Language of document : ECLI:EU:T:1998:78

URTEIL DES GERICHTS (Fünfte erweiterte Kammer)

30. April 1998 (1)

„Nichtigkeitsklage — Luftverkehr — Staatliche Beihilfe — Zinsloses Darlehen — Höhe der Beihilfe — Prinzip des marktwirtschaftlich handelnden Kapitalanlegers — Grundsatz der Verhältnismäßigkeit — Offensichtlicher Beurteilungsfehler — Begründung — Erfordernis einer Anhörung des Beschwerdeführers durch die Kommission“

In der Rechtssache T-16/96

Cityflyer Express Ltd, Gesellschaft englischen Rechts mit Sitz in Gatwick Airport (Vereinigtes Königreich), Prozeßbevollmächtigter: Rechtsanwalt Charles Price, Brüssel, Zustellungsanschrift: Kanzlei der Rechtsanwältin Lucy Dupong, 14 A, rue des Bains, Luxemburg,

Klägerin,

gegen

Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch Peter Oliver und Anders Jessen, beide Juristischer Dienst, als Bevollmächtigte, Zustellungsbevollmächtigter: Carlos Gómez de la Cruz, Juristischer Dienst, Centre Wagner, Luxemburg-Kirchberg,

Beklagte,

wegen Nichtigerklärung der Entscheidung 95/466/EG der Kommission vom 26. Juli 1995 über eine Beihilfe der Flämischen Region zugunsten des belgischen Luftverkehrsunternehmens Vlaamse Luchttransportmaatschappij NV (ABl. L 267, S. 49)

erläßt

DAS GERICHT ERSTER INSTANZ

DER EUROPÄISCHEN GEMEINSCHAFTEN (Fünfte erweiterte Kammer)

unter Mitwirkung des Präsidenten R. García-Valdecasas sowie der Richterin V. Tiili und der Richter J. Azizi, R. M. Moura Ramos und M. Jaeger,

Kanzler: A. Mair, Verwaltungsrat

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und der mündlichen Verhandlung vom 25. September 1997,

folgendes

Urteil

Rechtlicher Rahmen

1.
    Artikel 92 Absatz 1 des Vertrages zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft (im folgenden: Vertrag) lautet:

„Soweit in diesem Vertrag nicht etwas anderes bestimmt ist, sind staatliche oder aus staatlichen Mitteln gewährte Beihilfen gleich welcher Art, die durch die Begünstigung bestimmter Unternehmen oder Produktionszweige den Wettbewerb verfälschen oder zu verfälschen drohen, mit dem Gemeinsamen Markt unvereinbar, soweit sie den Handel zwischen Mitgliedstaaten beeinträchtigen.“

2.
    Gemäß Artikel 92 Absatz 3 Buchstabe c des Vertrages kann die Kommission „Beihilfen zur Förderung der Entwicklung gewisser Wirtschaftszweige oder Wirtschaftsgebiete, soweit sie die Handelsbedingungen nicht in einer Weise verändern, die dem gemeinsamen Interesse zuwiderläuft“, ausnahmsweise für vereinbar mit dem Gemeinsamen Markt erklären.

3.
    Die Kommission legte die für die Gewährung staatlicher Beihilfen an Luftverkehrsunternehmen geltenden Regeln in ihrer Mitteilung 94/C 350/07 mit dem Titel „Anwendung der Artikel 92 und 93 des EG-Vertrags sowie des Artikels

61 des [Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum] auf staatliche Beihilfen im Luftverkehr“ (ABl. 1994, C 350, S. 5; im folgenden: Leitlinien) fest.

4.
    In Kapitel IV dieser Leitlinien, das der Unterscheidung zwischen der Rolle des Staates als Eigentümer eines Unternehmens und als Geber staatlicher Beihilfen zugunsten dieses Unternehmens gewidmet ist, wird zur Darlehensfinanzierung folgendes ausgeführt:

„Die Kommission wird das Prinzip des marktwirtschaftlich handelnden Kapitalanlegers auch dazu verwenden, um zu beurteilen, ob ein Darlehen zu den banküblichen Bedingungen gewährt worden ist und ob eine Geschäftsbank ein solches Darlehen gewährt hätte. Im Zusammenhang mit den Bedingungen für die Vergabe solcher Darlehen wird die Kommission insbesondere den Zinssatz und die verlangte Sicherheitsleistung berücksichtigen. Hierbei wird die Kommission prüfen, ob die gestellte Sicherheit ausreicht, um bei Zahlungsverzug das Darlehen in voller Höhe zurückzuzahlen; sie wird außerdem die finanzielle Lage des Unternehmens zum Zeitpunkt der Darlehensgewährung untersuchen.

Das Beihilfeelement entspricht dem Unterschiedsbetrag zwischen dem von der Fluggesellschaft unter normalen Marktbedingungen zu zahlenden Zinssatz und dem tatsächlich gezahlten Satz. Im Extremfall, das heißt im Fall der Gewährung eines unverbürgten Darlehens an ein Unternehmen, dem unter normalen Umständen keine Mittel bereitgestellt würden, entspricht das Darlehen einem Zuschuß und würde von der Kommission auch als solcher eingestuft werden“ (Nr. 32 der Leitlinien).

Sachverhalt

5.
    Die Vlaamse Luchttransportmaatschappij NV (VLM) ist ein privates Luftverkehrsunternehmen mit Sitz in Antwerpen (Belgien). Sie wurde am 21. Februar 1992 mit einem Grundkapital von 10 Millionen BFR gegründet. Das Kapital wurde anschließend mehrmals erhöht und belief sich Ende 1993 auf 75 Millionen BFR; im Lauf des Jahres 1994 wurde es auf 100 Millionen BFR aufgestockt. Seit 1993 bietet VLM u. a. zwischen Antwerpen und London (London City Airport) und zwischen Rotterdam und London (London City Airport) Linienflüge an.

6.
    Die Strecke Antwerpen—London wird (mit dem Flughafen Gatwick als An- und Abflugort) auch von Cityflyer Express Ltd (im folgenden: Cityflyer oder Klägerin) und (mit dem Flughafen Heathrow als An- und Abflugort) von Sabena bedient.

7.
    Ende 1993 lag die monatliche Gesamtkapazität auf dieser Strecke bei etwa 22 000 bis 24 000 Passagieren, während die Gesamtzahl der beförderten Passagiere zwischen 9 000 und 10 000 pro Monat betrug.

8.
    Am 17. Dezember 1993 erhielt VLM von der Flämischen Region ohne vorherige Unterrichtung der Kommission ein zinsloses Darlehen von 20 Millionen BFR, das ab dem zweiten Jahr in Höhe von jährlich 4 Millionen BFR zurückzuzahlen war.

9.
    Im Darlehensvertrag heißt es:

Artikel 1: Voorwerp

De begunstigde verbindt zich tot de verdere uitbouw en exploitatie van meerdere Europese vliegroutes.

Ter ondersteuning van deze activiteit verleent het Gewest de begunstigde een terugbetaalbaar renteloos voorschot.

...

Artikel 3: Voorwaarden

Voor de duur van het contract is voor de vervreemding of hypothekering van onroerend en roerend patrimonium en het handelsfonds van de zaak alsook voor de vervreemding van bepaalde activa van de begunstigde vooraf instemming nodig van het Gewest.

Bij wijziging van de aandeelhoudersstructuur is vooraf de instemming van het Gewest vereist.

Het kapitaal van de onderneming mag tijdens de duur van het contract niet worden verlaagd zonder voorafgaande toestemming van het Gewest.

Indien deze voorwaarden niet worden nageleefd, is de overeenkomst onmiddellijk opzegbaar en wordt het voorschot onmiddellijk opeisbaar.“

(„Artikel 1: Gegenstand

Die Begünstigte verpflichtet sich zum weiteren Ausbau und Betrieb mehrerer europäischer Flugstrecken.

Zur Unterstützung dieser Tätigkeit gewährt die Region der Begünstigten ein rückzahlbares zinsloses Darlehen.

...

Artikel 3: Voraussetzungen

Während der Laufzeit des Vertrages bedürfen die Veräußerung oder die hypothekarische Belastung von unbeweglichem und beweglichem Vermögen und

des Firmenwerts sowie die Veräußerung bestimmter Aktiva der Begünstigten einer vorherigen Zustimmung durch die Region.

Bei einer Änderung der Struktur der Anteilseigner muß vorab die Zustimmung der Region eingeholt werden.

Das Kapital des Unternehmens darf während der Laufzeit des Vertrages nicht ohne vorherige Zustimmung der Region herabgesetzt werden.

Werden diese Voraussetzungen nicht eingehalten, so ist die Vereinbarung sofort kündbar, und das Darlehen kann sofort zurückgefordert werden.“)

10.
    Im Anschluß an eine Beschwerde von Cityflyer eröffnete die Kommission am 16. November 1994 das Verfahren gemäß Artikel 93 Absatz 2 des Vertrages (ABl. 1994, C 359, S. 2).

11.
    Die Klägerin und das Luftverkehrsunternehmen British Airways gaben Stellungnahmen ab. Sie ersuchten die Kommission um die Feststellung, daß das zinslose Darlehen eine mit dem Gemeinsamen Markt unvereinbare Beihilfe darstelle.

12.
    Am 23. Januar 1995 nahm auch die belgische Regierung Stellung.

13.
    Am Ende des Verfahrens erließ die Kommission am 26. Juli 1995 die Entscheidung 95/466/EG über eine Beihilfe der Flämischen Region zugunsten des belgischen Unternehmens Vlaamse Luchttransportmaatschappij NV (im folgenden: angefochtene Entscheidung). Sie wurde der belgischen Regierung am 25. September 1995 mitgeteilt und am 9. November 1995 im Amtsblatt veröffentlicht (ABl. L 267, S. 49).

14.
    In dieser Entscheidung kam die Kommission zu dem Ergebnis, daß das Darlehen der Flämischen Region an VLM rechtswidrige staatliche Beihilfeelemente enthalte, da es dem Unternehmen unter Verstoß gegen Artikel 93 Absatz 3 des Vertrages gewährt worden sei. In Artikel 1 der Entscheidung fügte sie hinzu, diese Beihilfeelemente seien nach Artikel 92 des Vertrages und Artikel 61 des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum (im folgenden: EWR-Abkommen) mit dem Gemeinsamen Markt unvereinbar. Belgien wurde daher aufgegeben, die Verzinsung dieses Darlehens zum Satz von 9,3 % (Artikel 2) und die Rückzahlung der Beihilfe in Höhe der bei diesem Zinssatz seit ihrer Gewährung angefallenen Zinsen anzuordnen (Artikel 3). Der Satz von 9,3 % ergibt sich aus einem Basiszinssatz von 7,3 %, der 1994 in Belgien für staatliche Obligationen galt, zuzüglich einer Risikoprämie von 2 % (letzter Absatz von Abschnitt V der angefochtenen Entscheidung).

15.
    Im sechsten Absatz von Abschnitt V der angefochtenen Entscheidung führte die Beklagte u. a. folgendes aus: „Im übrigen besteht kein Zweifel daran, daß eine Beihilfe vorliegt, da private Kapitalgeber oder Banken unter normalen Marktbedingungen kein zinsloses Darlehen an ein Unternehmen vergeben würden, an dem sie keine Anteile halten und das bereits knapp zwei Jahre nach seiner Gründung finanzielle Schwierigkeiten hat. Aus den Bilanzen und der Gewinn- und Verlustrechnung von VLM geht hervor, daß das Unternehmen im Jahr 1993 — dem ersten tatsächlichen Betriebsjahr — Betriebsverluste von 13 Millionen bfrs erlitten hat. Die Nettoverluste beliefen sich im selben Jahr auf 11,52 Millionen bfrs, was 15 % des Gesellschaftskapitals entspricht.“

16.
    Der siebente Absatz von Abschnitt V der angefochtenen Entscheidung lautet wie folgt: „Hinsichtlich der Höhe der Beihilfe vertritt die Kommission in ihrer Mitteilung .Anwendung der Artikel 92 und 93 des EG-Vertrags sowie des Artikels 61 des EWR-Abkommens auf staatliche Beihilfen im Luftverkehr' die Auffassung, daß .das Beihilfeelement dem Unterschiedsbetrag zwischen dem von der Fluggesellschaft unter normalen Marktbedingungen zu zahlenden Zinssatz und dem tatsächlich gezahlten Satz [entspricht]. Im Extremfall, das heißt im Fall der Gewährung eines unverbürgten Darlehens an ein Unternehmen, dem unter normalen Umständen keine Mittel bereitgestellt würden, entspricht das Darlehen einem Zuschuß und würde von der Kommission auch als solcher eingestuft werden.' Im vorliegenden Fall ist die Tatsache, daß VLM im ersten Geschäftsjahr relativ geringe Verluste verzeichnet hat, aufgrund der Besonderheiten des Luftverkehrssektors nicht ungewöhnlich und stellte Anfang 1994 kein Hindernis für den Zugang zum Kapitalmarkt dar, zumal 1993 ein besonders schwieriges Jahr für den Luftverkehr war und 1994 eine allgemeine Konjunkturverbesserung erwarten ließ. Tatsächlich sanken die Verluste von VLM 1994 auf 8,6 Millionen bfrs, während das Unternehmen sein Geschäft weiter ausbaute. Der Darlehensgeber verfügt über eine gewisse Garantie für die Rückzahlung seiner Forderung, da die Flämische Region im Gegenzug zu dem Darlehen die Unternehmensführung insofern beeinflussen kann, als vor der Veräußerung oder hypothekarischen Belastung bestimmter Güter sowie vor einer Herabsetzung des Gesellschaftskapitals oder einer Änderung der Anteilsverhältnisse ihre Zustimmung eingeholt werden muß. Ende 1993 verfügte VLM über materielle Anlagegüter im Wert von 7,3 Millionen bfrs und finanzielle Aktiva im Wert von 16 Millionen bfrs. Im übrigen wurde das Gesellschaftskapital 1994 nochmals um 25 Millionen bfrs erhöht und beläuft sich damit derzeit auf 100 Millionen bfrs. Gemäß den §§ 6 und 7 des Darlehensvertrags kann dieser, wenn VLM die vertraglichen Bedingungen nicht einhält, gekündigt werden und ist VLM während der Vertragsdauer der Aufsicht des Wirtschaftsministeriums der Flämischen Region sowie des Flämischen Ausschusses für die Unternehmensführungsaufsicht unterstellt. Aus diesen Gründen entspricht die Beihilfe nach Ansicht der Kommission den Zinsen, die das Unternehmen unter marktüblichen Bedingungen hätte zahlen müssen.“

17.
    Im folgenden Absatz kommt die Beklagte zu dem Ergebnis, daß VLM angesichts dieser vertraglichen Regelungen den ihr zur Verfügung gestellten Betrag unter

marktüblichen Bedingungen zum Zinssatz von 9,3 % als Darlehen hätte erhalten können.

Verfahren und Anträge

18.
    Die Klägerin hat ihre Klageschrift am 1. Februar 1996 bei der Kanzlei des Gerichts eingereicht.

19.
    Am 15. Juli 1996 hat VLM einen Streithilfeantrag gestellt, den sie am 29. Oktober 1996 wieder zurückgenommen hat.

20.
    Auf Bericht des Berichterstatters hat das Gericht (Fünfte erweiterte Kammer) die mündliche Verhandlung eröffnet. Die Parteien haben in der Sitzung vom 25. September 1997 mündlich verhandelt und mündliche Fragen des Gerichts beantwortet.

21.
    Die Klägerin beantragt,

—    die angefochtene Entscheidung für nichtig zu erklären;

—    der Beklagten die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.

22.
    In ihrer Erwiderung und in der Verhandlung hat die Klägerin das Gericht ferner ersucht, die Vorlage bestimmter Schriftstücke anzuordnen (siehe unten, Randnrn. 98 bis 100).

23.
    Die Beklagte beantragt,

—    die Klage für unzulässig zu erklären;

—    hilfsweise, die Klage als unbegründet abzuweisen;

—    der Klägerin die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.

24.
    In ihrer Gegenerwiderung beantragt die Beklagte ferner, einige Ausführungen der Klägerin in der Erwiderung für unzulässig zu erklären (siehe unten, Randnrn. 36 bis 38).

Zur Zulässigkeit

Zur Zulässigkeit der Klage

Vorbringen der Parteien

25.
    Die Beklagte erhebt in ihrer Klagebeantwortung eine Einrede der Unzulässigkeit, die sie auf das fehlende Interesse der Klägerin an der Nichtigerklärung der angefochtenen Entscheidung stützt.

26.
    Die Nichtigerklärung werde insofern begehrt, als ein Betrag in Höhe der Zinsen, die VLM unter normalen Marktbedingungen gezahlt hätte, als mit dem Gemeinsamen Markt unvereinbare Beihilfe im Sinne von Artikel 92 Absatz 1 des Vertrages angesehen worden sei, während nach Ansicht der Klägerin der Darlehensbetrag (im folgenden: Hauptschuld) eine solche Beihilfe dargestellt habe. Eine solche Nichtigerklärung, gefolgt von einer neuen Entscheidung, in der VLM aufgegeben werde, das gesamte Darlehen zurückzuzahlen, würde aber zu einer finanziellen Besserstellung von VLM führen. Für die Zeit vor der Zustellung der angefochtenen Entscheidung hätte VLM nämlich den Bezugssatz für Belgien zahlen müssen (Mitteilung der Kommission über regionale Beihilferegelungen, ABl. 1979, C 31, S. 9, Punkt 14 des Anhangs); dieser Satz (8,34 %) sei niedriger als der in der Entscheidung angewandte Satz (9,3 %). Außerdem könnte VLM aufgrund des mittlerweile eingetretenen Rückgangs der Zinssätze zu einem günstigeren als dem in der angefochtenen Entscheidung festgelegten Satz ein Darlehen aufnehmen. Der maßgebliche Zeitpunkt für die Festlegung dieses Satzes sei der des Erlasses der angefochtenen Entscheidung. Stelle man jedoch auf den Zeitpunkt ab, zu dem die Kommission nach einer Nichtigerklärung eine neue Entscheidung erlassen würde, so sei das fehlende Rechtsschutzinteresse der Klägerin wegen des weiteren Zinsrückgangs noch offenkundiger.

27.
    Verbessere eine Nichtigerklärung die Lage des Empfängers einer Beihilfe, so hätten dessen Konkurrenten, auch wenn sie unmittelbar und individuell betroffen seien, kein Rechtsschutzinteresse, so daß die Klage für unzulässig erklärt werden müsse (Urteile des Gerichtshofes vom 14. Dezember 1962 in den Rechtssachen 5/62 bis 11/62, 13/62, 14/62 und 15/62, San Michele u. a./Hohe Behörde, Slg. 1962, 919, vom 16. Dezember 1963 in der Rechtssache 14/63, Forges de Clabecq/Hohe Behörde, Slg. 1963, 769, und vom 1. Juli 1976 in der Rechtssache 58/75, Sergy/Kommission, Slg. 1976, 1139, Randnr. 5; Urteil des Gerichts vom 16. Dezember 1993 in der Rechtssache T-58/92, Moat/Kommission, Slg. 1993, II-1443, Randnr. 32).

28.
    Die Klägerin hält dem entgegen, ihr Rechtsschutzinteresse ergebe sich daraus, daß die angefochtene Entscheidung sie unmittelbar und individuell betreffe. Sie befinde sich im vorliegenden Fall in genau der gleichen Situation wie die Klägerinnen in der Rechtssache Cofaz u. a./Kommission (Urteil des Gerichtshofes vom 28. Januar 1986 in der Rechtssache 169/84, Slg. 1986, 391, Randnr. 25; vgl. auch Urteil des Gerichts vom 5. Juni 1996 in der Rechtssache T-398/94, Kahn Scheepvaart/Kommission Slg. 1996, II-477, Randnrn. 37 und 42).

29.
    Die Argumentation der Beklagten beruhe auf der Prämisse, daß VLM finanzielle Mittel erhalten könne, und sie gehe nicht auf das Vorbringen der Klägerin ein, daß

VLM zum Zeitpunkt der Gewährung des streitigen Darlehens ohne Sicherheiten keine Mittel erhalten hätte.

Würdigung durch das Gericht

30.
    Bei der Prüfung der Zulässigkeit einer Nichtigkeitsklage ist auf das Rechtsschutzinteresse des Klägers zum Zeitpunkt der Klageerhebung abzustellen (in diesem Sinne auch die bereits in Randnr. 27 genannten Urteile Forges de Clabecq/Hohe Behörde, S. 799, und Moat/Kommission, Randnr. 32). Das Rechtsschutzinteresse kann nicht anhand eines zukünftigen und hypothetischen Ereignisses beurteilt werden (in diesem Sinne auch Urteil des Gerichtshofes vom 21. Januar 1987 in der Rechtssache 204/85, Stroghili/Rechnungshof, Slg. 1987, 389, Randnr. 11).

31.
    Das Vorbringen der Beklagten beruht auf den beiden Annahmen, daß die angefochtene Entscheidung aus den von der Klägerin genannten Gründen für nichtig erklärt wird und daß VLM von einem Kreditinstitut neue finanzielle Mittel erhält. Ihrer Ansicht nach hat die Klägerin unter diesen Annahmen kein Rechtsschutzinteresse, da sich die finanzielle Lage von VLM wegen des seit dem Erlaß der angefochtenen Entscheidung eingetretenen Rückgangs der Zinssätze verbessern würde.

32.
    Im vorliegenden Fall hat die Klägerin aus den von ihr angeführten Gründen ein berechtigtes, bestehendes und gegenwärtiges Interesse an der Nichtigerklärung der angefochtenen Entscheidung. Wenn man unterstellt, daß die Beklagte eine Entscheidung mit dem von der Klägerin gewünschten Inhalt erlassen müßte, wäre es eine reine Vermutung, daß VLM finanzielle Mittel zu besseren als den in der angefochtenen Entscheidung festgelegten Konditionen erhalten könnte; dies kann daher nicht als Kriterium für die Beurteilung der Zulässigkeit der Klage dienen.

33.
    Selbst wenn man ferner unterstellt, daß VLM wegen des Rückgangs der Zinssätze nunmehr ein Darlehen zu einem niedrigeren Zinssatz als den in der angefochtenen Entscheidung angewandten 9,3 % erhalten könnte, so besteht diese Möglichkeit unabhängig von einer etwaigen Nichtigerklärung der Entscheidung. Es ist nämlich höchst unwahrscheinlich, daß die Flämische Region VLM nicht gestatten würde, das Darlehen vorzeitig zurückzuzahlen, wenn VLM von einem Kreditinstitut bessere Konditionen erhalten könnte.

34.
    Da die angefochtene Entscheidung die Stellung der Klägerin im Wettbewerb ungünstig beeinflussen kann, hat sie ein Rechtsschutzinteresse.

35.
    Folglich ist die gegen die Klage erhobene Einrede der Unzulässigkeit zurückzuweisen.

Zur Zulässigkeit einiger Ausführungen in der Erwiderung

Vorbringen der Parteien

36.
    Die Beklagte hält ferner einige Ausführungen der Klägerin in der Erwiderung für unzulässig. Zum einen seien sie im Verwaltungsverfahren nicht vorgebracht worden (vgl. Urteil vom 14. September 1994 in den Rechtssachen C-278/92, C-279/92 und C-280/92, Spanien/Kommission, Slg. 1994, I-4103, Randnr. 31). Zum anderen seien sie entweder verspätet oder hätten nichts mit der Frage der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Entscheidung zu tun.

37.
    Die Einrede der Unzulässigkeit betreffe die Ausführungen der Klägerin zu der von den belgischen Behörden benötigten Zeit, um auf Verlangen der Kommission eine Kopie des streitigen Darlehensvertrags vorzulegen, und zu der von den belgischen Behörden vorgenommenen Einstufung des Darlehens als Investition. Der erste Punkt habe nichts mit den im Rahmen der vorliegenden Klage geltend gemachten Angriffsmitteln zu tun. Der zweite Punkt stehe nicht im Widerspruch zur Beurteilung des mit dem Vorgang verbundenen Beihilfeelements durch die Kommission.

38.
    Die Einrede der Unzulässigkeit erstrecke sich darüber hinaus auf den Antrag auf Feststellung, daß der erste Teilbetrag des Darlehens wie vertraglich vorgesehen zurückgezahlt worden sei. Dieser Antrag beziehe sich auf Ereignisse nach dem Erlaß der angefochtenen Entscheidung und habe nichts mit der Beurteilung ihrer Gültigkeit zu tun.

Würdigung durch das Gericht

39.
    Zu dem Argument, die fraglichen Ausführungen seien unzulässig, weil sie im Verwaltungsverfahren nicht vorgebracht worden seien, ist festzustellen, daß es auf dem Gebiet der staatlichen Beihilfen keine Vorschrift gibt, nach der das Recht einer unmittelbar und individuell betroffenen Person zur Anfechtung einer gegenüber einem Dritten ergangenen Handlung davon abhängig wäre, daß diese Person schon im Verwaltungsverfahren alle in der Klageschrift vorgebrachten Rügen erhoben hat. Mangels einer derartigen Vorschrift kann die Klagebefugnis einer solchen Person nicht allein deshalb eingeschränkt sein, weil sie sich im Verwaltungsverfahren nicht zu einer ihr bei Einleitung des Verfahrens nach Artikel 93 Absatz 2 des Vertrages mitgeteilten und später in die angefochtene Entscheidung aufgenommenen Beurteilung geäußert hat, obwohl sie dies hätte tun können (Urteil des Gerichts vom 12. Dezember 1996 in der Rechtssache T-380/94, AIUFFASS und AKT/Kommission, Slg. 1996, II-2169, Randnr. 64).

40.
    Das übrige Vorbringen der Beklagten ist unerheblich. Die Klägerin hat die streitigen Ausführungen im Rahmen einer Darstellung des Sachverhalts des Rechtsstreits gemacht, um das Gericht zu einer eingehenderen Prüfung der Rechtssache zu veranlassen und ohne ihre Anträge zu ändern oder ein neues Angriffsmittel geltend zu machen.

41.
    Unter diesen Umständen ist die Einrede der Unzulässigkeit zurückzuweisen, die gegen die in den obigen Randnummern 37 und 38 genannten Ausführungen der Klägerin in der Erwiderung erhoben worden ist.

Zur Begründetheit

42.
    Die Klägerin stützt ihre Klage auf drei Gründe, und zwar auf

—    einen Verstoß gegen Artikel 92 Absatz 1 des Vertrages,

—    eine Verletzung der Begründungspflicht gemäß Artikel 190 des Vertrages und

—    offensichtliche Beurteilungsfehler.

Erster Klagegrund: Verstoß gegen Artikel 92 Absatz 1 des Vertrages

Vorbringen der Parteien

43.
    Nach Ansicht der Klägerin hat die Beklagte dadurch gegen Artikel 92 des Vertrages verstoßen, daß sie nur einen Betrag in Höhe der Zinsen, die VLM unter normalen Marktbedingungen gezahlt hätte, und nicht die Darlehenssumme als mit dem Gemeinsamen Markt unvereinbare Beihilfe eingestuft habe.

44.
    Der Gerichtshof habe anerkannt, daß grundsätzlich auf das übliche Verhalten eines privaten Kapitalgebers beim gleichen Vorgang abzustellen sei (Urteile des Gerichtshofes vom 10. Juli 1986 in der Rechtssache 234/84, Belgien/Kommission, Slg. 1986, 2263, Randnr. 14, und in der Rechtssache 40/85, Slg. 1986, 2321, Randnr. 13, vom 21. März 1990 in der Rechtssache C-142/87, Belgien/Kommission, Slg. 1990, I-959, Randnr. 26, und vom 3. Oktober 1991 in der Rechtssache C-261/89, Italien/Kommission, Slg. 1991, I-4437, Randnr. 8).

45.
    Dieser Grundsatz gelte für Kapitalbeteiligungen und Darlehen gleichermaßen (Urteile des Gerichtshofes vom 14. November 1984 in der Rechtssache 323/82, Intermills/Kommission, Slg. 1984, 3809, Randnr. 31, und vom 10. Juli 1986 in der Rechtssache 40/85, Belgien/Kommission, bereits in Randnr. 44 genannt). Andernfalls würden die Mitgliedstaaten dazu veranlaßt, Unternehmen in rechtswidriger Weise durch Darlehen statt durch die Zufuhr von Kapital zu finanzieren.

46.
    Werde ein Darlehen gewährt, so müsse nach diesem Grundsatz geprüft werden, ob ein privater Kapitalgeber das Darlehen dem Empfänger zu den tatsächlich vereinbarten Bedingungen gewährt hätte. Hätte er dies nicht getan, so sei die Hauptschuld als Beihilfe anzusehen.

47.
    Die Beklagte habe das Kriterium des üblichen Verhaltens eines privaten Kapitalgebers beim gleichen Vorgang falsch angewandt, als sie geprüft habe, ob das streitige Darlehen eine staatliche Beihilfe darstelle. Statt sich zu fragen, ob ein solcher Kapitalgeber dieses Darlehen zu den tatsächlich vereinbarten Bedingungen gewährt hätte, habe sie geprüft, ob er es zu einem Zinssatz von 9,3 % gewährt hätte. Aus dem Ergebnis, daß ein Kapitalgeber das streitige Darlehen zu diesem Zinssatz gewährt hätte, habe sie fälschlich geschlossen, daß sich die Beihilfe auf dienicht gezahlten Zinsen beschränke.

48.
    Die Auslegung der Beklagten führe dazu, daß Artikel 92 Absatz 1 des Vertrages in rechtswidriger Weise unterschiedlich angewandt werde, je nachdem, ob die Beihilfe in Form eines Darlehens oder einer Beteiligung am Kapital gewährt worden sei (vgl. die Entscheidung 94/662/EG der Kommission vom 27. Juli 1994 über die Zeichnung von Air-France-Anleihen durch CDC-Participations, ABl. L 258, S. 26).

49.
    Die Beklagte beantragt die Zurückweisung dieses Klagegrundes. Sie lehnt das von der Klägerin vorgeschlagene Kriterium ab, da es die Bedeutung der durch die Beihilfemaßnahme herbeigeführten Wettbewerbsverzerrungen außer acht lasse.

Würdigung durch das Gericht

50.
    Artikel 92 des Vertrages soll den Wettbewerb innerhalb des Binnenmarktes vor Verfälschungen schützen (Artikel 3 Buchstabe g des Vertrages). Das Verbot in Artikel 92 Absatz 1 des Vertrages gilt für staatliche Beihilfen, die den Wettbewerb verfälschen oder zu verfälschen drohen, soweit sie den Handel zwischen Mitgliedstaaten beeinträchtigen.

51.
    Um zu ermitteln, ob eine staatliche Maßnahme eine Beihilfe darstellt, die im Sinne dieser Bestimmung den Wettbewerb verfälscht oder zu verfälschen droht und den Handel zwischen Mitgliedstaaten beeinträchtigt, ist auf das in der angefochtenen Entscheidung genannte Kriterium abzustellen, nach dem es darauf ankommt, ob das begünstigte Unternehmen die Möglichkeit gehabt hätte, sich die betreffenden Geldbeträge auf dem Kapitalmarkt zu beschaffen (Urteil des Gerichtshofes vom 21. März 1990 in der Rechtssache Belgien/Kommission, bereits in Randnr. 44 genannt, Randnr. 26). Insbesondere ist zu klären, ob ein privater Kapitalgeber den fraglichen Vorgang zu den gleichen Bedingungen abgewickelt hätte; hätte er dies nicht getan, so ist zu prüfen, zu welchen Bedingungen er ihn hätte abwickeln können.

52.
    Im vorliegenden Fall ist die Beklagte zu dem Ergebnis gekommen, daß sich VLM zum Zeitpunkt der Gewährung des streitigen Darlehens 20 Millionen BFR auf dem Kapitalmarkt zu einem Zinssatz von 9,3 % hätte beschaffen können (letzter Absatz von Abschnitt V der angefochtenen Entscheidung). Dieses Ergebnis läuft darauf hinaus, daß das streitige Darlehen den Wettbewerb nicht mehr verfälscht oder zu

verfälschen droht und den Handel zwischen Mitgliedstaaten nicht mehr beeinträchtigt, wenn es in dieser Höhe verzinst wird.

53.
    Falls dies zutrifft — vgl. dazu die nachfolgend in den Randnummern 85 und 88 bis 91 im Rahmen des dritten Klagegrundes angestellten Erwägungen —, fällt das streitige Darlehen somit nicht mehr unter Artikel 92 Absatz 1 des Vertrages, wenn es in dieser Höhe verzinst wird. Die Beklagte ist folglich zu Recht davon ausgegangen, daß nur die Differenz zwischen den Zinsen, die gezahlt worden wären, wenn dieser Zinssatz gegolten hätte, und den tatsächlich gezahlten Zinsen als Beihilfe im Sinne der fraglichen Bestimmung einzustufen war.

54.
    Die Anwendung des Kriteriums des privaten Kapitalgebers in der oben definierten Form ermöglicht der Kommission ferner die Ermittlung der Maßnahmen, die gemäß Artikel 93 Absatz 2 des Vertrages unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit zu treffen sind, um die festgestellten Wettbewerbsverzerrungen zu beseitigen und die Lage vor der Zahlung der rechtswidrigen Beihilfe wiederherzustellen (in diesem Sinne auch Urteil des Gerichts vom 8. Juni 1995 in der Rechtssache T-459/93, Siemens/Kommission, Slg. 1995, II-1675, Randnrn. 96 bis 102). Es kann zwar nicht grundsätzlich danach unterschieden werden, ob eine Beihilfe als Darlehen oder als Kapitalbeteiligung gewährt wird (Urteil Intermills/Kommission, bereits in Randnr. 45 genannt, Randnr. 31), aber die einheitliche Anwendung des Kriteriums des privaten Kapitalgebers in beiden Fällen kann in Anbetracht des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit gleichwohl den Erlaß unterschiedlicher Maßnahmen erfordern, um die festgestellten Wettbewerbsverzerrungen zu beseitigen und die Lage vor der Zahlung der rechtswidrigen Beihilfe wiederherzustellen.

55.
    Nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit sind die zur Gewährleistung eines gesunden Wettbewerbs im Binnenmarkt erforderlichen Maßnahmen zu treffen, die eine harmonische und ausgewogene Entwicklung des Wirtschaftslebens innerhalb der Gemeinschaft fördern (Artikel 2 des Vertrages). Die Auffassung der Klägerin hätte aber einen Verstoß gegen diesen Grundsatz zur Folge.

56.
    Da eine als Kapital eingebrachte Summe dauerhaft bereitgestellt wird, während sie im Fall eines Darlehens — das zurückzuzahlen ist — nur zeitweise zur Verfügung steht, erfordert der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit in der Regel für beide Fälle den Erlaß unterschiedlicher Maßnahmen. Bei einer Kapitalbeteiligung kann die Kommission davon ausgehen, daß die Beseitigung des eingeräumten Vorteils die Rückerstattung des eingebrachten Kapitals voraussetzt. Besteht bei einem Darlehen der Wettbewerbsvorteil in einem günstigen Zinssatz und nicht im Wert der zur Verfügung gestellten Mittel selbst, so kann die Kommission dagegen verlangen, daß anstelle der schlichten Rückzahlung der Hauptschuld ein Zinssatz angewandt wird, der unter normalen Marktbedingungen vereinbart worden wäre, und daß die Differenz zwischen den Zinsen, die unter solchen Bedingungen gezahlt worden

wären, und den auf der Grundlage des eingeräumten Vorzugssatzes tatsächlich gezahlten Zinsen zurückgezahlt wird.

57.
    Außerdem würde die Auffassung der Klägerin darauf hinauslaufen, der in den Leitlinien getroffenen Unterscheidung zwischen den Normalfällen, in denen die Beihilfe mit dieser Zinsdifferenz gleichzusetzen ist, und den Ausnahmefällen, in denen die Beihilfe der Hauptschuld entspricht, jeden Nutzen zu nehmen. Folglich wird mit dieser Auffassung letztlich die Rechtmäßigkeit der Leitlinien in Frage gestellt. Insoweit ist darauf hinzuweisen, daß sich die Kommission bei der Ausübung ihres Ermessens durch Maßnahmen wie die fraglichen Leitlinien selbst binden kann, sofern sie Regeln enthalten, denen sich die von diesem Organ zu verfolgende Politik entnehmen läßt und die nicht von Normen des Vertrages abweichen (Urteil des Gerichtshofes vom 24. März 1993 in der Rechtssache C-313/90, CIRFS u. a./Kommission, Slg. 1993, I-1125, Randnrn. 34 und 36; Urteil AIUFFASS und AKT/Kommission, bereits in Randnr. 39 genannt, Randnr. 57; siehe auch Urteil des Gerichts vom 5. November 1997 in der Rechtssache T-149/95, Ducros/Kommission, Slg. 1997, II-2031, Randnr. 61). Die Klägerin hat aber nicht dargetan, daß die Leitlinien vom Vertrag abwichen.

58.
    Folglich ist der Klagegrund zurückzuweisen.

Zweiter Klagegrund: Verletzung der Begründungspflicht gemäß Artikel 190 des Vertrages

Vorbringen der Parteien

59.
    Die Klägerin führt aus, die Begründung der angefochtenen Entscheidung sei widersprüchlich, unklar und mehrdeutig, beruhe auf Fehlern und gehe nicht ausreichend auf die von ihr im Verwaltungsverfahren vorgebrachten Argumente ein.

60.
    Außerdem habe es die Beklagte versäumt, ihr Gelegenheit zu geben, sich zu den von den belgischen Behörden zur Widerlegung ihres Vorbringens gemachten Angaben zu äußern. Die Beklagte habe ihre Pflicht zur Anhörung des Beschwerdeführers verletzt, so daß die Begründung nicht den vom Gericht im Urteil vom 28. September 1995 in der Rechtssache T-95/94 (Sytraval und Brink's France/Kommission, Slg. 1995, II-2651) aufgestellten Kriterien entspreche.

61.
    Die Anforderungen an die Begründung seien höher, wenn der Beschwerdeführer — wie im vorliegenden Fall — nicht der Adressat von Entscheidungen sei, die im Rahmen von Verfahren wegen staatlicher Beihilfen getroffen würden.

62.
    Schließlich könne der Gemeinschaftsrichter seine Kontrolle nicht nur im Interesse des Klägers ausüben, sondern auch im Interesse der Gemeinschaft. Diese sei aber daran interessiert, daß die Kommission ihre Entscheidungen über staatliche Beihilfen nicht auf falsche Daten stütze und keine Beurteilungsfehler begehe. Die

Pflicht, den Beschwerdeführer unter bestimmten Umständen zu konsultieren, solle gerade diese Gefahr verringern.

63.
    Die Beklagte beantragt, den Klagegrund zurückzuweisen. Die angefochtene Entscheidung entspreche den Anforderungen von Artikel 190 des Vertrages, und das Verfahren gemäß Artikel 93 Absatz 2 des Vertrages verpflichte die Kommission nicht dazu, mit Drittbetroffenen die von den nationalen Behörden gelieferten Informationen zu erörtern oder ihnen Kopien der im Lauf der Untersuchung gesammelten Unterlagen zu überlassen.

Würdigung durch das Gericht

64.
    Nach ständiger Rechtsprechung muß die gemäß Artikel 190 des Vertrages erforderliche Begründung die Überlegungen der Gemeinschaftsbehörde, die den angefochtenen Rechtsakt erlassen hat, so klar und unzweideutig wiedergeben, daß es den Betroffenen möglich ist, zur Wahrnehmung ihrer Rechte die tragenden Gründe für die Maßnahme zu erfahren, und daß der Gemeinschaftsrichter seine Kontrolle ausüben kann (Urteile des Gerichts vom 18. September 1995 in der Rechtssache T-471/93, Tiercé Ladbroke/Kommission, Slg. 1995, II-2537, Randnr. 29, und die dort genannte Rechtsprechung, und vom 24. April 1996 in den Rechtssachen T-551/93, T-231/94, T-232/94, T-233/94 und T-234/94, Industrias Pesqueras Campos u. a./Kommission, Slg. 1996, II-247, Randnr. 140, und die dort genannte Rechtsprechung).

65.
    In der Begründung brauchen jedoch nicht alle einschlägigen tatsächlichen und rechtlichen Gesichtspunkte genannt zu werden, da die Frage, ob die Begründung eines Rechtsakts den Erfordernissen von Artikel 190 des Vertrages genügt, nicht nur im Hinblick auf ihren Wortlaut zu beurteilen ist, sondern auch anhand ihres Kontextes sowie sämtlicher Rechtsvorschriften auf dem betreffenden Gebiet (Urteile des Gerichtshofes vom 29. Februar 1996 in der Rechtssache C-56/93, Belgien/Kommission, Slg. 1996, I-723, Randnr. 86, und vom 15. Mai 1997 in der Rechtssache C-278/95 P, Siemens/Kommission, Slg. 1997, I-2507, Randnr. 17; Urteil des Gerichts vom 22. Oktober 1996 in der Rechtssache T-266/94, Skibsværftsforeningen u. a./Kommission, Slg. 1996, II-1399, Randnr. 230). Die Kommission braucht in der Begründung von Entscheidungen, die sie erläßt, um die Anwendung der Wettbewerbsregeln sicherzustellen, nicht auf alle Argumente einzugehen, die ihr die Betroffenen vortragen. Es reicht aus, daß sie die Tatsachen und rechtlichen Erwägungen anführt, denen nach dem Aufbau der Entscheidung eine wesentliche Bedeutung zukommt (Urteile des Gerichts vom 24. Januar 1992 in der Rechtssache T-44/90, La Cinq/Kommission, Slg. 1992, II-1, Randnr. 41, und die dort genannte Rechtsprechung, und Urteil Siemens/Kommission, bereits in Randnr. 54 genannt, Randnr. 31).

66.
    Wird dieser Grundsatz auf die Einstufung einer Maßnahme als Beihilfe angewandt, so müssen die Gründe angegeben werden, aus denen die fragliche

Beihilfemaßnahme nach Ansicht der Kommission unter Artikel 92 Absatz 1 des Vertrages fällt.

67.
    Im vorliegenden Fall ist zu prüfen, ob die Begründung der angefochtenen Entscheidung die Erwägungen der Beklagten, nach denen nur die Differenz zwischen den Zinsen, die VLM unter normalen Marktbedingungen gezahlt hätte, und den von ihr tatsächlich gezahlten Zinsen eine Beihilfemaßnahme im Sinne von Artikel 92 Absatz 1 des Vertrages darstellt, hinreichend klar wiedergibt.

68.
    Insoweit genügt die Begründung im sechsten, siebenten und achten Absatz von Abschnitt V der angefochtenen Entscheidung (siehe oben, Randnrn. 15, 16 und 17) den Anforderungen von Artikel 190 des Vertrages, da sie der Klägerin das Verständnis der Erwägungen der Beklagten und dem Gemeinschaftsrichter die Ausübung seiner Kontrolle ermöglicht. Insbesondere gehen daraus klar die Gründe hervor, aus denen die Beklagte der Ansicht war, daß die finanzielle Lage von VLM und die vertraglichen Vorschriften, die der Flämischen Region bestimmte Rechte in bezug auf die Aktiva von VLM verschafften, es dieser ermöglicht hätten, unter normalen Marktbedingungen ein Darlehen von 20 Millionen BFR zum marktüblichen Satz (von 9,3 %) aufzunehmen. Der Zusammenhang zwischen dieser Feststellung und der Folgerung, daß nur die nicht gezahlten Zinsen als Beihilfe im Sinne von Artikel 92 Absatz 1 des Vertrages einzustufen sind, ist ebenfalls klar erkennbar.

69.
    Schließlich ist der von der Klägerin auf das Urteil Sytraval und Brink's France/Kommission (bereits in Randnr. 60 genannt, Randnr. 78) gestützte Vorwurf zurückzuweisen, daß die Beklagte ihre Pflicht verletzt habe, unter bestimmten Umständen den Beschwerdeführer anzuhören. Nachdem die Beklagte im vorliegenden Fall die Stellungnahmen der Betroffenen einschließlich der Klägerin eingeholt hatte, war sie in der Lage, ihre Beurteilung der Art der von der Beschwerdeführerin als staatliche Beihilfe eingestuften Maßnahme in rechtlich hinreichender Weise zu begründen.

70.
    Die Auffassungen der Klägerin und des belgischen Staates gingen hauptsächlich bei der Anwendung des Kriteriums des marktwirtschaftlich handelnden Kapitalanlegers und bei der Beurteilung des Verhaltens eines solchen Anlegers im Hinblick auf denfraglichen Vorgang auseinander, nicht aber in tatsächlichen Fragen (vgl. Abschnitte II und III der angefochtenen Entscheidung). Auch wenn man unterstellt, daß die Pflicht zur Anhörung des Beschwerdeführers unter bestimmten Umständen zur Folge hat, daß ihm die Stellungnahme des Mitgliedstaats, an den sich die Entscheidung richtet, mitgeteilt werden muß — worüber nicht entschieden zu werden braucht —, konnte die Beklagte ihre Einordnung der Maßnahme unter Artikel 92 Absatz 1 des Vertrages daher ohne eine solche Mitteilung begründen.

71.
    Demnach ist der zweite Klagegrund zurückzuweisen.

Dritter Klagegrund: offensichtliche Beurteilungsfehler

72.
    Die Klägerin wirft der Beklagten vor, dadurch offensichtliche Beurteilungsfehler begangen zu haben, daß sie die Hauptschuld nicht als Beihilfe im Sinne von Artikel 92 Absatz 1 des Vertrages eingestuft habe. Diese Fehler bezögen sich auf vier Gesichtspunkte: die finanzielle Lage von VLM, die Bewertung von Garantien oder Sicherheiten, die Zinslosigkeit des Darlehens und den ungewöhnlichen Charakter des Darlehens. Da eine ernstliche Gefahr bestanden habe, daß das streitige Darlehen nicht zurückgezahlt werde, da es keine Sicherheiten gegeben habe und da das Darlehen ungewöhnlich und zinslos gewesen sei, hätte es als schlichter Zuschuß eingestuft werden müssen.

Die finanzielle Lage von VLM

— Vorbringen der Parteien

73.
    Die Klägerin ist der Ansicht, die Beklagte habe ihre Behauptung, daß die Verluste von VLM relativ gering gewesen seien und kein Hindernis für den Zugang zum Kapitalmarkt dargestellt hätten, nicht untermauert. Als die Beklagte die angefochtene Entscheidung erlassen habe, hätte sie in Erfahrung bringen können, daß die Verluste von VLM 1994 nicht auf 8,6 Millionen BFR gesunken seien (siebenter Absatz von Abschnitt V der angefochtenen Entscheidung), sondern fast das Dreifache betragen hätten. Aus den Jahresbilanzen von VLM gehe hervor, daß sie 1992, in ihrem ersten Geschäftsjahr, einen kleinen Gewinn von 340 541 BFR erzielt habe, gefolgt von einem Verlust von 11 523 927 BFR im Jahr 1993 und einem weiteren Verlust von 27 538 000 BFR im Jahr 1994, so daß der Gesamtverlust 39 021 000 BFR, also fast 40 % des Kapitals, betragen habe. Ende 1993 hätten sich die Verluste auf 11 483 000 BFR belaufen, was etwa 15 % des Kapitals entspreche. Ende 1994 habe das Verhältnis zwischen den Schulden und dem Eigenkapital von VLM bei etwa 144 % gelegen. Schließlich zeige das Fehlen langfristiger Verbindlichkeiten, daß sich VLM keine privatwirtschaftliche Finanzierung habe beschaffen können.

74.
    Die Klägerin wirft der Beklagten ferner vor, die geschäftliche Lage von VLM zum Zeitpunkt des Erlasses der angefochtenen Entscheidung außer acht gelassen zu haben. Ihre Lage habe sich verschlechtert, da sich der Gesamtverlust zum 31. Dezember 1995 auf 86 192 000 BFR oder 57 % des Kapitals belaufen habe und der Umsatz zurückgegangen sei.

75.
    Die Beklagte beantragt, diese Rüge zurückzuweisen, da die Verluste von VLM und die allgemeinen Branchentendenzen für 1994 dergestalt gewesen seien, daß VLM zum Zeitpunkt der Gewährung des streitigen Darlehens auf den Finanzmärkten ein vergleichbares Darlehen hätte erhalten können.

— Würdigung durch das Gericht

76.
    Soweit die Klägerin geltend macht, daß die Verluste von VLM im Jahr 1994 das Dreifache der im siebenten Absatz von Abschnitt V der angefochtenen Entscheidung genannten 8,6 Millionen BFR betragen hätten, ist darauf hinzuweisen, daß die Rechtmäßigkeit der angefochtenen Entscheidung danach zu beurteilen ist, wie sich ein privater Kapitalgeber unter normalen Marktbedingungen zum Zeitpunkt der Gewährung des streitigen Darlehens angesichts der zu diesem Zeitpunkt verfügbaren Informationen und vorhersehbaren Entwicklungen verhalten hätte. Die Tatsache, daß die Verluste von VLM im Jahr 1994 fast dreimal so hoch waren wie die Schätzung in der angefochtenen Entscheidung, kann sich daher nur dann auf deren Rechtmäßigkeit auswirken, wenn offensichtlich ist, daß ein privater Kapitalgeber vorhergesehen hätte, daß die Verluste von VLM über dieser Schätzung liegen würden.

77.
    Aus der angefochtenen Entscheidung (Ende des vierten Satzes im siebenten Absatz von Abschnitt V) geht hervor, daß die Beklagte den Blickwinkel eines privaten Kapitalgebers eingenommen hat, der zum Zeitpunkt der Gewährung des Darlehens die wahrscheinliche Entwicklung im Jahr 1994 beurteilt hätte (siehe oben, Randnr. 16).

78.
    Die Klägerin hat nicht nachgewiesen, daß die Beklagte bei dieser Beurteilung einen offensichtlichen Fehler beging.

79.
    Die Beklagte hat auch nicht dargetan, daß der Umstand, daß die Verluste von VLM Ende 1993 etwa 15 % ihres Gesellschaftskapitals betrugen, VLM daran gehindert hätte, unter normalen Marktbedingungen das streitige Darlehen zu einem Zinssatz von 9,3 % zu erhalten.

80.
    Schließlich hat die Klägerin nicht nachgewiesen, daß das Fehlen langfristiger Verbindlichkeiten von VLM darauf beruhte, daß sie auf dem Markt keine finanziellen Mittel erhalten konnte.

Fehlende Garantie oder Sicherheit

— Vorbringen der Parteien

81.
    Die Klägerin hält es für einen offensichtlichen Beurteilungsfehler der Beklagten, daß diese das Recht der Flämischen Region, die Zustimmung zu einer Änderung der Struktur der Anteilseigner von VLM oder einer Veräußerung oder hypothekarischen Belastung von Teilen ihres unbeweglichen oder beweglichen Vermögens, ihres Firmenwerts oder ihrer Aktiva zu verweigern, als Sicherheit angesehen habe (zweiter Absatz von Abschnitt IV der angefochtenen Entscheidung). Dieses Recht verschaffe der Flämischen Region nicht die Möglichkeit, das Vermögen von VLM zu verwerten, falls diese zahlungsunfähig werde oder in Konkurs gehe; es sei auch nicht gegenüber anderen Gläubigern durchsetzbar. Es sei daher in keiner Weise mit einer Hypothek oder einer Zugriffsmöglichkeit auf das Vermögen vergleichbar, die jedes Kreditinstitut mangels

einer ausreichenden persönlichen Bürgschaft verlangen würde. Im übrigen ergebe sich dieses Recht unabhängig von den Bestimmungen des streitigen Darlehensvertrags aus den belgischen Rechtsvorschriften. Schließlich sei die Annahme falsch, daß es der Flämischen Region gestatte, die Unternehmensführung von VLM zu beeinflussen.

82.
    Die Beklagte weist darauf hin, daß sie aufgrund der dem Darlehensnehmer vertraglich auferlegten Beschränkungen zu dem Ergebnis gekommen sei, daß der Darlehensgeber „über eine gewisse Garantie für die Rückzahlung seiner Forderung“ verfüge (siebenter Absatz von Abschnitt V der angefochtenen Entscheidung).

— Würdigung durch das Gericht

83.
    Selbst wenn man sich der Auffassung der Klägerin anschließen würde, daß die Beklagte zu Unrecht angenommen hat, daß die Flämische Region „über eine gewisse Garantie für die Rückzahlung [ihrer] Forderung“ verfügte, könnte dies nicht zur Ungültigkeit der Entscheidung führen.

84.
    Da die Beklagte zu dem Ergebnis gekommen war, daß VLM angesichts der Bestimmungen des streitigen Vertrages, nach denen die Flämische Region berechtigt war, die Zustimmung zur Veräußerung oder Belastung der Aktiva von VLM zu verweigern, unter normalen Umständen in der Lage gewesen wäre, ein Darlehen zum Marktzins (von 9,3 %) zu erhalten, brauchte die Hauptschuld des streitigen Darlehens nach den Leitlinien (Nr. 32) nicht als Zuschuß behandelt zu werden.

85.
    Die von der Klägerin gegen die Auffassung der Beklagten erhobenen Einwände sind nicht geeignet, Zweifel daran zu wecken, daß VLM zum Zeitpunkt der Gewährung des streitigen Darlehens 20 Millionen BFR zum Zinssatz von 9,3 % hätte aufnehmen können. Daß VLM ein solches Darlehen trotz fehlender Sicherheiten, die dem Darlehensgeber die Möglichkeit der Verwertung ihres Vermögens gegeben hätten, und trotz des Umstands, daß sich ihre Verluste auf etwa 15 % ihres Gesellschaftskapitals beliefen, hätte erhalten können, ist vor allem deshalb plausibel, weil eine Fluggesellschaft in den ersten Geschäftsjahren in aller Regel Verluste erleidet und weil damals Aussichten auf eine branchenweite Konjunkturverbesserung bestanden.

Zinslosigkeit des Darlehens

— Vorbringen der Parteien

86.
    Nach Ansicht der Klägerin stellte das Darlehen wegen seiner Zinslosigkeit einen Zuschuß dar. Die angefochtene Entscheidung stehe im Widerspruch zu der bereits in Randnummer 48 genannten Entscheidung 94/662 vom 27. Juli 1994, in der die

Kommission bestimmte nachrangige Schuldverschreibungen als Eigenkapitalzufuhr angesehen und die Rückzahlung des gesamten ausgezahlten Betrages verlangt habe.

87.
    Die Beklagte weist dieses Vorbringen zurück.

— Würdigung durch das Gericht

88.
    Nach den Leitlinien wäre die Hauptschuld nur dann als staatliche Beihilfe im Sinne von Artikel 92 Absatz 1 des Vertrages einzustufen, wenn VLM auf dem privaten Kapitalmarkt zu keinem Zinssatz finanzielle Mittel hätte erhalten können (siehe oben, Randnr. 4).

89.
    Da der streitige Vertrag die Rückzahlung der Hauptschuld vorsieht und da die Beklagte zu dem Schluß gekommen ist, daß VLM das streitige Darlehen unter normalen Marktbedingungen zum Marktzins (von 9,3 %) hätte erhalten können, könnte dieses Darlehen nur dann als Zuschuß angesehen werden, wenn die letztgenannte Schlußfolgerung nachweislich falsch wäre.

90.
    Das Vorbringen der Klägerin ist aber nicht geeignet, dem von der Beklagten gezogenen Schluß, daß VLM unter den Umständen des vorliegenden Falles ein Darlehen von 20 Millionen BFR zu einem Zinssatz von 9,3 % hätte erhalten können (siehe oben, Randnr. 85), die Plausibilität zu nehmen.

91.
    Die Bezugnahme auf die in Randnummer 48 erwähnte Entscheidung 94/662 vom 27. Juli 1994 geht im übrigen fehl. Diese Sache betraf kein Darlehen, sondern die Zeichnung von Anleihen eines staatlichen Unternehmens (Air France) durch ein anderes staatliches Unternehmen (CDC-Participations). Bei den fraglichen Anleihen handelte es sich um Obligationen, die in Aktien getilgt werden konnten, so daß der Vorgang in finanzieller Hinsicht als aufgeschobene Kapitalzufuhr anzusehen war. Im vorliegenden Fall sollte der als Darlehen zur Verfügung gestellte Betrag dagegen kein dauerhafter Bestandteil des Kapitals des begünstigten Unternehmens werden.

Ungewöhnlichkeit des Darlehens

— Vorbringen der Parteien

92.
    Nach Ansicht der Klägerin zeigt die Tatsache, daß das Darlehen individuell und nicht im Rahmen einer genehmigten Beihilferegelung gewährt wurde, daß es sich um ein außergewöhnliches Darlehen handelte. Sie wirft der Beklagten vor, dies außer acht gelassen und nicht geprüft zu haben, auf welcher innerstaatlichen Rechtsgrundlage die Entscheidung über die Gewährung des Darlehens getroffen worden sei. Es sei nämlich fraglich, ob die in der Flämischen Region geltenden Rechtsvorschriften über Beihilfen eingehalten worden seien.

93.
    Die Beklagte weist dieses Vorbringen zurück. Zum einen sei die Tatsache, daß das streitige Darlehen individuell gewährt worden sei, zwar ein Anhaltspunkt für das Vorliegen einer Beihilfe, lasse aber keinen Rückschluß auf deren Höhe zu. Zum anderen spiele es für die Kommission bei der Ausübung der ihr durch den Vertrag im Bereich staatlicher Beihilfen verliehenen Befugnisse keine Rolle, aufgrund welcher innerstaatlichen Vorschrift die fragliche Beihilfe gewährt worden sei.

— Würdigung durch das Gericht

94.
    Das Vorbringen der Klägerin, die Beklagte habe außer acht gelassen, daß die Beihilfe nicht Teil einer genehmigten Beihilferegelung gewesen sei, ist zurückzuweisen. Die Beklagte hat dies in Abschnitt VI der angefochtenen Entscheidung mit folgenden Worten in ihre Einwägungen einbezogen: „Da die Beihilfe nicht unter eine bereits genehmigte Beihilferegelung fällt, hätte sie der Kommission gemäß Artikel 93 Absatz 3 EG-Vertrag mitgeteilt werden müssen.“ Der Vorwurf trifft daher in der Sache nicht zu. Für die Frage, wie die streitige staatliche Maßnahme im Hinblick auf Artikel 92 Absatz 1 des Vertrages einzustufen ist, ist dieser Gesichtspunkt ohnehin irrelevant.

95.
    Auch der Vorwurf, daß die Beklagte weder ermittelt habe, aufgrund welcher Vorschrift der innerstaatlichen Rechtsordnung die Beihilfe gewährt worden sei, noch ihre Vereinbarkeit mit dieser Rechtsordnung geprüft habe, ist zurückzuweisen. Die Kommission hat nicht die Vereinbarkeit einer Beihilfe mit dem innerstaatlichen Recht, sondern ihre Vereinbarkeit mit dem Gemeinschaftsrecht zu beurteilen.

96.
    Folglich ist der Klagegrund zurückzuweisen.

97.
    Demnach ist die Klage in vollem Umfang abzuweisen.

Zum Antrag auf Vorlage von Schriftstücken

Vorbringen der Parteien

98.
    In der Erwiderung hat die Klägerin die Beklagte aufgefordert, eine Reihe von Schriftstücken vorzulegen, auf die in der Klagebeantwortung Bezug genommen wird, die aber nicht zu den Akten des vorliegenden Verfahrens gegeben wurden. Sie ersucht das Gericht, der Beklagten gemäß den Artikeln 64 und 65 der Verfahrensordnung die Vorlage der Schriftstücke aufzugeben, falls sie diese nicht von sich aus beibringt.

99.
    Bei den fraglichen Schriftstücken, von denen viele auch in der angefochtenen Entscheidung erwähnt wurden, handelt es sich um Schreiben der Kommission an die belgischen Behörden vom 25. Mai, 14. Juli, 15. November und 6. Dezember 1994 sowie vom 1. Februar, 2. Mai und 13. Juni 1995, um Schreiben der belgischen Behörden an die Kommission vom 3. August 1994 und vom 23. Januar, 15. Juni,

14. Juli und 24. Juli 1995 sowie um die den drei letztgenannten Schreiben beigefügten „verlangten Auskünfte“, um den Vertrag zwischen der Flämischen Region und VLM vom 17. Dezember 1993 und um die von VLM am 27. November 1995 beim Gericht eingereichte Klageschrift.

100.
    Die Vorlage dieser Schriftstücke sei zur Gewährleistung eines fairen Verfahrens erforderlich.

101.
    Die Beklagte wendet ein, daß dem Antrag eines Drittbetroffenen auf Offenlegung von Informationen nur dann stattzugeben sei, wenn dies für die Prüfung der Rechtmäßigkeit der streitigen Entscheidung unerläßlich sei (Urteil Skibsværftsforeningen u. a./Kommission, bereits in Randnr. 65 genannt, Randnr. 199). Dies sei hier nicht der Fall, da sich die Parteien nicht über den Sachverhalt stritten, sondern über dessen rechtliche Würdigung.

Würdigung durch das Gericht

102.
    Die vom Gericht zu beurteilende Frage geht dahin, wie die in Rede stehende staatliche Maßnahme im Hinblick auf Artikel 92 Absatz 1 des Vertrages einzustufen ist.

103.
    Die Klägerin hat nichts vorgetragen, was den Schluß zuließe, daß die Schriftstücke, deren Vorlage sie begehrt, für die Behandlung dieser Frage nützlich sein könnten.

104.
    Außerdem sind die bei der Einstufung der Maßnahme zu berücksichtigenden tatsächlichen Umstände unstreitig.

105.
    Schließlich hat die Klägerin sowohl im Verwaltungsverfahren als auch im vorliegenden Verfahren eingehend dargelegt, weshalb ihrer Ansicht nach die Hauptschuld — und nicht die Zinsen — als Beihilfe im Sinne von Artikel 92 Absatz 1 des Vertrages hätte eingestuft werden müssen. Sie hat nicht erläutert, inwiefern die Vorlage der genannten Schriftstücke ihr ermöglicht hätte, ihren Standpunkt mit überzeugenderen Argumenten zu untermauern.

106.
    Das Gericht hält die bei den Akten befindlichen Unterlagen für ausreichend und ist der Ansicht, daß die Vorlage der in der obigen Randnummer 99 aufgeführten Schriftstücke den Verteidigungsrechten der Klägerin nicht dienlich wäre, so daß die von ihr angeregte prozeßleitende Maßnahme nicht angeordnet zu werden braucht.

Kosten

107.
    Nach Artikel 87 § 2 der Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da die Klägerin mit ihrem Vorbringen unterlegen ist und die Beklagte beantragt hat, ihr die Kosten aufzuerlegen, hat sie neben ihren eigenen Kosten die Kosten der Beklagten zu tragen.

Aus diesen Gründen

hat

DAS GERICHT (Fünfte erweiterte Kammer)

für Recht erkannt und entschieden:

1.    Die Klage wird abgewiesen.

2.    Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.

García-Valdecasas
Tiili
Azizi

                Moura Ramos                Jaeger

Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 30. April 1998.

Der Kanzler

Der Präsident

H. Jung

J. Azizi

Inhaltsverzeichnis

     Rechtlicher Rahmen

II -

     Sachverhalt

II -

     Verfahren und Anträge

II -

     Zur Zulässigkeit

II -

         Zur Zulässigkeit der Klage

II -

         Vorbringen der Parteien

II -

             Würdigung durch das Gericht

II -

         Zur Zulässigkeit einiger Ausführungen in der Erwiderung

II -

             Vorbringen der Parteien

II -

             Würdigung durch das Gericht

II -

     Zur Begründetheit

II -

         Erster Klagegrund: Verstoß gegen Artikel 92 Absatz 1 des Vertrages

II -

             Vorbringen der Parteien

II -

             Würdigung durch das Gericht

II -

         Zweiter Klagegrund: Verletzung der Begründungspflicht gemäß Artikel 190 des Vertrages

II -

             Vorbringen der Parteien

II -

             Würdigung durch das Gericht

II -

         Dritter Klagegrund: offensichtliche Beurteilungsfehler

II -

             Die finanzielle Lage von VLM

II -

                 — Vorbringen der Parteien

II -

                 — Würdigung durch das Gericht

II -

             Fehlende Garantie oder Sicherheit

II -

                 — Vorbringen der Parteien

II -

                 — Würdigung durch das Gericht

II -

             Zinslosigkeit des Darlehens

II -

                 — Vorbringen der Parteien

II -

                 — Würdigung durch das Gericht

II -

             Ungewöhnlichkeit des Darlehens

II -

                 — Vorbringen der Parteien

II -

                 — Würdigung durch das Gericht

II -

     Zum Antrag auf Vorlage von Schriftstücken

II -

         Vorbringen der Parteien

II -

         Würdigung durch das Gericht

II -

     Kosten

II -


1: Verfahrenssprache: Englisch.