Language of document : ECLI:EU:C:2023:857

SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS

NICHOLAS EMILIOU

vom 9. November 2023(1)

Rechtssache C516/22

Europäische Kommission

gegen

Vereinigtes Königreich Großbritannien und Nordirland

„Vertragsverletzung eines Mitgliedstaats – Versäumnisurteil – Abkommen über den Austritt des Vereinigten Königreichs Großbritannien und Nordirland aus der Europäischen Union und der Europäischen Atomgemeinschaft – Übergangszeitraum – Zuständigkeit des Gerichtshofs – Urteil des Supreme Court of the United Kingdom (Oberster Gerichtshof des Vereinigten Königreichs) – Vollstreckung eines Schiedsspruchs – Art. 4 Abs. 3 EUV – Pflicht zur loyalen Zusammenarbeit – Aussetzung des Verfahrens – Art. 351 Abs. 1 AEUV – Übereinkünfte zwischen Mitgliedstaaten und dritten Ländern, die vor dem Zeitpunkt ihres Beitritts zur Europäischen Union geschlossen wurden – Multilaterale Verträge – Art. 267 AEUV – Unterlassene Vorlage einer Frage zur Vorabentscheidung – Letztinstanzlich entscheidendes nationales Gericht – Art. 108 Abs. 3 AEUV – Staatliche Beihilfe – Durchführungsverbot“






I.      Einleitung

1.        In einem 1970 außerhalb der Rechtsprechungstätigkeit von ihm mit verfassten Artikel wies der damalige Richter Mertens de Wilmars – der später der sechste Präsident des (jetzigen) Gerichtshofs der Europäischen Union werden sollte – darauf hin, dass Staaten nach dem klassischen Völkerrecht für das Handeln ihrer Justiz haften. Er fügte jedoch hinzu, dass der damalige EWG-Vertrag ein ganz besonderes Verhältnis zwischen nationalen Gerichten und Gemeinschaftsgerichten begründet habe. Hiervon ausgehend vertrat Richter Mertens de Wilmars die Ansicht, dass „eine Entscheidung eines nationalen Gerichts über die Tragweite von Gemeinschaftsnormen … oder, allgemeiner, ein Urteil, mit dem das Gemeinschaftsrecht angewendet wird, an sich niemals als Vertragsverletzung eines Mitgliedstaats angesehen werden [kann]“. Im Rahmen eines Vertragsverletzungsverfahrens sei ein Mitgliedstaat nur dann für das Verhalten seiner Gerichte verantwortlich, wenn ein letztinstanzliches Gericht sich systematisch weigere, vom Vorabentscheidungsverfahren Gebrauch zu machen(2).

2.        Etwa 50 Jahre später hat das Unionsrecht sich erheblich weiterentwickelt. Mittlerweile ist anerkannt, dass eine Vertragsverletzung eines Mitgliedstaats grundsätzlich gemäß den Art. 258 bis 260 AEUV unabhängig davon festgestellt werden kann, welches Organ, welche Einrichtung oder welche Stelle dieses Staates durch sein bzw. ihr Handeln oder Unterlassen den Verstoß verursacht hat, selbst wenn es sich um ein verfassungsmäßig unabhängiges Organ handelt(3). Ein Mitgliedstaat kann also im Rahmen eines Vertragsverletzungsverfahrens für Verstöße gegen das Unionsrecht haftbar gemacht werden, die sich aus Entscheidungen nationaler Gerichte ergeben(4).

3.        Die Besonderheit der vorliegenden Rechtssache liegt jedoch darin, dass die von der Europäischen Kommission geltend gemachten Verstöße gegen das Unionsrecht nicht von einem Gericht eines Mitgliedstaats begangen wurden, sondern von einem Gericht, das – zu dem Zeitpunkt, zu dem es das beanstandete Urteil erließ, infolge des Austritts des Vereinigten Königreichs Großbritannien und Nordirland aus der Europäischen Union (im Folgenden auch: „Brexit“) – einem Drittstaat angehörte, nämlich dem Supreme Court of the United Kingdom (Oberster Gerichtshof des Vereinigten Königreichs; im Folgenden: Supreme Court).

4.        Meines Erachtens haben sich in der vorliegenden Rechtssache trotz des Brexits und der bei der Feststellung eines gerichtlichen Verstoßes gebotenen besonderen Vorsicht(5) aus dem beanstandeten Urteil des Supreme Court Verstöße gegen das Unionsrecht ergeben, die im vorliegenden Verfahren festgestellt werden können.

II.    Rechtlicher Rahmen

A.      Unionsrecht

5.        Art. 351 Abs. 1 AEUV bestimmt:

„Die Rechte und Pflichten aus Übereinkünften, die vor dem 1. Januar 1958 oder, im Falle später beigetretener Staaten, vor dem Zeitpunkt ihres Beitritts zwischen einem oder mehreren Mitgliedstaaten einerseits und einem oder mehreren dritten Ländern andererseits geschlossen wurden, werden durch die Verträge nicht berührt.“(6)

6.        Nach Art. 2 Buchst. e des Abkommens über den Austritt des Vereinigten Königreichs Großbritannien und Nordirland aus der Europäischen Union und der Europäischen Atomgemeinschaft(7) bezeichnet der Ausdruck „Übergangszeitraum“ den in Art. 126 des Abkommens vorgesehenen Zeitraum.

7.        Art. 86 Abs. 2 des Austrittsabkommen, der „[v]or dem Gerichtshof der Europäischen Union anhängige Rechtssachen“ betrifft, bestimmt:

„Der Gerichtshof der Europäischen Union ist weiterhin für Vorabentscheidungsersuchen der Gerichte des Vereinigten Königreichs zuständig, die vor Ende des Übergangszeitraums vorgelegt werden.“

8.        Art. 87 Abs. 1 des Austrittsabkommens, der „[n]eue Rechtssachen vor dem Gerichtshof“ betrifft, bestimmt:

„Gelangt die Europäische Kommission zu der Auffassung, dass das Vereinigte Königreich eine Verpflichtung aus den Verträgen oder aus Teil Vier dieses Abkommens vor Ende des Übergangszeitraums nicht erfüllt hat, so kann sie den Gerichtshof der Europäischen Union im Einklang mit den Vorschriften nach Artikel 258 AEUV … innerhalb von vier Jahren nach Ende des Übergangszeitraums mit der Angelegenheit befassen. Für diese Fälle ist der Gerichtshof der Europäischen Union zuständig.“

9.        Art. 126 („Übergangszeitraum“) des Austrittsabkommens bestimmt:

„Es gibt einen Übergangs- oder Durchführungszeitraum, der am Tag des Inkrafttretens dieses Abkommens beginnt und am 31. Dezember 2020 endet.“

10.      In Art. 127 („Anwendungsbereich für den Übergang“) des Austrittsabkommens heißt es:

„(1)      Sofern in diesem Abkommen nichts anderes bestimmt ist, gilt das Unionsrecht während des Übergangszeitraums für das Vereinigte Königreich sowie im Vereinigten Königreich.

(3)      Während des Übergangszeitraums entfaltet das nach Absatz 1 für das Vereinigte Königreich und im Vereinigten Königreich geltende Unionsrecht die gleichen Rechtswirkungen wie innerhalb der Union und ihrer Mitgliedstaaten und wird nach denselben Methoden und allgemeinen Grundsätzen auslegt und angewendet, die auch innerhalb der Union gelten.

(6)      Sofern in diesem Abkommen nichts anderes bestimmt ist, schließen während des Übergangszeitraums alle Bezugnahmen auf Mitgliedstaaten in dem nach Absatz 1 geltenden Unionsrecht, einschließlich der Durchführung und Anwendung durch die Mitgliedstaaten, das Vereinigte Königreich ein.

…“

B.      Internationales Recht

11.      Das am 29. Mai 2002 zwischen der Regierung des Königreichs Schweden und der rumänischen Regierung geschlossene und am 1. Juli 2003 in Kraft getretene bilaterale Investitionsschutzabkommen zur Förderung und zum gegenseitigen Schutz von Investitionen (im Folgenden: BIT) sieht in Art. 2 Abs. 3 vor:

„Jede Vertragspartei gewährleistet jederzeit eine faire und gerechte Behandlung der Investitionen von Investoren der anderen Vertragspartei und behindert die Leitung, Aufrechterhaltung, Verwendung, Nutzung oder Veräußerung der genannten Investitionen sowie den Erwerb von Waren und die Inanspruchnahme von Dienstleistungen oder den Verkauf ihrer Produktion nicht durch unsachgemäße oder diskriminierende Maßnahmen.“

12.      Art. 7 des BIT sieht vor, dass Streitigkeiten zwischen den Investoren und den Unterzeichnerländern u. a. durch ein Schiedsgericht beigelegt werden, das das ICSID-Übereinkommen anwendet (im Folgenden: Schiedsklausel).

13.      Die Art. 53 und 54 des am 18. März 1965 in Washington geschlossenen Übereinkommens zur Beilegung von Investitionsstreitigkeiten zwischen Staaten und Angehörigen anderer Staaten (im Folgenden: ICSID-Übereinkommen) stehen in Kapitel IV („Das Schiedsverfahren“) Abschnitt 6 („Anerkennung und Vollstreckung des Schiedsspruchs“). In Art. 53 Abs. 1 heißt es:

„Der Schiedsspruch ist für die Partei bindend und unterliegt keiner Berufung und auch keinen anderen Rechtsmitteln als denen, die in diesem Übereinkommen vorgesehen sind. Jede Partei hat den Schiedsspruch genau zu befolgen, soweit nicht die Vollstreckung auf Grund dieses Übereinkommens ausgesetzt ist. …“

14.      In Art. 54 Abs. 1 heißt es:

„Jeder Vertragsstaat erkennt jeden im Rahmen dieses Übereinkommens erlassenen Schiedsspruch als bindend an und sorgt für die Vollstreckung der darin auferlegten finanziellen Verpflichtungen in seinem Hoheitsgebiet, als handle es sich um ein rechtskräftiges Urteil eines seiner innerstaatlichen Gerichte. …“

III. Vorgeschichte des Rechtsstreits und Vorverfahren

15.      Der dem Rechtsstreit zugrunde liegende relevante Sachverhalt lässt sich, ausgehend von den Akten, wie folgt zusammenfassen.

A.      Schiedsspruch, Beschlüsse der Kommission und Verfahren vor dem Gerichtshof der Europäischen Union

16.      Rumänien hob am 26. August 2004 mit Wirkung vom 22. Februar 2005 eine 1998 eingeführte regionale staatliche Beihilferegelung in Form verschiedener steuerlicher Anreize auf. Am 28. Juli 2005 beantragten die schwedischen Investoren Ioan und Viorel Micula sowie drei von ihnen beherrschte, in Rumänien ansässige Gesellschaften (im Folgenden: Investoren), die vor ihrer Aufhebung in den Genuss der Regelung gekommen waren, gemäß Art. 7 des BIT die Einsetzung eines Schiedsgerichts, um Ersatz des Schadens zu erlangen, der durch die Aufhebung der in Rede stehenden steuerlichen Anreizregelung entstanden sei.

17.      In seinem Schiedsspruch vom 11. Dezember 2013 (im Folgenden: Schiedsspruch) befand das Schiedsgericht, dass Rumänien dadurch, dass es die in Rede stehende steuerliche Anreizregelung vor dem 1. April 2009 aufgehoben habe, das berechtigte Vertrauen der Investoren verletzt habe, dass es nicht transparent gehandelt habe, weil es sie nicht rechtzeitig davon unterrichtet habe, und dass es keine faire und gleiche Behandlung ihrer Investitionen im Sinne von Art. 2 Abs. 3 des BIT sichergestellt habe. Deshalb verurteilte das Schiedsgericht Rumänien, an die Investoren Schadensersatz in Höhe von 791 882 452 rumänischen Lei (RON) (nach aktuellem Wechselkurs ca. 160 Mio. Euro) zu zahlen.

18.      Am 26. Mai 2014 erließ die Kommission den Beschluss C(2014) 3192 final, mit dem Rumänien verpflichtet wurde, sofort alle Maßnahmen auszusetzen, die zur Umsetzung oder Vollstreckung des Schiedsspruchs führen könnten, weil dies eine rechtswidrige staatliche Beihilfe darstellen würde, bis die Kommission einen abschließenden Beschluss über die Vereinbarkeit der mutmaßlichen Beihilfe mit dem Binnenmarkt gefasst habe (im Folgenden: Aussetzungsanordnung).

19.      Am 1. Oktober 2014 setzte die Kommission Rumänien von ihrer Entscheidung in Kenntnis, in Bezug auf die mutmaßliche Beihilfe das förmliche Prüfverfahren nach Art. 108 Abs. 2 AEUV einzuleiten (im Folgenden: Eröffnungsbeschluss).

20.      Sodann erließ die Kommission am 30. März 2015 den Beschluss (EU) 2015/1470 über die von Rumänien durchgeführte staatliche Beihilfe SA.38517 (2014/C) (ex 2014/NN) – Schiedsspruch vom 11. Dezember 2013 in der Sache Micula/Rumänien (im Folgenden: abschließender Beschluss von 2015). Mit diesem Beschluss wurde im Wesentlichen festgestellt, dass i) die Zahlung der Entschädigung, die der Schiedsspruch den Investoren zugesprochen hatte, eine „staatliche Beihilfe“ im Sinne von Art. 107 Abs. 1 AEUV dargestellt habe, die mit dem Binnenmarkt unvereinbar gewesen sei, und dass ii) Rumänien verpflichtet sei, die unvereinbare Beihilfe nicht auszuzahlen und diejenigen Beihilfen zurückzufordern, die bereits an die Investoren ausgezahlt worden seien.

21.      Die Investoren fochten die Gültigkeit des abschließenden Beschlusses von 2015 vor dem Gericht an, das diesen Beschluss mit Urteil vom 18. Juni 2019, European Food u. a./Kommission, für nichtig erklärte(8). Das Gericht gab den Klagegründen der Investoren im Wesentlichen statt, mit denen i) die Unzuständigkeit der Kommission und die Unanwendbarkeit des Unionsrechts auf einen dem Beitritt Rumäniens vorausgegangenen Sachverhalt sowie ii) eine fehlerhafte Einstufung des Schiedsspruchs als „Vorteil“ und „Beihilfe“ im Sinne von Art. 107 AEUV geltend gemacht wurden.

22.      Gegen das Urteil des Gerichts legte die Kommission am 27. August 2019 Rechtsmittel beim Gerichtshof ein. Mit Urteil vom 25. Januar 2022 hob der Gerichtshof das Urteil des Gerichts auf(9). Der Gerichtshof stellte im Wesentlichen zunächst fest, dass die angebliche Beihilfe nach dem Beitritt Rumäniens zur Union gewährt wurde und das Gericht folglich rechtsfehlerhaft entschieden hat, dass die Kommission für den Erlass des abschließenden Beschlusses von 2015 zeitlich nicht zuständig gewesen sei. Weiter stellte der Gerichtshof fest, dass das Gericht ebenso rechtsfehlerhaft entschieden hat, dass das Urteil Achmea(10) im vorliegenden Fall nicht relevant sei. Daraus folgte nach Auffassung des Gerichtshofs, dass die Zustimmung Rumäniens zu der im BIT vorgesehenen Schiedsregelung infolge des Beitritts dieses Mitgliedstaats zur Union unanwendbar geworden ist. Da das Gericht in seinem Urteil nicht alle von den Investoren geltend gemachten Klagegründe geprüft hatte, verwies der Gerichtshof die Sache zur erneuten Entscheidung an das Gericht zurück. Jenes Verfahren ist derzeit beim Gericht anhängig.

23.      Schließlich hat der Gerichtshof mit Beschluss vom 21. September 2022, Romatsa u. a., auf ein von einem belgischen Gericht in einem die Investoren betreffenden Rechtsstreit vorgelegtes Vorabentscheidungsersuchen hin entschieden, dass die Art. 267 und 344 AEUV dahin auszulegen sind, dass ein mit der Vollstreckung des Schiedsspruchs befasstes Gericht eines Mitgliedstaats „verpflichtet ist, diesen Schiedsspruch aufzuheben, und ihn folglich jedenfalls nicht vollstrecken kann, um den durch ihn begünstigten Beteiligten zu ermöglichen, die Zahlung der ihnen zugesprochen Entschädigung zu erlangen“(11).

B.      Verfahren vor den Gerichten des Vereinigten Königreichs

24.      Der Schiedsspruch wurde am 17. Oktober 2014 nach den Bestimmungen des Arbitration (International Investment Disputes) Act 1966 [Gesetz von 1966 über die Schiedsgerichtsbarkeit], mit dem das ICSID-Übereinkommen im Vereinigten Königreich umgesetzt wird, beim High Court of England and Wales registriert.

25.      Der High Court (Richter Blair) wies am 20. Januar 2017 den Antrag Rumäniens auf Aufhebung der Registrierung ab, gab dem Antrag Rumäniens auf Aussetzung der Vollstreckung bis zum Abschluss des Verfahrens vor den Unionsgerichten jedoch statt(12). Sodann stellte der Court of Appeal (Richter/innen Arden, Hamblen und Leggatt) am 27. Juli 2018 fest, dass die englischen Gerichte aufgrund des in Art. 4 Abs. 3 EUV verankerten Grundsatzes der loyalen Zusammenarbeit daran gehindert seien, die sofortige Vollstreckung des Schiedsspruchs anzuordnen, solange Rumänien durch einen Beschluss der Kommission untersagt sei, die zugesprochene Entschädigung zu zahlen. Mit dieser Begründung wies er ein Rechtsmittel zurück, das die Investoren gegen die vom High Court angeordnete Aussetzung der Vollstreckung eingelegt hatten, gab Rumänien jedoch auf, Sicherheit zu leisten(13).

26.      Der Supreme Court hat mit Urteil vom 19. Februar 2020, Micula/Rumänien (im Folgenden: beanstandetes Urteil), die Vollstreckung des Schiedsspruchs angeordnet. Unter Verweis auf Art. 351 Abs. 1 AEUV kam der Supreme Court zu dem Ergebnis, dass die Vollstreckung dieses Schiedsspruchs durch einen multilateralen Vertrag, das ICSID-Übereinkommen, geregelt sei, den das Vereinigte Königreich vor seinem Beitritt zur Europäischen Union abgeschlossen habe und der dem Vereinigten Königreich Pflichten auferlege, deren Erfüllung die der Übereinkunft beigetretenen Drittstaaten verlangen könnten.

C.      Vorverfahren

27.      Die Kommission übersandte dem Vereinigten Königreich am 3. Dezember 2020 ein Mahnschreiben, mit dem sie vier, sich aus dem beanstandeten Urteil ergebende Verstöße gegen das Unionsrecht rügte. In seiner Antwort vom 1. April 2021 auf das Mahnschreiben bestritt das Vereinigte Königreich die gerügten Verstöße.

28.      Da die in der Antwort auf das Mahnschreiben angeführten Argumente ihrer Ansicht nach nicht überzeugend waren, richtete die Kommission am 17. Juli 2021 eine mit Gründen versehene Stellungnahme an das Vereinigte Königreich. Mit Schreiben vom 23. August 2021 beantragte das Vereinigte Königreich eine Fristverlängerung zur Beantwortung der mit Gründen versehenen Stellungnahme; diese wurde von der Kommission gewährt. Das Vereinigte Königreich beantwortete die mit Gründen versehene Stellungnahme nicht.

IV.    Verfahren vor dem Gerichtshof und Anträge der Parteien

29.      Mit ihrer am 29. Juli 2022 eingegangenen Klageschrift beantragt die Kommission,

–        festzustellen, dass das Vereinigte Königreich dadurch, dass es die Vollstreckung des in der Sache ICSID Case No ARB/05/20 ergangenen Schiedsspruchs genehmigt hat, gegen seine Verpflichtungen aus folgenden Vorschriften verstoßen hat:

–        Art. 4 Abs. 3 EUV in Verbindung mit Art. 127 Abs. 1 des Austrittsabkommens, indem es über die Auslegung von Art. 351 Abs. 1 AEUV und dessen Anwendung auf die Umsetzung des Schiedsspruchs entschieden hat, obwohl darüber bereits in Beschlüssen der Kommission entschieden wurde und eine entsprechende Entscheidung der Unionsgerichte erwartet wurde;

–        Art. 351 Abs. 1 AEUV in Verbindung mit Art. 127 Abs. 1 des Austrittsabkommens, indem es die Formulierungen „Rechte“ von „einem oder mehreren dritten Ländern“ und „durch die Verträge … berührt“ falsch ausgelegt und angewandt hat;

–        Art. 267 Abs. 1 Buchst. a und b und Abs. 3 AEUV in Verbindung mit Art. 127 Abs. 1 des Austrittsabkommens, indem es dem Gerichtshof keine Frage nach der Gültigkeit der Aussetzungsanordnung der Kommission von 2014 und des Eröffnungsbeschlusses der Kommission von 2014, sowie – als letztinstanzliches Gericht – keine Frage zur Auslegung von Unionsrechtsvorschriften, bei denen es sich weder um „actes clairs“ noch um „actes éclairés“ handelte, vorgelegt hat; und

–        Art. 108 Abs. 3 AEUV in Verbindung mit Art. 127 Abs. 1 des Austrittsabkommens, indem es angeordnet hat, dass Rumänien seine sich aus der Aussetzungsanordnung von 2014 und dem Eröffnungsbeschluss von 2014 ergebenden unionsrechtlichen Verpflichtungen verletzt; und

–        dem Vereinigten Königreich Großbritannien und Nordirland die Kosten aufzuerlegen.

30.      Die Regierung des Vereinigten Königreichs, der die Klageschrift ordnungsgemäß zugestellt worden ist, hat innerhalb der vorgeschriebenen Frist keine Klagebeantwortung eingereicht. Auf das an sie gerichtete Ersuchen der Kanzlei des Gerichtshofs, den Eingang der Klageschrift der Kommission zu bestätigen, hat die Regierung des Vereinigten Königreichs mitgeteilt, dass sie die Klageschrift erhalten habe und dass sie „zum gegebenen Zeitpunkt“ nicht beabsichtige, sich am Verfahren zu beteiligen.

31.      Mit Schreiben vom 31. Oktober 2022 hat die Kommission den Erlass eines Versäumnisurteils nach Art. 152 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs (im Folgenden: Verfahrensordnung) beantragt.

32.      Auf ein Schreiben der Kanzlei des Gerichtshofs hin hat die Kommission dem Gerichtshof mitgeteilt, dass sie keine Einwendungen dagegen habe, dem Beklagten eine weitere Frist zur Einreichung einer Klagebeantwortung zu setzen. Die Regierung des Vereinigten Königreichs hat jedoch mit Schreiben vom 20. April 2023 bestätigt, dass sie trotz der weiteren, vom Gerichtshof gesetzten Frist nicht beabsichtige, in der vorliegenden Rechtssache eine Klagebeantwortung einzureichen.

V.      Würdigung

33.      Die Kommission macht in der vorliegenden Rechtssache vier voneinander unabhängige Verstöße gegen das Unionsrecht geltend, die sich aus dem beanstandeten Urteil ergeben sollen. Bevor diese Rügen zu prüfen sind (C), möchte ich kurz auf einige bestimmte Verfahrensaspekte eingehen, die für das vorliegende Verfahren charakteristisch sind, nämlich die Zuständigkeit des Gerichtshofs nach Art. 258 AEUV und nach dem Austrittsabkommen (A) sowie bestimmte Besonderheiten des Verfahrens einer Entscheidung des Gerichtshofs durch Versäumnisurteil (B).

A.      Vorbemerkungen I: Zuständigkeit des Gerichtshofs nach Art. 258 AEUV und dem Austrittsabkommen

34.      Das Vereinigte Königreich ist am 31. Januar 2020 aus der Europäischen Union und der Europäischen Atomgemeinschaft ausgetreten. Das Austrittsabkommen trat am 1. Februar 2020 in Kraft.

35.      In Art. 2 Buchst. e und Art. 126 des Austrittsabkommens wurde ein Übergangszeitraum festgelegt, der am Tag des Inkrafttretens des Austrittsabkommens begann und am 31. Dezember 2020 endete. Nach Art. 127 galt das Unionsrecht während des Übergangszeitraums für das Vereinigte Königreich sowie im Vereinigten Königreich, sofern im Austrittsabkommen nichts anderes bestimmt war.

36.      Dieses Abkommen enthielt auch einige besondere Bestimmungen über die Kontrolle staatlicher Beihilfen und die damit verbundenen Verwaltungsverfahren vor der Kommission(14) sowie über Gerichtsverfahren vor den Unionsgerichten(15). Es ist jedoch in keiner dieser Bestimmungen des Abkommens eine Abweichung von dem in Art. 127 des Abkommens verankerten Grundsatz in Bezug auf die (materiell- und verfahrensrechtlichen) Unionsvorschriften vorgesehen, die im vorliegenden Verfahren relevant sind.

37.      Insbesondere war nach Art. 87 Abs. 1 des Austrittsabkommen vorgesehen, dass „die Europäische Kommission [dann, wenn sie] zu der Auffassung [gelangt], dass das Vereinigte Königreich eine Verpflichtung aus den Verträgen … vor Ende des Übergangszeitraums nicht erfüllt hat, … den Gerichtshof der Europäischen Union im Einklang mit den Vorschriften nach Artikel 258 AEUV … innerhalb von vier Jahren nach Ende des Übergangszeitraums mit der Angelegenheit befassen [kann]. In diesen Fällen ist der Gerichtshof der Europäischen Union zuständig.“

38.      Aus den vorgenannten Bestimmungen lassen sich zwei Schlussfolgerungen ziehen. Erstens war das Vereinigte Königreich zu dem Zeitpunkt, als die gerügten Verstöße eintraten, an die Unionsvorschriften gebunden, auf die die Kommission sich im vorliegenden Verfahren stützt. Zweitens ist der Gerichtshof in Anbetracht dessen für die Entscheidung über die vorliegende Rechtssache zuständig, dass i) das beanstandete Urteil während des Übergangszeitraums (am 19. Februar 2020) erging und ii) die Klage der Kommission nach Art. 258 TFEU innerhalb von vier Jahren nach Ende des Übergangszeitraums (am 29. Juli 2022) erhoben wurde.

B.      Vorbemerkungen II: Versäumnisurteile

39.      Im vorliegenden Verfahren hat das Vereinigte Königreich keine Klagebeantwortung eingereicht, so dass die Kommission beim Gerichtshof den Erlass eines Versäumnisurteils beantragt hat.

40.      Nach Art. 152 Abs. 3 der Verfahrensordnung muss der Gerichtshof in einem solchen Fall prüfen, „ob die Klage zulässig ist, ob die Formerfordernisse ordnungsgemäß erfüllt worden sind und ob die Anträge des Klägers begründet erscheinen“.

41.      In der vorliegenden Rechtssache sind die Formerfordernisse offenbar ordnungsgemäß erfüllt. Insbesondere hat die Regierung des Vereinigten Königreichs, wie oben in den Nrn. 30 bis 32 ausgeführt, der Kanzlei des Gerichtshofs bestätigt, die Klageschrift erhalten zu haben. Außerdem ist dieser Klageschrift meines Erachtens nichts zu entnehmen, was auf das Vorliegen eines Verfahrensfehlers hindeuten würde, der der Zulässigkeit der Klage entgegenstehen könnte. Die Klageschrift der Kommission entspricht den Anforderungen an die Klarheit und Genauigkeit nach Art. 120 der Verfahrensordnung; die darin angeführten Rügen entsprechen offenbar den zuvor im Mahnschreiben und in der mit Gründen versehenen Stellungnahme geltend gemachten Rügen.

42.      Was die Prüfung der Begründetheit einer Klage angeht, über die durch Versäumnisurteil entschieden werden soll, möchte ich kurz auf zwei miteinander im Zusammenhang stehende Aspekte eingehen.

43.      Erstens könnte sinnvoll sein, den Beweismaßstab klarzustellen, den der Gerichtshof bei der Prüfung des Vorbringens eines Klägers anzuwenden hat. Insoweit ist wiederum auf den Wortlaut von Art. 152 Abs. 3 der Verfahrensordnung zu verweisen, wonach der Gerichtshof im Versäumnisverfahren darüber zu entscheiden hat, ob „die Anträge des Klägers begründet erscheinen“(16).

44.      Aus dieser Bestimmung wird meines Erachtens deutlich, dass zum einen die Nichtteilnahme des Beklagten am Verfahren nicht automatisch dazu führt, dass die Ansprüche des Klägers vom Gerichtshof anerkannt werden. Es ist Generalanwalt Mischo darin zuzustimmen, dass im Versäumnisverfahren „für das Vorbringen der Klägerin nicht etwa eine wie auch immer geartete Wahrheitsvermutung gelten [kann]“(17). Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs hat nämlich im Verfahren nach den Art. 258 bis 260 AEUV „der Gerichtshof, auch soweit der betreffende Mitgliedstaat eine Vertragsverletzung nicht bestreitet, in jedem Fall festzustellen, ob die gerügte Vertragsverletzung tatsächlich vorliegt“(18).

45.      Der Beweismaßstab kann auch nicht derjenige sein, den der Gerichtshof im Rahmen von Anträgen auf einstweilige Anordnungen nach den Art. 278 und 279 AEUV anwendet. Nach ständiger Rechtsprechung muss der Gerichtshof in diesen Fällen nur das Vorliegen eines fumus boni iuris prüfen, worunter ein Anspruch zu verstehen ist, der „prima facie nicht ohne ernsthafte Grundlage“ ist(19). Meines Erachtens ist der Unterschied zwischen einem Anspruch, der „begründet erscheint“, und einem solchen, der „nicht ohne ernsthafte Grundlage erscheint“, nicht nur terminologischer Natur. Die Voraussetzungen von Art. 152 Abs. 3 der Verfahrensordnung gehen somit weiter.

46.      Zum anderen weist das Verb „erscheinen“ jedoch darauf hin, dass es sich um einen gegenüber den Ansprüchen des Klägers relativ wohlwollenden Prüfungsmaßstab handelt. Der Gerichtshof ist nicht verpflichtet, eine vollständige Prüfung des vom Kläger vorgetragenen Sachverhalts und rechtlichen Vorbringens vorzunehmen; von ihm kann auch nicht erwartet werden, das tatsächliche und rechtliche Vorbringen auszuarbeiten, das der Beklagte hätte vortragen können, wenn er am Verfahren teilgenommen hätte. Indem er sein Recht auf Erscheinen nicht wahrnimmt, entscheidet der Beklagte sich dafür, auf seine Möglichkeit zu verzichten, u. a. Beweise beizubringen, die die Richtigkeit der vom Kläger vorgetragenen Tatsachen möglicherweise in Frage stellen, oder Verteidigungslinien vorzubringen, für die grundsätzlich der Beklagte die Darlegungs- und Beweislast trägt.

47.      Es versteht sich von selbst, dass der Gerichtshof bei der Beurteilung des Vorbringens des Klägers eine allgemein bekannte oder durch allgemeine Erfahrung belegte Tatsache als erwiesen ansehen kann(20) und dass der Grundsatz iura novit curia in vollem Umfang gültig bleibt(21). Im Übrigen jedoch hat der Gerichtshof seine Feststellungen auf die in den Akten enthaltenen Angaben zu stützen.

48.      Festhalten lässt sich meines Erachtens, dass der Kläger im Versäumnisverfahren die Darlegungs- und Beweislast dafür trägt, dass seine Ansprüche „prima facie begründet“ sind: Erscheint das zur Begründung dieser Ansprüche angeführte Vorbringen, ohne eingehende Prüfung, rechtlich und tatsächlich schlüssig und gegebenenfalls durch geeignete Nachweise belegt, hat der Gerichtshof ohne Weiteres zugunsten des Klägers zu entscheiden(22).

49.      Dieser ausgewogene Ansatz zu dem für den Gerichtshof relevanten Beweismaßstab nach Art. 152 Abs. 3 der Verfahrensordnung dürfte meines Erachtens am ehesten dem Wortlaut dieser Bestimmung, und gerade auch dem dem Versäumnisverfahren eigenen Grundgedanken entsprechen. Versäumnisverfahren sind eine rechtliche Konstruktion, die es, in unterschiedlichen Formen, in den meisten Rechtsordnungen gibt. Meines Wissens haben diese Verfahren typischerweise summarischen Charakter, und die Gerichte sind zumeist verpflichtet, wenngleich nicht unkritisch oder automatisch, zugunsten der Kläger zu entscheiden(23).

50.      Hätte nämlich der Gerichtshof das Vorbringen der Kläger sowohl in rechtlicher als auch in tatsächlicher Hinsicht normal und vollständig zu prüfen, verlöre die Möglichkeit der Beklagten, gegen das Versäumnisurteil Einspruch einzulegen(24), weitgehend ihren Sinn.

51.      Dies führt mich zu meinem nächsten Punkt.

52.      Auch wenn es mir nicht zusteht, über die Sinnhaftigkeit der Entscheidung einer Partei zu urteilen, sich nicht am Verfahren zu beteiligen, ist meines Erachtens gleichwohl darauf hinzuweisen, dass dem Gerichtshof die Ausübung seiner Rechtsprechungsaufgabe durch eine solche Entscheidung erschwert werden kann(25). Es gibt ein altes englisches Sprichwort, dass „jede Geschichte zwei Seiten hat“(26). Wenn dies der Fall ist, dann ist es unglücklich, dass in bestimmten Fällen eine der beiden Seiten der Geschichte vor dem Gerichtshof nicht vollständig beleuchtet wird; zumindest nicht, bis ein etwaiges zweites Verfahren stattfindet. Die Möglichkeit, gegen das Versäumnisurteil Einspruch einzulegen, kann Gelegenheit geben, bestimmte Aspekte zu korrigieren, die sich aus dem ersten Urteil des Gerichtshofs ergeben könnten, sie führt aber auch zu einer Doppelung von Verfahren, was zu einer länger andauernden Situation der Rechtsunsicherheit und einer suboptimalen Nutzung der Ressourcen des Gerichtshofs (und möglicherweise auch der Parteien) führt.

53.      Nachdem die vorgenannten verfahrensrechtlichen Punkte erörtert sind, werde ich jetzt die Begründetheit der vier, von der Kommission geltend gemachten Rügen prüfen. Auch wenn diese Rügen in engem Zusammenhang stehen, werde ich jede von ihnen gesondert prüfen und auf in den vorliegenden Schlussanträgen bereits geprüfte Punkte verweisen.

C.      Erste Rüge: Verstoß gegen Art. 4 Abs. 3 EUV

1.      Vorbringen der Klägerin

54.      Mit ihrer ersten Rüge macht die Kommission einen Verstoß des Vereinigten Königreichs gegen den Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit dadurch geltend, dass der Supreme Court das bei ihm anhängige Verfahren nicht bis zum Ergehen des Urteils des Gerichtshofs im Rechtsmittelverfahren European Food ausgesetzt habe.

55.      Nach Ansicht der Kommission soll sich aus der in Art. 4 Abs. 3 EUV verankerten Pflicht zur loyalen Zusammenarbeit für ein nationales Gericht, das mit einer Frage befasst ist, die bereits Gegenstand einer Untersuchung der Kommission oder eines Verfahrens vor den Unionsgerichten ist, die Verpflichtung ergeben, das Verfahren auszusetzen, es sei denn, dass zwischen seinem zu erwartenden Urteil und der wahrscheinlichen Handlung der Kommission oder Entscheidung der Unionsgerichte kaum die Gefahr eines Widerspruch besteht.

56.      Durch das Anerkennungs- und Vollstreckungsverfahren, das auf Antrag der Investoren im Vereinigten Königreich eingeleitet worden sei, sei der Supreme Court mit einer Frage befasst worden, für die eine Auslegung derselben Bestimmungen des Unionsrechts in Bezug auf dieselben Maßnahmen erforderlich sei, über die die Kommission bereits entschieden gehabt habe und die Gegenstand eines bei den Unionsgerichten anhängigen Verfahrens gewesen seien.

57.      Obwohl dem Supreme Court bewusst gewesen sei, dass seine Pflicht zur loyalen Zusammenarbeit fortbestanden habe, habe er entschieden, über die Frage ein endgültiges Urteil zu erlassen, wodurch die Gefahr eines Widerspruchs zwischen diesem Urteil und den zu erwartenden Entscheidungen der Kommission und/oder der Unionsgerichte über dieselbe Frage entstanden sei.

2.      Würdigung

a)      Der Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit und die Kontrolle staatlicher Beihilfen

58.      Art. 4 Abs. 3 EUV regelt einen der allgemeinen Grundsätze des Unionsrechts, die das Rückgrat des durch die Unionsverträge geschaffenen Rechtssystems darstellen, nämlich den Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit. Im Wesentlichen sind nach diesem Grundsatz die Unionsorgane und alle nationalen Behörden, einschließlich der Gerichte der Mitgliedstaaten, soweit sie im Rahmen ihrer Befugnisse handeln, zur loyalen Zusammenarbeit verpflichtet(27).

59.      Konkret sind die Mitgliedstaaten nach Art. 4 Abs. 3 EUV verpflichtet, zum einen „alle geeigneten Maßnahmen allgemeiner oder besonderer Art zur Erfüllung der Verpflichtungen, die sich aus den Verträgen oder den Handlungen der Organe der Union ergeben [zu ergreifen]“ und zum anderen „die Union bei der Erfüllung ihrer Aufgabe [zu unterstützen] und … alle Maßnahmen [zu unterlassen], die die Verwirklichung der Ziele der Union gefährden könnten“.

60.      Eines der wesentlichsten Ziele der Europäischen Union ist – dies bedarf kaum der Erwähnung – einen Binnenmarkt zu errichten(28), nämlich einen Raum ohne Binnengrenzen, in dem der freie Verkehr von Waren, Personen, Dienstleistungen und Kapital gewährleistet ist(29) und in dem der Wettbewerb zwischen Unternehmen nicht verfälscht wird(30), weder durch das ein- oder mehrseitige Verhalten von Unternehmen(31) noch durch die Gewährung von Beihilfen durch nationale Behörden(32).

61.      In Bezug auf staatliche Beihilfen wurde mit Art. 108 AEUV ein System der vor- und nachgelagerten Kontrolle eingeführt, in dem der Kommission eine zentrale Rolle zugewiesen wird. Die Kommission „überprüft fortlaufend“ u. a. alle Formen bestehender Beihilfen und prüft vorab „jede beabsichtigte Einführung oder Umgestaltung von Beihilfen“ vor ihrer Durchführung. Darüber hinaus wurde der Kommission eine „ausschließliche Zuständigkeit“ für die Beurteilung der Vereinbarkeit von Beihilfemaßnahmen mit dem Binnenmarkt übertragen, die der Kontrolle der Unionsgerichte unterliegt(33).

62.      Dies vorausgeschickt, kommt auch den nationalen Gerichten in diesem Bereich eine wichtige Rolle zu. Nach gefestigter Rechtsprechung beruht die Anwendung der Unionsregeln im Bereich der staatlichen Beihilfen auf einer Verpflichtung zu loyaler Zusammenarbeit zwischen den nationalen Gerichten einerseits und der Kommission und den Unionsgerichten andererseits, in deren Rahmen jeder innerhalb der Grenzen der ihm durch den Vertrag zugewiesenen Rolle handelt(34). Die Rolle der nationalen Gerichte beinhaltet insbesondere die Verpflichtung, Parteien zu schützen, die von der durch die Gewährung der rechtswidrigen Beihilfe verursachten Wettbewerbsverzerrung betroffen sind(35). Gleichwohl müssen es die nationalen Gerichte unterlassen, Entscheidungen zu treffen, die einer Entscheidung der Kommission zuwiderlaufen, selbst wenn sie nur vorläufigen Charakter hat(36).

63.      Vor diesem Hintergrund kann – wegen der Überschneidung der jeweiligen Zuständigkeiten und Befugnisse der Kommission, der Unionsgerichte und der nationalen Gerichte – bisweilen die Gefahr von Widersprüchen bei der Auslegung und Anwendung der Vorschriften über staatliche Beihilfen im Einzelfall bestehen. Dies kann insbesondere dann der Fall sein, wenn für die Vereinbarkeit einer nationalen Maßnahme mit den unionsrechtlichen Beihilferegeln verschiedene Verwaltungs- und/oder Gerichtsverfahren maßgeblich sind, die auf Unionsebene und auf nationaler Ebene parallel stattfinden.

64.      Mit Blick hierauf hat der Gerichtshof entschieden, dass dann, wenn die Entscheidung eines bei dem nationalen Gericht anhängigen Rechtsstreits von der Gültigkeit eines Beschlusses der Kommission abhängt, aus der Pflicht zur loyaler Zusammenarbeit folgt, dass dieses Gericht, um nicht eine dem Beschluss der Kommission zuwiderlaufende Entscheidung zu erlassen, das Verfahren aussetzen sollte, bis die Unionsgerichte eine endgültige Entscheidung über die Nichtigkeitsklage erlassen haben. Dieses nationale Gericht kann es jedoch ablehnen, das Verfahren auszusetzen, wenn es seiner Auffassung nach unter den gegebenen Umständen gerechtfertigt ist, dem Gerichtshof eine Vorabentscheidungsfrage nach der Gültigkeit des Beschlusses der Kommission vorzulegen, oder wenn zwischen den behördlichen und/oder gerichtlichen Entscheidungen kaum die Gefahr eines Widerspruchs besteht(37).

65.      Die sich aus dieser Rechtsprechung ergebenden Grundsätze (im Folgenden: Masterfoods-Rechtsprechung) dürften meines Erachtens auf die vorliegende Rechtssache in vollem Umfang übertragbar sein.

b)      Der Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit im beanstandeten Urteil

66.      Wie vom Supreme Court in Rn. 2 des beanstandeten Urteils anerkannt, war die bei ihm anhängig gemachte Rechtssache „das letzte Kapitel der umfangreichen Bestrebungen [der Investoren], ihren Schiedsspruch in einer Reihe verschiedener Rechtsordnungen gegen Rumänien zu vollstrecken, und der Bestrebungen der Europäischen Kommission, die Vollstreckung mit der Begründung zu verhindern, dass sie gegen rechtswidrige staatliche Beihilfen untersagende Vorschriften des Unionsrechts verstoßen würde“(38).

67.      Der Supreme Court hat in der Tat festgestellt, dass in mehreren anderen Mitgliedstaaten Vollstreckungsverfahren anhängig seien, nämlich in Frankreich, Belgien, Luxemburg und Schweden. Darüber hinaus hatte in einem dieser Staaten (nämlich Belgien) das betreffende nationale Gericht dem Gerichtshof bereits drei Fragen betreffend die Vollstreckung des Schiedsspruchs und den Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit vorgelegt(39). Vor allem aber fand das Verfahren vor dem Supreme Court auch parallel zu dem Verfahren vor den Unionsgerichten statt, mit dem die Investoren die Gültigkeit des abschließenden Beschlusses von 2015 angefochten hatten (im Folgenden: Verfahren European Food)(40).

68.      Im Bewusstsein der Folgen, die sich potenziell aus diesem komplexen Gefüge von Rechtsstreitigkeiten ergeben konnten, hat der Supreme Court in Rn. 56 des beanstandeten Urteils festgestellt, dass er unter den vorliegenden Umständen i) „mit miteinander potenziell im Widerspruch stehenden Entscheidungen über denselben Gegenstand zwischen denselben Parteien konfrontiert“ sei; ii) dass er nicht zu dem Schluss gelangen könne, dass „kaum eine Gefahr eines Widerspruchs“ zwischen diesen Entscheidungen bestehen könne; iii) dass für den Fall, dass sich ein Widerspruch zwischen verschiedenen Urteilen verwirklichen würde, die sich daraus ergebenden Folgen „eine erhebliche Behinderung der Anwendung des Unionsrechts“ darstellen würden; und iv) dass der Umstand, dass ein Rechtsmittelverfahren beim Gerichtshof anhängig sei, grundsätzlich „für das Entstehen der Pflicht zur Zusammenarbeit ausreiche“.

69.      Gleichwohl hat der Supreme Court sodann die Begründetheit des auf Art. 351 Abs. 1 AEUV gestützten Rechtsmittelgrundes der Investoren geprüft. Er wies zunächst auf die Unionsrechtsprechung zu dieser Bestimmung hin(41) und erörterte anschließend allgemein, inwieweit sich aus früheren Übereinkünften nach dieser Bestimmung Pflichten ergäben(42). Dann wandte er sich der Frage zu, ob Art. 351 AEUV auf die einschlägigen Pflichten des Vereinigten Königreichs nach dem ICSID-Übereinkommens anwendbar sei(43), und prüfte abschließend, ob sich aus seiner Auslegung der Vertragsbestimmung in der vorliegenden Rechtssache eine Gefahr von Widersprüchen ergeben könnte, die eine Aussetzung des nationalen Verfahrens bis zum Abschluss des Verfahrens vor den Unionsgerichten erforderlich mache(44).

70.      Gegen diesen letzten Teil der Urteilsbegründung des Supreme Court wendet sich die Kommission mit ihrer ersten Rüge im Rahmen der vorliegenden Klage. In den abschließenden Passagen des beanstandeten Urteils kam der Supreme Court zu dem Ergebnis, dass trotz seiner vorangegangenen Feststellungen zur abstrakten Anwendbarkeit des Grundsatzes der loyalen Zusammenarbeit eine Aussetzung des Verfahrens gleichwohl aus drei Gründen nicht erforderlich sei.

71.      Erstens stellte der Supreme Court fest, dass, vom Standpunkt des Unionsrechts betrachtet, Fragen des Bestehens und Umfangs von Pflichten, die sich aus früheren Übereinkünften nach Art. 351 Abs. 1 AEUV ergäben, nicht den Unionsgerichten vorbehalten seien. Diese Fragen seien nicht durch das Unionsrecht geregelt, und der Gerichtshof sei zu ihrer Beantwortung nicht besser in der Lage als ein nationales Gericht.

72.      Zweitens stellte der Supreme Court fest, dass die von den Investoren im Rahmen von Art. 351 AEUV in dem bei ihm anhängigen Verfahren aufgeworfene Frage mit der vor den Unionsgerichten aufgeworfenen Frage nicht vollständig deckungsgleich sei. Im Verfahren European Food hätten die Investoren u. a. geltend gemacht, dass Art. 351 AEUV den sich aus dem BIT und aus Art. 53 des ICSID-Übereinkommens ergebenden, vorbestehenden völkerrechtlichen Pflichten Rumäniens Vorrang einräume. Dagegen sei die im Verfahren im Vereinigten Königreich maßgebliche Rechtsfrage diejenige der Pflichten des Vereinigten Königreichs gewesen, das ICSID-Übereinkommen durchzuführen und den Schiedsspruch nach den Art. 54 und 69 des ICSID-Übereinkommens anzuerkennen und zu vollstrecken(45). Letzteres sei eine Frage, die sich spezifisch auf den Rechtsstreit im Vereinigten Königreich bezogen habe und daher im Verfahren vor den Unionsgerichten nicht aufgeworfen worden sei.

73.      Drittens stellte der Supreme Court weiter fest, dass die Möglichkeit fernliegend sei, dass die Unionsgerichte sich mit der Anwendbarkeit von Art. 351 Abs. 1 AEUV auf vor dem Beitritt entstandene Pflichten nach dem ICSID-Übereinkommen im Kontext des im Vereinigten Königreich anhängigen Rechtsstreits befassen könnten. Das Urteil des Gerichts in der Rechtssache European Food habe sich mit der Auslegung von Art. 351 AEUV nicht befasst, so dass sich in der Folge auch das (zu jenem Zeitpunkt anhängige) Rechtsmittelverfahren beim Gerichtshof auf die Beurteilung anderer Fragen beschränkt habe. Selbst im Fall einer Aufhebung des angefochtenen Urteils und einer Zurückverweisung an das Gericht zur erneuten Beurteilung der Sache sei unwahrscheinlich, dass die Unionsgerichte sich mit der spezifischen, im Verfahren im Vereinigten Königreich aufgeworfenen Frage befassen würden. Der Supreme Court kam daher zu dem Ergebnis, dass es unter diesen Umständen nicht erforderlich sei, das Verfahren auszusetzen.

c)      Die Aussetzung des Verfahrens

74.      Die von der Kommission vorgetragene Kritik an der Beurteilung des Grundsatzes der loyalen Zusammenarbeit im beanstandeten Urteil erscheint meines Erachtens begründet. Die Argumente, die der Supreme Court angeführt hat, um von einer Aussetzung des Verfahrens abzusehen – obwohl der Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit, wie von ihm selbst anerkannt, weiter Anwendung fand – sind meines Erachtens nicht überzeugend.

1)      Die Masterfoods-Rechtsprechung

75.      Erstens ist es für die Anwendung des Grundsatzes der loyalen Zusammenarbeit unerheblich, dass Fragen des Bestehens und Umfangs von Pflichten aus früheren Übereinkünften nach Art. 351 Abs. 1 AEUV nicht „den Unionsgerichten vorbehalten“ sind oder dass die Unionsgerichte „zu ihrer Beantwortung nicht besser in der Lage sind als ein nationales Gericht“.

76.      Die Masterfoods-Rechtsprechung beruht nicht auf dem Gedanken, dass die Auslegung bestimmter Unionsvorschriften den Unionsgerichten „vorbehalten“ ist. Das Gegenteil ist der Fall: Diese Rechtsprechung beruht gerade auf der Grundannahme, dass beide Kategorien von Gerichten, von Ausnahmen abgesehen, dafür zuständig und dazu in der Lage sind, Fragen der Auslegung und Anwendung des Unionsrechts zu behandeln, die sich im Rahmen von Verfahren, mit denen sie befasst werden, einschließlich in Wettbewerbssachen, stellen können. Schließlich folgt aus Art. 19 EUV, dass die nationalen Gerichte für Rechtssuchende, die den Schutz ihrer, sich aus dem Unionsrecht ergebenden Rechte begehren, die ordentlichen Unionsgerichte sein sollen(46).

77.      Die Masterfoods-Rechtsprechung hat einen zweifachen Grundgedanken. Zum einen soll sie die der Kommission in Wettbewerbssachen übertragenen Exekutivbefugnisse (vorliegend zur Feststellung des Vorliegens und der Vereinbarkeit einer mutmaßlichen Beihilfe) wahren, indem ein Widerspruch zu (behördlichen und/oder gerichtlichen) Entscheidungen über Rechtsfragen vermieden wird, die von der Kommission geprüft werden oder geprüft worden sind oder die zum gegebenen Zeitpunkt Gegenstand der gerichtlichen Überprüfung durch die Unionsgerichte sind. Zum anderen soll sie die ausschließliche Zuständigkeit der Unionsgerichte für die Überprüfung der Gültigkeit der von den Unionsorganen erlassenen Rechtsakte wahren, indem der Fall vermieden wird, dass eine Entscheidung eines nationalen Gerichts ergehen könnte, die in der Praxis die Ungültigkeit eines dieser Rechtsakte impliziert.

78.      Vor diesem Hintergrund dürfte die vorliegende Rechtssache meines Erachtens eindeutig in die Fallgruppe fallen, auf die die Masterfoods-Rechtsprechung anwendbar war(47).

79.      Die Verfahren in der Union und im Vereinigten Königreich betrafen beide, allgemein betrachtet, dieselbe Frage (nämlich, ob die Investoren den Schiedsspruch in der Union vollstrecken konnten), beinhalteten eine Auslegung derselben Bestimmungen und allgemeinen Grundsätze des Unionsrechts (insbesondere von Art. 351 AEUV, Art. 107 und 108 AEUV sowie des Grundsatzes der loyalen Zusammenarbeit) und berührten die Gültigkeit und/oder Wirksamkeit dreier, von der Kommission erlassener Beschlüsse über staatliche Beihilfen(48).

80.      Aus dem beanstandeten Urteil geht auch hervor, dass dem Supreme Court vollumfänglich bewusst war, dass dann, wenn er für die Vollstreckung des Schiedsspruchs im Vereinigten Königreich „grünes Licht geben“ würde, sowohl das Verwaltungsverfahren vor der Kommission wegen mutmaßlicher staatlicher Beihilfen als auch das Nichtigkeitsverfahren vor den Unionsgerichten weitgehend ihren Sinn verloren hätten(49).

81.      Wenn dies so ist, ist es für die Anwendbarkeit der Masterfoods-Rechtsprechung unerheblich, ob eine bestimmte Rechtsfrage, die von den Investoren im Verfahren vor den Gerichten des Vereinigten Königreichs aufgeworfen worden war, der Zuständigkeit der Unionsgerichte vorbehalten war oder ob diese am besten zu einer Entscheidung in der Lage waren.

82.      Die Gefahr einander widersprechender Entscheidungen wäre in beiden Fällen die gleiche, und in beiden Fällen käme es zu einer potenziellen Beeinträchtigung der ordnungsgemäßen Erfüllung der Aufgaben, die die Verfasser der Verträge der Kommission und den Unionsgerichten zugewiesen haben. Zum einen ermöglichte das beanstandete Urteil den Investoren, den Schiedsspruch zu vollstrecken und damit die „Sperrwirkungen“ zu umgehen, die sich nicht nur aus dem abschließenden Beschluss von 2015, sondern auch aus dem Eröffnungsbeschluss und der Aussetzungsanordnung ergaben. Zum anderen wichen die Auslegung und Anwendung von Art. 351 Abs. 1 AEUV durch den Supreme Court auch von der Auslegung und Anwendung ab, die die Kommission im abschließenden Beschluss von 2015 vertreten hatte(50). Das beanstandete Urteil implizierte somit de facto, dass dieser Beschluss rechtswidrig sei, da die Kommission gegen eine Bestimmung des Primärrechts der Union verstoßen habe. Die Gültigkeit dieses Beschlusses wurde jedoch zu jenem Zeitpunkt von den Unionsgerichten überprüft.

2)      Auslegung früherer Übereinkünfte und von Art. 351 AEUV

83.      Zweitens mag es zwar zutreffen, dass die Feststellung des Bestehens und Umfangs der Pflichten eines Mitgliedstaats aus einer bestimmten Übereinkunft im Sinne von Art. 351 Abs. 1 AEUV keine vom Unionsrecht geregelte Frage ist. Es ist nämlich nicht Sache des Gerichtshofs, internationale Übereinkünfte auszulegen, denen die Union nicht beigetreten ist.

84.      Die Bestimmung der Bedeutung und des Anwendungsbereichs von Art. 351 Abs. 1 AEUV, d. h. insbesondere der Voraussetzungen, unter denen nach dieser Bestimmung durch eine frühere Übereinkunft einer Vorschrift des Unionsrechts ihre Wirksamkeit genommen werden kann, ist jedoch ganz eindeutig eine Frage der Auslegung des Unionsrechts.

85.      Es handelt sich auch um eine Frage, die spezifisch im Verfahren vor dem Supreme Court aufgeworfen worden war(51) und die logisch jeder Prüfung der Auswirkungen einer internationalen Übereinkunft auf einen Mitgliedstaat vorausgeht. Ein Gericht kann ganz eindeutig nicht positiv feststellen, was sich aus einer bestimmten Vorschrift einer früheren Übereinkunft ergibt, sofern es nicht zuvor festgestellt hat, dass diese Übereinkunft (und/oder bestimmte Vorschriften derselben) in den Anwendungsbereich von Art. 351 Abs. 1 AEUV fallen.

86.      Die Bestimmung des Anwendungsbereichs von Art. 351 Abs. 1 AEUV war in der Tat eine Frage, die der Supreme Court umfassend erörtern musste, bevor er mit der Prüfung der Rechtsfolgen beginnen konnte, die sich aus den Bestimmungen des ICSID-Übereinkommens ergaben, auf die sich die Investoren stützten. In Rn. 98 des beanstandeten Urteils stellte der Supreme Court zutreffend fest, dass hierzu zu prüfen sei, ob die fragliche internationale Übereinkunft dem betreffenden Mitgliedstaat Pflichten auferlege, deren Erfüllung die der Übereinkunft beigetretenen Drittländer weiterhin verlangen könnten. Er legte sodann in den Rn. 98 bis 100 des Urteils die Formulierung „Pflichten …, deren Erfüllung … Drittstaaten weiterhin verlangen können“, aus.

87.      Diese Formulierung – deren genaue Bedeutung zwischen den Parteien streitig war – findet sich in der Rechtsprechung des Gerichtshofs zu Art. 351 Abs. 1 AEUV wieder(52), der sich auf „Rechte und Pflichten aus Übereinkünften … zwischen einem oder mehreren Mitgliedstaaten einerseits und einem oder mehreren dritten Ländern andererseits“ bezieht.

88.      Hinzuweisen ist in diesem Zusammenhang darauf, dass Art. 351 Abs. 1 AEUV weder auf das Recht der Mitgliedstaaten noch auf das Völkerrecht verweist. Daraus folgt, dass die in ihm enthaltenen Begriffe autonome Begriffe des Unionsrechts darstellen, deren Bedeutung und Tragweite im gesamten Unionsgebiet einheitlich auszulegen sind, wobei nicht nur der Wortlaut dieser Bestimmung, sondern auch ihr Ziel und Zusammenhang zu berücksichtigen sind(53). Dies bedeutet selbstverständlich nicht, dass die Verfasser der Unionsverträge die für diese Fragen relevanten Grundsätze des Völkerrechts außer Acht lassen wollten(54). Es bedeutet lediglich, dass die Voraussetzungen und Grenzen, unter denen bzw. innerhalb derer die Mitgliedstaaten (nach den Unionsverträgen) Unionsvorschriften unangewendet lassen dürfen, um früheren Übereinkünften nachzukommen, vom Unionsrecht selbst festgelegt werden(55).

89.      Insoweit ist im Blick zu behalten, dass von den in Art. 351 Abs. 1 AEUV ausdrücklich genannten Voraussetzungen abgesehen, in Abs. 2 dieser Bestimmung eine konkrete Verpflichtung zur Behebung von Widersprüchen für die Zukunft vorgesehen ist und der dritte Absatz ein Verbot der Gewährung einer Meistbegünstigung von Drittländern enthält. Außerdem ergeben sich bestimmte Grenzen für den Anwendungsbereich dieser Bestimmung aus den Besonderheiten der Unionsrechtsordnung. Wie der Gerichtshof im Urteil Kadi entschieden hat, „könnte es [Art. 351 AEUV] nämlich keinesfalls erlauben, die Grundsätze in Frage zu stellen, die zu den Grundlagen der [Unions]rechtsordnung selbst gehören, worunter auch der Schutz der Grundrechte fällt, der die Kontrolle der Rechtmäßigkeit der [Unions]rechtsakte im Hinblick auf ihre Vereinbarkeit mit den Grundrechten durch den [Unions]richter einschließt“(56).

90.      In der vorliegenden Rechtssache war die zentrale Frage, über die der Supreme Court zu entscheiden hatte, einfach ausgedrückt, unter welchen Voraussetzungen Art. 351 Abs. 1 AEUV anwendbar war, wenn i) es sich bei der geltend gemachten früheren Übereinkunft um ein multilaterales Übereinkommen handelte und ii) der Rechtsstreit offenbar rein interner, auf die Europäische Union beschränkter Natur war, da kein Drittstaat oder Staatsangehöriger eines Drittstaats beteiligt war.

91.      In Anbetracht der vorstehenden Ausführungen hat der Supreme Court im beanstandeten Urteil nicht nur eine frühere Übereinkunft ausgelegt (und angewendet), sondern auch eine Bestimmung des Unionsrechts. Der Umstand, dass beide Normkomplexe in der vorliegenden Rechtssache im Hinblick auf ihre Auslegung untrennbar miteinander im Zusammenhang standen, kann die Zuständigkeit des Gerichtshofs für die Behandlung des unionsbezogenen Aspekts der Frage nicht in Frage stellen.

92.      Wenn dies für die Entscheidung über einen Rechtsstreit, der in seinen Zuständigkeitsbereich fällt, erforderlich ist, muss der Gerichtshof in der Lage sein, Bestimmungen internationaler Übereinkünfte inzident auszulegen, auch wenn diese Übereinkünfte nicht Teil des Unionsrechts sind. Dies erklärt, warum der Gerichtshof sich in Klageverfahren nicht gescheut hat, diese Aufgabe zu übernehmen, soweit es für die Entscheidung über den Rechtsstreit erforderlich war(57).

93.      Dagegen braucht der Gerichtshof bei Vorabentscheidungsverfahren die betreffende internationale Übereinkunft in der Regel nicht auszulegen, da diese Aufgabe den nationalen Gerichten des betreffenden Mitgliedstaats überlassen werden kann(58). Die inzidente Zuständigkeit des Gerichtshofs für die Auslegung einer internationalen Übereinkunft, der die Europäische Union nicht beigetreten ist, kann jedoch auch im Rahmen eines Vorabentscheidungsverfahrens eintreten(59). Dies ist der Fall, wenn der Gerichtshof, um das Unionsrecht in für ein nationales Gericht möglichst sachdienlicher Weise auszulegen, den rechtlichen Kontext, in dem eine Unionsregelung Anwendung findet, zu berücksichtigen hat.

94.      Stellt sich beispielsweise, wie in der vorliegenden Rechtssache, die Frage, ob eine bestimmte Übereinkunft oder eine Bestimmung einer Übereinkunft in den Anwendungsbereich von Art. 351 Abs. 1 AEUV fallen kann, kann nicht ernsthaft die Ansicht vertreten werden, dass der Gerichtshof die Unionsvorschrift nur auf einem hohen Abstraktionsniveau auslegen könne, da er nicht in der Lage sei, die Besonderheiten der betreffenden Übereinkunft oder Bestimmung zu berücksichtigen(60).

95.      Außerdem gab es in der vorliegenden Rechtssache einen anderen Grund, der es hätte rechtfertigen können, dass der Gerichtshof, wenn auch inzident, die von den Investoren geltend gemachten Bestimmungen des ICSID-Übereinkommens prüft: Die Frage, wie diese Bestimmungen auszulegen waren, hätte unmittelbare Auswirkungen auf die Gültigkeit und/oder Wirksamkeit der drei Beschlüsse der Kommission gehabt(61).

3)      Unterschiedliche Rechtsfragen in den Verfahren im Vereinigten Königreich und in der Union

96.      Drittens ist die Feststellung des Supreme Court, dass die in dem bei ihm anhängigen Verfahren von den Investoren aufgeworfene Frage nach Art. 351 AEUV mit der im Verfahren vor den Unionsgerichten aufgeworfenen Frage nicht vollständig deckungsgleich sei, wiederum jedoch sowohl von begrenzter Bedeutung als auch in gewissem Maße unzutreffend.

97.      Zunächst ist für mich schwer ersichtlich, warum es eine Rolle spielen sollte, ob die Investoren sich in den verschiedenen, vor den Unionsgerichten und den nationalen Gerichten eingeleiteten Verfahren auf die Art. 53 und/oder 54 des ICSID-Übereinkommens berufen haben. Beide Bestimmungen betreffen die Anerkennung und Vollstreckung von Schiedssprüchen. Es handelt sich im Wesentlichen um Bestimmungen, die sich an andere Rechtssubjekte richten und andere Rechtsbehelfe in Bezug auf die Vollstreckung von Schiedssprüchen festlegen, um insoweit eine symmetrische Verpflichtung zwischen Staaten und Investoren herzustellen(62).

98.      Die Gefahr einer „erheblichen Behinderung der Anwendung des Unionsrechts“(63) bestand unabhängig von der konkreten Rechtsgrundlage, auf die die Investoren sich in den verschiedenen Verfahren beriefen. Für Art. 4 Abs. 3 EUV und die Masterfoods-Rechtsprechung wirklich maßgeblich ist das Nebeneinander mehrerer Verwaltungs- und Gerichtsverfahren innerhalb der Europäischen Union – die alle denselben Schiedsspruch betrafen und in dem Ziel übereinstimmten, die Wirkungen des abschließenden Beschlusses der Kommission von 2015 zu beenden (indem er auf Unionsebene für nichtig erklärt und auf nationaler Ebene umgangen wird).

99.      Zudem ist die vom Supreme Court getroffene Feststellung betreffend den Unterschied in Bezug auf die Ansprüche der Investoren nicht ganz zutreffend. Der Supreme Court hat selbst anerkannt, dass die Investoren sich im Verfahren vor den Unionsgerichten tatsächlich nicht nur auf Art. 53, sondern auch auf Art. 54 des ICSID-Übereinkommens gestützt hätten(64). Gleiches gilt für das Verwaltungsverfahren vor der Kommission, denn der abschließende Beschluss von 2015 bezieht sich auf beide Bestimmungen(65).

100. Ebenso erscheint die Tatsache für die vorliegende Rechtssache unerheblich, dass Fragen zum Bestehen und Umfang der Pflichten des Vereinigten Königreichs nach dem ICSID-Übereinkommen im Verfahren vor den Unionsgerichten nicht aufgeworfen wurden. Da das Vereinigte Königreich an dem Beihilfeverfahren, das zu dem abschließenden Beschluss von 2015 führte, in keiner Weise beteiligt war, gab es selbstverständlich keinen Grund, sich mit der spezifischen Rechtslage dieses Mitgliedstaats auseinanderzusetzen.

101. Gleichwohl unterscheiden sich die Pflichten des Vereinigten Königreichs nach dem ICSID-Übereinkommen, soweit mir ersichtlich, nicht grundlegend von denjenigen der anderen Mitgliedstaaten der Union, die mit Ausnahme von Polen alle ebenfalls Vertragsparteien dieses Übereinkommens sind. Hierzu gehören nicht nur Rumänien (der Mitgliedstaat, der die mutmaßliche Beihilfe gewährt hat), sondern auch Belgien, Luxemburg und Schweden (in denen parallele Verfahren anhängig waren). Somit wären alle von den Unionsgerichten zur Anwendbarkeit des ICSID-Übereinkommens auf der Grundlage von Art. 351 AEUV in dem bei ihnen (oder bei nationalen Gerichten) anhängigen Rechtsstreit getroffenen Feststellungen in entsprechender Weise auch auf das Verfahren im Vereinigten Königreich übertragbar gewesen.

102. Zwar gehörte die Anwendbarkeit von Art. 351 Abs. 1 AEUV nicht zu den Fragen, über die vom Gericht im Rahmen der Nichtigerklärung des abschließenden Beschlusses von 2015 entschieden wurde, und folglich auch nicht zu den Fragen, die in dem zu jenem Zeitpunkt beim Gerichtshof anhängigen Rechtsmittelverfahren aufgeworfen wurden.

103. Dies bedeutete jedoch nicht, dass, wie vom Supreme Court festgestellt, „die Möglichkeit fernliegend [ist], dass [die Unionsgerichte] sich mit der Anwendbarkeit von Art. 351 Abs. 1 AEUV auf vor dem Beitritt entstandene Pflichten nach dem ICSID-Übereinkommen … befassen“, oder anders ausgedrückt, dass „die Möglichkeit, dass die Unionsgerichte [diese] Frage zu einem künftigen Zeitpunkt prüfen [könnten], sowohl ungewiss als auch fernliegend [ist]“(66). Der Supreme Court hatte selbst festgestellt, dass die Pflicht zur loyalen Zusammenarbeit grundsätzlich entstehe, wenn „beim Gerichtshof ein Rechtsmittel mit realistischen Erfolgsaussichten anhängig ist“(67).

104. Wenn die Kommission mit ihrem Rechtsmittel obsiegt hätte (was dann tatsächlich eintrat(68)), hätte der Gerichtshof entweder die Sache zur erneuten Beurteilung an das Gericht zurückverweisen oder über die Frage selbst endgültig entscheiden können. In beiden Fällen hätte dies dazu geführt, dass die Nichtigkeitsgründe der Investoren behandelt worden wären, über die mit dem vom Gerichtshof aufgehobenen Urteil nicht entschieden worden war(69). Einer dieser Gründe betraf gerade den angeblichen Verstoß der Kommission, Art. 351 Abs. 1 AEUV nicht ordnungsgemäß angewendet zu haben(70).

105. Wenn die Kommission dagegen im Rechtsmittelverfahren unterlegen wäre, hätte sie ihre Prüfung der mutmaßlichen Beihilfemaßnahme wieder aufnehmen und das Vorbringen der Investoren erneut prüfen müssen, einschließlich des Vorbringen zur Anwendbarkeit von Art. 351 Abs. 1 AEUV und in seiner Folge des ICSID-Übereinkommens(71). Es versteht sich von selbst, dass eine solche Feststellung von den Investoren im Verfahren vor den Unionsgerichten hätte angefochten werden können.

106. Das Vorbringen der Investoren zur Anwendbarkeit von Art. 351 Abs. 1 AEUV und des ICSID-Übereinkommens wäre somit früher oder später zwangsläufig von den Unionsgerichten explizit behandelt worden. Oder besser gesagt: Da die Investoren dieses Vorbringen ausdrücklich geltend gemacht hatten, hätte ein für sie ungünstiger Beschluss der Kommission unter keinen Umständen bestandskräftig werden können, ohne dass dieses Vorbringen von den Unionsgerichten geprüft worden wäre.

107. Nicht zuletzt hätte der Supreme Court dann, wenn seiner Auffassung nach die Besonderheiten des bei ihm anhängigen Verfahrens, was die von den Investoren geltend gemachte Bestimmung des ICSID-Übereinkommens und/oder die Rechtslage des Vereinigten Königreichs in Bezug auf das ICSID-Übereinkommens anging, Fragen aufwarfen, die sowohl für die Entscheidung über den Rechtsstreit relevant waren als auch von den Unionsgerichten im Verfahren European Food vermutlich nicht behandelt werden würden, dem Gerichtshof ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV vorlegen können. Diese Fragen wurden, wie erläutert, im Zusammenhang mit dem Anwendungsbereich von Art. 351 Abs. 1 AEUV aufgeworfen und fallen somit in die Zuständigkeit des Gerichtshofs. Insbesondere war ein Vorabentscheidungsersuchen unter diesen Umständen nach Art. 86 Abs. 2 des Austrittsabkommens zulässig.

108. Im Ergebnis hat der Supreme Court über Fragen der Auslegung des Unionsrechts entschieden, die Gegenstand eines Beschlusses der Kommission gewesen waren, dessen Gültigkeit in einem zu jenem Zeitpunkt bei den Unionsgerichten anhängigen Verfahren überprüft wurde. Das von den Investoren hierzu im Verfahren sowohl vor dem Supreme Court als auch vor den Unionsgerichten geltend gemachte Vorbringen implizierte zwangsläufig die Ungültigkeit des betreffenden Beschlusses der Kommission. Es bestand eine tatsächliche und konkrete Gefahr, dass über dieselbe Frage innerhalb der Europäischen Union einander widersprechende Entscheidungen (im Verwaltungs- und/oder Gerichtsverfahren) ergehen. Demnach hat der Supreme Court dadurch, dass er es abgelehnt hat, das Verfahren, wie nach der Masterfoods-Rechtsprechung erforderlich, auszusetzen, gegen die in Art. 4 Abs. 3 EUV verankerte Pflicht zur loyalen Zusammenarbeit verstoßen. Die erste Rüge der Kommission dürfte daher begründet sein.

D.      Zweite Rüge: Verstoß gegen Art. 351 Abs. 1 AEUV

1.      Vorbringen der Parteien

109. Mit ihrer zweiten Rüge macht die Kommission geltend, dass das beanstandete Urteil dadurch gegen Art. 351 Abs. 1 AEUV verstoßen habe, dass festgestellt worden sei, dass das Unionsrecht auf die Vollstreckung des Schiedsspruchs im Vereinigten Königreich keine Anwendung gefunden habe, weil das Vereinigte Königreich allen anderen Vertragsstaaten des ICSID, einschließlich dritten Ländern, gegenüber nach Art. 54 des ICSID-Übereinkommens zur Vollstreckung des Schiedsspruchs verpflichtet gewesen sei.

110. Die Kommission bringt vor, Art. 351 Abs. 1 AEUV sei in der vorliegenden Rechtssache nicht anwendbar; durch seine gegenteilige Feststellung habe der Supreme Court den Anwendungsbereich dieser Bestimmung unzulässig erweitert. Diese Schlussfolgerung ergebe sich aus einer fehlerhaften Auslegung zweier Formulierungen in Art. 351 AEUV, die beide autonome Begriffe des Unionsrechts darstellen: „Rechte [von] einem oder mehreren dritten Ländern“ und „durch die Verträge … berührt“.

111. Erstens seien keine „Rechte [von] einem oder mehreren dritten Ländern“ im Zusammenhang mit der Pflicht des Vereinigten Königreichs zur Vollstreckung des Schiedsspruchs nach Art. 54 des ICSID-Übereinkommens betroffen gewesen, da die vorliegende Rechtssache nur Mitgliedstaaten der Union betroffen habe. Zweitens sei keine Pflicht des Vereinigten Königreichs aus dem ICSID-Übereinkommen „durch die Verträge berührt“ gewesen, da die einschlägigen Bestimmungen dieses Übereinkommens in einer Weise ausgelegt werden könnten, die jeden Widerspruch zu den einschlägigen Bestimmungen der Unionsverträge vermeide.

2.      Würdigung

112. Aus den nachstehend dargelegten Gründen ist die zweite Rüge der Kommission meines Erachtens zurückzuweisen.

a)      Kann ein Mitgliedstaat gegen Art. 351 Abs. 1 AEUV verstoßen?

113. In ihrer Antwort auf das Mahnschreiben trat die Regierung des Vereinigten Königreichs der von der Kommission erhobenen Rüge eines Verstoßes gegen Art. 351 Abs. 1 AEUV entgegen und verwies auf den Wortlaut dieser Bestimmung, der den Mitgliedstaaten offenbar keine Verpflichtung auferlege.

114. Zunächst mag der Hinweis darauf sinnvoll sein, dass Art. 351 Abs. 1 AEUV eine Regelung einführt, die auf etwaige Konflikte Anwendung finden soll, die sich aus der gleichzeitigen Anwendung zweier Regelungskomplexe ergeben(72), nämlich der Unionsverträge einerseits und früherer Übereinkünfte andererseits. In dieser Bestimmung kommen anerkannte Grundsätze des Völkerrechts zur Anwendung aufeinander folgender Verträge und zu den Wirkungen von Verträgen gegenüber Drittstaaten zum Ausdruck, wie beispielsweise die Grundsätze pacta sunt servanda, pacta tertiis nec nocent nec prosunt und res inter alios acta(73). Diese stellen Grundsätze dar, die im WÜRV(74)kodifiziert wurden und deren Stellenwert in der Unionsrechtsordnung vom Gerichtshof stets anerkannt worden ist(75).

115. Mit Art. 351 Abs. 1 AEUV soll daher gemäß den vorgenannten Grundsätzen des Völkerrechts klargestellt werden, dass die Anwendung der Unionsverträge nicht die Pflicht der Mitgliedstaaten berührt, die Rechte von Drittländern aus früher geschlossenen Übereinkünften zu wahren und ihre sich daraus ergebenden Verpflichtungen zu erfüllen(76). Demnach dürfen die Mitgliedstaaten, sofern die entsprechenden Voraussetzungen erfüllt sind, Unionsregelungen unangewendet lassen, soweit dies zur Einhaltung früherer Übereinkünfte erforderlich ist(77).

116. Der Gerichtshof hat jedoch festgestellt, dass die in Art. 351 Abs. 1 AEUV verankerte Regelung „ihren Zweck verfehlen würde, wenn mit ihr nicht stillschweigend eine Verpflichtung der [Unionsorgane] begründet würde, die Erfüllung der Pflichten, die sich für die Mitgliedstaaten aus früheren Übereinkünften ergeben, nicht zu behindern“(78). Wenn dies der Fall ist, ist es richtig, dass sich aus dieser Bestimmung für die Unionsorgane implizit eine Verpflichtung ergibt.

117. Zwar könnte man Art. 351 Abs. 1 AEUV dahin auslegen, dass er, wenngleich implizit, auch eine Verpflichtung der Mitgliedstaaten festlegt, und zwar eine Verpflichtung, die als „spiegelbildlich“ zu derjenigen der Unionsorgane angesehen werden könnte, nämlich die Anwendung des Unionsrechts dann, wenn die Voraussetzungen von Art. 351 Abs. 1 AEUV nicht erfüllt sind, nicht zu behindern. Mit anderen Worten wäre es den Mitgliedstaaten verwehrt, in Fällen, die nicht in den Anwendungsbereich dieser Vertragsbestimmung fallen, den Bestimmungen früherer Übereinkünfte Vorrang vor mit diesen in Widerspruch stehenden Unionsvorschriften einzuräumen. Dieses „in zwei Richtungen“ laufende Verständnis der Bestimmung könnte vielleicht dadurch gerechtfertigt werden, dass Art. 351 AEUV in diesem Bereich häufig als Ausdruck des Grundsatzes der loyalen Zusammenarbeit(79) betrachtet wird; nach diesem Grundsatz sind, wie erwähnt, sowohl die Unionsorgane als auch die Mitgliedstaaten zu loyalem Handeln verpflichtet.

118. Die Bedeutung und, wenn ich dies so formulieren darf, der Mehrwert einer solchen Verpflichtung dürften jedoch gegen null gehen. Einfach ausgedrückt, bestände die in Art. 351 Abs. 1 AEUV aufgestellte Verpflichtung für die Mitgliedstaaten lediglich darin, das Unionsrecht einzuhalten, sofern die darin vorgesehene Ausnahme nicht anwendbar ist – eine Binsenweisheit. Es könnte nämlich keinen eigenständigen Verstoß gegen Art. 351 Abs. 1 AEUV geben; jeder Verstoß würde sich automatisch und stillschweigend aus dem Verstoß gegen eine andere Regelung des Unionsrechts ableiten.

119. Vor allem aber ließe sich die von der Kommission vertretene Auslegung kaum mit dem Sinn und Zweck sowie dem Wortlaut von Art. 351 Abs. 1 AEUV vereinbaren(80). Diese Bestimmung ist grundsätzlich eine Erlaubnisregelung, die den Mitgliedstaaten gestattet, das Unionsrecht in bestimmten Fällen unangewendet zu lassen. Somit ist ihre Funktion diejenige eines „Schutzschilds“, d. h. eines möglichen Verteidigungsmittels, das von einem Mitgliedstaat geltend gemacht werden kann, dem ein Verstoß gegen eine Unionsvorschrift vorgeworfen wird. Dagegen ist, anders als bei den Abs. 2 und 3 dieser Bestimmung – die, wie oben erläutert, bestimmte konkrete Pflichten der Mitgliedstaaten festlegen – meines Erachtens nicht ersichtlich, inwieweit Art. 351 Abs. 1 AEUV im Rahmen eines Vertragsverletzungsverfahrens sinnvollerweise als „Schwert“ genutzt werden könnte(81).

120. Im Ergebnis kann Art. 351 Abs. 1 AEUV meines Erachtens in einem Verfahren nach Art. 258 AEUV nicht Grundlage eines Anspruchs sein; somit ist die zweite Rüge der Kommission zurückzuweisen.

121. Für den Fall jedoch, dass der Gerichtshof mit meiner Würdigung dieser Vorfrage nicht übereinstimmen sollte, werde ich angesichts der offensichtlichen Zusammenhänge zwischen den jeweiligen Fragestellungen, die von der Kommission im Rahmen ihrer zweiten Rüge und im Rahmen der weiteren drei Rügen aufgeworfen werden, jedenfalls erläutern, warum der Supreme Court Art. 351 Abs. 1 AEUV meines Erachtens unzutreffend ausgelegt hat.

b)      Anwendungsbereich von Art. 351 Abs. 1 AEUV

122. Nach dem Wortlaut von Art. 351 Abs. 1 AEUV müssen für die Anwendung dieser Bestimmung zwei Voraussetzungen erfüllt sein: i) Die Übereinkunft muss vor dem Inkrafttreten des damaligen EWG-Vertrags oder dem Beitritt des Mitgliedstaats zur Europäischen Union geschlossen worden sein, und ii) ein Drittland muss aus dieser Übereinkunft Rechte herleiten können, deren Beachtung es von dem betreffenden Mitgliedstaat verlangen kann(82).

123. Der Supreme Court sah im beanstandeten Urteil diese Voraussetzungen deshalb als erfüllt an, weil i) das ICSID-Übereinkommen für das Vereinigte Königreich eine „frühere Übereinkunft“ im Sinne von Art. 351 Abs. 1 AEUV ist und ii) das Vereinigte Königreich allen anderen Vertragsstaaten gegenüber die sich aus Art. 54 des ICSID-Übereinkommens ergebenden Pflichten hat. Er kam daher zu dem Schluss, dass die Investoren ihren bei den Gerichten des Vereinigten Königreichs gestellten Antrag auf Vollstreckung des Schiedsspruchs auf die Unionsbestimmung stützen konnten.

124. Was die erstgenannte Voraussetzung angeht, stimme ich hiermit selbstverständlich überein: Das Vereinigte Königreich hat das ICSID-Übereinkommen 1966, also vor seinem Beitritt zu den damaligen Gemeinschaften im Jahr 1973, ratifiziert(83).

125. Dagegen sind die Feststellungen des Supreme Court, was die zweite Voraussetzung angeht, meines Erachtens aus mehreren Gründen nicht überzeugend.

126. Um zu erläutern, warum ich dieser Ansicht bin, werde ich zunächst versuchen, etwas Klarheit in den Anwendungsbereich von Art. 351 Abs. 1 AEUV zu bringen; dies könnte zugestandenermaßen ausgehend von der bestehenden Rechtsprechung ein nicht ganz eindeutiger Punkt sein. Insoweit erscheint mir sinnvoll, mit der Prüfung des Ziels und des Wortlauts dieser Bestimmung zu beginnen.

1)      Ziel und Wortlaut von Art. 351 Abs. 1 AEUV

127. Das unmittelbare Ziel von Art. 351 Abs. 1 AEUV besteht darin, die Rechte dritter Staaten dadurch zu wahren(84), dass den Mitgliedstaaten gestattet wird, frühere Übereinkünfte einzuhalten, sofern sie zu Unionsregelungen im Widerspruch stehen(85), ohne dass dies zu einem Verstoß gegen das Unionsrecht führt(86). Das übergeordnete Ziel dieser Bestimmung besteht jedoch darin, die Mitgliedstaaten davor zu bewahren, infolge später nach dem Unionsrecht eingegangener Verpflichtungen rechtswidrige Handlungen zu begehen, die nach den Regeln des Völkerrechts ihre völkerrechtliche Verantwortlichkeit begründen, die von Drittstaaten geltend gemacht werden könnte.

128. Der Gerichtshof hat nämlich entschieden, dass Art. 351 Abs. 1 AEUV nicht anwendbar ist, wenn die Rechte dritter Länder nicht berührt sind(87). Eine Berufung auf diese Bestimmung ist daher im Fall von nur zwischen Mitgliedstaaten geschlossenen Übereinkünften(88) und im Fall von mit Drittstaaten geschlossenen Übereinkünften, wenn sie im Rahmen der Beziehungen zu Mitgliedstaaten geltend gemacht werden, nicht möglich(89). Wie in der Lehre hervorgehoben, hat der Gerichtshof stets den Grundsatz bestätigt, dass Art. 351 AEUV in unionsinternen Beziehungen keine Anwendung finden kann(90).

129. Daher hat der Gerichtshof von der sehr frühen Rechtsprechung an klargestellt, dass die Formulierung „Rechte und Pflichten aus Übereinkünften“ in Art. 351 Abs. 1 AEUV dahin zu verstehen ist, dass sie sich auf die Rechte dritter Länder und die Pflichten der Mitgliedstaaten bezieht(91). Mitgliedstaaten können kein „Recht“ geltend machen, das sich aus früheren Übereinkünften ergibt(92).

130. Zwischen diesen beiden Elementen besteht eine untrennbare Verbindung. Nur wenn ein Drittland ein Recht hat, das gegenüber einem Mitgliedstaat geltend gemacht werden kann, erlaubt das Unionsrecht dem Letzteren (verpflichtet ihn(93) aber nicht dazu), die „entsprechenden Verpflichtungen“ zu erfüllen(94). Wenn nämlich eine frühere Übereinkunft einem Mitgliedstaat gestattet, eine Maßnahme zu treffen, die mit dem Unionsrecht unvereinbar ist, ohne ihn jedoch dazu zu verpflichten, entbindet Art. 351 Abs. 1 AEUV diesen Mitgliedstaat nicht von der Einhaltung der einschlägigen Unionsvorschriften(95). Ebenso hat der Gerichtshof entschieden, dass Art. 351 Abs. 1 AEUV keine Anwendung finden kann, wenn es dem Wunsch eines Drittstaats entspricht, dass die frühere Übereinkunft beendet wird(96). Gleiches muss meines Erachtens auch für einen Drittstaat gelten, der in die Nichteinhaltung der früheren Übereinkunft ausdrücklich eingewilligt oder auf seine Rechte verzichtet hat(97).

131. Die Bestimmung des Rechts des Drittstaats und der Pflicht des Mitgliedstaats, die miteinander im Zusammenhang stehen, ist somit von zentraler Bedeutung dafür, die Anwendbarkeit von Art. 351 Abs. 1 AEUV im konkreten Einzelfall festzustellen.

132. An dieser Stelle erscheint wichtig, zwischen verschiedenen Arten von Übereinkünften zu unterscheiden.

133. Was bilaterale Übereinkünfte angeht – d. h. Übereinkünfte zwischen einem Mitgliedstaat und einem Drittstaat – dürfte die Feststellung, ob im Sinne von Art. 351 Abs. 1 AEUV ein konkretes Recht eines Drittstaats und die ihm entsprechende Pflicht eines Mitgliedstaats vorliegen, normalerweise keine größeren Probleme bereiten.

134. Dagegen ist bei multilateralen Übereinkünften – d. h. Übereinkünften, denen ein oder mehrere Mitgliedstaaten neben einem oder mehreren Drittstaaten angehören – die Situation möglicherweise nicht immer ganz eindeutig. Fragen der Anwendung von Art. 351 Abs. 1 AEUV könnten sich nämlich möglicherweise in unionsinternen Konstellationen stellen, an denen, wie in der vorliegenden Rechtssache, ausschließlich zwei oder mehr Mitgliedstaaten unmittelbar beteiligt sind(98). Unter welchen Umständen ist Art. 351 Abs. 1 AEUV in einem solchen Fall anwendbar?

135. Insoweit stimme ich mit der Kommission darin überein, dass nach Art. 351 Abs. 1 AEUV zwischen multilateralen Übereinkünften, die Verpflichtungen kollektiver Art enthalten, und multilateralen Übereinkünften, die Verpflichtungen bilateraler oder gegenseitiger Art enthalten, zu unterscheiden ist(99).

136. In der ersten Kategorie von Übereinkünften kann die Nichterfüllung einer Pflicht aus der Übereinkunft durch eine Vertragspartei den Genuss der sich aus der Übereinkunft ergebenden Rechte anderer Parteien beeinträchtigen oder die Verwirklichung des Ziels der Übereinkunft gefährden(100). In diesen Fällen bestehen die sich daraus ergebenden Pflichten gegenüber einer Gruppe von Staaten (erga omnes partes) oder gegenüber der internationalen Gemeinschaft insgesamt (erga omnes). In solchen Fällen kann Art. 351 Abs. 1 AEUV in der Tat anwendbar sein und somit gegen die Gültigkeit eines Unionsrechtsakts geltend gemacht werden, und zwar auch bei Streitigkeiten, an denen nur Unionsakteure beteiligt sind(101). Diese Konstellationen mögen nämlich zwar auf tatsächlicher Ebene rein unionsintern sein, auf rechtlicher Ebene sind sie dies jedoch nicht.

137. Umgekehrt betrifft in der zweiten Kategorie von Übereinkünften die Nichterfüllung einer Pflicht aus der früheren Übereinkunft durch einen Vertragsstaat typischerweise nur einen oder mehrere bestimmte Vertragsstaaten, nämlich diejenigen, die von der fraglichen Sachverhaltskonstellation betroffen sind. In diesen Fällen liegt kein Eingriff in den Genuss der Rechte anderer Vertragsstaaten aus der Übereinkunft vor(102). Ist dies der Fall, findet folglich in diesen Fällen dann, wenn die von der Nichterfüllung durch einen Mitgliedstaat betroffenen Vertragsstaaten andere Mitgliedstaaten sind, Art. 351 Abs. 1 AEUV keine Anwendung. Da es kein Recht eines Drittstaats gibt, das zum Tragen kommt, besteht keine Notwendigkeit, die Anwendung des Unionsrechts auszuschließen, um eine hieraus entstehende völkerrechtliche Verantwortlichkeit eines Mitgliedstaats abzuwenden.

138. In diesem Zusammenhang möchte ich hinzufügen, dass ich wiederum mit der Kommission übereinstimme, soweit sie vorbringt, dass das bloße tatsächliche Interesse (im Gegensatz zu einem rechtlichen Interesse) der Vertragsstaaten, sicherzustellen, dass alle anderen Vertragsstaaten eine multilaterale Übereinkunft einhalten, für die Anwendung von Art. 351 Abs. 1 AEUV nicht ausreicht(103). Der Wortlaut dieser Bestimmung bezieht sich auf „Rechte“, und dieser Begriff wird auch in der einschlägigen Rechtsprechung des Gerichtshofs durchgängig verwendet(104).

2)      Eine Bestimmung mit weitreichenden Folgen und einem allgemeinen, aber nicht zu weiten Anwendungsbereich

139. Wie vom Supreme Court zutreffend festgestellt, hat Art. 351 AEUV einen allgemeinen Anwendungsbereich; er gilt nämlich für alle internationalen Übereinkünfte, die sich auf die Anwendung der Unionsverträge auswirken können, unabhängig von ihrem Gegenstand(105).

140. Dies bedeutet jedoch nicht, dass die in seinem Absatz 1 vorgesehene Ausnahme einen weiten Anwendungsbereich hat. Im Blick zu behalten ist, dass Art. 351 Abs. 1 AEUV vom Grundsatz des Vorrangs abweicht, einem der zentralen Pfeiler, auf dem die Unionsrechtsordnung beruht. Sofern die Voraussetzungen erfüllt sind, kann, außer in Ausnahmefällen(106), jede Bestimmung einer früheren Übereinkunft Vorrang vor einer hierzu im Widerspruch stehenden Bestimmung des Unionsrechts, einschließlich des Primärrechts, haben(107). Dies gilt unabhängig von den Auswirkungen, die die Nichtanwendung dieser Unionsvorschriften auf die Rechte und Interessen der anderen Mitgliedstaaten und auf das ordnungsgemäße Funktionieren der Union selbst haben kann.

141. Angesichts der potenziell weitreichenden Folgen, die sich aus der Anwendung dieser Bestimmung ergeben, ist der Auslegungsgrundsatz, wonach Ausnahmen eng auszulegen sind, damit die allgemeinen Regelungen nicht ausgehöhlt werden, in diesem Zusammenhang offenkundig in besonderem Maße relevant(108).

142. Im Licht der vorstehenden Erwägungen werde ich mich nun den relevanten Passagen des beanstandeten Urteils zuwenden.

c)      Art. 351 Abs. 1 AEUV im beanstandeten Urteil

143. In der vorliegenden Rechtssache war, wie vom Supreme Court festgestellt(109), von zentraler Bedeutung, zu bestimmen, ob die fragliche frühere Übereinkunft dem betreffenden Mitgliedstaat Pflichten auferlegte, deren Erfüllung die der Übereinkunft beigetretenen Drittstaaten weiterhin verlangen konnten. Diese Prüfung wurde vom Supreme Court im beanstandeten Urteil in der Weise vorgenommen, dass er die dem einen Mitgliedstaat (dem Vereinigten Königreich) obliegende Pflicht aus der einen internationalen Übereinkunft (dem ICSID-Übereinkommen) zur Vollstreckung des Schiedsspruchs untersuchte.

144. Meines Erachtens ist der insoweit vom Supreme Court verfolgte Ansatz in dreierlei Hinsicht problematisch.

145. Erstens wurde in der Prüfung des Supreme Court, in deren Mittelpunkt nahezu ausschließlich die Pflichten des Vereinigten Königreichs nach Art. 54 des ICSID-Übereinkommens standen, kein entsprechendes Recht von Drittstaaten bestimmt.

146. Wie vorstehend erläutert, kann die Bedeutung der Verbindung zwischen diesen beiden Elementen im Sinne von Art. 351 Abs. 1 AEUV kaum überbewertet werden. Nach dieser Bestimmung ist nämlich erforderlich, dass ein Drittland, das Vertragspartei der Übereinkunft ist, aus dieser Übereinkunft ein Recht herleiten kann, dessen Beachtung es von dem betreffenden Mitgliedstaat verlangen kann.

147. Es handelt sich somit nicht um eine Frage, die ausgeblendet werden kann. Könnte beispielsweise dann, wenn angenommen würde, die Gerichte des Vereinigten Königreichs hätten die Vollstreckung des in Rede stehenden Schiedsspruchs abgelehnt(110), jeder einzelne Drittstaat, der Vertragspartei des ICSID-Übereinkommens ist (derzeit deutlich mehr als 150), die völkerrechtliche Verantwortlichkeit des Vereinigten Königreichs für diese Ablehnung geltend machen und gegen diesen Staat im Wege der im Völkerrecht vorgesehenen Verfahren(111) vorgehen, um eine Beendigung der rechtswidrigen Handlung und/oder eine Wiedergutmachung für den entstandenen Schaden zu erwirken? Diese Frage ist trotz ihrer Bedeutung im beanstandeten Urteil nicht behandelt worden.

148. Zweitens war der Prüfungsmaßstab, den der Supreme Court der Bestimmung einer gegenüber einem Drittstaat bestehenden Pflicht zugrunde gelegt hat, meines Erachtens recht niedrig. Gemeint ist damit, dass die Voraussetzungen dafür, dass eine sich aus einer internationalen Übereinkunft ergebende Verpflichtung als kollektiv (in der vorliegenden Rechtssache erga omnes partes) und nicht als bilateral oder gegenseitig anzusehen ist, nach den vom Supreme Court zugrunde gelegten Erwägungen leicht erfüllt sein dürften.

149. Im beanstandeten Urteil fehlt es sicherlich nicht an Verweisen auf internationale und akademische Quellen, aber bei genauerer Prüfung erscheint keine dieser Quellen für die Frage konkret oder abschließend einschlägig. Mit Ausnahme von zwei Angaben(112) sind alle übrigen Quellen in diesem Punkt recht vage, und die Schlussfolgerungen des Supreme Court werden implizit abgeleitet(113). Meines Erachtens lässt sich sagen, dass diese Quellen zumeist darauf hinweisen dürften, dass ein Interesse allgemeiner Natur der Vertragsparteien des ICSID-Übereinkommens daran bestehe, dass die Übereinkunft unter allen Umständen eingehalten werde(114). Wie oben ausgeführt, reicht dies jedoch für die Anwendung von Art. 351 Abs. 1 AEUV nicht aus.

150. Drittens konnte, auch wenn mir bewusst ist, dass die Hauptfrage, um die es im Verfahren vor dem Supreme Court ging, die Wirkungen des ICSID-Übereinkommens gegenüber dem Vereinigten Königreich betraf (einfach ausgedrückt: „Ist das Vereinigte Königreich nach dieser Übereinkunft zur Vollstreckung des Schiedsspruchs verpflichtet?“), diese Frage nicht „klinisch isoliert“ vom Kontext des Rechtsstreits geprüft werden.

151. Die rechtliche und tatsächliche Konstellation des Rechtsstreits war nämlich durchaus komplex: Sie umfasste drei verschiedene Staaten (das Vereinigte Königreich, Rumänien und Schweden) und zwei verschiedene internationale Übereinkünfte (das BIT und das ICSID-Übereinkommen).

152. Der Schiedsspruch erkannte den Investoren eine Entschädigung mit der Begründung zu, dass Rumänien nach Ansicht des Schiedsgerichts gegen die Bestimmungen des BIT verstoßen habe, indem es keine faire und gleiche Behandlung sichergestellt, das berechtigte Vertrauen der Investoren verletzt und nicht transparent gehandelt habe(115). Aus dem BIT ergaben sich somit die materiellen Verpflichtungen, die Rumänien gegenüber Schweden eingegangen war. Ebenso ergab sich aus Art. 8 Abs. 6 BIT die Verpflichtung, die Rumänien gegenüber Schweden zur Zahlung der den betreffenden schwedischen Staatsangehörigen zugesprochenen Entschädigung hatte(116).

153. Indem der Supreme Court seine Prüfung auf eine einzige, sich aus dem Rechtsstreit ergebende Verfahrensfrage beschränkte und eine internationale Übereinkunft außer Betracht ließ, hat er das grundlegende Rechtsverhältnis, aus dem der Rechtsstreit entstand, aus dem Blick verloren, nämlich dasjenige zwischen Rumänien auf der einen und Schweden und seinen Staatsangehörigen auf der anderen Seite.

154. Nach der vom Supreme Court vertretenen Auslegung von Art. 351 Abs. 1 AEUV würden einige Konstellationen, die rein unionsintern sind – da nur Mitgliedstaaten und ihre Staatsangehörigen, und zwar nicht nur tatsächlich, sondern auch rechtlich, betroffen sind – durch die Bestimmungen früherer internationaler Übereinkünfte geregelt, obwohl sie unter die Unionsverträge fallen und einigen Unionsvorschriften widersprechen. Dies wäre meines Erachtens mit dem Wortlaut von Art. 351 Abs. 1 AEUV unvereinbar und mit Blick auf die Erreichung seines Ziels unnötig. Es stände ebenso nicht im Einklang mit der bestehenden Rechtsprechung, wonach ihre Anwendung auf rein unionsinterne Beziehungen ausgeschlossen ist.

155. Diese weite Auslegung von Art. 351 Abs. 1 AEUV würde in einer Reihe von Fällen auch eine relativ einfache Möglichkeit für Einzelpersonen schaffen, die Verbindlichkeit der Unionsvorschriften zu umgehen(117). Insoweit darf nicht übersehen werden, dass Art. 351 AEUV in erster Linie eine Bestimmung ist, die zwischenstaatliche Beziehungen regelt. Wie der Gerichtshof festgestellt hat, handelt es sich dabei um eine neutrale Bestimmung, die keine Änderung der Natur der Rechte zur Folge haben kann, die sich aus früheren Übereinkünften möglicherweise ergeben. Daraus folgt, dass „diese Bestimmung nicht etwa Einzelnen, die sich auf eine [frühere Übereinkunft] berufen, von den Gerichten der Mitgliedstaaten zu schützende Rechte verleiht. Ebenso wenig beeinträchtigt sie die Rechte, die Einzelnen aufgrund einer solchen Übereinkunft möglicherweise zustehen.“(118)

156. Daher ist die Frage, ob Einzelpersonen (wie den Investoren) nach einer früheren Übereinkunft ein Recht zusteht, für die Anwendung von Art. 351 Abs. 1 AEUV zumeist unerheblich. Zugunsten von Einzelpersonen kann diese Bestimmung nur mittelbar insoweit wirken, als sie nachweisen können, dass eine Unionsvorschrift oder ‑maßnahme einen Mitgliedstaat dazu verpflichtet, gegen eine Pflicht zu verstoßen, die er gegenüber einem Drittstaat aufgrund einer früheren Übereinkunft hat, und dies die völkerrechtliche Verantwortlichkeit dieses Mitgliedstaats begründen könnte.

157. Im Ergebnis hat der Supreme Court meines Erachtens im beanstandeten Urteil Art. 351 Abs. 1 AEUV dadurch fehlerhaft ausgelegt und angewendet, dass er dieser Bestimmung einen zu weiten Anwendungsbereich beigemessen hat. Insbesondere hat er den Ausdruck „Rechte und Pflichten aus Übereinkünften“ dadurch falsch ausgelegt, dass er nicht zutreffend beurteilt hat, wie dieser Begriff im Rahmen multilateraler Übereinkünfte insbesondere dann zu prüfen ist, wenn kein Drittstaat oder Drittstaatsangehöriger betroffen ist.

158. Ungeachtet dessen ist die zweite Rüge der Kommission aus den oben in den Nrn. 113 bis 120 dargelegten Gründen zurückzuweisen.

E.      Dritte Rüge: Verstoß gegen Art. 267 AEUV

1.      Vorbringen der Parteien

159. Mit ihrer dritten Rüge macht die Kommission geltend, dass die Verkündung des beanstandeten Urteils durch den Supreme Court, ohne dass der Gerichtshof um eine Vorabentscheidung ersucht worden sei, in zweifacher Hinsicht gegen Art. 267 AEUV verstoßen habe.

160. Die Kommission macht geltend, der Supreme Court habe dadurch, dass er keine Frage nach der Gültigkeit des Eröffnungsbeschlusses und der Aussetzungsanordnung zur Vorabentscheidung vorgelegt habe, gegen die Verpflichtung nach Art. 267 Abs. 1 Buchst. b AEUV verstoßen. Das beanstandete Urteil führe dazu, dass diese Entscheidungen wirkungslos würden. Dadurch, dass er diesen Entscheidungen – aufgrund derer das Durchführungsverbot hätte gewahrt und somit die Zahlung der in Rede stehenden Beihilfe hätte unterlassen werden müssen – keine Wirkung verliehen habe, habe der Supreme Court somit so gehandelt, als ob diese Handlungen ungültig wären.

161. Außerdem habe der Supreme Court als letztinstanzliches Gericht dadurch, dass er keine Frage nach der Auslegung von Art. 351 Abs. 1 AEUV vorgelegt habe, gegen die Verpflichtung nach Art. 267 Abs. 3 AEUV verstoßen. Der Supreme Court habe im beanstandeten Urteil eine Auslegung einschlägiger Begriffe des Unionsrechts vornehmen müssen, die streitig und in der Unionsrechtsprechung nicht hinreichend geklärt gewesen seien.

2.      Würdigung

162. Ich werde meine Würdigung der vorliegenden Rüge mit dem zweiten Teil des Vorbringens der Kommission beginnen.

163. Zunächst ist, dies bedarf kaum der Erwähnung, der Supreme Court im Sinne von Art. 267 AEUV „ein einzelstaatliches Gericht, dessen Entscheidungen selbst nicht mehr mit Rechtsmitteln des innerstaatlichen Rechts angefochten werden können“. Somit ist dieses Gericht grundsätzlich verpflichtet, ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV zu stellen, wenn es zum Erlass seines Urteils über eine Frage der Auslegung einer Unionsvorschrift entscheiden muss.

164. Nach ständiger Rechtsprechung können letztinstanzliche Gerichte jedoch trotz der Vorlagepflicht nach Art. 267 AEUV in zwei Fallgruppen davon absehen.

165. Erstens ist eine Vorlage in der sogenannten Fallgruppe eines acte claire nicht geboten, nämlich wenn die richtige Anwendung des Unionsrechts derart offenkundig ist, dass keinerlei Raum für einen vernünftigen Zweifel an der Antwort auf die aufgeworfene Frage bleibt. Der Gerichtshof hat insoweit hinzugefügt, dass das in letzter Instanz entscheidende einzelstaatliche Gericht jedoch nur dann davon ausgehen darf, dass die Auslegung einer Bestimmung keinen Raum für einen vernünftigen Zweifel lässt, wenn es überzeugt ist, dass auch für die letztinstanzlichen Gerichte der übrigen Mitgliedstaaten und den Gerichtshof die gleiche Gewissheit bestünde(119).

166. Zweitens entfällt die Vorlagepflicht in der sogenannten Fallgruppe eines acte éclairé, nämlich wenn „die gestellte Frage tatsächlich bereits in einem gleichgelagerten Fall … Gegenstand einer Vorabentscheidung gewesen ist“ oder „bereits eine gesicherte Rechtsprechung des Gerichtshofs vorliegt, durch die die betreffende Rechtsfrage gelöst ist, gleich in welcher Art von Verfahren sich diese Rechtsprechung gebildet hat, und selbst dann, wenn die strittigen Fragen nicht vollkommen identisch sind“(120).

167. Allgemein hat der Gerichtshof entschieden, dass die Frage, ob ein letztinstanzliches Gericht die Möglichkeit hat, von einer Vorlage abzusehen, „unter Berücksichtigung der Eigenheiten des Unionsrechts, der besonderen Schwierigkeiten seiner Auslegung und der Gefahr voneinander abweichender Gerichtsentscheidungen innerhalb der Union zu beurteilen [ist]“(121).

168. Ich habe oben erläutert, warum der Supreme Court meines Erachtens Art. 351 Abs. 1 AEUV in der vorliegenden Rechtssache falsch ausgelegt hat. Gleichwohl folgt allein aus der Tatsache, dass ein letztinstanzliches Gericht eine Bestimmung des Unionsrechts falsch ausgelegt hat, ohne dem Gerichtshof eine Frage nach Art. 267 AEUV vorzulegen, nicht zwangsläufig, dass er durch sein Handeln gegen seine Vorlagepflicht verstoßen hat. Dies ist allenfalls eines der Indizien dafür, dass dies der Fall sein kann.

169. In der vorliegenden Rechtssache sprechen jedoch verschiedene weitere Anhaltspunkte dafür, dass weder der Wortlaut der Bestimmung selbst noch die Rechtsprechung des Gerichtshofs eine offensichtliche Antwort auf die Auslegungsfragen gaben, mit denen der Supreme Court konfrontiert war.

170. Erstens ist recht eindeutig, dass dem relativ knappen Wortlaut von Art. 351 Abs. 1 AEUV keine eindeutigen Hinweise zu den Auslegungsfragen zu entnehmen sind, die sich im Verfahren vor dem Supreme Court stellten. Wie von der Kommission vorgetragen, waren diese Fragen zwischen den Parteien in hohem Maße streitig. Meines Erachtens hatten beide Seiten Argumente angeführt, die sich zumindest auf den ersten Blick nicht als offensichtlich unbegründet zurückweisen ließen.

171. Zweitens waren die Entscheidungen der Unionsgerichte zu Art. 351 Abs. 1 AEUV, die von den Parteien angeführt und vom Supreme Court geprüft wurden, sowohl in ihrer Anzahl als auch in ihrer Relevanz begrenzt. Insbesondere waren durch keine dieser Entscheidungen ausdrücklich und unmittelbar Fragen behandelt worden, die in der vorliegenden Rechtssache von zentraler Bedeutung waren. Vielmehr zeigen die Begründungserwägungen des beanstandeten Urteils, dass die Auslegung des Supreme Court (wenn diese Formulierung gestattet ist) „stückchenweise“ aus mehreren Urteilen des Gerichtshofs zusammengesetzt wurde. Diese Begründungserwägungen zeigen im Übrigen auch, dass bestimmte „Stückchen“ anderer Urteile des Gerichtshofs möglicherweise für eine andere Auslegung von Art. 351 Abs. 1 AEUV gesprochen hätten(122).

172. Drittens ist auch schwer ersichtlich, inwieweit eindeutig der Schluss gezogen werden konnte, dass für die vom Supreme Court vertretene Auslegung von Art. 351 Abs. 1 AEUV aus Sicht der Unionsgerichte und der letztinstanzlichen Gerichte der übrigen Mitgliedstaaten wahrscheinlich die „gleiche Gewissheit“ sprach. Dem Supreme Court war bewusst, dass auf Art. 351 AEUV und das ICSID-Übereinkommen gestützte Vorbringen nicht nur Gegenstand des Verfahrens vor den Unionsgerichten, sondern auch der weiter anhängigen nationalen Verfahren waren. Gerade die Anzahl dieser Verfahren und der Umstand, dass sie bei Gerichten verschiedener Rechtsordnungen anhängig waren, hätten dem Supreme Court insoweit zumindest Anlass zu besonderer Vorsicht geben müssen.

173. Weiter war der Supreme Court von der Kommission darüber unterrichtet worden, dass eines der nationalen Gerichte, das Nacka Tingsrätt (Gericht erster Instanz Nacka, Schweden), ein Urteil erlassen hatte, mit dem es die auf Art. 351 Abs. 1 AEUV gestützten Ansprüche der Investoren auf der Grundlage einer Auslegung dieser Bestimmung zurückgewiesen hatte, die zu derjenigen in Widerspruch stand, die schließlich vom Supreme Court vertreten wurde. Die Gefahr voneinander abweichender Auffassungen zur Bedeutung und zum Anwendungsbereich von Art. 351 Abs. 1 AEUV und somit einander widersprechender gerichtlicher Entscheidungen hierüber war somit sowohl real als auch gegenwärtig.

174. Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs ein in letzter Instanz entscheidendes einzelstaatliches Gericht dann, wenn ihm das Vorliegen voneinander abweichender Gerichtsentscheidungen – von Gerichten ein und desselben Mitgliedstaats oder zwischen Gerichten verschiedener Mitgliedstaaten – zur Auslegung einer auf den Ausgangsrechtsstreit anwendbaren Vorschrift des Unionsrechts zur Kenntnis gebracht wird, bei seiner Beurteilung der Frage, ob es an einem vernünftigen Zweifel in Bezug auf die richtige Auslegung der fraglichen Unionsrechtsvorschrift fehlt, besonders sorgfältig sein und dabei insbesondere das mit dem Vorabentscheidungsverfahren angestrebte Ziel, die einheitliche Auslegung des Unionsrechts zu gewährleisten, berücksichtigen muss(123).

175. Viertens hat der Supreme Court offenbar die verfassungsrechtliche Bedeutung der Rechtsfrage, über die er sich zu befinden entschieden hat, sowie die möglichen Auswirkungen, die seine Entscheidung auf die Unionsrechtsordnung in ihrer Gesamtheit haben könnte, außer Betracht gelassen. Wie erwähnt, ist in Art. 351 Abs. 1 AEUV eine nahezu unbegrenzte Einschränkung der Geltung des Grundsatzes des Vorrangs des Unionsrechts zu sehen. Angesichts der Bedeutung dieses Grundsatzes für die Unionsrechtsordnung konnten die Konsequenzen einer weiten Auslegung dieser Vertragsbestimmung vom Supreme Court nicht übersehen werden.

176. Darüber hinaus ist darauf hinzuweisen, dass im Gegensatz zum Supreme Court sowohl der High Court als auch der Court of Appeal eine Prüfung der Anwendung von Art. 351 Abs. 1 AEUV abgelehnt hatten, da diese Frage Gegenstand des European Food-Verfahrens vor den Unionsgerichten sei und somit die Gefahr hierüber ergehender einander widersprechender Urteile bestehen könne(124).

177. Daher hat der Supreme Court meines Erachtens dadurch, dass er über die Begründetheit des auf Art. 351 Abs. 1 AEUV gestützten Anspruchs der Investoren entschieden hat, i) die „Eigenheiten des Unionsrechts“ und ii) „die Gefahr voneinander abweichender Gerichtsentscheidungen innerhalb der Union“ außer Betracht gelassen. Hierbei handelt es sich um Gesichtspunkte, die nach der oben genannten Rechtsprechung von den letztinstanzlichen nationalen Gerichte bei der Beurteilung der Frage berücksichtigt werden müssen, ob sie im konkreten Einzelfall verpflichtet sind, eine Frage nach Art. 267 Abs. 3 AEUV vorzulegen.

178. Fünftens und abschließend stellt meines Erachtens angesichts der vorliegenden Umstände das Unterlassen einer Vorlage nach Art. 267 durch den Supreme Court eine Entscheidung dar, die nicht in den Entscheidungsspielraum fällt, der Einrichtungen, die gerichtliche Aufgaben wahrnehmen, unbedingt eingeräumt werden muss. Aus den in den vorliegenden Schlussanträgen geprüften Gesichtspunkten ergibt sich ein rechtlich komplexer Sachverhalt, der durch das Nebeneinander mehrerer unionsweiter Verwaltungs- und Gerichtsverfahren erschwert wurde und dessen zentrale Fragestellungen die Anwendung verschiedener Unionsvorschriften und ‑grundsätze betrafen. Insbesondere stellte die Auslegung von Art. 351 Abs. 1 AEUV keine nebengeordnete oder zweitrangige Fragestellung dar – die somit einen Rückgriff auf die Prozessökonomie hätte nahelegen können –, sondern eine Fragestellung, die „im Mittelpunkt des vorliegenden Rechtsstreits steht“(125).

179. Auch sind meines Erachtens keine konkreten Anhaltspunkte für das Vorliegen besonderer Gründe für eine eilige Behandlung der Rechtssache ersichtlich. Dass der Supreme Court eine Vorlage zur Vorabentscheidung unterlassen hat, könnte auch nicht als Folge eines geringfügigen Versehens angesehen werden, wie dies beispielsweise der Fall sein könnte, wenn eine Rechtsfrage von den Parteien nicht vorgebracht oder zwischen ihnen nicht vollständig erörtert worden ist. Einige der Verfahrensbeteiligten hatten den Supreme Court nämlich mehrfach aufgefordert, dem Gerichtshof eine Frage nach der richtigen Auslegung von Art. 351 Abs. 1 AEUV vorzulegen.

180. Somit konnte der Supreme Court meines Erachtens im Licht der vorliegenden Umstände vernünftigerweise nicht zu dem Ergebnis kommen, dass aufgrund seines Wortlauts und/oder der bestehenden Unionsrechtsprechung i) die Auslegung von Art. 351 Abs. 1 AEUV keinen Raum für einen vernünftigen Zweifel ließ und ii) über die vertretene Auslegung auch für die Unionsgerichte und die letztinstanzlichen Gerichte der übrigen Mitgliedstaaten die gleiche Gewissheit bestanden hätte. Folglich hat der Supreme Court dadurch, dass er es unterließ, dem Gerichtshof Fragen nach der Auslegung von Art. 351 Abs. 1 AEUV vorzulegen, gegen seine Verpflichtung nach Art. 267 Abs. 3 AEUV verstoßen.

181. Demnach dürfte die dritte Rüge meines Erachtens begründet sein, ohne dass es einer Prüfung des weiteren Rügevorbringens der Kommission bedarf(126).

F.      Vierte Rüge: Verstoß gegen Art. 108 Abs. 3 AEUV

1.      Vorbringen der Parteien

182. Mit ihrer vierten Rüge macht die Kommission geltend, das Vereinigte Königreich habe gegen Art. 108 Abs. 3 AEUV verstoßen.

183. Die Kommission hebt hervor, dass der Schiedsspruch dadurch vollstreckbar geworden sei, dass die Aussetzung der Vollstreckung des Schiedsspruchs, die von den in den Vorinstanzen mit der Sache befassten Gerichten des Vereinigten Königreichs angeordnet worden sei, aufgehoben worden sei. Die Entscheidung des Supreme Court habe somit dazu geführt, dass die im Schiedsspruch festgelegten Beträge zu zahlen gewesen seien. Diese Wirkung stehe, wie von der Kommission vorgetragen, in unmittelbarem Widerspruch zum Durchführungsverbot nach Art. 108 Abs. 3 AEUV.

184. Die Kommission trägt weiter vor, dass der Supreme Court auch die ständige Rechtsprechung missachtet habe, wonach das Verbot der Gewährung nicht ordnungsgemäß genehmigter staatlicher Beihilfen gegen die Vollstreckung rechtskräftiger Urteile nationaler Gerichte geltend gemacht werden könne, die in unmittelbarem Widerspruch zum Durchführungsverbot stehen würden(127).

2.      Würdigung

185. Auch wenn die rechtliche Argumentation der Kommission grundsätzlich begründet erscheint, ist diese Rüge meines Erachtens zurückzuweisen.

186. Nach Art. 108 Abs. 3 AEUV sind die Mitgliedstaaten verpflichtet, zum einen alle Maßnahmen bei der Kommission anzumelden, mit denen eine neue Beihilfe eingeführt oder eine bestehende Beihilfe umgestaltet werden soll, und zum anderen, solche Maßnahmen nicht durchzuführen, solange die Kommission nicht abschließend über diese entschieden hat. Diese zweifache Verpflichtung (Notifizierungs- und Stillhalteverpflichtung) soll gewährleisten, dass die Wirkungen einer Beihilfe nicht eintreten, bevor die Kommission innerhalb einer angemessenen Frist das Vorhaben im Einzelnen prüfen und gegebenenfalls das formelle Prüfverfahren einleiten konnte. Das Ziel ist letztlich natürlich, die Möglichkeit auszuschließen, dass den Begünstigten eine mit dem Binnenmarkt unvereinbare Beihilfe gewährt wird(128).

187. In der vorliegenden Rechtssache war die in Rede stehende Maßnahme (die Zahlung der den Investoren durch den Schiedsspruch zugesprochenen Entschädigung durch Rumänien(129)) bereits von der Kommission geprüft und im abschließenden Beschluss von 2015 als mit dem Binnenmarkt unvereinbare staatliche Beihilfe angesehen worden.

188. Zwar war der abschließende Beschluss der Kommission zum Zeitpunkt der Verkündung des beanstandeten Urteils durch den Supreme Court vom Gericht aufgehoben worden. Gegen das Urteil des Gerichts war jedoch bereits ein Rechtsmittel beim Gerichtshof anhängig.

189. Im Übrigen betraf das Nichtigkeitsverfahren vor den Unionsgerichten nicht die Rechtmäßigkeit des Eröffnungsbeschlusses und/oder der Aussetzungsverfügung. Es mag der Hinweis darauf sinnvoll sein, dass die Rechtmäßigkeit des Eröffnungsbeschlusses von den Investoren nicht angegriffen worden war, obwohl dies grundsätzlich möglich gewesen wäre(130). Die Rechtmäßigkeit der Aussetzungsanordnung wiederum war zunächst von den Investoren angefochten worden, ihre Klage wurde später aber zurückgenommen(131).

190. Insoweit ist im Blick zu behalten, dass für die Rechtsakte der Unionsorgane grundsätzlich eine Vermutung der Rechtmäßigkeit gilt, so dass sie Rechtswirkungen entfalten, solange sie nicht zurückgenommen, im Rahmen einer Nichtigkeitsklage für nichtig erklärt oder infolge eines Vorabentscheidungsersuchens oder einer Einrede der Rechtswidrigkeit für ungültig erklärt wurden(132).

191. Außerdem lässt sich dem Urteil des Gerichts nicht, auch nicht implizit, entnehmen, dass der Eröffnungsbeschluss und die Aussetzungsanordnung ebenfalls rechtswidrig gewesen wären. Nach ständiger Rechtsprechung berührt die Nichtigerklärung eines Rechtsakts der Union nicht notwendig die vorbereitenden Handlungen, da das Verfahren zur Ersetzung des für nichtig erklärten Aktes grundsätzlich genau an dem Punkt wieder aufgenommen werden kann, an dem die Rechtswidrigkeit eingetreten ist(133).

192. In der vorliegenden Rechtssache bezog sich der Grund für die Nichtigerklärung des abschließenden Beschlusses von 2015 durch das Gericht spezifisch auf den zur Prüfung vorliegenden Beschluss(134). Ein derartiger Fehler der Kommission hätte, selbst wenn er vom Gerichtshof im Rechtsmittelverfahren bestätigt worden wäre, die Rechtmäßigkeit der von der Kommission in einem früheren Verfahrensstadium erlassenen Entscheidungen nicht berührt. Die sich hieraus für die Kommission ergebende Folge wäre nämlich gewesen, dass sie ihre eingehende Prüfung der mutmaßlichen Beihilfe hätte wieder aufnehmen und dann einen neuen das Verfahren abschließenden Beschluss erlassen müssen, der mit den Feststellungen der Unionsgerichte hätte im Einklang stehen müssen.

193. Folglich blieb, unabhängig vom Status des abschließenden Beschlusses von 2015, aufgrund des Umstands, dass der Eröffnungsbeschluss und die Aussetzungsanordnung geltende Rechtsakte waren und Rechtswirkungen entfalteten, das Durchführungsverbot für die mutmaßliche Beihilfe weiter wirksam(135).

194. In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass nach ständiger Rechtsprechung das in Art. 108 Abs. 3 letzter Satz AEUV angeordnete Verbot der Auszahlung von Beihilfevorhaben unmittelbare Wirkung hat und daher unmittelbar anwendbar ist(136), und zwar auch durch die nationalen Gerichte(137). Demzufolge kann ein nationales Gericht nicht ohne Verstoß gegen Art. 108 Abs. 3 AEUV die Zahlung einer Beihilfe anordnen, die bei der Kommission nicht angemeldet wurde, deren Vereinbarkeit mit dem Binnenmarkt von der Kommission geprüft wird oder, noch gravierender, deren Unvereinbarkeit mit dem Binnenmarkt bereits festgestellt worden ist. Ein solcher Antrag ist grundsätzlich abzulehnen(138).

195. Durch die Aufhebung der Aussetzung der Vollstreckung des Schiedsspruchs hatte das beanstandete Urteil daher unausweichlich zur Folge, dass Rumänien, unter Missachtung des Durchführungsverbots, grundsätzlich verpflichtet wurde, die mutmaßliche Beihilfe auszuzahlen. Eine solche Situation ist offenbar geeignet, einen Verstoß gegen Art. 108 Abs. 3 AEUV herbeizuführen.

196. Zwar regelt, wie das Vereinigte Königreich in seiner Antwort auf das Mahnschreiben der Kommission ausgeführt hat, Art. 108 Abs. 3 AEUV eine Verpflichtung, die grundsätzlich dem Mitgliedstaat obliegt, der die mutmaßliche Beihilfe gewährt(139). Wie von der Kommission zu Recht vorgetragen, sind die Mitgliedstaaten jedoch nach Art. 4 Abs. 3 EUV verpflichtet, sich gegenseitig dabei zu unterstützen, die Einhaltung des Unionsrechts zu erleichtern, und die Ergreifung von Maßnahmen zu unterlassen, die die Einhaltung behindern oder gefährden könnten(140).

197. Ich stimme daher mit der Kommission darin überein, dass von einer eigenen Verantwortlichkeit des Vereinigten Königreichs für einen Verstoß gegen Art. 108 Abs. 3 AEUV in Verbindung mit Art. 4 Abs. 3 EUV ausgegangen werden kann, wenn eine von ihm ergriffene Maßnahme zu einem Verstoß gegen das Durchführungsverbot in Bezug auf eine mutmaßliche Beihilfemaßnahme führt.

198. Dies vorausgeschickt, ist darauf hinzuweisen, dass in der vorliegenden Rechtssache von der Kommission keine Angaben dazu gemacht worden sind, inwieweit und wann die durch das beanstandete Urteil ermöglichte Vollstreckung des Schiedsspruchs im Vereinigten Königreich zu einer tatsächlichen Zahlung der darin festgelegten Beträge geführt hat.

199. Insoweit obliegt es im Rahmen eines Vertragsverletzungsverfahrens der Kommission, die behauptete Vertragsverletzung nachzuweisen und dem Gerichtshof alle hierzu erforderlichen Anhaltspunkte zu liefern, wobei sie sich nicht auf irgendeine Vermutung stützen kann(141). Außerdem kann nach ständiger Rechtsprechung ein Vertragsverletzungsverfahren nur gegen tatsächliche Verstöße gegen das Unionsrecht eingeleitet werden. Dagegen sind bloße Behauptungen möglicher zukünftiger Verstöße oder einer Gefahr solcher Verstöße nicht zulässig(142).

200. Auch wenn ich mit der Kommission darin übereinstimme, dass das beanstandete Urteil grundsätzlich offenbar geeignet ist, einen Verstoß gegen das Durchführungsverbot nach Art. 108 Abs. 3 AEUV herbeizuführen, der dem Vereinigten Königreich zugerechnet werden könnte, sehe ich somit keinen Nachweis dafür, dass ein solcher Verstoß tatsächlich eingetreten ist.

201. Daher dürfte die vierte Rüge der Kommission meines Erachtens nicht begründet sein.

VI.    Kosten

202. Gemäß Art. 138 Abs. 1 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen.

203. Da die Kommission den Kostenantrag gestellt und mit ihrer Klage weitgehend obsiegt hat, sind dem Vereinigten Königreich die Kosten aufzuerlegen.

VII. Ergebnis

204. Nach alledem schlage ich dem Gerichtshof vor,

–        festzustellen, dass das Vereinigte Königreich Großbritannien und Nordirland dadurch, dass der Supreme Court (Oberster Gerichtshof) mit seinem Urteil vom 19. Februar 2020, Micula/Rumänien, eine Aussetzung des Verfahrens abgelehnt und über die Auslegung von Art. 351 Abs. 1 AEUV entschieden hat, obwohl darüber bereits in Beschlüssen der Kommission entschieden worden war und eine entsprechende Entscheidung der Unionsgerichte erwartet wurde, gegen Art. 4 Abs. 3 EUV in Verbindung mit Art. 127 Abs. 1 des Austrittsabkommens verstoßen hat;

–        festzustellen, dass das Vereinigte Königreich Großbritannien und Nordirland dadurch, dass der Supreme Court als letztinstanzliches Gericht dem Gerichtshof keine Frage nach der Auslegung von Unionsrechtsvorschriften zur Vorabentscheidung vorgelegt hat, bei denen es sich weder um „actes clairs“ noch um „actes éclairés“ handelte, gegen Art. 267 Abs. 3 AEUV in Verbindung mit Art. 127 Abs. 1 des Austrittsabkommens verstoßen hat;

–        die Klage im Übrigen abzuweisen;

–        dem Vereinigten Königreich Großbritannien und Nordirland die Kosten des vorliegenden Verfahrens aufzuerlegen.


1      Originalsprache: Englisch.


2      Mertens de Wilmars, J., und Verougstraete, I. M., „Proceedings against Member States for failure to fulfil their obligations“, Common Market Law Review, Bd. 7, Ausgabe 4, 1970, S. 389 und 390. Ebenso einige Jahre später Schlussanträge des Generalanwalts Warner in der Rechtssache Bouchereau (30/77, EU:C:1977:141, S. 2020).


3      Vgl. aus jüngerer Zeit Urteil vom 28. Januar 2020, Kommission/Italien (Richtlinie zur Bekämpfung von Zahlungsverzug) (C‑122/18, EU:C:2020:41, Rn. 55 und die dort angeführte Rechtsprechung).


4      Vgl. insbesondere Urteile vom 12. November 2009, Kommission/Spanien (C‑154/08, EU:C:2009:695), und vom 4. Oktober 2018, Kommission/Frankreich (Steuervorabzug für ausgeschüttete Dividenden) (C‑416/17, EU:C:2018:811). Vgl. auch Gutachten 1/09 (Übereinkommen zur Schaffung eines einheitlichen Patentgerichtssystems) vom 8. März 2011 (EU:C:2011:123, Rn. 87).


5      Dieser Punkt ist vom Gerichtshof mehrfach betont worden; ich stimme hiermit voll und ganz überein. Vgl. z. B. Urteile vom 9. Dezember 2003, Kommission/Italien (C‑129/00, EU:C:2003:656, Rn. 32), und vom 7. Juni 2007, Kommission/Griechenland (C‑156/04, EU:C:2007:316, Rn. 52).


6      Diese internationalen Übereinkünfte werden im Folgenden als „frühere Übereinkünfte“ bezeichnet.


7      Im Folgenden: Austrittsabkommen (ABl. 2020, L 29, S. 7).


8      T‑624/15, T‑694/15 und T‑704/15, EU:T:2019:423.


9      Urteil Kommission/European Food u. a. (C‑638/19 P, EU:C:2022:50).


10      Urteil vom 6. März 2018 (C‑284/16, EU:C:2018:158). In jenem Urteil stellte der Gerichtshof fest, dass eine Schiedsklausel, die in einem bilateralen Investitionsschutzabkommen zwischen dem Königreich der Niederlande und der Slowakischen Republik enthalten war, mit dem Unionsrecht unvereinbar war.


11      C‑333/19, EU:C:2022:749.


12      [2017] EWHC 31 (Comm).


13      [2018] EWCA 1801.


14      Vgl. insbesondere die Art. 92 bis 95 des Austrittsabkommens.


15      Vgl. insbesondere die Art. 86 bis 91 des Austrittsabkommens.


16      Hervorhebung nur hier.


17      Schlussanträge in der Rechtssache Portugal/Kommission (C‑365/99, EU:C:2001:184, Nr. 16).


18      Vgl. u. a. Urteil vom 28. März 2019, Kommission/Irland (System der Sammlung und Behandlung von Abwasser) (C‑427/17, EU:C:2019:269, Rn. 43 und die dort angeführte Rechtsprechung).


19      Vgl. z. B. Beschluss vom 8. April 2020, Kommission/Polen (C‑791/19 R, EU:C:2020:277, Rn. 52 und die dort angeführte Rechtsprechung). Hervorhebung nur hier.


20      Vgl. in diesem Sinne Urteile vom 20. März 2014, Kommission/Polen (C‑639/11, EU:C:2014:173, Rn. 57), und vom 20. März 2014, Kommission/Litauen (C‑61/12, EU:C:2014:172, Rn. 62).


21      Zu diesem Grundsatz vgl. z. B. Urteil vom 20. Januar 2021, Kommission/Printeos (C‑301/19 P, EU:C:2021:39, Rn. 54).


22      Vgl. in diesem Sinne Urteile vom 21. September 1989, Kommission/Griechenland (68/88, EU:C:1989:339, Rn. 9), und vom 1. Oktober 1998, Kommission/Italien (C‑285/96, EU:C:1998:453, Rn. 13).


23      Vgl. mit vergleichendem und historischen Hintergrund dieses Verfahrens z. B. Guyomar, G., Le défaut des parties à un différend devant les juridictions internationales, Librairie Générale de droit et de Jurisprudence, Paris, 1960; und U.S. Supreme Court, Entscheidung vom 30. März 1885, Thomson and Others v. Wooster, 114 U.S. 104 (1885).


24      Art. 41 der Satzung des Gerichtshofs und Art. 156 Abs. 1 der Verfahrensordnung.


25      Ebenso Schlussanträge des Generalanwalts Mischo in der Rechtssache Portugal/Kommission (C‑365/99, EU:C:2001:184, Nr. 17).


26      Dieses Sprichwort soll aus der Fabel „Das Maultier“ des antiken griechischen Schriftstellers Aesop (620 bis 564 v. Chr.) stammen.


27      Vgl. in diesem Sinne Urteil vom 22. Oktober 2002, Roquette Frères (C‑94/00, EU:C:2002:603, Rn. 31 und die dort angeführte Rechtsprechung).


28      Art. 3 Abs. 3 Unterabs. 1 EUV.


29      Art. 26 Abs. 2 AEUV.


30      Protokoll (Nr. 27) über den Binnenmarkt und den Wettbewerb.


31      Art. 101 bis 106 AEUV.


32      Art. 107 bis 109 AEUV.


33      Vgl. insbesondere Urteil vom 18. Juli 2007, Lucchini (C‑119/05, EU:C:2007:434, Rn. 52 und die dort angeführte Rechtsprechung).


34      Vgl. insbesondere Urteil vom 21. November 2013, Deutsche Lufthansa (C‑284/12, EU:C:2013:755, Rn. 41). Vgl. in diesem Sinne auch Urteil vom 23. Januar 2019, Fallimento Traghetti del Mediterraneo (C‑387/17, EU:C:2019:51, Rn. 54 und die dort angeführte Rechtsprechung).


35      Vgl. Urteil vom 21. November 2013, Deutsche Lufthansa (C‑284/12, EU:C:2013:755, Rn. 28 bis 31 und die dort angeführte Rechtsprechung).


36      Ebd., Rn. 41.


37      Vgl. in diesem Sinne Urteil vom 25. Juli 2018, Georgsmarienhütte u. a. (C‑135/16, EU:C:2018:582, Rn. 24), sowie entsprechend Urteil vom 14. Dezember 2000, Masterfoods und HB (C‑344/98, EU:C:2000:689, Rn. 57).


38      Hervorhebung nur hier.


39      Rn. 25 des angefochtenen Urteils. Zur Entscheidung des Gerichtshofs in jener Rechtssache vgl. Beschluss vom 21. September 2022, Romatsa u. a. (C‑333/19, EU:C:2022:749).


40      Siehe oben, Nrn. 21 und 22 der vorliegenden Schlussanträge.


41      Rn. 97 des angefochtenen Urteils.


42      Rn. 98 bis 100 des angefochtenen Urteils.


43      Rn. 101 bis 108 des angefochtenen Urteils.


44      Rn. 109 bis 117 des angefochtenen Urteils.


45      Zu den Art. 53 und 54 des ICSID-Übereinkommens siehe oben, Nrn. 13 und 14 der vorliegenden Schlussanträge. Art. 69 dieses Übereinkommens bestimmt lediglich: „Jeder Vertragsstaat trifft alle gesetzgeberischen oder sonstigen Maßnahmen, die erforderlich sind, um diesem Übereinkommen in seinem Hoheitsgebiet Wirksamkeit zu verleihen.“


46      Ebenso Schlussanträge des Generalanwalts Léger in der Rechtssache Köbler (C‑224/01, EU:C:2003:207, Nr. 66).


47      Zu diesem Schluss waren im Verfahren im Vereinigten Königreich nach meinem Verständnis insoweit auch der High Court und der Court of Appeal gekommen (vgl. Rn. 42 des angefochtenen Urteils).


48      Vgl. insbesondere Rn. 56 des angefochtenen Urteils.


49      Vgl. Rn. 2, 51, 52, 56 und 116 des angefochtenen Urteils.


50      Vgl. insbesondere die Erwägungsgründe 44 und 126 bis 129 des abschließenden Beschlusses von 2015. Die Kommission hatte die Anwendung von Art. 351 Abs. 1 AEUV im Eröffnungsbeschluss ebenfalls abgelehnt.


51      Vgl. insbesondere Rn. 100 des angefochtenen Urteils.


52      Insoweit sei am Rande ergänzt, dass sich in den meisten relevanten völkerrechtlichen Quellen, wie etwa dem Wiener Übereinkommen über das Recht der Verträge (im Folgenden: WÜRV) und dem Artikelentwurf der Völkerrechtskommission über die Verantwortlichkeit der Staaten für völkerrechtswidrige Handlungen (im Folgenden: Artikelentwurf), keine entsprechende Formulierung findet.


53      Vgl. in diesem Sinne Urteil vom 22. Juni 2021, Venezuela/Rat (Beeinträchtigung eines Drittstaats) (C‑872/19 P, EU:C:2021:507, Rn. 42 und die dort angeführte Rechtsprechung).


54      Siehe unten, Nr. 114 der vorliegenden Schlussanträge.


55      Ich stimme daher mit Generalanwalt Mischo nicht völlig überein, soweit er in seinen Schlussanträgen in der Rechtssache Kommission/Portugal (C‑62/98 und C‑84/98, EU:C:1999:509, Nr. 56) ausgeführt hat, dass Art. 351 Abs. 1 AEUV „rein deklaratorisch“ sei.


56      Urteil vom 3. September 2008, Kadi und Al Barakaat International Foundation/Rat und Kommission (C‑402/05 P und C‑415/05 P, EU:C:2008:461, Rn. 304). Vgl. auch Schlussanträge des Generalanwalts Poiares Maduro in derselben Rechtssache (EU:C:2008:11, Nrn. 30 und 31). Vgl. allgemeiner auch Urteil vom 2. September 2021, Republik Moldau (C‑741/19, EU:C:2021:655, Rn. 42).


57      Vgl. u. a. Urteile vom 6. April 1995, RTE und ITP/Kommission (C‑241/91 P und C‑242/91 P, EU:C:1995:98), und vom 15. September 2011, Kommission/Slowakei (C‑264/09, EU:C:2011:580).


58      Wie in den vom Supreme Court angeführten Urteilen vom 2. August 1993, Levy (C‑158/91, EU:C:1993:332), und vom 28. März 1995, Evans Medical und Macfarlan Smith (C‑324/93, EU:C:1995:84).


59      Dies ergibt sich ganz eindeutig aus dem Urteil vom 18. November 2003, Budějovický Budvar (C‑216/01, EU:C:2003:618, Rn. 134 und 143). Vgl. entsprechend auch Urteil vom 27. November 1973, Vandeweghe u. a. (130/73, EU:C:1973:131, Rn. 2 und 3).


60      Zu dieser Frage in der juristischen Lehre, Klabbers, J., Treaty Conflict and the European Union, Cambridge University Press, 2009, S. 142 bis 148; Manzini, P., „The Priority of Pre‐Existing Treaties of EC Member States within the Framework of International Law“, European Journal of International Law, 2001, S. 785 bis 788; und Schermers, H. G., Annotation of Case 812/79 Attorney General (of Ireland) v Burgoa, Common Market Law Review, 1981, S. 229 und 230.


61      Siehe oben, Nr. 82, und unten, Nr. 193 der vorliegenden Schlussanträge. Vgl. hierzu allgemein Schlussanträge des Generalanwalts Capotorti in der Rechtssache Burgoa (812/79, EU:C:1980:196, S. 2817) und Schlussanträge des Generalanwalts Lenz in der Rechtssache Evans Medical und Macfarlan Smith (C‑324/93, EU:C:1994:357, Nr. 42).


62      Vgl. mit Verweis auf Beschlüsse entsprechender internationaler Einrichtungen, Alexandrov, S. A., „Enforcement of ICSID Awards: Articles 53 and 54 of the ICSID Convention“, in Binder, C., u. a. (Hrsg.), International Investment Law for the 21st Century: Essays in Honour of Christoph Schreuer, Oxford University Press, 2009, S. 328.


63      Um die Formulierung des Supreme Court in Rn. 56 des angefochtenen Urteils zu verwenden.


64      Vgl. Rn. 113 des angefochtenen Urteils.


65      Vgl. 45. Erwägungsgrund des abschließenden Beschlusses von 2015.


66      Rn. 114 bzw. 117 des angefochtenen Urteils.


67      Rn. 56 des angefochtenen Urteils. Hervorhebung nur hier.


68      Siehe oben, Nr. 22 der vorliegenden Schlussanträge.


69      Wie in Rn. 114 des angefochtenen Urteils zutreffend ausgeführt.


70      Urteil vom 18. Juni 2019, European Food u. a./Kommission (T‑624/15, T‑694/15 und T‑704/15, EU:T:2019:423, Rn. 58).


71      Vgl. z. B. Erwägungsgründe 64 bis 66 des abschließenden Beschlusses von 2015.


72      Ebenso Schlussanträge des Generalanwalts Jääskinen in der Rechtssache Kommission/Slowakei (C‑264/09, EU:C:2011:150, Nr. 48).


73      Ebenso Schlussanträge des Generalanwalts Lagrange in der Rechtssache Kommission/Italien (10/61, nicht veröffentlicht, EU:C:1961:26, S. 17).


74      Vgl. hierzu Art. 26, Art. 30 Abs. 4 Buchst. b und die Art. 34 bis 36 WÜRV.


75      Vgl. z. B. zum Verhältnis zwischen Art. 351 AEUV und Art. 30 Abs. 4 Buchst. b WÜRV Urteil vom 9. Februar 2012, Luksan (C‑277/10, EU:C:2012:65, Rn. 61 und die dort angeführte Rechtsprechung).


76      Vgl. u. a. Urteil vom 14. Januar 1997, Centro-Com (C‑124/95, EU:C:1997:8, Rn. 56 und die dort angeführte Rechtsprechung).


77      Vgl. in diesem Sinne Urteil vom 3. Februar 1994, Minne (C‑13/93, EU:C:1994:39, Rn. 17).


78      Urteil vom 14. Oktober 1980, Burgoa (812/79, EU:C:1980:231, Rn. 9).


79      Vgl. in diesem Sinne Schlussanträge des Generalanwalts Tizzano in der Rechtssache Kommission/Vereinigtes Königreich (C‑466/98, EU:C:2002:63, Nr. 38). Im Schrifttum vgl. Koutrakos, P., „International agreements concluded by Member States prior to their EU accession – Burgoa“, in Butler, G., Wessel, R. (Hrsg.), EU external relations law, Hart Publishing, Oxford, 2022, S. 137.


80      Siehe im Einzelnen unten, Nrn. 127 ff. der vorliegenden Schlussanträge.


81      Sinngemäß wäre dies etwa so, als würde angenommen, dass ein Mitgliedstaat, der eine Maßnahme gleicher Wirkung wie eine mengenmäßige Beschränkung einführt, die die Voraussetzungen für eine Rechtfertigung nach Art. 36 AEUV nicht erfüllt, gegen diese Bestimmung und nicht gegen das (allgemeine) Verbot mengenmäßiger Beschränkungen nach Art. 34 AEUV verstieße.


82      Vgl. in diesem Sinne Urteil vom 10. März 1998, T. Port (C‑364/95 und C‑365/95, EU:C:1998:95, Rn. 61).


83      Vgl. in diesem Sinne Urteil vom 5. November 2002, Kommission/Vereinigtes Königreich (C‑466/98, EU:C:2002:624, Rn. 25).


84      Vgl. in diesem Sinne Urteil vom 13. Juli 1966, Consten und Grundig/Kommission (56/64 und 58/64, EU:C:1966:41, S. 394).


85      Vgl. in diesem Sinne Urteil vom 12. Februar 2009, Kommission/Griechenland (C‑45/07, EU:C:2009:81, Rn. 35).


86      Vgl. in diesem Sinne u. a. Gutachten 2/15 (Freihandelsabkommen mit Singapur) vom 16. Mai 2017 (EU:C:2017:376, Rn. 254).


87      Vgl. z. B. Urteil vom 22. September 1988, Deserbais (286/86, EU:C:1988:434, Rn. 18), und Schlussanträge des Generalanwalts Tesauro in der Rechtssache Levy (C‑158/91, EU:C:1992:411, Nr. 4).


88      Vgl. u. a. Urteile vom 27. Februar 1962, Kommission/Italien (10/61, EU:C:1962:2, S. 23), und vom 27. September 1988, Matteucci (235/87, EU:C:1988:460, Rn. 21).


89      Vgl. Urteile vom 11. März 1986, Conegate (121/85, EU:C:1986:114, Rn. 25), und vom 2. Juli 1996, Kommission/Luxemburg (C‑473/93, EU:C:1996:263, Rn. 40).


90      Eeckhout, P., EU external relations law, 2. Aufl., Oxford University Press, 2011, S. 426.


91      Urteil vom 27. Februar 1962, Kommission/Italien (10/61, EU:C:1962:2, S. 23).


92      Vgl. Urteil vom 2. Juli 1996, Kommission/Luxemburg (C‑473/93, EU:C:1996:263, Rn. 40).


93      Vgl. in diesem Sinne Urteil vom 21. Dezember 2011, Air Transport Association of America u. a. (C‑366/10, EU:C:2011:864, Rn. 61).


94      Vgl. u. a. Urteile vom 2. August 1993, Levy (C‑158/91, EU:C:1993:332, Rn. 12), und vom 10. März 1998, T. Port (C‑364/95 und C‑365/95, EU:C:1998:95, Rn. 60). Hervorhebung nur hier.


95      Vgl. Urteil vom 14. Januar 1997, Centro-Com (C‑124/95, EU:C:1997:8, Rn. 60 und die dort angeführte Rechtsprechung).


96      Vgl. in diesem Sinne Gutachten 2/15 (Freihandelsabkommen mit Singapur) vom 16. Mai 2017 (EU:C:2017:376, Rn. 254).


97      Vgl. hierzu die Art. 20 und 45 des Artikelentwurfs.


98      Selbstverständlich betrifft die Konstellation in der vorliegenden Rechtssache auch einen Drittstaat (das Vereinigte Königreich); dessen rechtliche Lage war jedoch zum maßgeblichen Zeitpunkt im Hinblick auf die einschlägige Bestimmung des Unionsrechts derjenigen der Mitgliedstaaten gleichzustellen.


99      Für die Zwecke der vorliegenden Schlussanträge ist eine nähere Erörterung dieses (zugestandenermaßen komplexen) Bereichs des Völkerrechts nicht erforderlich, da die grundlegende Unterscheidung, von der hier ausgegangen wird, in völkerrechtlichen Rechtsquellen ohne Weiteres anerkannt ist. Vgl. u. a. Internationaler Gerichtshof, Urteil vom 5. Februar 1970, Barcelona Traction, Light and Power Company, Limited (Belgien/Spanien), ICJ Reports 1970, S. 3, Rn. 33 und 35; sowie Art. 33 (und Nr. 2 der Kommentierung), Art. 42 (und Nr. 8 der Kommentierung) und Art. 48 (und Nummer 8 der Kommentierung) des Artikelentwurfs. Zu Nachweisen dieser Unterscheidung in der Unionsrechtsprechung vgl. Schlussanträge des Generalanwalts Warner in der Rechtssache Henn und Darby (34/79, EU:C:1979:246, S. 3833); Schlussanträge des Generalanwalts Tesauro in der Rechtssache Levy (C‑158/91, EU:C:1992:411, Nr. 5); Schlussanträge des Generalanwalts Lenz in der Rechtssache Evans Medical und Macfarlan Smith (C‑324/93, EU:C:1994:357, Nr. 33); und Schlussanträge des Generalanwalts Szpunar in der Rechtssache Republik Moldau (C‑741/19, EU:C:2021:164, Nr. 42). Selbstverständlich können Übereinkünfte Bestimmungen beider Kategorien enthalten; in diesen Fällen ist bei der Auslegung das Wesen jeder Bestimmung zu prüfen.


100      Als Beispiel hierfür werden häufig Menschenrechtsübereinkommen angeführt.


101      Ähnlicher Ansicht in der Rechtswissenschaft Mastroianni, R., Comment to Article 351 TFEU, in Tizzano, A. (Hrsg.), Trattati dell'Unione Europea, 2. Aufl., 2014, S. 2545.


102      Ein gutes Beispiel hierfür sind Investitionsschutzvereinbarungen.


103      Vgl. hierzu Kommentierung zu Art. 42 (insbesondere Nr. 9) und zu Art. 48 (insbesondere Nr. 2) des Artikelentwurfs.


104      Vgl. unter vielen Urteile vom 22. September 1988, Deserbais (286/86, EU:C:1988:434, Rn. 18); vom 6. April 1995, RTE und ITP/Kommission (C‑241/91 P und C‑242/91 P, EU:C:1995:98, Rn. 84); vom 10. März 1998, T. Port (C‑364/95 und C‑365/95, EU:C:1998:95, Rn. 60); und vom 18. November 2003, Budějovický Budvar (C‑216/01, EU:C:2003:618, Rn. 148).


105      Rn. 97 des angefochtenen Urteils, wo auf das Urteil vom 2. August 1993, Levy (C‑158/91, EU:C:1993:332, Rn. 11), verwiesen wird.


106      Siehe oben, Nr. 89 der vorliegenden Schlussanträge.


107      Urteil vom 28. Oktober 2022, Generalstaatsanwaltschaft München (Auslieferung und ne bis in idem) (C‑435/22 PPU, EU:C:2022:852, Rn. 119).


108      Ebd., Rn. 120 und 121.


109      Rn. 98 des angefochtenen Urteils.


110      Wie vom Supreme Court zutreffend ausgeführt, ging es in dem in Rede stehenden Rechtsstreit allein um die Frage, ob das Vereinigte Königreich nach dem ICSID-Übereinkommen Drittstaaten gegenüber die Pflicht zur Vollstreckung des in Rede stehenden Schiedsspruchs hatte (Rn. 101 des angefochtenen Urteils).


111      Beispielsweise durch Erhebung einer Klage vor dem Internationalen Gerichtshof.


112      Erklärungen des Vorsitzenden [Chairman] während der Fünften und Sechsten Tagung der Arbeit der Konsultationssitzungen der von den Regierungen der Vertragsstaaten benannten Rechtssachverständigen [Fifth and Sixth Sessions of the works of the Consultative Meetings of Legal Experts designated by member governments] (angeführt in Rn. 107 des angefochtenen Urteils).


113      Vgl. insbesondere die in den Rn. 104 und 105 des angefochtenen Urteils genannten Erklärungen.


114      Dies scheint mir insbesondere im Hinblick auf das Vorbringen der Investoren hierzu der Fall zu sein, dem der Supreme Court sich in Rn. 106 des angefochtenen Urteils offenbar anschließt.


115      Vgl. u. a. Rn. 15 des angefochtenen Urteils.


116      Nach dieser Bestimmung ist der Schiedsspruch „endgültig und bindend“.


117      In diesem Zusammenhang weise ich am Rande darauf hin, dass die Schiedsgerichtsbestimmung im BIT infolge der Entscheidungen des Gerichtshofs Achmea, European Food und Romatsa (siehe oben, Nrn. 22 und 23 der vorliegenden Schlussanträge) nunmehr als ungültig anzusehen ist.


118      Vgl. Urteil vom 14. Oktober 1980, Burgoa (812/79, EU:C:1980:231, Rn. 10).


119      Vgl. insbesondere Urteil vom 6. Oktober 2021, Consorzio Italian Management und Catania Multiservizi (C‑561/19, EU:C:2021:799, Rn. 39 und 40 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).


120      Ebd., Rn. 36 und die dort angeführte Rechtsprechung.


121      Ebd., Rn. 41 und die dort angeführte Rechtsprechung.


122      Vgl. insbesondere Rn. 99 und 102 des angefochtenen Urteils.


123      Vgl. in diesem Sinne Urteile vom 9. September 2015, Ferreira da Silva e Brito u. a. (C‑160/14, EU:C:2015:565, Rn. 42 bis 44), und vom 6. Oktober 2021, Consorzio Italian Management und Catania Multiservizi (C‑561/19, EU:C:2021:799, Rn. 49).


124      Vgl. Rn. 29, 32, 91 und 94 des angefochtenen Urteils.


125      Wie vom Supreme Court in Rn. 96 des angefochtenen Urteils festgestellt.


126      Vgl. in diesem Sinne Urteil vom 4. Oktober 2018, Kommission/Frankreich (Steuervorabzug für ausgeschüttete Dividenden) (C‑416/17, EU:C:2018:811, Rn. 113).


127      Die Kommission verweist insbesondere auf das Urteil vom 18. Juli 2007, Lucchini (C‑119/05, EU:C:2007:434, Rn. 62 und 63).


128      Vgl. allgemein und mit weiteren Nachweisen Schlussanträge der Generalanwältin Kokott in der Rechtssache Viasat Broadcasting UK (C‑445/19, EU:C:2020:644, Nrn. 17 und 18).


129      Vgl. 39. Erwägungsgrund des abschließenden Beschlusses von 2015.


130      Vgl. z. B. Urteil vom 21. Dezember 2016, Kommission/Hansestadt Lübeck (C‑524/14 P, EU:C:2016:971).


131      Beschluss vom 29. Februar 2016, Micula u. a./Kommission (T‑646/14, nicht veröffentlicht, EU:T:2016:135).


132      Vgl. u. a. Urteil vom 10. September 2019, HTTS/Rat (C‑123/18 P, EU:C:2019:694, Rn. 100 und die dort angeführte Rechtsprechung).


133      Vgl. u. a. Urteil vom 21. September 2017, Riva Fire/Kommission (C‑89/15 P, EU:C:2017:713, Rn. 34).


134      Das Gericht hatte in seinem Urteil im Wesentlichen festgestellt, dass die den Investoren zugesprochene Entschädigung zumindest teilweise einen vor dem Beitritt Rumäniens zur Union liegenden Zeitraum umfasste. Nach Auffassung des Gerichts hatte die Kommission die Entschädigung fehlerhaft insgesamt als Beihilfe eingestuft, ohne bei den zurückzufordernden Beträgen zwischen denen, die auf den Zeitraum vor dem Beitritt entfielen, und denen, die auf den Zeitraum nach dem Beitritt entfielen, zu unterscheiden.


135      Dies hat der Supreme Court in Rn. 51 des angefochtenen Urteils im Wesentlichen anerkannt. Vgl. hierzu allgemein Schlussanträge des Generalanwalts Mengozzi in der Rechtssache Deutsche Lufthansa (C‑284/12, EU:C:2013:442, Nrn. 27 bis 29).


136      Vgl. z. B. Urteil vom 5. März 2019, Eesti Pagar (C‑349/17, EU:C:2019:172, Rn. 88).


137      Ebd., Rn. 89 bis 91.


138      Vgl. unter vielen Urteil vom 12. Januar 2023, DOBELES HES (C‑702/20 und C‑17/21, EU:C:2023:1, Rn. 121).


139      In dieser Bestimmung heißt es im maßgeblichen Teil: „Der betreffende Mitgliedstaat darf die beabsichtigte Maßnahme nicht durchführen, bevor die Kommission einen abschließenden Beschluss erlassen hat.“ (Hervorhebung nur hier).


140      Vgl. in diesem Sinne Urteil vom 27. September 1988, Matteucci (235/87, EU:C:1988:460, Rn. 19).


141      Vgl. z. B. Urteil vom 10. November 2020, Kommission/Italien (Grenzwerte für PM10) (C‑644/18, EU:C:2020:895, Rn. 83 und die dort angeführte Rechtsprechung).


142      Vgl. in diesem Sinne Urteil vom 16. Oktober 2012, Ungarn/Slowakei (C‑364/10, EU:C:2012:630, Rn. 68 bis 71).