Language of document : ECLI:EU:C:2023:920

URTEIL DES GERICHTSHOFS (Zehnte Kammer)

23. November 2023(*)

„Vorlage zur Vorabentscheidung – Verordnung (EG) Nr. 1085/2006 – Als Instrument für Heranführungshilfe (IPA) gewährte Hilfe – Verordnung (EG) Nr. 718/2007 – Art. 7 Abs. 1 und 3 – Rahmenvereinbarung zwischen der Europäischen Kommission und dem betreffenden begünstigten Land – Vorschriften für die Zusammenarbeit hinsichtlich der Finanzhilfe der Europäischen Union für das begünstigte Land – Steuern und Abgaben – IPA-Rahmenvereinbarung Albanien‑EG – Von der Union finanzierter Vertrag – Experte, der weder ein Beamter noch ein Bediensteter der EU ist – Art. 26 Abs. 2 Buchst. c – Befreiung von der Steuer in Albanien – Steuerlicher Wohnsitz in Kroatien – kroatische Einkommensteuer“

In der Rechtssache C‑682/22

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Upravni sud u Zagrebu (Verwaltungsgericht Zagreb, Kroatien) mit Entscheidung vom 17. Oktober 2022, beim Gerichtshof eingegangen am 2. November 2022, in dem Verfahren

LM

gegen

Ministarstvo financija Republike Hrvatske, Samostalni sektor za drugostupanjski upravni postupak

erlässt

DER GERICHTSHOF (Zehnte Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten Z. Csehi, des Präsidenten der Fünften Kammer E. Regan (Berichterstatter) und des Richters D. Gratsias,

Generalanwältin: L. Medina,

Kanzler: A. Calot Escobar,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

–        der kroatischen Regierung, vertreten durch G. Vidović Mesarek als Bevollmächtigte,

–        der Europäischen Kommission, vertreten durch O. Glinicka, M. Mataija, W. Roels und D. Schaffrin als Bevollmächtigte,

aufgrund des nach Anhörung der Generalanwältin ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,

folgendes

Urteil

1        Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 26 Abs. 2 Buchst. c der am 18. Oktober 2007 unterzeichneten Rahmenvereinbarung zwischen der Regierung der Republik Albanien und der Kommission der Europäischen Gemeinschaften über die Regeln der Zusammenarbeit bei der Durchführung der Finanzhilfe der Europäischen Gemeinschaft für die Republik Albanien im Rahmen der Instrumente für Heranführungshilfe (IPA) (im Folgenden: Rahmenvereinbarung).

2        Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen LM, einer kroatischen Staatsangehörigen, und dem Ministarstvo financija Republike, samostalni sektor za drugostupanjski upravni postupak (Finanzministerium, selbständige Abteilung für Verwaltungsverfahren in zweiter Instanz, Kroatien) (im Folgenden: Finanzministerium) über die Besteuerung von Einkünften, die sie als Expertin in Albanien im Rahmen eines von der Europäischen Union finanzierten Projekts erzielt hat, im Rahmen der kroatischen Einkommensteuer.

 Rechtlicher Rahmen

 Unionsrecht

 Verordnung (EG) Nr. 1085/2006

3        Art. 1 („Begünstigte und allgemeine Zielsetzung“) der Verordnung (EG) Nr. 1085/2006 des Rates vom 17. Juli 2006 zur Schaffung eines Instruments für Heranführungshilfe (IPA) (ABl. 2006, L 210, S. 82), die bis zum 31. Dezember 2013 galt, bestimmte:

„Die Gemeinschaft unterstützt die in den Anhängen I und II aufgeführten Länder bei ihrer schrittweisen Angleichung an die Standards und die Politik der Europäischen Union, gegebenenfalls einschließlich des gemeinschaftlichen Besitzstands, mit Blick auf eine künftige Mitgliedschaft.“

4        Art. 17 („Durchführung der Hilfe“) Abs. 1 dieser Verordnung sah vor:

„Die [Europäische] Kommission und die Empfängerländer schließen Rahmenvereinbarungen über die Durchführung der Hilfe.“

5        In Anhang II dieser Verordnung war unter dem ersten Gedankenstrich „Albanien“ aufgeführt.

 Verordnung (EG) Nr. 718/2007

6        Art. 7 („Rahmenvereinbarungen und Sektorvereinbarungen“) der Verordnung (EG) Nr. 718/2007 der Kommission vom 12. Juni 2007 zur Durchführung der Verordnung Nr. 1085/2006 (ABl. 2007, L 170, S. 1) sah vor:

„(1)      Die Kommission und das begünstigte Land schließen eine Rahmenvereinbarung, in der die Vorschriften für die Zusammenarbeit hinsichtlich der Finanzhilfe der Gemeinschaft für das begünstigte Land niedergelegt und vereinbart werden. Die Rahmenvereinbarung kann gegebenenfalls durch eine Sektorvereinbarung oder Sektorvereinbarungen mit komponentenspezifischen Bestimmungen ergänzt werden.

(3)      Gegenstand der Rahmenvereinbarung sind insbesondere

k)      die Vorschriften für Steuern, Zölle und sonstige Abgaben;

…“

 Rahmenvereinbarung

7        Art. 26 („Vorschriften für Steuern, Zölle und sonstige Abgaben“) der Rahmenvereinbarung sieht in Abs. 2 vor:

„Es gelten folgende nähere Bestimmungen:

c)      Die auf der Grundlage eines Vertrags mit der Europäischen Gemeinschaft erzielten Gewinne und/oder das auf dieser Grundlage erzielte Einkommen werden in Albanien im Einklang mit dem nationalen/lokalen Steuersystem besteuert. Jedoch sind natürliche und juristische Personen – einschließlich des vorübergehend außerhalb ihres Staats wohnhaften Personals – aus Mitgliedstaaten der Europäischen Union oder anderen im Rahmen des [Instruments für Heranführungshilfe (IPA)] anerkannten Staaten, die mit Mitteln der Gemeinschaft finanzierte Verträge ausführen, in Albanien von diesen Steuern befreit.

…“

 Kroatisches Recht

8        Art. 3 Abs. 1 des Zakon o porezu na dohodak (Einkommensteuergesetz) vom 3. Dezember 2004 (Narodne novine, br. 177/04, 73/08, 80/10, 114/11, 22/12, 144/12, 43/13, 120/13, 125/13, 148/13, 83/14, 143/14 und 136/2015) sieht vor:

„Ein Steueransässiger ist eine natürliche Person, die ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt in der Republik Kroatien hat.“

9        Art. 6 Abs. 1 dieses Gesetzes bestimmt:

„Bemessungsgrundlage der Steuer auf das Einkommen ist der Gesamtbetrag des Einkommens aus unselbständiger Arbeit, aus selbständiger Tätigkeit gemäß Absatz 3 dieser Bestimmung, aus Eigentum und Eigentumsrechten, aus Kapital, aus Versicherungsleistungen und des sonstigen Einkommens, das Steueransässige im In- und Ausland erzielen (Welteinkommensprinzip), abzüglich des individuellen Abschlags gemäß Art. 36 und/oder Art. 54 dieses Gesetzes.“

10      Art. 38 Abs. 1 des Opći porezni zakon (Allgemeines Steuergesetz) (Narodne novine, br. 147/2008, 18/2011, 78/2012, 136/2012, 73/2013, 26/2015 und 44/2016) legt fest:

„Im Sinne dieses Gesetzes wird davon ausgegangen, dass der Steuerpflichtige seinen Wohnsitz dort hat, wo er in einem Zeitraum von einem oder zwei Kalenderjahren an mindestens 183 Tagen ununterbrochen eine in seinem Eigentum oder Besitz stehende Wohnung hat. Ein Aufenthalt in der Wohnung ist nicht erforderlich.“

 Ausgangsverfahren und Vorlagefrage

11      Die Klägerin des Ausgangsverfahrens schloss mit der Deutschen Stiftung für internationale rechtliche Zusammenarbeit e. V. (im Folgenden: IRZ) mit Sitz in Bonn (Deutschland) einen Vertrag, auf dessen Grundlage sie für das Projekt Nr. 346-900 „Konsolidierung des Justizsystems in Albanien (Euralius IV)“ als Expertin zur Erbringung von Leistungen in Albanien für mindestens 220 Tage im Jahr 2016 eingestellt wurde. Dieses Projekt, das von der Union im Rahmen des nationalen Programms „IPA 2013“ finanziert wurde, wurde von einem Unternehmenskonsortium sowie der IRZ umgesetzt.

12      Zu diesem Zweck schloss die Klägerin des Ausgangsverfahrens, die von den zuständigen albanischen Behörden eine Arbeitserlaubnis und ein Identitätsdokument erhalten hatte, einen Wohnungsmietvertrag und übte ihre täglichen Tätigkeiten in einem Büro in Tirana (Albanien) aus. Sie meldete in Albanien ihren Wohnsitz an und war dort krankenversichert. Im gleichen Zeitraum war die Klägerin des Ausgangsverfahrens Eigentümerin einer Immobilie in Kroatien und wurde von den kroatischen Steuerbehörden als Steueransässige betrachtet.

13      Für ihre Mitwirkung als Expertin zahlte das IRZ der Klägerin des Ausgangsverfahrens für das Jahr 2016 ein Entgelt in Höhe von 140 400 Euro als Vergütung und zur Deckung der Lebenshaltungskosten.

14      Mit Steuerbescheid vom 20. Dezember 2017, unterwarf die Steuerverwaltung Zagreb (Kroatien), Zweigstelle Trnje, als erstinstanzliche Steuerbehörde diesen Betrag in voller Höhe der kroatischen Einkommensteuer. Nach Anwendung der Ermäßigungen und Steuersätze belief sich die von der Klägerin des Ausgangsverfahrens zu entrichtende Einkommensteuer auf 458 045, 30 kroatische Kuna (HRK) (etwa 62 000 Euro).

15      Die Klägerin des Ausgangsverfahrens legte beim Finanzministerium Einspruch gegen diesen Steuerbescheid ein und begründete dies u. a. damit, dass Art. 26 Abs. 2 Buchst. c der Rahmenvereinbarung es ausschließe, die von ihr in Albanien als Expertin erzielten Einkünfte der kroatischen Einkommensteuer zu unterwerfen.

16      Mit Bescheid vom 22. November 2021 wies das Finanzministerium dieses Vorbringen zurück, gab dem Einspruch jedoch dennoch statt, hob den Steuerbescheid auf und verwies die Sache an die erstinstanzliche Steuerbehörde mit der Begründung zurück, diese habe nicht alle relevanten Tatsachen im Zusammenhang mit der Höhe des Einkommens und der Steueransässigkeit der Klägerin des Ausgangsverfahrens in Kroatien ordnungsgemäß festgestellt.

17      Daraufhin erhob diese beim Upravni sud u Zagrebu (Verwaltungsgericht Zagreb, Kroatien), dem vorlegenden Gericht, Klage auf Aufhebung des Steuerbescheids vom 20. Dezember 2017 und des Bescheids vom 22. November 2021.

18      Die Klägerin des Ausgangsverfahrens stützt ihre Klage darauf, dass sich sowohl aus Art. 26 Abs. 2 Buchst. c der Rahmenvereinbarung als auch aus Art. 12 des Protokolls (Nr. 7) über die Vorrechte und Befreiungen der Europäischen Union ergebe, dass der von der IRZ gezahlte Betrag nicht der kroatischen Einkommensteuer unterworfen werden dürfe. Andere Experten, die Staatsangehörige anderer Mitgliedstaaten seien und die am gleichen Projekt mitgewirkt hätten, seien in diesen Mitgliedstaaten nicht zur Einkommensteuer veranlagt worden.

19      Das Finanzministerium macht geltend, dass die Rahmenvereinbarung die kroatischen Steuerbehörden nicht binde und deren Art. 26 Abs. 2 Buchst. c lediglich die Befugnis der Republik Albanien ausschließe, Einkünfte wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden zu besteuern. Diese unterlägen somit der kroatischen Einkommensteuer, da die Klägerin des Ausgangsverfahrens in diesem Mitgliedstaat wohnhaft sei.

20      In seiner Entscheidung führt das vorlegende Gericht aus, dass für die Entscheidung des Ausgangsrechtsstreits nur die Auslegung von Art. 26 Abs. 2 Buchst. c der Rahmenvereinbarung relevant sei. Das Protokoll (Nr. 7) über die Vorrechte und Befreiungen der Europäischen Union sei nämlich auf die Klägerin des Ausgangsverfahrens nicht anwendbar, da sie weder Bedienstete noch Beamtin der Union sei. Im Übrigen sei die Betroffene nach nationalem Recht für die Zwecke der vorliegenden Rechtssache als eine in Kroatien steuerlich ansässige Person anzusehen, da sie im Jahr 2016 Eigentümerin einer Wohnung im kroatischen Hoheitsgebiet gewesen sei.

21      Da die Mitgliedstaaten ihre Befugnisse im Bereich der direkten Steuern unter Beachtung der sich womöglich aus dem Unionsrecht ergebenden Beschränkungen ausüben müssten, sei es wichtig, zu klären, ob sich eine solche Beschränkung aus Art. 26 Abs. 2 Buchst. c der Rahmenvereinbarung ergebe und, wenn ja, deren Tragweite zu bestimmen.

22      Wenn diese Bestimmung dahin auszulegen wäre, dass sie der Republik Albanien die ausschließliche Befugnis zur Einkommensbesteuerung von Einkünften einräume, die ständige Experten im Rahmen eines von der EU finanzierten IPA-Projekts erzielten, könnte die Republik Kroatien den im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Betrag nicht der Einkommensteuer unterwerfen. Dann wäre es ausgeschlossen, dass die kroatischen Steuerbehörden ein Verfahren gegen die Klägerin des Ausgangsverfahrens führten, um die Einkommensteuerpflicht in Bezug auf diese Einkünfte feststellen zu lassen. In diesem Fall müssten der Steuerbescheid vom 20. Dezember 2017 und der Bescheid vom 22. November 2021 aufgehoben werden.

23      Es stelle sich jedoch die Frage, ob die Befreiung der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Einkünfte von der Einkommensteuer in Albanien den Mitgliedstaaten die Möglichkeit eröffne, diese der Einkommensteuer zu unterwerfen. Insoweit sei zu klären, ob diese Befreiung nur bezwecke, die Unabhängigkeit der ständigen Experten, die Staatsangehörige eines Mitgliedstaats seien, mittels steuerlicher Maßnahmen vor möglicher Einflussnahme durch das im Rahmen des IPA-Projekts begünstigte Land zu schützen, oder ob sie auch den Mitgliedstaaten ermöglichen solle, die Einkünfte ihrer als Experten beschäftigten Staatsangehörigen zu besteuern.

24      Unter diesen Umständen hat der Upravni sud u Zagrebu (Verwaltungsgericht Zagreb) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorzulegen:

Ist Art. 26 Abs. 2 Buchst. c der Rahmenvereinbarung dahin auszulegen, dass er die Befugnis eines Mitgliedstaats, im konkreten Fall der Republik Kroatien, ausschließt, Einkommensteuer auf Einkünfte zu erheben, die ihr Staatsangehöriger 2016 als ständiger Experte mit im Rahmen eines Projekts im Hoheitsgebiet der Republik Albanien erbrachten Leistungen erzielt hat, wobei die Begünstigten dieses Projekts staatliche Stellen der Republik Albanien waren und das Projekt von der Europäischen Union im Rahmen des Instruments für Heranführungshilfe IPA 2013 finanziert wurde?

 Zur Vorlagefrage

25      Mit seiner Frage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob Art. 26 Abs. 2 Buchst. c der Rahmenvereinbarung dahin auszulegen ist, dass er Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats entgegensteht, die vorsehen, dass Einkünfte der Einkommensteuer unterliegen, die eine in diesem Mitgliedstaat steuerlich ansässige Person, die weder Beamter noch Bediensteter der Union ist, für ihre im Rahmen des IPA in Albanien erbrachten Leistungen erhalten hat.

26      Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs sind bei der Auslegung einer Unionsvorschrift ihr Wortlaut, der Zusammenhang, in den sie sich einfügt, und die Ziele der Regelung, zu der sie gehört, zu berücksichtigen (Urteil vom 20. Oktober 2022, Centre public d’action sociale de Liège [Rücknahme oder Aussetzung einer Rückkehrentscheidung], C‑825/21, EU:C:2022:810, Rn. 41 und die dort angeführte Rechtsprechung).

27      Zum Wortlaut von Art. 26 Abs. 2 Buchst. c der Rahmenvereinbarung ist festzustellen, dass diese Bestimmung, mit der Art. 7 Abs. 3 Buchst. k der Verordnung Nr. 718/2007 umgesetzt werden soll, in ihrem ersten Satz vorsieht, dass Einkünfte aus Verträgen mit der Union gemäß den Steuervorschriften der Union „in Albanien … besteuert“ werden, wobei im zweiten Satz klargestellt wird, dass die Personen „aus“ Mitgliedstaaten, die von der Union finanzierte Verträge ausführen, „in Albanien von diesen Steuern befreit“ werden müssen.

28      Somit geht bereits aus dem Wortlaut von Art. 26 Abs. 2 Buchst. c Satz 2 des Rahmenabkommens klar hervor, dass sich die darin vorgesehene Steuerbefreiung für Personen, die u. a. aufgrund ihrer Staatsangehörigkeit oder ihres Wohnsitzes in einem Mitgliedstaat steuerlich ansässig sind, ausschließlich auf die Einkommensteuer bezieht, die diese Personen nach dem ersten Satz dieses Art. 26 Abs. 2 Buchst. c „in Albanien“ aufgrund einer Tätigkeit zu zahlen hätten, die sie in diesem Drittland im Rahmen eines von der Union finanzierten IPA-Projekts ausübten.

29      Dagegen behandelt Art. 26 Abs. 2 Buchst. c der Rahmenvereinbarung nicht die Frage der Einkommensteuer, die gegebenenfalls von denselben Personen in einem Mitgliedstaat nach dessen Steuerrecht geschuldet sein könnte.

30      Somit lässt bereits der Wortlaut dieser Bestimmung den Schluss zu, dass sie einen Mitgliedstaat – wie im vorliegenden Fall die Republik Kroatien – nicht daran hindert, Einkünfte der Einkommensteuer zu unterwerfen, die ein Experte mit steuerlicher Ansässigkeit in diesem Mitgliedstaat für Leistungen erzielt, die er in Albanien im Rahmen eines von der Union finanzierten IPA‑Projekts erbracht hat, da sich diese Bestimmung darauf beschränkt, den Umfang der Steuerhoheit nur dieses Drittlands in Bezug auf Personen festzulegen, die in seinem Hoheitsgebiet im Rahmen eines solchen Projekts Leistungen erbringen.

31      Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs darf eine Auslegung einer Bestimmung des Unionsrechts nicht dazu führen, dem klaren und unmissverständlichen Wortlaut der Bestimmung jede praktische Wirksamkeit zu nehmen. Somit kann der Gerichtshof, wenn sich der Sinn einer Bestimmung des Unionsrechts eindeutig aus ihrem Wortlaut ergibt, nicht von dieser Auslegung abweichen (Urteil vom 20. September 2022, VD und SR, C‑339/20 und C‑397/20, EU:C:2022:703, Rn. 71 und die dort angeführte Rechtsprechung).

32      Jedenfalls wird die in Rn. 30 des vorliegenden Urteils dargelegte wörtliche Auslegung von Art. 26 Abs. 2 Buchst. c der Rahmenvereinbarung durch den Zusammenhang gestützt, in den sich diese Bestimmung einfügt, sowie durch die Ziele der Regelung, zu der sie gehört.

33      Nach ständiger Rechtsprechung fallen die direkten Steuern zwar in die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten, doch müssen diese ihre Befugnisse unter Wahrung des Unionsrechts ausüben (Urteil vom 22. Dezember 2022, Airbnb Ireland und Airbnb Payments UK, C-83/21, EU:C:2022:1018, Rn. 41).

34      Daraus folgt, dass außerhalb der Bereiche, in denen das Steuerrecht der Union harmonisiert wurde, die Bestimmung der grundlegenden Merkmale der Steuer aufgrund ihrer Steuerautonomie in die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten fällt. Dies gilt insbesondere für die Festlegung der steuerlichen Bemessungsgrundlage und des Steuertatbestands (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 8. November 2022, Fiat Chrysler Finance Europe/Kommission, C‑885/19 P und C‑898/19 P, EU:C:2022:859, Rn. 73).

35      Die Rahmenvereinbarung bezweckt keineswegs, die Zuständigkeiten der Mitgliedstaaten im Bereich der direkten Steuern zu beschränken, sondern stellt, wie sich aus Art. 7 Abs. 1 der Verordnung Nr. 718/2007 ergibt, lediglich ein Instrument der Zusammenarbeit bei der Finanzhilfe der Union für Albanien als begünstigtes Land dar.

36      Da die in Art. 26 Abs. 2 Buchst. c Satz 2 der Rahmenvereinbarung vorgesehene Steuerbefreiung nicht alle Personen im Sinne von Satz 1 dieser Bestimmung betrifft, die im Rahmen eines von der Union finanzierten IPA‑Projekts in Albanien beschäftigt werden, sondern nur Personen mit steuerlicher Ansässigkeit in den Mitgliedstaaten, die in diesem Drittstaat tätig werden, soll sie verhindern, dass deren Einkünfte wegen dieser außerhalb des Mitgliedstaats ihrer steuerlichen Ansässigkeit ausgeübten Tätigkeit einer Doppelbesteuerung unterworfen werden.

37      Im Übrigen steht fest, dass diese Steuerbefreiung, wie von der Kommission geltend gemacht, die Unabhängigkeit der im Rahmen des IPA beschäftigten, in den Mitgliedstaaten steueransässigen Personen von den Behörden des betreffenden begünstigten Drittlands gewährleisten soll. Die Befreiung von der Einkommensteuer in dem Mitgliedstaat, in dem sie steuerlich ansässig sind, würde nicht zur Erreichung dieses Ziels beitragen.

38      Daher ist auf die Vorlagefrage zu antworten, dass Art. 26 Abs. 2 Buchst. c der Rahmenvereinbarung dahin auszulegen ist, dass er Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats nicht entgegensteht, die vorsehen, dass Einkünfte der Einkommensteuer unterliegen, die eine in diesem Mitgliedstaat steuerlich ansässige Person, die weder Beamter noch Bediensteter der Union ist, für ihre im Rahmen des IPA in Albanien erbrachten Leistungen erhalten hat.

 Kosten

39      Für die Beteiligten des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren Teil des beim vorlegenden Gericht anhängigen Verfahrens; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Zehnte Kammer) für Recht erkannt:

Art. 26 Abs. 2 Buchst. c der am 18. Oktober 2007 unterzeichneten Rahmenvereinbarung zwischen der Regierung der Republik Albanien und der Kommission der Europäischen Gemeinschaften über die Regeln der Zusammenarbeit bei der Durchführung der Finanzhilfe der Europäischen Gemeinschaft für die Republik Albanien im Rahmen der Instrumente für Heranführungshilfe (IPA) ist dahin auszulegen, dass er Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats nicht entgegensteht, die vorsehen, dass Einkünfte der Einkommensteuer unterliegen, die eine in diesem Mitgliedstaat steuerlich ansässige Person, die weder Beamter noch Bediensteter der Europäischen Union ist, für ihre im Rahmen des IPA in Albanien erbrachten Leistungen erhalten hat.

Unterschriften


*      Verfahrenssprache: Kroatisch.