URTEIL DES GERICHTSHOFES (Fünfte Kammer)
1. Oktober 1998 (1)
„Wettbewerb Artikel 85 EG-Vertrag Alleinbezugsverträge für Speiseeis
Verwaltungsschreiben Verbot des künftigen Abschlusses von
Ausschließlichkeitsverträgen“
In der Rechtssache C-279/95 P
Langnese-Iglo GmbH, Gesellschaft deutschen Rechts, Hamburg (Deutschland),
Prozeßbevollmächtigte: Rechtsanwälte Martin Heidenhain, Bernhard M. Maassen
und Horst Satzky, Frankfurt am Main, Zustellungsanschrift: Kanzlei des
Rechtsanwalts Jean Hoss, 2, place Winston Churchill, Luxemburg,
betreffend ein Rechtsmittel gegen das Urteil des Gerichts erster Instanz der
Europäischen Gemeinschaften (Zweite erweiterte Kammer) vom 8. Juni 1995 in
der Rechtssache T-7/93 (Langnese-Iglo/Kommission, Slg. 1995, II-1533) wegen
teilweiser Aufhebung dieses Urteils,
anderer Verfahrensbeteiligter:
Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch Wouter Wils,
Juristischer Dienst, als Bevollmächtigten, Beistand: Rechtsanwalt Alexander Böhlke,
Frankfurt am Main, Zustellungsbevollmächtigter: Carlos Gómez de la Cruz,
Juristischer Dienst, Centre Wagner, Luxemburg-Kirchberg,
unterstützt durch
Mars GmbH, Gesellschaft deutschen Rechts, Viersen (Deutschland),
Prozeßbevollmächtigte: Rechtsanwalt Jochim Sedemund, Berlin, und Solicitor John
E. Pheasant, Zustellungsanschrift: Kanzlei des Rechtsanwalts Michel Molitor, 55,
boulevard de la Pétrusse, Luxemburg,
Streithelferin in der ersten Instanz,
erläßt
DER GERICHTSHOF (Fünfte Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten C. Gulmann sowie der Richter
M. Wathelet, J. C. Moitinho de Almeida, P. Jann und L. Sevón (Berichterstatter),
Generalanwalt: D. Ruiz-Jarabo Colomer
Kanzler: R. Grass
aufgrund des Berichts des Berichterstatters,
nach Anhörung der Schlußanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 13.
November 1997,
folgendes
Urteil
- 1.
- Die Langnese-Iglo GmbH (nachstehend: Klägerin) hat mit Rechtsmittelschrift, die
am 18. August 1995 bei der Kanzlei des Gerichtshofes eingegangen ist, gemäß
Artikel 49 der EG-Satzung des Gerichtshofes ein Rechtsmittel gegen das Urteil des
Gerichts erster Instanz vom 8. Juni 1995 in der Rechtssache T-7/93 (Langnese-Iglo/Kommission, Slg. 1995, II-1533; nachstehend: angefochtenes Urteil) eingelegt,
durch das ihre Klage auf Nichtigerklärung der Entscheidung 93/406/EWG der
Kommission vom 23. Dezember 1992 in einem Verfahren nach Artikel 85
EWG-Vertrag gegen Langnese-Iglo GmbH (Sache IV/34.072) (ABl. 1993, L 183,
S. 19; nachstehend: streitige Entscheidung) teilweise abgewiesen wurde.
- 2.
- Zu dem dem vorliegenden Rechtsmittel zugrunde liegenden Sachverhalt ergibt sich
aus dem angefochtenen Urteil folgendes:
„1 Mit Schreiben vom 6. Dezember 1984 ersuchte der Bundesverband der
Deutschen Süßwarenindustrie e. V., Fachsparte Eiskrem (nachstehend:
Verband), die Kommission um eine .verbindliche Erklärung', daß die von
den deutschen Herstellern von Speiseeis mit ihren Abnehmern
geschlossenen Ausschließlichkeitsverträge mit Artikel 85 Absatz 1 des
Vertrages vereinbar sind. Mit Schreiben vom 16. Januar 1985 teilte die
Kommission dem Verband mit, daß sie sich außerstande sehe, die erbetene
branchenweit verbindliche Erklärung abzugeben.
2 Das deutsche Unternehmen Schöller Lebensmittel GmbH & Co. KG
(nachstehend: Schöller) meldete mit Schreiben vom 7. Mai 1985 bei der
Kommission das Muster einer .Liefervereinbarung' zur Regelung seiner
Beziehungen zu seinen Einzelhändlern an. Am 20. September 1985 richtete
die Generaldirektion für Wettbewerb der Kommission ein
Verwaltungsschreiben an die Rechtsanwälte von Schöller, in dem es heißt:
.[M]it Datum vom 2. Mai 1985 beantragten Sie in Vertretung der Firma
Schöller Lebensmittel GmbH & Co. KG gemäß Artikel 2 der Verordnung
Nr. 17 für eine ´Eislieferungs-Vereinbarung´ die Erteilung eines
Negativattestes.
Vorsorglich meldeten Sie den Vertrag auch nach Artikel 4 der genannten
Verordnung an. Einen Mustervertrag, nach dem die zukünftige
Vertragsgestaltung der Firma Schöller ausgerichtet werden soll, reichten Sie
mit Schreiben vom 25. Juni 1985 nach.
Mit Schreiben vom 23. August 1985 stellten Sie klar, daß die in dem
angemeldeten Mustervertrag enthaltene Alleinbezugspflicht zu Lasten des
Kunden, die mit einem Wettbewerbsverbot verbunden ist, mit einer Frist
von 6 Monaten erstmals spätestens zum Ende des zweiten Vertragsjahres
und danach mit gleicher Frist jeweils zum Ende eines jeden Kalenderjahres
kündbar ist.
Nach den der Kommission bekannten Tatsachen, die im wesentlichen auf
der in Ihrem Antrag enthaltenen Darstellung beruhen, ergibt sich somit, daß
die festen Laufzeiten der zukünftig abgeschlossenen Verträge zwei Jahre
nicht überschreiten. Die durchschnittliche Laufzeit des gesamten Bestandes
Ihrer Mandantin an ´Eislieferungs-Vereinbarungen´ wird daher erheblich
unter dem Zeitraum von fünf Jahren liegen, von dem in der Verordnung
Nr. 1984/83 der Kommission vom 22. Juni 1983 (ABl. L 173 vom 30.6.83,
S. 5) die gruppenweise Freistellung von Alleinbezugsvereinbarungen
abhängig gemacht wird.
Auf der Grundlage dieser Tatsachen steht fest, daß die von der Firma
Schöller geschlossenen ´Eislieferungs-Vereinbarungen´ auch unter
Berücksichtigung der Anzahl bestehender gleichartiger Verträge
insbesondere nicht bewirken, daß der Wettbewerb für einen wesentlichen
Teil der betreffenden Waren ausgeschaltet wird. Der Zugang dritter
Unternehmen zu der Einzelhandelsstufe bleibt gewährleistet.
Die ´Eislieferungs-Vereinbarungen´ der Firma Schöller, die der Anmeldung
entsprechen, sind aus diesen Gründen mit den Wettbewerbsvorschriften des
EWG-Vertrages vereinbar. Es besteht daher für die Kommission kein
Anlaß, gegen die angemeldeten Verträge Ihrer Mandantin einzuschreiten.
Sollten sich die juristischen oder tatsächlichen Umstände, die der
vorstehenden Beurteilung zugrunde liegen, wesentlich ändern, behält es sich
die Kommission jedoch vor, das vorliegende Verfahren wieder
aufzunehmen.
Im übrigen möchte ich Ihre Mandantin darauf hinweisen, daß die bereits
bestehenden ´Eislieferungs-Vereinbarungen´ einer gleichen Beurteilung
unterliegen und daher eine Anmeldung dieser Verträge nicht erforderlich
ist, wenn die festen Laufzeiten dieser Vereinbarungen nach dem 31.
Dezember 1986 höchstens noch zwei Jahre betragen und sie danach mit
einer Frist von höchstens sechs Monaten jeweils zum Ende eines jeden
Kalenderjahres kündbar sind.
...'
3 Am 18. September 1991 legte die Mars GmbH (nachstehend: Mars) bei der
Kommission eine Beschwerde gegen die Klägerin und gegen Schöller wegen
Verstoßes gegen die Artikel 85 und 86 des Vertrages ein und beantragte
den Erlaß einstweiliger Maßnahmen zur Abwendung des schweren und nicht
wiedergutzumachenden Schadens, der ihr dadurch entstehe, daß der
Vertrieb ihrer Speiseeiserzeugnisse in Deutschland durch
wettbewerbswidrige Vereinbarungen, die die Klägerin und Schöller mit einer
Vielzahl von Einzelhändlern geschlossen hätten, wesentlich behindert werde.
4 Mit Entscheidung vom 25. März 1992 in einem Verfahren aufgrund von
Artikel 85 EWG-Vertrag (IV/34.072 Mars/Langnese und Schöller
einstweilige Maßnahmen) (nachstehend: Entscheidung vom 25. März 1992)
untersagte die Kommission der Klägerin und Schöller im Wege einer
einstweiligen Maßnahme im wesentlichen, mit Bezug auf die
Speiseeiserzeugnisse .Mars', .Snickers', .Milky Way' und .Bounty', soweit
diese dem Endverbraucher in Einzelportionen angeboten werden, ihre
vertraglichen Rechte aus von ihnen selbst oder zu ihren Gunsten
geschlossenen Vereinbarungen insoweit geltend zu machen, als sich
Einzelhändler verpflichten, ausschließlich Speiseeis dieser Hersteller zu
beziehen, anzubieten und/oder zu verkaufen. Ferner entzog die Kommission
den von der Klägerin geschlossenen Ausschließlichkeitsvereinbarungen den
Vorteil der Anwendung der Verordnung (EWG) Nr. 1984/83 der
Kommission vom 22. Juni 1983 über die Anwendung von Artikel 85 Absatz
3 des Vertrages auf Gruppen von Alleinbezugsvereinbarungen (ABl. L 173,
S. 5), soweit dies zur Durchführung des genannten Verbots erforderlich war.
5 Unter diesen Umständen erließ die Kommission im Anschluß an die
Entscheidung vom 25. März 1992 als endgültige Entscheidung über die
fraglichen .Liefervereinbarungen' am 23. Dezember 1992 die Entscheidung
93/406/EWG in einem Verfahren nach Artikel 85 EWG-Vertrag gegen
Langnese-Iglo GmbH (Sache IV/34.072) (ABl. 1993, L 183, S. 19 ...), deren
verfügender Teil wie folgt lautet:
.Artikel 1
Die von der Langnese-Iglo GmbH geschlossenen Vereinbarungen, wonach
Einzelhändler mit Sitz in Deutschland verpflichtet sind, zum Zweck des
Wiederverkaufs Kleineis (im Sinne der Erläuterungen zur
Artikelgruppierung, Stand 21. Mai 1990, der Fachsparte Eiskrem des
Bundesverbandes der Deutschen Süsswarenindustrie e. V.) ausschließlich
von dem genannten Unternehmen zu beziehen (Verkaufsstätten-Ausschließlichkeit), verstoßen gegen Artikel 85 Absatz 1 EWG-Vertrag.
Artikel 2
Soweit die in Artikel 1 genannten Vereinbarungen die Voraussetzungen für
die Gruppenfreistellung aufgrund der Verordnung (EWG) Nr. 1984/83
erfüllen, wird ihnen hiermit der Vorteil der Anwendung dieser Verordnung
entzogen.
Artikel 3
Die Langnese-Iglo GmbH wird verpflichtet, den Wiederverkäufern, mit
denen sie noch laufende Vereinbarungen der in Artikel 1 genannten Art
geschlossen hat, innerhalb von drei Monaten nach Bekanntgabe der
vorliegenden Entscheidung den Wortlaut der vorstehenden Artikel 1 und 2
unter Hinweis auf die Nichtigkeit der diesbezüglichen Vereinbarungen
mitzuteilen.
Artikel 4
Der Langnese-Iglo GmbH wird bis zum 31. Dezember 1997 untersagt,
Vereinbarungen der in Artikel 1 bezeichneten Art abzuschließen.
...'“
- 3.
- Außerdem erließ die Kommission am 23. Dezember 1992 die Entscheidung
93/405/EWG in einem Verfahren nach Artikel 85 EWG-Vertrag gegen Schöller
Lebensmittel GmbH & Co. KG (Sachen IV/31.533 und IV/34.072) (ABl. 1993,
L 183, S. 1). Diese Entscheidung, insbesondere ihre Artikel 1, 3 und 4, hat im
wesentlichen denselben Wortlaut wie die streitige Entscheidung.
- 4.
- Am 19. Januar 1993 erhob die Klägerin beim Gericht Klage auf Nichtigerklärung
der streitigen Entscheidung.
- 5.
- Mit am 4. Februar 1993 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangenem Schriftsatz
beantragte Mars, in dem Verfahren vor dem Gericht als Streithelferin zur
Unterstützung der Anträge der Kommission zugelassen zu werden. Mit Beschluß
vom 12. Juli 1993 gab der Präsident der Ersten Kammer des Gerichts dem
Streithilfeantrag statt.
- 6.
- Mit demselben Beschluß sowie mit Beschluß des Präsidenten der Zweiten
erweiterten Kammer vom 9. November 1994 gab das Gericht gemäß Artikel 116
§ 2 seiner Verfahrensordnung einem Antrag der Klägerin auf vertrauliche
Behandlung statt.
- 7.
- Zur Stützung ihrer Klage vor dem Gericht machte die Klägerin fünf Klagegründe
geltend: erstens fehlerhafte Zustellung der Entscheidung, da die Kommission
bestimmte Anlagen nicht zugestellt habe, zweitens Verstoß gegen den Grundsatz
des Vertrauensschutzes, da die Kommission den im Verwaltungsschreiben
eingenommenen Standpunkt nicht beibehalten habe, drittens Verstoß gegen Artikel
85 Absatz 1 des Vertrages, viertens Verstoß gegen Artikel 85 Absatz 3 des
Vertrages und gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, da die Kommission
den in der Verordnung Nr. 1984/83 vorgesehenen Vorteil der Gruppenfreistellung
für die Gesamtheit der streitigen Liefervereinbarungen entzogen habe, und fünftens
Verstoß gegen Artikel 3 der Verordnung Nr. 17 des Rates vom 6. Februar 1962,
Erste Durchführungsverordnung zu den Artikeln 85 und 86 des Vertrages (ABl.
1962, Nr. 13, S. 204).
- 8.
- Die Kommission, unterstützt durch Mars, beantragte, die Klage abzuweisen.
- 9.
- Mit dem angefochtenen Urteil erklärte das Gericht Artikel 4 der streitigen
Entscheidung für nichtig und wies die Klage im übrigen ab. Außerdem erlegte es
der Klägerin sämtliche Kosten einschließlich der Kosten des Verfahrens der
einstweiligen Anordnung (vgl. Beschluß des Präsidenten des Gerichts vom 19.
Februar 1993 in der Rechtssache T-7/93 R und T-9/93 R, Langnese-Iglo und
Schöller/Kommission, Slg. 1993, II-131) und der Kosten von Mars mit Ausnahme
eines Viertels aller der Kommission entstandenen Kosten auf. Die Kommission trug
also ein Viertel ihrer eigenen Kosten.
- 10.
- Schöller erhob beim Gericht ebenfalls Klage gegen die an sie gerichtete
Entscheidung 93/405. Mit Urteil vom 8. Juni 1995 in der Rechtssache T-9/93
(Schöller/Kommission, Slg. 1995, II-1611) erklärte das Gericht, wie in dem
angefochtenen Urteil, Artikel 4 der genannten Entscheidung für nichtig und wies
die Klage im übrigen ab. Schöller legte gegen dieses Urteil kein Rechtsmittel ein.
- 11.
- In ihrem Rechtsmittel beantragt die Klägerin, das angefochtene Urteil insoweit
aufzuheben, als es ihre Klage abgewiesen hat, die Artikel 1, 2 und 3 der streitigen
Entscheidung für nichtig zu erklären und der Kommission die Kosten des
Verfahrens vor dem Gericht erster Instanz und die Kosten desRechtsmittelverfahrens aufzuerlegen. Hilfsweise beantragt sie, den Rechtsstreit an
das Gericht zurückzuverweisen.
- 12.
- Die Kommission beantragt, das Rechtsmittel zurückzuweisen, das angefochtene
Urteil insoweit aufzuheben, als es der Klage stattgegeben und Artikel 4 der
streitigen Entscheidung für nichtig erklärt hat, sowie die Klage abzuweisen.
Außerdem beantragt sie, der Klägerin die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.
- 13.
- Mars beantragt, das Rechtsmittel zurückzuweisen und das angefochtene Urteil
insoweit aufzuheben, als dadurch Artikel 4 der streitigen Entscheidung für nichtig
erklärt wurde.
- 14.
- Mit Beschluß vom 20. März 1996 hat der Präsident des Gerichtshofes einem Antrag
der Klägerin auf vertrauliche Behandlung gemäß Artikel 93 § 3 Satz 2 und Artikel
118 der Verfahrensordnung des Gerichtshofes stattgegeben. Durch diesen Beschluß
wird für bestimmte Angaben zum Grad der Abhängigkeit vertrauliche Behandlung
gewährt. Diese Angaben sind daher in dem vorliegenden Urteil nicht erwähnt.
- 15.
- Die Klägerin trägt zur Begründung ihres Rechtsmittels drei Rügen vor:
Verstoß gegen den Grundsatz des Vertrauensschutzes,
Verstoß gegen Artikel 85 Absatz 1 EG-Vertrag Auswirkung der
Alleinbezugsverträge auf den Wettbewerb,
Verstoß gegen die Grundsätze der Verhältnismäßigkeit und der
Gleichbehandlung.
- 16.
- Die Kommission, unterstützt durch Mars, macht zur Begründung ihres
Anschlußrechtsmittels geltend, daß die Nichtigerklärung von Artikel 4 der streitigen
Entscheidung gegen Artikel 3 der Verordnung Nr. 17 verstoße.
- 17.
- Mit Schreiben, das am 27. März 1998 beim Gerichtshof eingegangen ist, hat die
Klägerin beantragt, das Anschlußrechtsmittel der Kommission von Amts wegen für
erledigt zu erklären. Die Kommission sowie Mars widersetzen sich diesem Antrag.
Zum Rechtsmittel
Zur ersten Rüge
- 18.
- Die erste Rüge betrifft die Randnummern 35 bis 42 des angefochtenen Urteils, die
sich auf den Verstoß gegen den Grundsatz des Vertrauensschutzes beziehen.
- 19.
- Vor dem Gericht hat die Klägerin geltend gemacht, daß die Kommission an die in
dem Verwaltungsschreiben vorgenommene Wertung gebunden sei, weil sie nicht
habe nachweisen können, daß dieses Schreiben aufgrund unrichtiger oder
unvollständiger Angaben erlangt worden sei oder daß sich die den Speiseeismarkt
charakterisierenden rechtlichen oder tatsächlichen Verhältnisse seit seiner Erteilung
wesentlich geändert hätten (Randnrn. 28 bis 30 des angefochtenen Urteils).
- 20.
- Außerdem sei das Verwaltungsschreiben zwar an Schöller gerichtet gewesen, aber
die Kommission und die Parteien, die an dem durch das Schreiben des Verbandes
vom 6. Dezember 1984 eingeleiteten Verfahren beteiligt gewesen seien (darunter
die Klägerin), seien sich darüber einig gewesen, daß die von Schöller im Mai 1985
vorgenommene Anmeldung der von ihr geschlossenen Eislieferungsvereinbarungen
und der gleichzeitig gestellte Antrag auf Erteilung eines Negativattestes auch für
alle Mitglieder des Verbandes gälten. Infolgedessen erfasse das
Verwaltungsschreiben sämtliche auf dem Markt für Speiseeis bestehenden
Ausschließlichkeitsverträge (Randnr. 31 des angefochtenen Urteils).
- 21.
- Das Gericht hat in Randnummer 35 des angefochtenen Urteils zunächst ausgeführt,
daß nicht geprüft zu werden brauche, ob die Klägerin zu der Annahme berechtigt
gewesen sei, daß die von der Kommission in dem an Schöller gerichteten
Verwaltungsschreiben vorgenommene Beurteilung auch für ihre rechtliche Situation
gelte, und daß die von der Klägerin vorgeschlagene Vernehmung von Zeugen zu
dieser Frage nicht durchgeführt zu werden brauche. Es genüge die Feststellung, daß
das genannte Verwaltungsschreiben die Kommission jedenfalls nicht an der Prüfung
der von Mars eingelegten Beschwerde habe hindern können.
- 22.
- Insoweit hat das Gericht in Randnummer 36 daran erinnert, daß nach der
Rechtsprechung ein Verwaltungsschreiben weder ein Negativattest noch eine
Erklärung nach Artikel 85 Absatz 3 des Vertrages im Sinne der Artikel 2 und 6 der
Verordnung Nr. 17 darstelle, da das Verwaltungsschreiben nicht gemäß den
Bestimmungen dieser Verordnung erlassen worden sei (Urteile des Gerichtshofes
vom 10. Juli 1980 in den Rechtssachen 253/78 und 1/79 bis 3/79, Giry und Guerlain
u. a., Slg. 1980, 2327, in der Rechtssache 37/79, Marty, Slg. 1980, 2481, und in der
Rechtssache 99/79, Lancôme und Cosparfrance, Slg. 1980, 2511, sowie Urteil vom
11. Dezember 1980 in der Rechtssache 31/80, L'Oréal, Slg. 1980, 3775). Weiter hat
das Gericht in Randnummer 37 ausgeführt, es handle sich um ein Schreiben, mit
dem dem betroffenen Unternehmen, d. h. Schöller, die Auffassung der Kommission
mitgeteilt worden sei, daß für sie nach den konkreten Umständen kein Anlaß
bestehe, gegen die fraglichen Verträge einzuschreiten. Schließlich hat das Gericht
in Randnummer 38 festgestellt, daß die Kommission seinerzeit nur eine vorläufige
Untersuchung der Marktbedingungen vorgenommen und sich in ihrem
Verwaltungsschreiben vorbehalten habe, das Verfahren wiederaufzunehmen, falls
sich die ihrer Beurteilung zugrunde liegenden rechtlichen oder tatsächlichen
Umstände wesentlich änderten.
- 23.
- In Randnummer 39 des angefochtenen Urteils hat das Gericht erstens festgestellt,
daß seit der Erteilung des Verwaltungsschreibens zwei neue Wettbewerber, Mars
und Jacobs Suchard, auf dem Markt aufgetreten seien. Zweitens habe die
Kommission nach der Einlegung der Beschwerde durch Mars erfahren, daß
insbesondere im Lebensmittelhandel zusätzliche Marktzutrittsschranken bestünden.
Nach Auffassung des Gerichts (Randnr. 40) handelte es sich bei diesen Tatsachen
um neue Umstände, die, insbesondere im Hinblick auf die konkreten Probleme, auf
die Mars gestoßen sei, eine eingehendere und genauere Untersuchung der
Bedingungen für den Marktzutritt gerechtfertigt hätten, als sie bei Erteilung des
Verwaltungsschreibens vorgenommen worden sei. Dieses Schreiben habe die
Kommission folglich nicht daran gehindert, das Verfahren wiederaufzunehmen, um
im konkreten Fall die Vereinbarkeit der streitigen Liefervereinbarungen mit den
Wettbewerbsregeln zu prüfen. Insoweit hat sich das Gericht in Randnummer 41
auch auf die Verpflichtung der Kommission zur Prüfung einer Beschwerde gestützt.
- 24.
- Mit ihrem Rechtsmittel macht die Klägerin geltend, daß es der Kommission nicht
gestattet gewesen sei, vom Inhalt des Verwaltungsschreibens abzuweichen und das
klägerische Netz von Alleinbezugsverträgen zu untersagen, es sei denn, die Prüfung
hätte ergeben, daß sich die rechtlichen und tatsächlichen Verhältnisse auf dem
Markt für Speiseeis wesentlich geändert hätten. Die Feststellungen des Gerichts zu
den auf dem Markt eingetretenen tatsächlichen Änderungen träfen aber nicht zu.
- 25.
- Außerdem beanstandet die Klägerin die Feststellung in dem angefochtenen Urteil,
daß die Kommission vor Erteilung des Verwaltungsschreibens nur eine vorläufige
Untersuchung der Marktbedingungen vorgenommen habe. Selbst wenn diese
Feststellung sachlich richtig sein sollte, wäre sie nach Ansicht der Klägerin völlig
unerheblich. Denn die beteiligten Unternehmen müßten darauf vertrauen können,
daß der Erteilung eines Verwaltungsschreibens eine objektive Überprüfung der
tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse der betroffenen Märkte zugrunde liege.
- 26.
- Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofes kann ein Rechtsmittel gemäß
Artikel 168a EG-Vertrag und Artikel 51 Absatz 1 der EG-Satzung des
Gerichtshofes nur auf Gründe gestützt werden, die sich auf die Verletzung von
Rechtsvorschriften, nicht aber auf die Würdigung von Tatsachen beziehen (vgl.
insbesondere Urteil vom 1. Oktober 1991 in der Rechtssache C-283/90 P,
Vidrányi/Kommission, Slg. 1991, I-4339, Randnr. 12, Beschluß vom 17. September
1996 in der Rechtssache C-19/95 P, San Marco Impex/Kommission, Slg. 1996, I-4435, Randnrn. 36 und 39, sowie Urteil vom 28. Mai 1998 in der Rechtssache
C-7/95 P, Deere/Kommission, Slg. 1998, I-0000, Randnrn. 18 und 21).
- 27.
- Die Klägerin bestreitet jedoch die vom Gericht festgestellten neuen Umstände in
bezug auf den Markteintritt neuer Wettbewerber und das Bestehen zusätzlicher
Marktzutrittsschranken, von denen die Kommission nach der Einlegung der
Beschwerde durch Mars erfahren habe. Damit wendet sie sich gegen dessen
Tatsachenwürdigung. Dieses Vorbringen ist daher im Rahmen eines Rechtsmittels
unzulässig. Dasselbe gilt, soweit die Klägerin die Feststellung des Gerichts rügt, die
Kommission habe vor Erteilung des Verwaltungsschreibens nur eine vorläufige
Untersuchung der Marktbedingungen vorgenommen.
- 28.
- Dem Vorbringen ist auch die Rüge zu entnehmen, das Gericht habe es für zulässig
erklärt, daß die Kommission von ihrer in dem Verwaltungsschreiben dargelegten
Beurteilung nicht nur aufgrund von nach Erteilung dieses Schreibens eingetretenen
tatsächlichen oder rechtlichen Änderungen, sondern auch aufgrund neuer
Umstände abweiche, die zwar bereits vorher bestanden hätten, ihr aber erst nach
Erteilung dieses Schreibens bekannt geworden seien.
- 29.
- Hierzu hat sich das Gericht in den Urteilsgründen geäußert, und zwar zunächst zur
Rechtsnatur eines Verwaltungsschreibens (Randnrn. 36 und 37 des angefochtenen
Urteils). Es hat dann ausgeführt, daß sich die Kommission in diesem Schreiben im
vorliegenden Fall vorbehalten habe, das Verfahren wiederaufzunehmen, falls sich
die ihrer Beurteilung zugrunde liegenden rechtlichen oder tatsächlichen Umstände
wesentlich ändern sollten (Randnr. 38 des angefochtenen Urteils), und schließlich
zur Verpflichtung der Kommission, eine Beschwerde angemessen zu prüfen,
Stellung genommen (Randnr. 41 des angefochtenen Urteils).
- 30.
- Aus diesen Erwägungen des Gerichts, gegen die die Klägerin in ihrem Rechtsmittel
im übrigen keinen spezifischen Einwand erhebt, ergibt sich, daß die Erteilung eines
Verwaltungsschreibens nicht zur Folge haben kann, daß die Kommission eine
Tatsache nicht mehr berücksichtigen dürfte, wenn diese Tatsache bereits vor
Erteilung des Verwaltungsschreibens bestand, aber der Kommission erst
nachträglich, insbesondere im Rahmen einer später eingelegten Beschwerde,
bekannt wurde.
- 31.
- Folglich ist die erste Rüge teils unzulässig und teils unbegründet, so daß sie
zurückzuweisen ist.
Zur zweiten Rüge
- 32.
- Mit ihrer zweiten Rüge beanstandet die Klägerin, daß das Gericht in den
Randnummern 94 bis 114 zu dem Ergebnis gekommen sei, die Kommission habe
zu Recht die Ansicht vertreten, daß die von der Klägerin geschlossenen
Alleinbezugsverträge zu einer spürbaren Beschränkung des Wettbewerbs auf dem
relevanten Markt führten und daher mit Artikel 85 Absatz 1 EG-Vertrag
unvereinbar seien.
- 33.
- Zu diesem Ergebnis gelange das Gericht aufgrund mehrerer Annahmen, die aus
den Akten nicht zu entnehmen seien, und einer unrichtigen rechtlichen Beurteilung
des Sachverhalts.
- 34.
- Erstens sei den Akten nichts zu entnehmen, woraus das Gericht in Randnummer
105 hätte folgern können, daß die von der Klägerin und Schöller geschaffenen
Netze von Alleinbezugsverträgen zu einem kumulierten Bindungsgrad von mehr als
30 % geführt hätten. Aus den Akten ergebe sich, daß dieser Bindungsgrad unter
30 % gelegen habe; diesen Prozentsatz habe die Kommission in dem
Verwaltungsschreiben sowie im Fünfzehnten Bericht über die Wettbewerbspolitik von
1985 als zulässig angesehen.
- 35.
- Zweitens wiederhole das Gericht mit der Feststellung in bezug auf die große Zahl
von Kühltruhen (Randnrn. 107 und 108), die die Klägerin Einzelhändlern zur
Verfügung gestellt habe, sofern diese sie nur zur Aufbewahrung ihrer Erzeugnisse
verwendeten, nur eine Behauptung der Kommission, die die Klägerin aber vor dem
Gericht bestritten habe. Dasselbe gelte hinsichtlich der Rabatte, die die Klägerin
gewährt habe, um einen bestimmten Prozentsatz des Absatzes von Kleineis zu
sichern (Randnr. 109 des angefochtenen Urteils). Die Kommission habe für ihren
Vortrag keinen Beweis erbracht, obwohl das Gericht in Randnummer 95
hervorgehoben habe, daß die Kommission für das Vorliegen der angeblichen
Marktzutrittsschranken beweispflichtig sei.
- 36.
- Drittens könne, selbst wenn man unterstelle, daß der Bindungsgrad auf dem
relevanten Markt für Speiseeis zwischen der von der Klägerin genannten Zahl und
der vom Gericht festgestellten Zahl gelegen habe und also etwas höher oder etwas
niedriger als 30 % gewesen sei, aus dem Sachverhalt, soweit er vom Gericht
ordnungsgemäß festgestellt worden sei, nicht gefolgert werden, daß der Zugang zu
dem fraglichen Markt spürbar beschränkt oder gar verschlossen gewesen sei.
- 37.
- Mit ihrem Vorbringen greift die Klägerin mehrere tatsächliche Feststellungen des
Gerichts an. Wie in Randnummer 26 des vorliegenden Urteils ausgeführt, ist der
Gerichtshof im Rahmen eines Rechtsmittels für die Würdigung von Tatsachen nicht
zuständig.
- 38.
- Vielmehr obliegt die Würdigung der ihm vorgelegten Beweise dem Gericht; eine
Nachprüfung beschränkt sich auf Verstöße gegen allgemeine Grundsätze (vgl.
insoweit Beschluß San Marco Impex/Kommission, Randnr. 40, sowie Urteile vom
2. März 1994 in der Rechtssache C-53/92 P, Slg. 1994, I-667, Randnr. 42, und
Deere/Kommission, Randnr. 22). Solche Verstöße hat die Klägerin nicht geltend
gemacht.
- 39.
- Was den dritten Teil der zweiten Rüge anbelangt, so beanstandet die Klägerin
offenbar pauschal die Folgerungen, die das Gericht aus seinen tatsächlichen
Feststellungen gezogen hat; insbesondere beschränke ein Bindungsgrad, der etwas
höher oder etwas niedriger als 30 % sei, den Marktzugang nicht spürbar,
insbesondere wenn der fragliche Markt gerade expandiere.
- 40.
- Die Klägerin gibt hingegen nicht an, welche Rechtsfehler das Gericht bei seiner
Würdigung der rechtlichen Gesichtspunkte begangen haben soll; ihr Vorbringen
richtet sich gegen die Tatsachenfeststellungen des Gerichts. Daher ist dieser Teil
der Rüge ebenfalls unzulässig.
- 41.
- Folglich ist die zweite Rüge insgesamt unzulässig.
Zur dritten Rüge
- 42.
- Die dritte Rüge besteht aus zwei Teilen: erstens sei gegen den Grundsatz der
Verhältnismäßigkeit, zweitens gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung
verstoßen worden.
Zum ersten Teil der dritten Rüge
- 43.
- Die Klägerin macht geltend, das Gericht habe gegen den Grundsatz der
Verhältnismäßigkeit verstoßen, indem es entschieden habe, daß die Kommission
nicht fehlerhaft gehandelt habe, als sie den in der Verordnung Nr. 1984/83
vorgesehenen Vorteil der Gruppenfreistellung entzogen und sämtliche von der
Klägerin geschlossenen Alleinbezugsverträge verboten habe, ohne ihr zuvor
mitzuteilen, inwieweit ein Netz von Alleinbezugsverträgen mit Artikel 85 EG-Vertrag vereinbar sei, und ohne ihr also Gelegenheit zu geben, das Netz an die
Anforderungen dieser Bestimmung anzupassen.
- 44.
- Zur Begründung trägt die Klägerin vor, die Gedankenführung des Gerichts sei
widersprüchlich. So habe das Gericht in Randnummer 131 die Ansicht vertreten,
daß ein Bündel gleichartiger Verträge, wie es die Alleinbezugsverträge der Klägerin
darstellten, als Ganzes zu beurteilen sei, so daß die Kommission zu Recht keine
Aufgliederung der Verträge vorgenommen habe, und in Randnummer 193
ausgeführt, daß die Kommission in einem Verfahren zur Anwendung von Artikel
85 EG-Vertrag nicht anzugeben brauche, welche Vereinbarungen zur etwaigen
kumulativen Wirkung gleichartiger Vereinbarungen auf dem Markt nur in
unerheblichem Maß beitrügen. Diese Erwägungen des Gerichts widersprächen
denen, die es in den Randnummern 207 und 208 angestellt habe, wonach Artikel
85 Absatz 1 dem Abschluß von Alleinbezugsverträgen im allgemeinen nicht
entgegenstehe, sofern dieser nicht in erheblichem Maß zu einer Abschottung des
Marktes beitrage, und die Kommission nicht berechtigt sei, durch eine
Einzelfallentscheidung die Rechtswirkungen eines normativen Aktes wie der
Verordnung Nr. 1984/83 einzuschränken oder zu begrenzen.
- 45.
- Wie der Generalanwalt in Nummer 27 seiner Schlußanträge ausgeführt hat, leitet
die Klägerin diesen angeblichen Widerspruch aus Erwägungen ab, die in dem
angefochtenen Urteil in unterschiedlichem Zusammenhang stehen, ohne zu
berücksichtigen, daß das Gericht eine klare Unterscheidung zwischen der
Anwendung des Artikels 85 Absatz 1 auf die bestehenden Vereinbarungen und der
Reichweite des Artikels 3 der Verordnung Nr. 17 in bezug auf etwaige in der
Zukunft von der Klägerin geschlossene Alleinbezugsverträge vornimmt.
- 46.
- Entgegen der Auffassung der Klägerin enthält also die Gedankenführung des
Gerichts insoweit keinen Widerspruch.
- 47.
- Überdies hat die Klägerin die beanstandeten Randnummern des Urteils nicht
genau genug bezeichnet. Gegenstand ihrer Argumentation sind nämlich
Gesichtspunkte, die sowohl in den Randnummern 129 bis 132 des angefochtenen
Urteils betreffend den Teil des Klagegrundes, in dem es um die angebliche
Verpflichtung der Kommission geht, die einzelnen Verträge so aufzuteilen, daß ein
Teil der Verträge nicht unter das Verbot des Artikels 85 Absatz 1 EG-Vertrag fällt
als auch in den Randnummern 192 bis 195 des angefochtenen Urteils
betreffend die Frage, ob das völlige Verbot der Liefervereinbarungen gegen den
Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verstößt angesprochen sind.
- 48.
- Angesichts dieser Ungenauigkeit, auf die die Kommission hingewiesen hat, kann
der Gerichtshof nicht prüfen, ob der vorliegende Teil der Rüge begründet ist. Ein
Rechtsmittel muß nämlich die beanstandeten Teile des Urteils, dessen Aufhebung
beantragt wird, sowie die rechtlichen Argumente, die diesen Antrag speziell stützen,
genau bezeichnen (vgl. insbesondere Beschluß San Marco Impex/Kommission,
Randnr. 37, und Urteil Deere/Kommission, Randnr. 19).
- 49.
- Der erste Teil der dritten Rüge ist daher unzulässig.
Zum zweiten Teil der dritten Rüge
- 50.
- Nach Auffassung der Klägerin verstößt die Untersagung ihrer sämtlichen
Alleinbezugsverträge auch gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung. Das
Gericht habe insoweit in Randnummer 209 des angefochtenen Urteils festgestellt,
daß Artikel 4 der streitigen Entscheidung gegen diesen Grundsatz verstoße, da er
bestimmte Unternehmen für die Zukunft vom Vorteil der Verordnung Nr. 1984/83
ausschließe, wohingegen die Wettbewerber der Klägerin den Vorteil dieser
Verordnung nutzen könnten.
- 51.
- Der Grundsatz der Gleichbehandlung müsse aber entsprechend auch für die
Vergangenheit gelten. Die Kommission dürfe nicht sämtliche Alleinbezugsverträge
der Klägerin unabhängig davon untersagen, ob sie von Artikel 85 Absatz 1 EG-Vertrag erfaßt und von der Verordnung Nr. 1984/83 freigestellt würden, während
die Wettbewerber der Klägerin vergleichbare Alleinbezugsverträge aufrechterhalten
und durchsetzen könnten.
- 52.
- Was den Hinweis auf Randnummer 209 des angefochtenen Urteils anbelangt, so
ist festzustellen, daß sich die Klägerin bei ihrer Beanstandung der völligen
Untersagung der bestehenden Verträge auf eine Erwägung des Gerichts bezieht,
die nur künftige Verträge betrifft. Diese Bezugnahme ist daher als solche nicht
einschlägig.
- 53.
- Im übrigen hat die Klägerin vor dem Gericht nicht geltend gemacht, daß die
Kommission mit dem Verbot bestehender Alleinbezugsverträge gegen den
Grundsatz der Gleichbehandlung verstoßen habe.
- 54.
- Nach Artikel 48 § 2 der Verfahrensordnung des Gerichts können neue
Angriffsmittel im Laufe des Verfahrens nicht mehr geltend gemacht werden, es sei
denn, daß sie auf rechtliche oder tatsächliche Gründe gestützt werden, die erst
während des Verfahrens zutage getreten sind.
- 55.
- Könnte eine Partei vor dem Gerichtshof erstmals ein Angriffsmittel vorbringen, das
sie vor dem Gericht nicht vorgebracht hat, so könnte sie den Gerichtshof, dessen
Befugnisse im Rechtsmittelverfahren beschränkt sind, letztlich mit einem
Rechtsstreit befassen, der weiter reicht als derjenige, den das Gericht zu
entscheiden hatte. Im Rahmen eines Rechtsmittels sind daher die Befugnisse des
Gerichtshofes auf die Prüfung der Beurteilung des vor dem Gericht erörterten
Vorbringens durch das Gericht beschränkt (vgl. sinngemäß, Urteil vom 1. Juni 1994
in der Rechtssache C-136/92 P, Kommission/Brazzelli Lualdi u. a., Slg. 1994, I-1981,
Randnr. 59).
- 56.
- Dieser Teil der dritten Rüge ist daher unzulässig.
- 57.
- Damit ist die dritte Rüge insgesamt unzulässig und deshalb zurückzuweisen.
- 58.
- Nach alledem sind die von der Klägerin zur Begründung des Rechtsmittels
vorgetragenen Rügen teils unzulässig teils unbegründet. Das Rechtsmittel ist daher
insgesamt zurückzuweisen.
Zum Anschlußrechtsmittel
Angefochtenes Urteil und Vorbringen der Parteien
- 59.
- Durch das angefochtene Urteil hat das Gericht Artikel 4 der streitigen
Entscheidung für nichtig erklärt, der bestimmt: „Der Langnese-Iglo GmbH wird bis
zum 31. Dezember 1997 untersagt, Vereinbarungen der in Artikel 1 bezeichneten
Art abzuschließen.“
- 60.
- Nach Auffassung des Gerichts gibt nämlich Artikel 3 der Verordnung Nr. 17
„Stellt die Kommission ... eine Zuwiderhandlung gegen Artikel 85 oder 86 des
Vertrages fest, so kann sie die beteiligten Unternehmen und
Unternehmensvereinigungen durch Entscheidung verpflichten, die festgestellte
Zuwiderhandlung abzustellen“ der Kommission nur das Recht, bestehende
Ausschließlichkeitsverträge zu untersagen, die mit den Wettbewerbsregeln
unvereinbar sind (Randnr. 205).
- 61.
- Dazu hat das Gericht erstens festgestellt, daß nach dem Urteil vom 28. Februar
1991 in der Rechtssache C-234/89 (Delimitis, Slg. 1991, I-935, Randnrn. 23 und 24)
die Alleinbezugsverträge eines Lieferanten, deren Beitrag zu einer kumulativen
Wirkung unerheblich ist, nicht unter das Verbot des Artikels 85 Absatz 1 fallen.
Folglich stehe Artikel 85 Absatz 1 dem Abschluß von Alleinbezugsverträgen im
allgemeinen nicht entgegen, sofern er nicht in erheblichem Maß zu einer
Abschottung des Marktes beitrage. Das Gericht hat das Vorbringen der
Kommission zurückgewiesen, daß das Verbot jedes Abschlusses zukünftiger
Verträge notwendig sei, um eine Umgehung des in Artikel 1 der streitigen
Entscheidung ausgesprochenen Verbotes der bestehenden Verträge mit Hilfe der
Verordnung Nr. 1984/83 zu verhindern (Randnrn. 206 und 207 des angefochtenen
Urteils).
- 62.
- Zweitens enthalte die Verordnung Nr. 1984/83, eine generelle Rechtsnorm, keine
Rechtsgrundlage für eine Einzelfallentscheidung über den Entzug des Vorteils einer
Gruppenfreistellung für zukünftige Vereinbarungen (Randnr. 208 des
angefochtenen Urteils).
- 63.
- Drittens verstoße es gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung, wenn bestimmte
Unternehmen für die Zukunft vom Vorteil einer Gruppenfreistellung
ausgeschlossen würden, während andere Unternehmen weiterhin
Alleinbezugsvereinbarungen der durch die streitige Entscheidung untersagten Art
schließen könnten (Randnr. 209).
- 64.
- Die Kommission, unterstützt durch Mars, macht geltend, daß die Auslegung von
Artikel 3 der Verordnung Nr. 17 durch das Gericht rechtsfehlerhaft sei. Diese
Bestimmung erlaube es der Kommission, die Fortsetzung des Verhaltens zu
verhindern, das als Zuwiderhandlung gegen die Wettbewerbsvorschriften eingestuft
worden sei. Es handle sich somit nicht um ein Mittel, das bestehende Verstöße
sanktioniere, sondern um ein Mittel, das weiteren Verstößen in der Zukunft
vorbeuge. Ohne Artikel 4 der streitigen Entscheidung habe es die Klägerin in der
Hand, mittels der Verordnung Nr. 1984/83 für neue Ausschließlichkeitsverträge den
Vorteil der Gruppenfreistellung zu erlangen. Mit der Untersagung in Artikel 4 solle
die Einhaltung der Artikel 1 und 2 der streitigen Entscheidung gewährleistet
werden.
- 65.
- Vor dem Gerichtshof hat die Kommission ihre Auffassung zur Auslegung von
Artikel 4 der streitigen Entscheidung dahin gehend verdeutlicht, daß sie ihre vor
dem Gericht vertretene Behauptung, Artikel 4 umfasse auch jeden Abschluß von
Alleinbezugsvereinbarungen mit neuen Wiederverkäufern, nicht mehr
aufrechterhalte. Der Anschlußrechtsmittelgrund beanstande das angefochtene
Urteil nur insoweit, als es Artikel 4 der streitigen Entscheidung in der engsten
Auslegung für nichtig erkläre, d. h. soweit dieser Artikel es der Klägerin untersage,
dasselbe Netz von Ausschließlichkeitsverträgen wie das vorherige erneut
aufzubauen.
- 66.
- Nach Auffassung der Klägerin ist Artikel 4 der streitigen Entscheidung dagegen in
dem Sinne zu verstehen, daß er ihr den Abschluß jeder
Ausschließlichkeitsvereinbarung mit Einzelhändlern zum Zweck des Wiederverkaufs
von Kleineis untersage. Artikel 4 unterscheide nicht danach, ob der Abschluß mit
einem Vertragspartner erfolge, der zum Zeitpunkt der streitigen Entscheidung
durch eine Ausschließlichkeitsvereinbarung an die Klägerin gebunden gewesen sei,
oder ob der Abschluß mit einem von der Klägerin erst nach diesem Zeitpunkt
gewonnenen Abnehmer erfolge. Ferner werde ihr bis zum 31. Dezember 1997
durch Artikel 4 der Abschluß jeder Ausschließlichkeitsvereinbarung unabhängig
davon, welche Anzahl von Ausschließlichkeitsvereinbarungen die Klägerin bis zu
diesem Zeitpunkt abschließe, sowie davon untersagt, ob und inwieweit die jeweilige
Vereinbarung einzeln oder zusammen mit anderen Vereinbarungen der Klägerin
und ihrer Wettbewerber von Artikel 85 Absatz 1 EG-Vertrag erfaßt oder von der
Verordnung Nr. 1984/83 freigestellt werde. Artikel 4 sei auch nicht erforderlich, um
eine Umgehung der Untersagung nach Artikel 1 der streitigen Entscheidung zu
verhindern.
- 67.
- Artikel 4 der streitigen Entscheidung weiche zudem von den entsprechenden
Bestimmungen in anderen Entscheidungen ab, mit denen die Kommission in derVergangenheit die beteiligten Unternehmen aufgrund von Artikel 3 der
Verordnung Nr. 17 verpflichtet habe, eine festgestellte Zuwiderhandlung gegen
Artikel 85 EG-Vertrag abzustellen. Die Kommission habe in diesen Entscheidungen
die beteiligten Unternehmen verpflichtet, in Zukunft keine Vereinbarungen zu
treffen, die „den gleichen oder einen ähnlichen Zweck“ oder „die gleiche oder eine
ähnliche Wirkung“ wie die untersagten Vereinbarungen hätten.
- 68.
- Schließlich verstieße es gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung, wenn dem
Antrag stattgegeben würde, da weder die Kommission noch Mars gegen das Urteil
Schöller/Kommission ein Rechtsmittel eingelegt hätten.
Zum Einwand der Erledigung
- 69.
- Da das in Artikel 4 der streitigen Entscheidung festgesetzte Datum, der 31.
Dezember 1997, zwischenzeitlich verstrichen ist, macht die Klägerin geltend, daß
das Anschlußrechtsmittel gegenstandslos geworden sei. Daraus ergebe sich, daß der
Gerichtshof das Anschlußrechtsmittel von Amts wegen für erledigt erklären müsse.
Die Klägerin stützt sich insoweit auf das Urteil vom 5. Oktober 1988 in der
Rechtssache 56/85 (Brother Industries/Kommission, Slg. 1988, 5655).
- 70.
- Nach Auffassung der Kommission bleibt die Frage der Rechtmäßigkeit des Artikels
4 der streitigen Entscheidung in seiner engen Auslegung dagegen sowohl
grundsätzlich als auch praktisch bestehen. Die praktische Bedeutung ergebe sich
daraus, daß die Klägerin im Anschluß an das angefochtene Urteil gegen Artikel 4
der streitigen Entscheidung in seiner engen Auslegung verstoßen habe. Nach
Auffassung von Mars wirft die Beantwortung des Anschlußrechtsmittels zudem die
Frage auf, ob die von der Klägerin vor dem 31. Dezember 1997 mit verschiedenen
Verkaufsstätten geschlossenen Verträge gültig seien und ob die Wettbewerber
gegebenenfalls wegen Verstoßes gegen Artikel 85 Absatz 1 EG-Vertrag
Schadensersatz verlangen könnten.
- 71.
- Falls das Anschlußrechtsmittel zur Aufhebung des angefochtenen Urteils führen
würde, soweit dieses Artikel 4 der streitigen Entscheidung für nichtig erklärt hat,
hätte zwar die dort statuierte Untersagung, da nur bis zum 31. Dezember 1997
befristet, für die Gegenwart keine praktische Bedeutung. Wie die Kommission und
Mars ausgeführt haben, entfällt mit dieser Feststellung jedoch nicht das Interesse
an einer endgültigen Entscheidung des Rechtsstreits über die Rechtmäßigkeit und
Tragweite des Artikels 4 der streitigen Entscheidung, die klärt, welche Rechtsfolgen
die Bestimmung in der Zeit vor dem darin genannten Datum hatte.
- 72.
- Überdies ist die in dem Urteil Brother Industries/Kommission getroffene
Beurteilung, auf die sich die Klägerin stützt, auf die vorliegende Rechtssache nicht
übertragbar. Die beiden Situationen sind nämlich nicht vergleichbar, da in der
erstgenannten Rechtssache die gegen eine Verordnung gerichtete Klage
gegenstandslos wurde, weil die Verordnung während des Verfahrens durch eine
andere, vom selben Kläger ebenfalls angegriffene Verordnung ersetzt wurde.
- 73.
- Folglich ist das Anschlußrechtsmittel nicht gegenstandslos geworden, so daß der
Einwand der Klägerin, das Anschlußrechtsmittel sei erledigt, zurückzuweisen ist.
Zur Begründetheit
- 74.
- Das Gericht ist aus den in den Randnummern 205 bis 209 des angefochtenen
Urteils angeführten Gründen zutreffend zu der Auffassung gelangt, daß die
Kommission nicht berechtigt war, der Klägerin jeden Abschluß zukünftiger
Alleinbezugsverträge zu verbieten. Überdies steht die Würdigung des Gerichts im
Einklang mit der Rechtsprechung des Gerichtshofes, wonach die Anwendung des
Artikels 3 der Verordnung Nr. 17 der Natur der festgestellten Zuwiderhandlung
entsprechen muß (vgl. Urteile vom 6. März 1974 in den verbundenen Rechtssachen
6/73 und 7/73, Commercial Solvents/Kommission, Slg. 1974, 223, Randnr. 45, und
vom 6. April 1995 in den verbundenen Rechtssachen C-241/91 P und C-242/91 P,
RTP und ITP/Kommission, Slg. 1995, I-743, Randnr. 90).
- 75.
- Die Kommission hat vor dem Gerichtshof ausdrücklich erklärt, daß sie diese
Beurteilung des Gerichts nicht beanstande. Sie trägt nunmehr vor, daß Artikel 4
der streitigen Entscheidung die Klägerin nur daran hindern solle, dasselbe Netz von
Alleinbezugsverträgen mit ihren Einzelhändlern erneut aufzubauen, sie aber nicht
am Abschluß neuer Alleinbezugsverträge mit anderen Einzelhändlern hindere. Dem
Urteil des Gerichts liege insoweit eine unrichtige Auslegung des Artikels 4 der
streitigen Entscheidung zugrunde.
- 76.
- Diese Meinungsänderung der Kommission führt aber nicht zu dem Ergebnis, daß
das Gericht einen Rechtsfehler begangen hat.
- 77.
- Wie der Generalanwalt in Nummer 40 seiner Schlußanträge ausgeführt hat,
sprechen der Wortlaut von Artikel 4 der streitigen Entscheidung und ihre 154.
Begründungserwägung dafür, daß Artikel 4 die ihm vom Gericht beigemessene und
von der Klägerin behauptete Bedeutung hat. Die Beurteilung des Gerichts ist schon
wegen des Standpunkts nicht zu beanstanden, den die Kommission insoweit vor
Gericht vertreten hat.
- 78.
- Im übrigen verlangt der Grundsatz der Rechtssicherheit, daß eine Handlung der
Verwaltung, die Rechtswirkungen entfaltet, klar und bestimmt ist, damit der
Betroffene seine Rechte und Pflichten unzweideutig erkennen und infolgedessen
seine Vorkehrungen treffen kann (vgl. in bezug auf generelle Rechtsnormen, Urteil
vom 22. Februar 1989 in den verbundenen Rechtssachen 92/87 und 93/87,
Kommission/Frankreich und Vereinigtes Königreich, Slg. 1989, 405, Randnr. 22).
- 79.
- Unter diesen Voraussetzungen braucht das Anschlußrechtsmittel nicht geprüft zu
werden, da ihm die Annahme zugrunde liegt, daß bei der Beurteilung der
Rechtmäßigkeit von Artikel 4 der streitigen Entscheidung von der Bedeutung
auszugehen sei, die die Kommission vor dem Gerichtshof vorgeschlagen hat.
- 80.
- Folglich ist das Anschlußrechtsmittel als unzulässig zurückzuweisen.
Kosten
- 81.
- Gemäß Artikel 69 § 2 der Verfahrensordnung des Gerichtshofes ist die
unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da die
Klägerin mit ihrem Rechtsmittel und die Kommission mit ihrem
Anschlußrechtsmittel unterlegen sind, sind ihnen ihre eigenen Kosten der
vorliegenden Instanz aufzuerlegen. Mars, die dem Rechtsstreit als Streithelferin zur
Unterstützung der Anträge der Kommission sowohl in bezug auf das Rechtsmittel
als auch das Anschlußrechtsmittel beigetreten ist, sind gemäß Artikel 69 § 4 der
Verfahrensordnung ihre eigenen Kosten der vorliegenden Instanz aufzuerlegen.
Aus diesen Gründen
hat
DER GERICHTSHOF (Fünfte Kammer)
für Recht erkannt und entschieden:
1. Das Rechtsmittel der Langnese-Iglo GmbH wird zurückgewiesen.
2. Das Anschlußrechtsmittel der Kommission der Europäischen
Gemeinschaften wird zurückgewiesen.
3. Die Langnese-Iglo GmbH, die Kommission der Europäischen
Gemeinschaften und die Mars GmbH tragen jeweils ihre eigenen Kosten.
GulmannWathelet
Moitinho de Almeida
Jann Sevón
|
Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 1. Oktober 1998.
Der Kanzler
Der Präsident der Fünften Kammer
R. Grass
C. Gulmann