Language of document : ECLI:EU:T:2016:248

Vorläufige Fassung

Rechtssache T‑556/11

(auszugsweise Veröffentlichung)

European Dynamics Luxembourg SA u. a.

gegen

Amt der Europäischen Union für geistiges Eigentum

„Öffentliche Dienstleistungsaufträge – Ausschreibungsverfahren – Softwareentwicklung und ‑pflege – Ablehnung des Angebots eines Bieters – Einstufung eines Bieters in einem Kaskadenverfahren – Ausschlussgründe – Interessenkonflikt – Gleichbehandlung – Sorgfaltspflicht – Zuschlagskriterien – Offensichtlicher Beurteilungsfehler – Begründungspflicht – Außervertragliche Haftung – Verlust einer Chance“

Leitsätze – Urteil des Gerichts (Vierte Kammer) vom 27. April 2016

1.      Öffentliche Aufträge der Europäischen Union – Ausschreibungsverfahren – Erteilung des Zuschlags – Ausschluss der Bieter, die sich in Interessenkonflikten befinden – Begriff des Interessenkonflikts – Beteiligung einer Gesellschaft, die Mitglied eines Bieterkonsortiums ist, an den vorbereitenden Arbeiten des Auftrags – Einbeziehung – Voraussetzung – Bestehen einer Gefahr für den Wettbewerb zwischen den Bietern

(Verordnung Nr. 1605/2002 des Rates, Art. 94 Buchst. a)

2.      Öffentliche Aufträge der Europäischen Union – Ausschreibungsverfahren – Erteilung des Zuschlags – Ausschluss der Bieter, die sich in Interessenkonflikten befinden – Pflichten des öffentlichen Auftraggebers

(Verordnung Nr. 1605/2002 des Rates, Art. 94 Buchst. a)

3.      Öffentliche Aufträge der Europäischen Union – Ausschreibungsverfahren – Erteilung des Zuschlags – Ausschluss der Bieter – Verpflichtung des Zuschlagsempfängers, vor Zuschlagserteilung einen Strafregisterauszug neueren Datums vorzulegen – Bedeutung – Möglichkeit des öffentlichen Auftraggebers, sich mit einer vor einem Notar abgegebenen Erklärung zu begnügen – Nicht gegeben

(Verordnung Nr. 1605/2002 des Rates, Art. 93 Abs. 1 Buchst. a, b und e; Verordnung Nr. 2342/2002 der Kommission, Art. 134 Abs. 3 Unterabs. 1)

4.      Gerichtliches Verfahren – Klageschrift – Formerfordernisse – Ermittlung des Streitgegenstands – Kurze Darstellung der Klagegründe – Klagegrund, der sich auf die Rechtswidrigkeit der technischen Zuschlagskriterien eines öffentlichen Auftrags und auf ein Vorbringen stützt, das auf die Anlage zur Klageschrift verweist – Zulässigkeit – Voraussetzungen

(Satzung des Gerichtshofs, Art. 21 und 53 Abs. 1; Verfahrensordnung des Gerichts, Art. 44 § 1 Buchst. c)

5.      Öffentliche Aufträge der Europäischen Union – Ausschreibungsverfahren – Erteilung des Zuschlags – Zuschlagskriterien – Erfordernis der Klarheit und Deutlichkeit – Prüfung durch den Unionsrichter von Amts wegen – Ausschluss

(Verordnung Nr. 1605/2002 des Rates, Art. 89 Abs. 1)

6.      Öffentliche Aufträge der Europäischen Union – Ausschreibungsverfahren – Entscheidung über die Ablehnung eines Angebots – Fehlende oder unzureichende Begründung – Prüfung durch den Unionsrichter von Amts wegen

(Art. 296 AEUV)

7.      Öffentliche Aufträge der Europäischen Union – Ausschreibungsverfahren – Erteilung des Zuschlags – Zuschlagskriterien – Nachträgliche Aufzählung der Unterkriterien im Bieterbewertungsbericht – Unzulässigkeit – Verstoß gegen die Grundsätze der Gleichbehandlung und der Transparenz

(Verordnung Nr. 1605/2002 des Rates, Art. 89 Abs. 1)

8.      Öffentliche Aufträge der Europäischen Union – Ausschreibungsverfahren – Beanstandung der Verdingungsunterlagen – Klage eines Bieters, der über die Einrede der Rechtswidrigkeit die Formel für die finanzielle Bewertung beanstandet, die vom öffentlichen Auftraggeber verwendet wurde – Zulässigkeit – Ermessen des öffentlichen Auftraggebers hinsichtlich der Auswahl der Zuschlagskriterien – Grenzen

(Art. 263 AEUV; Verordnung Nr. 1605/2002 des Rates)

9.      Handlungen der Organe – Begründung – Pflicht – Umfang – Entscheidung in einem Verfahren zur Vergabe eines öffentlichen Dienstleistungsauftrags, ein Angebot nicht zu berücksichtigen – Verpflichtung des öffentlichen Auftraggebers, auf schriftliches Ersuchen hin die Merkmale und Vorteile des ausgewählten Angebots sowie den Namen des Auftragnehmers mitzuteilen – Verpflichtung, eine detaillierte Zusammenfassung, in der jedes Detail des abgelehnten Angebots im Hinblick auf dessen Bewertung berücksichtigt wird, oder eine detaillierte vergleichende Analyse des ausgewählten Angebots und des Angebots des abgelehnten Bieters zu übermitteln – Fehlen

(Art. 296 Abs. 2 AEUV; Verordnung Nr. 1605/2002 des Rates, Art. 100 Abs. 2)

10.    Handlungen der Organe – Begründung – Pflicht – Umfang – Entscheidung in einem Verfahren zur Vergabe eines öffentlichen Dienstleistungsauftrags, ein Angebot nicht zu berücksichtigen –Verwendung einer Formel bei der Berechnung der Punktezahl der Bieter, mit der für gewisse Zuschlagsunterkriterien Punkte abgezogen und an die Angebote anderer Bieter vergeben werden können – Fehlende Begründung des öffentlichen Auftraggebers, wie negative Bewertungen eines Angebots mit den vorgenommenen Punkteabzügen korrelieren – Unzulässigkeit

(Charta der Grundrechte der Europäischen Union, Art. 47; Verordnung Nr. 1605/2002 des Rates, Art. 100 Abs. 2)

11.    Nichtigkeitsklage – Klage gegen eine Entscheidung in einem Verfahren zur Vergabe eines öffentlichen Dienstleistungsauftrags, ein Angebot nicht auszuwählen – Entscheidung über die Vergabe eines Auftrags eng mit der Entscheidung über die Zuschlagserteilung verbunden – Abweisung des Antrags auf Nichtigerklärung der Entscheidung über die Vergabe eines Auftrags führt zur Abweisung des Antrags auf Nichtigerklärung der Entscheidung über die Zuschlagserteilung

12.    Außervertragliche Haftung – Voraussetzungen – Entsprechende Anwendung auf die außervertragliche Haftung aufgrund eines rechtswidrigen Verhaltens seitens des Amts der Europäischen Union für geistiges Eigentum (EUIPO)

(Art. 340 Abs. 2 AEUV; Verordnung Nr. 207/2009 des Rates, Art. 118 Abs. 3)

13.    Außervertragliche Haftung – Voraussetzungen – Kausalzusammenhang – Schaden, der sich für einen Bieter aus dem Verlust eines Auftrags im Rahmen eines Ausschreibungsverfahrens ergibt – Unter Verstoß gegen die Grundsätze der Gleichbehandlung und der Transparenz ergangene und mit offensichtlichen Beurteilungsfehlern behaftete Entscheidung über die Zuschlagserteilung – Bestehen eines Kausalzusammenhangs

(Art. 340 Abs. 2 AEUV; Charta der Grundrechte der Europäischen Union, Art. 47; Verordnung Nr. 1605/2002 des Rates, Art. 93 Abs. 1 Buchst. e)

14.    Außervertragliche Haftung – Schaden – Berechnung – Fehlen von Informationen, die es dem Unionsrichter ermöglichen, im Rahmen des Urteils, mit dem von der Union begangene Rechtsverstöße festgestellt werden, eine Entscheidung zu treffen – Verweisung für die Bestimmung der Entschädigung auf einen späteren Verfahrensabschnitt

(Art. 340 AEUV)

1.      Bei der Vergabe öffentlicher Aufträge ist das Bestehen einer strukturellen Verbindung zwischen zwei Gesellschaften, von denen eine an der Ausarbeitung der Verdingungsunterlagen beteiligt war und die andere sich an dem betreffenden öffentlichen Ausschreibungsverfahren beteiligt, grundsätzlich geeignet, einen Interessenkonflikt im Sinne von Art. 94 Buchst. a der Verordnung Nr. 1605/2002 über die Haushaltsordnung für den Gesamthaushaltsplan der Europäischen Gemeinschaften hervorzurufen. Dagegen ist die Gefahr eines Interessenkonflikts offensichtlich weniger groß, wenn die Gesellschaft oder die Gesellschaften, die mit der Ausarbeitung der Verdingungsunterlagen betraut waren, nicht selbst dem Bieterkonsortium angehören, sondern nur Mitglied derselben Unternehmensgruppe sind, der auch die Mitgliedsgesellschaft dieses Konsortiums angeschlossen ist.

Insoweit berechtigt die bloße Feststellung, dass zwischen einer Muttergesellschaft und ihren verschiedenen Tochtergesellschaften ein Abhängigkeitsverhältnis besteht, die Vergabestelle noch nicht dazu, eine dieser Gesellschaften automatisch von dem Ausschreibungsverfahren auszuschließen, ohne zu prüfen, ob sich ein solches Verhältnis auf ihr Verhalten im Rahmen des genannten Verfahrens ausgewirkt hat. Dies gilt erst recht für die Feststellung, dass bestimmte vorbereitende Arbeiten von einer Gesellschaft ausgeführt werden, die einer Unternehmensgruppe angehört, von der eine andere Gesellschaft sich als Mitglied eines Bieterkonsortiums an einem Ausschreibungsverfahren beteiligt, wobei die letztgenannte Gesellschaft die Möglichkeit des Nachweises haben muss, dass diese Situation für den Wettbewerb zwischen den Bietern keinerlei Gefahr bedeutet.

Im Übrigen, solange das Ausschreibungsverfahren noch nicht abgeschlossen ist, und weder ein Auftrag erteilt noch ein Vertrag im Rahmen dieses Verfahrens unterzeichnet worden ist, kann der behauptete Interessenkonflikt als Ausschlussgrund keine Anwendung finden, da dieser Interessenkonflikt noch unsicher und hypothetisch ist. Damit sich ein Bieter in der Situation eines Interessenkonflikts befindet, muss der behauptete Konflikt auf den Verlauf des Ausschreibungsverfahrens oder dessen Ergebnis Einfluss haben.

(vgl. Rn. 43, 45, 57)

2.      Bei der Vergabe öffentlicher Aufträge muss das Bestehen eines Interessenkonflikts den öffentlichen Auftraggeber zum Ausschluss des betreffenden Bieters veranlassen, wenn dieser Schritt die einzig mögliche Maßnahme ist, um einen Verstoß gegen die Grundsätze der Gleichheit und der Transparenz, die bei jedem Verfahren zur Vergabe eines Auftrags zu beachten sind, zu verhindern, d. h. wenn es keine weniger einschneidende Maßnahme gibt, um die Wahrung der genannten Grundsätze sicherzustellen. Ein Interessenkonflikt stellt an sich und objektiv einen gravierenden Missstand oder eine schwerwiegende Regelwidrigkeit dar, ohne dass es auf die Absichten und die Gut- oder Bösgläubigkeit der Beteiligten ankäme.

(vgl. Rn. 46)

3.      Nach Art. 134 Abs. 3 Unterabs. 1 der Verordnung Nr. 2342/2002 mit Durchführungsbestimmungen zur Verordnung Nr. 1065/2002 des Rates über die Haushaltsordnung für den Gesamthaushaltsplan der Europäischen Gemeinschaften soll der Zuschlagsempfänger eines öffentlichen Auftrags am Ende des Ausschreibungsverfahrens, d. h. vor der Zuschlagserteilung, als Nachweis dafür, dass keiner der Ausschlussgründe im Sinne von Art. 93 Abs. 1 Buchst. a, b oder e der Verordnung Nr. 1605/2002 vorliegt, einen Strafregisterauszug neueren Datums oder ersatzweise eine von einer Justiz- oder Verwaltungsbehörde des Ursprungs- oder Herkunftslandes ausgestellte gleichwertige Bescheinigung neueren Datums vorlegen. Diese Nachweise können nicht durch eine insbesondere vor einem Notar des Ursprungs- oder Herkunftslandes abgegebene eidesstattliche oder ehrenwörtliche Erklärung ersetzt werden.

Wenn sich unter diesen Umständen der öffentliche Auftraggeber mit einer ehrenwörtlichen Erklärung als Nachweis dafür begnügt, dass ein Ausschlussgrund im Sinne von Art. 93 Abs. 1 Buchst. e der Verordnung Nr. 1605/2002 nicht vorliegt, und die Verdingungsunterlagen eine ausdrückliche Verpflichtung begründen, insoweit spezifische Nachweise zu erbringen, deren Nichteinhaltung zwingend den Ausschluss des betreffenden Bieters zur Folge hat, verstößt dieser öffentliche Auftraggeber bei der Prüfung, ob insbesondere der Ausschlussgrund nach den Verdingungsunterlagen und nach Art. 93 Abs. 1 Buchst. e dieser Verordnung vorliegt, offensichtlich gegen seine Sorgfaltsplicht. Er verstößt damit gegen die genannten Vorschriften sowie gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung der Bieter, der nach Maßgabe der in den Verdingungsunterlagen geregelten Ausschlussverpflichtung verlangt hätte, den betroffenen Bieter auszuschließen.

(vgl. Rn. 71, 76, 77)

4.      Gemäß Art. 21 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union, der gemäß Art. 53 Abs. 1 dieser Satzung auf das Gericht anwendbar ist, und gemäß Art. 44 § 1 Buchst. c der Verfahrensordnung vom 2. Mai 1991 muss die Klageschrift den Streitgegenstand und eine kurze Darstellung der Klagegründe enthalten. Für die Zulässigkeit einer beim Gericht erhobenen Klage ist es daher insbesondere erforderlich, dass sich die wesentlichen tatsächlichen und rechtlichen Umstände, auf die sie sich stützt, zumindest in gedrängter Form, aber zusammenhängend und verständlich aus dem Text der Klageschrift selbst ergeben. Insoweit kann bei einem Klagegrund, der auf mehrere offenkundige Beurteilungsfehler gestützt wird, die sich auf verschiedene Zuschlagskriterien oder ‑unterkriterien eines öffentlichen Auftrags beziehen, wenn diese technischen Charakter haben, die Frage, ob sich die wesentlichen tatsächlichen und rechtlichen Umstände, auf die sich die verschiedenen Rügen stützen, zumindest in knapper oder gedrängter Form, aber zusammenhängend und verständlich aus dem Text der Klageschrift selbst ergeben, nur im Rahmen einer Prüfung der Begründetheit der einzelnen Rügen entschieden werden. Denn im Fall eines Klagegrundes, der auf ein Vorbringen gestützt wird, das auf eine Anlage zur Klageschrift verweist, kann nur eine solche Prüfung ergeben, ob sich die Ausführungen in der Anlage zur Klageschrift darauf beschränken, den Text der Klageschrift in spezifischen Punkten zu untermauern und zu ergänzen, insbesondere durch Bezugnahme auf bestimmte Abschnitte der genannten Anlage, oder ob es sich bei einigen dieser Rügen um eine pauschale Bezugnahme auf die Darstellung in der genannten Anlage handelt, die das Fehlen der wesentlichen Bestandteile des Vorbringens in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht, die in der Klageschrift selbst enthalten sein müssen, nicht ausgleichen kann. Unter diesen Umständen ist, anstatt einen solchen Klagegrund für unzulässig zu erklären, die Prüfung der Zulässigkeit der in einer Anlage zur Klageschrift dargelegten Erwägungen zurückzustellen und die Begründetheit der einzelnen Rügen zu beurteilen, die im Rahmen dieses Klagegrundes geltend gemacht worden sind und mit denen offenkundige Beurteilungsfehler bei der Anwendung der technischen Zuschlagskriterien gerügt werden, da diese Beurteilung sich im Wesentlichen auf das tatsächliche und rechtliche Vorbringen in der Klageschrift selbst stützen muss.

(vgl. Rn. 83-88)

5.      Der Wortlaut eines Zuschlagkriteriums im Rahmen eines Vergabeverfahrens muss hinreichend klar, genau und deutlich sein, damit alle durchschnittlich fachkundigen Bieter bei Anwendung der üblichen Sorgfalt sie in gleicher Weise auslegen können und der Auftraggeber imstande ist, sie objektiv und einheitlich anzuwenden, indem er überprüft, ob ihre Angebote die Anforderungen dieses Kriteriums erfüllen.

Wenn jedoch ein Bieter in einer Klage gegen die Entscheidung des öffentlichen Auftraggebers, das Angebot des Bieters abzulehnen, den Mangel an Klarheit und Bestimmtheit dieses Zuschlagskriteriums nicht ausdrücklich und unmittelbar beanstandet, ist der Unionsrichter nicht befugt, von Amts wegen die Rechtmäßigkeit des genannten Kriteriums als solche zu prüfen, und hat daher seine Kontrolle auf die ausdrücklichen Ausführungen dieses Bieters zu beschränken.

(vgl. Rn. 101, 102)

6.      Wenn die zur Begründung der das Angebot eines Bieters ablehnenden Entscheidung vorgebrachten Gründe sowohl den Bieter als auch den Unionsrichter daran hindern, die Frage zu beantworten, ob die Bewertung des öffentlichen Auftraggebers insoweit zutreffend ist, ist diese Bewertung mit einem Begründungsmangel behaftet, den der Unionsrichter von Amts wegen als Gesichtspunkt zwingenden Rechts berücksichtigen muss und den der öffentliche Auftraggeber im Laufe des Verfahrens nicht mehr beheben kann.

(vgl. Rn. 145)

7.      Bei der Vergabe von öffentlichen Aufträgen steht die nachträglich durch den öffentlichen Auftraggeber erfolgte Aufzählung von Zuschlagsunterkriterien im Bewertungsbericht, der die qualitative Bewertung der Angebote der Bieter umfasst, in einem offensichtlichen Widerspruch zur ständigen Rechtsprechung, nach der die Beachtung der Grundsätze der Gleichbehandlung und der Transparenz erfordert, dass den potenziellen Bietern zum Zeitpunkt der Vorbereitung ihrer Angebote alle Kriterien, die vom öffentlichen Auftraggeber bei der Bestimmung des wirtschaftlich günstigsten Angebots berücksichtigt werden, und, wenn möglich, deren relative Bedeutung bekannt sind und dass demnach ein öffentlicher Auftraggeber für die Zuschlagskriterien keine Unterkriterien anwenden darf, die er den Bietern nicht vorher zur Kenntnis gebracht hat.

(vgl. Rn. 193)

8.      Bei der Vergabe von öffentlichen Aufträgen kann ein Bieter die Rechtmäßigkeit der Formel für die finanzielle Bewertung, die in den Verdingungsunterlagen aufgestellt und vom öffentlichen Auftraggeber bei der vergleichenden Bewertung der Angebote verwendet wurde, inzident in Frage stellen. Bezüglich der materiellen Rechtmäßigkeit der Auswahl der beanstandeten Formel für die finanzielle Bewertung verfügt der öffentliche Auftraggeber über einen weiten Spielraum für die Beurteilung der Auswahl, des Inhalts und der Anwendung der mit dem betreffenden Auftrag im Zusammenhang stehenden relevanten Zuschlagskriterien, einschließlich der Zuschlagskriterien, die der Bestimmung des wirtschaftlich günstigsten Angebots dienen, wobei diese Kriterien der Art, dem Gegenstand und den Besonderheiten des genannten Auftrags entsprechen müssen und den vorgesehenen Bedürfnissen sowie den vom öffentlichen Auftraggeber verfolgten Zielen am besten dienen müssen.

(vgl. Rn. 215)

9.      Siehe Text der Entscheidung.

(vgl. Rn. 240, 241, 244, 245, 257)

10.    Zwar verfügt der öffentliche Auftraggeber grundsätzlich über ein weites Ermessen bei der Auswahl der nach Rangfolge aufgelisteten Zuschlagskriterien und der den einzelnen Kriterien und Unterkriterien zuzuweisenden Punkte und ist nicht verpflichtet, einem abgelehnten Bieter eine detaillierte Zusammenfassung zur Verfügung zu stellen, in der jedes Detail seines Angebots im Hinblick auf dessen Bewertung berücksichtigt wurde. Trifft der öffentliche Auftraggeber jedoch diese Auswahl, muss der Unionsrichter in der Lage sein, anhand der Verdingungsunterlagen und der Begründung der Vergabeentscheidung das jeweilige Gewicht der verschiedenen technischen Zuschlagskriterien und ‑unterkriterien in der Bewertung, d. h. in der Berechnung der Gesamtpunktzahl, sowie die Mindest- und Höchstpunktzahl für jedes dieser Kriterien oder Unterkriterien zu überprüfen. Wenn der öffentliche Auftraggeber besondere Bewertungen damit verbindet, wie das betreffende Angebot diese verschiedenen Kriterien und Unterkriterien erfüllt – Bewertungen, die offensichtlich relevant für die Gesamtbeurteilung des genannten Angebots sind –, umfasst die Begründungspflicht im Übrigen zwangsläufig auch die Pflicht darzutun, wie insbesondere die negativen Bewertungen zum Abzug von Punkten geführt haben.

Die Einhaltung dieses Erfordernisses ist nämlich umso notwendiger, als der eventuelle Abzug an Nettopunkten für bestimmte Unterkriterien oder Unterpunkte aufgrund der vom öffentlichen Auftraggeber angewandten Berechnungsformel automatisch zur Folge hat, dass die Anzahl der Bruttopunkte, die den Angeboten der Zuschlagsempfänger aufgrund ihrer technischen Qualität zuzuweisen sind, erhöht wird. Anders gesagt, es liegt im Interesse des Bieters, dass er den für jedes der Unterkriterien und Unterpunkte vorgenommenen Punktabzug kennt, in Bezug auf den der Bewertungsbericht eine negative Beurteilung enthält, um geltend machen zu können, dass angesichts der offensichtlichen Fehlerhaftigkeit der genannten Beurteilung dieser Abzug – der zu einer entsprechenden Erhöhung der Punktzahl zu Gunsten der anderen Bieter führt – nicht gerechtfertigt war.

Insoweit bleibt, auch wenn das Angebot eines Bieters aufgrund seiner technischen Qualität letztlich die Höchstzahl von Bruttopunkten erreicht, angesichts des in Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union verankerten Grundsatzes des effektiven Rechtsschutzes, der eng mit der Begründungspflicht zusammenhängt, das Interesse des Bieters daran bestehen zu erfahren, in welchem Maße die vom öffentlichen Auftraggeber vorgebrachten negativen Beurteilungen ihm den Abzug von Nettopunkten eingebracht haben, dessen Umfang und Begründung sich bei der Kontrolle der Rechtmäßigkeit sowohl der individuellen als auch der vergleichenden Bewertung der Angebote als ausschlaggebend erweisen können.

(vgl. Rn. 250, 251, 253)

11.    Siehe Text der Entscheidung.

(vgl. Rn. 261)

12.    Die außervertragliche Haftung der Union im Sinne von Art. 340 Abs. 2 AEUV für ein rechtswidriges Verhalten ihrer Organe hängt davon ab, dass mehrere Voraussetzungen erfüllt sind, nämlich die Rechtswidrigkeit des vorgeworfenen Verhaltens, das tatsächliche Vorliegen eines Schadens und das Bestehen eines Kausalzusammenhangs zwischen diesem Verhalten und dem geltend gemachten Schaden. Diese Grundsätze finden entsprechend Anwendung auf die außervertragliche Haftung der Union im Sinne dieser Vorschrift aufgrund eines rechtswidrigen Verhaltens und eines Schadens, der durch eine ihrer Einrichtungen, wie das Amt der Europäischen Union für geistiges Eigentum, verursacht worden ist, und den Letzteres nach Art. 118 Abs. 3 der Verordnung Nr. 207/2009 über die Gemeinschaftsmarke zu ersetzen hat.

(vgl. Rn. 264)

13.    Was die außervertragliche Haftung der Union bei der Vergabe von öffentlichen Aufträgen und das Vorliegen eines Kausalzusammenhangs zwischen dem begangenen Rechtsverstoß und dem angeblich entstandenen Schaden angeht, wenn die das Angebot des Klägers ablehnende Entscheidung mit mehreren Begründungsmängeln behaftet ist, kann dieser Rechtsverstoß für sich genommen keine Haftung der Union begründen, vor allem weil er kein Beweis dafür ist, dass ohne ihn der Auftrag dem Kläger hätte erteilt werden können oder gar müssen.

Was dagegen den Kausalzusammenhang zwischen Rechtsverstößen wie z. B. einem Verstoß gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung der Bieter, offensichtlichen Beurteilungsfehlern und dem Verlust einer Chance, den Auftrag zu bekommen, angeht, kann sich das betroffene Organ nicht auf die Darlegung beschränken, dass es angesichts seines weiten Ermessens als öffentlicher Auftraggeber nicht zum Abschluss eines Rahmenvertrags mit der Klägerin verpflichtet gewesen sei. Wenn nämlich der Verstoß gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung der Bieter in Verbindung mit dem Verstoß gegen Art. 93 Abs. 1 Buchst. e der Verordnung Nr. 1605/2002 über die Haushaltsordnung für den Gesamthaushaltsplan der Europäischen Gemeinschaften sowie die offensichtlichen Beurteilungsfehler, die der öffentliche Auftraggeber im Rahmen der individuellen Beurteilung des Angebots der Klägerin beging, die Chance der Klägerin, an eine bessere Stelle in der Kaskade gesetzt und zumindest dritter Zuschlagsempfänger zu werden, zwangsläufig beeinträchtigten, ergibt sich hieraus, dass auch unter Berücksichtigung des weiten Ermessens, das dem öffentlichen Auftraggeber bei der Erteilung des fraglichen Auftrags zustand, der Verlust der Chance, den die Klägerin erlitt, einen tatsächlichen und sicheren Schaden darstellt.

Im Übrigen würde es bei einer Sachlage, bei der nach Durchführung des streitigen Verfahrens vor dem Unionsrichter die nicht unbedeutende Gefahr bestehen würde, dass der betreffende Auftrag bereits vollständig ausgeführt wäre, gegen den Grundsatz des effektiven gerichtlichen Rechtsschutzes gemäß Art. 47 der Charta der Grundrechte verstoßen, wenn der Unionsrichter den Verlust dieser Chance und die Notwendigkeit, insoweit einen Ausgleich zu gewähren, nicht anerkennen würde. In einer solchen Situation nämlich hat der abgelehnte Bieter von der rückwirkenden Nichtigerklärung der Vergabeentscheidung keinen Nutzen mehr, so dass der Verlust der Chance endgültig ist. Überdies ist aufgrund der Voraussetzungen, die für das Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes vor dem Präsidenten des Gerichts gelten, der Bieter, dessen Angebot bewertet und zu Unrecht abgelehnt wurde, in der Praxis nur selten in der Lage, eine Aussetzung des Vollzugs dieser Entscheidung zu erreichen.

(vgl. Rn. 265, 266, 268-271)

14.    Siehe Text der Entscheidung.

(vgl. Rn. 273, 282)