Language of document : ECLI:EU:T:2022:41

URTEIL DES GERICHTS (Dritte Kammer)

2. Februar 2022(*)

„Gemeinschaftsgeschmacksmuster – Nichtigkeitsverfahren – Eingetragenes Gemeinschaftsgeschmacksmuster, das eine Grillschale darstellt – Älteres nationales Geschmacksmuster – Nichtigkeitsgrund – Fehlende Eigenart – Art. 6 der Verordnung (EG) Nr. 6/2002“

In der Rechtssache T‑173/21,

Novelis Deutschland GmbH mit Sitz in Göttingen (Deutschland), vertreten durch Rechtsanwalt U. Herberth,

Klägerin,

gegen

Amt der Europäischen Union für geistiges Eigentum (EUIPO), vertreten durch E. Markakis als Bevollmächtigten,

Beklagter,

andere Beteiligte im Verfahren vor der Beschwerdekammer des EUIPO und Streithelferin vor dem Gericht:

Cuki Cofresco Srl (CU.CO.) mit Sitz in Volpiano (Italien), vertreten durch Rechtsanwalt L. Saglietti und Rechtsanwältin E. Bianco,

betreffend eine Klage gegen die Entscheidung der Dritten Beschwerdekammer des EUIPO vom 1. Februar 2021 (Sache R 1856/2019‑3) zu einem Nichtigkeitsverfahren zwischen Cuki Cofresco und Novelis Deutschland

erlässt

DAS GERICHT (Dritte Kammer)

unter Mitwirkung des Präsidenten G. De Baere, des Richters V. Kreuschitz (Berichterstatter) und der Richterin G. Steinfatt,

Kanzler: E. Coulon,

aufgrund der am 31. März 2021 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangenen Klageschrift,

aufgrund der am 16. Juni 2021 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangenen Klagebeantwortung des EUIPO,

aufgrund der am 21. Juni 2021 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangenen Klagebeantwortung der Streithelferin,

aufgrund des Umstands, dass keine der Parteien binnen der Frist von drei Wochen nach der Mitteilung, dass das schriftliche Verfahren abgeschlossen ist, die Anberaumung einer mündlichen Verhandlung beantragt hat, und des daher gemäß Art. 106 Abs. 3 der Verfahrensordnung des Gerichts ergangenen Beschlusses, ohne mündliche Verhandlung zu entscheiden,

folgendes

Urteil

 Vorgeschichte des Rechtsstreits

1        Am 4. April 2004 beantragte und erlangte die Klägerin, die Novelis Deutschland GmbH, beim Amt der Europäischen Union für geistiges Eigentum (EUIPO) gemäß der Verordnung (EG) Nr. 6/2002 des Rates vom 12. Dezember 2001 über das Gemeinschaftsgeschmacksmuster (ABl. 2002, L 3, S. 1) die Eintragung des im vorliegenden Fall angegriffenen Gemeinschaftsgeschmacksmusters Nr. 516836-0007, das im Folgenden wiedergegeben ist:

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2        Das angegriffene Geschmacksmuster ist zur Benutzung für das Erzeugnis „Grillschalen“ in Klasse 07-02 des Abkommens von Locarno zur Errichtung einer Internationalen Klassifikation für gewerbliche Muster und Modelle vom 8. Oktober 1968 in geänderter Fassung bestimmt. Die Geschmacksmusteranmeldung wurde im Blatt für Gemeinschaftsgeschmacksmuster Nr. 2006/100 vom 5. September 2006 veröffentlicht.

3        Am 12. Oktober 20017 stellte die Streithelferin, die Cuki Cofresco Srl (CU.CO.), beim EUIPO nach Art. 52 der Verordnung Nr. 6/2002 einen Antrag auf Nichtigerklärung des angegriffenen Geschmacksmusters.

4        Zur Stützung des Nichtigkeitsantrags wurde der in Art. 25 Abs. 1 Buchst. b in Verbindung mit den Art. 4, 6 sowie 8 Abs. 1 und 2 der Verordnung Nr. 6/2002 genannte Grund angeführt, u. a. bezogen auf die am 1. August 1996 veröffentlichte Patentschrift DE 195 29 005 über „Grillschale und Verfahren zu deren Herstellung“ (im Folgenden: Patentschrift), dargestellt durch die nachfolgend wiedergegebenen Zeichnungen:

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5        Am 28. Juni 2019 wies die Nichtigkeitsabteilung den Antrag auf Nichtigerklärung mit der Begründung zurück, dass das angegriffene Geschmacksmuster Eigenart im Sinne von Art. 6 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 6/2002 besitze. Hierzu führte sie aus, dass das ältere Geschmacksmuster für die Prüfung der Eigenart des angegriffenen Geschmacksmusters nicht berücksichtigt werden könne, da die oben in Rn. 4 dargestellten Abbildungen die Gesamtansicht der Erscheinungsform des Erzeugnisses nicht hinreichend wiedergäben.

6        Am 19. August 2019 legte die Klägerin nach den Art. 55 bis 60 der Verordnung Nr. 6/2002 beim EUIPO Beschwerde ein.

7        Mit Entscheidung vom 1. Februar 2021 (im Folgenden: angefochtene Entscheidung) gab die Dritte Beschwerdekammer des EUIPO der Beschwerde mit der Begründung statt, dass das angegriffene Geschmacksmuster keine Eigenart im Sinne von Art. 6 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 6/2002 besitze (Rn. 20 bis 37 der angefochtenen Entscheidung). Nach Auffassung der Beschwerdekammer

–        zeigten die Zeichnungen in der Patentschrift die Erscheinungsform eines Teils einer Grillschale und damit den Teil eines Geschmacksmusters im Sinne von Art. 3 Buchst. a der Verordnung Nr. 6/2002. Der Umstand, dass die Zeichnungen weder das vollständige in Rede stehende Erzeugnis noch eine Gesamtansicht seines Erscheinungsbilds abbildeten, stehe der Berücksichtigung als älteres Geschmacksmuster nicht entgegen (Rn. 23 der angefochtenen Entscheidung).

–        Bei Grillschalen sei die Gestaltungsfreiheit insoweit eingeschränkt, als sie aus feuerfestem Material beschaffen sein und eine Form aufweisen müssten, die in den Abmessungen der Form üblicher Grillroste entspreche und in der das Grillgut sicher gelagert sei. Da Grillroste üblicherweise rund oder eckig seien, hätten sich für Grillschalen runde, halbrunde oder rechteckige Formen als Standard etabliert, wobei der Entwerfer hinsichtlich ihrer konkreten Ausgestaltung, insbesondere der Form und Ausgestaltung des Bodens, keinerlei Beschränkungen unterliege, so dass der Grad der Gestaltungsfreiheit als durchschnittlich anzusetzen sei (Rn. 25 und 26 der angefochtenen Entscheidung).

–        Der informierte Benutzer sei mit den Merkmalen von Grillschalen und den verschiedenen Geschmacksmustern in diesem Bereich vertraut, beziehe seine Kenntnis aus Katalogen, Fachmessen und Internet-Recherchen und kenne die verschiedenen Arten von Grillschalen, die am Markt erhältlich seien. Er wisse dementsprechend, dass die Schalen in der Regel rund, halbrund oder eckig seien und der Boden einer Grillschale geschlossen oder mit Öffnungen versehen sein könne, die den Durchtritt der Wärme ermöglichten (Rn. 27 und 28 der angefochtenen Entscheidung).

–        Was den Gesamteindruck der sich gegenüberstehenden Geschmacksmuster für sich genommen betreffe, so stimmten diese in den Merkmalen der abgerundeten Ecken, des mit Rillen und Wülsten bedeckten Bodens, der Form und Anordnung der Durchtrittsöffnungen sowie dem nach außen gerollten Rand überein. Die Unterschiede in der Form, die beim angegriffenen Geschmacksmuster halbrund und beim älteren Geschmacksmuster rechteckig sei, sowie in der Höhe der Rillen und Wülste, die beim zuerst Genannten flacher seien, genügten nicht, um beim informierten Benutzer einen unterschiedlichen Gesamteindruck hervorzurufen. Aufgrund seines vertieften Interesses am Grillen im Allgemeinen und an Grillschalen im Besonderen sei dem Benutzer bekannt, dass sich bei Grillrosten runde und eckige Formen als Standard etabliert hätten, weil sie eine optimale Bestückung mit Grillgut erlaubten, und Grillschalen folglich an diese Formen angepasst seien und üblicherweise eine runde, halbrunde oder eckige Form aufwiesen. Allein dem Unterschied in der Form messe der Benutzer daher keine besondere Bedeutung bei, zumal auch beim angegriffenen Geschmacksmuster der Übergang von der Mittelachse zum Kreisbogen abgerundet ausgestaltet sei, es sich beim älteren Geschmacksmuster also auch um einen Teil von ihm handeln könnte. Dank seiner Kenntnis des Formenschatzes wisse der Benutzer außerdem, dass der Boden einer Grillschale unterschiedlich ausgestaltet sein könne und die Gestaltungsfreiheit des Entwerfers gerade hinsichtlich der Form und Anordnung von Rillen, Wülsten und Durchtrittsöffnungen kaum Beschränkungen unterliege. Folglich erkenne der informierte Benutzer dem angegriffenen Geschmacksmuster keine Eigenart zu (Rn. 29 bis 37 der angefochtenen Entscheidung).

 Anträge der Parteien

8        Die Klägerin beantragt,

–        die angefochtene Entscheidung aufzuheben;

–        den Antrag auf Nichtigerklärung zurückzuweisen;

–        dem EUIPO die Kosten des Verfahrens einschließlich der im Laufe des Beschwerdeverfahrens angefallenen Kosten aufzuerlegen.

9        Das EUIPO und die Streithelferin beantragen,

–        die Klage abzuweisen;

–        der Klägerin die Kosten aufzuerlegen.

 Rechtliche Würdigung

10      Die Klägerin macht als einzigen Klagegrund einen Verstoß gegen Art. 25 Abs. 1 Buchst. b in Verbindung mit Art. 6 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 6/2002 geltend.

11      Einleitend wendet sich die Klägerin sehr detailliert gegen die Erwägungen in den Rn. 34 bis 37 der angefochtenen Entscheidung.

12      Ihrer Auffassung nach beruht die Annahme, der informierte Verbraucher wisse, dass Grillschalen üblicherweise eine runde, halbrunde oder eckige Form aufwiesen, auf rein subjektiven Assoziationen, aber nicht auf objektiv nachprüfbaren Tatsachen. Damit habe die Beschwerdekammer gegen den Grundsatz verstoßen, nach dem die Eigenart durch Einzelvergleiche zu prüfen sei. Die Form des angegriffenen Geschmacksmusters könne nicht als „banal“ bezeichnet werden, und seine Ausgestaltung erschöpfe sich nicht in der Umrisszeichnung einer Kugel, sondern zeige vielmehr eine einzigartige Grundform, die der informierte Benutzer vorher nicht als gängiges Stilmittel gekannt habe. Das vorgenannte Geschmacksmuster, das bei Weitem keine „halbrunde“ oder „halbkreisförmige“ Form aufweise, habe auf den ersten Blick erkennbar eine einzigartige, markante Grundform, nämlich eine insgesamt längliche Bodenplatte, zwei einander gegenüberliegende kurze Seiten sowie, ebenfalls einander gegenüberliegend, eine lange gerade und eine lange gebogene Seite. Die Übergänge seien als vier abgerundete Ecken ausgestaltet. Insoweit wendet sich die Klägerin gegen die in Rn. 35 der angefochtenen Entscheidung dargestellte Erwägung, nach der es sich beim älteren Geschmacksmuster auch um einen Teil des angegriffenen Geschmacksmusters handeln könne. Die Gegenüberstellung der jeweiligen Formen zeige das Gegenteil. Beim angegriffenen Geschmacksmuster wiesen die ersten drei Lochzeilen zwei, vier und vier Öffnungen auf, während die ersten drei Lochzeilen des älteren Geschmacksmusters vier, fünf und fünf Öffnungen aufwiesen. Darüber hinaus sei die obere Seitenkante beim älteren Geschmacksmuster viel länger als beim angegriffenen Geschmacksmuster und durchgehend gerade ausgestaltet, ohne dass ein Übergang in den gebogenen Teil zu erahnen sei.

13      Außerdem könne von der rechteckigen Form des älteren Musters nicht auf die einzigartige, markante Grundform des angegriffenen Geschmacksmusters geschlossen werden. Es ließen sich auch weder die unterschiedlichen Seitenlängen, die Bogenform, die abgerundeten Ecken, die konkrete Anordnung der Innenmerkmale und auch nicht die Proportionen erahnen. In Rn. 34 der angefochtenen Entscheidung habe die Beschwerdekammer selbst eingeräumt, dass bei den einander gegenüberstehenden Geschmacksmustern Unterschiede hinsichtlich der Höhe der Rillen und Wülste bestünden. Die Beschwerdekammer habe aber nicht berücksichtigt, dass die Öffnungen in der Bodenplatte beim angefochtenen Geschmacksmuster sehr klein und beim älteren Geschmacksmuster sehr groß ausgestaltet seien. Bei Ersterem befänden sich kleine Löcher sowohl links als auch rechts einer Welle, wohingegen beim Zweiten die großen Öffnungen nur auf einer Seite der Welle erkennbar seien. Die vorgelegten Abbildungen ließen mithin nicht klar und aus sich heraus erkennen, ob das ältere Geschmacksmuster an einer Welle nur eine oder zwei Öffnungen aufweise. Erst nach einer eingehenden Lektüre der S. 3 der Patentschrift, in der die Abbildung Fig. 2 erläutert werde, sei das Verständnis möglich, dass die Wülste nur in ihren ansteigenden Seitenwänden mit Gasdurchtrittsöffnungen versehen seien und nicht auch in ihren abfallenden Seitenwänden. Der maßgebliche Verbraucher sei kein Experte, sondern lediglich „informiert“. Weiterhin verfüge das ältere Geschmacksmuster im Unterschied zum angegriffenen Geschmacksmuster über keine Öffnungen im Schalenrand, und seine Bodenplatte sei mit einer niedrigeren Umrandung umgeben. Die Klägerin zieht daraus den Schluss, dass die einander gegenüberstehenden Geschmacksmuster aufgrund dieser deutlichen Unterschiede einen sehr unterschiedlichen Gesamteindruck aufweisen. Die Beschwerdekammer habe ihre Beurteilung der Eigenart im Wesentlichen auf Erwägungen gestützt, die sich nicht aus dem älteren Geschmacksmuster selbst ergäben, sondern auf das vermeintliche vage Wissen eines informierten Benutzers, der sogar auch noch Spezialkenntnisse haben sollte.

14      Im Rahmen des einzigen, auf einen Verstoß gegen Art. 6 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 6/2002 gestützten Klagegrundes macht die Klägerin geltend, die Beschwerdekammer hätte erkennen müssen, dass das ältere Geschmacksmuster der Eigenart des angegriffenen Geschmacksmusters nicht entgegenstehen könne. Aus den oben in den Rn. 12 und 13 dargestellten Erwägungen zieht sie den Schluss, dass die Beschwerdekammer gegen den Grundsatz verstoßen habe, nach dem die Eigenart durch Einzelvergleiche zu prüfen sei, d. h. im vorliegenden Fall der einander gegenüberstehenden Geschmacksmuster (vgl. auch Rn. 29 der angefochtenen Entscheidung). Die Beschwerdekammer habe sich nämlich bei der Beurteilung des Gesamteindrucks des älteren Musters nicht nur an der aus der Patentschrift entnommenen rechteckigen Form orientiert, sondern auch außerhalb des älteren Geschmacksmusters liegende Formen herangezogen, „welche der vagen Kenntnis eines informierten Betrachters unterstellt [worden seien]“. So habe sie sich widersprüchlicherweise darauf gestützt, dass es einem informierten Benutzer bekannt sei, dass sich bei Grillrosten runde und eckige Formen als Standard etabliert hätten, und er dementsprechend auch wisse, dass Grillschalen an diese Formen angepasst seien und üblicherweise eine runde, halbrunde oder eckige Form aufwiesen, und dies, obwohl sie zunächst in Rn. 29 der angefochtenen Entscheidung auf die Rechtsprechung verwiesen habe, nach der „ein Vergleich mit einer willkürlichen Kombination verschiedener vorveröffentlichter Merkmale … unzulässig [sei]“. Außerdem habe die Beschwerdekammer in dieser Randnummer ausgeführt, es komme nicht darauf an, dass „die halbrunde Form“ bereits im Formenschatz vorbekannt sei, obgleich sie sich im Rahmen ihrer Beurteilung in Rn. 35 der angefochtenen Entscheidung auf eben diesen Aspekt gestützt habe.

15      Die Vorstellung der Beschwerdekammer, dass ein informierter Benutzer aus seiner vagen Erinnerung heraus den unvollständigen rechteckigen Ausschnitt des älteren Geschmacksmusters durch passend abgerundete Ecken und Bogenformen in seiner Vorstellung zur einzigartigen Grundform des angegriffenen Geschmacksmusters vervollständigen könne, laufe darauf hinaus, eine willkürliche Kombination von Merkmalen vorzunehmen, die überdies zuvor nicht veröffentlicht worden seien. Aus diesem Grund habe sich die Beschwerdekammer einer Berücksichtigung des älteren Geschmacksmusters zur Prüfung der Eigenart des angegriffenen Geschmacksmusters verweigert. Im Rahmen des Verfahrens vor der Beschwerdekammer habe diese gerade einmal drei Geschmacksmuster mit „gebogenen“ Formen benannt. Die Beschwerdekammer habe nicht zwischen Schalen mit geschlossenen Bodenplatten und Schalen mit Gasdurchtrittsöffnungen unterschieden und folglich auch nicht ausreichend die Art und Weise berücksichtigt, wie die vorliegenden Erzeugnisse benutzt würden. Ihre Herangehensweise sei mit den geltenden Grundsätzen bei der Bestimmung des Gesamteindrucks eines Geschmacksmusters schlicht unvereinbar, weil wohl die allermeisten unvollständigen, rechteckigen Ausschnitte theoretisch durch die gedankliche Kombination von runden, halbrunden oder eckigen Formen zu jedem beliebigen anderen Muster kombiniert werden könnten, in dem sie jedoch niemals offenbart worden seien. Die Klägerin wendet sich gegen die Herangehensweise der Beschwerdekammer, die darauf hinauslaufe, nach Belieben irgendein weiteres Gestaltungsmerkmal hinzuzudenken, darunter einen Bogenverlauf, gerade Seitenkanten, abgerundete Ecken, die konkrete Anordnung der innenseitigen Merkmale sowie passende Proportionen aus irgendwelchen anderen Objekten. Der Gesamteindruck, der durch die Kombination einzelner Merkmale verschiedener Geschmacksmuster hervorgerufen werde, sei für die Beurteilung der Eigenart irrelevant, so dass die Erwägungen der Beschwerdekammer in sich unzulässig und offensichtlich widersprüchlich seien.

16      Die Klägerin meint, dass die Beurteilung der Beschwerdekammer, die in der Annahme bestehe, beim älteren Geschmacksmuster könnte es sich um einen Teil des angegriffenen Geschmacksmusters handeln, fehlerhaft sei. Insoweit habe sie offensichtlich weder den Umstand berücksichtigt, dass beim älteren Geschmacksmuster einige Öffnungen weggedacht werden müssten und die Seitenkante verkürzt werden müsste, noch den Umstand, dass die beiden Abbildungen Fig. 1 und Fig. 2 des älteren Geschmacksmusters nicht klar aus sich heraus erkennen ließen, ob das ältere Geschmacksmuster an einer Welle nur eine oder zwei Öffnungen aufweise. Die Klägerin schließt daraus, dass die Beschwerdekammer offensichtlich nicht auf einen „informierten“ Benutzer abgestellt habe, sondern auf einen Design- oder Patentexperten, der die Patentschrift studiert habe. Außerdem seien ungeachtet des Umstands, dass es unter Berücksichtigung ihres sehr unterschiedlichen Gesamteindrucks unmöglich sei, aus einzelnen Detailmerkmalen einen Gesamteindruck zu bestimmen, im angegriffenen Geschmacksmuster auch nicht „identische Innenmerkmale“ des älteren Geschmacksmusters übernommen worden. Für die Lösung des Rechtsstreits sei es in jedem Fall nicht hilfreich, allgemein auf irgendwelche Merkmale verschiedener Geschmacksmuster hinzuweisen, die einen sehr unterschiedlichen Gesamteindruck hervorriefen, vielmehr sei die Eigenart auf Grundlage von Einzelvergleichen zu prüfen, was die Beschwerdekammer unterlassen habe.

17      Das EUIPO und die Streithelferin beantragen, den einzigen Klagegrund als unbegründet zurückzuweisen und die Klage als unbegründet abzuweisen.

18      Nach Art. 4 Abs. 1 der Verordnung Nr. 6/2002 wird ein Gemeinschaftsgeschmacksmuster geschützt, soweit es neu ist und Eigenart hat. Gemäß Art. 25 Abs. 1 Buchst. b dieser Verordnung kann ein Gemeinschaftsgeschmacksmuster nur dann für nichtig erklärt werden, wenn es die Voraussetzungen der Art. 4 bis 9 der Verordnung Nr. 6/2002 nicht erfüllt.

19      Nach Art. 6 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 6/2002 hat ein eingetragenes Geschmacksmuster Eigenart, wenn sich der Gesamteindruck, den es beim informierten Benutzer hervorruft, von dem Gesamteindruck unterscheidet, den ein anderes Geschmacksmuster bei diesem Benutzer hervorruft, das der Öffentlichkeit vor dem Tag der Anmeldung zur Eintragung oder, wenn eine Priorität in Anspruch genommen wird, vor dem Prioritätstag zugänglich gemacht worden ist. Art. 6 Abs. 2 dieser Verordnung bestimmt, dass bei der Beurteilung der Eigenart der Grad der Gestaltungsfreiheit des Entwerfers bei der Entwicklung des Geschmacksmusters berücksichtigt wird. Diese Bestimmungen sind im Licht des 14. Erwägungsgrundes der Verordnung Nr. 6/2002 zu lesen, aus dem sich u. a. ergibt, dass bei der Beurteilung der Eigenart eines Geschmacksmusters in Bezug auf den vorbestehenden Formschatz die Art des Erzeugnisses, bei dem das Geschmacksmuster benutzt wird oder in das es aufgenommen wird, und insbesondere der jeweilige Industriezweig zu berücksichtigen sind.

20      Somit ist zu prüfen, ob die einander gegenüberstehenden Geschmacksmuster in Anbetracht der Gestaltungsfreiheit des Entwerfers bei der Entwicklung des angegriffenen Geschmacksmusters beim informierten Benutzer denselben Gesamteindruck hervorrufen, wobei die Prüfung in vier Schritten erfolgt. Zu bestimmen sind erstens der Bereich der Erzeugnisse, in die das Geschmacksmuster aufgenommen oder bei denen es verwendet werden soll, zweitens der informierte Benutzer dieser Waren je nach ihrer Zweckbestimmung und mit Bezug auf diesen informierten Benutzer der Grad der Kenntnis vom Stand der Technik sowie der Grad der Aufmerksamkeit beim möglichst unmittelbaren Vergleich der Geschmacksmuster, drittens der Grad der Gestaltungsfreiheit des Entwerfers bei der Entwicklung des Geschmacksmusters, deren Einfluss auf die Eigenart umgekehrt proportional ist, und viertens, unter Berücksichtigung der Eigenart, das Ergebnis des möglichst direkten Vergleichs der Gesamteindrücke, die das angegriffene Geschmacksmuster und das ältere, der Öffentlichkeit zugänglich gemachte Geschmacksmuster beim informierten Benutzer jeweils hervorrufen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 13. Juni 2019, Visi/one/EUIPO – EasyFix [Informationsblatthalter für Fahrzeuge], T‑74/18, EU:T:2019:417, Rn. 66 und die dort angeführte Rechtsprechung).

21      Die Eigenart eines Geschmacksmusters ergibt sich aus einem Gesamteindruck der Unterschiedlichkeit oder des Fehlens eines „déjà vu“ aus der Sicht des informierten Benutzers bezogen auf das geltend gemachte Geschmacksmuster, ungeachtet der Unterschiede, die – auch wenn sie über unbedeutende Details hinausgehen – nicht markant genug sind, um diesen Gesamteindruck zu beeinträchtigen, aber unter Berücksichtigung von Unterschieden, die hinreichend ausgeprägt sind, um einen unähnlichen Gesamteindruck hervorzurufen (vgl. Urteile vom 16. Februar 2017, Antrax It/EUIPO – Vasco Group [Thermosiphons für Heizkörper], T‑828/14 und T‑829/14, EU:T:2017:87, Rn. 53 und die dort angeführte Rechtsprechung, sowie vom 14. März 2017, Wessel-Werk/EUIPO – Wolf PVG [Saugdüsen für Staubsauger], T‑174/16, nicht veröffentlicht, EU:T:2017:161, Rn. 26 und die dort angeführte Rechtsprechung).

22      Zum Begriff des informierten Benutzers im Sinne von Art. 6 der Verordnung Nr. 6/2002 wurde entschieden, dass dieser weder Hersteller noch Verkäufer der Erzeugnisse ist, in die die fraglichen Geschmacksmuster aufgenommen oder bei denen diese verwendet werden sollen, sondern eine Person, die das Erzeugnis bestimmungsgemäß benutzt. Der informierte Benutzer ist eine Person, der eine besondere Wachsamkeit eigen ist und die über eine gewisse Kenntnis vom vorherigen Stand der Technik verfügt, d. h. vom Formenschatz der sich auf das fragliche Erzeugnis beziehenden Geschmacksmuster, die am Anmeldetag des angegriffenen Geschmacksmusters oder gegebenenfalls an dem in Anspruch genommenen Prioritätstag zugänglich waren (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 14. März 2017, Saugdüsen für Staubsauger, T‑174/16, nicht veröffentlicht, EU:T:2017:161, Rn. 20 und die dort angeführte Rechtsprechung, sowie vom 13. Juni 2017, Ball Beverage Packaging Europe/EUIPO – Crown Hellas Can [Getränkedosen], T‑9/15, EU:T:2017:386, Rn. 80 und die dort angeführte Rechtsprechung).

23      Was im Einzelnen den Grad der Aufmerksamkeit des informierten Benutzers betrifft, ist dieser zwar nicht der durchschnittlich informierte, aufmerksame und verständige Durchschnittsverbraucher, der ein Geschmacksmuster in der Regel als Ganzes wahrnimmt und nicht auf die verschiedenen Einzelheiten achtet, aber auch kein Sachkundiger oder Fachmann, der minimale Unterschiede, die zwischen den einander gegenüberstehenden Geschmacksmustern bestehen können, im Detail feststellen kann. Somit setzt die Bezeichnung „informiert“ voraus, dass der Benutzer, ohne dass er ein Entwerfer oder technischer Sachverständiger wäre, verschiedene Geschmacksmuster kennt, die es in dem betroffenen Wirtschaftsbereich gibt, dass er gewisse Kenntnisse in Bezug auf die Elemente besitzt, die diese Geschmacksmuster für gewöhnlich aufweisen, und dass er die betreffenden Waren aufgrund seines Interesses an ihnen mit vergleichsweise großer Aufmerksamkeit benutzt (vgl. Urteile vom 14. März 2017, Saugdüsen für Staubsauger, T‑174/16, nicht veröffentlicht, EU:T:2017:161, Rn. 25 und die dort angeführte Rechtsprechung, vom 13. Juni 2017, Getränkedosen, T‑9/15, EU:T:2017:386, Rn. 81 und die dort angeführte Rechtsprechung, sowie vom 15. Oktober 2020, Dvectis CZ/EUIPO – Yado [Stützkissen], T‑818/19, nicht veröffentlicht, EU:T:2020:486, Rn. 42 und die dort angeführte Rechtsprechung).

24      Im Allgemeinen wird der informierte Benutzer einen direkten Vergleich der einander gegenüberstehenden Geschmacksmuster vornehmen, es sei denn, ein solcher Vergleich ist im betreffenden Bereich, insbesondere wegen spezieller Umstände oder der Merkmale der Gegenstände, die die Geschmacksmuster darstellen, undurchführbar oder ungewöhnlich. Die Rechtsprechung hat somit unter der Bedingung, dass sie sich auf bestimmte Geschmacksmuster bezieht, die Möglichkeit eines indirekten Vergleichs zugelassen (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 20. Oktober 2011, PepsiCo/Grupo Promer Mon Graphic, C‑281/10 P, EU:C:2011:679, Rn. 53, 55 und 58, vom 19. Juni 2014, Karen Millen Fashions, C‑345/13, EU:C:2014:2013, Rn. 26 bis 29, und vom 14. März 2017, Saugdüsen für Staubsauger, T‑174/16, nicht veröffentlicht, EU:T:2017:161, Rn. 24).

25      Im Übrigen wird der Grad der Gestaltungsfreiheit des Entwerfers des Geschmacksmusters insbesondere durch die Vorgaben bestimmt, die sich aus den durch die technische Funktion des Erzeugnisses oder eines Bestandteils des Erzeugnisses bedingten Merkmalen oder aus den auf das Erzeugnis anwendbaren gesetzlichen Vorschriften ergeben. Diese Vorgaben führen zu einer Standardisierung bestimmter Merkmale, die dann zu gemeinsamen Merkmalen aller beim betreffenden Erzeugnis verwendeten Geschmacksmuster werden (vgl. Urteil vom 15. Oktober 2020, Stützkissen, T‑818/19, nicht veröffentlicht, EU:T:2020:486, Rn. 46 und die dort angeführte Rechtsprechung).

26      Bei der Gestaltungsfreiheit des Entwerfers handelt es sich in diesem Zusammenhang um einen Faktor, der es ermöglicht, die Beurteilung der Eigenart des angegriffenen Geschmacksmusters zu nuancieren, und nicht um einen eigenständigen Faktor, der bestimmt, wie stark zwei Geschmacksmuster voneinander abweichen müssen, damit einem von ihnen Eigenart zukommt. Anders ausgedrückt ist der Grad der Gestaltungsfreiheit des Entwerfers somit ein Faktor, der die Schlussfolgerung in Bezug auf den von jedem der in Rede stehenden Geschmacksmuster beim informierten Benutzer hervorgerufenen Gesamteindruck untermauern oder, im Gegenteil, nuancieren kann (vgl. Urteil vom 6. Juni 2019, Porsche/EUIPO – Autec [Kraftfahrzeuge], T‑209/18, EU:T:2019:377, Rn. 48 und die dort angeführte Rechtsprechung).

27      Einleitend ist darauf hinzuweisen, dass die Klägerin im vorliegenden Fall weder die Möglichkeit der Beschwerdekammer in Abrede stellt, für die Beurteilung der Eigenart des angegriffenen Geschmacksmusters das ältere Geschmacksmuster, das einen Teil des fraglichen Erzeugnisses im Sinne von Art. 3 Buchst. a der Verordnung Nr. 6/2002 darstellt, zu berücksichtigen (Rn. 22 und 23 der angefochtenen Entscheidung), noch den Umstand, dass die einander gegenüberstehenden Geschmacksmuster „Grillschalen“ betreffen (Rn. 24 der angefochtenen Entscheidung), noch den Aufmerksamkeitsgrad des informierten Benutzers im Sinne der oben in den Rn. 22 und 23 angeführten Rechtsprechung (vgl. auch Rn. 27 der angefochtenen Entscheidung), der seine Kenntnis aus Katalogen, Fachmessen und Internet-Recherchen bezieht, noch die Schlussfolgerung der Beschwerdekammer, wonach die Gestaltungsfreiheit des Entwerfers insoweit durchschnittlich ist (Rn. 26 der angefochtenen Entscheidung).

28      Die Klägerin wirft der Beschwerdekammer im Wesentlichen vor, eine fehlerhafte, unvollständige und nicht objektiv überprüfbare Beurteilung beim Vergleich des Gesamteindrucks vorgenommen zu haben, den die einander gegenüberstehenden Geschmacksmuster beim informierten Benutzer hervorrufen, und insoweit zu Unrecht Spezialkenntnisse eines Experten, insbesondere eines Patentexperten, und Aspekte berücksichtigt zu haben, die über den Rahmen des Vergleichs der Geschmacksmuster hinausgingen.

29      Erstens rügt die Klägerin die Feststellung, der informierte Benutzer habe sich, wenn er „Grillschalen“ nutze, hinreichend mit den bestehenden Formen und Gestaltungen solcher Schalen vertraut gemacht, als rein subjektiv und nicht objektiv nachprüfbar. Die Klägerin verkennt insoweit jedoch, dass die Beschwerdekammer bei der Beurteilung des von den einander gegenüberstehenden Geschmacksmustern hervorgerufenen Gesamteindrucks aus Sicht dieses Benutzers den Verwendungszweck dieser Schalen, wie er u. a. in den Rn. 26 und 35 der angefochtenen Entscheidung korrekt beschrieben wird, zulässigerweise berücksichtigen durfte. Somit durfte die Beschwerdekammer im Rahmen ihrer Beurteilung des Grades der Gestaltungsfreiheit des Entwerfers, des Aufmerksamkeitsgrads des Benutzers und des Gesamteindrucks, den die einander gegenüberstehenden Geschmacksmuster jeweils bei ihm hervorrufen (Rn. 26, 28, 34 bis 36 der angefochtenen Entscheidung), zulässigerweise auf die Erwägung abstellen, dass dem Benutzer in Anbetracht des Einsatzzwecks von „Grillschalen“ bewusst sei, dass solche Schalen im Allgemeinen rund, halbrund oder rechteckig seien und ihr Boden geschlossen oder mit Öffnungen versehen sein könne, die den Durchtritt der Wärme ermöglichten. Diese Erwägung steht nämlich in perfektem Einklang mit der Rechtsprechung, nach der der informierte Benutzer, ohne dass er ein Entwerfer oder technischer Sachverständiger wäre, verschiedene Geschmacksmuster kennt, die es in dem betroffenen Wirtschaftsbereich gibt, dass er gewisse Kenntnisse in Bezug auf die Elemente besitzt, die diese Geschmacksmuster für gewöhnlich aufweisen, und dass er diese Waren aufgrund seines Interesses an ihnen mit vergleichsweise großer Aufmerksamkeit benutzt (Urteile vom 20. Oktober 2011, PepsiCo/Grupo Promer Mon Graphic, C‑281/10 P, EU:C:2011:679, Rn. 59, und vom 15. Oktober 2020, Stützkissen, T‑818/19, nicht veröffentlicht, EU:T:2020:486, Rn. 42).

30      Folglich durfte sich die Beschwerdekammer entgegen dem Vorbringen der Klägerin für die Beurteilung des von den einander gegenüberstehenden Geschmacksmustern hervorgerufenen Gesamteindrucks und deren Vergleich auf diese Wahrnehmung des informierten Benutzers stützen. Die Klägerin kann ihr daher weder vorwerfen, andere, dem informierten Benutzer bekannte Formen von Grillschalen als die auf das ältere Geschmacksmuster bezogenen berücksichtigt zu haben, noch, sich insoweit nicht auf objektive Gesichtspunkte gestützt zu haben.

31      Was zweitens die Beurteilung des von den einander gegenüberstehenden Geschmacksmustern hervorgerufenen Gesamteindrucks und deren Vergleich betrifft, so stellt die Klägerin nicht in Abrede, dass die Beschwerdekammer in der angefochtenen Entscheidung einen solchen Vergleich durchgeführt hat, sondern greift ausschließlich die Art und Weise der Durchführung sowie das Ergebnis dieses Vergleichs an.

32      In dieser Hinsicht hat die Beschwerdekammer zu Recht auf die beiden Geschmacksmustern gemeinsamen markanten Merkmale abgestellt, d. h. den mit Rillen und Wülsten bedeckten Boden, die Form und Anordnung der Öffnungen sowie den nach außen gerollten Rand, wie auch auf die weniger markanten Unterschiede zwischen ihnen hinsichtlich der Höhe der Rillen und Wülste einerseits und der Form, die beim angegriffenen Geschmacksmuster halbrund und beim älteren Geschmacksmuster rechteckig ist, andererseits (Rn. 34 der angefochtenen Entscheidung). Daraus ergibt sich, dass die Beschwerdekammer den hervorgerufenen Gesamteindruck entgegen dem Vorbringen der Klägerin nicht anhand einer Kombination von Merkmalen verschiedener Geschmacksmuster beurteilt hat, sondern sich auf einen Vergleich der einander gegenüberstehenden Geschmacksmuster für sich genommen beschränkt hat.

33      In Anbetracht der gemeinsamen markanten Merkmale der einander gegenüberstehenden Geschmacksmuster ergibt sich für den informierten Benutzer, wie die Streithelferin zu Recht geltend macht, der Gesamteindruck eines „déjà vu“, da die zwischen ihnen bestehenden Unterschiede „nicht markant genug“, bzw. sogar zu unbedeutend und vernachlässigbar im Sinne der oben in Rn. 21 angeführten Rechtsprechung sind, um den Gesamteindruck wesentlich beeinträchtigen zu können. Die Beschwerdekammer ist somit zu Recht davon ausgegangen, dass die Unterschiede in der Form, die beim angegriffenen Geschmacksmuster halbrund und beim älteren Geschmacksmuster rechteckig ist, sowie in der Höhe der Rillen und Wülste, die beim zuerst Genannten flacher sind, nicht genügen, um beim informierten Benutzer einen unterschiedlichen Gesamteindruck hervorzurufen (Rn. 34 und 35 der angefochtenen Entscheidung). Zum einen wird der informierte Benutzer, da er mit runden und eckigen Formen für Grillschalen vertraut ist, der unterschiedlichen Form der einander gegenüberstehenden Geschmacksmuster keine besondere Bedeutung beimessen. Zum anderen kann dem Umstand, dass sich die Höhe der Rillen und Wülste zwischen den Geschmacksmustern unterscheidet, in Anbetracht aller übrigen übereinstimmenden Merkmale des Bodens der Grillschalen, d. h. der Tatsache, dass dieser von Rillen und Wülsten bedeckt ist, der abgerundeten Ecken, der Form und Anordnung der Öffnungen sowie des nach außen gerollten Rands, keine entscheidende Bedeutung zugemessen werden. Zum zuletzt genannten Gesichtspunkt ist darauf hinzuweisen, dass der Benutzer zwar informiert, aber auch kein Sachkundiger oder Fachmann ist, der minimale Unterschiede, die zwischen den einander gegenüberstehenden Geschmacksmustern im Sinne der Rechtsprechung bestehen können, im Detail feststellen kann (Urteile vom 20. Oktober 2011, PepsiCo/Grupo Promer Mon Graphic, C‑281/10 P, EU:C:2011:679, Rn. 59, und vom 15. Oktober 2020, Stützkissen, T‑818/19, nicht veröffentlicht, EU:T:2020:486, Rn. 42).

34      Gleiches gilt für die übrigen von der Klägerin hervorgehobenen Unterschiede, von denen sie meint, die Beschwerdekammer habe sie u. a. mit der Begründung einer unvollständigen Darstellung des älteren Geschmacksmusters nicht ausreichend berücksichtigt.

35      Erstens stellt die Klägerin insoweit nicht in Frage, dass diese Darstellung des älteren Geschmacksmusters hinreichend genau und bestimmt war, um der Beschwerdekammer eine Beurteilung der Eigenart des angegriffenen Geschmacksmusters zu ermöglichen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 21. September 2017, Easy Sanitary Solutions und EUIPO/Group Nivelles, C‑361/15 P und C‑405/15 P, EU:C:2017:720, Rn. 64) und den erforderlichen Vergleich vorzunehmen. Sie rügt vielmehr ausschließlich, die Beschwerdekammer habe die Berücksichtigung angeblich wichtiger, in Wirklichkeit aber aus Sicht des informierten Benutzers unbedeutender Unterschiede, die sich nicht auf das Ergebnis seiner vergleichenden Beurteilung auswirken können, unterlassen.

36      Zweitens kann das Vorbringen der Klägerin, das angegriffene Geschmacksmuster zeige eine einzigartige, dem informierten Benutzer nicht als gängiges Stilmittel bekannte Grundform in Anbetracht der gemeinsamen Merkmale der einander gegenüberstehenden Geschmacksmuster und des Umstands, dass der informierte Benutzer, wie sich oben aus Rn. 29 ergibt, mit den Merkmalen von Grillschalen vertraut ist, nicht durchgreifen. Ohne dass auf das überschießende Argument der Beschwerdekammer eingegangen werden müsste, bei dem älteren Geschmacksmuster könnte es sich auch um einen Teil des angegriffenen Geschmacksmusters handeln (vgl. Rn. 35 a. E. der angefochtenen Entscheidung), genügt hierzu der Hinweis, dass dieses Geschmacksmuster entgegen dem Vorbringen der Klägerin trotz seiner beiden einander gegenüberliegenden kurzen geraden Seiten genauso wie diverse, bereits von der Nichtigkeitsabteilung beurteilte Grillschalen eine „halbrunde“ oder „halbkreisförmige“ Form aufweist.

37      Drittens sind die von der Klägerin hervorgehobenen Unterschiede zwischen den einander gegenüberstehenden Geschmacksmustern, die sich auf die Lochzeilen mit einer unterschiedlichen Anzahl von Öffnungen, die Anordnung, Größe und Form dieser Öffnungen, die Länge und Form der Seitenkanten sowie die Höhe der Rillen und Wülste beziehen, wie in den Rn. 34 und 35 der angefochtenen Entscheidung festgestellt, nicht dazu geeignet, eine besondere Aufmerksamkeit des informierten Benutzers zu wecken, und folglich nicht markant genug, um den festgestellten Gesamteindruck der Geschmacksmuster zu beeinträchtigen. Die Klägerin lässt im Gegenteil in diesem Zusammenhang unberücksichtigt, dass die einander gegenüberstehenden Geschmacksmuster über abgerundete Ecken und sehr ähnliche Lochzeilen verfügen, bei denen die Öffnungen zu einer Mittelachse parallel angeordnet sind, was den gemeinsamen Gesamteindruck aus dem Blickwinkel eines informierten Benutzers verstärkt. Insoweit ist in Übereinstimmung mit der Streithelferin klarzustellen, dass es widersprüchlich ist, wenn die Klägerin der Beschwerdekammer vorwirft, den informierten Benutzer mit einem Experten insbesondere des Patentbereichs verwechselt zu haben, während sie selbst eine detaillierte Wahrnehmung minimaler Unterschiede zwischen den einander gegenüberstehenden Geschmacksmustern durch diesen Benutzer befürwortet.

38      Somit konnte die Beschwerdekammer, weit entfernt von einem willkürlichen Vergleich und unter ordnungsgemäßer Berücksichtigung der durchschnittlichen Gestaltungsfreiheit des Entwerfers (Rn. 26 und 36 der angefochtenen Entscheidung), in Anbetracht der zahlreichen gemeinsamen Merkmale der einander gegenüberstehenden Geschmacksmuster im Ergebnis zu Recht feststellen, dass der informierte Benutzer dem angegriffenen Geschmacksmuster keine Eigenart zuerkennt (Rn. 36 und 37 der angefochtenen Entscheidung).

39      Dieses Ergebnis wird schließlich, wie das EUIPO und die Streithelferin ausführen, nicht durch den Umstand in Frage gestellt, dass die vorgelegte Darstellung des älteren Geschmacksmusters, insbesondere die oben in Rn. 4 genannte Abbildung Fig. 1, nicht die Gesamtansicht der Erscheinungsform des Erzeugnisses zeigt, da die Beschwerdekammer dazu angehalten war, die vorgelegten Beweise in ihrer Gesamtheit zu beurteilen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 14. Juni 2011, Sphere Time/HABM – Punch [An einem Schlüsselband befestigte Uhr], T‑68/10, EU:T:2011:269, Rn. 73 und 74). Sie durfte daher alle erläuternden Abbildungen und die Ansprüche aus der Patentschrift berücksichtigen.

40      Folglich ist der einzige, auf einen Verstoß gegen Art. 25 Abs. 1 Buchst. b in Verbindung mit Art. 6 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 6/2002 gestützte Klagegrund als unbegründet zurückzuweisen und die Klage abzuweisen.

 Kosten

41      Nach Art. 134 Abs. 1 der Verfahrensordnung des Gerichts ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da die Klägerin unterlegen ist, sind ihr gemäß den Anträgen des EUIPO und der Streithelferin die Kosten aufzuerlegen.

Aus diesen Gründen hat

DAS GERICHT (Dritte Kammer)

für Recht erkannt und entschieden:

1.      Die Klage wird abgewiesen.

2.      Die Novelis Deutschland GmbH trägt die Kosten.

De Baere

Kreuschitz

Steinfatt

Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 2. Februar 2022.

Der Kanzler

 

Der Präsident

E. Coulon

 

S. Papasavvas


*      Verfahrenssprache: Deutsch.