Language of document : ECLI:EU:C:2004:60

Conclusions

SCHLUSSANTRÄGE DER GENERALANWÄLTIN
JULIANE KOKOTT
vom 29. Januar 2004(1)



Rechtssache C-127/02



Landelijke Vereniging tot Behoud van de Waddenzee

und

Nederlandse Vereniging tot Bescherming van Vogels

gegen

Staatssecretaris van Landbouw, Natuurbeheer en Visserij


(Vorabentscheidungsersuchen des Raad van State)


„Erhaltung der natürlichen Lebensräume – Wild lebende Tiere und Pflanzen – Begriff des ‚Plans’ oder des ‚Projekts’“





Inhaltsverzeichnis

I – Einführung

II – Rechtlicher Rahmen

III – Sachverhalt, Verfahren und Vorlagefragen

IV – Rechtliche Würdigung

A – Zu Frage 1: Die Begriffe Plan oder Projekt

1. Vortrag der Beteiligten

2. Stellungnahme

B – Zu Frage 2: Das Verhältnis zwischen Artikel 6 Absatz 2 und Artikel 6 Absatz 3 der Habitatrichtlinie

1. Vortrag der Beteiligten

2. Stellungnahme

C – Zu Frage 3: Die Möglichkeit einer erheblichen Beeinträchtigung

1. Zur Möglichkeit einer Beeinträchtigung

a) Vortrag der Beteiligten

b) Stellungnahme

2. Zur Erheblichkeit

a) Vortrag der Beteiligten

b) Stellungnahme

D – Zu Frage 4: Die Verträglichkeitsprüfung und geeignete Maßnahmen

1. Zur Verträglichkeitsprüfung

a) Vortrag der Beteiligten

i) Allgemeines

ii) Zum Vorsorgeprinzip

iii) Zu den Zweifeln am Ausbleiben von Beeinträchtigungen

b) Stellungnahme

i) Zur Verträglichkeitsprüfung

ii) Zur Berücksichtung des Vorsorgeprinzips und zu den zulässigen Zweifeln bei der Genehmigung von Plänen und Projekten

2. Zu Artikel 6 Absatz 2 der Habitatrichtlinie

a) Vortrag der Beteiligten

b) Stellungnahme

E – Zu Frage 5: Die unmittelbare Anwendbarkeit von Artikel 6 Absätze 2 und 3 der Habitatrichtlinie

1. Vortrag der Beteiligten

2. Stellungnahme

a) Zur unmittelbaren Anwendbarkeit

b) Zur Frage, ob sich der Einzelne auf Artikel 6 Absätze 2 und 3 der Habitatrichtlinie berufen kann

c) Zur Drittbelastung durch die unmittelbare Anwendung von Artikel 6 Absätze 2 und 3 der Habitatrichtlinie

V – Ergebnis


I – Einführung

1.       In diesem Vorabentscheidungsersuchen des niederländischen Raad van State geht es um die Auslegung und Anwendung von Artikel 6 der Richtlinie 92/43/EWG des Rates vom 21. Mai 1992 zur Erhaltung der natürlichen Lebensräume sowie der wildlebenden Tiere und Pflanzen (2) (im Folgenden: Habitatrichtlinie). Gegenstand des Rechtsstreits ist die Erteilung von Fischereilizenzen für das mechanische Fischen von Herzmuscheln (Cerastoderma edule) im niederländischen Wattenmeer, einem Vogelschutzgebiet nach Artikel 4 der Richtlinie 79/409/EWG des Rates vom 2. April 1979 über die Erhaltung der wildlebenden Vogelarten (3) (im Folgenden: Vogelschutzrichtlinie).

2.       Der Raad van State möchte wissen, ob die jährliche Lizenzierung der Herzmuschelfischerei als Zustimmung zu einem Plan oder Projekt anzusehen ist. Dies hätte zur Folge, dass das Verfahren über die Genehmigung von Plänen oder Projekten nach Artikel 6 Absatz 3 der Habitatrichtlinie anzuwenden wäre. Für diesen Fall bittet er um weitere Erläuterungen zur Anwendung dieser Vorschrift.

3.       Zunächst ersucht er um eine Klarstellung des Verhältnisses von Artikel 6 Absatz 3 der Habitatrichtlinie zu Artikel 6 Absatz 2, der die allgemeine Verpflichtung der Mitgliedstaaten enthält, Verschlechterungen und erhebliche Störungen von Natura-2000-Gebieten zu vermeiden. Weiterhin möchte er wissen, unter welchen Bedingungen davon auszugehen sei, dass ein Plan oder Projekt ein solches Gebiet erheblich beeinträchtigen könnte, so dass eine Prüfung auf Verträglichkeit mit den Erhaltungszielen des Gebietes durchzuführen wäre. Auch wirft er die Frage auf, ob die zuständige Behörde einem Plan oder Projekt zustimmen darf, wenn jedenfalls keine offensichtlichen Zweifel am Ausbleiben von erheblichen Beeinträchtigungen bestehen.

4.       Für den Fall, dass kein Plan oder Projekt im Sinne von Artikel 6 Absatz 3 der Habitatrichtlinie vorliegt und daher Artikel 6 Absatz 2 der Habitatrichtlinie anzuwenden ist, fragt der Raad van State entsprechend, ob es den Anforderungen letzterer Vorschrift entspricht, eine Genehmigung zu erteilen, solange jedenfalls keine offensichtlichen Zweifel am Ausbleiben von erheblichen Beeinträchtigungen bestehen.

5.       Schließlich möchte der Raad van State wissen, ob die Absätze 2 und 3 des Artikels 6 der Habitatrichtlinie unmittelbar anwendbar sind.

II – Rechtlicher Rahmen

6.       Gemäß Artikel 4 der Vogelschutzrichtlinie weisen die Mitgliedstaaten für die in Anhang I dieser Richtlinie aufgeführten Vogelarten und für die dort nicht aufgeführten, regelmäßig auftretenden Zugvogelarten besondere Schutzgebiete aus.

7.       Artikel 7 der Habitatrichtlinie sieht vor, dass auf diese besonderen Schutzgebiete die Verpflichtungen nach Artikel 6 Absätze 2, 3 und 4 der Habitatrichtlinie anzuwenden sind.

8.       Artikel 6 der Habitatrichtlinie lautet wie folgt:

„(1)
Für die besonderen Schutzgebiete legen die Mitgliedstaaten die nötigen Erhaltungsmaßnahmen fest, die gegebenenfalls geeignete, eigens für die Gebiete aufgestellte oder in andere Entwicklungspläne integrierte Bewirtschaftungspläne und geeignete Maßnahmen rechtlicher, administrativer oder vertraglicher Art umfassen, die den ökologischen Erfordernissen der natürlichen Lebensraumtypen nach Anhang I und der Arten nach Anhang II entsprechen, die in diesen Gebieten vorkommen.

(2)
Die Mitgliedstaaten treffen die geeigneten Maßnahmen, um in den besonderen Schutzgebieten die Verschlechterung der natürlichen Lebensräume und der Habitate der Arten sowie Störungen von Arten, für die die Gebiete ausgewiesen worden sind, zu vermeiden, sofern solche Störungen sich im Hinblick auf die Ziele dieser Richtlinie erheblich auswirken könnten.

(3)
Pläne oder Projekte, die nicht unmittelbar mit der Verwaltung des Gebietes in Verbindung stehen oder hierfür nicht notwendig sind, die ein solches Gebiet jedoch einzeln oder in Zusammenwirkung mit anderen Plänen und Projekten erheblich beeinträchtigen könnten, erfordern eine Prüfung auf Verträglichkeit mit den für dieses Gebiet festgelegten Erhaltungszielen. Unter Berücksichtigung der Ergebnisse der Verträglichkeitsprüfung und vorbehaltlich des Absatzes 4 stimmen die zuständigen einzelstaatlichen Behörden dem Plan bzw. Projekt nur zu, wenn sie festgestellt haben, dass das Gebiet als solches nicht beeinträchtigt wird, und nachdem sie gegebenenfalls die Öffentlichkeit angehört haben.

(4)
Ist trotz negativer Ergebnisse der Verträglichkeitsprüfung aus zwingenden Gründen des überwiegenden öffentlichen Interesses einschließlich solcher sozialer oder wirtschaftlicher Art ein Plan oder Projekt durchzuführen und ist eine Alternativlösung nicht vorhanden, so ergreift der Mitgliedstaat alle notwendigen Ausgleichsmaßnahmen, um sicherzustellen, dass die globale Kohärenz von Natura 2000 geschützt ist. …“

III – Sachverhalt, Verfahren und Vorlagefragen

9.       Das Wattenmeer ist ein bedeutender Lebensraum für viele Vogelarten. Daher haben die Niederlande den überwiegenden Teil des niederländischen Wattenmeeres als besonderes Schutzgebiet im Sinne der Vogelschutzrichtlinie ausgewiesen. Vorliegend sind insbesondere die Eiderente (Somateria mollissima) und der Austernfischer (Haematopus ostralegus) von Interesse, da Muscheln einen wichtigen Teil ihrer Ernährung bilden. Beide Arten sind ganzjährig im Wattenmeer präsent, durch den Zuzug von Wintergästen ist ihre Zahl jedoch im Winter am höchsten: ca. 150 000 Eiderenten und ca. 200 000 Austernfischer halten sich dann im Wattenmeer auf.

10.     Seit mehreren Jahrzehnten werden im Wattenmeer mit den hier gegenständlichen mechanischen Methoden Herzmuscheln gefischt. Man verwendet dazu Kurren, das sind Metallkäfige, die von einem Schiff über den Boden gezogen werden. Mit einer Metallplatte von einem Meter Breite werden die obersten 4 bis 5 cm der Oberfläche in den Käfig geschabt. Direkt vor der Klinge ist ein Schlauch befestigt, aus dem ein kräftiger Wasserstrahl austritt. Dieser pulverisiert die Oberfläche, damit eine Mischung aus Wasser, Sand, Muscheln und anderen Organismen in die Kurre gelangt. Der ausgesiebte Inhalt der Kurre wird anschließend hydraulisch an Bord gesaugt.

11.     Seit 1975 unterliegt die Befischung von Herzmuscheln im Wattenmeer einer Lizenzierung, um eine Überfischung zu vermeiden. Zunächst war naturschutzrechtlich lediglich eine Befreiung notwendig, die an keine weitere Bedingung anknüpfte. Seit 1998 bedarf diese Tätigkeit einer jährlich zu erneuernden Lizenz nach Artikel 12 der Natuurbeschermingswet (Naturschutzgesetz).

12.     Auf dieser Grundlage erteilte der Staatssecretaris van Landbouw, Natuurbeheer en Visserij (Staatssekretär für Landwirtschaft, Landschaftspflege und Fischerei) in den Jahren 1999 und 2000 der Coöperatieve Producentenorganisatie van de Nederlandse Kokkelvisserij U.A. (Genossenschaftliche Erzeugerorganisation der niederländischen Herzmuschelfischerei, im Folgenden: PO Kokkelvisserij) eine bedingte Lizenz für das mechanische Fischen von Herzmuscheln im Wattenmeer.

13.     Diese Lizenzen haben neben Artikel 12 des Naturschutzgesetzes weitere Regelungen über die Ausübung der Herzmuschelfischerei im Wattenmeer zur Grundlage. Nach dem „Zentralen Planungsbeschluss Wattenmeer“ (Planologische Kernbeslissing Waddenzee, im Folgenden: PKB Wattenmeer) würde es einer Lizenz entgegenstehen, wenn nach den besten verfügbaren Informationen offensichtliche (nl: „duidelijke“) Zweifel am Ausbleiben möglicher erheblicher nachteiliger Folgen für das Ökosystem zutage treten.

14.     Ein Regierungsbeschluss vom 21. Januar 1993, die Structuurnota Zee- en kustvisserij – „Vissen naar evenwicht“ (Strukturnote See- und Küstenfischerei – „Fischerei unter Berücksichtigung des Gleichgewichts“, im Folgenden: Strukturnote), enthält weitere Leitlinien u. a. für die Herzmuschelfischerei im Wattenmeer. Einige Gebiete des Wattenmeers sind danach für diese Tätigkeit auf Dauer gesperrt; insgesamt werden den Vögeln in nahrungsarmen Jahren 60 % ihres durchschnittlichen Nahrungsbedarfs in Form von Herz- und Miesmuscheln vorbehalten. Wegen wissenschaftlicher Ungewissheit über die Ursächlichkeit eines möglichen Mangels an Muscheln für ein Massensterben von Eiderenten im Winter 1999/2000 wurde diese Quote zwischenzeitlich für nahrungsarme Jahre auf 70 % angehoben. Dass den Vögeln nicht 100 % des durchschnittlichen Nahrungsbedarfs vorbehalten bleiben, wird damit begründet, dass sie auch auf andere Nahrungsquellen zugreifen (z. B. Baltische Plattmuscheln, Trogmuscheln, Strandkrabben). Seit 1997 wird an einer umfassenden Studie über die Auswirkungen der Weichtierfischerei gearbeitet, an deren Ergebnissen sich die künftige Politik ausrichten soll.

15.     Die Klägerinnen, die Landelijke Vereniging tot Behoud van de Waddenzee (im Folgenden: Waddenvereniging) und die Nederlandse Vereniging tot Bescherming van Vogels (im Folgenden: Vogelbescherming), zwei Nichtregierungsorganisationen, die sich dem Naturschutz verpflichtet haben, wenden sich gegen die Lizenzen für die Jahre 1999 und 2000.

16.     Sie vertreten die Auffassung, dass die Herzmuschelfischerei das Wattenmeer als Lebensraum im Hinblick auf die folgenden Punkte beeinträchtigen könnte:

Beeinträchtigung der Sedimentqualität durch Aufwühlen des Schlicks und Verlust von Feinsediment,

Zerstörung bzw. Behinderung der Regeneration von Muschelbänken und Seegraswiesen sowie

Knappheit der Nahrungsressourcen für Vögel durch Überfischung.

17.     Der Raad van State kam auf der Grundlage der ihm vorliegenden Informationen und Studien zu dem Schluss, dass der Beklagte bei der Erteilung der streitgegenständlichen Genehmigungen die vorliegenden wissenschaftlichen Erkenntnisse den Anforderungen des niederländischen Rechts entsprechend gewürdigt und berücksichtigt habe. Zwar bestehe hinsichtlich der Auswirkungen der Muschelfischerei noch erheblicher Aufklärungsbedarf, doch habe der Beklagte dem Vorsorgeprinzip durch Beschränkungen der Muschelfischerei, insbesondere die Sperrung von weiten Teilen des Wattenmeeres für die Muschelfischerei und die Festsetzung von Fangquoten unter Berücksichtigung des Nahrungsbedarfs der Vögel, ausreichend Rechnung getragen.

18.     Der Raad van State hat jedoch Zweifel, ob diese Vorgehensweise den Anforderungen der Vogelschutzrichtlinie und der Habitatrichtlinie entspricht. Er hat daher dem Gerichtshof die folgenden Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

1a.
Sind die Begriffe „Plan oder Projekt“ in Artikel 6 Absatz 3 der Habitatrichtlinie dahin auszulegen, dass darunter auch eine Tätigkeit fällt, die bereits seit vielen Jahren ausgeübt wird, für die jedoch grundsätzlich jedes Jahr eine Lizenz für einen beschränkten Zeitraum erteilt wird, wobei immer wieder aufs Neue beurteilt wird, ob und, wenn ja, in welchen Teilen des Gebietes die Tätigkeit ausgeübt werden darf?

1b.
Falls Frage 1a verneint wird: Ist die betreffende Tätigkeit dann als „Plan oder Projekt“ anzusehen, wenn die Intensität der Tätigkeit im Laufe der Jahre zugenommen hat oder wenn diese Zunahme durch die Lizenzen erst möglich gemacht wurde?

2a.
Falls sich aus der Antwort auf Frage 1 ergibt, dass ein „Plan oder Projekt“ im Sinne von Artikel 6 Absatz 3 der Habitatrichtlinie vorliegt: Ist Artikel 6 Absatz 3 der Habitatrichtlinie als Sonderfall der Bestimmungen des Absatzes 2 oder als Bestimmung mit besonderer, autonomer Geltung in beispielsweise folgendem Sinne anzusehen,

i)
dass sich Absatz 2 auf den bisherigen Gebrauch und Absatz 3 auf neue Pläne oder Projekte bezieht oder

ii)
dass sich Absatz 2 auf Verwaltungsmaßnahmen und Absatz 3 auf andere Entscheidungen bezieht oder

iii)
dass sich Absatz 3 auf Pläne oder Projekte und Absatz 2 auf sonstige Tätigkeiten bezieht?

2b.
Können dann, wenn Artikel 6 Absatz 3 der Habitatrichtlinie als Sonderfall der Bestimmungen des Absatzes 2 anzusehen ist, beide Absätze kumulativ anwendbar sein?

3a.
Ist Artikel 6 Absatz 3 der Habitatrichtlinie dahin auszulegen, dass schon dann ein „Plan oder Projekt“ vorliegt, wenn eine bestimmte Tätigkeit ein betreffendes Gebiet beeinträchtigen könnte (worauf eine „Verträglichkeitsprüfung“ vorzunehmen ist, um zu klären, ob die Beeinträchtigungen „erheblich“ sind), oder ist nach dieser Bestimmung erst dann eine „Verträglichkeitsprüfung“ vorzunehmen, wenn (mit hinreichender Wahrscheinlichkeit) davon auszugehen ist, dass ein „Plan oder Projekt“ erhebliche Beeinträchtigungen nach sich ziehen könnte?

3b.
Anhand welcher Kriterien ist zu prüfen, ob ein Plan oder ein Projekt im Sinne von Artikel 6 Absatz 3 der Habitatrichtlinie, der oder das nicht unmittelbar mit der Verwaltung des Gebietes in Verbindung steht oder hierfür nicht notwendig ist, ein solches Gebiet einzeln oder in Zusammenwirkung mit anderen Plänen und Projekten erheblich beeinträchtigen könnte?

4a.
Nach welchen Kriterien ist im Rahmen der Anwendung von Artikel 6 der Habitatrichtlinie zu prüfen, ob „geeignete Maßnahmen“, wie sie in Absatz 2 dieser Bestimmung genannt sind, vorliegen oder eine „Prüfung auf Verträglichkeit“ im Zusammenhang mit der vor der Zustimmung eines Planes oder Projektes erforderlichen Feststellung im Sinne von Absatz 3 gegeben ist?

4b.
Haben die Begriffe „geeignete Maßnahmen“ und „Prüfung auf Verträglichkeit“ autonome Bedeutung, oder ist bei ihrer Beurteilung auch Artikel 174 Absatz 2 EG Vertrag, insbesondere der darin genannte Grundsatz der Vorsorge, zu berücksichtigen?

4c.
Falls der in Artikel 174 Absatz 2 EG Vertrag genannte Grundsatz der Vorsorge zu berücksichtigen ist: Bedeutet dies auch, dass eine bestimmte Tätigkeit, wie die fragliche Herzmuschelfischerei, erlaubt werden kann, wenn am Ausbleiben möglicher erheblicher Beeinträchtigungen keine offensichtlichen Zweifel bestehen, oder kann sie nur dann erlaubt werden, wenn überhaupt keine Zweifel am Ausbleiben solcher Beeinträchtigungen bestehen oder wenn das Ausbleiben mit Sicherheit festgestellt werden kann?

5.
Hat Artikel 6 Absatz 2 bzw. Absatz 3 der Habitatrichtlinie in dem Sinne unmittelbare Wirkung, dass sich der Einzelne vor den nationalen Gerichten auf diese Bestimmungen berufen kann und die Gerichte ihm u. a. gemäß dem … Urteil in der Rechtssache Peterbroeck (4) den aus der unmittelbaren Wirkung fließenden Rechtsschutz gewähren müssen?

IV – Rechtliche Würdigung

A – Zu Frage 1: Die Begriffe Plan oder Projekt

19.     Mit den unter den Nummern 1a und 1b aufgeführten Fragen strebt der Raad van State eine Präzisierung der Begriffe Plan und Projekt an. Die Beantwortung dieser Frage stellt die Weichen für die weitere Prüfung des vorliegenden Rechtsstreits. Wenn die jährliche Erteilung von Lizenzen zur Herzmuschelfischerei als Zustimmung zu einem Plan oder zu einem Projekt angesehen werden muss, so ist Artikel 6 Absatz 3 der Habitatrichtlinie anzuwenden.

1.     Vortrag der Beteiligten

20.     Die Waddenvereniging, die Vogelbescherming und im schriftlichen Verfahren auch die Kommission vertreten die Auffassung, dass die jährliche Entscheidung über die Muschelfischerei im Wattenmeer als Zustimmung zu einem Plan oder Projekt anzusehen sei. Die Begriffe Plan und Projekt seien weit auszulegen. Insbesondere die Vogelbescherming geht dabei soweit, dass bei jeder Genehmigung von einem Plan oder Projekt auszugehen sei, die Anwendung dieser Begriffe aber im Gegenzug nicht dadurch ausgeschlossen werden könne, dass keine Genehmigung gefordert werde. Nach Auffassung der Kommission ist immer von einem Plan oder Projekt auszugehen, wenn eine bestimmte Tätigkeit ihrer Natur nach geeignet ist, ein Gebiet erheblich zu beeinträchtigen.

21.     Alle drei Parteien stützen sich auf den Umstand, dass jedes Jahr erneut über die Muschelfischerei zu entscheiden ist, wobei grundsätzlich auch eine Versagung der Genehmigung denkbar wäre. Der Leitfaden der Kommission (5) verweise ausdrücklich auf die Fischerei, selbst wenn diesbezüglich keine Genehmigung notwendig sei. Die Auswirkungen der Muschelfischerei könnten in Abhängigkeit von vielen Faktoren, insbesondere der Populationsentwicklung, unterschiedlich sein.

22.     Die Waddenvereniging und die Vogelbescherming weisen auch darauf hin, dass die im Jahr 1999 erstmals festgesetzten Fangmengen von 10 000 Tonnen in den Vorjahren niemals erreicht worden waren. Folglich sei eine Ausdehnung der Muschelfischerei genehmigt worden. Die Vogelbescherming verweist außerdem auf ein Urteil des Raad van State aus dem Jahr 1998, das dazu geführt habe, dass erstmals im Jahr 1999 eine Lizenz des vorliegenden Typs erteilt wurde. Insofern bezieht sich die Vogelbescherming auch auf das Urteil Kraaijeveld (6) , wonach im Rahmen der UVP-Richtlinie (7) das entscheidende Kriterium für die Annahme eines Projekts die Erheblichkeit seiner Umweltauswirkungen sei.

23.     Auch die Regierung der Niederlande empfiehlt eine weite Auslegung der Begriffe Plan und Projekt, möchte allerdings – wie die PO Kokkelvisserij – die Anwendung von Artikel 6 Absatz 3 der Habitatrichtlinie auf neue Pläne und Projekte beschränkt wissen. Bereits zum Zeitpunkt der Ausweisung eines besonderen Schutzgebiets bestehende Pläne und Projekte seien allein Artikel 6 Absatz 2 der Habitatrichtlinie unterworfen. Dies gelte für Aktivitäten wie die Muschelfischerei, die bereits in der Vergangenheit praktiziert wurden, unabhängig davon, ob jährlich erneut Lizenzen notwendig seien.

24.     Die niederländische Regierung betont, dass die Muschelfischerei keine erwähnenswerten Auswirkungen auf ein besonderes Schutzgebiet habe und das Wattenmeer daher trotz der Muschelfischerei ausgewiesen worden sei. Sie geht im Übrigen davon aus, dass die Genehmigung der Ausweitung eines bestehenden Planes oder Projekts – bzw. einer bestehenden Aktivität – einen neuen Plan oder ein neues Projekt darstellen könne, das nach Artikel 6 Absatz 3 der Habitatrichtlinie unter Berücksichtigung der Auswirkungen der bisherigen Aktivität zu beurteilen wäre.

25.     Nur die PO Kokkelvisserij vertritt die Auffassung, dass selbst bei einer Ausweitung bestehender Aktivitäten kein neues Projekt und kein neuer Plan vorlägen. Im Übrigen legt sie dar, dass ohnehin die Muschelfischerei insgesamt nicht ausgeweitet, sondern nur jährlich den Umständen angepasst werde. Zwischen 1980 und 2000 seien jährlich zwischen 0 (1991 und 1996) und 9,3 (1998) Millionen Kilogramm Herzmuscheln gefischt worden. 7 Millionen Kilogramm oder mehr seien in den Jahren 1980, 1983, 1984, 1988, 1998 und 1999 angefallen, weniger als 2 Millionen Kilogramm in den Jahren 1987, 1991, 1996 und 1997. Ein Anstieg sei nicht erkennbar, vielmehr wechselten die Fangmengen von Jahr zu Jahr. Die jährlichen Unterschiede seien allein auf die jeweils vorherrschenden Bedingungen, insbesondere die Populationsentwicklung, zurückzuführen. Relativ zur Biomasse seien in den Jahren 1984, 1985, 1986 und 1990 Werte über 20 % erreicht worden, während die Höchstwerte seitdem bei etwa 10 % lägen. Bei dieser Betrachtungsweise sei daher sogar von einem Rückgang der Befischung auszugehen.

26.     In der mündlichen Verhandlung wies die Kommission auf die Möglichkeit hin, dass ein Bewirtschaftungsplan gemäß Artikel 6 Absatz 1 der Habitatrichtlinie vorliegen könne, der ganz oder teilweise die Muschelfischerei vorsehe. Ein Plan oder Projekt bestünde nur, soweit eine Maßnahme über diesen Bewirtschaftungsplan hinausgehe, da Artikel 6 Absatz 3 der Habitatrichtlinie ausdrücklich nur auf Maßnahmen anwendbar ist, die nicht unmittelbar mit der Verwaltung des Gebietes in Verbindung stehen oder hierfür nicht notwendig sind. Allerdings sei auch in Abwesenheit eines Bewirtschaftungsplans nur dann von einem Plan oder Projekt auszugehen, wenn die jährliche Lizenzierung einer ausgeübten Tätigkeit sich auf neue Elemente beziehe, z. B. neue Technologien oder eine Intensivierung.

2.     Stellungnahme

27.     Artikel 6 der Habitatrichtlinie soll sicherstellen, dass der natürliche Reichtum im Netzwerk Natura 2000 – der Bestand an natürlichen Lebensräumen und Arten in den jeweiligen Schutzgebieten – erhalten bleibt. Zu diesem Zweck sieht Absatz 1 Erhaltungsmaßnahmen vor, d. h. aktives Handeln. Absatz 2 fordert generell die Vermeidung von Verschlechterungen und von Störungen, die sich erheblich auswirken können.

28.     Artikel 6 Absätze 3 und 4 der Habitatrichtlinie enthalten besondere Regelungen über Pläne und Projekte. Nach Absatz 3 ist eine Maßnahme im Regelfall nur zu genehmigen, wenn sie kein Natura-2000-Gebiet als solches beeinträchtigt. Um dies beurteilen zu können, muss gegebenenfalls eine Prüfung der Maßnahme auf Verträglichkeit mit den Erhaltungszielen des Gebietes durchgeführt werden. Nach Absatz 4 ist die Beeinträchtigung von Gebieten als solchen unter bestimmten Umständen ausnahmsweise zulässig, wenn Ausgleichsmaßnahmen ergriffen werden. Ist eine Verträglichkeitsprüfung nicht notwendig, so ergeben sich aus Artikel 6 Absatz 3 und 4 der Habitatrichtlinie keine weiteren Beschränkungen des jeweiligen Planes oder Projekts.

29.     Die Voraussetzungen für die Durchführung einer Verträglichkeitsprüfung sind in Artikel 6 Absatz 3 Satz 1 der Habitatrichtlinie niedergelegt. Die Begriffe Plan und Projekt sind in dieser mehrstufigen Prüfung der erste Filter, der Maßnahmen ausscheidet, die keiner Verträglichkeitsprüfung zu unterziehen sind. Bevor eine Verträglichkeitsprüfung notwendig wird, sind weitere einschränkende Voraussetzungen zu prüfen, nämlich die von der Kommission erwähnte unmittelbare Verbindung zur Gebietsverwaltung und die in der dritten Vorlagefrage angesprochene Möglichkeit einer erheblichen Beeinträchtigung des Gebietes. Jedes dieser Kriterien hat seine eigene Funktion und Rechtfertigung. Die Begriffe Plan und Projekt sind dabei vor allem eine formale Voraussetzung für die Anwendung von Artikel 6 Absatz 3 der Habitatrichtlinie. Naturschutzfachliche Erwägungen sind nach dem Aufbau von Artikel 6 Absatz 3 Satz 1 der Habitatrichtlinie grundsätzlich erst auf den beiden folgenden Prüfungsstufen anzustellen.

30.     Die wirksame Verhinderung einer unbeabsichtigten Schädigung von Natura-2000-Gebieten setzt voraus, dass möglichst alle potenziell schädlichen Maßnahmen dem Verfahren des Artikels 6 Absatz 3 der Habitatrichtlinie unterzogen werden. Daher dürfen die Begriffe Plan und Projekt nicht eng, sondern müssen weit ausgelegt werden. Das entspricht auch dem Wortlaut, der in fast allen Sprachfassungen ausdrücklich alle (8) Pläne oder Projekte anspricht (9) .

31.     Hier kann dahinstehen, wie die Begriffe Plan und Projekt im Einzelnen zu definieren sind, da – wie wohl keiner der Beteiligten in Zweifel zieht – die mechanische Herzmuschelfischerei bei erstmaliger Aufnahme als Plan oder Projekt anerkannt würde. Sie ist wegen der großflächigen Einwirkungen auf die oberste Schicht des Meeresbodens von ihren naturschutzrelevanten Auswirkungen her prinzipiell mit dem Abbau von Bodenschätzen vergleichbar. Insofern wäre sie als sonstiger Eingriff und damit als Projekt im Sinne von Artikel 1 Absatz 2 der UVP-Richtlinie anzusehen. Diese Bestimmung definiert ein Projekt als die Errichtung von baulichen oder sonstigen Anlagen oder einen sonstigen Eingriff in Natur und Landschaft einschließlich derjenigen zum Abbau von Bodenschätzen (10) . Ohne diesen Projektbegriff abschließend auf die Habitatrichtlinie übertragen zu wollen, ist er jedenfalls im vorliegenden Fall angemessen und hinreichend. Im vorliegenden Fall kann dahinstehen, ob die Lizenzierung sich auf ein oder mehrere Projekte bezieht oder sogar auf einen Plan, der verschiedene Projekte koordiniert. Für die Rechtsfolgen ergeben sich keine Unterschiede.

32.     Zweifel am Vorliegen eines Planes oder eines Projekts könnten sich daraus ergeben, dass die Herzmuschelfischerei bereits seit vielen Jahren in der vorliegenden Form praktiziert wird. Weder der Begriff des Planes noch der Begriff des Projekts würde es jedoch ausschließen, eine in regelmäßigen Abständen erneut durchgeführte Maßnahme jedes Mal als eigenständigen Plan oder Projekt anzusehen.

33.     Davon geht wohl auch das niederländische Recht aus. So kann die Muschelfischerei ohne die jährliche Lizenzierung nicht durchgeführt werden. Sie bedarf daher der Genehmigung durch die zuständigen Behörden. Das Genehmigungsverfahren für Pläne und Projekte ergibt sich aber aus Artikel 6 Absatz 3 der Habitatrichtlinie. Allerdings kann die Anwendbarkeit von Artikel 6 Absatz 3 der Habitatrichtlinie nicht allein darauf beruhen, dass die Niederlande keine Dauergenehmigung erteilt haben, sondern die Genehmigung jährlich erneuern. Wenn die Notwendigkeit einer Verträglichkeitsprüfung allein davon abhängig wäre, ob das nationale Recht für die jeweilige Maßnahme eine dauerhaft geltende Genehmigung oder eine jährlich zu erneuernde Genehmigung vorsieht, bestünde ein Anreiz, schutzgebietsrelevante Genehmigungen unbefristet zu erteilen, um die Anwendung von Artikel 6 Absatz 3 der Habitatrichtlinie zu umgehen.

34.     Eine solche Umgehung von Artikel 6 Absatz 3 der Habitatrichtlinie wäre allerdings mit dem Gemeinschaftsrecht unvereinbar. Wie andere Umweltrichtlinien setzt die Habitatrichtlinie voraus, dass bestimmte Maßnahmen einer behördlichen Genehmigung bedürfen (11) . Im Rahmen der UVP-Richtlinie hat der Gesetzgeber dies nachträglich klargestellt (12) .

35.     Da die Habitatrichtlinie nicht festlegt, welche Aktivitäten in welcher Form zu genehmigen sind, ist es vorrangig Aufgabe der Mitgliedstaaten, entsprechende Regelungen zu erlassen. Bei der Ausgestaltung von Genehmigungserfordernissen müssen sie jedoch die Möglichkeit der Beeinträchtigung von Natura-2000-Gebieten berücksichtigen. Befristete Genehmigungen, die regelmäßig überprüft werden müssen, sind insbesondere dann angezeigt, wenn die jeweils möglichen Auswirkungen im Rahmen einer Erstgenehmigung nicht hinreichend genau abzuschätzen sind, sondern von variablen Umständen abhängen.

36.     Die Herzmuschelfischerei im Wattenmeer erscheint als typisches Beispiel einer Tätigkeit, deren Zulassung jährlich überprüft werden sollte. Das Angebot an Herzmuscheln variiert jährlich in Abhängigkeit von der Witterung. Eine Überfischung erscheint nicht ausgeschlossen (13) . Herzmuscheln sind für die Ernährung von Eiderenten und Austernfischern im Winter von großer Bedeutung. Daher bedarf es einer zumindest jährlichen Steuerung, die die Ausbeutung der Muschelbestände mit dem Nahrungsbedarf der Vögel koordiniert. Die niederländische Praxis, Lizenzen für die Herzmuschelfischerei jährlich erneut zu erteilen, entspricht daher den Anforderungen von Artikel 6 Absatz 3 der Habitatrichtlinie.

37.     Grundsätzlich ist die naturschutzfachliche Notwendigkeit eines Genehmigungserfordernisses allerdings keine Voraussetzung dafür, eine genehmigungsbedürftige Tätigkeit als Plan oder Projekt zu verstehen. Solcher Erwägungen bedarf es nur, wenn in Abwesenheit eines solchen Erfordernisses Grund zur Annahme besteht, dass diese Tätigkeit als Plan oder Projekt zu qualifizieren wäre.

38.     Gerade bei wiederholt durchgeführten Maßnahmen führt dieses Verständnis der Begriffe Plan und Projekt auch nicht zu unangemessenen Belastungen. Soweit Auswirkungen von Jahr zu Jahr gleich bleiben, lässt sich auf der nächsten Prüfungsstufe leicht unter Verweis auf die Prüfungen der Vorjahre feststellen, dass keine erheblichen Beeinträchtigungen zu erwarten sind. Ist dieser Verweis dagegen wegen sich ändernder Umstände nicht möglich, so ist nicht auszuschließen, aber auch gerechtfertigt, dass erneut umfangreichere Prüfungen vorgenommen werden müssen.

39.     Auf die erste Frage ist daher zu antworten, dass die Begriffe Plan und Projekt in Artikel 6 Absatz 3 der Habitatrichtlinie auch eine Tätigkeit erfassen, die bereits seit vielen Jahren ausgeübt wird, für die jedoch grundsätzlich jedes Jahr eine Lizenz für einen beschränkten Zeitraum erteilt wird.

40.     Angesichts dieses Ergebnisses bedarf es keiner Stellungnahme zu Frage 1b, ob es einen Unterschied mache, wenn die Tätigkeit zunehme oder die Genehmigung die Möglichkeit einer Zunahme eröffne. Es sei aber angemerkt, dass die Ausdehnung einer bestehenden Tätigkeit, die ihrerseits als Plan oder Projekt anzusehen wäre, grundsätzlich als neuer Plan oder neues Projekt qualifiziert werden kann. Diese Ausdehnung müsste daher darauf hin überprüft werden, ob sie allein oder gemeinsam mit anderen Plänen oder Projekten (einschließlich der bestehenden Tätigkeit) ein Natura-2000-Gebiet erheblich beeinträchtigen kann. Gegebenenfalls wären die weiteren Verfahrensschritte nach Artikel 6 Absätze 3 und 4 der Habitatrichtlinie durchzuführen.

B – Zu Frage 2: Das Verhältnis zwischen Artikel 6 Absatz 2 und Artikel 6 Absatz 3 der Habitatrichtlinie

41.     Die zweite Frage richtet sich auf das Verhältnis zwischen Artikel 6 Absatz 2 und Artikel 6 Absatz 3 der Habitatrichtlinie. Der Raad van State möchte wissen, wie beide Vorschriften voneinander abzugrenzen sind und ob eine kumulative Anwendung in Betracht kommt. Zur Abgrenzung schlägt er verschiedene Möglichkeiten vor, nämlich

dass sich Absatz 2 auf den bisherigen Gebrauch und Absatz 3 auf neue Pläne oder Projekte bezieht;

dass sich Absatz 2 auf Verwaltungsmaßnahmen und Absatz 3 auf andere Entscheidungen bezieht oder

dass sich Absatz 3 auf Pläne oder Projekte und Absatz 2 auf sonstige Tätigkeiten bezieht.

1.     Vortrag der Beteiligten

42.     Die Vogelbescherming vertritt die Auffassung, dass diese Vorschriften sich in Natur und Reichweite deutlich unterscheiden. Artikel 6 Absatz 3 lege das Verfahren der Projektgenehmigung zu einem bestimmten Zeitpunkt fest, während Absatz 2 eine permanente Verpflichtung zu aktivem Handeln begründe, um Verschlechterungen von Gebieten zu verhindern.

43.     Sie hält die Auslegungsvarianten des Raad van State für unzureichend. Die erste Variante werfe schwierige Fragen auf, wie neue und bestehende Pläne oder Projekte voneinander abzugrenzen seien. Die zweite Variante verkenne, dass Verwaltungsmaßnahmen unterschiedlicher Art sein könnten und primär unter Artikel 6 Absatz 1 fallen würden. Auch könnten nicht alle zur Erhaltung des Gebietes notwendigen Maßnahmen auf Artikel 6 Absatz 3 gestützt werden. Die dritte Variante sei korrekt, soweit sie Pläne und Projekte Artikel 6 Absatz 3 unterwerfe, verkenne aber, dass Artikel 6 Absatz 2 nicht nur auf Aktivitäten beschränkt werden dürfe. Vielmehr könnten auch natürliche Entwicklungen Handlungspflichten nach Artikel 6 Absatz 2 auslösen.

44.     Nach Auffassung der Vogelbescherming und der Waddenvereniging könnten beide Absätze auch kumulativ Anwendung finden, etwa wenn ein gemäß Absatz 3 genehmigtes Projekt trotz Verträglichkeitsprüfungen zu einem späteren Zeitpunkt unvorhergesehene negative Auswirkungen auf ein Gebiet habe, die Maßnahmen nach Absatz 2 erforderlich machen würden. Allerdings sei es nach Auffassung der Vogelbescherming sinnlos, bereits im Rahmen einer Genehmigung nach Absatz 3 zugleich Absatz 2 anzuwenden.

45.      Nach Auffassung der niederländischen Regierung bezwecken beide Vorschriften die Erhaltung der jeweiligen Gebiete, wobei Absatz 2 alle Maßnahmen betreffe, Absatz 3 nur neue Pläne und Projekte, die die jeweiligen Gebiete erheblich beeinträchtigen könnten. Für letztere sei ausdrücklich ein spezielles Regime vorgesehen. Eine kumulative Anwendung beider Vorschriften sei aber nicht sinnvoll.

46.     Die PO Kokkelvisserij bezieht sich im Wesentlichen auf die Ausführungen der Kommission in ihrem Leitfaden (14) . Danach kommt sie zu dem Ergebnis, dass Pläne oder Projekte nach Absatz 3 zu beurteilen sind, andere Maßnahmen dagegen nach Absatz 2. Zwar bezögen sich beide Vorschriften auf die Erhaltungsziele des betreffenden Gebietes, eine kumulative Anwendung sei aber ausgeschlossen.

47.     Die Kommission schließlich vertritt die Auffassung, dass Absatz 3 insofern eine eigenständige Bedeutung habe, als diese Vorschrift sich auf Pläne und Projekte beziehe, während Absatz 2 eine allgemeine Verpflichtung betreffe, Verschlechterungen und erhebliche Störungen zu vermeiden. Absatz 2 erstrecke sich auf Aktivitäten, die keine vorherige Genehmigung voraussetzen würden. Absatz 3 sei jedenfalls keine Spezialregelung gegenüber Absatz 2.

2.     Stellungnahme

48.     Die Anwendungsbereiche von Artikel 6 Absätze 2 und 3 der Habitatrichtlinie ergeben sich aus ihrem Wortlaut. Absatz 2 knüpft an Verschlechterungen und Störungen an, Absatz 3 dagegen an Pläne und Projekte. Eine Überschneidung beider Anwendungsbereiche ist danach nicht ausgeschlossen.

49.     Allerdings könnte Absatz 3 – gegebenenfalls in Verbindung mit Absatz 4 – eine abschließende Spezialregelung für Pläne und Projekte enthalten, die die Anwendung von Artikel 6 Absatz 2 ausschließt. Dies hätte zur Folge, dass Pläne und Projekte nach einer Genehmigung im Sinne von Artikel 6 Absatz 3 oder 4 nicht mehr wegen der Beeinträchtigung von Schutzgebieten weiteren Anforderungen unterworfen würden.

50.     Ein gewichtiges Argument gegen eine Anwendung von Artikel 6 Absatz 2 der Habitatrichtlinie auf Pläne und Projekte scheint aus Artikel 6 Absatz 4 zu folgen. Wäre Artikel 6 Absatz 2 auf Pläne und Projekte anwendbar, die nach dieser Vorschrift trotz der Beeinträchtigung von Schutzgebieten genehmigt werden, so würde diese Ausnahmegenehmigung keine praktische Wirkung entfalten. Mitgliedstaaten wären regelmäßig verpflichtet, diese Pläne und Projekte zu verhindern, da sie zur Verschlechterung von Schutzgebieten führen würden. Daraus ist zu schließen, dass Artikel 6 Absatz 2 in diesen Fällen keine Anwendung finden kann. Wenn man Artikel 6 Absätze 3 und 4 als einheitliches System der Genehmigung von Plänen und Projekten verstünde, so wäre es konsequent, auch bei einer Genehmigung nach Artikel 6 Absatz 3 die Anwendung von Artikel 6 Absatz 2 auszuschließen.

51.     Die Initiatoren von Plänen und Projekten und die zuständigen Behörden würden bei einer ausschließlichen Geltung von Artikel 6 Absätze 3 und 4 der Habitatrichtlinie für Pläne und Projekte erheblich an Rechtssicherheit gewinnen. Bei neuen Plänen und Projekten würde eine rechtskräftige Genehmigung gewährleisten, dass Erwägungen des Gebietsschutzes die Umsetzung des jeweiligen Vorhabens nicht mehr berühren könnten. Auch der Bestand alter Zulassungen von Plänen und Projekten, die noch nicht nach Maßgabe von Artikel 6 Absatz 3 ergingen, würde durch Beeinträchtigungen von Schutzgebieten nicht in Frage gestellt.

52.     Eine derartige exklusive Geltung von Artikel 6 Absatz 3 der Habitatrichtlinie ist allerdings nach der Systematik von Artikel 6 nicht zwingend. Immerhin befinden sich das Regelgenehmigungsverfahren mit Verträglichkeitsprüfung und die Ausnahmegenehmigung in unterschiedlichen Absätzen.

53.     Darüber hinaus unterscheiden sich Pläne und Projekte, die nach Artikel 6 Absatz 3 der Habitatrichtlinie genehmigt werden, grundlegend von den nur ausnahmsweise zu genehmigenden Plänen und Projekten nach Artikel 6 Absatz 4 der Habitatrichtlinie. Die Regelgenehmigung basiert auf der Annahme, dass ein Plan oder Projekt Schutzgebiete als solche nicht beeinträchtigt, die Ausnahmegenehmigung setzt dagegen eine derartige Beeinträchtigung von Schutzgebieten voraus.

54.     Daher muss auch nach Abschluss des Regelgenehmigungsverfahrens gemäß Artikel 6 Absatz 3 der Habitatrichtlinie die allgemeine Verpflichtung des Artikels 6 Absatz 2 gelten, Verschlechterung und erhebliche Störungen zu vermeiden, die auf die Durchführung eines Planes oder eines Projekts zurückzuführen sind.

55.     Dies entspricht der besonderen Funktion von Artikel 6 Absatz 3 der Habitatrichtlinie im Vergleich zu Artikel 6 Absatz 2. Absatz 3 schafft vor allem ein Genehmigungsverfahren, das die Chance nutzt, vor einer möglichen Beeinträchtigung von Schutzgebieten, die Auswirkungen eines Planes oder eines Projekts anhand der Erhaltungsziele des betroffenen Schutzgebiets zu bewerten. Eine Vorabkontrolle widerspricht jedoch nicht der Anwendung der allgemeinen Schutznorm des Artikels 6 Absatz 2.

56.     Bei bestimmungsgemäßer Durchführung erübrigen sich nach dem Genehmigungsverfahren gemäß Artikel 6 Absatz 3 der Habitatrichtlinie spätere Maßnahmen auf der Grundlage von Absatz 2. Die ideale Verträglichkeitsprüfung würde nämlich alle später eintretenden Beeinträchtigungen präzise identifizieren. Eine Genehmigung würde daher nur erfolgen, wenn der Plan oder das Projekt das Gebiet als solches nicht beeinträchtigt. Dies müsste im Sinne eines kohärenten Schutzstandards zugleich ausschließen, dass Verschlechterungen eintreten oder Störungen, die sich im Hinblick auf die Ziele der Richtlinie erheblich auswirken könnten. Damit wäre zugleich die praktische Wirksamkeit der Zustimmung nach Artikel 6 Absatz 3 der Habitatrichtlinie gewährleistet, da die darin ausdrücklich zugelassenen Auswirkungen keinen Verstoß gegen Artikel 6 Absatz 2 begründen können.

57.     Praktische Konsequenzen im Zusammenhang mit genehmigten Projekten und Plänen ergäben sich aus Artikel 6 Absatz 2 der Habitatrichtlinie jedoch, wenn diese trotz einer Verträglichkeitsprüfung zu Verschlechterungen oder erheblichen Beeinträchtigungen führen. Dann wäre der betreffende Mitgliedstaat verpflichtet, ungeachtet einer Genehmigung der Maßnahme die notwendigen Vermeidungsmaßnahmen zu ergreifen.

58.     Diese Verpflichtung ist sachgerecht, da andernfalls der Bestand an Lebensräumen und Arten innerhalb von Natura 2000 ersatzlos zurückgehen könnte. Sie rechtfertigt sich zumindest bei neuen Plänen und Projekten auch dadurch, dass die Mitgliedstaaten in derartigen Fällen entweder eine mangelhafte Verträglichkeitsprüfung oder wissenschaftliche Unsicherheit über die Auswirkungen der betreffenden Maßnahme in Kauf genommen haben. Es ist aber auch nicht hinnehmbar, dass der Bestand an Lebensräumen und Arten durch alte Pläne und Projekte reduziert wird, auf die Artikel 6 Absatz 3 der Habitatrichtlinie aus zeitlichen Gründen noch keine Anwendung fand.

59.     Die fortdauernde Anwendung von Artikel 6 Absatz 2 der Habitatrichtlinie auf Pläne und Projekte würde im Übrigen dem Urteil des Gerichtshofes in der Rechtssache C-117/00 entsprechen (15) . Dort hat er festgestellt, dass Irland in Bezug auf den Owenduff-Nephin Beg Complex den Verpflichtungen aus Artikel 6 Absatz 2 der Habitatrichtlinie nicht nachgekommen ist. Dabei ging es um Überweidung mit der Folge der Erosion und des Rückgangs von Heidekrautgewächsen sowie die Aufforstung mit Nadelbäumen. Der Gerichtshof hat in diesem Zusammenhang nicht die Frage aufgeworfen, ob Pläne oder Projekte vorlagen, die eine Anwendung von Artikel 6 Absatz 3 der Habitatrichtlinie erfordert und unter Umständen einer Anwendung von Artikel 6 Absatz 2 entgegengestanden hätten.

60.     Auf die zweite Frage ist danach zu antworten, dass Artikel 6 Absatz 3 der Habitatrichtlinie das Verfahren der Genehmigung von Plänen und Projekten regelt, die Schutzgebiete als solche nicht beeinträchtigen, während Artikel 6 Absatz 2 der Habitatrichtlinie unabhängig von der Zulassung von Plänen und Projekten Dauerpflichten begründet, Verschlechterungen zu vermeiden sowie Störungen, die sich im Hinblick auf die Ziele der Richtlinie erheblich auswirken könnten.

C – Zu Frage 3: Die Möglichkeit einer erheblichen Beeinträchtigung

61.     Mit seiner dritten Frage möchte der Raad van State zwei Voraussetzungen der Durchführung einer Verträglichkeitsprüfung nach Artikel 6 Absatz 3 Satz 1 der Habitatrichtlinie aufklären. Zum einen möchte er wissen, welche Anforderungen an die Wahrscheinlichkeit von erheblichen Beeinträchtigungen zu stellen sind, und zum anderen, wann davon auszugehen ist, dass eine mögliche Beeinträchtigung erheblich ist.

62.     Es ist zunächst darauf hinzuweisen, dass die Möglichkeit einer erheblichen Beeinträchtigung vorrangig eine naturschutzfachliche Frage ist, die anhand der Umstände des jeweiligen Einzelfalls zu beantworten ist. Der Gerichtshof kann allerdings Orientierungen geben.

1.     Zur Möglichkeit einer Beeinträchtigung

a)     Vortrag der Beteiligten

63.     Die Waddenvereniging hält es für notwendig, immer eine Verträglichkeitsprüfung durchzuführen, wenn das Ausbleiben von erheblichen Beeinträchtigungen nicht offensichtlich ausgeschlossen ist.

64.     Die Vogelbescherming lehnt es ab, die Verträglichkeitsprüfung auf Fälle zu begrenzen, in denen erhebliche Beeinträchtigungen mit hinreichender Wahrscheinlichkeit eintreten werden – vielmehr reiche es aus, wenn solche Beeinträchtigungen eintreten könnten. Erst die eigentliche Verträglichkeitsprüfung könne die Wahrscheinlichkeit von Beeinträchtigungen beurteilen.

65.     Die Vogelbescherming versteht die Frage des Raad van State in dem Sinne, ob bereits auf dieser Stufe der Anwendung von Artikel 6 Absatz 3 der Habitatrichtlinie die Möglichkeit von Schadensminderungsmaßnahmen Berücksichtigung finden könnte. Derartige Maßnahmen könnten allerdings erst auf der Basis einer Verträglichkeitsprüfung wirksam getroffen werden. Im vorliegenden Fall zeigten bereits die Fragestellungen einer laufenden staatlichen Studie, dass die Herzmuschelfischerei erhebliche Beeinträchtigungen bewirken könne.

66.     Die Kommission geht davon aus, dass neben der grundsätzlichen Eignung eines Planes oder Projekts, ein Gebiet zu beeinträchtigen, der Eintritt erheblicher Beeinträchtigungen auch hinreichend wahrscheinlich sein muss. Dies sei in einer vorläufigen Prüfung zu beurteilen. Nach dem Vorsorgeprinzip reichten allerdings bereits Zweifel am Ausbleiben einer solchen Beeinträchtigung aus, um die Verpflichtung auszulösen, eine Verträglichkeitsprüfung durchzuführen.

67.     Die niederländische Regierung vertritt die Auffassung, dass eine Verträglichkeitsprüfung nur notwendig ist, wenn erhebliche Beeinträchtigungen hinreichend wahrscheinlich seien. Dies sei in einer Vorprüfung zu beurteilen.

68.     Auch die PO Kokkelvisserij hält eine Verträglichkeitsprüfung nur für erforderlich, wenn man annehmen könne, dass der Plan oder das Projekt erhebliche Beeinträchtigungen zur Folge haben werde.

b)     Stellungnahme

69.     Im Hinblick auf den Grad der Wahrscheinlichkeit einer erheblichen Beeinträchtigung ist der Wortlaut in den verschiedenen Sprachfassungen nicht eindeutig. Die deutsche Fassung scheint am weitesten zu sein, da sie mit „könnte“ den Konjunktiv verwendet. Das legt die bloße Möglichkeit einer Beeinträchtigung als Maßstab nahe. Dagegen verwendet die englische Fassung den wohl engsten Begriff mit „likely“, der für eine überwiegende Wahrscheinlichkeit sprechen würde. Die anderen Sprachfassungen scheinen sich zwischen diesen beiden Polen zu bewegen. Nach dem Wortlaut ist es daher nicht notwendig, dass eine Beeinträchtigung sicher eintreten wird, der notwendige Grad der Wahrscheinlichkeit bleibt aber unklar.

70.     Da das Regelgenehmigungsverfahren verhindern soll, dass Schutzgebiete durch Pläne oder Projekte beeinträchtigt werden, dürfen die Anforderungen an die Wahrscheinlichkeit einer Beeinträchtigung nicht zu streng sein. Würde man die Verträglichkeitsprüfung für Pläne und Projekte ausschließen, die z. B. mit nur zehnprozentiger Wahrscheinlichkeit erhebliche Beeinträchtigungen hätten, so würde statistisch doch jede zehnte Maßnahme, die genau unterhalb dieses Grenzwerts bliebe, zu erheblichen Beeinträchtigungen führen. Alle derartigen Maßnahmen könnten aber ohne weitere Einschränkungen genehmigt werden. Ein derartig bezifferter Wahrscheinlichkeitsstandard ließe daher eine schleichende Verschlechterung von Natura 2000 befürchten. Hinzu kommt, dass die Verträglichkeitsprüfung gerade auch dazu beitragen soll, die Wahrscheinlichkeit von Beeinträchtigungen festzustellen. Wenn die Wahrscheinlichkeit bestimmter Beeinträchtigungen unklar ist, dann spricht dies also eher für als gegen eine Verträglichkeitsprüfung.

71.     Die Möglichkeit der Vermeidung oder Minderung von Beeinträchtigungen sollte bei der Ermittlung der Notwendigkeit einer Verträglichkeitsprüfung grundsätzlich keine Rolle spielen. Es erscheint zweifelhaft, dass derartige Maßnahmen ohne das fachliche Fundament einer konkreten Verträglichkeitsstudie hinreichend präzise durchgeführt werden können.

72.     Andererseits wäre es unverhältnismäßig, jede denkbare Beeinträchtigung zum Anlass zu nehmen, eine Verträglichkeitsprüfung durchzuführen. Beeinträchtigungen, die unter Berücksichtigung der Erhaltungsziele des Gebietes fern liegen, können außer Betracht bleiben. Dies kann allerdings nur im jeweiligen Einzelfall beurteilt und entschieden werden.

73.     Maßstab muss dabei sein, ob vernünftige Zweifel am Ausbleiben erheblicher Beeinträchtigungen bestehen. Bei der Bewertung von Zweifeln werden einerseits die Wahrscheinlichkeit eines Schadens, andererseits aber auch das Ausmaß und die Art dieses Schadens zu berücksichtigen sein. So sind Zweifel am Ausbleiben von irreversiblen Beeinträchtigungen oder von Beeinträchtigungen, die besonders seltene Lebensräume oder Arten betreffen würden, prinzipiell höher zu gewichten als Zweifel am Ausbleiben von reversiblen oder vorübergehenden Beeinträchtigungen oder am Ausbleiben einer Beeinträchtigung von relativ häufigen Arten oder Lebensräumen.

74.     Daher ist eine Verträglichkeitsprüfung immer dann erforderlich, wenn vernünftige Zweifel am Ausbleiben von erheblichen Beeinträchtigungen bestehen.

2.     Zur Erheblichkeit

a)     Vortrag der Beteiligten

75.     Zur Beurteilung der Erheblichkeit schlägt die Waddenvereniging verschiedene Kriterien vor. Die Auswirkungen vergleichbarer Vorhaben auf andere Gebiete und die Populationsentwicklung, hier der Rückgang von Eiderenten, könnten Anhaltspunkte liefern. Die Größe des Gebietes und des Projekts dürften keine Berücksichtigung finden, da andernfalls Teile von Schutzgebieten ihren Schutzstatus praktisch verlieren könnten.

76.     Die Vogelbescherming schlägt die folgende Prüfungsabfolge vor:

Sind Beeinträchtigungen denkbar?

Überschneiden sich die vom Plan oder Projekt in Anspruch genommenen Flächen mit den von natürlichen Lebensräumen oder Arten in Anspruch genommenen Gebietsflächen?

Trifft beides zu, ist zu prüfen, ob das geringste Risiko einer Beeinträchtigung der Integrität des Gebietes besteht.

77.     Die Kommission fordert eine objektive Auslegung, die sich allerdings in ihrer Anwendung an der besonderen Ausstattung des betroffenen Gebietes orientieren müsse. Beeinträchtigungen seien insbesondere dann erheblich, wenn sie

die Verwirklichung von Erhaltungszielen unmöglich oder unwahrscheinlich machen oder

einen vitalen Bestandteil des Ökosystems, der das Gebiet charakterisiert und für seine Integrität oder seine Bedeutung für die Kohärenz von Natura 2000 essenziell ist, unwiederbringlich zerstören würde.

78.     Auch die niederländische Regierung möchte eine willkürliche oder zufällige Beurteilung der Erheblichkeit vermeiden und erwartet, dass die Besonderheiten des betroffenen Gebietes, aber auch kumulative Auswirkungen in Verbindung mit anderen Plänen und Projekten Berücksichtigung finden.

79.     Die PO Kokkelvisserij bezieht sich auf den Leitfaden der Kommission (16) und die Beeinträchtigungen, die Gegenstand des Urteils zu den Santoñasümpfen (17) waren. Danach seien spürbare, relativ schwere, irreparable oder schwer reparable Auswirkungen erforderlich. Im Hinblick auf die Komplexität ökologischer Beurteilungen lehnt sie eine abschließende Liste von Kriterien ab. Sie hält es aber in jedem Fall für notwendig, die Natur und die Ausdehnung des Gebietes sowie die tatsächlichen und vorhersehbaren Auswirkungen des Planes oder Projekts zu berᄐcksichtigen, insbesondere ob diese Beeinträchtigungen struktureller oder vorübergehender bzw. mit natürlichen Mitteln vermeidbarer Art sind. Beachtung sollten auch die Erhaltungsziele des Gebietes sowie andere Umwelteigenschaften oder Umweltfolgen finden.

b)     Stellungnahme

80.     Die Beschränkung der Verträglichkeitsprüfung auf Pläne und Projekte, die ein Schutzgebiet erheblich beeinträchtigen könnten, verhindert überflüssige Verträglichkeitsprüfungen. Diese Voraussetzung ist im Rahmen einer Vorprüfung überschlägig zu beurteilen, ohne die eigentliche Verträglichkeitsprüfung vorwegzunehmen.

81.     Der Begriff der Erheblichkeit beschreibt ein Vergleichspaar, hier das Verhältnis bestimmter Beeinträchtigungen zu einem Schutzgebiet. Das Schutzgebiet wird durch seine Erhaltungsziele definiert. Das Gewicht von Beeinträchtigungen ergibt sich aus Ausmaß und Art des möglichen Schadens. Die Reversibilität oder die Kompensierbarkeit von Auswirkungen, aber auch die Seltenheit der betroffenen Lebensräume oder Arten sind dabei von Bedeutung.

82.     Von den Beteiligten versucht allein die Kommission, die Schwelle zur Erheblichkeit näher zu bestimmen. Die von ihr vorgeschlagenen Kriterien – die Vereitelung von Erhaltungszielen oder die Zerstörung essenzieller Gebietsbestandteile – setzen diese Schwelle allerdings sehr hoch an.

83.     Die Vogelbescherming und die Waddenvereniging haben in der mündlichen Verhandlung zu Recht darauf hingewiesen, dass dieser Standard die Rechtsprechung des Gerichtshofes, die vor allem im Zusammenhang mit der Vogelschutzrichtlinie ergangen ist, nicht widerspiegelt. So ist dem Urteil zur Leybucht zu entnehmen, dass jede Verkleinerung eines besonderen Schutzgebiets, z. B. durch den Bau einer Straße (18) , einer erheblichen Beeinträchtigung zumindest gleichzustellen ist (19) . Im Urteil zu den Santoñasümpfen hat der Gerichtshof ohne Prüfung kumulierender Auswirkungen auch Aquakulturvorhaben (20) und die Einleitung von Abwässern (21) als erhebliche Beeinträchtigungen anerkannt. Es ist aber nicht anzunehmen, dass jeder dieser Eingriffe bereits geeignet gewesen wäre, die Erhaltungsziele der betroffenen besonderen Schutzgebiete zu vereiteln oder essenzielle Bestandteile zu zerstören.

84.     Der Kommission ist allerdings zuzustimmen, soweit sie an die Erhaltungsziele eines Gebietes anknüpft. Diese Ziele beschreiben seine Bedeutung im Rahmen von Natura 2000. Jedes dieser Ziele ist daher relevant für das Netzwerk. Wenn Beeinträchtigungen durch Pläne und Projekte hingenommen würden, weil sie die Erreichung dieser Ziele nur erschweren, aber noch nicht unmöglich oder unwahrscheinlich machen würden, so könnte der Bestand an Arten und Lebensräumen in Natura 2000 durch Pläne und Projekte erodiert werden. Noch nicht einmal das Ausmaß dieser Erosion wäre mit einiger Genauigkeit abzusehen, da keine Verträglichkeitsprüfung durchgeführt würde. Diese Verluste würden nicht ausgeglichen, da Artikel 6 Absatz 4 der Habitatrichtlinie keine Anwendung fände.

85.     Grundsätzlich muss daher jede Beeinträchtigung von Erhaltungszielen als erhebliche Beeinträchtigung des Gesamtgebiets angesehen werden. Nur Beeinträchtigungen, die kein Erhaltungsziel berühren, sind im Rahmen von Artikel 6 Absatz 3 der Habitatrichtlinie unerheblich.

86.     Auf diesen Teil der dritten Frage ist daher zu antworten, dass jede Beeinträchtigung von Erhaltungszielen das betroffene Gebiet erheblich beeinträchtigt.

D – Zu Frage 4: Die Verträglichkeitsprüfung und geeignete Maßnahmen

87.     Mit der vierten Frage möchte der Raad van State die notwendigen Erläuterungen erhalten, um zu beurteilen, ob die zuständigen Stellen im vorliegenden Fall eine Verträglichkeitsprüfung durchgeführt und die notwendigen Konsequenzen gezogen oder geeignete Maßnahmen zur Vermeidung von Verschlechterungen und Störungen getroffen haben.

1.     Zur Verträglichkeitsprüfung

88.     Soweit sie sich auf die Verträglichkeitsprüfung bezieht, richtet sich die vierte Frage einerseits allgemein auf die Anforderungen an eine Verträglichkeitsprüfung, andererseits konkret darauf, ob es gerechtfertigt ist, die Muschelfischereilizenzen nur zu verweigern, wenn „offensichtliche Zweifel“ am Ausbleiben erheblicher nachteiliger Folgen vorliegen. In diesem Zusammenhang wirft der Raad van State die Frage auf, ob das Vorsorgeprinzip zu beachten ist.

a)     Vortrag der Beteiligten

i)     Allgemeines

89.     Die PO Kokkelvisserij schlägt vor, die Anforderungen an die Verträglichkeitsprüfung den Absätzen 2 und 3 des Artikels 2 der Habitatrichtlinie zu entnehmen, wonach einerseits ein günstiger Erhaltungszustand der natürlichen Lebensräume und wildlebenden Tier- und Pflanzenarten von gemeinschaftlichem Interesse zu bewahren oder wiederherzustellen, aber andererseits den Anforderungen von Wirtschaft, Gesellschaft und Kultur sowie den regionalen und örtlichen Besonderheiten Rechnung zu tragen ist.

90.     Die übrigen Parteien stimmen dahin gehend überein, dass eine Verträglichkeitsprüfung die Auswirkungen von Plänen oder Projekten auf die Erhaltungsziele des betroffenen Gebietes zum Gegenstand haben müsste. Sie schlagen dazu mit unterschiedlicher Detaildichte Methoden vor.

ii)     Zum Vorsorgeprinzip

91.     Die Waddenvereniging, die Kommission, die niederländische Regierung und die PO Kokkelvisserij vertreten die Auffassung, dass das Vorsorgeprinzip nach Artikel 174 Absatz 2 EG bei der Auslegung von Artikel 6 Absätze 2 und 3 der Habitatrichtlinie herangezogen werden muss. Die Vogelbescherming meint, dass Artikel 6 Absätze 2 und 3 der Habitatrichtlinie bereits eine hinreichend klare Konkretisierung des Vorsorgeprinzips enthalten und so den Rückgriff auf Artikel 174 Absatz 2 EG entbehrlich machen.

iii)     Zu den Zweifeln am Ausbleiben von Beeinträchtigungen

92.     Die Kommission verweist auf die englische und französische Sprachfassung von Artikel 6 Absatz 3 Satz 2 der Habitatrichtlinie, wonach die zuständigen Behörden sicher sein müssen, dass ein Gebiet nicht als solches beeinträchtigt wird. Wie die Vogelbescherming und die Waddenvereniging schließt sie daraus, dass kein Zweifel daran bestehen dürfe, dass solche Beeinträchtigungen unwahrscheinlich seien.

93.     Die niederländische Regierung vertritt die Auffassung, dass das Kriterium der offensichtlichen Zweifel auf die Absätze 2 und 3 des Artikels 6 der Habitatrichtlinie Anwendung finden müsse. Bei der Anwendung von Absatz 3 Satz 1 seien offensichtliche Zweifel notwendig, um die Verträglichkeitsprüfung auszulösen. Im Anwendungsbereich von Absatz 3 Satz 2 müsse die Genehmigung bereits möglich sein, wenn keine absolute Sicherheit, sondern nur ein hohes Maß an Sicherheit bestehe, dass Beeinträchtigungen auszuschließen seien. Absolute Sicherheit sei selten erreichbar. Die Zustimmung zu einem Plan oder Projekt könne dementsprechend auch nur verweigert werden, wenn nach Durchführung der Verträglichkeitsprüfung offensichtliche Zweifel verblieben.

94.     Die PO Kokkelvisserij vertritt die Auffassung, dass das Vorsorgeprinzip zu stark ausgedehnt würde, wenn die Zustimmung bei jedem Zweifel am Ausbleiben von Beeinträchtigungen verweigert werden müsste. Unter gleichzeitiger Berufung auf das Prinzip der Verhältnismäßigkeit schlägt sie vor, dass bei wissenschaftlicher Unsicherheit angemessene Maßnahmen zu treffen sind, die regelmäßig nicht alle Risiken ausschließen könnten.

b)     Stellungnahme

i)     Zur Verträglichkeitsprüfung

95.     Vorab ist darauf hinzuweisen, dass die Habitatrichtlinie keine Methoden für die Durchführung einer Verträglichkeitsprüfung vorgibt. Es mag hilfreich sein, insofern auf die einschlägigen Dokumente der Kommission (22) zurückzugreifen, doch kommt ihnen keine rechtliche Bindungswirkung zu. Keinesfalls kann der Gerichtshof abstrakt eine bestimmte Methode der Verträglichkeitsprüfung entwickeln. Es ist allerdings möglich, der Richtlinie bestimmte Rahmenbedingungen zu entnehmen.

96.     Die meisten Sprachfassungen, aber auch der zehnte Erwägungsgrund der deutschen Fassung, verlangen ausdrücklich eine angemessene Prüfung. Wie insbesondere die Kommission zutreffend darlegt, ergibt sich darüber hinaus bereits aus dem Wortlaut von Artikel 6 Absatz 3 der Habitatrichtlinie, dass eine Verträglichkeitsprüfung der Zustimmung zu einem Plan oder Projekt vorausgehen und dass sie kumulative Effekte berücksichtigen muss, die aus dem Zusammenwirken mit anderen Plänen oder Projekten folgen.

97.     Notwendigerweise muss diese Prüfung alle von dem Plan oder Projekt ausgehenden Beeinträchtigungen den Erhaltungszielen des Gebietes gegenüberstellen. Sowohl die Beeinträchtigungen als auch die Erhaltungsziele müssen dafür identifiziert werden. Die Erhaltungsziele lassen sich aus dem Bestand innerhalb des Gebietes ableiten. Es wird jedoch regelmäßig Schwierigkeiten bereiten, alle Beeinträchtigungen umfassend zu erfassen. In vielen Bereichen besteht eine erhebliche wissenschaftliche Unsicherheit über Wirkungszusammenhänge. Wenn selbst unter Ausschöpfung aller wissenschaftlichen Mittel und Quellen keine Sicherheit zu erlangen ist, wird man folglich auch mit Prognosewahrscheinlichkeiten und Schätzungen arbeiten müssen. Diese müssen kenntlich gemacht und begründet werden.

98.     Als Ergebnis einer Verträglichkeitsprüfung ist ein begründetes Urteil zu treffen, ob das betroffene Gebiet als solches beeinträchtigt wird. Dabei sind die Bereiche aufzuführen, in denen das Eintreten oder Ausbleiben von Beeinträchtigungen nicht mit Sicherheit aufzuklären ist, sowie die daraus gezogenen Schlussfolgerungen.

ii)     Zur Berücksichtung des Vorsorgeprinzips und zu den zulässigen Zweifeln bei der Genehmigung von Plänen und Projekten

99.     Hinsichtlich der Genehmigungsentscheidung sieht Artikel 6 Absatz 3 Satz 2 der Habitatrichtlinie in der deutschen Fassung vor, dass sie nur erfolgt, wenn die zuständigen Stellen unter Berücksichtigung der Ergebnisse der Verträglichkeitsprüfung festgestellt haben, dass das Gebiet als solches nicht beeinträchtigt wird. Wie die Kommission zutreffend hervorhebt, gehen die anderen Sprachfassungen über die einfache „Feststellung“ hinaus, indem sie verlangen, dass sich die zuständigen Behörden diesbezüglich Sicherheit verschaffen. Daher ist davon auszugehen, dass die in der deutschen Fassung einer Zustimmung vorausgesetzte Feststellung nur getroffen werden kann, wenn die zustimmende Behörde sich unter Berücksichtigung der Verträglichkeitsprüfung sicher ist, dass das Gebiet als solches nicht beeinträchtigt wird (23) . Für die Entscheidung ist daher nicht ausschlaggebend, ob eine solche Beeinträchtigung nachweisbar ist, sondern – umgekehrt –, dass die Genehmigungsbehörde ihr Ausbleiben feststellt.

100.   Diese Regelung konkretisiert das Vorsorgeprinzip nach Artikel 174 Absatz 2 EG für den Gebietsschutz im Rahmen von Natura 2000. Das Vorsorgeprinzip ist im Gemeinschaftsrecht nicht definiert. In der Rechtsprechung wird es vor allem insoweit diskutiert, als bei Unsicherheiten hinsichtlich des Vorliegens oder des Umfangs von Risiken eingreifende Schutzmaßnahmen getroffen werden können, ohne dass abgewartet werden müsste, dass das Bestehen und die Schwere dieser Risiken vollständig dargelegt werden (24) . Entscheidend ist daher das Element der wissenschaftlichen Unsicherheit über Risiken (25) . Allerdings sind im jeweiligen Einzelfall die mit den Schutzmaßnahmen verbundenen Eingriffe in ein Verhältnis zu dem vermuteten Risiko zu setzen. Die Kommission stellt in ihrer Mitteilung über die Anwendung des Vorsorgeprinzips insofern fest, dass die Festlegung eines der Gesellschaft „zumutbaren“ Risikogrades eine mit hoher politischer Verantwortung verbundene Entscheidung darstellt (26) . Dieser Verantwortung kann nur entsprochen werden, wenn vor einer Entscheidung die wissenschaftliche Unsicherheit durch den Einsatz der besten verfügbaren wissenschaftlichen Mittel auf ein Minimum reduziert wurde.

101.   Dementsprechend betrafen die Entscheidungen des Gerichtshofes nicht abstrakt eine „Verletzung“ des Vorsorgeprinzips, sondern die Anwendung von Vorschriften, die das Vorsorgeprinzip für bestimmte Bereiche konkretisieren (27) . Regelmäßig sehen diese Vorschriften einerseits eine umfassende wissenschaftliche Beurteilung vor und bestimmen andererseits den nach dieser Beurteilung jeweils verbleibenden zumutbaren Risikograd bzw. den Beurteilungsspielraum der jeweiligen Stellen.

102.   Artikel 6 Absatz 3 der Habitatrichtlinie entspricht diesem Regelungstyp. Um die Beeinträchtigung von Natura-2000-Gebieten als solchen durch Pläne und Projekte zu verhindern, ist zunächst der Einsatz der besten verfügbaren wissenschaftlichen Mittel vorgesehen. Dies geschieht durch die Vorprüfung, ob erhebliche Beeinträchtigungen eintreten könnten, und anschließend gegebenenfalls in Form der Verträglichkeitsprüfung. Der nach dieser Untersuchung noch zumutbare Risikograd für das betroffene Gebiet wird in Absatz 3 Satz 2 festgesetzt. Danach kann die Genehmigungsbehörde eine Genehmigung nur aussprechen, wenn sie sicher ist, dass das Gebiet nicht als solches beeinträchtigt wird. Folglich dürfen verbleibende Risiken diese Sicherheit nicht in Zweifel ziehen.

103.   Es könnte allerdings dem von der PO Kokkelvisserij ins Feld geführten Prinzip der Verhältnismäßigkeit widersprechen, Sicherheit über die Abwesenheit einer Beeinträchtigung des Gebietes als solchem zu verlangen, bevor eine Behörde einem Plan oder Projekt zustimmen kann.

104.   Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gehört nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofes zu den allgemeinen Grundsätzen des Gemeinschaftsrechts. Eine Maßnahme ist nur dann verhältnismäßig, wenn sie sowohl geeignet als auch erforderlich ist und nicht außer Verhältnis zu dem verfolgten Ziel steht (28) . Dieser Grundsatz ist bei der Auslegung des Gemeinschaftsrechts zu berücksichtigen (29) .

105.   Die in Artikel 6 Absatz 3 Satz 2 der Habitatrichtlinie vorgesehene Genehmigungsschwelle ist geeignet, die Beeinträchtigung von Gebieten zu verhindern. Ein milderes Mittel, dieses Ziel mit vergleichbarer Sicherheit zu erreichen, ist nicht ersichtlich. Zweifel könnten allein in Bezug auf das Verhältnis zwischen der Genehmigungsschwelle und dem damit erreichbaren Gebietsschutz bestehen.

106.   Unverhältnismäßige Ergebnisse sind jedoch im Rahmen der Ausnahmegenehmigung nach Artikel 6 Absatz 4 der Habitatrichtlinie zu vermeiden. Nach dieser Bestimmung können Pläne oder Projekte ausnahmsweise trotz negativer Ergebnisse der Verträglichkeitsprüfung genehmigt werden, wenn zwingende Gründe des überwiegenden öffentlichen Interesses vorliegen, eine Alternativlösung nicht vorhanden ist und alle notwendigen Ausgleichsmaßnahmen ergriffen werden, um sicherzustellen, dass die globale Kohärenz von Natura 2000 geschützt ist. Somit hat der Gemeinschaftsgesetzgeber selbst in Artikel 6 Absätze 3 und 4 der Habitatrichtlinie den Naturschutz und andere Interessen einander verhältnismäßig zugeordnet. Daher ist ein Verstoß gegen das Prinzip der Verhältnismäßigkeit nicht feststellbar.

107.   Die notwendige Sicherheit kann allerdings nicht als absolute Sicherheit verstanden werden, da diese praktisch kaum zu erreichen ist. Vielmehr ergibt sich aus dem Wortlaut von Artikel 6 Absatz 3 Satz 2 der Habitatrichtlinie, dass die zuständige Stelle eine Entscheidung unter Würdigung aller einschlägigen Informationen treffen muss, die insbesondere in der Verträglichkeitsprüfung niedergelegt sind. Das Ergebnis dieser Würdigung ist notwendigerweise subjektiver Natur. Daher kann die zuständige Stelle aus ihrer Sicht die Sicherheit gewinnen, dass Beeinträchtigungen ausbleiben werden, obwohl bei objektiver Betrachtung jedenfalls keine absolute Sicherheit bestehen würde.

108.   Ein solches Ergebnis der Würdigung ist nur dann vertretbar, wenn zumindest aus der Überzeugung der entscheidenden Behörde kein vernünftiger Zweifel am Ausbleiben von Beeinträchtigungen des Gebietes als solchem durchgreift. Wie im Rahmen der Vorprüfung nach Artikel 6 Absatz 3 Satz 1 der Habitatrichtlinie, ob eine erhebliche Beeinträchtigung des Gebietes möglich ist, müssen dabei sowohl die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts als auch die Art und das Ausmaß des dann zu erwartenden Schadens Berücksichtigung finden (30) . Schadensminderungs- und Schadensvermeidungsmaßnahmen können auch eine Rolle spielen. Gerade bei wissenschaftlicher Unsicherheit besteht die Möglichkeit, durch eine begleitende wissenschaftliche Beobachtung weitere Erkenntnisse über die Beeinträchtigungen zu gewinnen und dementsprechend die Durchführung des Planes oder des Projekts zu steuern.

109.   In jedem Fall müssen die ausschlaggebenden Erwägungen in der Genehmigung niedergelegt werden. Sie sind zumindest insoweit überprüfbar, als der Beurteilungsspielraum der genehmigenden Stelle überschritten wird. Dies dürfte insbesondere dann der Fall sein, wenn Feststellungen der Verträglichkeitsprüfung zu möglichen Beeinträchtigungen ohne überzeugende fachliche Argumente widersprochen wird (31) .

110.   Es ist zweifelhaft, ob die niederländische Regelung über die Notwendigkeit offensichtlicher Zweifel dem so definierten Niveau des zumutbaren Risikos entspricht. Sie qualifiziert ein Risiko der Beeinträchtigung als hinnehmbar, das immer noch Anlass zu Zweifeln geben kann, die zwar vernünftig, aber nicht offensichtlich sind. Solche vernünftigen Zweifel würden jedoch der nach Gemeinschaftsrecht notwendigen Sicherheit entgegenstehen, dass das Gebiet als solches nicht beeinträchtigt wird. Die Ausführungen des Raad van State zu den vorliegenden wissenschaftlichen Erkenntnissen bestätigen diese Einschätzung. Er beruft sich auf einen Sachverständigenbericht, der zu dem Ergebnis kommt, dass es Wissenslücken gebe und dass die meisten der herangezogenen verfügbaren Untersuchungsergebnisse nicht eindeutig auf erhebliche nachteilige (unumkehrbare) Folgen für das Ökosystem hinwiesen. Diese Feststellung besagt jedoch nur, dass erhebliche nachteilige Folgen nicht mit Sicherheit festzustellen sind, nicht aber, dass sie mit Sicherheit ausbleiben.

111.   Zusammenfassend ist auf die vierte Frage – soweit sie sich auf Artikel 6 Absatz 3 der Habitatrichtlinie bezieht – zu antworten, dass eine Verträglichkeitsprüfung

der Zustimmung zu einem Plan oder Projekt vorausgehen,

kumulative Effekte berücksichtigen und

alle Beeinträchtigungen von Erhaltungszielen dokumentieren muss.

Die zuständigen Stellen dürfen einem Plan oder Projekt nur zustimmen, wenn sie nach Würdigung aller einschlägigen Informationen, insbesondere der Verträglichkeitsprüfung, sicher sind, dass das betroffene Gebiet nicht als solches beeinträchtigt wird. Dies setzt voraus, dass nach Überzeugung der zuständigen Stellen kein vernünftiger Zweifel am Ausbleiben einer solchen Beeinträchtigung besteht.

2.     Zu Artikel 6 Absatz 2 der Habitatrichtlinie

112.   Die vierte Frage richtet sich nicht nur auf eine Auslegung von Artikel 6 Absatz 3 der Habitatrichtlinie, sondern auch auf die mögliche Anwendung von Artikel 6 Absatz 2, der hier in Betracht käme, wenn die jährliche Lizenzierung der Herzmuschelfischerei nicht als Plan oder Projekt qualifiziert würde.

a)     Vortrag der Beteiligten

113.   Im Hinblick auf „geeignete Maßnahmen“ im Sinne von Artikel 6 Absatz 2 der Habitatrichtlinie gehen die niederländische Regierung, die PO Kokkelvisserij und die Vogelbescherming davon aus, dass einerseits den Bedürfnissen des jeweiligen Gebietes, andererseits aber auch gemäß Artikel 2 Absatz 3 der Habitatrichtlinie den Anforderungen von Wirtschaft, Gesellschaft und Kultur sowie den regionalen und örtlichen Besonderheiten Rechnung getragen werden soll.

114.   Die niederländische Regierung vertritt die Auffassung, dass es auch im Anwendungsbereich von Artikel 6 Absatz 2 der Habitatrichtlinie offensichtlicher Zweifel am Ausbleiben von Beeinträchtigungen bedürfe, um Vermeidungsmaßnahmen auszulösen.

115.   Die Kommission unterstreicht, dass Artikel 6 Absatz 2 der Habitatrichtlinie vorbeugende Maßnahmen zur Vermeidung von Verschlechterungen und erheblichen Störungen verlangt.

b)     Stellungnahme

116.   Nach der hier vertretenen Auffassung ist eine Antwort auf die vierte Frage im Hinblick auf Artikel 6 Absatz 2 der Habitatrichtlinie nicht notwendig. Im Zeitpunkt der Genehmigung eines Planes oder eines Projekts hat diese Vorschrift neben Artikel 6 Absatz 3 der Habitatrichtlinie keine eigene Funktion (32) . Wenn der Gerichtshof allerdings zu dem Ergebnis kommen sollte, dass die jährliche Lizenzierung der Muschelfischerei nicht als Plan oder Projekt anzusehen ist, so würde sich die Frage stellen, welche Anforderungen an diese Lizenzierung aus Artikel 6 Absatz 2 der Habitatrichtlinie folgen.

117.   Insofern ist daran zu erinnern, dass für den Fall der Genehmigung eines Planes oder eines Projekts die Feststellung nach Artikel 6 Absatz 3 Satz 2 der Habitatrichtlinie, dass das Gebiet als solches nicht beeinträchtigt werde, zugleich Verschlechterungen und erhebliche Störungen nach Artikel 6 Absatz 2 der Habitatrichtlinie ausschließen muss (33) . Genauso wenig wäre es hinnehmbar, wenn eine Maßnahme, die ein Natura-2000-Gebiet als solches beeinträchtigt, nicht zugleich als Verschlechterung oder erhebliche Störung anzusehen wäre. Der materielle Schutzstandard der Absätze 2 und 3 des Artikels 6 der Habitatrichtlinie ist somit gleich. Die geeigneten Maßnahmen nach Artikel 6 Absatz 2 der Habitatrichtlinie müssen folglich gewährleisten, dass ein Natura-2000-Gebiet nicht als solches beeinträchtigt wird.

118.   Diese Verpflichtung besteht permanent, also auch wenn über die Genehmigung eines Vorhabens zu entscheiden ist, das nicht als Plan oder Projekt anzusehen ist. Im Unterschied zu Artikel 6 Absatz 3 der Habitatrichtlinie enthält Absatz 2 allerdings keine spezifischen Regelungen, wie im Rahmen eines solchen Genehmigungsverfahrens der Gebietsschutz zu verwirklichen ist. Die zuständigen Stellen können daher auch andere Maßnahmen ergreifen, als in Artikel 6 Absatz 3 der Habitatrichtlinie vorgesehen, um das Schutzziel zu gewährleisten. Diese dürfen allerdings in ihrer Wirksamkeit nicht hinter dem Verfahren nach Artikel 6 Absatz 3 der Habitatrichtlinie zurückbleiben. Dieser Schutzstandard wäre nicht mehr gewährleistet, wenn eine Genehmigung erteilt würde, obwohl vernünftige Zweifel am Ausbleiben einer Beeinträchtigung des Gebietes als solchem bestehen.

119.   Der Vollständigkeit halber sei angemerkt, dass gegebenenfalls auch die Maßstäbe von Artikel 6 Absatz 4 der Habitatrichtlinie Anwendung finden müssten, um ausnahmsweise Vorhaben zu genehmigen, die ein Gebiet als solches beeinträchtigen würden. Damit könnte gemäß Artikel 2 Absatz 3 der Habitatrichtlinie den Anforderungen von Wirtschaft, Gesellschaft und Kultur sowie den regionalen und örtlichen Besonderheiten Rechnung getragen und zugleich das Prinzip der Verhältnismäßigkeit konkretisiert werden.

120.   Auf diesen Teil der vierten Frage ist daher zu antworten, dass im Fall der Anwendung von Artikel 6 Absatz 2 der Habitatrichtlinie auf die Genehmigung eines Vorhabens eine solche Genehmigung materiell den gleichen Schutzstandard gewährleisten muss wie eine Genehmigung nach Artikel 6 Absatz 3 der Habitatrichtlinie.

E – Zu Frage 5: Die unmittelbare Anwendbarkeit von Artikel 6 Absätze 2 und 3 der Habitatrichtlinie

121.   Der Raad van State möchte schließlich wissen, ob in Abwesenheit einer niederländischen Umsetzung Artikel 6 Absätze 2 und 3 der Habitatrichtlinie in dem Sinne unmittelbare Wirkung haben, dass sich der Einzelne vor den nationalen Gerichten auf diese Bestimmungen berufen kann und die Gerichte ihm Rechtsschutz gewähren müssen.

1.     Vortrag der Beteiligten

122.   Die Waddenvereniging und die Vogelbescherming vertreten die Auffassung, die Absätze 2 und 3 des Artikels 6 der Habitatrichtlinie seien hinreichend klar und unbedingt, um unmittelbar anwendbar zu sein.

123.   Die Vogelbescherming weist außerdem darauf hin, dass der Raad van State selber unter Berufung auf die Urteile WWF (34) und Linster (35) bereits von der unmittelbaren Anwendbarkeit von Artikel 6 Absatz 2 der Habitatrichtlinie ausgehe. Jedenfalls sei es möglich, im Sinne dieser Urteile eine Verletzung des Ermessensspielraums festzustellen, der den Mitgliedstaaten zur Verfügung stehe.

124.   Auch die niederländische Regierung legt dar, dass beide Vorschriften zumindest in den Fällen eine hinreichend klare Verpflichtung begründen könnten, in denen die Grenzen des Ermessens erreicht werden, das den Mitgliedstaaten eingeräumt wird. Sie überlässt die Entscheidung allerdings dem Gerichtshof.

125.   Die Kommission hält eine unmittelbare Anwendbarkeit von Artikel 6 Absatz 2 der Habitatrichtlinie für unwahrscheinlich, da den Mitgliedstaaten die Entscheidung überlassen werde, welche Maßnahmen zu treffen seien. Dagegen sei Artikel 6 Absatz 3 der Habitatrichtlinie hinreichend klar und auch unbedingt, jedenfalls nachdem ein besonderes Schutzgebiet ausgewiesen worden sei.

126.   Die PO Kokkelvisserij spricht sich gegen eine unmittelbare Anwendung beider Vorschriften aus. Dies folge bereits daraus, dass die Kommission die Liste der Gebiete von gemeinschaftlicher Bedeutung nach Artikel 4 Absatz 2 der Habitatrichtlinie noch nicht festgelegt habe. Auch räumten beide Vorschriften den Mitgliedstaaten einen Ermessensspielraum ein und seien nicht hinreichend klar. Im Übrigen gehe es im vorliegenden Fall nicht darum, die fraglichen Vorschriften im Sinne eines Abwehrrechts zu nutzen, sondern sie sollten Ansprüche begründen. In der mündlichen Verhandlung vertrat die PO Kokkelvisserij schließlich die Auffassung, eine unmittelbare Anwendung würde zwangsläufig auf eine horizontale Anwendung zu Lasten Dritter hinauslaufen.

2.     Stellungnahme

127.   Die Frage des Raad van State erfordert die Untersuchung von drei Teilaspekten. Zu klären ist, ob Artikel 6 Absätze 2 und 3 der Habitatrichtlinie die Voraussetzungen einer unmittelbaren Anwendung erfüllen, von wem sie unter welchen Voraussetzungen in den Mitgliedstaaten eingeklagt werden können und ob die mittelbare Belastung der Muschelfischer einer unmittelbaren Anwendung entgegensteht.

a)     Zur unmittelbaren Anwendbarkeit

128.   Nach ständiger Rechtsprechung ist eine Richtlinienbestimmung nach Ablauf der Umsetzungsfrist unmittelbar anwendbar, wenn sie inhaltlich unbedingt und hinreichend genau ist (36) .

129.   Gemäß Artikel 23 der Habitatrichtlinie hatten die Mitgliedstaaten sie binnen zwei Jahren nach ihrer Bekanntgabe umzusetzen. Die Richtlinie wurde am 5. Juni 1992 bekannt gegeben, so dass die zur Umsetzung gesetzte Frist am 5. Juni 1994 abgelaufen ist (37) .

130.   Beide Vorschriften sind zumindest in Bezug auf das Wattenmeer nicht bedingt. Entgegen der Auffassung der PO Kokkelvisserij ist im vorliegenden Fall das Fehlen einer Liste von Gebieten von gemeinschaftlicher Bedeutung nach Artikel 4 Absatz 2 der Habitatrichtlinie unerheblich. Auf das Wattenmeer als besonderes Schutzgebiet nach der Vogelschutzrichtlinie ist Artikel 6 Absätze 2 bis 4 der Habitatrichtlinie nämlich gemäß Artikel 7 der Habitatrichtlinie unabhängig von der Aufstellung dieser Liste anzuwenden (38) .

131.   Was die Genauigkeit der Bestimmungen angeht, so begründet Artikel 6 Absatz 3 der Habitatrichtlinie ein mehrstufiges Regelungsprogramm, das auf jeder Stufe die Voraussetzungen und die Rechtsfolgen klar bestimmt. Unter Berücksichtigung des oben dargestellten Beurteilungsspielraums der Genehmigungsbehörde ist diese Vorschrift daher einer unmittelbaren Anwendung zugänglich.

132.   Auch Artikel 6 Absatz 2 der Habitatrichtlinie hat klar umrissene Voraussetzungen, nämlich die Verschlechterung oder die erhebliche Störung von Gebieten. Allerdings besteht ein Ermessensspielraum hinsichtlich der geeigneten Maßnahmen zur Vermeidung dieser Auswirkungen.

133.   Dieses Ermessen könnte einer unmittelbaren Anwendung entgegenstehen (39) . Nach Auffassung der Kommission spricht auch ein Urteil des Gerichtshofes zu Artikel 4 der Abfallrahmenrichtlinie 75/442 (40) für dieses Ergebnis. Diese Vorschrift ist ähnlich allgemein gehalten wie Artikel 6 Absatz 2 der Habitatrichtlinie. Der Gerichtshof stellte fest, dass Artikel 4 der Abfallrahmenrichtlinie 75/442 programmatischen Charakter habe und die Ziele nenne, die die Mitgliedstaaten bei der Erfüllung anderer, konkreterer Verpflichtungen der Richtlinie zu beachten hätten. Diese Bestimmung stecke den Rahmen ab, in dem die Tätigkeit der Mitgliedstaaten auf dem Gebiet der Behandlung der Abfälle stattfinden soll, und schreibe nicht als solche den Erlass konkreter Maßnahmen oder diese oder jene Methode der Abfallbeseitigung vor (41) .

134.   Bei genauerer Betrachtung sind Artikel 4 der Abfallrahmenrichtlinie 75/442 und Artikel 6 Absatz 2 der Habitatrichtlinie jedoch kaum vergleichbar. Weder enthält Artikel 6 Absatz 2 die Ziele der Habitatrichtlinie, noch wird diese Vorschrift durch andere Bestimmungen konkretisiert.

135.   Viel stärker sind die Parallelen zu Urteilen, in denen der Gerichtshof trotz eines Ermessensspielraums der Mitgliedstaaten die unmittelbare Anwendbarkeit anerkannt hat. So hat der Gerichtshof im Urteil WWF entschieden, dass Bürger sich auch vor nationalen Gerichten darauf berufen können, der nationale Gesetzgeber habe bei der Umsetzung einer Richtlinie den Ermessensspielraum überschritten, den ihm das Gemeinschaftsrecht einräume (42) . Andernfalls würde die verbindliche Wirkung der Richtlinie in Frage gestellt.

136.   Bei der Umsetzung von Artikel 6 Absatz 2 der Habitatrichtlinie geht es zwar nicht notwendigerweise um gesetzgeberische Maßnahmen. Umso eher können Gerichte jedoch beurteilen, ob der Ermessensspielraum bei der Auswahl geeigneter Maßnahmen gewahrt wurde. Insbesondere wenn überhaupt keine Maßnahmen getroffen wurden, um eine drohende Verschlechterung oder erhebliche Störung zu vermeiden, oder wenn trotz offensichtlicher Wirkungslosigkeit getroffener Maßnahmen keine weiteren Maßnahmen ergriffen werden, dürften Ermessensfehler relativ leicht festzustellen sein.

137.   Daher ist Artikel 6 Absatz 2 der Habitatrichtlinie unmittelbar anwendbar, soweit Ermessensfehler geltend gemacht werden.

b)     Zur Frage, ob sich der Einzelne auf Artikel 6 Absätze 2 und 3 der Habitatrichtlinie berufen kann

138.   Aus der unmittelbaren Anwendbarkeit einer Bestimmung des Gemeinschaftsrechts folgt nicht zwangsläufig, dass jeder Einzelne die Gerichte anrufen kann, wenn diese Bestimmung nicht beachtet wurde. Im vorliegenden Fall stellt sich die Frage, ob und unter welchen Bedingungen Einzelne – oder Nichtregierungsorganisationen – sich auf Bestimmungen berufen können, die die Erhaltung von natürlichen Lebensräumen und Arten zum Gegenstand haben.

139.   Die ständige Rechtsprechung des Gerichtshofes besagt, dass sich der Einzelne in Ermangelung fristgemäß erlassener Umsetzungsmaßnahmen auf Bestimmungen einer Richtlinie, die inhaltlich unbedingt und hinreichend genau sind, gegenüber allen nicht richtlinienkonformen innerstaatlichen Vorschriften berufen kann; er kann sich auf diese Bestimmungen auch berufen, soweit sie so geartet sind, dass sie Rechte festlegen, die der Einzelne dem Staat gegenüber geltend machen kann (43) .

140.   Danach unterscheidet der Gerichtshof zwischen der Dimension unmittelbar anwendbarer Richtlinienbestimmungen als Abwehrrechte und ihrer Dimension als Anspruchsgrundlagen. Während Abwehrrechte gegenüber jeder entgegenstehenden mitgliedstaatlichen Vorschrift ins Feld geführt werden können, müssen Ansprüche in der jeweiligen Bestimmung angelegt sein (44) .

141.   Hinsichtlich der abwehrrechtlichen Dimension ergibt sich die Möglichkeit der Berufung aus dem abzuwehrenden (gemeinschaftsrechtswidrigen) Eingriff. Bestehen nach innerstaatlichem Recht Rechtsschutzmöglichkeiten gegen diesen Eingriff, so sind in deren Rahmen alle relevanten unmittelbar anwendbaren Richtlinienbestimmungen zu beachten. In dieser Dimension kann der Einzelne sich daher auf Artikel 6 Absätze 2 und 3 der Habitatrichtlinie berufen, wenn ihm Rechtsschutzmöglichkeiten gegen die Maßnahmen eröffnet sind, die gegen die genannten Bestimmungen verstoßen (45) .

142.   Soweit unmittelbar anwendbare Richtlinienbestimmungen Ansprüche begründen, unterliegt das innerstaatliche Recht bei der Eröffnung von Rechtsschutzmöglichkeiten gemeinschaftsrechtlichen Mindeststandards. Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofes ist es zwar mangels einer einschlägigen Gemeinschaftsregelung Sache der einzelnen Mitgliedstaaten, die Verfahrensmodalitäten für Klagen zu regeln, die den Schutz der dem Bürger aus unmittelbar anwendbarem Gemeinschaftsrecht erwachsenden Rechte gewährleisten sollen, doch dürfen diese Modalitäten nicht weniger günstig ausgestaltet sein als die entsprechender innerstaatlicher Klagen (Äquivalenzgrundsatz) und die Ausübung der durch die Gemeinschaftsrechtsordnung verliehenen Rechte nicht praktisch unmöglich machen oder übermäßig erschweren (Effektivitätsgrundsatz) (46) .

143.   Im vorliegenden Fall bestehen allerdings keine Anhaltspunkte dafür, dass Rechte des Einzelnen begründet werden. Schutzziel von Artikel 6 Absätze 2 und 3 der Habitatrichtlinie ist die Erhaltung von Lebensräumen und Arten innerhalb von Gebieten, die Teile von Natura 2000 sind. Anders als Regelungen über die Qualität der Umgebungsluft oder des Wassers (47) , ist der Schutz des gemeinsamen Naturerbes zwar von besonderem Interesse (48) , aber kein Anspruch, der zugunsten von Einzelnen begründet würde. Originäre Interessen von Einzelnen können nur mittelbar, gewissermaßen als Reflex, gefördert werden.

144.   Daher ist auf die fünfte Frage zu antworten, dass Einzelne sich auf Artikel 6 Absätze 2 und 3 der Habitatrichtlinie berufen können, soweit ihnen nach innerstaatlichem Recht Rechtsschutzmöglichkeiten gegen die Maßnahmen eröffnet sind, die gegen die genannten Bestimmungen verstoßen.

c)     Zur Drittbelastung durch die unmittelbare Anwendung von Artikel 6 Absätze 2 und 3 der Habitatrichtlinie

145.   Der unmittelbaren Anwendung von Artikel 6 Absätze 2 und 3 der Habitatrichtlinie könnten im vorliegenden Fall die von der PO Kokkelvisserij vorgetragenen Nachteile für die Muschelfischer entgegenstehen.

146.   Es trifft zu, dass sich nach der Rechtsprechung aus nicht umgesetzten Richtlinien für den Einzelnen keine Verpflichtungen gegenüber anderen Einzelpersonen oder gar gegenüber dem Mitgliedstaat selbst ergeben (49) . Diese Rechtsprechung beruht darauf, dass Richtlinien nach Artikel 249 EG nur für die Mitgliedstaaten verbindlich sind, an die sie gerichtet werden, nicht aber für den Einzelnen. Sie könnte so zu verstehen sein, dass jegliche Belastung von Bürgern aufgrund von unmittelbar anwendbaren Richtlinien auszuschließen sei.

147.   Insofern ist zunächst festzustellen, dass in jedem Fall die Vorschriften des einschlägigen nationalen Rechts nach Möglichkeit so auszulegen sind, dass die Ziele des Gemeinschaftsrechts und insbesondere der einschlägigen Richtlinienbestimmungen verwirklicht werden (50) . Der Raad van State trägt selber vor, dass eine solche richtlinienkonforme Auslegung von Artikel 12 des niederländischen Naturschutzgesetzes möglich sei. Auch etwaig bestehende Ermessensspielräume wären in diesem Sinne auszufüllen.

148.   Darüber hinaus steht die Rechtsprechung bei genauerer Betrachtung nicht jeder Belastung von Bürgern aufgrund von unmittelbar anwendbaren Richtlinien zwingend entgegen. Die eine unmittelbare Anwendung ablehnenden Urteile betrafen einerseits die Anwendung von Richtlinien im zivilrechtlichen Verhältnis zwischen Bürgern (51) , andererseits Verpflichtungen von Bürgern gegenüber dem Staat, insbesondere im Bereich des Strafrechts (52) . Aus dem Urteil Busseni, das den Rang einer Forderung der Gemeinschaft in der Konkurstabelle betraf (53) , lässt sich darüber hinaus ableiten, dass unmittelbar anwendbare Richtlinien wohlerworbene Rechte nicht in Frage stellen können.

149.   Wenn eine Tätigkeit jedoch der Genehmigung bedarf, bevor sie ausgeübt werden kann, so führt eine unmittelbare Anwendung von Richtlinienbestimmungen bei der Entscheidung über diese Genehmigung weder zu einer unmittelbaren Verpflichtung von Einzelnen, noch würde sie in wohlerworbene Rechte eingreifen. Vielmehr steht sie lediglich einer Begünstigung des Einzelnen entgegen, die eine staatliche Entscheidung zu seinen Gunsten voraussetzt. Diese Entscheidung würde auf Vorschriften des nationalen Rechts beruhen, die den Anforderungen der Richtlinie widersprechen. Mit einer solchen Entscheidung würde der Mitgliedstaat daher seine Verpflichtungen aus der Richtlinie verletzen. Eine solche – einen Einzelnen begünstigende, aber Gemeinschaftsrecht verletzende – Entscheidung dürfen Mitgliedstaaten jedoch nicht treffen. Die entsprechenden Vorschriften des nationalen Rechts, die einer solchen Begünstigung zugrunde liegen, müssen entweder richtlinienkonform ausgelegt und angewendet werden oder sie dürfen – soweit eine konforme Auslegung nicht möglich ist – keine Anwendung finden. Zumindest solange nicht in gemeinschaftsrechtlich geschützte Rechtspositionen eingegriffen wird, steht eine derartige mittelbare Belastung von Bürgern der Bindung staatlicher Stellen an unmittelbar anwendbare Richtlinien nicht entgegen.

150.   Diese Auffassung kann sich auf andere Fälle stützen, in denen der Gerichtshof die mittelbare Belastung von Einzelnen durch die unmittelbare Anwendung von Richtlinien zugelassen hat (54) . Der Gerichtshof hat sie jüngst bestätigt, als er feststellte, dass bloße negative Auswirkungen auf die Rechte Dritter, selbst wenn sie gewiss sind, es nicht rechtfertigen, dem Einzelnen das Recht auf Berufung auf die Bestimmungen einer Richtlinie gegenüber dem betreffenden Mitgliedstaat zu versagen. (55)

151.   Zusammenfassend ist auf die fünfte Frage daher zu antworten, dass Einzelne sich auf Artikel 6 Absatz 3 der Richtlinie 92/43 berufen können, soweit ihnen nach innerstaatlichem Recht Rechtsschutzmöglichkeiten gegen die Maßnahmen eröffnet sind, die gegen diese Bestimmung verstoßen. Unter den gleichen Voraussetzungen können sie sich auf Artikel 6 Absatz 2 der Richtlinie 92/43 berufen, soweit Ermessensfehler geltend gemacht werden. Eine nicht in gemeinschaftsrechtlich geschützte Rechtspositionen eingreifende, mittelbare Belastung von Bürgern steht der anerkannten (vertikalen) Bindung staatlicher Stellen an unmittelbar anwendbare Richtlinien nicht entgegen.

V – Ergebnis

152.   Ich schlage vor, auf das Vorabentscheidungsersuchen des Raad van State wie folgt zu antworten:

1.
Die Begriffe Plan und Projekt nach Artikel 6 Absatz 3 der Richtlinie 92/43/EWG des Rates vom 21. Mai 1992 zur Erhaltung der natürlichen Lebensräume sowie der wild lebenden Tiere und Pflanzen erfassen auch eine Tätigkeit, die bereits seit vielen Jahren ausgeübt wird, für die jedoch grundsätzlich jedes Jahr eine Lizenz für einen beschränkten Zeitraum erteilt wird.

2.
Artikel 6 Absatz 3 der Richtlinie 92/43 regelt das Verfahren der Genehmigung von Plänen und Projekten, die Schutzgebiete als solche nicht beeinträchtigen, während Artikel 6 Absatz 2 der Richtlinie 92/43 unabhängig von der Genehmigung von Plänen und Projekten Dauerpflichten begründet, Verschlechterungen zu vermeiden sowie Störungen, die sich im Hinblick auf die Ziele der Richtlinie erheblich auswirken könnten.

3.
Eine Verträglichkeitsprüfung ist immer dann erforderlich, wenn vernünftige Zweifel am Ausbleiben von erheblichen Beeinträchtigungen bestehen. Jede Beeinträchtigung von Erhaltungszielen beeinträchtigt das betroffene Gebiet erheblich.

4.
Eine Verträglichkeitsprüfung muss:

der Zustimmung zu einem Plan oder Projekt vorausgehen,

kumulative Effekte berücksichtigen und

alle Beeinträchtigungen von Erhaltungszielen dokumentieren.

Die zuständigen Stellen dürfen einem Plan oder Projekt nur zustimmen, wenn sie nach Würdigung aller einschlägigen Informationen, insbesondere der Verträglichkeitsprüfung, sicher sind, dass das betroffene Gebiet nicht als solches beeinträchtigt wird. Dies setzt voraus, dass nach Überzeugung der zuständigen Stellen kein vernünftiger Zweifel am Ausbleiben einer solchen Beeinträchtigung besteht.

Im Fall der Anwendung von Artikel 6 Absatz 2 der Richtlinie 92/43 auf die Genehmigung eines Vorhabens muss eine solche Genehmigung materiell den gleichen Schutzstandard gewährleisten wie eine Genehmigung nach Artikel 6 Absatz 3 der Habitatrichtlinie.

5.
Einzelne können sich auf Artikel 6 Absatz 3 der Richtlinie 92/43 berufen, soweit ihnen nach innerstaatlichem Recht Rechtsschutzmöglichkeiten gegen die Maßnahmen eröffnet sind, die gegen diese Bestimmung verstoßen. Unter den gleichen Voraussetzungen können sie sich auf Artikel 6 Absatz 2 der Richtlinie 92/43 berufen, soweit Ermessensfehler geltend gemacht werden. Eine nicht in gemeinschaftsrechtlich geschützte Rechtspositionen eingreifende, mittelbare Belastung von Bürgern steht der anerkannten (vertikalen) Bindung staatlicher Stellen an unmittelbar anwendbare Richtlinien nicht entgegen.


1
Originalsprache: Deutsch.


2
ABl. L 206, S. 7.


3
ABl. L 103, S. 1.


4
Urteil vom 14. Dezember 1995 in der Rechtssache C-312/93 (Peterbroeck, Slg. 1995, I-4599).


5
Natura 2000 - Gebietsmanagement, Die Vorgaben des Artikels 6 der Habitat-Richtlinie 92/43/EWG, Luxemburg 2000 (im Folgenden: Leitfaden).


6
Urteil vom 24. Oktober 1996 in der Rechtssache C-72/95 (Slg. 1996, I-5403).


7
Richtlinie 85/337/EWG des Rates vom 27. Juni 1985 über die Umweltverträglichkeitsprüfung bei bestimmten öffentlichen und privaten Projekten (ABl. L 175, S. 40) in der Fassung durch die Richtlinie 97/11/EG des Rates vom 3. März 1997 zur Änderung der Richtlinie 85/337/EWG über die Umweltverträglichkeitsprüfung bei bestimmten öffentlichen und privaten Projekten (ABl. L 73, S. 5).


8
Ausnahmen sind die deutsche und die portugiesische Fassung.


9
So zum Begriff des Planes auch die Schlussanträge von Generalanwalt Fenelly vom 16. September 1999 in der Rechtssache C-256/98 (Kommission/Frankreich, Slg. 2000, I-2487, I-2489, Nr. 33).


10
Die Definition von „Plänen und Programmen“ nach Artikel 2 Buchstabe a der Richtlinie 2001/42/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. Juni 2001 über die Prüfung der Umweltauswirkungen bestimmter Pläne und Programme (ABl. L 197, S. 30) enthält dagegen keine weitere inhaltliche Konkretisierung, sondern beschränkt die Definition auf die Ergebnisse bestimmter Entscheidungsverfahren.


11
Vgl. die Urteile vom 28. Februar 1991 in der Rechtssache C-360/87 (Kommission/Italien, Slg. 1991, I-791, Randnr. 31) und vom 14. Juni 2001 in der Rechtssache C-230/00 (Kommission/Belgien, Slg. 2001, I-4591, Randnr. 16), in denen der Gerichtshof Regelungen über eine stillschweigende Genehmigung oder Ablehnung von Genehmigungsanträgen für unvereinbar mit den Prüfpflichten nach verschiedenen anderen Umweltrichtlinien erklärte.


12
Siehe Artikel 2 Absatz 1 der UVP-Richtlinie, der durch die Richtlinie 97/11 eingeführt wurde.


13
Dies unterstreicht der Umstand, dass natürliche Miesmuschelbänke im niederländischen Wattenmeer offenbar stark zurückgegangen sind.


14
Zitiert in Fußnote 5, S. 8, 30 und 64.


15
Urteil vom 13. Juni 2002 (Kommission/Irland, Slg. 2002, I- 5335, Randnr. 22 ff.).


16
Zitiert in Fußnote 5, Punkt 4.4.1, S. 36 f.


17
Urteil vom 2. August 1993 in der Rechtssache C-355/90 (Kommission/Spanien, Slg. 1993, I-4221).


18
Urteil Santoña, zitiert in Fußnote 17, Randnr. 36.


19
Urteil vom 28. Februar 1991 in der Rechtssache C-57/89 (Kommission/Deutschland, Slg. 1991, I-883, Randnrn. 20 f.).


20
Urteil Santoña zitiert in Fußnote 17, Randnrn. 44 und 46, siehe auch das Urteil vom 25. November 1999 in der Rechtssache C-96/98 (Kommission/Frankreich [Poitou], Slg. 1999, I-8531, Randnr. 39).


21
Urteil Santoña zitiert in Fußnote 17, Randnrn. 52 f.


22
Siehe etwa den Leitfaden, zitiert in Fußnote 5, und das Dokument Prüfung der Verträglichkeit von Plänen und Projekten mit erheblichen Auswirkungen auf Natura-2000-Gebiete, Methodik-Leitlinien zur Erfüllung der Vorgaben des Artikels 6 Absätze 3 und 4 der Habitat-Richtlinie 92/43/EWG, November 2001.


23
In diesem Sinne auch die Schlussanträge von Generalanwalt Léger vom 6. November 2003 in der Rechtssache C-209/02 (Kommission/Österreich [Golfanlage Wörschach], Slg. 2004, I-0000, Nrn. 40 ff.). Die deutsche Fassung der Schlussanträge beruht bei Nr. 30 auf der dargestellten Abweichung der deutschen Fassung der Richtlinie von den anderen Sprachfassungen.


24
Urteile vom 5. Mai 1998 in der Rechtssache C-157/96 (National Farmers' Union u. a., Slg. 1998, I-2211, Randnr. 63) und in der Rechtssache C-180/96 (Vereinigtes Königreich/Kommission, Slg. 1998, I-2265, Randnr. 99), vom 9. September 2003 in der Rechtssache C-236/01 (Monsanto Agricoltura Italia, Slg. 2003, I-0000, Randnr. 111).


25
So definiert die Ministererklärung der sechsten trilateralen Regierungskonferenz zum Schutz des Wattenmeeres vom 13. November 1991 in Esbjerg das Vorsorgeprinzip folgendermaßen: „Es sind Maßnahmen zu ergreifen, um Aktivitäten zu vermeiden, bei denen davon auszugehen ist, dass sie einen erheblichen schädlichen Einfluss auf die Umwelt haben, auch wenn wissenschaftlich nicht vollständig nachgewiesen ist, dass die Wirkungen in ursächlichem Zusammenhang mit den Aktivitäten stehen.“


26
Mitteilung KOM/2000/1 der Kommission vom 2. Februar 2000 über die Anwendbarkeit des Vorsorgeprinzips, Punkt 5.2.1.


27
Vgl. die Urteile vom 21. März 2000 in der Rechtssache C-6/99 (Greenpeace France u. a., Slg. 2000, I-1651, Randnrn. 44 ff.) und Monsanto, zitiert in Fußnote 24, Randnrn. 112 f., jeweils zum Gentechnikrecht.


28
Siehe etwa die Urteile vom 13. Mai 1997 in der Rechtssache C-233/94, (Deutschland/Parlament und Rat, Slg. 1997, I-2405, Randnr. 54), vom 2. April 1998 in der Rechtssache C-127/95 (Norbrook Laboratories, Slg. 1998, I-1531, Randnr. 89) und vom 12. März 2002 in den Rechtssachen C-27/00 und C-122/00 (Omega Air u. a., Slg. 2002, I-2569, Randnr. 62) .


29
Urteil vom 18. Oktober 1989 in der Rechtssache 374/87 (Orkem/Kommission, Slg. 1989, 3283, Randnr. 28).


30
Siehe oben, Nr. 73.


31
Generalanwalt Léger hielt es in seinen Schlussanträgen zur Golfanlage Wörschach, siehe oben, Fußnote 23, Nr. 39, bereits für eine Verletzung von Artikel 6 Absatz 3 Satz 2 der Habitatrichtlinie, dass die zuständigen Behörden dem Projekt zustimmten, obwohl die Verträglichkeitsprüfung eine nicht vernachlässigbare Gefahr erheblicher Störungen feststellte.


32
Siehe oben, Nr. 56.


33
Siehe oben, Nr. 56.


34
Urteil vom 16. September 1999 in der Rechtssache C-435/97 (WWF u. a., Slg. 1999, I-5613).


35
Urteil vom 19. September 2000 in der Rechtssache C-287/98 (Linster, Slg. 2000, I-6917).


36
Vgl. u. a. Urteil vom 11. Juli 2002 in der Rechtssache C-62/00 (Marks & Spencer, Slg. 2002, I-6325, Randnr. 25, und die dort angeführte Rechtsprechung).


37
Urteile vom 26. Juni 1997 in der Rechtssache C-329/96 (Kommission/Griechenland, Slg. 1997, I-3749, Randnr. 2) und vom 11. Dezember 1997 in der Rechtssache C-83/97 (Kommission/Deutschland, Slg. 1997, I-7191, Randnr. 2).


38
Inwieweit diese Vorschriften bereits vor der Aufstellung dieser Liste auf Gebiete nach der Habitatrichtlinie anzuwenden sind, wird im Rahmen der Rechtssache C-117/03, Società Italiana Dragaggi zu prüfen sein, ABl. 2003 C 146, S. 19.


39
So Generalanwalt Fenelly in den Schlussanträgen zur Rechtssache C-256/98, zitiert in Fußnote 9, Nr. 16.


40
Richtlinie 75/442/EWG des Rates vom 15. Juli 1975 über Abfälle (ABl. L 194, S. 39) in der Fassung der Richtlinie 91/156/EWG des Rates vom 18. März 1991 (ABl. L 78, S. 32).


41
Urteil vom 23. Februar 1994 in der Rechtssache C-236/92 (Comitato di coordinamento per la difesa della Cava u. a., Slg. 1994, I-483, Randnrn. 8 ff.).


42
Zitiert in Fußnote 34, Randnrn. 69 f., siehe auch die Urteile Linster, zitiert in Fußnote 35, Randnr. 32, und Kraaijeveld u. a., zitiert in Fußnote 6, Randnr. 56, sowie vom 1. Februar 1977 in der Rechtssache 51/76 (Verbond van Nederlandse Ondernemingen, Slg. 1977, 113, Randnrn. 22 bis 24). Siehe auch die Schlussanträge von Generalanwalt Alber vom 9. September 2003 in der Rechtssache C-157/02 (Rieser, Slg. 2004, I-0000, Nr. 71).


43
Urteile vom 19. Januar 1982 in der Rechtssache 8/81 (Becker, Slg. 1982, 53, Randnr. 25) sowie vom 20. Mai 2003 in den Rechtssachen C-465/00, C-138/01 und C-139/01 (Österreichischer Rundfunk u. a., Slg. 2003, I-4989, Randnr. 98 mit weiteren Nachweisen).


44
Vgl. Urteil vom 18. Oktober 2001 in der Rechtssache C-441/99 (Gharehveran, Slg. 2001, I-7687, Randnr. 45).


45
Siehe insbesondere das Urteil vom 7. März 1996 in der Rechtssache C-118/94 (Associazione Italiana per il WWF u. a., Slg. 1996, I-1223, Randnr. 19) zur Vogelschutzrichtlinie, aber auch etwa das Urteil Linster, zitiert in Fußnote 35, Randnrn. 31 ff.


46
Urteile vom 10. April 2003 in der Rechtssache C-276/01 (Steffensen, Slg. 2003, I-3735, Randnr. 60) und Peterbroeck, zitiert in Fußnote 4, Randnr. 12.


47
Urteile vom 30. Mai 1991 in den Rechtssachen C-361/88, (Kommission/Deutschland [Luftqualität – Schwefeldioxid und Staub], Slg. 1991, I-2567, Randnr. 16), und C-59/89 (Kommission/Deutschland [Luftqualität – Blei], Slg. 1991, I-2607, Randnr. 19), vom 17. Oktober 1991 in der Rechtssache C-58/89 (Kommission/Deutschland [Oberflächengewässer], Slg. 1991, I-4983, Randnr. 14) sowie vom 12. Dezember 1996 in der Rechtssache C-298/95 (Kommission/Deutschland [Muschelgewässer], Slg. 1996, I-6747, Randnr. 16).


48
Urteile vom 13. Oktober 1987 in der Rechtssache 236/85, Kommission/Niederlande (Slg. 1987, 3989, Randnr. 5), vom 8. Juli 1987 in der Rechtssache 247/85 (Kommission/Belgien, Slg. 1987, 3029, Randnr. 9) und vom 27. April 1988 in der Rechtssache 252/85 (Kommission/Frankreich, Slg. 1988, 2243, Randnr. 5).


49
Urteil vom 11. Juni 1987 in der Rechtssache 14/86 (Pretore di Salò/X, Slg. 1987, 2545, Randnr. 19), siehe auch das Urteil vom 14. Juli 1994 in der Rechtssache C-91/92 (Faccini Dori, Slg. 1994, I-3325, Randnrn. 20 ff.).


50
Urteile vom 13. November 1990 in der Rechtssache C-106/89, Marleasing (Slg. 1990, I-4135, Randnr. 8), vom 16. Dezember 1993 in der Rechtssache C-334/92 (Wagner Miret, Slg. 1993, I-6911, Randnr. 20), und Faccini Dori, zitiert in Fußnote 49, Randnr. 26.


51
Urteile Faccini Dori, zitiert in Fußnote 49, und vom 26. Februar 1986 in der Rechtssache 152/84 (Marshall, Slg. 1986, 723, Randnr. 48).


52
Urteile vom 8. Oktober 1987 in der Rechtssache 80/86 (Kolpinghuis Nijmegen, Slg. 1987, 3969, Randnrn. 6 ff.) und Pretore di Salò/X, zitiert in Fußnote 49.


53
Urteil vom 22. Februar 1990 in der Rechtssache C-221/88 (Slg. 1990, I-495, Randnrn. 23 ff.).


54
Urteile vom 24. September 1998 in der Rechtssache C-76/97 (Tögel, Slg. 1998, I-5357, Randnr. 52), vom 22. Juni 1989 in der Rechtssache 103/88, Fratelli Costanzo (Slg. 1989, 1839, Randnrn. 28) (beide zum öffentlichen Auftragswesen) und vom 12. November 1996 in der Rechtssache C-201/94 (Smith & Nephew und Primecrown, Slg. 1996, I-5819, Randnrn. 35 ff., zur Arzneimittelzulassung). Siehe auch die Schlussanträge von Generalanwalt Léger vom 25. September 2003 in der Rechtssache C-201/02 (Wells, Slg. 2004, I-0000, Nrn. 65 ff., zur UVP-Richtlinie).


55
Urteil vom 7. Januar 2004 in der Rechtssache C-201/02 (Delena Wells, noch nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht, Randnr. 57).