gegen Richter und Staatsanwälte sowie gegen Beschlüsse und Verfügungen, die das Verfahren vor der Urteilsfindung beenden,

2)      Kassationsbeschwerden gegen Urteile in Disziplinarsachen,

3)      Beschwerden gegen Beschlüsse des Landesjustizrats.“

10.      Art. 29 des Gesetzes über das Oberste Gericht von 2017 sieht vor:

„Der Präsident der Republik Polen ernennt die Richter des Obersten Gerichts auf Antrag des Landesjustizrats.“

2.      Das Gesetz über den Landesjustizrat (im Folgenden: LJR)

11.      Gemäß Art. 3 der Ustawa o Krajowej Radzie Sądownictwa (Gesetz über den Landesjustizrat) vom 12. Mai 2011 (Dz. U. 2018, Pos. 389, 848 und 1045) (im Folgenden: Gesetz über den LJR) gilt:

„2.      Darüber hinaus nimmt der Rat andere gesetzlich bestimmte Aufgaben wahr, insbesondere

4)      wählt er den Disziplinarbeauftragten der Richter der ordentlichen Gerichte und Richteranwärter sowie den Disziplinarbeauftragten der Richter der Militärgerichte.“

12.      Art. 7 des Gesetzes über den LJR lautet:

„Der Präsident des Obersten Gerichts, der Präsident des Obersten Verwaltungsgerichts und der Justizminister gehören während ihrer Amtszeit dem Rat an.“

13.      Art. 8 des Gesetzes über den LJR lautet:

„1.      Eine vom Präsidenten der Republik Polen ernannte Person nimmt ihre Aufgaben im Rat ohne eine bestimmte Amtszeit wahr und kann jederzeit abberufen werden.

2.      Das Mandat der vom Präsidenten ernannten Person erlischt spätestens drei Monate nach dem Ablauf der Amtszeit des Präsidenten der Republik Polen oder dem Eintritt der Vakanz dieses Amtes.“

14.      Art. 9 des Gesetzes über den LJR lautet:

„1.      Der Sejm [Abgeordnetenkammer der polnischen Nationalversammlung] wählt aus seiner Mitte vier Mitglieder des Rates für einen Zeitraum von vier Jahren.

2.      Der Senat wählt aus seiner Mitte zwei Mitglieder des Rates für einen Zeitraum von vier Jahren.

3.      Die von Sejm und Senat gewählten Mitglieder des Rates üben ihr Amt bis zur Wahl neuer Mitglieder aus.“

15.      Art. 9a des Gesetzes über den LJR sieht vor:

„1.      Der Sejm wählt fünfzehn Mitglieder des Rates aus der Mitte der Richter des Obersten Gerichts, der Richter der ordentlichen Gerichte, der Verwaltungsgerichte und der Militärgerichte für eine gemeinsame vierjährige Amtszeit.

2.      Bei der in Abs. 1 genannten Wahl wirkt der Sejm so weit wie möglich darauf hin, dass Richter der jeweiligen Zweige und Ebenen der Gerichtsbarkeit im Rat vertreten sind.

3.      Die gemeinsame Amtszeit der neuen Mitglieder des Rates, die aus der Mitte der Richter gewählt wurden, beginnt am Folgetag nach ihrer Wahl. Die Mitglieder der vorangegangenen Amtszeit bleiben bis zum Beginn der gemeinsamen Amtszeit der neuen Mitglieder des Rates im Amt.“

16.      Nach Art. 11a des Gesetzes über den LJR gilt:

„2.      Zur Anmeldung eines Kandidaten für das Amt eines Ratsmitglieds sind berechtigt: Vereinigungen von 1) mindestens zweitausend Bürgern der Republik Polen, die das achtzehnte Lebensjahr vollendet haben, voll geschäftsfähig sind und über alle öffentlichen Rechte verfügen, 2) fünfundzwanzig Richtern, Richter im Ruhestand ausgenommen.“

17.      Art. 11d des Gesetzes über den LJR sieht ferner vor:

„1.      Der Marschall des Sejm ersucht die parlamentarischen Fraktionen, innerhalb von sieben Tagen Kandidaten für den Rat zu benennen.

2.      Eine parlamentarische Fraktion benennt aus dem Kreis der Richter, deren Kandidaturen nach Art. 11a angemeldet wurden, bis zu neun Kandidaten für den Rat.

3.      Wenn die Gesamtzahl der von den parlamentarischen Fraktionen benannten Kandidaten weniger als 15 beträgt, benennt das Präsidium des Sejm die entsprechende Anzahl von Kandidaten, deren Kandidaturen nach Art. 11a angemeldet wurden, um diese Zahl zu erreichen.

4.      Der zuständige Ausschuss des Sejm legt die Kandidatenliste fest, indem er aus den nach den Abs. 2 und 3 benannten Kandidaten fünfzehn Kandidaten für den Rat auswählt, unter dem Vorbehalt, dass diese Liste mindestens einen Kandidaten einer jeden parlamentarischen Fraktion enthält, der innerhalb von sechzig Tagen ab der ersten Sitzung des Sejm in der Legislaturperiode, in der die Wahl getroffen wird, seine Tätigkeit aufgenommen hat, sofern dieser Kandidat durch die Fraktion gemäß Abs. 2 benannt wurde.

5.      Der Sejm wählt in der darauffolgenden Sitzung des Sejm die Mitglieder des Rates für eine gemeinsame vierjährige Amtszeit mit einer Mehrheit von 3/5 der Stimmen, wobei mindestens die Hälfte der gesetzlichen Abgeordnetenzahl anwesend sein muss, indem er über die Kandidatenliste nach Abs. 4 abstimmt.

6.      Werden Mitglieder des Rates nicht nach Abs. 5 gewählt, so wählt der Sejm die Mitglieder des Rates mit absoluter Mehrheit der abgegebenen Stimmen, wobei mindestens die Hälfte der gesetzlichen Abgeordnetenzahl anwesend sein muss, indem er über die Kandidatenlist nach Abs. 4 abstimmt. …“

3.      Das Gesetz über die ordentlichen Gerichte

18.      Art. 22a der Ustawa – Prawo o ustroju sądów powszechnych (Gesetz über den Aufbau der ordentlichen Gerichtsbarkeit) vom 27. Juli 2001 (Dz. U. 2018, Pos. 23, 3, 5, 106, 138, 771, 848, 1000, 1045 und 1443) (im Folgenden: Gesetz über die ordentlichen Gerichte) lautet:

„§ 5.      Ein Richter oder Richteranwärter, dessen Tätigkeits- und infolgedessen Aufgabenbereich geändert wurde, insbesondere durch Zuweisung an eine andere Abteilung des Gerichts, kann innerhalb von sieben Tagen ab Zuweisung des neuen Aufgabenbereichs Beschwerde beim [LJR] einlegen. Die Beschwerde ist nicht statthaft, wenn

1)      er einer Abteilung zugewiesen wurde, die sich mit Sachen der gleichen Art befasst,

2)      ihm Aufgaben innerhalb derselben Abteilung nach den Grundsätzen übertragen wurden, die auch für die übrigen Richter gelten, insbesondere wenn er von einem Referat oder einer anderen spezialisierten Organisationseinheit abberufen wurde.

§ 6.      Die in § 5 genannte Beschwerde ist über den Präsidenten des Gerichts einzureichen, das die Maßnahme getroffen hat, gegen die sich die Beschwerde richtet. Der Gerichtspräsident leitet die Beschwerde innerhalb von 14 Tagen ab dem Datum des Erhalts zusammen mit seiner Stellungnahme zur Sache an den [LJR] weiter. Der [LJR] fasst einen Beschluss, mit dem er unter Berücksichtigung der in § 1 genannten Erwägungen der Beschwerde des Richters abhilft oder sie zurückweist. Der Beschluss des [LJR] betreffend die in § 5 genannte Beschwerde bedarf keiner Begründung. Gegen den Beschluss des [LJR] ist kein Rechtsmittel gegeben. Bis zur Beschlussfassung verrichtet der Richter oder der Richteranwärter weiterhin seine bisherigen Aufgaben.“

19.      Art. 82c des Gesetzes über die ordentlichen Gerichte lautet:

„Richter sind zur Wahrnehmung der ihnen übertragenen Aufgaben eines Richters des Disziplinargerichts beim Berufungsgericht verpflichtet.“

20.      Art. 107 des Gesetzes über die ordentlichen Gerichte lautet:

„§ 1.      Ein Richter kann für Fehlverhalten im Amt, u. a. in Fällen offensichtlicher und grober Missachtung der Rechtsvorschriften und von Verstößen gegen die Würde des Amtes (Disziplinarvergehen), disziplinarisch belangt werden.

§ 2.      Ein Richter kann auch für sein Verhalten vor der Amtsübernahme disziplinarisch belangt werden, wenn er dadurch seine Pflichten im Zusammenhang mit der Ausübung eines öffentlichen Amtes zum damaligen Zeitpunkt verletzt hat oder sich als unwürdig zur Bekleidung des Richteramts erwiesen hat.“

21.      Art. 109a des Gesetzes über die ordentlichen Gerichte lautet:

„§ 1.      Die rechtskräftige Entscheidung des Disziplinargerichts ist öffentlich bekannt zu geben.

§ 2.      Das Disziplinargericht kann auf eine öffentliche Bekanntgabe einer Entscheidung verzichten, wenn dies für die Zwecke des Disziplinarverfahrens entbehrlich oder zum Schutz eines berechtigten privaten Interesses erforderlich ist. …“

22.      Art. 110 des Gesetzes über die ordentlichen Gerichte lautet:

„§ 1.      Zuständig für Disziplinarsachen, die Richter betreffen, sind

1)      in erster Instanz

a)      Disziplinargerichte der Berufungsgerichte in der Zusammensetzung von drei Richtern,

b)      das Oberste Gericht in der Zusammensetzung von zwei Richtern der Disziplinarkammer und einem Geschworenen des Obersten Gerichts bei Disziplinarvergehen, die die Tatbestandsmerkmale vorsätzlicher Straftaten, die von Amts wegen verfolgt werden, oder vorsätzlicher Steuerstraftaten erfüllen, sowie in Angelegenheiten, in denen das Oberste Gericht um die Prüfung einer Disziplinarsache ersucht und das betreffende Fehlverhalten dargelegt hat,

2)      in zweiter Instanz – das Oberste Gericht in der Zusammensetzung von zwei Richtern der Disziplinarkammer und einem Geschworenem des Obersten Gerichts.“

23.      Art. 110a des Gesetzes über die ordentlichen Gerichte lautet:

„§ 1.      Der Justizminister überträgt nach Anhörung des [LJR] die Aufgaben eines Richters des Disziplinargerichts eines Berufungsgerichts Richtern der ordentlichen Gerichte, die über eine zumindest zehnjährige Berufserfahrung als Richter verfügen.“

24.      Art. 112 des Gesetzes über die ordentlichen Gerichte lautet:

„§ 3.      Ein Disziplinarbeauftragter der Richter der ordentlichen Gerichte und zwei Vertreter des Disziplinarbeauftragten der Richter der ordentlichen Gerichte werden durch den Justizminister für eine vierjährige Amtszeit ernannt.“

25.      Art. 112b des Gesetzes über die ordentlichen Gerichte sieht vor:

„§ 1.      Der Justizminister kann einen Disziplinarbeauftragten des Justizministers anweisen, ein bestimmtes Verfahren gegen einen Richter zu betreiben. Die Bestimmung eines Disziplinarbeauftragten schließt die Befassung anderer Disziplinarbeauftragter mit dieser Sache aus.

§ 2.      Der Disziplinarbeauftragte des Justizministers wird aus dem Kreis der Richter der ordentlichen Gerichte oder der Richter am Obersten Gericht berufen. Im Fall von Disziplinarvergehen, die die Tatbestandsmerkmale vorsätzlicher Straftaten erfüllen, die von Amts wegen verfolgt werden, kann der Disziplinarbeauftragte des Justizministers auch aus dem Kreis der vom Generalstaatsanwalt benannten Staatsanwälte berufen werden. In begründeten Fällen, insbesondere wenn der Disziplinarbeauftragte des Justizministers verstirbt oder längere Zeit an der Ausübung seines Amtes gehindert ist, beruft der Justizminister an seiner Stelle einen anderen Richter oder im Fall eines Disziplinarvergehens, das die Tatbestandsmerkmale einer vorsätzlichen Straftat erfüllt, die von Amts wegen verfolgt wird, einen Richter oder Staatsanwalt.

§ 3.      Der Disziplinarbeauftragte des Justizministers kann Verfahren nach Aufforderung des Justizministers einleiten oder einem laufenden Verfahren beitreten.

§ 4.      Die Ernennung eines Disziplinarbeauftragten des Justizministers gilt zugleich als Anweisung zur Einleitung eines Ermittlungs- oder Disziplinarverfahrens.“

26.      Art. 114 des Gesetzes über die ordentlichen Gerichte sieht vor:

„§ 1.      Ein Disziplinarbeauftragter leitet die Ermittlungen nach Aufforderung des Justizministers, des Präsidenten eines Berufungs- oder Bezirksgerichts, des Kollegiums eines Berufungs- oder Bezirksgerichts, des [LJR] oder auf eigene Initiative ein, nachdem er die Umstände, die für das Vorliegen eines Disziplinarvergehens sprechen, vorläufig geprüft hat. Die Ermittlungen sind innerhalb von dreißig Tagen ab ihrer Aufnahme durch den Disziplinarbeauftragten durchzuführen.

§ 9.      Stellt der Disziplinarbeauftragte nach Aufforderung durch die zuständige Einrichtung fest, dass keine Grundlage für die Einleitung eines Disziplinarverfahrens gegeben ist, lehnt er diese durch Entscheidung ab. Eine Abschrift dieser Entscheidung wird der Einrichtung, die die Aufforderung zur Einleitung des Verfahrens vorgebracht hat, dem Kollegium des jeweiligen Bezirks- oder Berufungsgerichts sowie dem Beschuldigten zugestellt. Eine Abschrift des Beschlusses wird auch dem Justizminister zugestellt, der innerhalb von dreißig Tagen Einspruch einlegen kann. Nach Einlegung eines Einspruchs muss das Disziplinarverfahren eingeleitet werden, wobei die Weisungen des Justizministers zum weiteren Verfahrensablauf für den Disziplinarbeauftragten bindend sind.

§ 10.      Wenn das Disziplinarverfahren keine Gründe für die Einleitung des Hauptverfahrens durch das Disziplinargericht bietet, stellt der Disziplinarbeauftragte das Disziplinarverfahren durch Entscheidung ein.

§ 11.      Innerhalb von sieben Tagen nach Zustellung der in § 10 genannten Entscheidung können der Beschuldigte, die Stelle, die die Aufforderung zur Einleitung eines Disziplinarverfahrens eingereicht hat, und das zuständige Kollegium Beschwerde beim Disziplinargericht einlegen.“

27.      Art. 115a des Gesetzes über die ordentlichen Gerichte legt fest:

„§ 1.      Ein unentschuldigtes Nichterscheinen des geladenen Beschuldigten oder seines Verteidigers hindern nicht die Durchführung des Verfahrens.

§ 2.      Kann das Verfahren wegen entschuldigter Abwesenheit des Beschuldigten nicht durchgeführt werden und hat er keinen Verteidiger, teilt ihm das Disziplinargericht von Amts wegen einen Verteidiger zu und bestimmt eine Frist, innerhalb deren der Verteidiger Akteneinsicht zu nehmen hat.

3.      Das Disziplinargericht führt das Verfahren trotz entschuldigter Abwesenheit des geladenen Beschuldigten oder seines Verteidigers durch, es sei denn, der zweckmäßige Ablauf des anhängigen Disziplinarverfahrens steht dem entgegen.“

28.      Art. 115b des Gesetzes über die ordentlichen Gerichte lautet:

„§ 1.      Das Disziplinargericht kann, wenn es auf der Grundlage der vom Disziplinarbeauftragten gesammelten Beweise zu der Überzeugung gelangt, dass die Umstände des Vergehens und die Schuld des Beschuldigten zweifelsfrei feststehen und die Verhängung der in Art. 109 § 1 Nrn. 1 bis 3 genannten Strafen tatangemessen erscheint, einen Strafbefehl erlassen.

§ 2.      Ein Strafbefehl wird durch einen Einzelrichter des Disziplinargerichts erlassen.

§ 3.      Eine in Art. 109 § 1 Nr. 2a genannte Strafe, die durch einen Strafbefehl verhängt wird, beläuft sich auf 5 bis 10 % des Grundgehalts für einen Zeitraum von sechs Monaten bis zu einem Jahr.“

29.      Art. 115c des Gesetzes über die ordentlichen Gerichte lautet:

„Zu Zwecken des Strafverfahrens nach den Art. 168b, 237 oder 237a des Kodeks postępowania karnego [polnische Strafprozessordnung] oder im Wege der operationellen Überwachung erlangte Beweismittel dürfen in Disziplinarverfahren verwertet werden.“

30.      Art. 125 des Gesetzes über die ordentlichen Gerichte lautet:

„Der [LJR], der Präsident des Obersten Gerichts und der Justizminister können die Wiederaufnahme von Disziplinarverfahren verlangen.“

31.      Art. 126 § 1 des Gesetzes über die ordentlichen Gerichte lautet:

„Ein Disziplinarverfahren kann zum Nachteil des Beschuldigten wiederaufgenommen werden, wenn die Einstellung des Verfahrens oder der Erlass der Entscheidung rechtswidrig erfolgte oder wenn innerhalb von fünf Jahren nach der Einstellung des Verfahrens oder dem Erlass der Entscheidung neue Umstände oder Beweismittel zutage treten, die eine Verurteilung oder eine härtere Strafe rechtfertigen könnten.“

32.      Art. 129 des Gesetzes über die ordentlichen Gerichte sieht vor:

„§ 1.      Das Disziplinargericht kann einen Richter, gegen den ein Disziplinar- oder Betreuungsverfahren eingeleitet wurde, von seinen Pflichten suspendieren; die Suspendierung ist auch zulässig, wenn es einen Beschluss erlässt, der die strafrechtliche Verfolgung des Richters gestattet.

§ 2.      Wenn das Disziplinargericht einen Beschluss erlässt, der die strafrechtliche Verfolgung eines Richters wegen einer vorsätzlichen Straftat, die von Amts wegen verfolgt wird, gestattet, suspendiert es diesen Richter automatisch von seinen Pflichten.

§ 3.      Suspendiert das Disziplinargericht einen Richter von seinen Pflichten, setzt es für die Zeit der Suspendierung den Betrag seiner Vergütung um 25 bis 50 % herab; dies gilt nicht für Personen, gegen die ein Betreuungsverfahren eingeleitet wurde.

§ 3a.      Wenn das Disziplinargericht einen Beschluss erlässt, der die strafrechtliche Verfolgung eines Richters im Ruhestand wegen einer vorsätzlichen Straftat gestattet, die von Amts wegen verfolgt wird, setzt es den Betrag seiner Vergütung für die Zeit des Disziplinarverfahrens um 25 bis 50 % herab.

§ 4.      Wenn das Disziplinarverfahren eingestellt oder der Beschuldigte freigesprochen wurde, werden alle Bestandteile der Vergütung bzw. der Bezüge bis zu ihrer vollen Höhe ausgeglichen.“

III. Sachverhalt, Ausgangsverfahren und Vorlagefragen

33.      Die Rechtssache C‑558/18 betrifft eine von der Stadt Łowicz (Polen) (im Folgenden: Kommune) gegen den vom Woiwoden der Woiwodschaft Lodz (Polen) vertretenen Fiskus (im Folgenden: Fiskus) vor dem Sąd Okręgowy w Łodzi, Wydział I Cywilny (Bezirksgericht Lodz, I. Kammer für Zivilsachen, Polen) erhobene Klage.

34.      Dem Vorlagebeschluss zufolge geht es bei der Klage um die Anwendung von Art. 49 der Ustawa dochodach jednostek samorządu terytorialnego (Gesetz über die Einnahmen der Gebietskörperschaften) vom 13. November 2003 (Dz. U. 2017, Pos. 1453, 2203, 2260, und Dz. U. 2018, Pos. 317). Die Kommune macht geltend, dass sie für die Jahre 2005 bis 2015 eine zu niedrige Erstattung der Kosten für die Verwaltung im hoheitlichen Auftrag erhalten habe, und begehrt die Zahlung von 2 357 148 polnischen Zlotys (PLN) zur Deckung dieser Kosten. Das vorlegende Gericht weist darauf hin, dass das Urteil in dieser Sache wahrscheinlich für den Fiskus ungünstig ausfallen werde. Dies lässt das vorlegende Gericht befürchten, dass gegen die mit der Sache befassten Richter im Fall einer bestimmten Entscheidung in der Sache Disziplinarverfahren eingeleitet würden.

35.      Die Rechtssache C‑563/18 betrifft ein Strafverfahren, in dem der Prokurator Generalny zastępowany przez Prokuraturę Krajową (vormals Prokuratura Okręgowa w Płocku) (Generalstaatsanwalt, vertreten durch die nationale Staatsanwaltschaft, Polen [vormals Bezirksstaatsanwaltschaft Plock, Polen]) gegen VX, WW und XV (im Folgenden: Angeklagte) vor dem Sąd Okręgowy w Warszawie w VIII Wydziale Karnym (Bezirksgericht Warschau, VIII. Abteilung für Strafsachen) unter dem Vorsitz des Richters Igor Tuleya Anklage erhoben haben.

36.      Dem Vorlagebeschluss zufolge betrifft das Ausgangsverfahren die Ermittlungen des Prokurator Generalny zastępowany przez Prokuraturę Krajową (vormals Prokuratura Okręgowa w Płocku) (Generalstaatsanwalt, vertreten durch die nationale Staatsanwaltschaft [vormals Bezirksstaatsanwaltschaft Plock]) gegen Mitglieder einer kriminellen Vereinigung, die u. a. Morde und Entführungen von Personen zwecks Erpressung von Lösegeld für ihre Freilassung verübt. Die Angeklagten haben die ihnen zur Last gelegten Taten eingeräumt und beantragt, dass ihnen aufgrund ihrer Zusammenarbeit mit den Strafverfolgungsbehörden eine Kronzeugenregelung zugutekomme. In Anbetracht dessen weist das vorlegende Gericht darauf hin, dass es über die Anwendung einer außerordentlichen Strafmilderung nach Art. 60 §§ 3 bis 5 des polnischen Strafgesetzbuchs zu befinden haben werde. Bei einer solchen Strafmilderung befürchtet das vorlegende Gericht, dass im Fall einer bestimmten Entscheidung in der Sache gegen die Richter des Spruchkörpers und insbesondere gegen Richter Igor Tuleya Disziplinarverfahren eingeleitet werden könnten.

37.      Die vorlegenden Gerichte hegen Zweifel, ob die neue Regelung für Disziplinarverfahren gegen Richter in Polen mit Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV vereinbar ist(10). Sie weisen darauf hin, dass der Justizminister, der auch Generalstaatsanwalt sei, aufgrund der geänderten Regelungen für Disziplinarverfahren gegen Richter, die durch das Gesetz über das Oberste Gericht von 2017 eingeführt worden seien, in Verbindung mit dem Gesetz über den LJR und das Gesetz über die ordentlichen Gerichte entscheidenden Einfluss auf die Einleitung und die Durchführung der Disziplinarverfahren gegen Richter erlangt habe. Die vorlegenden Gerichte sind der Auffassung, dass infolge des beschlossenen Modells für Disziplinarverfahren die Disziplinargerichte zur Entfernung solcher Personen instrumentalisiert werden könnten, die Entscheidungen erließen, die die Behörden missbilligten, und dass von der drohenden Einleitung solcher Disziplinarverfahren wegen richterlicher Entscheidungen eine lähmende Wirkung auf Richter ausgehen könne, was die richterliche Unabhängigkeit unmittelbar bedrohe und wodurch das Risiko entstehe, dass die Justiz für politische Zwecke benutzt werde. In dieser Hinsicht führen die vorlegenden Gerichte u. a. Folgendes aus.

38.      Erstens würden Richter, die Mitglieder der neu geschaffenen Disziplinarkammer des Obersten Gerichts (im Folgenden: Disziplinarkammer) seien, die Disziplinarsachen gegen Richter prüfe, vom LJR zur Ernennung durch den Präsidenten der Republik vorgeschlagen. Jedoch würden die Mitglieder des LJR nunmehr hauptsächlich von den gesetzgebenden Organen gewählt, und somit spiegele seine Zusammensetzung die politischen Orientierungen der regierenden politischen Partei in Polen wider. Dies werde durch die Auswahl der Richterkandidaten für die Disziplinarkammer durch den LJR bekräftigt, was zu Besorgnis hinsichtlich der Billigkeit und Unparteilichkeit von Disziplinarverfahren gegen Richter Anlass gebe. Auch sei der LJR gleichsam zu einem disziplinarischen Gremium geworden, das Rechtsbehelfe gegen Entscheidungen der Gerichtspräsidenten prüfe, die die Zuweisung eines Richters in eine andere Abteilung des Gerichts beträfen.

39.      Darüber hinaus ernenne der Justizminister unmittelbar die Richter der Disziplinargerichte bei den Berufungsgerichten, und die in Kraft befindlichen Vorschriften verpflichteten Richter dazu, die Aufgaben eines Disziplinarrichers wahrzunehmen, da die Weigerung eines Richters die Möglichkeit der Einleitung eines Disziplinarverfahrens gegen diesen Richter mit sich bringe. Der Justizminister ernenne ebenso den Disziplinarbeauftragten und zwei Vertreter des Disziplinarbeauftragten für die Richter der ordentlichen Gerichte, was ihm Einfluss auf die Einleitung von Disziplinarverfahren gegen Richter verleihe. Der neue sogenannte Disziplinarbeauftragte des Justizministers werde vom Justizminister ernannt, um spezifische Verfahren durchzuführen, die Richter beträfen, und habe eine privilegierte Stellung, da seine Einschaltung andere Disziplinarbeauftragte von der Befassung mit einem bestimmten Fall ausschließe. Der Justizminister könne gegen die Entscheidung des Disziplinarbeauftragten, kein Verfahren einzuleiten, Einspruch einlegen, und dies könne dazu führen, dass ein solches Verfahren zeitlich unbefristet fortgeführt werde.

40.      Es bestünden außerdem Bedenken, dass die den Richtern gewährten Prozessgarantien begrenzt seien. Insbesondere könne ein Disziplinargericht Verfahren trotz entschuldigter Abwesenheit des beschuldigten Richters oder seines Vertreters durchführen; es bestehe die Möglichkeit, Strafbefehle zu erlassen und gegen einen Richter Beweismittel zu verwenden, die im Wege einer Straftat erlangt worden seien; die Definition der Verstöße, für die ein Richter zur Verantwortung gezogen werden könne, sei nicht eindeutig, und der Justizminister könne in bestimmten Fällen die Wiedereröffnung eines Disziplinarverfahrens verlangen, was bedeute, dass ein Urteil des Disziplinargerichts nicht verhindern könne, dass ein beschuldigter Richter später wegen derselben Handlung zur Verantwortung gezogen werde.

41.      Die vorlegenden Gerichte weisen darauf hin, dass die neue Regelung für Disziplinarverfahren gegen Richter und die Vorschriften des Gesetzes über das Oberste Gericht von 2017, des Gesetzes über den LJR und des Gesetzes über die ordentlichen Gerichte, die in den Vorlagebeschlüssen aufgeführt seien, von grundlegender Bedeutung für die in den Ausgangsverfahren zu erlassenden Entscheidungen seien, da diese Entscheidungen für die über die Fälle befindenden Richter politisch motivierte Disziplinarstrafen nach sich ziehen könnten, die auf der Grundlage dieser polnischen Gesetze verhängt würden. Dies verstoße gegen Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV, und daher sei die Auslegung dieser Vorschrift von wesentlicher Bedeutung, um den vorlegenden Gerichten ihre Rechtsprechungstätigkeit zu ermöglichen. Die vorlegenden Gerichte sind ferner der Auffassung, dass die Auslegung des Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV für die Ausgangsverfahren maßgebend sei, zumal Art. 267 AEUV ihnen ein gewisses Ermessen dabei einräume, diejenigen Vorschriften des Unionsrechts zu benennen, deren Auslegung für die Entscheidungsfindung in den Ausgangsverfahren erforderlich sei, und da die Vorschriften des polnischen Rechts über Disziplinarverfahren gegen Richter für die Entscheidungen in jenen Fällen von tatsächlicher und nicht nur von hypothetischer Bedeutung seien.

42.      Die vorlegenden Gerichte weisen ferner darauf hin, dass sie europäische Gerichte seien, da Rechtssachen in den vom Unionsrecht erfassten Bereichen, die in Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV genannt seien, in ihre Zuständigkeit fielen.

43.      Unter diesen Umständen hat der Sąd Okręgowy w Łodzi (Bezirksgericht Lodz) in der Rechtssache C‑558/18 entschieden, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof die folgende Frage zur Vorabentscheidung vorzulegen:

Ist Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 des Vertrags über die Europäische Union dahin auszulegen, dass die sich daraus ergebende Pflicht der Mitgliedstaaten, die erforderlichen Rechtsbehelfe zu schaffen, damit ein wirksamer Rechtsschutz in den vom Unionsrecht erfassten Bereichen gewährleistet ist, Bestimmungen entgegenstehen, die das Risiko der Verletzung der Garantie eines unparteiischen Disziplinarverfahrens gegen Richter in Polen wesentlich erhöhen, indem sie

(1)      politische Einflussnahme auf das Disziplinarverfahren ermöglichen,

(2)      die Gefahr heraufbeschwören, dass das System der Disziplinarmaßnahmen dazu genutzt wird, die Entscheidungen der Gerichte einer politischen Kontrolle zu unterwerfen, und

(3)      es ermöglichen, in Disziplinarverfahren gegen Richter Beweismittel zu verwerten, die durch eine Straftat erlangt wurden?

44.      Der Sąd Okręgowy w Warszawie (Bezirksgericht Warschau) hat in der Rechtssache C‑563/18 ebenfalls entschieden, die Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof die folgende Frage zur Vorabentscheidung vorzulegen:

Ist Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 des Vertrags über die Europäische Union dahin auszulegen, dass die sich daraus ergebende Pflicht der Mitgliedstaaten, die erforderlichen Rechtsbehelfe zu schaffen, damit ein wirksamer Rechtsschutz in den vom Unionsrecht erfassten Bereichen gewährleistet ist, Bestimmungen entgegensteht, die die Garantie eines unparteiischen Disziplinarverfahrens gegen Richter in Polen verletzen, indem sie politische Einflussnahme auf die Disziplinarverfahren ermöglichen und die Gefahr heraufbeschwören, dass das System der Disziplinarmaßnahmen dazu genutzt wird, die Entscheidungen der Gerichte einer politischen Kontrolle zu unterwerfen?

IV.    Die auf die Vorabentscheidungsersuchen folgenden Ereignisse

45.      Auf der Grundlage der Nr. 24 der Empfehlungen des Gerichtshofs(11) haben die vorlegenden Gerichte Schreiben eingereicht, die ihre Vorabentscheidungsersuchen ergänzen, um den Gerichtshof von Ereignissen zu unterrichten, die auf diese Ersuchen folgten.

46.      In Bezug auf die Rechtssache C‑558/18 wies das vorlegende Gericht mit einem ersten Schreiben vom 7. Dezember 2018 u. a. darauf hin, der stellvertretende Disziplinarbeauftragte der Richter der ordentlichen Gerichte habe die Richterin Ewa Maciejewska, die das Vorabentscheidungsersuchen in der Rechtssache C‑558/18 eingereicht habe, vorgeladen, um am 20. September 2018 als Zeugin zur „Einschränkung der richterlichen Unabhängigkeit der [im Ausgangsverfahren] den Vorsitz führenden Richerin“ vernommen zu werden. Dieser Disziplinarbeauftragte habe außerdem den Präsidenten des Sąd Okręgowy w Łodzi (Bezirksgericht Lodz) um Auskunft zur Anzahl der gegen den Fiskus erhobenen Zahlungsklagen ersucht, die bei der I. Zivilrechtsabteilung des Sąd Okręgowy w Łodzi (Bezirksgericht Lodz) im Zeitraum von Januar 2015 bis 31. August 2018 eingetragen worden seien, um eine Aufstellung der Fälle dieser Art, die der Kammer der Richterin Maciejewska übertragen worden seien, sowie um Angabe des Inhalts der erlassenen Entscheidungen einschließlich Nennung der Aktenzeichen derjenigen Verfahren, in denen mit Gründen entschieden worden sei.

47.      Mit einem zweiten Schreiben vom 11. Dezember 2018 wies das vorlegende Gericht in der Rechtssache C‑558/18 darauf hin, dass die Richterin Ewa Maciejewska vom stellvertretenden Disziplinarbeauftragten der ordentlichen Gerichte eine Aufforderung erhalten habe, „eine schriftliche Erklärung zu einer möglichen Überschreitung der Zuständigkeit des [vorlegenden Gerichts] durch Ersuchen um Vorabentscheidung entgegen den Voraussetzungen des Art. 267 [AEUV]“ einzureichen.

48.      Im Hinblick auf die Rechtssache C‑563/18 wies das vorlegende Gericht mit einem ersten Schreiben vom 30. Oktober 2018 darauf hin, dass vom Disziplinarbeauftragten der Richter der ordentlichen Gerichte gegen den Richter Igor Tuleya sechs Verfahren betrieben würden, von denen eines die Gründe der vorlegenden Gerichte für die Einreichung der Vorabentscheidungsersuchen in den Rechtssachen C‑558/18 und C‑563/18 betreffe.

49.      Mit einem zweiten Schreiben vom 12. Dezember 2018 wies das vorlegende Gericht in der Rechtssache C‑563/18 insbesondere darauf hin, dass vom Disziplinarbeauftragten der Richter der ordentlichen Gerichte sieben Verfahren gegen den Richter Igor Tuleya betrieben würden und dass er vom stellvertretenden Disziplinarbeauftragten der ordentlichen Gerichte eine Aufforderung erhalten habe, „eine schriftliche Erklärung zu einer möglichen Überschreitung der Zuständigkeit des [vorlegenden Gerichts] durch Ersuchen um Vorabentscheidung entgegen den Voraussetzungen des Art. 267 [AEUV]“ einzureichen.

V.      Das Verfahren vor dem Gerichtshof

50.      Der Gerichtshof hat entschieden, die vorliegenden Rechtssachen zu gemeinsamen schriftlichen und mündlichen Verfahren und zur gemeinsamen Entscheidung zu verbinden.

51.      Mit Beschluss vom 1. Oktober 2018(12) wies der Präsident des Gerichtshofs die Anträge der vorlegenden Gerichte zurück, die vorliegenden Rechtssachen dem beschleunigten Verfahren des Art. 105 Abs. 1 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs zu unterwerfen.

52.      Am 12. November 2018 entschied der Präsident des Gerichtshofs, die Rechtssachen gemäß Art. 53 Abs. 3 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs mit Vorrang zu entscheiden.

53.      Zu den in den vorliegenden Rechtssachen vorgelegten Fragen wurden schriftliche Erklärungen vom Skarb Państwa – Wojewoda Łódzki (Fiskus – Woiwode der Woiwodschaft Lodz), vom Prokurator Generalny zastępowany przez Prokuraturę Krajową (vormals Prokuratura Regionalna w Łodzi) (Generalstaatsanwalt, vertreten durch die nationale Staatsanwaltschaft, Polen, [vormals Regionale Staatsanwaltschaft Lodz, Polen) und vom Prokurator Generalny zastępowany przez Prokuraturę Krajową (vormals Prokuratura Okręgowa w Płocku) (Generalstaatsanwalt, vertreten durch die nationale Staatsanwaltschaft [vormals Bezirksstaatsanwaltschaft Plock]) (im Folgenden: Generalstaatsanwalt), von der niederländischen Regierung, der Republik Lettland, der Republik Polen und der Europäischen Kommission eingereicht.

54.      Der Generalstaatsanwalt, der Rzecznik Praw Obywatelskich (Ombudsmann, Polen), die Republik Polen, die EFTA-Überwachungsbehörde und die Europäische Kommission haben in der Sitzung vom 18. Juni 2019 mündlich verhandelt(13).

VI.    Zusammenfassung des Vorbringens der Beteiligten

A.      Verfahrensrechtliche Einwände

55.      Der Fiskus und Polen machen geltend, dass die Ausgangsverfahren rein innerstaatliche Sachverhalte beträfen und nicht in den Geltungsbereich des Unionsrechts fielen. Der Fiskus betont, es bestehe keine Verbindung zwischen Art. 19 Abs. 1 EUV und dem Ausgangsverfahren, und keine der innerstaatliche Sachverhalte betreffenden Ausnahmen in der Rechtsprechung rechtfertige in den vorliegenden Rechtssachen die Zuständigkeit des Gerichtshofs(14).

56.      Polen, dem sich der Generalstaatsanwalt anschließt, bringt u. a. vor, die Regeln über Disziplinarverfahren fielen in die Zuständigkeiten der Mitgliedstaaten, und daher sei das Unionsrecht nicht auf ihre Beurteilung anwendbar. Nach Ansicht Polens können aus Art. 19 Abs. 1 EUV keine spezifischen Standards im Hinblick auf Disziplinarverfahren abgeleitet werden. Polen betonte in der Sitzung, aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs(15) ergebe sich, dass nach Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV Maßnahmen der Mitgliedstaaten tatsächlich und nicht nur möglicherweise in die Bereiche fallen müssten, die vom Unionsrecht erfasst seien. Der Generalstaatsanwalt argumentierte ferner, wie das Lissabon-Urteil des deutschen Bundesverfassungsgerichts zeige, sei die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten für die Organisation der Justiz nicht durch den Vertrag von Lissabon geändert worden(16).

57.      Die Kommission macht, obwohl sie keine formelle Einrede erhebt, der Vollständigkeit halber geltend, die Ausgangsverfahren fielen nicht in die nach Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV vom Unionsrecht erfassten Bereiche. Sie weist im Hinblick auf die Rechtssache C‑558/18 darauf hin, die Ausübung der Aufgaben im Bereich der öffentlichen Verwaltung sei nicht vom Unionsrecht erfasst und stelle insbesondere keine Beihilfe nach Art. 107 Abs. 1 AEUV dar. Gleichermaßen bringt die Kommission im Hinblick auf die Rechtssache C‑563/18 vor, das Ausgangsverfahren betreffe polnisches Strafrecht und falle insbesondere nicht in den Geltungsbereich des Art. 4 Buchst. b des Rahmenbeschlusses 2008/841/JI des Rates vom 24. Oktober 2008 zur Bekämpfung der organisierten Kriminalität (ABl. 2008, L 300, S. 42) oder des Art. 7 Abs. 4 der Richtlinie (EU) 2016/343 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 9. März 2016 über die Stärkung bestimmter Aspekte der Unschuldsvermutung und des Rechts auf Anwesenheit in der Verhandlung in Strafverfahren (ABl. 2016, L 65, S. 1).

58.      Der Fiskus, der Generalstaatsanwalt, Polen und die Kommission tragen vor, die vorgelegten Fragen seien unzulässig, da sie hypothetisch seien und keine Verbindung zu den Ausgangsverfahren bestehe(17).

59.      Der Fiskus, der Generalstaatsanwalt und Polen machen geltend, die vorlegenden Gerichte legten u. a. nicht, wie es nach der Rechtsprechung, Art. 94 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs und seinen Empfehlungen erforderlich sei, die Gründe für die Prüfung der Frage der Auslegung des Art. 19 Abs. 1 EUV oder die Verbindung zwischen dieser Vorschrift des Unionsrechts und der nationalen, auf die Ausgangsverfahren anwendbaren Rechtsvorschriften dar.

60.      Der Fiskus, der Generalstaatsanwalt und Polen tragen ferner vor, die Antwort des Gerichtshofs sei in den Ausgangsverfahren nicht entscheidungserheblich, da diese Verfahren nichts mit den disziplinarrechtlichen Regelungen in Polen zu tun hätten und gegen die betreffenden Richter derzeit keine Disziplinarverfahren betrieben würden. Ihrer Ansicht nach beziehen sich die Vorlagefragen auf die subjektiven Befürchtungen der Richter, möglicherweise könnten Disziplinarverfahren eingeleitet werden, und beträfen hypothetische Ereignisse; der Gerichtshof habe sich in den Rechtssachen Falciola(18) und Nour(19) mit vergleichbaren Situationen befasst, die zur Zurückweisung der Vorlagefragen geführt hätten. Sie machen außerdem geltend, der Zweck des Vorabentscheidungsverfahrens werde untergraben, wenn nationale Gerichte Fragen vorlegen könnten, die in keinem Bezug zu den Ausgangsverfahren stünden. Der Fiskus betont, die Rechtsprechung des Gerichtshofs(20), die die Bedingung der Maßgeblichkeit der vorgelegten Fragen für die Entscheidung im Ausgangsverfahren lockere, sei in den vorliegenden Rechtssachen nicht einschlägig.

61.      Polen und die Kommission betonen, der Umstand, dass die vorlegenden Gerichte über Fragen urteilen könnten, die die Anwendung oder Auslegung des Unionsrechts beträfen, reiche nicht aus, um die Zulässigkeit der vorgelegten Fragen zu begründen, da diese maßgeblich und erforderlich für die Entscheidung der vor den vorlegenden Gerichten anhängigen Verfahren sein müssten. Der Generalstaatsanwalt und die Kommission machen ferner geltend, die vorliegenden Rechtssachen unterschieden sich von der Rechtssache Associação Sindical dos Juízes Portugueses(21), weil in dieser Rechtssache die Auslegung des Art. 19 Abs. 1 EUV für die Entscheidung über den Rechtsstreit des Ausgangsverfahrens maßgebend gewesen sei.

62.      Die Kommission argumentiert, Art. 19 Abs. 1 EUV sei für den in den Ausgangsverfahren behandelten Gegenstand oder eine etwaige sie betreffende Vorfrage (quaestio in limine litis) unmaßgeblich. Ihrer Ansicht nach liefe eine Antwort des Gerichtshofs auf eine gutachterliche Stellungnahme zu allgemeinen oder hypothetischen Fragen hinaus und würde die in der Rechtsprechung niedergelegten Grenzen des Mechanismus des Vorabentscheidungsverfahrens nach Art. 267 AEUV überschreiten(22). Sie räumt ein, dass die Bedenken der vorlegenden Gerichte hinsichtlich der Möglichkeit, einem Disziplinarverfahren unterworfen zu werden, nicht verworfen werden könnten, ist jedoch der Auffassung, dieser Umstand ändere nichts an der Tatsache, dass die vorgelegten Fragen unzulässig seien. Die Kommission betonte in der mündlichen Verhandlung, dass die vorlegenden Gerichte nichts vorgebracht hätten, was sie dazu veranlassen würde, in Abhängigkeit von einer Antwort des Gerichtshofs über die Auslegung des Art. 19 Abs. 1 EUV zu entscheiden.

63.      Der polnische Ombudsmann und die EFTA-Überwachungsbehörde tragen vor, die vorgelegten Fragen seien zulässig.

64.      Der polnische Ombudsmann argumentiert, der Beschluss in der Rechtssache Falciola(23) sei auf die vorliegenden Rechtssachen nicht anwendbar, da er ergangen sei, bevor Art. 19 Abs. 1 EUV in die Verträge eingefügt worden sei. In den vorliegenden Rechtssachen bestehe ein Bezug zum Unionsrecht hauptsächlich deswegen, weil es notwendig sei, die Effektivität des Art. 19 Abs. 1 EUV und die des Vorabentscheidungsverfahrens nach Art. 267 AEUV zu gewährleisten. Aus dem Urteil Associação Sindical dos Juízes Portugueses(24) folge, dass es auf den Schutz der richterlichen Unabhängigkeit im Sinne von Art. 19 Abs. 1 EUV immer dann ankomme, wenn der nationale Gesetzgeber einem Gericht unter das Unionsrecht fallende Rechtsgebiete zur Entscheidung zuweise, und dieser Schutz sich dann auf die gesamte richterliche Tätigkeit dieses nationalen Gerichts erstrecke, um dieser Vorschrift nicht ihre praktische Wirksamkeit zu nehmen. Richter, die den Schutz von Art. 19 Abs. 1 EUV genössen, müssten außerdem in der Lage sein, Vorabentscheidungsverfahren einzuleiten, ohne dabei Risiken einzugehen, und das Fehlen solcher Garantien stelle als solches in den vorliegenden Rechtssachen einen Unionsrechtsbezug her, unabhängig davon, dass Ermittlungen gegen die vorlegenden Richter eingeleitet worden seien.

65.      Der polnische Ombudsmann trägt ferner vor, die Fragen seien nicht hypothetisch, und eine Antwort des Gerichtshofs sei erforderlich, damit die vorlegenden Gerichte unter dem von Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV gewährten Schutz ihrer richterlichen Unabhängigkeit ihre Entscheidungen fällen könnten. Könnten Richter die Frage der richterlichen Unabhängigkeit nur in gegen sie eingeleiteten Disziplinarverfahren thematisieren, wäre dies mit dem Urteil in der Rechtssache Unibet(25) unvereinbar, in dem der Gerichtshof entschieden habe, dass es für einen wirksamen gerichtlichen Rechtsschutz nicht ausreiche, wenn die Unvereinbarkeit nationalen Rechts mit Unionsrecht dann gerügt werden könne, wenn dem Einzelnen bestimmte Sanktionen drohten.

66.      Die EFTA-Überwachungsbehörde argumentiert, es ergebe sich aus der Rechtssache Associação Sindical dos Juízes Portugueses(26), dass die richterliche Unabhängigkeit unteilbar sei. Ihrer Ansicht nach handeln nationale Gerichte jederzeit als Unionsgerichte und nicht nur dann, wenn sie über Fälle mit Bezug zum Unionsrecht entscheiden. Somit seien die vorliegenden Verfahren zulässig, weil in Bezug auf die Anforderungen an die richterliche Unabhängigkeit nationaler Gerichte eindeutig eine unionsrechtliche Frage beantwortet werden müsse.

B.      Stellungnahmen zum materiellen Recht

67.      Der polnische Ombudsmann schlägt vor, die Vorlagefragen zu bejahen. Er argumentiert, unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Gerichtshofs(27) stellten die polnischen Maßnahmen über Disziplinarverfahren nicht sicher, dass Richter vor unverhältnismäßiger Kontrolle durch die Exekutivbehörden geschützt würden. Er macht u. a. geltend, der Justizminister ernenne die Richter der Disziplinargerichte bei den Berufungsgerichten zwar für eine unbestimmte Amtszeit, doch ende diese Amtszeit, wenn gegen den Richter Disziplinarsanktionen verhängt würden, und es habe Situationen gegeben, in denen Richter die Einleitung von Disziplinarverfahren gegen einen anderen Richter abgelehnt hätten, worauf gegen sie Disziplinarverfahren betrieben worden seien. Er weist darauf hin, der Justizminister ernenne den Disziplinarbeauftragten für die Richter der ordentlichen Gerichte sowie die zwei Vertreter, und er könne der Entscheidung eines Disziplinarbeauftragten, kein Disziplinarverfahren einzuleiten, widersprechen, woraufhin dann ein Disziplinarverfahren einzuleiten sei; Weisungen des Justizministers zur Durchführung dieser Verfahren seien für den Disziplinarbeauftragten bindend.

68.      Darüber hinaus kann dem polnischen Ombudsmann zufolge der Justizminister den Disziplinarbeauftragten des Justizministers bestimmen, was das Tätigwerden anderer Disziplinarbeauftragter ausschließe und der Verpflichtung zur Eröffnung eines Disziplinarverfahrens gleichkomme. Disziplinarverfahren könnten ohne festen zeitlichen Rahmen eingeleitet werden, was einen Verstoß gegen das Erfordernis darstelle, Fälle binnen einer angemessenen Frist zu entscheiden, und der Justizminister könne die Wiedereröffnung eines Disziplinarverfahrens verlangen, was es ermögliche, einen Richter, wenn neue Umstände oder Beweismittel vorlägen, wegen derselben Verstöße zu maßregeln.

69.      Der polnische Ombudsmann argumentiert ferner, es fehle an der erforderlichen Garantie der Verteidigungsrechte der Richter in Disziplinarverfahren. Insbesondere macht er geltend, das Disziplinargericht könne in Disziplinarverfahren auch bei entschuldigter Abwesenheit des beschuldigten Richters und seines Vertreters entscheiden, und führt in Bezug auf Art. 115c des Gesetzes über die ordentlichen Gerichte aus, die Verwertung von Beweismitteln aus Strafverfahren sei in Disziplinarverfahren über Fehlverhalten im Amt nicht gerechtfertigt. Seiner Ansicht nach sind auch die institutionellen Aspekte der Regelung über Disziplinarverfahren problematisch, wie etwa der Rückgriff auf Laienrichter in der Disziplinarkammer, weil zur Entscheidung disziplinarrechtlich gelagerter Fälle Rechtskenntnisse erforderlich seien, und der Umstand, dass der Präsident der Disziplinarkammer das Disziplinargericht erster Instanz bestimme, was Zweifel daran begründe, ob es sich bei einem solchen Gericht um ein auf Gesetz beruhendes Gericht handele.

70.      Der Generalstaatsanwalt argumentiert, die polnische Regelung über Disziplinarverfahren gegen Richter entspreche der Garantie der richterlichen Unabhängigkeit nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs(28) sowie den Standards, die sich aus der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte(29) ergäben. Insbesondere weist er darauf hin, dass der Justizminister zwar Disziplinarverfahren einleiten und Widerspruch gegen eine Entscheidung einlegen könne, mit der die Eröffnung solcher Verfahren abgelehnt werde, doch könne er weder den Ausgang des Verfahrens bestimmen noch Sanktionen gegen einen Richter verhängen. Seiner Ansicht nach erhöhten Polens Reformen des Disziplinarsystems die Verantwortlichkeit der Richter. Er betonte in der Sitzung, es gebe keine Disziplinarverantwortung der Richter für den Inhalt ihrer Entscheidungen, und gegen niemanden würden wegen Vorabentscheidungsersuchen Disziplinarverfahren betrieben; das Ermittlungsverfahren, an dem die Richter in den vorliegenden Rechtssachen mitwirkten, sei von anderer Art und suche nach einer Erklärung, warum die Ersuchen identisch seien.

71.      Polen argumentiert, das polnische Rechtssystem enthalte keine Vorschriften, die gegen die Gewährleistung unabhängiger Disziplinarverfahren gegen Richter verstießen oder das Risiko von Verstößen gegen diese Garantien erhöhten. Die Ersuchen bezögen sich auf Maßnahmen, die es in Polen nicht gebe, und seien hypothetisch, da sie nicht angäben, gegen welche konkrete Garantie verstoßen worden und wie dies geschehen sei. Darüber hinaus macht Polen geltend, es sei schwer, auf die Vorbringen in den Ersuchen zu antworten, da sie aus einer selektiven Darlegung bestimmter Vorschriften des polnischen Rechts in Bezug auf Disziplinarverfahren bestünden, die mit subjektiven Beurteilungen vermischt seien, deren Ziel darin bestehe, eine allgemeine Kritik der Reform des Justizsystems in Polen zu formulieren.

72.      Polen bringt u. a. vor, weder der Justizminister noch ein anderes Organ der Exekutive entscheide in Disziplinarverfahren oder verhänge Disziplinarsanktionen gegen Richter. Gemäß den Art. 110 und 110a des Gesetzes über die ordentlichen Gerichte befänden Disziplinargerichte an Berufungsgerichten über Disziplinarverfahren gegen Richter der ordentlichen Gerichte und in gewissen Fällen die Disziplinarkammer. Die Richter der Disziplinarkammer würden in Einklang mit Art. 179 der polnischen Verfassung vom Präsidenten der Republik ernannt, und der Justizminister ernenne nach Anhörung des LJR die Richter der Disziplinargerichte der Berufungsgerichte für eine  sechsjährige Amtszeit aus der Mitte der Richter mit einem Dienstalter von mindestens zehn Jahren und somit aus der Mitte der Richter, die zu diesem Amt in Einklang mit der polnischen Verfassung ernannt worden seien. Die Richter, die in Disziplinarverfahren gegen Richter urteilten, genössen die formelle Garantie der Unabhängigkeit(30) einschließlich der Ernennung für eine unbegrenzte Zeit, der Unabsetzbarkeit, der Immunität, der Garantie der Vergütung und der Verpflichtung, sich nicht politisch zu betätigen(31).

73.      Polen betont, insbesondere deshalb übe weder der Justizminister noch ein anderer Politiker Einfluss auf die Disziplinargerichte und die Richter aus, die Mitglieder solcher Gerichte seien, weil sie erstens nicht die Zusammensetzung der Disziplinargerichte bestimmten, die nach Art. 111 des Gesetzes über die ordentlichen Gerichte durch Auslosung aus einer Liste der Richter des jeweiligen Gerichts bestimmt würden, weil sie zweitens den Richtern der Disziplinargerichte keine Vorgaben machen könnten, weil sie drittens die Richter an den Disziplinargerichten nicht absetzen könnten, weil sie viertens keinen Richter von einem Fall entbinden könnten, mit dem er befasst sei, und weil sie fünftens kein Recht hätten, die Tätigkeit der Disziplinargerichte zu kontrollieren.

74.      Polen erkennt an, der Justizminister habe gewisse Befugnisse, Disziplinarverfahren einzuleiten, da er einen Disziplinarbeauftragten auffordern könne, ein Disziplinarverfahren einzuleiten, der Entscheidung dieses Disziplinarbeauftragten, die Eröffnung eines Disziplinarverfahrens abzulehnen, widersprechen könne, oder einen Disziplinarbeauftragten des Justizministeriums zur Bearbeitung eines spezifischen Falles bestimmen könne. Polen betont, selbst dann übe der Justizminister nur einen indirekten Einfluss aus, nämlich hauptsächlich dadurch, dass er sich gegen eine Entscheidung wenden könne, die Einleitung eines Disziplinarverfahrens abzulehnen, und habe keinen Einfluss auf den Ausgang des vom Disziplinarbeauftragten eingeleiteten Verfahrens oder die Entscheidung des Disziplinargerichts. In der mündlichen Verhandlung legte Polen dar, der Disziplinarbeauftragte des Justizministers werde in Situationen benannt, in denen es erforderlich sei, den Schwerpunkt auf ein Verfahren zu legen, und dieses Amt sei geschaffen worden, um die Arbeitslast der Disziplinarbeauftragten zu erleichtern und Fälle zu bearbeiten, die komplexe rechtliche und tatsächliche Umstände umfassten.

75.      Polen trägt vor, Richter genössen in Disziplinarverfahren die prozessualen Garantien eines fairen Verfahrens. Die Fälle würden von einem Gericht auf der Grundlage des Gesetzes über die ordentlichen Gerichte entschieden; die Richter, die in diesen Fällen entschieden, seien den Garantien der Unparteilichkeit und Unabhängigkeit unterworfen, und die Disziplinarverfahren seien nach Art. 116 Abs. 1 des Gesetzes über die ordentlichen Gerichte öffentlich. Polen weist darauf hin, dass in Disziplinarverfahren die Grundsätze der Waffengleichheit und ne bis in idem respektiert würden, dass der beschuldigte Richter einen Verteidiger aus der Mitte der Richter, Staatsanwälte, Rechtsanwälte oder Rechtsberater benennen könne und dass er im Krankheitsfall das Recht auf einen Pflichtverteidiger nach Art. 113 Abs. 1 und 2 des Gesetzes über die ordentlichen Gerichte habe; für den Richter gelte außerdem die Unschuldsvermutung, und er könne gegen die Entscheidung des Disziplinargerichts erster Instanz ein Rechtsmittel einlegen, das nach Art. 121 des Gesetzes über die ordentlichen Gerichte binnen zwei Monaten ab der Einreichung zu prüfen sei. Die Definition der Disziplinarvergehen in Art. 107 des Gesetzes über die ordentlichen Gerichte sei seit vielen Jahren unverändert geblieben und gewährleiste Flexibilität und Vorhersehbarkeit. In der mündlichen Verhandlung hat Polen betont, es gebe keine Disziplinarverantwortlichkeit für den Inhalt richterlicher Entscheidungen.

76.      Im Hinblick auf die Schreiben der vorlegenden Gerichte, die ihre Vorabentscheidungsersuchen ergänzen, stellt Polen fest, der Disziplinarbeauftragte der Richter der ordentlichen Gerichte habe auf die in diesen Briefen enthaltenen Angaben in einer Mitteilung „über die Ermittlungsverfahren unter Mitwirkung der Richter Ewa Maciejewska und Igor Tuleya in Verbindung mit der Vorlage von Vorabentscheidungsersuchen beim Gerichtshof der Europäischen Union“ erwidert(32). Dieser Mitteilung zufolge habe der Ermittlungszweck darin bestanden, festzustellen, ob ein Richter versucht habe, Einfluss auf die vorlegenden Richter auszuüben, um den Inhalt der Urteile in den Fällen, zu denen diese Fragen gestellt worden seien, zu beeinflussen. Der Verdacht eines Disziplinarvergehens sei entstanden, da die Vorlagebeschlüsse nahezu identisch seien. Polen legt ferner dar, der stellvertretende Disziplinarbeauftragte für Richter der ordentlichen Gerichte habe die Ermittlung in Ermangelung eines dienstlichen Fehlverhaltens eingestellt, und die betreffenden Richter hätten in diesen Verfahren den Status von Zeugen und nicht den beschuldigter Richter gehabt. Darüber hinaus weist Polen darauf hin, gegen diese Richter werde derzeit kein Disziplinarverfahren durchgeführt, und sie seien lediglich als Zeugen in Fällen gehört worden, die andere Richter beträfen.

77.      Lettland schlägt dem Gerichtshof vor, auf die Vorlagefragen zu antworten, Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV sei dahin auszulegen, dass ein Mitgliedstaat die Verpflichtung habe, sicherzustellen, dass die Regelung für Disziplinarverfahren gegen Richter der Garantie der richterlichen Unabhängigkeit Rechnung trage. Es betont, eine solche Regelung müsse, wie die Regelung Lettlands über Disziplinarverfahren veranschauliche, den in der Rechtsprechung des Gerichtshofs niedergelegten Garantien(33) entsprechen. Es merkt an, richterliche Entscheidungen lösten grundsätzlich keine Disziplinarverantwortlichkeit der Richter aus, und nur für ein offenkundiges und unentschuldbares Fehlverhalten könnten sie zur Verantwortung gezogen werden(34). Lettland betont, dass zwischen der richterlichen Unabhängigkeit und dem Grundsatz der Gewaltenteilung sowie dem Rechtsstaatsprinzip, wie es u. a. in der lettischen und der unionsrechtlichen Rechtsordnung anerkannt werde, eine Verbindung bestehe(35).

78.      Die Niederlande schlagen vor, die Vorlagefragen sollten bejaht werden(36). Sie sind der Ansicht, aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs(37) ergebe sich, dass nationale Maßnahmen, die, wie von den vorlegenden Gerichten ausgeführt, politischen Einfluss auf Disziplinarverfahren gegen Richter mit sich bringen oder erlauben und die zur Ausübung politscher Kontrolle über den Inhalt richterlicher Entscheidungen genutzt werden können, gegen den Grundsatz der richterlichen Unabhängigkeit nach Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV in Verbindung mit Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden: Charta) verstoßen.

79.      Die EFTA-Überwachungsbehörde betont die Bedeutung der richterlichen Unabhängigkeit für die Beachtung des in den Rechtsordnungen des Europäischen Wirtschaftsraums und der Europäischen Union anerkannten Rechtsstaatsprinzips(38). Sie bringt Bedenken zum Ausdruck, dass auf der Grundlage der Rechtsprechung des Gerichtshofs(39) eine Reihe von Aspekten der polnischen Regelung über Disziplinarverfahren gegen Richter mit den Erfordernissen der richterlichen Unabhängigkeit unvereinbar seien. Diese Aspekte umfassten Folgendes: Erstens sei der Disziplinarverstoß des Fehlverhaltens im Amt nicht klar definiert, zweitens scheine im Hinblick auf die Zusammensetzung der Disziplinarkammer und die Ernennung der Disziplinarbeauftragten durch die Exekutive zwischen der Stelle, die für die Disziplinarverfahren zuständig sei, und der Exekutive eine Verbindung hinsichtlich der Prüfung der Fälle und der Ermittlungsergebnisse zu bestehen, drittens sei die Nutzung in Disziplinarverfahren von Beweismitteln zu nennen, die in Strafverfahren oder durch operationelle Überwachung erlangt worden seien, viertens bestünden Bedenken hinsichtlich der Unabhängigkeit der Disziplinarkammer, und fünftens seien die Disziplinarsanktionen hart, und Verfahren könnten zum Nachteil der beschuldigten Richter wiedereröffnet werden.

80.      Die EFTA-Überwachungsbehörde bringt vor, es sei das Gesamtbild der Rechtsänderungen bezüglich des Justizsystems in Polen zu berücksichtigen; wenn jede Änderung einzeln ohne die Betrachtung der kumulativen Wirkungen betrachtet werde, bestehe das Risiko, dass der vollen Wirkung dessen, was sich als eine Reihe koordinierter Maßnahmen darstelle, nicht genügend Beachtung geschenkt werde. Sie betont außerdem, von dem Umstand, dass die vorlegenden Gerichte aufgefordert worden seien, schriftliche Stellungnahmen zu den Vorlagefragen abzugeben, gehe eine abschreckende Wirkung aus.

81.      Die Kommission hat in der mündlichen Verhandlung hilfsweise vorgetragen, die Regelung für Disziplinarverfahren in Polen verstoße nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs(40) gegen den Grundsatz der richterlichen Unabhängigkeit, da sie nicht die erforderliche Garantie biete, um das Risiko der Nutzung dieser Regelung als Werkzeug politischer Kontrolle des Inhalts richterlicher Entscheidungen auszuschließen. Aus diesem Grund hat die Kommission ausgeführt, sie habe gegen Polen ein Vertragsverletzungsverfahren nach Art. 258 AEUV eingeleitet und gerügt, dass die neue Regelung für Disziplinarverfahren gegen Richter mit Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV in Verbindung mit Art. 47 der Charta unvereinbar sei(41).

82.      Ihr Vorbringen im Rahmen dieses Verfahrens fasst die Kommission zusammen und führt hierzu insbesondere aus: Erstens ermögliche es das polnische Recht, Richter der ordentlichen Gerichte wegen des Inhalts ihrer richterlichen Entscheidungen einschließlich der Vorabentscheidungsersuchen disziplinarisch zur Verantwortung zu ziehen, zweitens entspreche die Disziplinarkammer nicht den Erfordernissen an die richterliche Unabhängigkeit nach Unionsrecht, was in den anhängigen verbundenen Rechtssachen C‑585/18, C‑624/18 und C‑625/18, A.K. u. a. (Unabhängigkeit der Disziplinarkammer des Obersten Gerichts), behandelt werde, drittens stelle die polnische Regelung über Disziplinarverfahren nicht sicher, dass ein auf Gesetz beruhendes Gericht in erster Instanz in einem Disziplinarverfahren gegen einen Richter eines ordentlichen Gerichts entscheide, da der Präsident der Disziplinarkammer ad hoc und nach freiem Ermessen bestimme, welches Disziplinargericht über den Fall befinde, und viertens seien die Verfahrensrechte der Richter in Disziplinarverfahren eingeschränkt, da die Regelung nicht länger gewährleiste, dass Fälle binnen angemessener Frist behandelt würden, und da die Verteidigungsrechte der beschuldigten Richter beeinträchtigt seien.

VII. Würdigung

83.      Ich bin zu dem Ergebnis gekommen, dass die Vorabentscheidungsersuchen in den vorliegenden Rechtssachen unzulässig sind, da der Gerichtshof nicht über ausreichende tatsächliche und rechtliche Angaben verfügt, um zu entscheiden, ob ein Verstoß gegen die Verpflichtung der Mitgliedstaaten nach Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV vorliegt, die richterliche Unabhängigkeit zu garantieren.

84.      Genauer gesagt folgt aus dem Umstand, dass es in den Vorlagebeschlüssen, was mit den Anforderungen des Art. 94 Buchst. c der Verfahrensordnung des Gerichtshofs unvereinbar ist, an einer Erklärung fehlt, welche Verbindung zwischen den fraglichen Maßnahmen des Mitgliedstaats und Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV bestehen soll, dass die vorlegenden Gerichte allgemeine Fragen vorgelegt haben. Würde der Gerichtshof auf diese Fragen antworten, wäre dies ein nicht in Art. 267 AEUV vorgesehenes Gutachten.

85.      Meine Prüfung gliedert sich in zwei Teile. Zunächst werde ich in Abschnitt A prüfen, ob die Ausgangsverfahren in den sachlichen Anwendungsbereich des Unionsrechts und insbesondere des Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV fallen. Sodann werde ich in Abschnitt B eine Beurteilung der Zulässigkeit der Vorabentscheidungsersuchen vornehmen. Im Zuge der Erörterungen in Abschnitt B wird gezeigt werden, warum in den Verfahrensunterlagen keine ausreichenden Angaben für eine inhaltliche Beurteilung der Frage vorhanden sind, ob ein struktureller Verstoß gegen die richterliche Unabhängigkeit nach Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV vorliegt. Aus diesem Grund werde ich nicht darauf eingehen, ob ein Verstoß gegen die in Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV verankerten Garantien vorliegt.

A.      Die Situation in den Ausgangsverfahren fällt in den sachlichen Anwendungsbereich des Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV

86.      Meiner Ansicht nach fällt die Situation in den Ausgangsverfahren in den sachlichen Anwendungsbereich des Unionsrechts und, genauer gesagt, von Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV.

87.      In seinem Urteil vom 24. Juni 2019, Kommission/Polen (Unabhängigkeit des Obersten Gerichts) (C‑619/18)(42), hat der Gerichtshof bestätigt, dass hinsichtlich des sachlichen Anwendungsbereichs des Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV diese Bestimmung in „den vom Unionsrecht erfassten Bereichen“ Anwendung findet, ohne dass es insoweit darauf ankäme, in welchem Kontext die Mitgliedstaaten Unionsrecht im Sinne von Art. 51 Abs. 1 der Charta durchführen. In Rn. 51 dieses Urteils hat der Gerichtshof wie folgt entschieden:

„Entgegen der von der Republik Polen und Ungarn hierzu vertretenen Auffassung hat der Umstand, dass die nationalen Maßnahmen zur Kürzung von Bezügen, die in der Rechtssache in Rede standen, in der das Urteil vom 27. Februar 2018, Associação Sindical dos Juízes Portugueses (C‑64/16, EU:C:2018:117), ergangen ist, erlassen worden waren, weil sich der betreffende Mitgliedstaat gezwungen sah, ein übermäßiges Haushaltsdefizit abzubauen, und mit einem Finanzhilfeprogramm der Union für diesen Mitgliedstaat zusammenhingen, wie sich aus den Rn. 29 bis 40 jenes Urteils ergibt, keine Rolle bei der Auslegung gespielt, die den Gerichtshof zu der Feststellung veranlasst hat, dass Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV in der betreffenden Rechtssache anwendbar war. Diese Feststellung stützte sich nämlich auf den Umstand, dass die nationale Einrichtung, um die es in dieser Rechtssache ging, nämlich das Tribunal de Contas (Rechnungshof, Portugal), – vorbehaltlich einer Überprüfung durch das jene Rechtssache vorlegende Gericht – als ‚Gericht‘ über Fragen der Anwendung oder der Auslegung des Unionsrechts und somit über Fragen aus den vom Unionsrecht erfassten Bereichen zu entscheiden hatte (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 27. Februar 2018, Associação Sindical dos Juízes Portugueses, C‑64/16, EU:C:2018:117‚ Rn. 40).“(43)

88.      In dem gerade erwähnten Urteil ist bemerkenswert, dass der Gerichtshof die von Polen und Ungarn vorgebrachten Argumente zurückgewiesen hatte, Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV sei in der Rechtssache Associação Sindical dos Juízes Portugueses anwendbar, weil die streitigen nationalen Maßnahmen zur Kürzung von Bezügen, die zu dem Urteil des Gerichtshofs in dieser Rechtssache Anlass gaben, wegen des Erfordernisses, ein übermäßiges Haushaltsdefizit in dem betreffenden Mitgliedstaat zu begrenzen, im Kontext eines EU-Finanzhilfeprogramms erlassen worden seien. Der Gerichtshof hat vielmehr bestätigt, in der Rechtssache Associação Sindical dos Juízes Portugueses sei es im Wesentlichen darum gegangen, dass die fragliche nationale Einrichtung in dieser Rechtssache als Gericht, nach meinem Verständnis im Sinne von Art. 267 AEUV, über Fragen der Anwendung oder der Auslegung des Unionsrechts und somit über Fragen aus den vom Unionsrecht erfassten Bereichen zu entscheiden hatte.

89.      Dies trifft in den vorliegenden Rechtssachen auch auf die vorlegenden Gerichte zu (vgl. Nr. 42 dieser Schlussanträge). Es ist unstreitig, dass sie Einrichtungen sind, die als Gerichte nach Art. 267 AEUV über Fragen der Anwendung oder Auslegung des Unionsrechts zu entscheiden hatten. Daher fallen die vorlegenden Gerichte grundsätzlich in den sachlichen Anwendungsbereich von Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV und ist diese Vorschrift in den vorliegenden Rechtssachen anwendbar.

90.      Gleichwohl bin ich der Ansicht, dass der Gerichtshof in seinen Urteilen Associação Sindical dos Juízes Portugueses oder Kommission/Polen (Unabhängigkeit des Obersten Gerichts) (C‑619/18) nicht entschieden hat, dass der weite sachliche Anwendungsbereich von Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV die Regeln des Gerichtshofs zur Zulässigkeit von Vorabentscheidungsersuchen verdrängt oder abschwächt. Es ist dieser Gesichtspunkt – der in den Verfahren fehlte, die zu meinen Schlussanträgen in den verbundenen Rechtssachen A.K. u. a. (Unabhängigkeit der Disziplinarkammer des Obersten Gerichts)(44) Anlass gaben, einem weiteren Vorabentscheidungsersuchen eines polnischen Gerichts zur Vereinbarkeit polnischer Maßnahmen mit den Erfordernissen der richterlichen Unabhängigkeit nach Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV – der einer Entscheidung über die Frage, ob in den vorliegenden Verfahren ein Verstoß gegen Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV gegeben ist, entgegensteht. Dies wird im Weiteren in Abschnitt B dieser Schlussanträge erörtert werden.

91.      Der weite sachliche Anwendungsbereich des Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV bedeutet ferner, dass entgegen den Einlassungen des Fiskus die Rechtsprechung des Gerichtshofs zu sogenannten innerstaatlichen Sachverhalten und insbesondere sein Urteil Ullens de Schooten(45) auf die Lage in den Ausgangsverfahren keine Anwendung findet. Diese Rechtsprechung betrifft die Befugnis des Gerichtshofs, auf Vorabentscheidungsersuchen auch unter Umständen zu antworten, die als Abweichung von der allgemeinen Regel angesehen werden können, wonach innerstaatliche Sachverhalte, deren Fallmerkmale sämtlich nicht über die Grenzen eines einzigen Mitgliedstaats hinausweisen, nicht in den Geltungsbereich des Unionsrechts fallen. Diese Rechtsprechung ist weitgehend im Kontext von Vorabentscheidungsersuchen angesiedelt, die sich auf die Freizügigkeitsregeln der Union und andere Bereiche des Unionsrechts beziehen, in denen grundsätzlich ein Auslandsbezug erforderlich ist(46). Die vorliegenden Rechtssachen betreffen den Anwendungsbereich von Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV. Dies kann definitionsgemäß nicht als rein innerstaatliche Angelegenheit eingestuft werden.

92.      Die „vom Unionsrecht erfassten Bereiche“ nach Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV umfassen nämlich eine dem Gerichtshof verliehene Befugnis, über strukturelle Verstöße gegen die Garantien der richterlichen Unabhängigkeit zu entscheiden, weil Art. 19 EUV einen konkreten Ausdruck der Rechtsstaatlichkeit, einen der Grundwerte, auf den sich die Europäische Union nach Art. 2 EUV gründet, darstellt, und die Mitgliedstaaten sind nach Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV verpflichtet, „die erforderlichen Rechtsbehelfe zu schaffen, damit ein wirksamer Rechtsschutz … gewährleistet ist“(47). Strukturelle Verstöße gegen die richterliche Unabhängigkeit wirken sich unweigerlich auf den Vorabentscheidungsmechanismus nach Art. 267 AEUV und daher auf die Befugnis der mitgliedstaatlichen Gerichte aus, als Unionsgerichte zu handeln.

93.      Insoweit folge ich den Argumenten des polnischen Ombudsmanns in Nr. 64 dieser Schlussanträge zur Bedeutung der Wendung „vom Unionsrecht erfasste Bereiche“ im Sinne von Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV(48) und weise diejenigen des Generalstaatsanwalts und von Polen in Nr. 56 dieser Schlussanträge zurück, wonach eine Entscheidung mit der Maßgabe, dass die Ausgangsverfahren in den sachlichen Anwendungsbereich von Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV fielen, in die Verteilung der Zuständigkeiten zwischen der Europäischen Union und den Mitgliedstaaten eingriffe. In den hier beschriebenen spezifischen Fallkonstellationen wirkt sich das Unionsrecht nämlich auf die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten aus, ihr Rechtspflegesystem zu organisieren.

94.      Es ist daher meiner Ansicht nach ohne Belang, dass es in den Ausgangsverfahren um die Anwendung von polnischen Rechtsvorschriften aus dem Bereich der öffentlichen Verwaltung (Rechtssache C‑558/18) und des polnischen Strafrechts (Rechtssache C‑563/18) geht. Wie vom Gerichtshof in Rn. 51 des Urteils Kommission/Polen (Unabhängigkeit des Obersten Gerichts) (C‑619/18) klargestellt und in Nr. 87 dieser Schlussanträge wiedergegeben, ist der sachliche Anwendungsbereich des Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV in keiner Weise daran gekoppelt, dass der Rechtsstreit, in dem die richterliche Unabhängigkeit angezweifelt wird, materiell-rechtlich das Unionsrecht betrifft. Wie oben in den Nrn. 88 und 89 dieser Schlussanträge ausgeführt, reicht der sachliche Anwendungsbereich des Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV weit. Ob der Verstoß gegen die richterliche Unabhängigkeit struktureller Art ist und daher einen Verstoß gegen Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV darstellt oder nicht, ist eine andere Frage (vgl. Nr. 125 dieser Schlussanträge).

95.      Somit sind die Ähnlichkeiten der vorliegenden Rechtssachen mit den Beschlüssen des Gerichtshofs in den Rechtssachen Falciola(49) und Nour(50) für die Sachverhalte der Ausgangsverfahren nicht direkt einschlägig, da diese Entscheidungen zeitlich vor den Urteilen des Gerichtshofs in den Rechtssachen Associação Sindical dos Juízes Portugueses und Kommission/Polen (Unabhängigkeit des Obersten Gerichts) (C‑619/18) ergingen.

96.      Im Beschluss des Gerichtshofs (Plenum) vom 26. Januar 1990, Falciola(51), betraf der beim vorlegenden Gericht anhängige Rechtsstreit die Anwendung der Unionsregeln über die öffentliche Auftragsvergabe, doch ging aus dem Vorlagebeschluss eindeutig hervor, dass die Vorlageverfahren auf eine Entscheidung darüber abzielten, ob die nationalen Richter ungeachtet des Erlasses italienischer Rechtsvorschriften über die Haftung der Richter ihre Aufgaben als Unionsrichter auf eine unabhängige und unparteiliche Art ausüben konnten. Der Gerichtshof hat entschieden, dass die vorgelegten Fragen in keinem Zusammenhang mit dem Ausgangsrechtsstreit standen, da sie nicht die Auslegung der fraglichen Unionsregeln über die öffentliche Auftragsvergabe betrafen und sich das vorlegende Gericht „lediglich fragt[e], welche psychologischen Reaktionen der Erlass des … Gesetzes … bei bestimmten italienischen Richtern hervorrufen könnte“. Folglich entschied der Gerichtshof, dass die Vorlagefragen nicht eine für die Entscheidung des Ausgangsrechtsstreits objektiv erforderliche Auslegung des Unionsrechts betrafen und er für die Beantwortung dieser Fragen nicht zuständig war.

97.      Ebenso entschied der Gerichtshof in seinem Beschluss vom 25. Mai 1998 in der Rechtssache Nour(52), dass die Vorlagefragen in keinem Zusammenhang mit dem Ausgangsrechtsstreit standen und er für ihre Beantwortung nicht zuständig war. Diese Fragen waren von einer österreichischen Berufungskommission im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen einem Arzt und einer Krankenkasse wegen seiner Honorare vorgelegt worden und betrafen allgemeine Rechtsgrundsätze als Bestandteil des Unionsrechts im Hinblick auf bestimmte Aspekte der Tätigkeit dieser Kommission. Die Erwägungen des Gerichtshofs beruhten auf drei Gründen. Erstens lagen die Vorlagefragen außerhalb des Rahmens des Rechtsstreits und bezogen sich nicht auf eine Auslegung des Unionsrechts, die für die Entscheidung über diesen Rechtsstreit objektiv erforderlich war. Zweitens war es im Rahmen des Verfahrens nach Art. 267 AEUV nicht zulässig, einem nationalen Richter zu gestatten, Fragen, die im Zusammenhang mit einem Rechtsstreit standen, den er in eigener Sache führte, durch das Gericht, dessen Vorsitzender er war, und im Kontext eines anderen Verfahrens vorzulegen, wie es der Vorsitzende dieser Berufungskommission getan hatte. Drittens war die Anwendbarkeit des Unionsrechts auf den Sachverhalt des Ausgangsverfahrens nicht dargelegt worden.

98.      Jedoch betraf keine dieser Rechtssachen Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV. Unter Berücksichtigung der vorstehenden Erwägungen sollte der Einwand zurückgewiesen werden, die Sachverhalte der Ausgangsverfahren fielen nicht in den sachlichen Anwendungsbereich von Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV.

B.      Warum die Vorlagefragen unzulässig sind

99.      Ich bin der Ansicht, dass der die Zulässigkeit der Vorlagefragen betreffende Einwand als stichhaltig erachtet werden sollte, allerdings aus Gründen, die geringfügig von denen abweichen, die in den Erklärungen der Beteiligten vorgebracht wurden. Der Kern des Zulässigkeitsproblems besteht in den vorliegenden Rechtssachen darin, dass es für eine Entscheidung des Gerichtshofs, ob ein Verstoß gegen die nach Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV geschützte richterliche Unabhängigkeit vorliegt, an ausreichenden rechtlichen und tatsächlichen Grundlagen fehlt. Aus diesem Grund ist es mir unmöglich, den Gerichtshof in der Frage zu beraten, ob gegen diese Vorschrift verstoßen wurde. Ich werde daher davon absehen, hilfsweise Ausführungen für den Fall zu machen, dass der Gerichtshof meiner Analyse zur Zulässigkeit der Vorlagefragen nicht zustimmen sollte.

1.      Die einschlägigen Regeln über die Zulässigkeit von Vorabentscheidungsersuchen

100. Es ist sachgerecht, daran zu erinnern, dass es nach ständiger Rechtsprechung allein Sache des nationalen Gerichts ist, das mit dem Rechtsstreit befasst ist und in dessen Verantwortungsbereich die zu erlassende Entscheidung fällt, anhand der Besonderheiten der Rechtssache sowohl die Erforderlichkeit einer Vorabentscheidung für den Erlass seines Urteils als auch die Erheblichkeit der Fragen zu beurteilen, die es dem Gerichtshof vorlegt. Daher ist der Gerichtshof grundsätzlich gehalten, ihm vorgelegte Fragen zu beantworten, wenn diese die Auslegung einer Vorschrift des Unionsrechts betreffen(53).

101. Folglich gilt für Fragen, die das Unionsrecht betreffen, eine Vermutung der Entscheidungserheblichkeit. Der Gerichtshof kann die Beantwortung einer Vorlagefrage eines nationalen Gerichts nur ablehnen, wenn die erbetene Auslegung einer Vorschrift des Unionsrechts offensichtlich in keinem Zusammenhang mit der Realität oder dem Gegenstand des Ausgangsrechtsstreits steht, wenn das Problem hypothetischer Natur ist oder wenn der Gerichtshof nicht über die tatsächlichen und rechtlichen Angaben verfügt, die für eine zweckdienliche Beantwortung der ihm vorgelegten Fragen erforderlich sind(54).

102. Nach der Rechtsprechung zur Auslegung von Art. 94 Buchst. a und b der Verfahrensordnung des Gerichtshofs(55) macht es die Notwendigkeit, zu einer für das nationale Gericht zweckdienlichen Auslegung des Unionsrechts zu gelangen, erforderlich, dass dieses Gericht den tatsächlichen und rechtlichen Rahmen, in den sich die von ihm vorgelegten Fragen einfügen, festlegt oder zumindest die tatsächlichen Annahmen erläutert, auf denen diese Fragen beruhen(56). Außerdem ist es gemäß Art. 94 Buchst. c der Verfahrensordnung des Gerichtshofs unerlässlich, dass das nationale Gericht Erläuterungen zu den Gründen für die Wahl der unionsrechtlichen Bestimmungen, um deren Auslegung es ersucht, und zu dem Zusammenhang gibt, den es zwischen diesen Bestimmungen und den auf das Ausgangsverfahren anzuwendenden nationalen Rechtsvorschriften herstellt(57). Wie in Nr. 6 dieser Schlussanträge festgestellt, finden sich diese Anforderungen auch in den Empfehlungen des Gerichtshofs(58).

103. Es entspricht außerdem der ständigen Rechtsprechung, dass die Rechtfertigung für ein Vorabentscheidungsersuchen nicht in der Abgabe von Gutachten zu allgemeinen oder hypothetischen Fragen liegt, sondern darin, dass das Ersuchen für die tatsächliche Entscheidung eines Rechtsstreits erforderlich ist(59). Würde die Antwort des Gerichtshofs auf eine Vorlagefrage zur Abgabe eines Gutachtens zu einem Problem allgemeiner(60) oder hypothetischer(61)Art führen, entscheidet somit der Gerichtshof, dass solche Fragen unzulässig sind.

104. Dies entspricht dem Zweck des Vorabentscheidungsverfahrens nach Art. 267 AEUV. Durch die Einführung eines Dialogs zwischen dem Gerichtshof und den Gerichten der Mitgliedstaaten hat dieses Verfahren zum Ziel, die Kohärenz und die einheitliche Auslegung des Unionsrechts zu gewährleisten und damit die Sicherstellung seiner vollen Geltung und seiner Autonomie sowie letztlich des eigenen Charakters des durch die Verträge geschaffenen Rechts zu ermöglichen(62).

105. Eine Analyse der Rechtsprechung zu den Anforderungen an den Inhalt von Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 94 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs zeigt, warum die Vorabentscheidungsersuchen in den vorliegenden Rechtssachen im Hinblick auf ihre Zulässigkeit problematisch sind.

106. Das Urteil des Gerichtshofs vom 27. September 2017 in der Rechtssache Puškár(63) betraf die Auslegung verschiedener Vorschriften des Unionsrechts im Zusammenhang mit einer Klage gegen die slowakischen Behörden auf Entfernung des Namens des Klägers aus einer Liste von Personen, von denen angenommen wurde, dass sie als „Strohmänner“ für andere als Geschäftsführer fungierten. Der Kläger machte geltend, seine Aufnahme in diese Liste verletze seine Persönlichkeitsrechte.

107. Bei der vierten Frage in der Rechtssache Puškár(64) ging es darum, ob der Rechtsprechung des Gerichtshofs Vorrang eingeräumt werden soll, wenn sie von der des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte abweicht. Der Gerichtshof entschied, dass die Frage unzulässig war, da „das vorlegende Gericht … diese Frage … allgemein gestellt [hatte], ohne eindeutig und konkret anzugeben, worin die von ihm erwähnten Abweichungen bestehen“. Der Gerichtshof fügte im Hinblick auf die Anforderungen des Art. 94 seiner Verfahrensordnung hinzu, dass „das vorlegende Gericht die genauen Gründe anzugeben [hat], aus denen es Zweifel bezüglich der Auslegung bestimmter Vorschriften des Unionsrechts hat“, und dass „es unerlässlich ist, dass das nationale Gericht ein Mindestmaß an Erläuterungen zu den Gründen für die Wahl der Vorschriften des Unionsrechts, um deren Auslegung es ersucht, und zu dem Zusammenhang gibt, den es zwischen diesen Vorschriften und der auf den bei ihm anhängigen Rechtsstreit anzuwendenden nationalen Regelung herstellt“.

108. Insbesondere in den Urteilen vom 9. März 2017 in der Rechtssache Milkova(65) und vom 13. Dezember 2018 in der Rechtssache Rittinger u. a.(66) sowie im Beschluss vom 7. Juni 2018, Filippi u. a.(67), wurde festgestellt, dass zum Recht des Mitgliedstaats unzureichende Erläuterungen vorlagen, um diesen entscheidenden Zusammenhang herzustellen, und demgemäß die Unzulässigkeit festgestellt.

109. In der Rechtssache Milkova(68), in der es um eine vor bulgarischen Gerichten anhängige Klage gegen eine Kündigung ging, die angeblich gegen das Verbot der Diskriminierung aufgrund einer Behinderung verstieß, entschied der Gerichtshof, dass das vorlegende Gericht lediglich allgemein auf Art. 4 sowie weitere Bestimmungen der Richtlinie 2000/78 verwiesen habe, ohne einen Zusammenhang zwischen diesen Vorschriften und dem im Ausgangsverfahren in Rede stehenden nationalen Recht herzustellen.

110. Die Rechtssache Rittinger u. a.(69) betraf einen Rechtsstreit u. a. mit Bezug zum Beihilferecht der Union im Hinblick auf deutsche Rechtsvorschriften, nach denen Erwachsene mit einer Wohnung im Hoheitsgebiet einen Beitrag an die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten zu entrichten hatten. Der Gerichtshof kam zu dem Ergebnis, dass die Zulässigkeit des Vorlagebeschlusses daran scheiterte, dass „dieses Gericht zwar aus[…]führt, dass der Rundfunkbeitrag die Finanzierung dieses Systems allein zugunsten der Sender in Deutschland ermöglicht habe, doch … weder die Finanzierungsbedingungen für dieses System näher dar[legt] noch … aus[führt], warum andere Rundfunksender von seiner Nutzung ausgeschlossen sein sollen“.

111. In der Rechtssache Filippi u. a.(70), die die Beschlagnahme durch die österreichischen Behörden und andere Sanktionen im Hinblick auf Glücksspielgeräte, die einer behördlicher Bewilligung bedurften, betraf, entschied der Gerichtshof, dass das Vorabentscheidungsersuchen offensichtlich unzulässig war. Dies lag insbesondere daran, dass die Anforderungen des Art. 94 Buchst. c der Verfahrensordnung nicht erfüllt waren, weil in dem Vorlagebeschluss nicht mit der erforderlichen Genauigkeit und Klarheit dargestellt wurde, aus welchen Gründen das vorlegende Gericht um die Auslegung der fraglichen Vorschriften des Unionsrechts ersuchte, und der Zusammenhang zwischen dem Unionsrecht und den in den Ausgangsverfahren anwendbaren nationalen Rechtsvorschriften nicht erläutert wurde. Darüber hinaus fehlten im Hinblick auf diese Anforderungen die erforderlichen Angaben zu diesen nationalen Rechtsvorschriften. In dem Vorabentscheidungsersuchen wurde zwar der Inhalt einiger Bestimmungen des nationalen Rechts dargestellt, es wurde aber nicht „hinreichend klar angegeben …, wie diese Bestimmungen auf die beim vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreitigkeiten, die Gegenstand seines Ersuchens sind, Anwendung finden könnten“.

112. Schließlich stelle ich fest, dass in der jüngsten Plenarentscheidung des Gerichtshofs in der Rechtssache Wightman u. a.(71), mit der das Vorbringen gegen die Zulässigkeit einer Vorlage hinsichtlich der Mitteilung des Vereinigten Königreichs zu dessen Absicht, aus der Europäischen Union auszutreten, zurückgewiesen wurde, die Anforderungen des Art. 94 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs einschließlich der des nach Art. 94 Buchst. c dieser Verfahrensordnung erforderlichen Zusammenhangs zwischen den maßgeblichen Bestimmungen des Unionsrechts und dem auf den Ausgangsrechtsstreit anwendbaren Recht des Mitgliedstaats unstreitig waren.

2.      Anwendung auf die vorliegenden Rechtssachen

113. Der Gerichtshof hat entschieden, dass es von der Natur und Tragweite der Vorlagefrage abhängt, ob die Angaben im Vorlagebeschluss den Anforderungen an den Inhalt der Vorabentscheidungsersuchen gerecht werden(72). Er hat außerdem festgestellt, dass diese Anforderungen des Art. 94 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs in Bereichen von besonderer Bedeutung sind, die wie etwa das Wettbewerbsrecht oft durch komplexe tatsächliche und rechtliche Verhältnisse gekennzeichnet sind(73).

114. Diese Erwägungen sowie der Umstand, dass in der Rechtsprechung weiter festgestellt wird, dass die in Art. 94 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs aufgeführten Anforderungen sorgfältig zu beachten sind(74), lassen mich zu dem Ergebnis kommen, dass die Komplexität der Feststellung, ob ein struktureller Verstoß gegen die richterliche Unabhängigkeit nach Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV vorliegt, bedeutet, dass in diesem Kontext Art. 94 Buchst. c der Verfahrensordnung des Gerichtshofs eine ausreichende Erklärung der beanstandeten Maßnahmen des Mitgliedstaats und der Frage, warum diese mit der von Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV gewährten Garantie der richterlichen Unabhängigkeit unvereinbar sein sollen, erfordert.

115. In den vorliegenden Rechtssachen liefern die Vorlagebeschlüsse keine ausreichende Erläuterung des Verhältnisses zwischen Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV und den fraglichen polnischen Maßnahmen. Im Zusammenhang mit den Bedenken der vorlegenden Gerichte hinsichtlich der richterlichen Unabhängigkeit werden die einschlägigen polnischen Maßnahmen in den Nrn. 8 bis 32 dieser Schlussanträge allgemein wiedergegeben. Allerdings fehlt es im Gegensatz zu anderen Rechtssachen, in denen der Gerichtshof ersucht wurde, zu prüfen, ob nationale Maßnahmen, die sich auf das Justizsystem in Polen beziehen, mit den Garantien der richterlichen Unabhängigkeit nach Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV(75) vereinbar seien, in den Verfahrensakten an Informationen darüber, welche Vorschriften des polnischen Rechts mit diesen Garantien unvereinbar sein sollen und weswegen.

116. In dieser Hinsicht stimme ich im Wesentlichen dem Vorbringen Polens zu, das oben in Nr. 71 dieser Schlussanträge wiedergegeben ist und wonach die Ausführungen in den Vorlagebeschlüssen allgemein gehalten sind. Während die Vorlagebeschlüsse den Inhalt mehrerer Vorschriften des polnischen Rechts darlegen, fehlt es an einer Erklärung der Wirkungsweise dieser Vorschriften oder an einem Hinweis, wie diese Vorschriften angeblich gegen die Erfordernisse der richterlichen Unabhängigkeit nach Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV verstoßen. Ebensowenig erklären die Vorlagebeschlüsse, wie die angeführten Vorschriften des polnischen Rechts durch die im Kontext der Reform des polnischen Justizsystems eingeführten Gesetze geändert worden sind oder wie diese Vorschriften im Rahmen der neuen Regelung für Disziplinarverfahren gegen Richter Anwendung finden. Folglich fehlt es an den tatsächlichen und rechtlichen Angaben, die zur Beurteilung der Ausführungen in den Vorlagebeschlüssen und zur Feststellung ihrer Tragweite erforderlich sind.

117. Außerdem befassen sich die Vorlagebeschlüsse mit einem Element subjektiver Voreingenommenheit im Hinblick auf die Auswirkungen, die die neuen Regelungen für Disziplinarverfahren auf die Fähigkeit der vorlegenden Richter haben, unabhängig zu entscheiden. In beiden Vorlagebeschlüssen ist von „Befürchtungen“ die Rede (vgl. Nrn. 34 und 36 dieser Schlussanträge). Dieser Umstand wird zwischen den beteiligten Parteien nicht streitig erörtert, und mithin fällt es schwer, festzustellen, ob die richterliche Unabhängigkeit durch subjektive Voreingenommenheit beeinträchtigt worden ist, was, wie ich in meinen früheren Schlussanträgen zur Unabhängigkeit der Richter in Polen(76) ausgeführt habe, etwas anderes ist als die Beurteilung der objektiven Unabhängigkeit.

118. In den vorliegenden Rechtssachen heißt es in den Vorlagebeschlüssen, dass die Auslegung von Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV für die in den Ausgangsverfahren zu erlassenden Entscheidungen deshalb erforderlich sei, weil die vorlegenden Gerichte befürchteten, dass im Fall des Erlasses einer bestimmten Entscheidung in diesen Verfahren Disziplinarverfahren gegen die Richter dieser Gerichte eingeleitet würden. Daraus ergibt sich, dass die Einleitung von Disziplinarverfahren noch nicht erfolgt ist. Auf der Grundlage der Vorlagebeschlüsse haben die vorlegenden Gerichte lediglich eine subjektive Befürchtung, die sich noch nicht in Disziplinarverfahren konkretisiert hat und hypothetisch bleibt.

119. Somit bleibt in den Ausgangsverfahren die Frage, ob ein struktureller Verstoß gegen die richterliche Unabhängigkeit im Sinne von Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV vorliegt, deshalb hypothetisch, weil es an ausreichenden Angaben fehlt, wie und warum sich dieser Verstoß ereignet haben soll, wobei noch erschwerend hinzukommt, dass die Frage der richterlichen Unabhängigkeit von den beteiligten Parteien nicht streitig erörtert wird.

120. Ich stelle insbesondere fest, dass keiner der Beteiligten, die in den vorliegenden Rechtssachen Erklärungen abgegeben haben, in der mündlichen Verhandlung das detailreiche Vorbringen in den schriftlichen Erklärungen Polens widerlegt hat, warum bestimmte Vorschriften des polnischen Rechts mit den Verpflichtungen der Mitgliedstaaten im Hinblick auf die richterliche Unabhängigkeit vereinbar sind (vgl. Nrn. 72 bis 75 dieser Schlussanträge). Auch wurden keine Erklärungen dazu abgegeben, warum die subjektiven Befürchtungen der betroffenen Richter berechtigt blieben, obwohl der Generalstaatsanwalt und Polen vorgetragen haben, dass der Grund für die Ermittlungen gegen diese Richter darin bestanden habe, dass die Vorlagen identisch gewesen seien, und nicht darin bestanden habe, dass um Vorabentscheidung ersucht worden sei, und dass keine Disziplinarmaßnahmen gegen die Richter eingeleitet worden seien (vgl. Nrn. 70 und 76 dieser Schlussanträge). Unter Berücksichtigung all dessen fällt es schwer, zu verstehen, wie ein diese Richter betreffender Rechtsstreit in den vorliegenden Rechtssachen vorliegen soll.

121. Wie vom Generalstaatsanwalt und der Kommission ausgeführt, unterscheiden sich die Umstände der vorliegen Rechtssachen von denjenigen, zu denen das Urteil des Gerichtshofs Associação Sindical dos Juízes Portugueses(77) ergangen ist. Diese Rechtssache betraf eine von der Gewerkschaft der portugiesischen Richter vor einem portugiesischen Gericht erhobene Klage, mit der u. a. die Aufhebung nationaler Kürzungsmaßnahmen begehrt wurde, die ihre Bezüge herabsetzten. Die Gewerkschaft stützte ihre Klage auf das Argument, diese Maßnahmen verstießen gegen den im portugiesischen und im Unionsrecht verankerten Grundsatz der richterlichen Unabhängigkeit(78). Es ist klar, dass die Richter in dieser Rechtssache eine Kürzung ihrer Bezüge erlitten haben. Es ist unter den Umständen der vorliegenden Rechtssachen nicht klar, dass die von Polen getroffenen Maßnahmen zu einer berechtigten Befürchtung der Voreingenommenheit Anlass gegeben haben, die eine materielle Untersuchung erfordert.

122. Darüber hinaus nehmen, worauf der Fiskus hinweist, die Beispiele in der Rechtsprechung des Gerichtshofs, in denen die Entscheidungserheblichkeit der Vorlagefragen für die Ausgangsverfahren weit ausgelegt wurde, dieser Analyse nicht ihre Stichhaltigkeit. So hat der Gerichtshof auf Fragen zum Recht bzw. zur Verpflichtung nationaler Gerichte, den Gerichtshof nach Art. 267 AEUV(79) um Vorabentscheidung anzurufen, geantwortet, die streng genommen womöglich nicht für die in den Ausgangsverfahren zu erlassenden Entscheidungen erheblich waren. Außerdem hat der Gerichtshof in einer Reihe von Entscheidungen im Bereich der justiziellen Zusammenarbeit in Zivilsachen(80) die Begriffe „zum Erlass seines Urteils“ im Sinne von Art. 267 Abs. 2 AEUV weit und dahin gehend ausgelegt, dass sie das gesamte Verfahren umfassen, das zum Urteil des vorlegenden Gerichts führt.

123. Jedoch handelt es sich dabei um eine andere Problematik als die der ausreichenden Darlegung des Zusammenhangs zwischen den in Rede stehenden Maßnahmen des Mitgliedstaats und den einschlägigen Vorschriften des Unionsrechts, hier von Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV. Ferner erfordert, wie oben in Nr. 114 dieser Schlussanträge ausgeführt, der Umstand, dass es ein komplexes Unterfangen ist, festzustellen, ob Maßnahmen eines Mitgliedstaats mit den Garantien der richterlichen Unabhängigkeit nach Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV unvereinbar sind, eine strenge Einhaltung der Anforderungen des Art. 94 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs.

124. Dem möchte ich in Anbetracht der vom polnischen Ombudsmann vorgebrachten Argumente zur Maßgeblichkeit des Urteils des Gerichtshofs in der Rechtssache Unibet(81) für die vorliegenden Verfahren (vgl. Nr. 65 dieser Schlussanträge) hinzufügen, dass dieses Urteil ein nationales Gericht nicht von der Einhaltung der Regeln des Gerichtshofs zur Zulässigkeit der Vorabentscheidungsersuchen befreit. Ich betrachte die vorliegenden Rechtssachen nicht als Fälle, in denen das Fehlen eines mitgliedstaatlichen Rechtsbehelfs die Anwendung des Unionsrechts verhindert. Die vorliegenden Rechtssachen sind lediglich Fälle, in denen der Gerichtshof nicht über hinreichende Angaben verfügt, um zu entscheiden, ob ein Verstoß gegen das Unionsrecht vorliegt.

125. Abschließend stelle ich fest, dass, während Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV einen weiten sachlichen Anwendungsbereich hat und sich auf alle nationalen Gerichte erstreckt, die nach Art. 267 AEUV Fragen vorlegen können (vgl. Nrn. 87 bis 89 dieser Schlussanträge), ich inhaltlich und in Bezug auf die Unionszuständigkeit auf dem Standpunkt stehe, dass Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV im Kontext der richterlichen Unabhängigkeit auf strukturelle Verstöße begrenzt ist, die das Wesen der richterlichen Unabhängigkeit beeinträchtigen. Ich habe bereits in früheren Schlussanträgen zum Ausdruck gebracht, dass ein solcher struktureller Verstoß vorliegt, wenn er Auswirkungen auf eine gesamte Ebene des Gerichtswesens hat, und ich bin in Bezug auf die Disziplinarkammer zu dem gleichen Ergebnis in einem Kontext gelangt, in dem sie den vom polnischen Recht vorgesehenen Gerichtsstand zur Entscheidung über Fälle darstellt, die Richter betreffen, die von Maßnahmen zur Herabsetzung des Ruhestandsalters der Richter des Obersten Gerichts betroffen sind(82), über die der Gerichtshof in seinem Urteil vom 24. Juni 2019 in der Rechtssache Kommission/Polen (Unabhängigkeit des Obersten Gerichts) (C‑619/18) entschieden hat, dass sie gegen die Garantie der richterlichen Unabhängigkeit nach Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV verstoßen(83). Zur Beachtung von Art. 94 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs ist ferner eine ausreichende Erläuterung erforderlich, warum der in Rede stehende Verstoß gegen die richterliche Unabhängigkeit im Sinne von Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV struktureller Art ist und nicht ein solcher, der nach Art. 47 der Charta, jedoch nur soweit die Mitgliedstaaten nach Art. 51 Abs. 1 der Charta Unionsrecht durchführen, zu ahnden wäre.

126. Unter Berücksichtigung der vorstehenden Erwägungen sollte daher der Einwand der Unzulässigkeit der in den vorliegenden Rechtssachen vorgelegten Fragen durchgreifen.

VIII. Ergebnis

127. Ich schlage dem Gerichtshof vor, die Vorabentscheidungsersuchen des Sąd Okręgowy w Łodzi (Bezirksgericht Lodz, Polen) in der Rechtssache C‑558/18 und des Sąd Okręgowy w Warszawie (Bezirksgericht Warschau, Polen) in der Rechtssache C‑563/18 für unzulässig zu erklären.


1      Originalsprache: Englisch.


2      Vgl. meine Schlussanträge in der Rechtssache Kommission/Polen (Unabhängigkeit des Obersten Gerichts) (C‑619/18, EU:C:2019:325), die eine Herabsetzung des Ruhestandsalters für Richter des Obersten Gerichts und die Verleihung der Befugnis an den Präsidenten der Republik betraf, den aktiven Dienst der Richter des Obersten Gerichts zu verlängern, in der Rechtssache Kommission/Polen (Unabhängigkeit der ordentlichen Gerichte) (C‑192/18, EU:C:2019:529), die eine angebliche Diskriminierung aufgrund des Geschlechts infolge des Umstands, dass das Ruhestandsalter der Richter an ordentlichen Gerichten sowie der Richter und Staatsanwälte am Obersten Gericht für Frauen auf ein anderes Alter als für Männer herabgesetzt wurde, sowie die Verleihung der Befugnis an den Justizminister betraf, den aktiven Dienst der Richter der ordentlichen Gerichte zu verlängern, und in den verbundenen Rechtssachen A.K. u. a. (Unabhängigkeit der Disziplinarkammer des Obersten Gerichts) (C‑585/18, C‑624/18 und C‑625/18, EU:C:2019:551) zur Unabhängigkeit der Disziplinarkammer des Obersten Gerichts im Hinblick auf Änderungen des Modus bei der Ernennung von Richtern als Mitglieder des Landesjustizrats.


3      Vorschlag für einen Beschluss des Rates zur Feststellung der eindeutigen Gefahr einer schwerwiegenden Verletzung der Rechtsstaatlichkeit durch die Republik Polen, COM(2017) 835 final, vom 20. Dezember 2017. In diesem begründeten Vorschlag erhob die Kommission insbesondere gegen die folgenden Maßnahmen Einwände: erstens gegen die Ustawa o zmianie ustawy o Krajowej Szkole Sądownictwa i Prokuratury, ustawy – Prawo o ustroju sądów powszechnych oraz niektórych innych ustaw (Gesetz zur Änderung des Gesetzes über die Staatliche Hochschule für Richter und Staatsanwälte, des Gerichtsverfassungsgesetzes und bestimmter weiterer Gesetze) vom 11. Mai 2017 (Dz. U. 2017, Pos. 1139, mit Änderungen), zweitens gegen die Ustawa o zmianie ustawy – Prawo o ustroju sądów powszechnych oraz niektórych innych ustaw (Gesetz zur Änderung des Gerichtsverfassungsgesetzes und bestimmter weiterer Gesetze) vom 12. Juli 2017 (Dz. U. 2017, Pos. 1452, mit Änderungen), drittens gegen dies Ustawa o Sądzie Najwyższym (Gesetz über das Oberste Gericht) vom 8. Dezember 2017 (Dz. U. 2018, Pos. 5, mit Änderungen) und viertens gegen die Ustawa o zmianie ustawy o Krajowej Radzie Sądownictwa oraz niektórych innych ustaw (Gesetz zur Änderung des Gesetzes über den Landesjustizrat und bestimmter weiterer Gesetze) vom 8. Dezember 2017 (Dz. U. 2018, Pos. 3, mit Änderungen). In den vorliegenden Rechtssachen geht es hauptsächlich, aber nicht ausschließlich um die beide letztgenannten Maßnahmen.


4      Vgl. z. B. die Stellungnahme Nr. 904/2017 zum Gesetzentwurf zur Änderung des Gesetzes über den nationalen Justizrat, zum vom Präsidenten Polens vorgeschlagenen Gesetzesentwurf zur Änderung des Gesetzes über das Oberste Gericht und zum Gesetz über den Aufbau der ordentlichen Gerichtsbarkeit [Dokument auf Englisch] der Europäischen Kommission für Demokratie durch Recht (der sogenannten Venedig-Kommission) vom 11. Dezember 2017 (CDL‑AD[2017]031), den Bericht des Sonderberichterstatters des Menschenrechtsrats der Vereinten Nationen zur Unabhängigkeit der Richter und Rechtsanwälte über seine Dienstreise nach Polen (A/HRC/38/38/Add.1) vom 5. April 2018 [Dokument auf Englisch] sowie die Stellungnahme zu bestimmten Vorschriften des Gesetzesentwurfs zum Obersten Gericht Polens (Stand: 26. September 2017) [Dokument auf Englisch] des Büros für demokratische Institutionen und Menschenrechte der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) vom 13. November 2017 (JUD‑POL/315/2017).


5      Hierzu zählen Vorabentscheidungsersuchen des polnischen Obersten Gerichts in den Rechtssachen C‑522/18, C‑537/18, C‑585/18, C‑624/18, C‑625/18, C‑668/18, C‑487/19 und C‑508/19, des polnischen Obersten Verwaltungsgerichts in der Rechtssache C‑824/18 und polnischer Instanzgerichte in der Rechtssache C‑623/18 sowie zwei Vertragsverletzungsklagen der Kommission gegen Polen in den Rechtssachen C‑619/18 und C‑192/18. In seinem Urteil vom 24. Juni 2019, Kommission/Polen (Unabhängigkeit des Obersten Gerichts) (C‑619/18, EU:C:2019:531), hat der Gerichtshof entschieden, dass Maßnahmen zur Herabsetzung des Ruhestandsalters der Richter des Obersten Gerichts und zur Verleihung der Befugnis des Präsidenten der Republik, den aktiven Dienst der Richter des Obersten Gerichts zu verlängern, nicht mit den Verpflichtungen Polens nach Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV vereinbar sind, da sie mit den vom Unionsrecht geschützten Grundsätzen der Unabsetzbarkeit und Unabhängigkeit der Richter unvereinbar sind.


6      Vgl. Nrn. 92 und 125 dieser Schlussanträge.


7      Wie ich in meinen Schlussanträgen in der Rechtssache Kommission/Polen (Unabhängigkeit der ordentlichen Gerichte) (C‑192/18, EU:C:2019:529), festgestellt habe, verwende ich den Begriff „wirksamer Rechtsschutz“ in Einklang mit dem englischen Wortlaut („effective legal protection“) des Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV, räume aber ein, dass der Gerichtshof entschieden hat, dass diese Vorschrift einen „wirksamen gerichtlichen Rechtsschutz“ gewährleistet. Vgl. z. B. Urteil vom 24. Juni 2019, Kommission/Polen (Unabhängigkeit des Obersten Gerichts) (C‑619/18, EU:C:2019:531, insbesondere Rn. 3, 48, 54 und die dort angeführten Rechtsprechung). Wie das soeben angeführte Urteil veranschaulicht, scheint in einigen Sprachfassungen dieser Vorschrift (vgl. z. B. die maltesische [„protezzjoni legali effettiva“ und „protezzjoni ġudizzjarja effettiva“] und die polnische [„skutecznej ochrony prawnej“ und „skutecznej ochrony sądowej“] im Vergleich zu anderen, etwa der niederländischen [„daadwerkelijke rechtsbescherming“], der französichen [„protection juridictionnelle effective“] oder der spanischen [„tutela judicial efectiva“]) der Wortlaut ähnlich zu sein.


8      Vgl. z. B. die Urteile vom 5. Juli 2016, Ognyanov (C‑614/14, EU:C:2016:514, Rn. 19), und vom 2. Mai 2019, Asendia Spain (C‑259/18, EU:C:2019:346, Rn. 19).


9      Vgl. z. B. Urteil vom 13. Dezember 2018, Rittinger u. a. (C‑492/17, EU:C:2018:1019, Rn. 38). Diese Empfehlungen sind im Amtsblatt der Europäischen Union veröffentlicht (ABl. 2018, C 257, S. 1) (im Folgenden: Empfehlungen des Gerichtshofs).


10      Sie verweisen insbesondere auf die Urteile vom 27. Februar 2018, Associação Sindical dos Juízes Portugueses (C‑64/16, EU:C:2018:117), und vom 25. Juli 2018, Minister for Justice and Equality (Mängel des Justizsystems) (C‑216/18 PPU, EU:C:2018:586).


11      Im maßgeblichen Teil der Nr. 24 der Empfehlungen des Gerichtshofs heißt es: „Da das Vorabentscheidungsverfahren voraussetzt, dass beim vorlegenden Gericht ein Rechtsstreit tatsächlich anhängig ist, ist dieses Gericht gehalten, den Gerichtshof über alle Verfahrensereignisse zu unterrichten, die sich auf die Vorlage auswirken können, insbesondere über eine Klage- oder Antragsrücknahme, eine gütliche Beilegung des Rechtsstreits oder ein anderes Ereignis, das die Erledigung des Verfahrens zur Folge hat.“


12      Miasto Łowicz und Prokuratura Okręgowa w Płocku (C‑558/18 und C‑563/18, nicht veröffentlicht, EU:C:2018:923).


13      Obwohl die Disziplinarkammer nicht zu den Beteiligten der Ausgangsverfahren gehört und daher gemäß der Verfahrensordnung des Gerichtshofs nicht an den vorliegenden Rechtssachen teilnehmen kann, hat der Präsident des Gerichtshofs mit Entscheidung vom 14. Juni 2019 ein von Polen eingereichtes Dokument der Disziplinarkammer akzeptiert, nämlich den Beschluss Nr. 8 der Richterversammlung der Disziplinarkammer des Obersten Gerichts vom 4. Juni 2019, das die Position dieser Kammer zu den vorliegenden Rechtssachen enthält (vgl. Fn. 17 und 30 dieser Schlussanträge).


14      Der Fiskus verweist insbesondere auf die Urteile vom 18. Oktober 1990, Dzodzi (C‑297/88 und C‑197/89, EU:C:1990:360), vom 5. Dezember 2006, Cipolla u. a. (C‑94/04 und C‑202/04, EU:C:2006:758), und vom 15. November 2016, Ullens de Schooten (C‑268/15, EU:C:2016:874).


15      Polen verwies insbesondere auf die Urteile vom 29. Mai 1997, Kremzow (C‑299/95, EU:C:1997:254, Rn. 16), und vom 27. Februar 2018, Associação Sindical dos Juízes Portugueses (C‑64/16, EU:C:2018:117, Rn. 39 und 40).


16      BVerfG, Urteil vom 30. Juni 2009 (2 BvE 2/08), BVerfGE 123, 267.


17      Ich stelle fest, dass die Disziplinarkammer in dem Beschluss, der ihre Position in den vorliegenden Rechtssachen darlegt (vgl. Fn. 13 dieser Schlussanträge), u. a. erklärt, die vorgelegten Fragen seien unzulässig und gegenstandslos, da sie sich in Fällen ohne Verbindung zum Unionsrecht stellten und abstrakt und hypothetisch seien, da sie nicht die Ausgangsverfahren, sondern die Organisation der Justiz eines Mitgliedstaats beträfen, die in die alleinige Zuständigkeit des Mitgliedstaats falle.


18      Vgl. Beschluss vom 26. Januar 1990 (C‑286/88, EU:C:1990:33).


19      Vgl. Beschluss vom 25. Mai 1998 (C‑361/97, EU:C:1998:250).


20      Der Fiskus verweist auf die Urteile vom 16. Dezember 2008, Cartesio (C‑210/06, EU:C:2008:723), und vom 17. Februar 2011, Weryński (C‑283/09, EU:C:2011:85).


21      Vgl. Urteil vom 27. Februar 2018 (C‑64/16, EU:C:2018:117).


22      Die Kommission verweist insbesondere auf die Urteile vom 16. Juni 2015, Gauweiler u. a. (C‑62/14, EU:C:2015:400), und vom 28. März 2017, Rosneft (C‑72/15, EU:C:2017:236).


23      Vgl. Beschluss vom 26. Januar 1990 (C‑286/88, EU:C:1990:33).


24      Vgl. Urteil vom 27. Februar 2018 (C‑64/16, EU:C:2018:117, Rn. 40).


25      Vgl. Urteil vom 13. März 2007 (C‑432/05, EU:C:2007:163, Rn. 62 und 64).


26      Vgl. Urteil vom 27. Februar 2018 (C‑64/16, EU:C:2018:117, Rn. 37 und 40).


27      Der polnische Ombudsmann verwies auf das Urteil vom 25. Juli 2018, Minister for Justice and Equality (Mängel des Justizsystems) (C‑216/18 PPU, EU:C:2018:586, Rn. 67).


28      Der Generalstaatsanwalt verwies auf das Urteil vom 25. Juli 2018, Minister for Justice and Equality (Mängel des Justizsystems) (C‑216/18 PPU, EU:C:2018:586, Rn. 67).


29      Der Generalstaatsanwalt verwies auf die Urteile des EGMR vom 25. September 2018, Denisov v. Ukraine (CE:ECHR:2018:0925JUD007663911), und vom 9. Januar 2013, Oleksandr Volkov v. Ukraine (CE:ECHR:2013:0109JUD002172211).


30      Ich stelle fest, dass die Disziplinarkammer in dem Beschluss, der ihre Position in den vorliegenden Rechtssachen darlegt (vgl. Fn. 13 dieser Schlussanträge), u. a. vorbringt, die Richter der Disziplinarkammer verfügten nach denselben Regeln wie andere Kammern des Obersten Gerichts über alle Garantien der Unabhängigkeit, und die Kammer werde allen unionsrechtlichen Anforderungen an die Sicherstellung eines wirksamen gerichtlichen Rechtsschutzes für die Prozessparteien, Disziplinarverfahren gegen Richter inbegriffen, gerecht.


31      Polen verweist auf Art. 178 Abs. 2 und 3, 179, 180 und 181 der polnischen Verfassung.


32      NR RDSP 713-53/18, 17. Dezember 2018, verfügbar unter http://rzecznik.gov.pl/wp-content/uploads/2018/12/Komunikat-Rzecznika-Dysc-z-1712.pdf.


33      Lettland verweist auf das Urteil vom 25. Juli 2018, Minister for Justice and Equality (Mängel des Justizsystems) (C‑216/18 PPU, EU:C:2018:586, Rn. 67).


34      Lettland verweist insbesondere auf die Gemeinsame Stellungnahme Nr. 755/2014 der Venedig-Kommission, Direktion für Menschenrechte, und des OSZE‑Büros für demokratische Institutionen und Menschenrechte vom 24. März 2014 zu dem Gesetzesentwurf über disziplinarrechtliche Verantwortlichkeit der Richter der Republik Moldawien (CDL‑AD[2014]006) sowie auf die Stellungnahme Nr. 825/2015 der Venedig-Kommission vom 21. Dezember 2015 zu den Gesetzen über die disziplinarrechtliche Verantwortlichkeit und die Beurteilung der Richter in der „ehemaligen jugoslawischen Republik Mazedonien“ (CDL‑AD(2015)042).


35      Lettland verweist insbesondere auf das Urteil vom 18. Januar 2010 des Satversmes tiesa (Verfassungsgericht Lettland), Nr. 2009‑11‑01, und auf die Urteile vom 19. September 2006, Wilson (C‑506/04, EU:C:2006:587), vom 6. März 2018, Achmea (C‑284/16, EU:C:2018:158), und vom 27. Februar 2018, Associação Sindical dos Juízes Portugueses (C‑64/16, EU:C:2018:117).


36      Die Niederlande stellen in ihren schriftlichen Erklärungen fest, dass sie zum dritten Punkt der Vorlagefrage in der Rechtssache C‑558/18 bezüglich der Möglichkeit, in Disziplinarverfahren gegen Richter Beweismittel zu verwerten, die durch eine Straftat erlangt wurden, nicht Stellung beziehen, da für eine Beantwortung keine ausreichenden Angaben vorlägen.


37      Die Niederlande verweisen auf das Urteil vom 25. Juli 2018, Minister for Justice and Equality (Mängel des Justizsystems) (C‑216/18 PPU, EU:C:2018:586, Rn. 48 bis 54 und 63 bis 67).


38      Die EFTA-Überwachungsbehörde verweist insbesondere auf die Entscheidung des EFTA-Gerichtshofs vom 14. Februar 2017, Pascal Nobile/DAS Rechtsschutz-Versicherung, E‑21/16, sowie auf die Urteile vom 19. September 2006, Wilson (C‑506/04, EU:C:2006:587), und vom 27. Februar 2018, Associação Sindical dos Juízes Portugueses (C‑64/16, EU:C:2018:117).


39      Die EFTA-Überwachungsbehörde verweist auf das Urteil vom 25. Juli 2018, Minister for Justice and Equality (Mängel des Justizsystems) (C‑216/18 PPU, EU:C:2018:586, Rn. 67).


40      Die Kommission verweist auf das Urteil vom 25. Juli 2018, Minister for Justice and Equality (Mängel des Justizsystems) (C‑216/18 PPU, EU:C:2018:586, Rn. 67).


41      Vgl. die Pressemitteilung [Text auf Englisch] mit dem Titel „Rule of Law: European Commission launches infringement procedure to protect judges in Poland from political control“ vom 3. April 2019, verfügbar unter http://europa.eu/rapid/press-release_IP-19-1957_en.htm.


42      EU:C:2019:531, Rn. 50 und die dort angeführte Rechtsprechung.


43      Hervorhebung nur hier.


44      C‑585/18, C‑624/18 und C‑625/18, EU:C:2019:551. In diesen Rechtssachen stand die Zulässigkeit der Vorlagefragen nicht in Rede, weil eine eindeutige Beziehung zwischen dem Unionsrecht, nämlich der Richtlinie 2000/78/EG des Rates vom 27. November 2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf (ABl. 2000, L 303, S. 16) und den Rechtsstreitigkeiten bestand, über die in den Ausgangsverfahren zu entscheiden war. Da dem so ist, erhalte ich die Ansicht aufrecht, dass der Gerichtshof in diesen Rechtssachen über den geltend gemachten Verstoß gegen Art. 47 der Charta hinaus über die Frage befinden kann, ob ein struktureller Verstoß gegen die richterliche Unabhängigkeit nach Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV gegeben ist. Siehe ferner Nr. 125 dieser Schlussanträge.


45      Vgl. Urteil vom 15. November 2016 (C‑268/15, EU:C:2016:874, Rn. 49 bis 55); vgl. ebenso Urteil vom 20. September 2018, Fremoluc (C‑343/17, EU:C:2018:754).


46      Vgl. Iglesias Sánchez, S., „Purely Internal Situations and the Limits of EU Law: A Consolidated Case Law or a Notion to be Abandoned?“, European Constitutional Law Review, Vol. 14, 2018, S. 7 bis 36, insbesondere S. 14 bis 28. Für weitere Erläuterungen siehe z. B. Dubout, E., „Voyage en eaux troubles: vers une épuration des situations ‚purement‘ internes?: CJUE, gde ch., 15 novembre 2016, „Ullens de Schooten, aff. C‑268/15, ECLI:EU:C:2016:874“, Revue des affaires européennes, N° 4, 2016, S. 679 bis 693; Krommendijk, J., „Wide Open and Unguarded Stand our Gates: The CJEU and References for a Preliminary Ruling in Purely Internal Situations“, German Law Journal, Vol. 18, 2017, S. 1359 bis 1394; Potvin-Solis, L., „Qualification des situations purement internes“, in Neframi, E. (Hrsg.), Renvoi préjudiciel et marge d’appréciation du juge national, Larcier, 2015, S. 39 bis 99.


47      Vgl. insoweit Urteil vom 24. Juni 2019, Kommission/Polen (Unabhängigkeit des Obersten Gerichts) (C‑619/18, EU:C:2019:531, insbesondere Rn. 42 bis 48, 54, 55, 57, 58 und die dort angeführte Rechtsprechung).


48      Dies gilt jedoch – zumindest unter den in den vorliegenden Rechtssachen obwaltenden Umständen – nicht für seine die Rechtssache Falsiola betreffenden Argumente.


49      Beschluss vom 26. Januar 1990 (C‑286/88, EU:C:1990:33).


50      Beschluss vom 25. Mai 1998 (C‑361/97, EU:C:1998:250).


51      C‑286/88, EU:C:1990:33, insbesondere Rn. 1 bis 5, 8 bis 10. Für weitere Erörterungen dieser Rechtssache und ihrer Rolle bei der Entwicklung der Rechtsprechung des Gerichtshofs zur Zulässigkeit von Vorlagen vgl. z. B. Schlussanträge des Generalanwalts Lenz in der Rechtssache Bosman u. a. (C‑415/93, EU:C:1995:293, Nrn. 76 bis 80), des Generalanwalts Fennelly in der Rechtssache Corsica Ferries France (C‑266/96, EU:C:1998:19, Nr. 19, Fn. 30) und des Generalanwalts Jacobs in der Rechtssache Centrosteel (C‑456/98, EU:C:2000:137, Nr. 24).


52      C‑361/97, EU:C:1998:250, insbesondere Rn. 1 bis 9, 12 bis 20. Dieser Beschluss wurde von einer Kammer mit drei Richtern erlassen.


53      Vgl. z. B. Urteile vom 10. Dezember 2018, Wightman u. a. (C‑621/18, EU:C:2018:999, Rn. 26), und vom 26. März 2019, Abanca Corporación Bancaria und Bankia (C‑70/17 und C‑179/17, EU:C:2019:250, Rn. 43 und 44).


54      Vgl. z. B. Urteile vom 10. Dezember 2018, Wightman u. a. (C‑621/18, EU:C:2018:999, Rn. 27), und vom 5. März 2019, Eesti Pagar (C‑349/17, EU:C:2019:172, Rn. 48).


55      Art. 94 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs lautet: „Das Vorabentscheidungsersuchen muss außer den dem Gerichtshof zur Vorabentscheidung vorgelegten Fragen enthalten: a) eine kurze Darstellung des Streitgegenstands und des maßgeblichen Sachverhalts, wie er vom vorlegenden Gericht festgestellt worden ist, oder zumindest eine Darstellung der tatsächlichen Umstände, auf denen die Fragen beruhen; b) den Wortlaut der möglicherweise auf den Fall anwendbaren nationalen Vorschriften und gegebenenfalls die einschlägige nationale Rechtsprechung; c) eine Darstellung der Gründe, aus denen das vorlegende Gericht Zweifel bezüglich der Auslegung oder der Gültigkeit bestimmter Vorschriften des Unionsrechts hat, und den Zusammenhang, den es zwischen diesen Vorschriften und dem auf den Ausgangsrechtsstreit anwendbaren nationalen Recht herstellt.“


56      Vgl. z. B. Urteile vom 10. März 2016, Safe Interenvios (C‑235/14, EU:C:2016:154, Rn. 114), und vom 20. Dezember 2017, Asociación Profesional Élite Taxi (C‑434/15, EU:C:2017:981, Rn. 24).


57      Vgl. z. B. Urteile vom 9. November 2017, Maio Marques da Rosa (C‑306/16, EU:C:2017:844, Rn. 54), und vom 2. Mai 2019, Asendia Spain (C‑259/18, EU:C:2019:346, Rn. 18).


58      Vgl. z. B. Urteile vom 13. Juli 2017, INGSTEEL und Metrostav (C‑76/16, EU:C:2017:549, Rn. 51), und vom 2. Mai 2019, Asendia Spain (C‑259/18, EU:C:2019:346, Rn. 20).


59      Vgl. z. B. Urteile vom 10. Dezember 2018, Wightman u. a. (C‑621/18, EU:C:2018:999, Rn. 28), und vom 13. Dezember 2018, Rittinger u. a. (C‑492/17, EU:C:2018:1019, Rn. 50).


60      Vgl. z. B. Urteile vom 24. April 2012, Kamberaj (C‑571/10, EU:C:2012:233, Rn. 44 bis 46), und vom 7. November 2013, Romeo (C‑313/12, EU:C:2013:718, Rn. 39 bis 41).


61      Vgl. z. B. Urteil vom 25. Juli 2018, Aviabaltika (C‑107/17, EU:C:2018:600, Rn. 40 bis 43), und vom 11. Dezember 2018, Weiss u. a. (C‑493/17, EU:C:2018:1000, Rn. 165 und 166).


62      Vgl. z. B. Urteil vom 24. Juni 2019, Kommission/Polen (Unabhängigkeit des Obersten Gerichts) (C‑619/18, EU:C:2019:531, Rn. 45).


63      C‑73/16, EU:C:2017:725, insbesondere Rn. 1, 2, 25 und 26.


64      Vgl. Urteil vom 27. September 2017 (C‑73/16, EU:C:2017:725, Rn. 118 bis 124).


65      C‑406/15, EU:C:2017:198.


66      C‑492/17, EU:C:2018:1019.


67      C‑589/16, EU:C:2018:417.


68      Vgl. Urteil vom 9. März 2017 (C‑406/15, EU:C:2017:198, insbesondere Rn. 73 bis 77).


69      Vgl. Urteil vom 13. Dezember 2018 (C‑492/17, EU:C:2018:1019, insbesondere Rn. 45 bis 47).


70      Vgl. Beschluss vom 7. Juni 2018 (C‑589/16, EU:C:2018:417, insbesondere Rn. 25, 28, 31 bis 33).


71      Vgl. Urteil vom 10. Dezember 2018 (C‑621/18, EU:C:2018:999, insbesondere Rn. 29 bis 34).


72      Vgl. z. B. Urteil vom 14. Dezember 2006, Confederación Española de Empresarios de Estaciones de Servicio (C‑217/05, EU:C:2006:784, Rn. 29).


73      Vgl. z. B. Urteile vom 13. Dezember 2018, Rittinger u. a. (C‑492/17, EU:C:2018:1019, Rn. 39), und vom 5. März 2019, Eesti Pagar (C‑349/17, EU:C:2019:172, Rn. 49); vgl. ebenso Schlussanträge des Generalanwalts Bot in der Rechtssache Danqua (C‑429/15, EU:C:2016:485, Nr. 32).


74      Vgl. z. B. Urteile vom 5. Juli 2016, Ognyanov (C‑614/14, EU:C:2016:514, Rn. 19), und vom 2. Mai 2019, Asendia Spain (C‑259/18, EU:C:2019:346, Rn. 19).


75      Vgl. Fn. 2 dieser Schlussanträge.


76      Vgl. meine Schlussanträge in den verbundenen Rechtssachen A.K. u. a. (Unabhängigkeit der Disziplinarkammer des Obersten Gerichts) (C‑585/18, C‑624/18 und C‑625/18, EU:C:2019:551, Nr. 120).


77      Urteil vom 27. Februar 2018 (C‑64/16, EU:C:2018:117).


78      Vgl. Urteil vom 27. Februar 2018, Associação Sindical dos Juízes Portugueses (C‑64/16, EU:C:2018:117, insbesondere Rn. 11 bis 13).


79      Vgl. z. B. Urteile vom 10. Januar 2006, IATA und ELFAA (C‑344/04, EU:C:2006:10, Rn. 23 bis 26), vom 16. Dezember 2008, Cartesio (C‑210/06, EU:C:2008:723, Rn. 68 bis 74), und vom 5. April 2016, PFE (C‑689/13, EU:C:2016:199, Rn. 31 bis 36). Ich stelle fest, dass in der letztgenannten Rechtssache kein Einwand gegen die Zulässigkeit des Vorabentscheidungsersuchens erhoben wurde.


80      Vgl. Urteile vom 17. Februar 2011, Weryński (C‑283/09, EU:C:2011:85, Rn. 34 bis 42), vom 11. Juni 2015, Fahnenbrock u. a. (C‑226/13, C‑245/13, C‑247/13 und C‑578/13, EU:C:2015:383, Rn. 30), und vom 16. Juni 2016, Pebros Servizi (C‑511/14, EU:C:2016:448, Rn. 28).


81      Urteil vom 13. März 2007 (C‑432/05, EU:C:2007:163, Rn. 62 und 64).


82      Vgl. meine Schlussanträge in den Rechtssachen Kommission/Polen (Unabhängigkeit der ordentlichen Gerichte) (C‑192/18, EU:C:2019:529, Nrn. 114 bis 116) und in den verbundenen Rechtssachen A.K. u. a. (Unabhängigkeit der Disziplinarkammer des Obersten Gerichts) (C‑585/18, C‑624/18 und C‑625/18, EU:C:2019:551, Nrn. 145 bis 152).


83      EU:C:2019:531. Siehe Fn. 5 dieser Schlussanträge.