Language of document : ECLI:EU:T:2006:65

Rechtssache T-194/03

Il Ponte Finanziaria SpA

gegen

Harmonisierungsamt für den Binnenmarkt (Marken, Muster und Modelle) (HABM)

„Gemeinschaftsmarke − Widerspruchsverfahren – Anmeldung einer Gemeinschaftsbildmarke, die den Wortbestandteil ‚Bainbridge‘ enthält – Ältere nationale Wort‑, Bild‑ und dreidimensionale Marken, die den Wortbestandteil ‚Bridge‘ enthalten – Nachweis der Benutzung – ‚Defensiv‘marken – Markenfamilie“

Leitsätze des Urteils

1.      Gemeinschaftsmarke – Bemerkungen Dritter und Widerspruch – Prüfung des Widerspruchs – Nachweis der Benutzung der älteren Marke

(Verordnung Nr. 40/94 des Rates, Artikel 15 Absatz 1, 43 Absätze 2 und 3, 50 Absatz 1 Buchstabe a und 56 Absatz 2)

2.      Gemeinschaftsmarke – Bemerkungen Dritter und Widerspruch – Prüfung des Widerspruchs – Nachweis der Benutzung der älteren Marke

(Verordnung Nr. 40/94 des Rates, Artikel 15 Absatz 2 Buchstabe a)

3.      Gemeinschaftsmarke – Definition und Erwerb der Gemeinschaftsmarke – Relative Eintragungshindernisse – Widerspruch des Inhabers einer für identische oder ähnliche Waren oder Dienstleistungen eingetragenen identischen oder ähnlichen älteren Marke

(Verordnung Nr. 40/94 des Rates, Artikel 8 Absatz 1 Buchstabe b)

4.      Gemeinschaftsmarke – Definition und Erwerb der Gemeinschaftsmarke – Relative Eintragungshindernisse – Widerspruch des Inhabers einer für identische oder ähnliche Waren oder Dienstleistungen eingetragenen identischen oder ähnlichen älteren Marke

(Verordnung Nr. 40/94 des Rates, Artikel 8 Absatz 1 Buchstabe b)

1.      In der Systematik der Verordnung Nr. 40/94 über die Gemeinschaftsmarke stellt die tatsächliche Benutzung eines Zeichens im Handelsverkehr für die Waren oder die Dienstleistungen, für die sie eingetragen worden ist, eine wesentliche Voraussetzung dafür dar, dass seinem Inhaber die ausschließlichen Rechte zuerkannt werden, die Gegenstand des den Marken gewährten Schutzes sind. So sehen die Artikel 15 Absatz 1, 50 Absatz 1 Buchstabe a, 43 Absätze 2 und 3 sowie 56 Absatz 2 der Verordnung Nr. 40/94 für den Inhaber einer Marke die Verpflichtung zu deren Benutzung oder – im Rahmen der Verfahren für den Widerspruch, die Erklärung des Verfalls oder die Erklärung der Nichtigkeit – die Verpflichtung zum Nachweis ihrer ernsthaften Benutzung vor.

Zwar regeln diese Bestimmungen eine Ausnahme, wonach die Folgen der Verletzung dieser Verpflichtungen den Inhaber der Marke dann nicht treffen, wenn „berechtigte Gründe“ für die Nichtbenutzung vorliegen. Doch bezieht sich der Begriff „berechtigte Gründe“ im Sinne dieser Bestimmungen auf Gründe, die auf dem Bestehen von Hindernissen für die Benutzung der Marke oder auf Situationen beruhen, in denen sich die gewerbliche Nutzung der Marke unter Berücksichtigung aller einschlägigen Umstände des konkreten Falles als übermäßig kostspielig erweisen würde. Solche Hindernisse können sich unter Umständen aus einer nationalen Regelung ergeben, die beispielsweise Beschränkungen des Inverkehrbringens der mit der Marke gekennzeichneten Waren verfügt, so dass eine solche Regelung als berechtigter Grund für die Nichtbenutzung der Marke angeführt werden kann. Dagegen kann sich der Inhaber einer nationalen Eintragung, der Widerspruch gegen die Anmeldung einer Gemeinschaftsmarke erhebt, nicht der Beweislast, die ihm gemäß Artikel 43 Absätze 2 und 3 der Verordnung Nr. 40/94 obliegt, durch Berufung auf eine nationale Bestimmung entziehen, die die Anmeldung von Zeichen als Marken erlaubt, die wegen ihrer reinen Abwehrfunktion für ein anderes Zeichen, das gewerblich verwendet wird, nicht dazu bestimmt sind, im Handelsverkehr benutzt zu werden. Denn solche Eintragungen sind nicht mit der Regelung der Gemeinschaftsmarke vereinbar, wie sie sich aus der Verordnung Nr. 40/94 ergibt, und ihre Anerkennung auf nationaler Ebene kann keinen „berechtigten Grund“ im Sinne von Artikel 43 Absätze 2 und 3 dieser Verordnung für die Nichtbenutzung einer älteren Marke darstellen, auf die ein Widerspruch gegen die Anmeldung einer Gemeinschaftsmarke gestützt wird.

(vgl. Randnrn. 43, 46)

2.      Artikel 15 Absatz 2 Buchstabe a der Verordnung Nr. 40/94 über die Gemeinschaftsmarke stellt auf den Fall ab, dass eine eingetragene nationale oder Gemeinschaftsmarke im Handelsverkehr in einer Form benutzt wird, die sich leicht von der Form unterscheidet, für die die Eintragung vorgenommen wurde. Der Zweck dieser Bestimmung, die es vermeidet, eine strikte Übereinstimmung zwischen der verwendeten Form der Marke und derjenigen, in der die Marke eingetragen worden ist, vorzuschreiben, besteht darin, es dem Inhaber der letztgenannten Marke zu erlauben, im Rahmen seines Geschäftsbetriebs Veränderungen an dem Zeichen vorzunehmen, die es, ohne die Unterscheidungskraft der Marke zu beeinflussen, erlauben, sie den Anforderungen der Vermarktung und der Förderung des Absatzes der betreffenden Waren oder Dienstleistungen besser anzupassen. Seinem Zweck entsprechend ist der sachliche Geltungsbereich dieser Bestimmung als auf die Situationen beschränkt zu betrachten, in denen das Zeichen, das vom Inhaber einer Marke konkret zur Bezeichnung der Waren oder Dienstleistungen, für die diese eingetragen worden ist, verwendet wird, die Form darstellt, in der diese Marke gewerblich genutzt wird. Für solche Situationen sieht die erwähnte Bestimmung vor, dass die Pflicht zur Benutzung der Marke dann, wenn das im Handelsverkehr verwendete Zeichen von der Form, in der es eingetragen worden ist, nur in geringfügigen Bestandteilen abweicht und die beiden Zeichen somit als insgesamt gleichwertig betrachtet werden können, dadurch erfüllt werden kann, dass der Nachweis der Benutzung des Zeichens erbracht wird, das deren im Handelsverkehr benutzte Form darstellt. Dagegen erlaubt es Artikel 15 Absatz 2 Buchstabe a dieser Verordnung dem Inhaber einer eingetragenen Marke nicht, sich seiner Pflicht zur Benutzung dieser Marke dadurch zu entziehen, dass er sich zu seinen Gunsten auf die Verwendung einer ähnlichen Marke beruft, die Gegenstand einer anderen Eintragung ist.

(vgl. Randnr. 50)

3.      Beim durchschnittlichen italienischen Verbraucher besteht keine Gefahr der Verwechslung zwischen dem Bildzeichen mit dem Wortbestandteil „Bainbridge“, das als Gemeinschaftsmarke für „Leder und Lederimitationen sowie Waren daraus, soweit sie nicht in anderen Klassen enthalten sind; Häute und Felle, Reise- und Handkoffer; Regenschirme, Sonnenschirme und Spazierstöcke; Peitschen, Pferdegeschirr und Sattlerwaren“ und „Bekleidungsstücke, Schuhwaren, Kopfbedeckungen“ der Klassen 18 und 25 im Sinne des Abkommens von Nizza angemeldet worden ist, einerseits, und den Wortmarken FOOTBRIDGE, OVER THE BRIDGE und THE BRIDGE, der zusammengesetzten Marke, die den Wortbestandteil „the bridge wayfarer“ enthält, und der dreidimensionalen Marke, die das Wort „the bridge“ zeigt, andererseits, die in Italien vorher für gleichartige Waren der gleichen Klassen angemeldet worden waren, und zwar trotz der hohen Kennzeichnungskraft der älteren Marken und der Identität der in Rede stehenden Waren, da die kollidierenden Zeichen einander in semantischer Hinsicht nicht ähneln und da der optische Vergleich der kollidierenden Zeichen große Unterschiede zwischen diesen zutage treten lässt, die es erlauben, den einzigen gemeinsamen Bestandteil, die Folge von sechs „bridge“ bildenden Buchstaben, als nicht dafür ausreichend zu erachten, zwischen den in Rede stehenden Marken unter Berücksichtigung des durch sie hervorgerufenen Gesamteindrucks einen im Rahmen der Beurteilung der Verwechslungsgefahr erheblichen Grad an optischer Ähnlichkeit festzustellen. Was die klangliche Ähnlichkeit zwischen den kollidierenden Zeichen angeht, so ist diese von geringerer Bedeutung, wenn es sich um Waren handelt, die so vermarktet werden, dass die maßgeblichen Verkehrskreise die sie kennzeichnende Marke beim Kauf gewöhnlich optisch wahrnehmen.

(vgl. Randnrn. 101, 114, 116)

4.      Wenn der Widerspruch gegen eine Gemeinschaftsmarke auf mehrere ältere Marken gestützt wird und diese Marken Merkmale aufweisen, die es ermöglichen, sie als Teil ein und derselben „Serie“ oder „Familie“ zu betrachten, was insbesondere dann der Fall sein kann, wenn sie insgesamt ein und dasselbe Unterscheidungsmerkmal unter Hinzufügung eines Bild‑ oder Wortbestandteils wiedergeben, der sie voneinander unterscheidet, oder wenn sie durch die Wiederholung ein und desselben als Silbe vorangestellten oder angehängten Wortes aus einer Ursprungsmarke gekennzeichnet sind, so ist dieser Umtausch ein für die Beurteilung des Vorliegens einer Verwechslungsgefahr maßgeblicher Faktor.

Denn in solchen Fällen kann eine Verwechslungsgefahr durch die Möglichkeit der gedanklichen Verbindung zwischen der angemeldeten Marke und den älteren, der Serie angehörenden Marken hervorgerufen werden, wenn die angemeldete Marke mit den Letztgenannten Ähnlichkeiten aufweist, die den Verbraucher glauben machen könnten, dass sie Teil dieser Serie wäre, und dass daher die durch sie gekennzeichneten Waren von der gleichen betrieblichen Herkunft wie die älteren Marken oder von verwandter Herkunft wären. Eine solche Gefahr der gedanklichen Verbindung zwischen der angemeldeten Marke und den älteren Serienmarken, die Verwirrung über die betriebliche Herkunft der mit den kollidierenden Zeichen gekennzeichneten Waren hervorrufen könnte, kann sogar dann vorliegen, wenn der Vergleich zwischen der angemeldeten Marke und den älteren Marken, jeweils getrennt betrachtet, nicht die Feststellung erlaubt, dass eine unmittelbare Verwechslungsgefahr vorliegt. In einem solchen Fall ergibt sich die Gefahr, dass sich der Verbraucher über die betriebliche Herkunft der fraglichen Waren oder Dienstleistungen irren kann, nicht aus der Möglichkeit, dass er die angemeldete Marke mit der einen oder anderen älteren Marke der Serie verwechselt, sondern aus der Möglichkeit, dass er glaubt, die angemeldete Marke gehöre zur selben Serie.

Doch kann die Gefahr der gedanklichen Verbindung nur dann geltend gemacht werden, wenn zwei Voraussetzungen kumulativ erfüllt sind. Erstens muss der Inhaber einer Serie älterer Eintragungen den Nachweis der Benutzung aller zu der Serie gehörenden Marken oder zumindest einer Reihe von Marken, die eine „Serie“ bilden können, erbringen. Zweitens muss die angemeldete Marke nicht nur den zur Serie gehörenden ähnlich sein, sondern muss auch Merkmale aufweisen, die geeignet sind, sie mit der Serie in Verbindung zu bringen. Dies könnte beispielsweise dann nicht der Fall sein, wenn ein den älteren Serienmarken gemeinsamer Bestandteil in der angemeldeten Marke an einer anderen Stelle als an derjenigen, an der er sich gewöhnlich bei den zu der Serie gehörenden Marken befindet, oder mit einem anderen semantischen Inhalt verwendet wird.

(vgl. Randnrn. 123-127)