Language of document : ECLI:EU:T:2016:449

Rechtssache T‑472/13

H. Lundbeck A/S

und

Lundbeck Ltd

gegen

Europäische Kommission

„Wettbewerb – Kartelle – Markt für Antidepressiva mit dem pharmazeutischen Wirkstoff Citalopram – Begriff der bezweckten Wettbewerbsbeschränkung – Potenzieller Wettbewerb – Generika – Schranken für den Marktzugang infolge bestehender Patente – Vereinbarungen zwischen dem Patentinhaber und Generikaherstellern – Art. 101 Abs. 1 und 3 AEUV – Rechts- und Beurteilungsfehler – Begründungspflicht – Verteidigungsrechte – Rechtssicherheit – Geldbußen“

Leitsätze – Urteil des Gerichts (Neunte Kammer) vom 8. September 2016

1.      Kartelle – Beeinträchtigung des Wettbewerbs – Potenzieller Wettbewerb – Tatsächliche und konkrete Möglichkeit für einen riskanten Eintritt eines Generikaherstellers in den Markt, auf dem sich durch Patente geschützte Arzneimittel befinden – Vereinbarung zwischen dem Patentinhaber und Generikaherstellern, die geeignet ist, diesen Eintritt zu verhindern – Beschränkung des potenziellen Wettbewerbs

(Art. 101 Abs. 1 AEUV)

2.      Wettbewerb – Verwaltungsverfahren – Entscheidung der Kommission, mit der eine Zuwiderhandlung festgestellt wird – Beweislast der Kommission für die Zuwiderhandlung und ihre Dauer – Umfang der Beweislast – Grad an Genauigkeit, den die von der Kommission herangezogenen Beweise aufweisen müssen – Bündel von Indizien – Unschuldsvermutung – Anwendbarkeit – Beweispflichten der Unternehmen, die das Vorliegen der Zuwiderhandlung bestreiten – Gerichtliche Kontrolle – Umfang

(Art. 101 Abs. 1 AEUV und 263 AEUV; Verordnung Nr. 1/2003 des Rates, Art. 2)

3.      Kartelle – Verbot – Zuwiderhandlungen – Vergleiche im Patentrechtsbereich – Vereinbarung zwischen einem Hersteller von Originalpräparaten und einem Generikahersteller – Umgekehrte Zahlungen, die unverhältnismäßig und mit einem Marktausschluss von Wettbewerbern kombiniert sind – Unzulässigkeit

(Art. 101 Abs. 1 AEUV)

4.      Nichtigkeitsklage – Zuständigkeit des Unionsrichters – Auslegung des nationalen Rechts eines Mitgliedstaats – Tatsachenfrage – Einbeziehung

(Art. 263 AEUV)

5.      Kartelle – Beeinträchtigung des Wettbewerbs – Beurteilungskriterien – Inhalt und Ziele eines Kartells sowie wirtschaftlicher und rechtlicher Zusammenhang, in dem es steht – Unterscheidung zwischen bezweckten und bewirkten Zuwiderhandlungen – Absicht der Parteien einer Vereinbarung, den Wettbewerb einzuschränken – Kein notwendiges Kriterium – Bezweckte Zuwiderhandlung – Hinreichende Beeinträchtigung – Beurteilungskriterien

(Art. 101 Abs. 1 AEUV)

6.      Kartelle – Beeinträchtigung des Wettbewerbs – Vergleiche im Patentrechtsbereich – Vereinbarung zwischen einem Hersteller von Originalpräparaten und einem Generikahersteller – Rentabelste oder risikoärmste Lösung für die betreffenden Unternehmen – Zweck, zu ungünstige Wirkungen von Rechtsvorschriften zu neutralisieren – Keine Auswirkung auf die Rechtswidrigkeit dieser Vereinbarungen

(Art. 101 Abs. 1 AEUV)

7.      Kartelle – Beeinträchtigung des Wettbewerbs – Nebenabrede – Begriff – Objektivität und Verhältnismäßigkeit – Beschränkung, durch die die Hauptmaßnahme schwerer durchführbar oder weniger rentabel geworden ist – Vergleiche im Patentrechtsbereich – Vereinbarung zwischen einem Hersteller von Originalpräparaten und einem Generikahersteller – In einer Nebenabrede zum Schutz eines Rechts des geistigen Eigentums enthaltene wettbewerbsbeschränkende Klauseln – Keine objektiv notwendige Beschränkung

(Art. 101 Abs. 1 AEUV)

8.      Wettbewerb – Regeln der Union – Sachlicher Geltungsbereich – Vergleiche im Patentrechtsbereich – Einbeziehung – Vereinbarung zwischen einem Hersteller von Originalpräparaten und einem Generikahersteller – Anwendung des Kriteriums des Schutzbereichs des Patents – Nicht sachgerechtes Kriterium – Bezweckte Zuwiderhandlung

(Art. 101 Abs. 1 AEUV)

9.      Handlung der Organe – Begründung – Pflicht – Umfang – Entscheidung über die Anwendung der Wettbewerbsregeln – Gerichtliche Nachprüfung – Umfang

(Art. 101 AEUV, 261 AEUV und 296 Abs. 2 AEUV; Verordnung Nr. 1/2003 des Rates, Art. 31)

10.    Nichtigkeitsklage – Gründe – Fehlende oder unzureichende Begründung – Klagegrund, der sich von dem die materielle Rechtmäßigkeit betreffenden Klagegrund unterscheidet

(Art. 263 AEUV und 296 AEUV)

11.    Kartelle – Verbot – Freistellung – Voraussetzungen – Beweislast – Umfang

(Art. 101 Abs. 3 AEUV; Verordnung Nr. 1/2003 des Rates, Art. 2)

12.    Wettbewerb – Verwaltungsverfahren – Mitteilung der Beschwerdepunkte – Vorläufiger Charakter – Notwendiger Inhalt – Grenzen

(Art. 101 AEUV; Charta der Grundrechte der Europäischen Union, Art. 41 Abs. 2 Buchst. a; Verordnung Nr. 1/2003 des Rates, Art. 27 Abs. 1)

13.    Wettbewerb – Verwaltungsverfahren – Mitteilung der Beschwerdepunkte – Unterbliebene Übermittlung einiger Angaben an die Unternehmen – Teilweise auf diese Angaben gestützte abschließende Entscheidung der Kommission – Verletzung der Verteidigungsrechte – Gültigkeit der abschließenden Entscheidung als Ganzes – Prüfung der Begründetheit der Entscheidung durch das Gericht – Berücksichtigung der streitigen Angaben – Ausschluss

(Art. 101 AEUV; Verordnung Nr. 1/2003 des Rates, Art. 27 Abs. 1)

14.    Wettbewerb – Regeln der Union – Zuwiderhandlungen – Vorsätzliche oder fahrlässige Begehung – Begriff – Unternehmen, das sich über die Wettbewerbswidrigkeit seines Verhaltens nicht im Unklaren sein kann – Vereinbarung zwischen einem Hersteller von Originalpräparaten und einem Generikahersteller – Umgekehrte Zahlungen, die unverhältnismäßig und mit einem Marktausschluss von Wettbewerbern kombiniert sind – Einbeziehung

(Art. 101 AEUV; Charta der Grundrechte der Europäischen Union, Art. 47; Verordnung Nr. 1/2003 des Rates, Art. 5 und 23 Abs. 2)

15.    Wettbewerb – Geldbußen – Höhe – Festsetzung – Verpflichtung der Kommission, sich an ihre frühere Entscheidungspraxis zu halten – Fehlen – Anhebung des allgemeinen Niveaus der Geldbußen – Zulässigkeit

(Art. 101 AEUV; Verordnung Nr. 1/2003 des Rates, Art. 23 Abs. 2)

16.    Wettbewerb – Geldbußen – Höhe – Festsetzung – Festlegung des Grundbetrags – Schwere der Zuwiderhandlung – Beurteilungskriterien – Ermittlung des Umsatzes – Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit

(Art. 101 AEUV; Verordnung Nr. 1/2003 des Rates, Art. 23 Abs. 2 und 3; Mitteilung 2006/C 210/02 der Kommission, Ziff. 21 und 22)

17.    Wettbewerb – Geldbußen – Höhe – Festsetzung – Abschreckender Charakter

(Art. 101 AEUV; Verordnung Nr. 1/2003 des Rates, Art. 23 Abs. 2 und 3; Mitteilung 2006/C 210/02 der Kommission, Ziff. 25)

18.    Wettbewerb – Geldbußen – Höhe – Festsetzung – Anpassung des Grundbetrags – Mildernde Umstände – Hinweischarakter der in den Leitlinien genannten Umstände – Erster Fall der Anwendung der Wettbewerbsregeln in einem bestimmten Wirtschaftssektor – Kein mildernder Umstand

(Art. 101 AEUV; Verordnung Nr. 1/2003 des Rates, Art. 23 Abs. 2; Mitteilung 2006/C 210/02 der Kommission, Ziff. 29)

19.    Wettbewerb – Geldbußen – Höhe – Festsetzung – Anpassung des Grundbetrags – Mildernde Umstände – Fahrlässig begangene Zuwiderhandlung – Notwendigkeit, jeden der in den Leitlinien aufgeführten mildernden Umstände gesondert zu berücksichtigen – Fehlen – Gesamtbeurteilung

(Art. 101 AEUV; Verordnung Nr. 1/2003 des Rates, Art. 23 Abs. 2; Mitteilung 2006/C 210/02 der Kommission, Ziff. 29)

1.      Art. 101 Abs. 1 AEUV gilt nur für dem Wettbewerb geöffnete Wirtschaftszweige. In diesem Zusammenhang stützt sich die Untersuchung der Wettbewerbsbedingungen auf einem bestimmten Markt nicht nur auf den gegenwärtigen Wettbewerb, den sich die auf dem relevanten Markt bereits tätigen Unternehmen liefern, sondern auch auf den potenziellen Wettbewerb, damit ermittelt werden kann, ob unter Berücksichtigung der Struktur des Marktes sowie des wirtschaftlichen und des rechtlichen Kontexts seiner Funktionsweise tatsächliche und konkrete Möglichkeiten bestehen, dass die betroffenen Unternehmen untereinander in Wettbewerb stehen oder dass ein neuer Wettbewerber auf dem relevanten Markt auftreten und den etablierten Unternehmen Konkurrenz machen kann. Allein die Tatsache, dass ein auf einem Markt bereits tätiges Unternehmen versucht, Vereinbarungen mit Unternehmen abzuschließen, die auf diesem Markt nicht tätig sind, oder Mechanismen für den Austausch von Informationen mit solchen Unternehmen zu schaffen, ist ein ernsthafter Anhaltspunkt dafür, dass ein Eindringen in den betreffenden Markt nicht unmöglich ist.

Auf dem Markt für Arzneimittel stellen Verfahrenspatente des Originalpräparateherstellers nicht zwangsläufig unüberwindbare Hindernisse für Generikahersteller dar, wenn es für diese grundsätzlich konkrete und realistische Möglichkeiten gibt, in den Markt einzutreten. Zu diesen Möglichkeiten gehört die „riskante“ Markteinführung des Generikums unter Inkaufnahme der Möglichkeit, sich im Rahmen etwaiger Rechtsstreitigkeiten mit dem Originalpräparatehersteller auseinandersetzen zu müssen. In einem Fall, in dem die ursprünglichen Patente des Herstellers ausgelaufen sind und andere Verfahren zur Herstellung von Generika existieren, die nicht nachweislich andere Patente dieses Herstellers verletzen, ist eine solche Möglichkeit durchaus Ausdruck eines potenziellen Wettbewerbs. Außerdem zeigen die von den Generikaherstellern vor Abschluss der den Markteintritt beschränkenden Vereinbarungen im Hinblick auf den Eintritt in den Markt für das Originalpräparat unternommenen Schritte und getätigten Investitionen, dass die Generikahersteller zum Zeitpunkt des Abschlusses dieser Vereinbarungen bereit waren, in den Markt einzutreten und die Risiken auf sich zu nehmen, die ein solcher Eintritt birgt.

Außerdem kann die Vermutung der Gültigkeit von Patenten einer Vermutung der Rechtswidrigkeit von Generika, die wirksam in den Verkehr gebracht worden sind, die der Patentinhaber aber für rechtsverletzend hält, nicht gleichgesetzt werden. Bei einem Markteintritt der Generika hat nämlich der Patentinhaber vor den nationalen Gerichten nachzuweisen, dass diese Generika eines ihrer Verfahrenspatente verletzen, da ein riskanter Markteintritt als solcher nicht rechtswidrig ist. Im Fall einer vom Patentinhaber gegen die Generikahersteller erhobenen Verletzungsklage können Letztere darüber hinaus die Gültigkeit des vom Patentinhaber geltend gemachten Patents im Rahmen einer Widerklage anfechten. Solche Klagen sind auf dem Gebiet des Patentrechts häufig und führen in vielen Fällen dazu, dass das Verfahrenspatent, auf das sich der Patentinhaber beruft, für ungültig erklärt wird. Um eine rechtmäßige Ausübung eines tatsächlichen oder potenziellen Wettbewerbs zu belegen, braucht nur der Nachweis erbracht zu werden, dass die Generikahersteller über tatsächliche und konkrete Möglichkeiten sowie über die Fähigkeit verfügten, in den Markt einzutreten, was sicherlich der Fall ist, wenn sie im Hinblick auf den Markteintritt erhebliche Investitionen getätigt und bereits Zulassungen erhalten oder die notwendigen Schritte unternommen hatten, um innerhalb eines angemessenen Zeitraums eine solche Zulassung zu erhalten.

Hinsichtlich des Eintritts der Generikahersteller in den Markt ist, um die Annahme zu begründen, dass sie einen potenziellen Wettbewerb darstellen, lediglich nachzuweisen, dass der Markteintritt innerhalb eines angemessenen Zeitraums erfolgt, zumal sich potenzieller Wettbewerb insbesondere im Arzneimittelsektor bereits vor Ablauf eines Patents entfalten kann.

Der potenzielle Wettbewerb schließt u. a. die Tätigkeiten der Generikahersteller, die dazu dienen, die erforderlichen Zulassungen zu erhalten, sowie die Vollziehung sämtlicher administrativer und geschäftlicher Schritte ein, die für die Vorbereitung des Markteintritts unerlässlich sind. Dieser potenzielle Wettbewerb wird durch Art. 101 AEUV geschützt. Wenn es möglich wäre, dass Unternehmen, die im Begriff sind, die für die Vorbereitung der Markteinführung eines Generikums unerlässlichen Schritte zu unternehmen, und zu diesem Zweck beträchtliche Investitionen getätigt haben, ohne Verstoß gegen das Wettbewerbsrecht dafür bezahlt werden, dass sie diesen Prozess anhalten oder auch nur verlangsamen, würde ein tatsächlicher Wettbewerb nämlich nie oder nur erheblich verzögert stattfinden, und dies auf Kosten der Verbraucher, d. h. im vorliegenden Fall der Patienten oder der nationalen Krankenkassen.

(vgl. Rn. 98-104, 121-124, 128-132, 144, 157, 160, 163, 164, 171, 180, 181, 202, 203, 317, 426, 471-474)

2.      Siehe Text der Entscheidung.

(vgl. Rn. 105-113, 138, 139, 141, 165, 166)

3.      Die Anwendung von Art. 101 Abs. 1 AEUV auf Vergleiche, die im Bereich des Patentrechts geschlossen werden können, ist keineswegs ausgeschlossen. Zwar ist es nicht Sache der Kommission, den Schutzbereich eines Patents zu bestimmen, doch kann sie sich in dieser Hinsicht nicht jeder Beurteilung enthalten, wenn dieser Schutzbereich für die Frage von Bedeutung ist, ob eine Verletzung der Art. 101 und 102 AEUV vorliegt.

In diesem Zusammenhang ist die Tatsache, dass in den wettbewerbsbeschränkenden Vereinbarungen enthaltene Beschränkungen mittels umgekehrter Zahlungen in nicht unerheblicher Höhe erlangt werden, ein entscheidender Gesichtspunkt für die rechtliche Beurteilung dieser Vereinbarungen. Die Vereinbarung einer umgekehrten Zahlung im Rahmen eines Patentvergleichs ist nicht immer problematisch, insbesondere dann nicht, wenn diese Zahlung mit der Stärke des Patents, so wie sie von den einzelnen Parteien wahrgenommen wird, zusammenhängt, wenn sie erforderlich ist, um eine in den Augen beider Parteien akzeptable und rechtmäßige Lösung zu finden, und wenn sie nicht mit Beschränkungen einhergeht, die darauf abzielen, den Markteintritt der Generika zu verzögern. Wird eine umgekehrte Zahlung hingegen mit einem Marktausschluss von Wettbewerbern oder einer Verringerung der Anreizelemente für einen solchen Zutritt kombiniert, ist davon auszugehen, dass sich diese Beschränkung nicht ausschließlich aus der Beurteilung der Parteien hinsichtlich der Stärke der Patente ergibt, sondern über eine solche Zahlung erlangt wurde, die damit einem Freikauf vom Wettbewerb gleichkommt.

Die Unverhältnismäßigkeit solcher Zahlungen in Verbindung mit mehreren anderen Faktoren wie der Tatsache, dass die Höhe dieser Zahlungen zumindest den Gewinnerwartungen der Generikahersteller im Fall eines Markteintritts zu entsprechen scheinen, dem Fehlen von Klauseln, die es den Generikaherstellern ermöglichen, ihre Erzeugnisse nach Ablauf der Vereinbarungen auf den Markt zu bringen, ohne Verletzungsklagen seitens der Patentinhaber befürchten zu müssen, oder der Tatsache, dass in diesen Vereinbarungen Beschränkungen enthalten sind, die über den Schutzumfang der Patente dieser Inhaber hinausgehen, lassen den Schluss zu, dass diese Vereinbarungen auf eine Wettbewerbsbeschränkung im Sinne von Art. 101 Abs. 1 AEUV abzielen.

Wird nämlich dargetan, dass die Generikahersteller echte Chancen haben, im Fall eines Rechtsstreits gegen die Inhaber der Verfahrenspatente zu obsiegen, tauschen die Inhaber dieser Patente mit dem Abschluss von wettbewerbsbeschränkenden Vereinbarungen diese Unsicherheit mittels umgekehrter Zahlungen in nicht unerheblicher Höhe gegen die Gewissheit ein, dass die Generikahersteller nicht in den Markt eintreten werden, wodurch sie während der Laufzeit dieser Vereinbarungen jeglichen – sogar potenziellen – Wettbewerb auf dem Markt ausschalten.

(vgl. Rn. 117-119, 140, 349, 350, 352-354, 363, 369, 379, 399, 401, 414, 427, 429, 431, 460, 486-489, 500, 526, 573)

4.      Siehe Text der Entscheidung.

(vgl. Rn. 258, 625)

5.      Im Bereich der von Art. 101 AEUV erfassten wettbewerbswidrigen Verhaltensweisen stellen bestimmte Arten der Koordination zwischen Unternehmen bereits ihrer Natur nach eine hinreichende Beeinträchtigung des guten Funktionierens des normalen Wettbewerbs dar, um davon ausgehen zu können, dass die Prüfung ihrer Wirkungen nicht notwendig ist.

Insoweit stellt der Marktausschluss von Wettbewerbern eine extreme Form der Marktaufteilung und der Produktionsbeschränkung dar. Außerdem ist es nicht erforderlich, dass Vereinbarungen gleicher Art von der Kommission bereits geahndet worden sind, um sie als bezweckte Wettbewerbsbeschränkung ansehen zu können. Der Umstand, dass die Kommission Vereinbarungen eines bestimmten Typs bisher nicht als bezweckte Wettbewerbsbeschränkungen angesehen hat, ist als solcher somit kein Hinderungsgrund, dies künftig aufgrund einer eingehenden Einzelprüfung der streitigen Maßnahmen im Hinblick auf ihren Inhalt, Zweck und Kontext zu tun.

Schließlich ist es nicht erforderlich, dass eine Vereinbarung auf den ersten Blick oder zweifelsfrei – ohne eine eingehende Prüfung ihres Inhalts, ihres Zwecks sowie des wirtschaftlichen und rechtlichen Kontexts, in dem sie steht – als hinreichend schädlich für den Wettbewerb angesehen wird, um als bezweckte Wettbewerbsbeschränkung im Sinne dieser Bestimmung eingestuft werden zu können.

(vgl. Rn. 338-344, 428, 434-438, 472, 523, 539, 752, 774, 775)

6.      Im Rahmen von Vergleichen auf dem Markt für Arzneimittel schließt die Tatsache, dass sich ein wettbewerbswidriges Verhalten für ein Unternehmen möglicherweise als rentabelste oder risikoärmste Lösung erweist, die Anwendung von Art. 101 AEUV in keiner Weise aus, insbesondere wenn es darum geht, tatsächliche oder potenzielle Wettbewerber dafür zu bezahlen, dass sie dem Markt fernbleiben, und mit ihnen die Gewinne zu teilen, die sich daraus ergeben, dass zum Nachteil der Verbraucher keine generischen Arzneimittel auf diesen Markt gelangen.

Es kann nämlich nicht zugelassen werden, dass sich Unternehmen, die Patentrechte an Originalpräparaten haben, durch den Abschluss von Vereinbarungen mit Generikaherstellern, die einen Vermögenstransfer durch die Patentinhaber vorsehen, der daran geknüpft ist, dass die Generikahersteller Markteintrittsbeschränkungen akzeptieren, und sich insbesondere verpflichten, das Generikum während der Laufzeit dieser Vereinbarungen nicht zu verkaufen, gegen einen unumkehrbaren Preisrückgang schützen dürfen, der nach ihren eigenen Angaben selbst dann nicht hätte vermieden werden können, wenn sie im Rahmen von Verletzungsklagen vor den nationalen Gerichten obsiegt hätten. Durch den Abschluss solcher Vereinbarungen könnten sie daher zum Nachteil der Verbraucher und der staatlichen Gesundheitshaushalte höhere Preise für ihre Erzeugnisse beibehalten, während ein solches Ergebnis nicht hätte erzielt werden können, wenn die nationalen Gerichte die Gültigkeit ihrer Patente bestätigt hätten und die Erzeugnisse der Generikahersteller als rechtsverletzend eingestuft worden wären. Ein solches Ergebnis stünde in klarem Widerspruch zu den Zielen der wettbewerbsrechtlichen Bestimmungen des Vertrags, mit denen u. a. die Verbraucher vor ungerechtfertigten Preiserhöhungen geschützt werden sollen, die sich aus einer Absprache zwischen Wettbewerbern ergeben. Es gibt keinen Grund, eine solche Absprache unter dem Vorwand als zulässig anzusehen, dass Verfahrenspatente in Rede stehen, während die Verteidigung dieser Patente vor den nationalen Gerichten – sogar in dem für die Patentinhaber günstigsten Szenario – nicht zu den gleichen negativen Ergebnissen für den Wettbewerb und insbesondere für die Verbraucher hätte führen können. Es kann nicht hingenommen werden, dass Unternehmen die Wirkungen von Rechtsvorschriften, die sie für allzu ungünstig halten, unter dem Vorwand, dass durch sie ein Ungleichgewicht zu ihren Lasten geschaffen worden sei, zu neutralisieren versuchen, indem sie Kartelle abschließen, die diese Nachteile korrigieren sollen.

(vgl. Rn. 380, 386, 387, 427, 459)

7.      Bei der Prüfung, ob eine wettbewerbswidrige Beschränkung nicht vom Verbot des Art. 101 Abs. 1 AEUV erfasst wird, weil sie eine Nebenabrede zu einer Hauptmaßnahme bildet, die keinen wettbewerbswidrigen Charakter hat, muss ermittelt werden, ob die Durchführung dieser Maßnahme ohne die fragliche Beschränkung unmöglich wäre.

Die Voraussetzung der notwendigen Einschränkung erfordert eine doppelte Prüfung. Zum einen ist zu untersuchen, ob die Einschränkung für die Durchführung der Hauptmaßnahme objektiv notwendig ist, und zum anderen, ob sie im rechten Verhältnis zu ihr steht.

Das Kriterium der objektiven Notwendigkeit kann, da es eine „rule of reason“ im Wettbewerbsrecht der Union nicht gibt, nicht dahin ausgelegt werden, dass es eine Abwägung der wettbewerbsfördernden und wettbewerbswidrigen Auswirkungen einer Vereinbarung voraussetzt.

Im Fall eines im Arzneimittelsektor zwischen einem Originalpräparatehersteller und einem Generikahersteller geschlossenen Vergleichs sind im Rahmen dieses Vergleichs vereinbarte Wettbewerbsbeschränkungen nicht objektiv notwendig, um die Rechte des geistigen Eigentums des Patentinhabers zu schützen, wenn es andere Mittel gibt, um diese Rechte zu schützen oder einen Patentstreit gütlich beizulegen, ohne Beschränkungen für den Markteintritt der Generika zu vereinbaren.

(vgl. Rn. 453-455, 458)

8.      Auch wenn sich die Kommission nicht jeder Beurteilung enthalten kann, wenn der Schutzbereich eines Patents für die Frage von Bedeutung ist, ob eine Verletzung der Art. 101 AEUV und 102 AEUV vorliegt, ist es nicht ihre Sache, diesen Schutzbereich zu bestimmen. Angesichts dieser Erwägung und der Art. 101 AEUV innewohnenden Ziele, die u. a. verlangen, dass jeder Wirtschaftsteilnehmer autonom bestimmt, welche Politik er auf dem Markt zu betreiben gedenkt, um die Verbraucher vor ungerechtfertigten Preiserhöhungen zu schützen, die sich aus einer Absprache zwischen Wettbewerbern ergeben, ist das Kriterium des Schutzbereichs des Patents bei der Prüfung der streitigen Vereinbarungen anhand von Art. 101 Abs. 1 AEUV nicht anzuwenden.

Dieses Kriterium ist aus wettbewerbsrechtlicher Sicht nämlich in mehrfacher Hinsicht problematisch. Erstens begründet es die Vermutung, dass ein generisches Arzneimittel das Patent des Originalpräparateherstellers verletzt, und ermöglicht auf dieser Grundlage den Ausschluss des Generikums, obwohl keineswegs feststeht, ob es rechtsverletzend ist oder nicht. Zweitens stützt es sich auf die Vermutung, dass jedes im Rahmen eines Vergleichs geltend gemachte Patent im Fall der Anfechtung seiner Gültigkeit als gültig angesehen wird, während es hierfür weder rechtlich noch in der Praxis eine Grundlage gibt. Ob eine Beschränkung in den Schutzbereich eines Patents fällt oder nicht, ist nämlich eine Schlussfolgerung, die sich aus einer Prüfung des Umfangs und der Gültigkeit dieses Patents ergibt, und nicht der Ausgangspunkt einer solchen Prüfung.

(vgl. Rn. 489-493, 499, 512, 515)

9.      Siehe Text der Entscheidung.

(vgl. Rn. 507, 509, 791-794)

10.    Siehe Text der Entscheidung.

(vgl. Rn. 508)

11.    Siehe Text der Entscheidung.

(vgl. Rn. 708-711)

12.    Siehe Text der Entscheidung.

(vgl. Rn. 726-729, 732, 741)

13.    Siehe Text der Entscheidung.

(vgl. Rn. 745, 746, 748, 752, 834)

14.    Was die Frage angeht, ob eine Zuwiderhandlung vorsätzlich oder fahrlässig begangen worden ist und deshalb gemäß Art. 23 Abs. 2 Unterabs. 1 der Verordnung Nr. 1/2003 mit einer Geldbuße geahndet werden kann, ist diese Voraussetzung erfüllt, wenn sich das betreffende Unternehmen über die Wettbewerbswidrigkeit seines Verhaltens nicht im Unklaren sein kann, gleichviel, ob ihm dabei bewusst ist, dass es gegen die Wettbewerbsregeln des Vertrags verstößt.

Außerdem dürfen die in Art. 7 der Europäischen Menschenrechtskonvention sowie in Art. 49 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union vorgesehenen Grundsätze der Rechtssicherheit und der Gesetzmäßigkeit der Strafen zwar nicht so verstanden werden, dass sie die schrittweise Klarstellung der Vorschriften über die strafrechtliche Verantwortung untersagen, sie können aber der rückwirkenden Anwendung einer neuen Auslegung des Tatbestands einer Zuwiderhandlung entgegenstehen.

In diesem Zusammenhang ist es nicht unvorhersehbar, dass Vereinbarungen, mit denen es dem Originalpräparatehersteller gelingt, potenzielle Wettbewerber mittels umgekehrter Zahlungen in nicht unerheblicher Höhe für einen bestimmten Zeitraum vom Markt fernzuhalten, möglicherweise gegen Art. 101 Abs. 1 AEUV verstoßen, unabhängig davon, ob sie über den Schutzbereich der Patente dieses Herstellers hinausgehen oder nicht. Bei einer auf den Wortlaut abstellenden Auslegung von Art. 101 Abs. 1 AEUV lässt sich die Auffassung vertreten, dass Vereinbarungen zwischen Wettbewerbern, die darauf abzielen, einige von ihnen vom Markt auszuschließen, rechtswidrig sind. Marktaufteilungs- oder ‑ausschlussvereinbarungen gehören nämlich zu den schwerwiegendsten Wettbewerbsbeschränkungen, die in Art. 101 Abs. 1 AEUV ausdrücklich erwähnt werden.

(vgl. Rn. 761-767, 832)

15.    Siehe Text der Entscheidung.

(vgl. Rn. 773, 810)

16.    Siehe Text der Entscheidung.

(vgl. Rn. 799, 800, 804, 808, 809, 811)

17.    Siehe Text der Entscheidung.

(vgl. Rn. 820, 822-824)

18.    Die Tatsache, dass das Bestehen berechtigter Zweifel am Vorliegen einer Zuwiderhandlung nicht mehr ausdrücklich unter den mildernden Umständen aufgeführt ist, die in den Leitlinien für das Verfahren zur Festsetzung von Geldbußen gemäß Art. 23 Abs. 2 Buchst. a der Verordnung Nr. 1/2003 explizit erwähnt werden, genügt nicht, um der Kommission zu erlauben, seine Berücksichtigung als mildernden Umstand automatisch auszuschließen. Der Kommission verbleibt nämlich, da die Leitlinien keine zwingende Festlegung hinsichtlich der mildernden Umstände enthalten, die berücksichtigt werden können, ein gewisses Ermessen, um über die Höhe einer etwaigen Herabsetzung der Geldbußen wegen mildernder Umstände im Wege einer Gesamtwürdigung zu entscheiden.

Der Umstand, dass eine Entscheidung der Kommission den ersten Fall der Anwendung der Wettbewerbsregeln in einem bestimmten Wirtschaftssektor darstellt, kann jedoch nicht als mildernd eingestuft werden, wenn der Urheber der Zuwiderhandlung wusste oder hätte wissen müssen, dass sein Verhalten möglicherweise eine Wettbewerbsbeschränkung auf dem Markt nach sich zog und aus wettbewerbsrechtlicher Sicht problematisch war.

(vgl. Rn. 830, 831)

19.    Siehe Text der Entscheidung.

(vgl. Rn. 838, 841, 842)