Language of document : ECLI:EU:F:2016:191

BESCHLUSS DES GERICHTS FÜR DEN ÖFFENTLICHEN DIENST DER EUROPÄISCHEN UNION

(Erste Kammer)

1. August 2016

Rechtssache F‑112/12

Florence Bouvret u. a.

gegen

Europäische Kommission

„Öffentlicher Dienst – Beamte – Versorgungsbezüge – Art. 11 Abs. 2 des Anhangs VIII des Statuts – Übertragung von in nationalen Versorgungssystemen erworbenen Ruhegehaltsansprüchen auf das Versorgungssystem der Union – Entscheidung über die Anrechnung von ruhegehaltsfähigen Dienstjahren in Anwendung der neuen ADB zu Art. 11 und 12 des Anhangs VIII des Statuts – Art. 81 der Verfahrensordnung – Offensichtlich unbegründete Klage“

Gegenstand:      Klage nach Art. 270 AEUV, der gemäß Art. 106a EA auch für den EAG-Vertrag gilt, auf Aufhebung der Entscheidungen der Europäischen Kommission über die Anrechnung von ruhegehaltsfähigen Dienstjahren im Versorgungssystem der Europäischen Union nach der Übertragung der von den Klägern vor ihrem Eintritt in den Dienst der Union erworbenen Ruhegehaltsansprüche und, soweit erforderlich, der Entscheidungen über die Zurückweisung ihrer Beschwerden

Entscheidung:      Die Klage wird als offensichtlich unbegründet abgewiesen. Jede Partei trägt ihre eigenen Kosten.

Leitsätze

1.      Handlungen der Organe – Zeitliche Geltung – Unmittelbare Geltung der neuen Vorschrift für die künftigen Auswirkungen eines Sachverhalts, der unter der Geltung der alten Vorschrift entstanden ist – Erlass neuer allgemeiner Durchführungsbestimmungen zu den Art. 11 und 12 des Anhangs VIII des Statuts – Anwendung auf die vor Erlass der neuen Regelung beantragte, jedoch nach deren Inkrafttreten vorgenommene Übertragung der erworbenen Ruhegehaltsansprüche – Verletzung wohlerworbener Rechte – Fehlen

(Beamtenstatut, Anhang VIII Art. 11 Abs. 2)

2.      Beamte – Versorgungsbezüge – Vor dem Eintritt in den Dienst der Union erworbene Ruhegehaltsansprüche – Übertragung auf das System der Union – Erlass neuer allgemeiner Durchführungsbestimmungen zu den Art. 11 und 12 des Anhangs VIII des Statuts – Unterschiedliche Behandlung von Beamten, bei denen der Kapitalwert ihrer Ruhegehaltsansprüche vor bzw. nach dem Inkrafttreten dieser Bestimmungen auf das System der Union übertragen wurde – Verstoß gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung – Fehlen

(Beamtenstatut, Anhang VIII Art. 11 Abs. 2)

1.      Die Anwendung neuer allgemeiner Durchführungsbestimmungen zu den Art. 11 und 12 des Anhangs VIII des Statuts auf eine Übertragung von in einem anderen Versorgungssystem erworbenen Ruhegehaltsansprüchen auf das Versorgungssystem der Union, die vor Erlass dieser Bestimmungen beantragt, aber erst nach ihrem Inkrafttreten vollzogen wurde, verstößt nicht gegen Art. 11 Abs. 2 des Anhangs VIII des Statuts.

Nach einem allgemein anerkannten Grundsatz ist eine neue Vorschrift, soweit nichts Abweichendes bestimmt ist, unmittelbar auf den entstehenden Sachverhalt sowie auf die künftigen Auswirkungen eines Sachverhalts anwendbar, der unter der Geltung der alten Vorschrift entstanden, aber noch nicht vollständig abgeschlossen ist. Etwas anderes gilt nur für unter der Geltung der früheren Vorschrift entstandene und abgeschlossene Sachverhalte, die wohlerworbene Rechte begründen. Ein Recht gilt als wohlerworben, wenn der Tatbestand, der dieses Recht begründet, vor der Gesetzesänderung erfüllt ist. Dies ist jedoch bei einem Recht, bei dem der ihm zugrunde liegende Tatbestand nicht unter der Geltung der Rechtsvorschriften, die geändert wurden, erfüllt wurde, nicht der Fall.

Zum einen steht Art. 11 Abs. 2 des Anhangs VIII des Statuts einer solchen unmittelbaren Geltung der neuen allgemeinen Durchführungsbestimmungen nicht entgegen.

Zum anderen werden weder durch die Übermittlung eines Vorschlags zur Anrechnung von ruhegehaltsfähigen Dienstjahren an den Beamten oder sonstigen Bediensteten, der einen Antrag auf Übertragung von in einem anderen Versorgungssystem erworbenen Ruhegehaltsansprüchen auf das Versorgungssystem der Union gestellt hat, und noch weniger durch die bloße Stellung eines solchen Antrags die rechtliche Stellung des Betroffenen verändert oder verbindliche rechtliche Wirkungen erzeugt. Daher bestanden für einen Beamten oder sonstigen Bediensteten keine wohlerworbenen Rechte, die durch die Anwendung der neuen Bestimmungen hätten verletzt werden können.

Der Anspruch eines Beamten oder sonstigen Bediensteten auf Anrechnung von ruhegehaltsfähigen Dienstjahren ist erst dann vollständig begründet, wenn der Kapitalwert seiner in einem anderen System erworbenen Ansprüche auf das Versorgungssystem der Union übertragen ist.

(vgl. Rn. 43 bis 46, 48)

Verweisung auf:

Gericht der Europäischen Union: Urteil vom 13. Oktober 2015, Kommission/Verile und Gjergji, T‑104/14 P, EU:T:2015:776, Rn. 151 bis 154 und die dort angeführte Rechtsprechung

2.      Mit dem Erlass neuer allgemeiner Durchführungsbestimmungen zu den Art. 11 und 12 des Anhangs VIII des Statuts, aus denen sich ergibt, dass Beamte, bei denen der Kapitalwert ihrer in einem anderen System erworbenen Ruhegehaltsansprüche vor Inkrafttreten dieser Bestimmungen auf die Versorgungsordnung der Union übertragen wurde, und Beamte, bei denen er nach Inkrafttreten übertragen wurde, unterschiedlich behandelt werden, verletzt ein Organ nicht den Grundsatz der Gleichbehandlung, da die unterschiedliche Behandlung Beamte betrifft, die nicht zu ein und derselben Gruppe gehören.

Beamte, bei denen der Kapitalwert ihrer in einem anderen System erworbenen Ruhegehaltsansprüche bei Inkrafttreten der neuen Bestimmungen noch nicht auf das Versorgungssystem der Union übertragen war, befinden sich nämlich nicht in der gleichen rechtlichen Lage wie Beamte, bei denen die vor ihrem Diensteintritt erworbenen Ruhegehaltsansprüche bereits vor Inkrafttreten dieser Bestimmungen in Form des Kapitalwerts auf das Versorgungssystem der Union übertragen waren und eine Entscheidung über die Anrechnung ihrer ruhegehaltsfähigen Dienstjahre im Versorgungssystem der Union ergangen war. Erstere besaßen noch Ruhegehaltsansprüche in einem anderen System, während bei Letzteren bereits eine Übertragung des Kapitalwerts erfolgt war, die zum Erlöschen dieser Ansprüche und der entsprechenden Anrechnung ruhegehaltsfähiger Dienstjahre im Versorgungssystem der Union führt.

Zudem beruht diese unterschiedliche Behandlung auch auf einem vom Willen des Organs unabhängigen objektiven Umstand, nämlich darauf, wie zügig das externe Versorgungssystem den Antrag des Betroffenen auf Kapitalübertragung bearbeitet.

(vgl. Rn. 53)

Verweisung auf:

Gericht der Europäischen Union: Urteil vom 13. Oktober 2015, Kommission/Verile und Gjergji, T‑104/14 P, EU:T:2015:776, Rn. 177 bis 180