Language of document : ECLI:EU:T:2009:505

Rechtssache T‑156/04

Électricité de France (EDF)

gegen

Europäische Kommission

„Staatliche Beihilfen – Beihilfen der französischen Behörden zugunsten der EDF – Entscheidung, mit der die Beihilfe für mit dem Gemeinsamen Markt unvereinbar erklärt und ihre Rückforderung angeordnet wird – Verfahrensrechte des Beihilfeempfängers – Beeinträchtigung des Handelsverkehrs zwischen Mitgliedstaaten – Kriterium des privaten Kapitalgebers“

Leitsätze des Urteils

1.      Staatliche Beihilfen – Prüfung durch die Kommission – Verwaltungsverfahren – Pflicht der Kommission, die Beteiligten zur Äußerung aufzufordern – Recht des Beihilfeempfängers, am Verfahren angemessen beteiligt zu werden

(Art. 88 Abs. 2 EG; Verordnung Nr. 659/1999 des Rates, Art. 6)

2.      Staatliche Beihilfen – Entscheidung der Kommission – Beurteilung der Rechtmäßigkeit anhand der bei Erlass der Entscheidung verfügbaren Informationen

(Art. 87 EG)

3.      Staatliche Beihilfen – Beeinträchtigung des Handels zwischen Mitgliedstaaten – Beeinträchtigung des Wettbewerbs – Beurteilungskriterien

(Art. 87 Abs. 1 EG)

4.      Staatliche Beihilfen – Begriff – Anwendung des Kriteriums des umsichtigen privaten Kapitalgebers auf öffentliche Kapitalgeber

(Art. 87 Abs. 1 EG)

5.      Staatliche Beihilfen – Begriff – Beihilfe vergebender Mitgliedstaat, der der Steuergläubiger und einzige Anteilseigner eines öffentlichen Unternehmens ist, dem eine Kapitalerhöhung durch Erlass einer Steuerschuld gewährt wird – Anwendbarkeit des Kriteriums des privaten Kapitalgebers

(Art. 87 Abs. 1 EG)

1.      Die Kommission ist in der in Art. 88 Abs. 2 EG geregelten Prüfungsphase verpflichtet, den Beteiligten Gelegenheit zur Äußerung zu geben. Zwar können die Beteiligten keinen Anspruch auf rechtliches Gehör geltend machen, doch haben sie das Recht, an dem von der Kommission eingeleiteten Verwaltungsverfahren unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls angemessen beteiligt zu werden. Außerdem muss die Kommission ein förmliches, die Unterrichtung der Beteiligten vorsehendes Prüfverfahren eröffnen, sobald sie nach Abschluss einer vorläufigen Prüfung ernsthafte Zweifel an der Vereinbarkeit der fraglichen finanziellen Maßnahme mit dem Gemeinsamen Markt hat. Folglich kann die Kommission nicht verpflichtet sein, in ihrer Mitteilung über die Einleitung des förmlichen Verfahrens eine abschließende Untersuchung der fraglichen Beihilfe zu präsentieren. Erforderlich ist allerdings, dass die Kommission den Rahmen ihrer Prüfung so genau festlegt, dass das Recht der Beteiligten zur Stellungnahme nicht seinen Sinn verliert. Wenn die Kommission beschließt, das förmliche Prüfverfahren einzuleiten, kann im Übrigen nach Art. 6 der Verordnung Nr. 659/1999 über die Anwendung von Art. 88 EG der Einleitungsbeschluss auf eine Zusammenfassung der wesentlichen Sach- und Rechtsfragen, eine vorläufige Würdigung des Beihilfecharakters der fraglichen staatlichen Maßnahme und Ausführungen über die Bedenken hinsichtlich ihrer Vereinbarkeit mit dem Gemeinsamen Markt beschränkt werden.

Somit muss der Einleitungsbeschluss die Beteiligten in die Lage versetzen, sich in wirksamer Weise am förmlichen Prüfverfahren zu beteiligen, in dem sie ihre Argumente geltend machen können. Hierfür genügt es, dass die Beteiligten erfahren, welche Überlegungen die Kommission zu der vorläufigen Ansicht veranlasst haben, dass die in Rede stehende Maßnahme eine neue, mit dem Gemeinsamen Markt unvereinbare Beihilfe darstellen könnte.

(vgl. Randnrn. 106-110)

2.      Die Rechtmäßigkeit eines Gemeinschaftsrechtsakts ist im Rahmen einer Nichtigkeitsklage nach dem Kenntnisstand zu beurteilen, der bei Erlass des Aktes vorlag. Insbesondere sind die komplexen Würdigungen, die die Kommission vorgenommen hat, nur anhand der Informationen zu prüfen, über die sie bei der Vornahme dieser Würdigungen verfügte. Der Kommission kann also nicht vorgeworfen werden, Informationen, die ihr im Verwaltungsverfahren hätten vorgetragen werden können, aber nicht vorgetragen wurden, nicht berücksichtigt zu haben, da sie nicht verpflichtet ist, von Amts wegen mutmaßend zu prüfen, welche Gesichtspunkte ihr hätten vorgetragen werden können.

(vgl. Randnrn. 125-126)

3.      Für die Qualifizierung einer nationalen Maßnahme als staatliche Beihilfe bedarf es nicht des Nachweises einer tatsächlichen Auswirkung der Beihilfe auf den Handel zwischen Mitgliedstaaten und einer tatsächlichen Wettbewerbsverzerrung, sondern nur der Prüfung, ob die Beihilfe geeignet ist, diesen Handel zu beeinträchtigen und den Wettbewerb zu verfälschen. Die Kommission braucht nicht die tatsächliche Situation auf dem betroffenen Markt, den Marktanteil der durch die Beihilfe begünstigten Unternehmen, die Stellung der konkurrierenden Unternehmen und die fraglichen Handelsströme zwischen Mitgliedstaaten wirtschaftlich zu analysieren.

Wenn eine von einem Mitgliedstaat gewährte Beihilfe die Stellung eines Unternehmens gegenüber anderen Wettbewerbern im innergemeinschaftlichen Handel stärkt, muss der innergemeinschaftliche Handel als von der Beihilfe beeinflusst angesehen werden. Hierbei kann die Liberalisierung eines Wirtschaftssektors auf Gemeinschaftsebene dazu führen, dass die Beihilfen den Wettbewerb tatsächlich oder potenziell beeinflussen und sich auf den Handel zwischen Mitgliedstaaten auswirken.

Im Übrigen braucht das begünstigte Unternehmen nicht selbst am innergemeinschaftlichen Handel teilzunehmen. Wenn nämlich ein Mitgliedstaat einem Unternehmen eine Beihilfe gewährt, kann die inländische Tätigkeit dadurch beibehalten oder verstärkt werden, so dass sich die Chancen der in anderen Mitgliedstaaten niedergelassenen Unternehmen, den Markt dieses Mitgliedstaats zu durchdringen, verringern. Zudem kann die Stärkung eines Unternehmens, das bis dahin nicht am innergemeinschaftlichen Handel teilgenommen hat, dieses in die Lage versetzen, den Markt eines anderen Mitgliedstaats zu durchdringen.

(vgl. Randnrn. 144-148)

4.      Befindet sich das Gesellschaftskapital eines Unternehmens im Besitz der öffentlichen Hand, ist insbesondere zu prüfen, ob ein privater Kapitalgeber von vergleichbarer Größe wie die Einrichtungen des öffentlichen Sektors in einer vergleichbaren Lage im Hinblick auf die Rentabilitätsaussichten, unabhängig von allen sozialen oder regionalpolitischen Überlegungen oder Erwägungen einer sektorbezogenen Politik, eine Kapitalhilfe dieses Umfangs gewährt hätte.

Der Umstand, dass das Verhalten des staatlichen Anteilseigners am Maßstab des umsichtigen privaten Kapitalgebers gemessen wird, dieser Maßstab aber nicht an das Verhalten eines beliebigen privaten Kapitalgebers angelegt wird, stellt keine Durchbrechung der Gleichbehandlung des Staates und eines solchen privaten Kapitalgebers dar, da sich der staatliche Anteilseigner nicht in der gleichen Lage wie der private Kapitalgeber befindet. Anders als der private Kapitalgeber, der sich nur auf seine eigenen Mittel stützen kann, um seine Investitionen zu finanzieren, hat der Staat nämlich Zugang zu finanziellen Mitteln, die aus der Ausübung hoheitlicher Befugnisse fließen, insbesondere zu Steuermitteln. Daher kann es der bloße Umstand, dass der Staat Zugang zu finanziellen Mitteln aus der Ausübung hoheitlicher Befugnisse hat, für sich genommen nicht rechtfertigen, das Vorgehen des Staates als Ausdruck seiner hoheitlichen Befugnisse anzusehen. Andernfalls bestünde nämlich die Gefahr, die Anwendung des Kriteriums des umsichtigen privaten Kapitalgebers auf das Verhalten des staatlichen Anteilseigners jeglicher Relevanz zu berauben oder zumindest unverhältnismäßig zu reduzieren, da der Staat als solcher zwangsläufig Zugriff auf Finanzmittel hat, die aus der Ausübung hoheitlicher Befugnisse fließen, insbesondere auf Steuermittel.

(vgl. Randnrn. 230-232)

5.      Auf dem Gebiet der staatlichen Beihilfen ist zwischen zwei Kategorien von Sachverhalten zu unterscheiden: denjenigen, in denen die staatliche Intervention wirtschaftlichen Charakter hat, und denjenigen, in denen die staatliche Intervention zu den Hoheitsakten zählt. Eine staatliche Intervention, die angesichts ihrer Natur und ihres Gegenstands und unter Berücksichtigung des mit ihr verfolgten Ziels keine Investition darstellt, die von einem privaten Kapitalgeber vorgenommen werden kann, kann eine Intervention des Staates als Träger der öffentlichen Gewalt sein, so dass die Anwendung des Kriteriums des umsichtigen privaten Kapitalgebers ausgeschlossen ist. Stellt die staatliche Intervention hingegen angesichts ihrer Natur und ihres Gegenstands und unter Berücksichtigung des mit ihr verfolgten Ziels eine mit der Investition eines privaten Kapitalgebers vergleichbare Investition dar, ist die Intervention unter Anwendung des Kriteriums des umsichtigen privaten Kapitalgebers zu prüfen. Bei dieser Prüfung ist danach zu fragen, ob ein solcher privater Kapitalgeber in einer vergleichbaren Lage im Hinblick auf die Rentabilitätsaussichten eine Kapitalhilfe desselben Umfangs gewährt hätte, und zwar unabhängig von der Form der staatlichen Intervention und vom Umstand, dass der Staat Zugang zu Mitteln hat, die aus der Ausübung hoheitlicher Befugnisse fließen, z. B. zu Steuermitteln, zu denen ein privater Kapitalgeber keinen Zugang hat.

Mit anderen Worten ist die Maßnahme nicht anhand ihrer bloßen Form, sondern anhand ihrer Natur, ihres Gegenstands und ihrer Ziele zu prüfen; demnach sind alle ihre Elemente in ihrer Gesamtheit zu beurteilen, und es ist der Kontext zu berücksichtigen, in den die Maßnahme eingebettet ist. Folglich reicht der Umstand, dass eine staatliche Intervention in Form eines Gesetzes erfolgt, für sich genommen nicht aus, um auszuschließen, dass der staatliche Eingriff in das Kapital eines Unternehmens einem wirtschaftlichen Ziel dient, das auch ein privater Kapitalgeber verfolgen könnte.

Somit ist unter Berücksichtigung der Umstände jedes Einzelfalls zu prüfen, ob die staatliche Beteiligung oder Intervention zugunsten des Kapitals des begünstigten Unternehmens einem wirtschaftlichen Ziel dient, das auch ein privater Kapitalgeber verfolgen könnte, und somit vom Staat als Wirtschaftsteilnehmer auf der gleichen Grundlage wie von einem privaten Wirtschaftsteilnehmer vorgenommen wird, oder ob sie durch die Verfolgung eines öffentlichen Interesses gerechtfertigt und daher als Form der Intervention des Staates als Träger der öffentlichen Gewalt anzusehen ist, so dass das Verhalten des Staates nicht mit dem Verhalten eines marktwirtschaftlich handelnden Wirtschaftsteilnehmers oder privaten Kapitalgebers verglichen werden kann.

Folglich ist zu prüfen, ob sich ein Mitgliedstaat, der Steuergläubiger eines öffentlichen Unternehmens und gleichzeitig dessen einziger Anteilseigner ist, wirksam auf die Anwendung des Kriteriums des privaten Kapitalgebers berufen kann, wenn er das Unternehmenskapital durch Erlass der Steuerschuld erhöht, oder ob die Kommission angesichts der steuerlichen Natur der Forderung und des Umstands, dass der Staat beim Erlass der Steuerschuld von seinen hoheitlichen Befugnissen Gebrauch machte, berechtigt war, die Anwendung dieses Kriteriums auf die streitige Kapitalerhöhung auszuschließen.

Wenn somit ein Mitgliedstaat als einziger Anteilseigner eines Unternehmens eine Erhöhung des Unternehmenskapitals vornimmt, um u. a. Unausgewogenheiten in der Unternehmensbilanz zu beheben, verhält er sich so, wie sich auch ein privater Kapitalgeber verhalten könnte, und es kann nicht von vornherein ausgeschlossen werden, dass er ein Ziel verfolgt, das dem Ziel eines solchen privaten Kapitalgebers vergleichbar ist. Um festzustellen, ob dies der Fall war, was die Einstufung der streitigen Maßnahme als Beihilfe ausschließen würde, muss geprüft werden, ob das Kriterium des privaten Kapitalgebers erfüllt ist.

(vgl. Randnrn. 223, 233-237, 246, 258)