Language of document : ECLI:EU:T:2023:67

URTEIL DES GERICHTS (Zweite Kammer)

15. Februar 2023(*)(i)

„Energie – Zuständigkeit der ACER – Austritt des Vereinigten Königreichs aus der Union – Rechtsfehler – Art. 2 Nr. 1 der Verordnung (EU) 2019/943 – Art. 92 des Austrittsabkommens – Ad‑hoc‑Ausnahmeregelung in Art. 308 und Anhang 28 des Abkommens über Handel und Zusammenarbeit“

In der Rechtssache T‑492/21,

Aquind Ltd mit Sitz in London (Vereinigtes Königreich),

Aquind Energy Sàrl mit Sitz in Luxemburg (Luxemburg),

Aquind SAS mit Sitz in Rouen (Frankreich),

vertreten durch S. Goldberg, Solicitor, und Rechtsanwalt E. White,

Klägerinnen,

gegen

Agentur der Europäischen Union für die Zusammenarbeit der Energieregulierungsbehörden (ACER), vertreten durch P. Martinet und E. Tremmel als Bevollmächtigte im Beistand von Rechtsanwalt B. Creve,

Beklagte,

unterstützt durch

Europäisches Parlament, vertreten durch A. Tamás und O. Denkov als Bevollmächtigte,

und durch

Rat der Europäischen Union, vertreten durch A. Lo Monaco, L. Vétillard und M. É. Sitbon als Bevollmächtigte,

Streithelfer,

erlässt

DAS GERICHT (Zweite Kammer)

zum Zeitpunkt der Beratung unter Mitwirkung der Präsidentin V. Tomljenović, der Richterin P. Škvařilová-Pelzl und des Richters I. Nõmm (Berichterstatter),

Kanzler: I. Kurme, Verwaltungsrätin,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens,

auf die mündliche Verhandlung vom 24. Oktober 2022

folgendes

Urteil

1        Mit ihrer Klage nach Art. 263 AEUV beantragen die Klägerinnen, die Aquind Ltd, die Aquind Energy Sàrl und die Aquind SAS, die Aufhebung der Entscheidung des Beschwerdeausschusses der Agentur der Europäischen Union für die Zusammenarbeit der Energieregulierungsbehörden (ACER) vom 4. Juni 2021 über einen Antrag auf Gewährung einer Ausnahme für eine Verbindungsleitung für Elektrizität zwischen den Elektrizitätsübertragungsnetzen des Vereinigten Königreichs und Frankreichs (im Folgenden: angefochtene Entscheidung).

 Vorgeschichte des Rechtsstreits

2        Die Aquind Ltd ist eine im Vereinigten Königreich errichtete Aktiengesellschaft. Sie ist Projektträgerin für eine Verbindungsleitung für Elektrizität zwischen den Elektrizitätsübertragungsnetzen des Vereinigten Königreichs und Frankreichs (im Folgenden: Verbindungsleitung Aquind).

3        Am 17. Mai 2017 beantragte die Aquind Ltd eine Ausnahme für die Verbindungsleitung Aquind gemäß Art. 17 der Verordnung (EG) Nr. 714/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Juli 2009 über die Netzzugangsbedingungen für den grenzüberschreitenden Stromhandel und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 1228/2003 (ABl. 2009, L 211, S. 15). Dieser Antrag wurde bei den nationalen Regulierungsbehörden Frankreichs, der Commission de régulation de l’énergie (CRE, Energieregulierungskommission), und des Vereinigten Königreichs, dem Office of Gas and Electricity Markets (OFGEM, Amt für Gas- und Strommärkte), eingereicht.

4        Da sich die nationalen Regulierungsbehörden über den Antrag auf Gewährung einer Ausnahme nicht einigen konnten, übermittelten sie diesen am 29. November bzw. am 19. Dezember 2017 gemäß Art. 17 Abs. 5 der Verordnung Nr. 714/2009 zur Entscheidung an die ACER.

5        Mit Entscheidung vom 19. Juni 2018 lehnte die ACER den Antrag auf Gewährung einer Ausnahme für die Verbindungsleitung Aquind ab (im Folgenden: Entscheidung der ACER).

6        Am 17. August 2018 legte die Aquind Ltd gegen diese Entscheidung beim Beschwerdeausschuss der ACER (im Folgenden: Beschwerdeausschuss) Beschwerde ein.

7        Mit Entscheidung vom 17. Oktober 2018 bestätigte der Beschwerdeausschuss die Entscheidung der ACER und lehnte somit den Antrag auf Gewährung einer Ausnahme für die Verbindungsleitung Aquind ab.

8        Mit Klageschrift, die am 14. Dezember 2018 bei der Kanzlei des Gerichts einging, focht die Aquind Ltd diese Entscheidung an. Mit Urteil vom 18. November 2020, Aquind/ACER (T‑735/18, Rechtsmittel anhängig, EU:T:2020:542), hob das Gericht die Entscheidung auf.

9        Am 5. Februar 2021 nahm der Beschwerdeausschuss das Verfahren über die Beschwerde der Aquind Ltd gegen die Entscheidung der ACER wieder auf.

10      Am 19. Mai 2021 fand vor dem Beschwerdeausschuss eine mündliche Verhandlung statt.

11      Am 4. Juni 2021 erließ der Beschwerdeausschuss die angefochtene Entscheidung, mit der er die Beschwerde für unzulässig erklärte, weil er infolge des Brexits nicht mehr für die Entscheidung im Verfahren über den Antrag auf Gewährung einer Ausnahme für die Verbindungsleitung Aquind zuständig sei.

 Anträge der Parteien

12      Die Klägerinnen beantragen,

–        die angefochtene Entscheidung für nichtig aufzuheben;

–        der ACER die Kosten aufzuerlegen.

13      Die ACER, unterstützt durch das Europäische Parlament, beantragt,

–        die Klage abzuweisen;

–        den Klägerinnen die Kosten aufzuerlegen.

14      Der Rat der Europäischen Union beantragt im Wesentlichen, die Klage abzuweisen.

 Rechtliche Würdigung

15      Die Klägerinnen stützen ihre Klage auf zwei Gründe. Erstens habe der Beschwerdeausschuss einen Fehler begangen, indem er sich infolge des Brexits für unzuständig erklärt und damit die bei ihm eingelegte Beschwerde als unzulässig zurückgewiesen habe. Zweitens rügen sie einen Verstoß gegen die Erfordernisse von Art. 25 Abs. 3 und Art. 28 Abs. 4 der Verordnung (EU) 2019/942 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. Juni 2019 zur Gründung einer Agentur der Europäischen Union für die Zusammenarbeit der Energieregulierungsbehörden (ABl. 2019, L 158, S. 22) sowie gegen mehrere Bestimmungen des am 1. Dezember 2011 erlassenen Beschlusses Nr. 1-2011 des Beschwerdeausschusses zur Festlegung der Vorschriften über die Organisation und das Verfahren.

 Zum ersten Klagegrund: Rechtsfehler des Beschwerdeausschusses durch Erklärung seiner Unzuständigkeit infolge des Brexits

16      Im Rahmen des ersten Klagegrundes machen die Klägerinnen geltend, dass der Beschwerdeausschuss trotz des Brexits für die erneute Prüfung der Entscheidung der ACER nach der Aufhebung seiner Entscheidung vom 17. Oktober 2018 durch das Gericht zuständig geblieben sei. Der Beschwerdeausschuss sei nämlich nach Art. 266 AEUV verpflichtet, eine neue Entscheidung zu erlassen, die derjenigen entspreche, die er erlassen hätte, wenn er die vom Gericht festgestellten Fehler nicht begangen hätte. Die Zuständigkeit des Beschwerdeausschusses ergebe sich unmittelbar aus den Art. 19 und 20 der Verordnung (EG) Nr. 713/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Juli 2009 zur Gründung einer Agentur für die Zusammenarbeit der Energieregulierungsbehörden (ABl. 2009, L 211, S. 1), d. h. nunmehr aus den Art. 28 und 29 der Verordnung 2019/942, sowie daraus, dass eine Beschwerde bereits anhängig sei.

17      Um die Maßnahmen zu ergreifen, die erforderlich seien, um dem Urteil vom 18. November 2020, Aquind/ACER (T‑735/18, Rechtsmittel anhängig, EU:T:2020:542), in Anwendung von Art. 20 Abs. 3 der Verordnung Nr. 713/2009 und Art. 29 der Verordnung 2019/942 nachzukommen, hätte der Beschwerdeausschuss die begangenen Fehler beheben müssen, indem er die Entscheidung der ACER auf der Grundlage seiner damaligen Befugnisse und des damals anwendbaren Verfahrens abgeändert hätte, um die in dem Urteil festgestellte Rechtswidrigkeit zu beseitigen. Die Zulässigkeit einer Beschwerde vor dem Beschwerdeausschuss sei wie bei Klagen nach Art. 263 AEUV anhand der Situation zum Zeitpunkt der Einlegung der Beschwerde zu beurteilen. Die Entscheidung der ACER und die Beschwerde gegen diese Entscheidung vor dem Beschwerdeausschuss lägen vor dem Inkrafttreten der Verordnung 2019/942 und dem Brexit.

18      Die ACER, unterstützt durch das Parlament, beantragt, diesen Klagegrund zurückzuweisen.

19      Nach Art. 266 AEUV haben die Organe, Einrichtungen oder sonstigen Stellen, denen das für nichtig erklärte (bzw. aufgehobene) Handeln zur Last fällt, die sich aus dem Urteil, mit dem dieses Handeln für nichtig erklärt (bzw. aufgehoben) wurde, ergebenden Maßnahmen zu ergreifen. Der Gerichtshof hat hierzu entschieden, dass die in Rede stehenden Organe, Einrichtungen oder sonstigen Stellen einem solchen Urteil nur dann nachkommen und es vollständig durchführen, wenn sie nicht nur dessen Tenor beachten, sondern auch die Gründe, die zu ihm geführt haben und ihn in dem Sinne tragen, dass sie zur Bestimmung seiner genauen Bedeutung unerlässlich sind (Urteil vom 26. April 1988, Asteris u. a./Kommission, 97/86, 99/86, 193/86 und 215/86, EU:C:1988:199, Rn. 27).

20      Vor dem Erlass solcher Maßnahmen durch die Organe, Einrichtungen oder sonstigen Stellen, denen das für nichtig erklärte (bzw. aufgehobene) Handeln zur Last fällt, stellt sich jedoch die Frage nach deren Befugnis, da sie nur innerhalb der Grenzen ihrer Einzelermächtigungen tätig werden dürfen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 14. Juni 2016, Kommission/McBride u. a., C‑361/14 P, EU:C:2016:434, Rn. 36 und die dort angeführte Rechtsprechung).

21      Zudem stellt die aus Art. 266 AEUV resultierende Verpflichtung zum Tätigwerden keine Quelle von Befugnissen der in Rede stehenden Organe, Einrichtungen oder sonstigen Stellen dar und erlaubt es ihnen auch nicht, sich auf eine mittlerweile aufgehobene Rechtsgrundlage zu stützen (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 14. Juni 2016, Kommission/McBride u. a., C‑361/14 P, EU:C:2016:434, Rn. 38, und vom 29. April 2020, Tilly-Sabco/Rat und Kommission, T‑707/18, nicht veröffentlicht, EU:T:2020:160, Rn. 44).

22      Die sich aus Art. 266 AEUV ergebende Verpflichtung zum Tätigwerden entbindet die in Rede stehenden Organe, Einrichtungen oder sonstigen Stellen nämlich nicht von der Notwendigkeit, das Handeln, das die sich aus dem Nichtigkeitsurteil (bzw. Aufhebungsurteil) ergebenden Maßnahmen umfasst, auf eine Rechtsgrundlage zu stützen, die sie zu diesem Handeln ermächtigt und die zum Zeitpunkt des Handelns in Kraft ist (Urteil vom 19. Juni 2019, C & J Clark International, C‑612/16, nicht veröffentlicht, EU:C:2019:508, Rn. 40).

23      Daher ist in einem ersten Schritt festzustellen, ob ein Organ, eine Einrichtung oder sonstige Stelle zum Handeln befugt ist und welche spezifische Unionsvorschrift gegebenenfalls hierfür die Grundlage bildet. Erst dann ist zu ermitteln, welche konkreten materiell-rechtlichen und verfahrensrechtlichen Bestimmungen auf die Handlungen dieses Organs anwendbar sind. Ist jedoch keine anwendbare Rechtsgrundlage zu dem Zeitpunkt in Kraft, zu dem ein Organ, eine Einrichtung oder sonstige Stelle der Union beabsichtigt, eine bestimmte Maßnahme zu ergreifen, können die Grundsätze für die zeitliche Abfolge nicht herangezogen werden, um materiell-rechtliche Bestimmungen anzuwenden, die ehemals für vergangene Handlungen gegolten haben (Schlussanträge der Generalanwältin Sharpston in der Rechtssache Kommission/McBride u. a., C‑361/14 P, EU:C:2016:25, Nr. 86, vgl. in diesem Sinne auch Urteil vom 25. Oktober 2007, SP u. a./Kommission, T‑27/03, T‑46/03, T‑58/03, T‑79/03, T‑80/03, T‑97/03 und T‑98/03, EU:T:2007:317, Rn. 117).

24      Im Licht dieser Rechtsprechung ist zu prüfen, ob der Beschwerdeausschuss nach Verkündung des Urteils vom 18. November 2020, Aquind/ACER (T‑735/18, Rechtsmittel anhängig, EU:T:2020:542), das Handeln, das die sich aus dem Urteil ergebenden Maßnahmen umfasst, auf eine Rechtsgrundlage stützen konnte, die ihn zu diesem Handeln ermächtigte und die zum Zeitpunkt des Handelns in Kraft war.

25      Dies setzt im vorliegenden Fall voraus, festzustellen, worin die sich aus dem Urteil vom 18. November 2020, Aquind/ACER (T‑735/18, Rechtsmittel anhängig, EU:T:2020:542), ergebenden Maßnahmen hätten bestehen können.

26      Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass die Aquind Ltd bei der CRE und dem OFGEM eine Ausnahme für die Verbindungsleitung Aquind gemäß Art. 17 der Verordnung Nr. 714/2009 beantragt hatte. Mangels einer Einigung zwischen diesen beiden nationalen Regulierungsbehörden war der Antrag auf Gewährung einer Ausnahme gemäß Art. 17 Abs. 5 der Verordnung Nr. 714/2009 an die ACER übermittelt worden.

27      Mit der Entscheidung der ACER vom 19. Juni 2018 wurde der Antrag auf Gewährung einer Ausnahme für die Verbindungsleitung Aquind abgelehnt. Die ACER war der Ansicht, die Aquind Ltd erfülle eine der für die Gewährung einer Ausnahme erforderlichen Voraussetzungen nicht, nämlich die Voraussetzung nach Art. 17 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 714/2009, wonach das mit der Investition verbundene Risiko so hoch sein müsse, dass die Investition ohne die Gewährung einer Ausnahme nicht getätigt würde. Mit der Entscheidung vom 17. Oktober 2018 bestätigte der Beschwerdeausschuss die Entscheidung der ACER und lehnte somit den Antrag auf Gewährung einer Ausnahme für die Verbindungsleitung Aquind ab.

28      Mit Urteil vom 18. November 2020, Aquind/ACER (T‑735/18, Rechtsmittel anhängig, EU:T:2020:542), hob das Gericht die Entscheidung des Beschwerdeausschusses vom 17. Oktober 2018 mit der Begründung auf, dass dieser zum einen die Entscheidung der ACER nur einer beschränkten Kontrolle unterzogen habe und zum anderen eine zusätzliche, in der Regelung nicht vorgesehene Voraussetzung für die Gewährung von Ausnahmen für neue Verbindungsleitungen geschaffen habe, indem er verlangt habe, dass vor der Einreichung eines Antrags auf Gewährung einer Ausnahme ein Antrag auf finanzielle Unterstützung für Investitionen im Zusammenhang mit einem Vorhaben von gemeinsamem Interesse gestellt werden müsse.

29      Unter Berücksichtigung des Urteils vom 18. November 2020, Aquind/ACER (T‑735/18, Rechtsmittel anhängig, EU:T:2020:542), bestehen die Maßnahmen, die sich aus dem Urteil ergeben könnten, in einer erneuten Kontrolle der Entscheidung der ACER durch den Beschwerdeausschuss, die sich nicht auf offensichtliche Beurteilungsfehler beschränkt, wobei darauf zu achten ist, dass der vom Gericht festgestellte Fehler, der auf dem Erfordernis der vorherigen Einreichung eines Antrags auf finanzielle Unterstützung beruht, bei der Beurteilung der Voraussetzung des mit der Investition verbundenen Risikos nicht wiederholt wird.

30      Entgegen dem Vorbringen der Klägerinnen können diese Maßnahmen in dieser Hinsicht nicht darin bestehen, dass von Amts wegen eine Entscheidung erlassen wird, mit der ihnen die beantragte Ausnahme gewährt wird. Aus dem Urteil vom 18. November 2020, Aquind/ACER (T‑735/18, Rechtsmittel anhängig, EU:T:2020:542), geht nämlich nicht hervor, dass nach Ansicht des Gerichts die in Art. 17 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 714/2009 vorgesehene Voraussetzung hinsichtlich eines mit der Investition verbundenen Risikos erfüllt war und der Beschwerdeausschuss verpflichtet war, eine neue Entscheidung zu erlassen, die den Weg für die Gewährung der Ausnahme ebnet.

31      Nachdem festgestellt worden ist, welche Art von Maßnahmen sich aus dem Aufhebungsurteil ergeben, ist zu prüfen, ob es zum Zeitpunkt des Erlasses der angefochtenen Entscheidung, d. h. am 4. Juni 2021, eine geltende Rechtsgrundlage gab, die den Beschwerdeausschuss zu einem Handeln ermächtigte, das diese Art von Maßnahmen umfasst.

32      Insoweit ist klarzustellen, dass die Bestimmungen über die Rechtsgrundlage und das Verfahren bis zum Erlass der angefochtenen Entscheidung unter die Verfahrensvorschriften fallen (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 29. März 2011, ThyssenKrupp Nirosta/Kommission, C‑352/09 P, EU:C:2011:191, Rn. 90, vom 12. September 2007, González y Díez/Kommission, T‑25/04, EU:T:2007:257, Rn. 60, und vom 31. März 2009, ArcelorMittal Luxembourg u. a./Kommission, T‑405/06, EU:T:2009:90, Rn. 67). Nach ständiger Rechtsprechung ist bei Verfahrensvorschriften im Allgemeinen davon auszugehen, dass sie ab dem Datum ihres Inkrafttretens Anwendung finden (vgl. Urteil vom 26. März 2015, Kommission/Moravia Gas Storage, C‑596/13 P, EU:C:2015:203, Rn. 33 und die dort angeführte Rechtsprechung).

33      Im vorliegenden Fall war die Rechtsgrundlage für die Prüfung von Beschwerden gegen Entscheidungen der ACER, einschließlich Entscheidungen über die Gewährung von Ausnahmen, als das Gericht die Entscheidung des Beschwerdeausschusses vom 17. Oktober 2018 aufgehoben hat und dieser daher die Entscheidung der ACER erneut prüfen musste, in Art. 28 der Verordnung 2019/942 enthalten. Die Verordnung 2019/942 hat nämlich die Verordnung Nr. 713/2009 ersetzt und ist am 4. Juli 2019, d. h. vor dem Erlass der angefochtenen Entscheidung, in Kraft getreten. Somit war Art. 28 der Verordnung 2019/942 im vorliegenden Fall grundsätzlich anwendbar (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 7. September 2022, BNetzA/ACER, T‑631/19, EU:T:2022:509, Rn. 21 und 81). Was die ACER betrifft, so ergab sich die Rechtsgrundlage für den Erlass einer Entscheidung über einen Antrag auf Gewährung einer Ausnahme aus Art. 10 der Verordnung 2019/942 und Art. 63 Abs. 5 der Verordnung (EU) 2019/943 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. Juni 2019 über den Elektrizitätsbinnenmarkt (ABl. 2019, L 158, S. 54).

34      Diese Bestimmungen, die die ACER ermächtigen, einen Antrag auf Gewährung einer Ausnahme für eine Verbindungsleitung zu prüfen, und diejenigen, die den Beschwerdeausschuss zur Prüfung der Entscheidung der ACER über den Antrag ermächtigen, können jedoch nur dann Anwendung finden, wenn – wie in Art. 2 Nr. 1 der Verordnung 2019/943 und im Übrigen in Art. 2 Abs. 1 der Verordnung Nr. 714/2009 vorgesehen – die Übertragungsleitung eine Grenze zwischen Mitgliedstaaten überquert oder überspannt und die nationalen Übertragungsnetze der Mitgliedstaaten verbindet.

35      Dagegen ermächtigen die Verordnungen 2019/942 und 2019/943 die ACER nicht, einen Antrag auf Gewährung einer Ausnahme für eine Verbindungsleitung zwischen einem Mitgliedstaat und einem Drittstaat zu prüfen, und verleihen dem Beschwerdeausschuss erst recht nicht die Zuständigkeit für die Prüfung der Entscheidung der ACER über einen solchen Antrag.

36      Infolge des Brexits betrifft das Vorhaben der Verbindungsleitung Aquind nun aber eine Verbindungsleitung zwischen einem Mitgliedstaat und einem Drittstaat. Dies hat zur Folge, dass weder die ACER noch der Beschwerdeausschuss ein Handeln, das die sich aus dem Urteil vom 18. November 2020, Aquind/ACER (T‑735/18, Rechtsmittel anhängig, EU:T:2020:542), ergebenden Maßnahmen umfasst, auf die Rechtsgrundlage stützen konnte, die sie ursprünglich zu diesem Handeln ermächtigte.

37      In Anbetracht dieser Schlussfolgerung ist zu prüfen, ob die ACER und der Beschwerdeausschuss ein Handeln, das die sich aus dem Urteil vom 18. November 2020, Aquind/ACER (T‑735/18, Rechtsmittel anhängig, EU:T:2020:542), ergebenden Maßnahmen umfasst, auf eine andere als die in den Verordnungen 2019/942 und 2019/943 enthaltene Rechtsgrundlage stützen konnten.

38      In dieser Hinsicht richtet sich die Beziehung zwischen der Union und dem Vereinigten Königreich nach den Bestimmungen des Abkommens über den Austritt des Vereinigten Königreichs Großbritannien und Nordirland aus der Europäischen Union und der Europäischen Atomgemeinschaft (ABl. 2020, L 29, S. 7, im Folgenden: Austrittsabkommen) sowie nach den Bestimmungen des Abkommens über Handel und Zusammenarbeit zwischen der Europäischen Union und der Europäischen Atomgemeinschaft einerseits und dem Vereinigten Königreich Großbritannien und Nordirland andererseits (ABl. 2021, L 149, S. 10, im Folgenden: AHZ).

39      Erstens sieht Art. 92 („Laufende Verwaltungsverfahren“) Abs. 1 des Austrittsabkommens vor:

„Die Organe, Einrichtungen und sonstigen Stellen der Union sind weiterhin für Verwaltungsverfahren zuständig, die vor Ende des Übergangszeitraums eingeleitet werden in Bezug auf: a) die Einhaltung von Unionsrecht durch das Vereinigte Königreich oder durch im Vereinigten Königreich ansässige beziehungsweise niedergelassene natürliche oder juristische Personen oder b) die Einhaltung des Unionsrechts in Bezug auf den Wettbewerb im Vereinigten Königreich.“

40      Art. 92 Abs. 4 des Austrittsabkommens bestimmt, dass die Union dem Vereinigten Königreich innerhalb von drei Monaten nach Ende des Übergangszeitraums eine Liste aller einzelnen laufenden Verwaltungsverfahren vorlegt, die in den Anwendungsbereich von Abs. 1 fallen.

41      Zunächst bedarf eine Bestimmung, deren Bedeutung klar und eindeutig ist, keiner Auslegung (Urteile vom 25. November 2009, Deutschland/Kommission, T‑376/07, EU:T:2009:467, Rn. 22, und vom 13. Juli 2018, Société générale/EZB, T‑757/16, EU:T:2018:473, Rn. 33). Schon der Wortlaut von Art. 92 Abs. 1 des Austrittsabkommens lässt den Schluss zu, dass sich dessen Anwendungsbereich nicht auf Verwaltungsverfahren erstreckt, die Anträge auf Gewährung einer Ausnahme für Verbindungsleitungen nach Art. 63 der Verordnung 2019/943 betreffen. Art. 92 des Austrittsabkommens begründet die Zuständigkeit der Organe, Einrichtungen und sonstigen Stellen der Union nämlich nur in bestimmten Verwaltungsverfahren, in denen es um die Organe, Einrichtungen und sonstigen Stellen des Vereinigten Königreichs oder um im Vereinigten Königreich ansässige beziehungsweise niedergelassene natürliche oder juristische Personen im Zusammenhang mit der Einhaltung des Unionsrechts geht. Die Organe, Einrichtungen und sonstigen Stellen der Union sind somit weiterhin dafür zuständig, gegen diese Organe, Einrichtungen, und sonstigen Stellen des Vereinigten Königreichs und die dort ansässigen beziehungsweise niedergelassenen natürlichen oder juristischen Personen zu ermitteln und gegebenenfalls Sanktionen zu verhängen, wenn ein Verfahren vor Ende des Übergangszeitraums eingeleitet wurde.

42      Sodann bestätigte die Kommission insoweit dem Beschwerdeausschuss mit E‑Mail vom 10. Mai 2021, dass das Verwaltungsverfahren in der vorliegenden Rechtssache nicht auf der nach Art. 92 Abs. 4 des Austrittsabkommens erstellten Liste der Verwaltungsverfahren aufgeführt sei. Es ist klarzustellen, dass diese Bestimmung eindeutig vorsieht, dass die dem Vereinigten Königreich innerhalb von drei Monaten nach Ende des Übergangszeitraums vorgelegte Liste „alle“ einzelnen laufenden Verwaltungsverfahren erfasst, die in den Anwendungsbereich von Abs. 1 fallen, und dass es sich daher entgegen dem Vorbringen der Klägerinnen nicht um eine Liste „zu reinen Informationszwecken“ handelt.

43      Darüber hinaus veröffentlichten die CRE und das OFGEM in diesem Sinne am 27. Januar 2021 auf ihren jeweiligen Internetseiten eine Mitteilung, dass beschlossen worden sei, das Verfahren über die Gewährung einer Ausnahme für die Verbindungsleitung Aquind mit der Begründung einzustellen, dass die in Art. 63 der Verordnung 2019/942 vorgesehene Ausnahmeregelung infolge des Austritts des Vereinigten Königreichs Großbritannien und Nordirland aus der Union nicht mehr auf dieses Vorhaben anwendbar sei.

44      Schließlich spiegelt Art. 92 des Austrittsabkommens entgegen dem Vorbringen der Klägerinnen keinen allgemeinen Grundsatz wider, wonach laufende Verfahren durch den Brexit nicht unterbrochen werden sollten. Wie die ACER zu Recht hervorgehoben hat, stellt diese Bestimmung vielmehr eine Ausnahme von dem allgemeinen Grundsatz dar, dass das Unionsrecht – und damit die Zuständigkeit der Einrichtungen der Union – auf das Vereinigte Königreich nach seinem Austritt aus der Union und deren Rechtsordnung nicht mehr anwendbar ist.

45      Zweitens sieht Art. 309 des AHZ vor:

„Jede Vertragspartei stellt sicher, dass Ausnahmen für Verbindungsleitungen zwischen der Union und dem Vereinigten Königreich nach Artikel 63 der Verordnung [2019/943] in ihren jeweiligen Hoheitsgebieten, deren Bedingungen über den Übergangszeitraum hinausgehen, im Einklang mit den Rechtsvorschriften ihrer jeweiligen Rechtsordnung und den geltenden Bedingungen weiterhin gelten.“

46      Art. 309 des AHZ, dessen Bedeutung klar und eindeutig ist, bedarf keiner Auslegung. Er bezieht sich nämlich nur auf „Ausnahmen“, d. h. die bereits bestehenden, und betrifft somit nicht die Anträge auf Gewährung einer Ausnahme, die noch geprüft werden. Folglich kann der Beschwerdeausschuss die sich aus dem Urteil vom 18. November 2020, Aquind/ACER (T‑735/18, Rechtsmittel anhängig, EU:T:2020:542), ergebenden Maßnahmen nicht ergreifen, indem er nach Art. 309 des AHZ die Ausnahme für die Verbindungsleitung Aquind gewährt.

47      Das AHZ hat eine besondere Ausnahmeregelung in Art. 308 und Anhang 28 vorgesehen. Diese Bestimmung und der Anhang, auf den sie verweist, sehen nämlich vor, dass eine Vertragspartei beschließen kann, die Art. 306 und 307 des AHZ – die u. a. Entgelte für den Zugang zu den Netzen, den Anschluss an die Netze oder die Nutzung der Netze vorsehen – für die Errichtung neuer Infrastruktur nicht anzuwenden, wenn das mit der Investition in die Infrastruktur verbundene Risiko so hoch ist, dass die Investition ohne Gewährung einer Ausnahme nicht getätigt würde.

48      Jedoch verleihen weder Art. 308 und Anhang 28 noch im Übrigen irgendeine andere Bestimmung des AHZ der ACER und folglich dem Beschwerdeausschuss irgendeine Zuständigkeit, über Anträge auf Gewährung einer Ausnahme für Verbindungsleitungen für Elektrizität zu entscheiden. Wie der Beschwerdeausschuss zu Recht hervorgehoben hat, setzt die Umsetzung eines Systems von Ausnahmen Vorkehrungen und Schritte seitens der betroffenen Mitgliedstaaten und des Vereinigten Königreichs voraus.

49      Darüber hinaus unterscheiden sich der Anwendungsbereich der Regelung für Ausnahmen von den Vorschriften des Binnenmarkts der Union und der Anwendungsbereich der in Art. 308 und Anhang 28 des AHZ enthaltenen Ausnahmeregelung. Die zweite Regelung erfasst nämlich nur Ausnahmen von den Vorschriften des AHZ, und zwar von Art. 306 des AHZ („Zugang Dritter zu Übertragungs‑/Fernleitungs- und Verteilernetzen“) und von Art. 307 des AHZ („Netzbetrieb und Entflechtung der Übertragungs‑/Fernleitungsnetzbetreiber“).

50      Folglich können sich die Klägerinnen nicht auf Art. 308 und Anhang 28 des AHZ stützen, um geltend zu machen, dass der Beschwerdeausschuss dafür zuständig gewesen sei, die sich aus dem Urteil vom 18. November 2020, Aquind/ACER (T‑735/18, Rechtsmittel anhängig, EU:T:2020:542), ergebenden Maßnahmen zu ergreifen.

51      Daraus folgt, dass es keine Bestimmung gibt, die Art. 20 Abs. 3 der Verordnung Nr. 713/2009 oder Art. 29 der Verordnung 2019/942 entspricht und der ACER sowie dem Beschwerdeausschuss die Zuständigkeit zum Tätigwerden im Fall einer Verbindungsleitung zwischen einem Mitgliedstaat und einem Drittstaat verleiht und die sie zur Anwendung der materiell-rechtlichen Vorschriften in Art. 17 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 714/2009 und Art. 63 der Verordnung 2019/943 ermächtigt hätte.

52      Das Vorbringen der Klägerinnen kann die Stichhaltigkeit der Begründung des Beschwerdeausschusses nicht in Frage stellen.

53      Erstens ist das Vorbringen der Klägerinnen zurückzuweisen, wonach die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bedeute, dass die ACER das bei ihr anhängig gewesene Verfahren an dem Punkt wiederaufnehme, an dem die Rechtswidrigkeit eingetreten sei, und dass sie eine neue Entscheidung erlasse, die nicht die im Urteil des Gerichts festgestellte Rechtswidrigkeit aufweise und damit dem Antrag auf Gewährung einer Ausnahme stattgebe.

54      Dieses Vorbringen reicht nämlich nicht aus, um den Umstand in Frage zu stellen, dass der Beschwerdeausschuss für die Prüfung der Entscheidung der ACER nicht mehr zuständig ist. Außerdem ist das Gericht, wie oben in Rn. 30 ausgeführt worden ist, nicht zu dem Schluss gelangt, dass die in Art. 17 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 714/2009 vorgesehene Voraussetzung hinsichtlich eines mit der Investition verbundenen Risikos erfüllt war und der Beschwerdeausschuss daher verpflichtet war, eine neue Entscheidung zu erlassen, die den Weg für die Gewährung der Ausnahme ebnet.

55      Zweitens machen die Klägerinnen geltend, dass Entscheidungen über Anträge auf Gewährung einer Ausnahme einen deklaratorischen Charakter hätten und zum Zeitpunkt des fraglichen Antrags wirksam würden. Dies habe zur Folge, dass die Ausnahme, die Gegenstand ihres Antrags aus dem Jahr 2017 sei, als „bereits bestehende Ausnahme“ im Sinne von Art. 309 des AHZ anzusehen sei.

56      Dem kann nicht gefolgt werden. Der Beschwerdeausschuss ist nämlich zu Recht davon ausgegangen, dass eine Entscheidung, mit der einem Antrag auf Gewährung einer Ausnahme für eine Verbindungsleitung stattgegeben werde, ein Handeln darstelle, das ab seiner Vornahme Wirkungen entfalte, und dass sich die Rechtsstellung des Begünstigten somit erst zum Zeitpunkt dieser Vornahme ändere. Eine solche Entscheidung kann daher nicht rückwirkend zum Zeitpunkt des Antrags auf Gewährung einer Ausnahme neue Rechte begründen.

57      Drittens machen die Klägerinnen zu Unrecht geltend, dass Art. 29 der Verordnung 2019/942 dem Beschwerdeausschuss die Zuständigkeit dafür verleihe, die sich aus dem Urteil vom 18. November 2020, Aquind/ACER (T‑735/18, Rechtsmittel anhängig, EU:T:2020:542), ergebenden Maßnahmen zu ergreifen.

58      Der letzte Satz von Art. 29 der Verordnung 2019/942 bestimmt nämlich, dass die „ACER alle erforderlichen Maßnahmen [ergreift], um dem Urteil des Gerichtshofs nachzukommen“, und wiederholt damit den Inhalt von Art. 266 AEUV. Im Einklang mit den oben in den Rn. 19 bis 22 dargelegten Erwägungen zu Art. 266 AEUV kann die aus Art. 29 der Verordnung 2019/942 resultierende Verpflichtung zum Tätigwerden auch keine Quelle von Befugnissen der ACER darstellen und es dieser auch nicht erlauben, sich auf eine Rechtsgrundlage zu stützen, die mittlerweile auf den vorliegenden Fall nicht mehr anwendbar ist. Die Kontrolle der Entscheidung der ACER durch den Beschwerdeausschuss im Rahmen der Vornahme der sich aus dem Urteil vom 18. November 2020, Aquind/ACER (T‑735/18, Rechtsmittel anhängig, EU:T:2020:542), ergebenden Maßnahmen erforderte daher, dass der Beschwerdeausschuss zum Zeitpunkt des Erlasses der angefochtenen Entscheidung zuständig war, was vorliegend nicht der Fall war.

59      Nach alledem hat der Beschwerdeausschuss keinen Rechtsfehler begangen, indem er davon ausging, dass er infolge des Brexits nicht mehr dafür zuständig sei, über die Entscheidung der ACER zu befinden und dabei die sich aus dem Urteil vom 18. November 2020, Aquind/ACER (T‑735/18, Rechtsmittel anhängig, EU:T:2020:542), ergebenden Maßnahmen zu ergreifen.

60      Daher ist der erste Klagegrund zurückzuweisen.

 Zum zweiten Klagegrund: Verstoß gegen die Erfordernisse von Art. 25 Abs. 3 und Art. 28 Abs. 4 der Verordnung 2019/942 sowie gegen mehrere Bestimmungen der Verfahrensordnung des Beschwerdeausschusses

61      Die Klägerinnen machen geltend, der Beschwerdeausschuss habe gegen Art. 25 Abs. 3 und Art. 28 Abs. 4 der Verordnung 2019/942 sowie gegen Bestimmungen seiner eigenen Verfahrensordnung verstoßen. Eines der Mitglieder des Beschwerdeausschusses sei nämlich bei der mündlichen Verhandlung vom 19. Mai 2021 nicht anwesend gewesen, die anderen Mitglieder des Beschwerdeausschusses hätten sich in der mündlichen Verhandlung nicht zu Wort gemeldet, das Protokoll dieser mündlichen Verhandlung sei nicht ausreichend detailliert gewesen, und es sei ihnen aufgrund der fehlenden Veröffentlichung des Protokolls der Beratungssitzung der Mitglieder des Beschwerdeausschusses auf der Internetseite der ACER unmöglich, herauszufinden, ob alle Mitglieder des Beschwerdeausschusses bei dieser Sitzung anwesend gewesen seien und am Entscheidungsprozess teilgenommen hätten.

62      Die ACER, unterstützt durch das Parlament, beantragt, diesen Klagegrund als im Wesentlichen ins Leere gehend zurückzuweisen, da die angefochtene Entscheidung ohne die von den Klägerinnen behaupteten Unregelmäßigkeiten in der Sache nicht anders hätte ausfallen können.

63      Nach ständiger Rechtsprechung hat ein Kläger dann kein berechtigtes Interesse an der Aufhebung einer Entscheidung wegen Formmangels, wenn die Verwaltung keinen Ermessensspielraum besitzt und handeln muss, wie sie es getan hat, denn in einem solchen Fall könnte die Aufhebung dieser Entscheidung nur zum Erlass einer neuen Entscheidung führen, die inhaltlich mit der aufgehobenen Entscheidung identisch ist (Urteil vom 6. Juli 1983, Geist/Kommission, 117/81, EU:C:1983:191, Rn. 7, vgl. in diesem Sinne auch Urteile vom 4. Februar 2016, Italian International Film/EACEA, T‑676/13, EU:T:2016:62, Rn. 54, und vom 7. Juli 2021, HM/Kommission, T‑587/16 RENV, nicht veröffentlicht, EU:T:2021:415, Rn. 30).

64      Ein Kläger hat erst recht kein Interesse daran, die Nichtigerklärung eines Beschlusses bzw. die Aufhebung einer Entscheidung, mit dem bzw. der das Tätigwerden in einer bestimmten Angelegenheit verweigert wird, aufgrund eines bestimmten Klagegrundes zu beantragen, wenn die betreffende Verwaltung ohnehin nicht befugt ist, in dieser Angelegenheit tätig zu werden, so dass die Nichtigerklärung eines solchen Beschlusses bzw. die Aufhebung einer solchen Entscheidung auf der Grundlage dieses Klagegrundes nur dazu führen könnte, dass ein neuer Beschluss bzw. eine neue Entscheidung ergeht, mit dem bzw. der das Tätigwerden in dieser Angelegenheit verweigert wird (Beschluss vom 14. Juli 2020, Shindler u. a./Kommission, T‑627/19, EU:T:2020:335, Rn. 49).

65      Aus der Prüfung des ersten Klagegrundes ergibt sich, dass der Beschwerdeausschuss jedenfalls infolge des Brexits nicht mehr dafür zuständig war, die sich aus dem Urteil vom 18. November 2020, Aquind/ACER (T‑735/18, Rechtsmittel anhängig, EU:T:2020:542), ergebenden Maßnahmen zu ergreifen.

66      Folglich ist, wie die ACER zu Recht bemerkt, der zweite Klagegrund als ins Leere gehend zurückzuweisen, ohne dass seine Begründetheit geprüft zu werden braucht, und mithin die Klage insgesamt abzuweisen.

 Kosten

67      Nach Art. 134 Abs. 1 der Verfahrensordnung des Gerichts ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Nach Art. 135 der Verfahrensordnung kann das Gericht jedoch aus Gründen der Billigkeit entscheiden, dass eine unterliegende Partei neben ihren eigenen Kosten nur einen Teil der Kosten der Gegenpartei trägt oder gar nicht zur Tragung dieser Kosten zu verurteilen ist.

68      Im vorliegenden Fall sind die Klägerinnen zwar mit ihren Anträgen unterlegen, gleichwohl ist die Unzuständigkeit des Beschwerdeausschusses eine Folge des Brexits. Dieses vom Willen der Klägerinnen unabhängige Ereignis trat während des Verfahrens vor den Organen der ACER ein, nachdem das Gericht die ursprüngliche Entscheidung des Beschwerdeausschusses aufgehoben hatte. Angesichts dieser besonderen Umstände hält es das Gericht bei angemessener Würdigung des vorliegenden Falles für geboten, den Klägerinnen und der ACER jeweils ihre eigenen Kosten aufzuerlegen.

69      Nach Art. 138 Abs. 1 der Verfahrensordnung tragen die Organe, die dem Rechtsstreit als Streithelfer beigetreten sind, ihre eigenen Kosten. Das Parlament und der Rat tragen daher ihre eigenen Kosten.

Aus diesen Gründen hat

DAS GERICHT (Zweite Kammer)

für Recht erkannt und entschieden:

1.      Die Klage wird abgewiesen.

2.      Die Aquind Ltd, die Aquind SAS, die Aquind Energy Sàrl und die Agentur der Europäischen Union für die Zusammenarbeit der Energieregulierungsbehörden (ACER) tragen ihre eigenen Kosten.

3.      Das Europäische Parlament und der Rat der Europäischen Union tragen ihre eigenen Kosten.

Tomljenović

Škvařilová-Pelzl

Nõmm

Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 15. Februar 2023.

Unterschriften


*      Verfahrenssprache: Englisch.


i      Die vorliegende Sprachfassung ist in den Rn. 1, 8, 12, 16, 19, 20, 22, 28, 31, 63, 64 und 68 gegenüber der ursprünglich online gestellten Fassung geändert worden.