Language of document : ECLI:EU:F:2009:116

BESCHLUSS DES GERICHTS FÜR DEN ÖFFENTLICHEN DIENST DER EUROPÄISCHEN UNION (Zweite Kammer)

17. September 2009(*)

„Öffentlicher Dienst – Zwischenstreit – Einrede der Unzulässigkeit – Versäumnisverfahren“

In der Rechtssache F‑118/07

betreffend eine Klage nach den Art. 236 EG und 152 EA,

Guido Strack, ehemaliger Beamter der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, wohnhaft in Köln (Deutschland), Prozessbevollmächtigter: Rechtsanwalt H. Tettenborn,

Kläger,

gegen

Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch J. Currall und B. Eggers als Bevollmächtigte,

Beklagte,

erlässt

DAS GERICHT (Zweite Kammer)

unter Mitwirkung des Präsidenten H. Kanninen (Berichterstatter), der Richterin I. Boruta und des Richters S. Van Raepenbusch,

Kanzlerin: W. Hakenberg,

folgenden

Beschluss

1        Die Kommission der Europäischen Gemeinschaften hat im Rahmen der von Herrn Strack am 22. Oktober 2007 erhobenen Klage mit besonderem Schriftsatz, der am 30. Mai 2008 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen ist, gemäß Art. 78 der Verfahrensordnung eine Unzulässigkeitseinrede gegen diese Klage erhoben.

2        Das Gericht hat den Kläger am 12. Juni 2008 aufgefordert, zu der Unzulässigkeitseinrede bis zum 7. Juli 2008 Stellung zu nehmen.

3        Mit Schreiben vom 19. Juni 2008, das am selben Tag mit Fernkopie bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen ist (die Urschrift ist am 25. Juni 2008 eingegangen), hat der Kläger beantragt, die Entscheidung des Gerichts, mit der ihm eine Frist zur Stellungnahme zu der von der Kommission erhobenen Unzulässigkeitseinrede bis zum 7. Juli 2008 gesetzt wurde, aufzuheben, hilfsweise, die Frist zu verlängern. Außerdem hat er beantragt, in der vorliegenden Rechtssache ein Versäumnisurteil zu erlassen.

4        In demselben Schreiben vom 19. Juni 2008 macht der Kläger geltend, dass die von der Kommission erhobene Unzulässigkeitseinrede offensichtlich unzulässig sei, da sie nicht innerhalb der in Art. 78 Abs. 1 der Verfahrensordnung festgelegten Frist von einem Monat nach Zustellung der Klageschrift erhoben worden sei.

5        Am 1. Juli 2008 hat das Gericht den Parteien mitgeteilt, dass das Schreiben des Klägers vom 19. Juni 2008 zu den Akten zu nehmen war und als Antrag auf Verlängerung der Frist für die Einreichung einer Stellungnahme zur Unzulässigkeitseinrede anzusehen war. Daher hat das Gericht dem Kläger eine neue Frist zur Stellungnahme bis zum 2. September 2008 gesetzt. Der Kläger hat der Kanzlei des Gerichts seine Stellungnahme am 1. September 2008 übermittelt (die Urschrift ist am 9. September 2008 eingegangen) und darin seine mit Schreiben vom 19. Juni 2008 gestellten Anträge aufrechterhalten. Hilfsweise macht er geltend, dass die Unzulässigkeitseinrede unbegründet und die Klage zulässig sei.

6        Die Klage ist in der vorliegenden Rechtssache am 22. Oktober 2007 eingereicht worden, d. h., bevor die im Amtsblatt der Europäischen Union vom 29. August 2007 (ABl. L 225, S. 1) veröffentlichte Verfahrensordnung am 1. November 2007 in Kraft getreten ist. Bei Klageerhebung war vorliegend demzufolge gemäß Art. 3 Abs. 4 des Beschlusses 2004/752/EG des Rates vom 2. November 2004 zur Errichtung des Gerichts für den öffentlichen Dienst der Europäischen Union die Verfahrensordnung des Gerichts erster Instanz der Europäischen Gemeinschaften entsprechend anzuwenden.

7        Art. 114 der Verfahrensordnung des Gerichts erster Instanz enthält keine Regelung darüber, ob die Frist zur Erhebung einer Unzulässigkeitseinrede durch besonderen Schriftsatz von der Frist von zwei Monaten nach Zustellung der Klageschrift abweicht, innerhalb deren die beklagte Partei nach Art. 46 derselben Verfahrensordnung eine Klagebeantwortung einzureichen hat. Nach der Rechtsprechung jedoch gilt die in Art. 46 vorgesehene Frist von zwei Monaten entsprechend für die Erhebung einer Unzulässigkeitseinrede durch besonderen Schriftsatz (vgl. in diesem Sinne Beschlüsse des Gerichts vom 14. Dezember 2007, Duyster/Kommission, F‑82/06, noch nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht, Randnrn. 36 bis 41, und vom 22. Mai 2008, Daskalakis/Kommission, F‑107/07, noch nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht, Randnr. 25).

8        Art. 78 Abs. 1 der Verfahrensordnung bestimmt, dass ein Antrag, vorab über die Unzulässigkeit zu entscheiden, innerhalb eines Monats nach Zustellung der Klageschrift zu stellen ist. Diese Frist ist also kürzer als diejenige, die sich aus der Verfahrensordnung des Gerichts erster Instanz ergibt, die früher für das Gericht gegolten hat.

9        Die der beklagten Partei zur Erhebung ihrer Einrede der Unzulässigkeit gesetzte Frist läuft sowohl nach Art. 114 der Verfahrensordnung des Gerichts erster Instanz als auch nach Art. 78 der Verfahrensordnung des Gerichts ab Zustellung der Klageschrift (Beschluss Daskalakis/Kommission, Randnr. 25).

10      Es ist festzustellen, welche der beiden Verfahrensordnungen hier zur Anwendung kommt und ob demnach die Frist, innerhalb deren im vorliegenden Fall die Kommission ihre Unzulässigkeitseinrede mit besonderem Schriftsatz einzureichen hatte, ein oder zwei Monate beträgt.

11      Nach ständiger Rechtsprechung sind Verfahrensvorschriften im Allgemeinen auf alle bei ihrem Inkrafttreten anhängigen Rechtsstreitigkeiten anwendbar, im Gegensatz zu materiell-rechtlichen Vorschriften, die im Allgemeinen so ausgelegt werden, dass sie nicht für vor ihrem Inkrafttreten entstandene Sachverhalte gelten (vgl. insbesondere Urteile des Gerichtshofs vom 12. November 1981, Meridionale Industria Salumi u. a., 212/80 bis 217/80, Slg. 1981, 2735, Randnr. 9, und vom 9. März 2006, Beemsterboer Coldstore Services, C‑293/04, Slg. 2006, I‑2263, Randnrn. 19 und 21 und die dort angeführte Rechtsprechung).

12      Da die Klageschrift der Kommission im vorliegenden Fall am 26. November 2007, d. h. nach Inkrafttreten der Verfahrensordnung, zugestellt wurde, war die Frist, die die Kommission einzuhalten hatte, demzufolge die zu diesem Zeitpunkt geltende Frist von einem Monat nach dieser Zustellung, die sich aus der Verfahrensordnung des Gerichts ergibt (Beschluss Daskalakis/Kommission, Randnr. 25).

13      Bei der informellen Güteverhandlung zwischen den Parteien, die am 4. Dezember 2007 vor dem Gericht stattgefunden hat, hat das Gericht jedoch beschlossen, die Frist für die Einreichung der Klagebeantwortung bis zum 29. Februar 2008 zu verlängern. Am 18. Januar 2008 hat die Kommission beantragt, die Frist für die Einreichung der Klagebeantwortung bis zum 17. April 2008 zu verlängern, und das Gericht hat diesem Antrag stattgegeben. Am 11. März 2008 schließlich hat das Gericht beschlossen, diese Frist erneut zu verlängern, und zwar bis zum 30. Mai 2008, woraufhin die Kommission mit Schriftsatz vom 29. Mai 2008, der am 30. Mai 2008 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen ist, ihre Unzulässigkeitseinrede erhoben hat.

14      Entgegen dem Vorbringen des Klägers kann die Tatsache, dass die Kommission vor Ablauf der verlängerten Frist für die Einreichung der Klagebeantwortung eine Unzulässigkeitseinrede gemäß Art. 78 der Verfahrensordnung erhoben hat, anstatt eine Klagebeantwortung mit einer materiell-rechtlichen Beurteilung der Rechtssache einzureichen, weder die Berechtigung ihres Verlängerungsantrags nach den einschlägigen Vorschriften der Verfahrensordnung in Frage stellen, noch lässt sie darauf schließen, dass dieser Antrag missbräuchlich wäre (vgl. in diesem Sinne Beschluss des Gerichts erster Instanz vom 10. Juli 2002, Comitato organizzatore del convegno internazionale/Kommission, T‑387/00, Slg. 2002, II‑3031, Randnr. 35).

15      Die beklagte Partei hat nämlich nach Art. 39 Abs. 1 der Verfahrensordnung innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung der Klageschrift eine Klagebeantwortung einzureichen. Nach Art. 39 Abs. 2 kann auf begründeten Antrag der beklagten Partei der Präsident unter außergewöhnlichen Umständen die in Abs. 1 bezeichnete Frist verlängern. Im vorliegenden Fall hat die Kommission, wie in Randnr. 13 des vorliegenden Beschlusses angegeben, für die Einreichung ihrer Klagebeantwortung eine Fristverlängerung erhalten.

16      Art. 78 der Verfahrensordnung bestimmt zwar, dass der Antrag auf Entscheidung über die Unzulässigkeit innerhalb eines Monats nach Zustellung der Klageschrift zu stellen ist, und in keiner Vorschrift ist eine Verlängerung dieser Frist ausdrücklich vorgesehen; daraus kann jedoch – da die Frist für die Einreichung der Klagebeantwortung verlängert wurde (Beschluss des Gerichts vom 4. Dezember 2007), bevor die Frist von einem Monat nach Zustellung der Klageschrift für die Erhebung der Unzulässigkeitseinrede (Zustellung der Klageschrift an die Kommission am 26. November 2007) abgelaufen war – nicht abgeleitet werden, dass die Kommission vor Ablauf der verlängerten Frist keine Unzulässigkeitseinrede mit besonderem Schriftsatz erheben könnte. Das Gericht hat nämlich dadurch, dass es vor Ablauf der einmonatigen Frist nach Zustellung der Klageschrift die Frist für die Einreichung der Klagebeantwortung verlängert hat, implizit zugelassen, dass die Kommission innerhalb der verlängerten Frist mit besonderem Schriftsatz eine Unzulässigkeitseinrede erhebt oder eine Klagebeantwortung einreicht.

17      Außerdem ist zu berücksichtigen, dass in der vorliegenden Rechtssache die dreimalige Fristverlängerung für die Einreichung der Klagebeantwortung zu einer Zeit gewährt wurde, als Güteverhandlungen im Gange waren.

18      Unter den besonderen Umständen des vorliegenden Falles ist daher die von der Kommission erhobene Unzulässigkeitseinrede zulässig; demzufolge ist der Antrag des Klägers auf Erlass eines Versäumnisurteils zurückzuweisen.

19      Gemäß Art. 78 Abs. 3 Unterabs. 1 der Verfahrensordnung entscheidet das Gericht, wenn die beklagte Partei mit besonderem Schriftsatz eine Unzulässigkeitseinrede erhebt, über diesen Antrag oder behält die Entscheidung dem Endurteil vor.

20      Nach Ansicht des Gerichts ist unter den Umständen des vorliegenden Falles gemäß Art. 78 Abs. 3 Unterabs. 2 der Verfahrensordnung die Entscheidung über die Unzulässigkeitseinrede dem Endurteil vorzubehalten und das Verfahren fortzusetzen.

Aus diesen Gründen hat

DAS GERICHT (Zweite Kammer)

beschlossen:

1.      Der Antrag der Kommission der Europäischen Gemeinschaften auf Entscheidung über die Unzulässigkeit der Klage ist zulässig.

2.      Der Antrag von Herrn Strack auf Erlass eines Versäumnisurteils wird zurückgewiesen.

3.      Die von der Kommission der Europäischen Gemeinschaften beantragte Entscheidung über die Unzulässigkeit der Klage wird dem Endurteil vorbehalten.

4.      Die Kostenentscheidung bleibt vorbehalten.

Luxemburg, den 17. September 2009

Die Kanzlerin

 

      Der Präsident

W. Hakenberg

 

      H. Kanninen

Die vorliegende Entscheidung sowie die darin zitierten und noch nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlichten Entscheidungen der Gemeinschaftsgerichte sind auf der Internetseite des Gerichtshofs verfügbar: www.curia.europa.eu


* Verfahrenssprache: Deutsch.