Language of document : ECLI:EU:T:2019:228

URTEIL DES GERICHTS (Vierte Kammer)

9. April 2019(*)

„Öffentliche Dienstleistungsaufträge – Ausschreibungsverfahren – Bereitstellung von IT‑Dienstleistungen für das Parlament und andere Organe und Einrichtungen der Union – Ausschluss von den Vergabeverfahren – Potenzieller Interessenkonflikt – Nichterteilung der von dem öffentlichen Auftraggeber verlangten Auskünfte – Art. 107 Abs. 1 Buchst. b der Haushaltsordnung – Transparenz – Verhältnismäßigkeit – Gleichbehandlung – Art. 102 Abs. 1 der Haushaltsordnung“

In der Rechtssache T‑182/15,

Sopra Steria Group SA mit Sitz Annecy-le-Vieux (Frankreich), Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwälte A. Verlinden, R. Martens und J. Joossen,

Klägerin,

gegen

Europäisches Parlament, vertreten durch B. Simon und L. Tapper Brandberg als Bevollmächtigte,

Beklagter,

unterstützt durch

CGI Luxembourg SA mit Sitz in Bertrange (Luxemburg)

und

Intrasoft International SA mit Sitz in Luxemburg (Luxemburg),

Prozessbevollmächtigter: Rechtsanwalt N. Korogiannakis,

Streithelferinnen,

wegen eines Antrags nach Art. 263 AEUV auf Nichtigerklärung der Entscheidungen des Parlaments im Ausschreibungsverfahren PE/ITEC‑ITS14 betreffend die Bereitstellung von IT‑Dienstleistungen für das Parlament sowie andere Organe und Einrichtungen der Europäischen Union, die Angebote der Konsortien IBI IUS und STEEL, zu denen die Klägerin gehörte, für die Lose Nrn. 2 und 3 abzulehnen,

erlässt

DAS GERICHT (Vierte Kammer)

unter Mitwirkung des Präsidenten H. Kanninen sowie des Richters L. Calvo-Sotelo Ibáñez-Martín und der Richterin I. Reine (Berichterstatterin),

Kanzler: C. Heeren, Verwaltungsrätin,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 3. Oktober 2017

folgendes

Urteil

 Sachverhalt

1        Am 3. April 2014 forderte das Europäische Parlament im eigenen Namen und im Namen anderer Organe und Einrichtungen der Europäischen Union zur Abgabe von Angeboten für die Ausschreibung PE/ITEC‑ITS14 für die externe Bereitstellung von IT‑Dienstleistungen (im Folgenden: Ausschreibung) auf.

2        Die Ausschreibung umfasste acht Lose. Der Gegenstand der Lose Nrn. 2 bis 4 war wie folgt definiert:

–        Los Nr. 2: Entwicklung und Wartung von Informationsverbreitungssystemen,

–        Los Nr. 3: Entwicklung und Wartung von Produktionsinformationssystemen,

–        Los Nr. 4: Erprobung von Entwicklungen.

3        In den Vergabebedingungen für das Ausschreibungsverfahren (im Folgenden: Vergabebedingungen) waren die Vergabe mehrerer Rahmenverträge für jedes Los und eine Kaskadenregelung für die Durchführung der Rahmenverträge vorgesehen.

4        In Nr. I.3 der Vergabebedingungen hieß es:

„Die Bieter können ein Angebot für eines oder mehrere Lose abgeben, sofern nicht eine in der Beschreibung jedes Loses klar angegebene Unvereinbarkeit besteht. Angebote für unvereinbare Lose, die einer Rangordnung unterliegen, werden abgelehnt.“

5        In Nr. I.4 der Vergabebedingungen wurde bestimmt:

„Die Wirtschaftsteilnehmer dürfen nicht zu mehr als einem Konsortium, das Angebote abgibt, gehören und auch nicht von mehr als einem Bieter als Subunternehmer für dieselben Lose oder für Exklusivlose vorgeschlagen werden.“

6        Dem Anhang II der Vergabebedingungen zufolge führte die Vorlage eines Angebots für das Los Nr. 2 und das Los Nr. 3 dazu, dass es dem Bieter untersagt war, als einziger Vertragspartner, als Mitglied eines Konsortiums oder als Subunternehmer Angebote für das Los Nr. 4 oder das Los Nr. 6 abzugeben. Was das Los Nr. 4 betrifft, galt dasselbe Verbot für die Lose Nrn. 2, 3 und 6.

7        Durch eine Pressemitteilung vom 8. April 2014 wurde angekündigt, dass die Sopra Group SA beabsichtige, die Groupe Steria SA zu erwerben.

8        Am 22. Mai 2014 gaben die Konsortien IBI IUS und STEEL, die beide die Sopra Group zu ihren Mitgliedern zählten, Angebote für das Los Nr. 2 bzw. das Los Nr. 3 ab. Am selben Tag gab das Konsortium TEPting, zu dem Steria Benelux SA, eine Tochtergesellschaft der Groupe Steria, gehört, ein Angebot für das Los Nr. 4 ab.

9        Ebenfalls am 22. Mai 2014 gab das Konsortium CGI‑Intrasoft International, das aus den Streithelferinnen CGI Luxembourg SA und Intrasoft International SA besteht, ein Angebot für das Los Nr. 3 ab.

10      Ausweislich der Akten ist die Klägerin, die Sopra Steria Group SA, aus dem Zusammenschluss der Sopra Group mit anderen Gesellschaften, nämlich der Groupe Steria, ihrer Tochtergesellschaft Steria SA und deren Tochtergesellschaft Steria Benelux, entstanden. Auf diese Weise wurde Steria Benelux nach diesem Zusammenschluss eine indirekte Tochtergesellschaft der Sopra Steria Group.

11      Am 26. Juni 2014 leitete die Sopra Group den Erwerb der Groupe Steria ein.

12      Am 14. Juli 2014 beschloss die Europäische Kommission, dem öffentlichen Austausch von Aktien zwischen der Sopra Group und der Groupe Steria nicht zu widersprechen.

13      Am 6. August 2014 gab die Sopra Group bekannt, dass das Kriterium der erforderlichen Mindestzahl der ausgetauschten Anteile erfüllt sei und dass 79,69 % der Anteile, die Gegenstand der Transaktion waren, erworben worden seien.

14      Am 5. September 2014 erwarb die Sopra Group 90,52 % des Kapitals und 89,41 % der Stimmrechte der Groupe Steria. Am selben Tag wurde die Sopra Group in Sopra Steria Group umbenannt.

15      Das Parlament teilte dem Konsortium STEEL mit Schreiben vom 18. September 2014 mit, dass sein Angebot für das Los Nr. 3 in der Rangfolge an die erste Stelle gesetzt worden sei und dass es einer der erfolgreichen Bieter für diesen Auftrag sei.

16      Mit Schreiben vom selben Tag teilte das Parlament dem Konsortium CGI‑Intrasoft International mit, dass sein Angebot für das Los Nr. 3 in der Rangfolge an die zweite Stelle gesetzt worden sei und dass es einer der erfolgreichen Bieter für diesen Auftrag sei.

17      Am 30. Oktober 2014 teilte das Parlament dem Konsortium IBI IUS mit, dass sein Angebot für das Los Nr. 2 in der Rangfolge an die zweite Stelle gesetzt worden sei und dass es einer der erfolgreichen Bieter für diesen Auftrag sei. Ferner informierte es das Konsortium TEPting darüber, dass sein Angebot für das Los Nr. 4 in der Rangfolge an die zweite Stelle gesetzt worden sei und dass es einer der erfolgreichen Bieter für diesen Auftrag sei.

18      Am 10. und 12. November 2014 erhielten die Konsortien IBI IUS und TEPting genauere Informationen über die Bewertung der Angebote für die Lose, für die sie um Informationen gebeten hatten.

19      Das Parlament wurde am 12. November 2014 durch ein Schreiben der Streithelferinnen über die Annäherung der Sopra Steria Group und der Groupe Steria unterrichtet.

20      Die Streithelferinnen haben mit Klageschrift, die am 14. November 2014 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen und unter dem Aktenzeichen T‑769/14 eingetragen worden ist, im eigenen Namen und im Namen des Konsortiums CGI‑Intrasoft International Klage erhoben auf Nichtigerklärung der Entscheidung des Parlaments, ihr Angebot für das Los Nr. 3 in der Rangfolge an die zweite Stelle zu setzen, und der Entscheidung des Parlaments, das Angebot des Konsortium STEEL für dieses Los in der Rangfolge an die erste Stelle zu setzen und diesem als erstplatziertem Zuschlagsempfänger nach der Kaskadenregelung den Auftrag zu erteilen. Ferner beantragten sie, das Parlament zur Zahlung von Schadensersatz zu verurteilen.

21      Die Konsortien IBI IUS, STEEL und TEPting wurden mit Schreiben des Parlaments vom 19. November 2014 über die Aussetzung der Vergabeverfahren für die Lose Nrn. 2 bis 4 unterrichtet. Als Grund dafür wurde in diesen Schreiben angegeben: „Zweck dieser Aussetzung ist es festzustellen, ob die dem Parlament … zugegangenen Informationen fundiert und geeignet sind, die Zuschlagsentscheidung zu beeinflussen.“

22      Am 21. November 2014 meldeten die Konsortien IBI IUS und STEEL dem Parlament den Erwerb der Groupe Steria durch die Sopra Steria Group. Steria Benelux übermittelte dem Parlament dieselbe Information und erklärte sich bereit, sich hinsichtlich des Loses Nr. 4 „von dem Verfahren zurückzuziehen“.

23      Am 15. Dezember 2014 unterrichtete das Konsortium TEPting, zu dem Steria Benelux gehörte, das Parlament über die Rücknahme ihres Angebots betreffend das Los Nr. 4. Mit Schreiben vom 13. Februar 2015 akzeptierte das Parlament diese Rücknahme.

24      Nach Beendigung des Zusammenschlusses der Sopra Steria Group und der Groupe Steria am 31. Dezember 2014 hielt die Sopra Steria Group 99,99 % der Anteile von Steria Benelux.

25      Das Parlament ersuchte die Konsortien IBI IUS, STEEL und TEPting sowie Steria Benelux mit Schreiben vom 15. und 20. Januar 2015 um weitere Auskünfte, u. a. über die wirtschaftliche Zugehörigkeit von Steria Benelux zur Sopra Group im Lichte der Annäherung und des Verbots des Bietens für unvereinbare Lose, das zu Interessenkonflikten führen könne.

26      Die Konsortien IBI IUS, STEEL und TEPting beantworteten dieses Ersuchen mit Schreiben vom 22. Januar 2015. Auch die Sopra Steria Group und Steria Benelux erteilten mit Schreiben vom 23. Januar 2015 die verlangten Auskünfte. In diesen Schreiben stellten die vier Wirtschaftseinheiten das Bestehen irgendeines Interessenkonflikts und damit den Umstand, dass irgendetwas sie daran hindere, Angebote für unvereinbare Lose abzugeben, in Abrede. Ferner wiesen sie darauf hin, dass alle sachdienlichen Auskünfte rechtzeitig erteilt worden seien.

27      Das Parlament informierte die Konsortien IBI IUS und STEEL mit zwei Schreiben vom 13. Februar 2015 von seinen Entscheidungen, ihre Angebote für das Los Nr. 2 bzw. das Los Nr. 3 abzulehnen (im Folgenden: angefochtene Entscheidungen). Am 16. Februar 2015 übersandte das Parlament diese Entscheidungen der Klägerin.

28      Die angefochtenen Entscheidungen werden auf zwei verschiedene Gründe gestützt, die für beide Entscheidungen gleichlautend sind.

29      Erstens verstoße die parallele Abgabe von Angeboten für unvereinbare Lose durch die Konsortien IBI IUS, STEEL und TEPting gegen Art. 158 Abs. 3 Unterabs. 1 der Delegierten Verordnung (EU) Nr. 1268/2012 der Kommission vom 29. Oktober 2012 über die Anwendungsbestimmungen für die Verordnung (EU, Euratom) Nr. 966/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates über die Haushaltsordnung für den Gesamthaushaltsplan der Union (ABl. 2012, L 362, S. 1, im Folgenden: Delegierte Verordnung) und Nr. I.3 der Vergabebedingungen. Insbesondere seien die Klägerin und Steria Benelux durch die Annäherung der Sopra Group und der Groupe Steria zu ein und demselben Wirtschaftsteilnehmer geworden. Die Konsortien IBI IUS und STEEL, zu denen die Klägerin gehöre, und das Konsortium TEPting, zu dem Steria Benelux gehöre, hätten folglich ungeachtet des in Nr. I.3 der Vergabebedingungen ausgesprochenen Verbots Angebote für unvereinbare Lose, nämlich die Lose Nrn. 2 und 3 einerseits und das Los Nr. 4 andererseits, abgegeben. Das Parlament habe die Auffassung, dass es sich bei der Klägerin und Steria Benelux seit dem 5. September 2014 um ein und denselben Wirtschaftsteilnehmer handele, auf die widerlegbare Vermutung gestützt, dass eine Gesellschaft, die wie hier fast 100 % der Anteile an einer anderen Gesellschaft halte, in der Lage sei, entscheidenden Einfluss auf diese auszuüben. Diese Vermutung habe die Klägerin nicht widerlegt.

30      Zweitens habe der Erwerb des Kapitals der Groupe Steria durch die Sopra Group eine Situation geschaffen, die zu einem Interessenkonflikt führen könne, der dem Parlament hätte gemeldet werden müssen, und zwar gemäß Art. 107 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung (EU, Euratom) Nr. 966/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. Oktober 2012 über die Haushaltsordnung für den Gesamthaushaltsplan der Union und zur Aufhebung der Verordnung (EG, Euratom) Nr. 1605/2002 des Rates (ABl. 2012, L 298, S. 1, im Folgenden: Haushaltsordnung). Da der Zuschlagsempfänger für das Los Nr. 4 die im Rahmen der Lose Nrn. 2 und 3 erbrachten Dienstleistungen zu beurteilen habe, sei der Umstand, dass die Klägerin, die Mitglied der Konsortien IBI IUS und STEEL sei, am 5. September 2014 indirekt 90,51 % der Anteile der zum Konsortium TEPting gehörenden Steria Benelux gehalten habe, geeignet gewesen, die Gefahr einer parteiischen Durchführung des mit dem Los Nr. 4 verbundenen Auftrags durch diese zu begründen. Dieser Feststellung stehe nicht entgegen, dass das Konsortium TEPting am 15. Dezember 2014 sein Angebot für dieses Los zurückgenommen habe. Folglich hätte die Klägerin das Parlament spätestens am 5. September 2014 von dem Zusammenschluss unterrichten müssen und habe dadurch, dass sie dies nicht getan habe, gegen Art. 107 Abs. 1 Buchst. b der Haushaltsordnung verstoßen. Deshalb habe das Parlament beschlossen, die Angebote der Konsortien IBI IUS und STEEL erneut zu prüfen, und sei zu dem Ergebnis gekommen, dass sie den in den Vergabebedingungen aufgestellten Anforderungen an die technischen Kapazitäten nicht mehr genügten.

31      Ferner teilte das Parlament dem Konsortium CGI‑Intrasoft International mit Schreiben vom 13. Februar 2015 mit, dass es seine Entscheidung, dessen Angebot für das Los Nr. 3 in der Rangfolge an die zweite Stelle zu setzen, und seine Entscheidung, den Zuschlag für dieses Los dem Konsortium STEEL als erstplatziertem Zuschlagsempfänger nach der Kaskadenregelung zu erteilen, aufgehoben und durch eine neue Entscheidung ersetzt habe, durch die das Angebot des Konsortiums CGI‑Intrasoft International für dieses Los in der Rangfolge an die erste Stelle gesetzt worden sei. Am 6. März 2015 unterzeichnete dieses Konsortium als erstplatzierter Zuschlagsempfänger nach der Kaskadenregelung den Rahmenvertrag für dieses Los.

32      Durch Beschluss vom 7. Juli 2015, CGI Luxembourg und Intrasoft International/Parlament (T‑769/14, nicht veröffentlicht, EU:T:2015:540), erklärte das Gericht den Rechtsstreit für in der Hauptsache erledigt.

 Verfahren und Anträge der Parteien

33      Mit Klageschrift, die am 13. April 2015 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen ist, hat die Klägerin die vorliegende Klage erhoben.

34      Das Parlament hat die Klagebeantwortung am 7. Juli 2015 bei der Kanzlei des Gerichts eingereicht.

35      Die Streithelferinnen haben mit Schriftsatz, der am 21. September 2015 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen ist, im eigenen Namen und im Namen des Konsortiums CGI‑Intrasoft International ihre Zulassung zum vorliegenden Verfahren als Streithelferinnen zur Unterstützung der Anträge des Parlaments beantragt.

36      Die Klägerin hat ihre Erwiderung am 30. September 2015 bei der Kanzlei des Gerichts eingereicht.

37      Am 9. November 2015 hat das Parlament dem Streithilfeantrag der Streithelferinnen zugestimmt.

38      In ihren Erklärungen zum Streithilfeantrag vom 10. November 2015 ist die Klägerin diesem entgegengetreten und hat das Gericht ersucht, das Parlament aufzufordern, ihr seine an die Streithelferinnen gerichteten, in Anlage 4.D zum Streithilfeantrag genannten Schreiben vom 20. und 26. November 2014 sowie sein in Anlage 4.C zum Streithilfeantrag genanntes Schreiben vom 25. November 2014 zu übermitteln.

39      Das Parlament hat seine Gegenerwiderung am 2. Dezember 2015 bei der Kanzlei des Gerichts eingereicht.

40      Durch Beschluss vom 7. März 2016, Sopra Steria Group/Parlament (T‑182/15, nicht veröffentlicht, EU:T:2016:165) sind die CGI Luxembourg SA und die Intrasoft International SA als Streithelferinnen zum vorliegenden Verfahren zugelassen worden.

41      Die Streithelferinnen haben ihren Streithilfeschriftsatz am 21. April 2016 bei der Kanzlei des Gerichts eingereicht.

42      Wegen der teilweisen Neubesetzung des Gerichts ist die vorliegende Rechtssache durch Entscheidung des Präsidenten des Gerichts vom 15. Juni 2016 einem neuen Berichterstatter zugewiesen worden.

43      Am 17. Juni 2016 hat das Parlament dem Gericht mitgeteilt, dass es auf sein Recht, Erklärungen zu dem Streithilfeschriftsatz abzugeben, verzichte.

44      Die Klägerin hat am 24. Juni 2016 Erklärungen zu dem Streithilfeschriftsatz eingereicht.

45      Im Zuge einer Änderung der Besetzung der Kammern des Gerichts gemäß Art. 27 Abs. 5 der Verfahrensordnung des Gerichts ist die Berichterstatterin der Vierten Kammer zugeteilt worden, der daher die vorliegende Rechtssache zugewiesen worden ist.

46      Im Rahmen prozessleitender Maßnahmen hat das Gericht dem Parlament am 26. Juli 2017 schriftliche Fragen zur Beantwortung in der mündlichen Verhandlung gestellt. Da sich die Schreiben vom 20. und 26. November 2014 bereits als Anlagen 4.B und 4.C zum Streithilfeschriftsatz in den Verfahrensakten befinden, hat das Gericht das Parlament gebeten, das Schreiben vom 25. November 2014 vorzulegen. Das Parlament hat darauf innerhalb der gesetzten Frist geantwortet.

47      In der mündlichen Verhandlung vom 3. Oktober 2017 haben die Parteien mündlich verhandelt und die Fragen des Gerichts beantwortet.

48      Die Klägerin beantragt,

–        die angefochtenen Entscheidungen für nichtig zu erklären;

–        festzustellen, dass der Vertrag oder die Verträge, die aufgrund der angefochtenen Entscheidungen mit anderen Bietern geschlossen wurden, nichtig sind;

–        dem Parlament die Kosten des Verfahrens einschließlich der Kosten der Klägerin aufzuerlegen.

49      Das Parlament beantragt,

–        die Klage abzuweisen;

–        der Klägerin die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.

50      Die Streithelferinnen beantragen,

–        die Klage abzuweisen;

–        die Kostenentscheidung nach der Verfahrensordnung des Gerichts zu treffen.

 Gründe

 Zur Zulässigkeit des zweiten Klageantrags

51      Der zweite Klageantrag ist auf die Feststellung der Nichtigkeit aller aufgrund der angefochtenen Entscheidungen mit anderen Bietern geschlossenen Verträge gerichtet.

52      Dadurch, dass die Klägerin das Gericht ersucht, sich zu den Konsequenzen der Nichtigerklärung der angefochtenen Entscheidungen zu äußern, indem es die mit anderen Bietern aufgrund dieser Entscheidungen geschlossenen Verträge für nichtig erklärt, begehrt sie eine Feststellung betreffend die Wirkungen des vorliegenden Urteils, die zugleich eine an das Parlament gerichtete Weisung, dieses durchzuführen, darstellen würde. Es ist jedoch nicht Sache des Gerichts, im Rahmen der Rechtmäßigkeitskontrolle gemäß Art. 263 AEUV derartige Feststellungen zu treffen (vgl. entsprechend Beschluss vom 5. Juli 2017, EEB/Kommission, T‑448/15, nicht veröffentlicht, EU:T:2017:503, Rn. 40). Zudem ist das Gericht nach ständiger Rechtsprechung im Rahmen der von ihm auf der Grundlage von Art. 263 AEUV ausgeübten Rechtmäßigkeitskontrolle nicht befugt, den Organen Weisungen zu erteilen oder sich an ihre Stelle zu setzen. Diese Beschränkung der Rechtmäßigkeitskontrolle gilt für alle Rechtsstreitigkeiten, über die das Gericht zu entscheiden hat (vgl. Urteil vom 15. Juni 2017, Bay/Parlament, T‑302/16, nicht veröffentlicht, EU:T:2017:390, Rn. 45 und die dort angeführte Rechtsprechung; vgl. ebenfalls in diesem Sinne Beschlüsse vom 12. November 1996, SDDDA/Kommission, T‑47/96, EU:T:1996:164, Rn. 45, und vom 6. Mai 2013, Ethniko kai Kapodistriako Panepistimio Athinon/ECDC, T‑577/11, nicht veröffentlicht, EU:T:2013:229, Rn. 12). Nach Art. 264 AEUV hat das Gericht nur die Möglichkeit, die angefochtene Handlung für nichtig zu erklären; es ist sodann Sache des betroffenen Organs, gemäß Art. 266 AEUV die Maßnahmen zur Durchführung des Urteils des Gerichts zu ergreifen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 12. März 2008, Evropaïki Dynamiki/Kommission, T‑345/03, EU:T:2008:67, Rn. 46).

53      Der zweite Klageantrag ist daher unzulässig.

 Zur Begründetheit

54      Der einzige Klagegrund, auf den die Klägerin ihre Klage stützt, besteht aus zwei Teilen: erstens einem Verstoß des Parlaments gegen die in Art. 107 Abs. 1 Buchst. a und b der Haushaltsordnung festgelegten Ausschlusskriterien, gegen Art. 158 Abs. 3 der Delegierten Verordnung und gegen die Vergabebedingungen, und zweitens, einem Verstoß gegen die in Art. 102 Abs. 1 der Haushaltsordnung verankerten Grundsätze der Transparenz, der Verhältnismäßigkeit und der Gleichbehandlung.

 Zum ersten Teil: Verstoß des Parlaments gegen die in Art. 107 Abs. 1 Buchst. a und b der Haushaltsordnung festgelegten Ausschlusskriterien, gegen Art. 158 Abs. 3 der Delegierten Verordnung und gegen die Vergabebedingungen

55      Die Klägerin trägt vor, die angefochtenen Entscheidungen beruhten auf der unrichtigen Auffassung des Parlaments, dass Steria Benelux und sie selbst unter dem Gesichtspunkt der Unvereinbarkeitsklausel der Vergabebedingungen als ein und derselbe Wirtschaftsteilnehmer oder als zu einem und demselben Wirtschaftsteilnehmer gehörend anzusehen seien, was zu einem potenziellen Interessenkonflikt zwischen ihnen führe. Folglich hätten die Konsortien IBI IUS und STEEL, zu denen die Klägerin gehöre, das Verbot, Angebote für unvereinbare Lose abzugeben, verletzt.

56      Im Einzelnen macht die Klägerin geltend, ein potenzieller Interessenkonflikt habe weder zur Zeit der Einleitung des Ausschreibungsverfahrens noch zum Zeitpunkt der Abgabe der Angebote bestanden.

57      Am 22. Mai 2014, d. h. zur Zeit der Abgabe der Angebote, seien Steria Benelux als Mitglied des Konsortiums TEPting und die Sopra Group als Mitglied der Konsortien STEEL und IBI IUS verschiedene juristische Personen gewesen, zwischen denen keine geschäftliche oder kaufmännische Verbindung bestanden habe. Zu diesem Zeitpunkt sei der Ausgang des Fusionsverfahrens völlig offen gewesen, zumal die Kommission erst am 14. Juli 2014 beschlossen habe, dem von der Sopra Group eingeleiteten öffentlichen Aktienaustausch betreffend die Aktien der Groupe Steria nicht zu widersprechen.

58      Was die Zeit nach dem 22. Mai 2014 betreffe, habe das Parlament die in Art. 107 Abs. 1 Buchst. a und b der Haushaltsordnung, in Art. 158 Abs. 3 der Delegierten Verordnung und in den Vergabebedingungen festgelegten automatischen Ausschlusskriterien insofern unrichtig ausgelegt, als es das Verbot der Abgabe von Angeboten für unvereinbare Lose während des gesamten Ausschreibungsverfahrens angewandt habe.

59      Jedenfalls habe während der Evaluierungsphase des Ausschreibungsverfahrens und nach der Bekanntgabe der Zuschlagsentscheidungen am 18. September 2014 für das Los Nr. 3 und am 30. Oktober 2014 für die Lose Nrn. 2 und 4 kein potenzieller Interessenkonflikt bestanden. Die Etappen des Zusammenschlusses, die zur Zeit des Erlasses der Zuschlagsentscheidung noch nicht einmal abgeschlossen gewesen seien, hätten die Vorlage der Angebote, ihre Einstufung oder die Zuschlagsentscheidung gar nicht beeinflussen und somit keineswegs zu einem Interessenkonflikt führen können. Zwischen den Gesellschaften seien keine Informationen ausgetauscht worden, da sie bis zum Abschluss des Erwerbs direkte Konkurrenten geblieben seien, was durch die internen Anweisungen belegt werde, die die Sopra Group und die Groupe Steria ihren jeweiligen Angestellten am 23. April 2014 erteilt hätten.

60      Zu berücksichtigen sei auch die vom Konsortiums TEPting am 15. Dezember 2014 vorgeschlagene und vom Parlament am 13. Februar 2015 akzeptierte Rücknahme des Angebots des Konsortiums für das Los Nr. 4. Diese sei ein eindeutiger Beweis dafür, dass die Konsortien, zu denen die Klägerin und Steria Benelux gehört hätten, nicht beabsichtigt hätten, den Wettbewerb zu beeinträchtigen oder gegen die Vergabebedingungen zu verstoßen, und bestätige ihr Vorbringen, dass kein Interessenkonflikt vorgelegen habe. Im Übrigen hätte ein hypothetischer Interessenkonflikt niemals zu einem tatsächlichen Interessenkonflikt werden können, denn es habe festgestanden, dass TEPting den mit diesem Los verbundenen Auftrag nicht ausführen werde.

61      Der Zusammenschluss müsse auf den 1. Januar 2015 datiert werden, da vorher keine Gewissheit bestanden habe, ob er tatsächlich erfolgen werde.

62      Das Fehlen eines Interessenkonflikts werde auch durch belegt, dass das Parlament am 27. Januar 2015 das Verhandlungsverfahren PE/ITEC‑NPE‑15.8 eingeleitet habe. Dieses Verfahren betreffe offenkundig dieselben Dienstleistungen wie das Los Nr. 3. In diesem Verfahren sei keine Unvereinbarkeitsklausel vorgesehen gewesen. Zudem habe das Parlament auch solche Bieter zur Teilnahme an dem Verfahren aufgefordert, die schon mit der Erbringung von Leistungen, die Gegenstand von Losen einer anderen Ausschreibung gewesen seien, beauftragt gewesen seien, nämlich der Ausschreibung PE/ITEC‑ITS08, für die der Auftrag bereits erteilt worden sei. Wenn man der Logik der angefochtenen Entscheidungen folgen wollte, sei die Erbringung dieser Leistungen jedoch unvereinbar mit der Durchführung des Auftrags im Verhandlungsverfahren.

63      Die Klägerin rügt, dass das Parlament zu dem Ergebnis gekommen sei, dass sie am 6. August 2014, spätestens aber am 5. September 2014 mit Steria Benelux zu ein und demselben Wirtschaftsteilnehmer geworden sei, ohne den Begriff des Wirtschaftsteilnehmers zu definieren oder die Einrichtung eines gemeinsamen Managements nachzuweisen.

64      Dazu trägt sie vor, dass der Begriff des Wirtschaftsteilnehmers nicht so definiert werden könne wie im Wettbewerbsrecht, da er dort anderen Zwecken diene als im Recht der öffentlichen Ausschreibungen.

65      Da das Parlament die Anwendbarkeit des wettbewerbsrechtlichen Begriffs des Wirtschaftsteilnehmers in der vorliegenden Rechtssache nicht dargetan habe, könne es nicht die im Wettbewerbsrecht geltende widerlegbare Vermutung aufstellen, dass die Muttergesellschaft einen entscheidenden Einfluss auf ihre Tochtergesellschaft ausübe. Demnach sei es seiner Verpflichtung, Nachprüfungen vorzunehmen, um sich zu vergewissern, ob die Muttergesellschaft einen solchen Einfluss auf ihre Tochtergesellschaft ausgeübt habe, nicht nachgekommen.

66      Jedenfalls habe hier keine wirtschaftliche Einheit bestanden und Steria Benelux habe eigenständig gehandelt, ohne dass ein gemeinsames Verhalten vorgelegen habe. Zudem sei nicht dargetan worden, dass ein gemeinsames Management existiert habe. Insoweit erbringe die Anwesenheit derselben Person in den Verwaltungsräten von Steria Benelux und von der Sopra Steria Group keinen Nachweis dafür, dass automatisch ein entscheidender Einfluss oder überhaupt ein Einfluss ausgeübt worden sei, und rechtfertige auch nicht eine dahin gehende Vermutung. Die Klägerin und Steria Benelux seien vielmehr als verschiedene juristische Personen und als verschiedene Wirtschaftsteilnehmer anzusehen.

67      Die Klägerin macht weiter geltend, es habe kein potenzieller Interessenkonflikt bestanden; jedenfalls sei das Parlament ordnungsgemäß über das Fusionsverfahren unterrichtet worden. In der Aufforderung zur Abgabe von Angeboten im Ausschreibungsverfahren sei jeder Kontakt mit dem Parlament während des Verfahrens – außer in Ausnahmefällen und unter genau festgelegten Bedingungen – untersagt worden. Die Mitteilung der Fusionsabsicht oder einer unmittelbar bevorstehenden Fusion falle nicht darunter. Auch habe die Klägerin erst im Lauf der Monate Oktober und November 2014 erfahren, dass Steria Benelux an dem das Los Nr. 4 betreffenden Verfahren teilgenommen habe. Die Konsortien IBI IUS und STEEL hätten das Parlament mit ihren Schreiben vom 21. November 2014 ordnungsgemäß von der bevorstehenden Fusion unterrichtet, nachdem dieses sie am 19. November 2014 über die Aussetzung des Ausschreibungsverfahrens informiert habe. Schließlich sei die erste Idee eines Zusammenschlusses in einer Pressemitteilung vom 8. April 2014 bekannt gegeben worden. Deshalb habe das Parlament, das verpflichtet sei, die Angebote und die Bieter im Einzelnen zu bewerten, die Annäherung der Sopra Group und der Groupe Steria nicht ignorieren können.

68      Das Parlament und die Streithelferinnen treten dem Vorbringen der Klägerin entgegen.

–       Vorbemerkungen

69      Die angefochtenen Entscheidungen werden, wie oben in den Rn. 28 bis 30 dargelegt, auf zwei verschiedene Gründe gestützt.

70      Wie oben in Rn. 29 dargelegt, führte das Parlament im ersten Grund der angefochtenen Entscheidungen aus, dass die Konsortien IBI IUS und STEEL, zu denen die Klägerin gehöre, und TEPting, zu der Steria Benelux gehöre, entgegen dem in Art. 158 Abs. 3 Unterabs. 1 der Delegierten Verordnung und in Nr. I.3 der Vergabebedingungen ausgesprochenen Verbot Angebote für unvereinbare Lose abgegeben hätten. Nach dieser letzteren Bestimmung führt dieser Verstoß zur Ablehnung der Angebote, ohne dass zugleich eine andere Rechtsverletzung geprüft zu werden braucht. Sonach genügt der erste Grund, wenn er durchgreift, für die Ablehnung der Angebote der Konsortien IBI IUS und STEEL, zu denen die Klägerin gehörte, für die Lose 2 und 3.

71      Zu dem oben in Rn. 30 dargelegten zweiten Grund der angefochtenen Entscheidungen, nämlich der Tatsache, dass die Klägerin entgegen Art. 107 Abs. 1 Buchst. b der Haushaltsordnung nicht die verlangten Auskünfte erteilt habe, ist festzustellen, dass dieser Grund für sich allein nach dem Wortlaut dieser Bestimmung zum Ausschluss des fehlbaren Bieters von der Auftragsvergabe führt, ohne dass es erforderlich wäre, andere Rechtsverstöße nachzuweisen. In der vorliegenden Rechtssache hat das Parlament, wie oben in Rn. 30 dargelegt, beschlossen, die Klägerin wegen ihres Verstoßes gegen diese Bestimmung der Haushaltsordnung von der Auftragsvergabe auszuschließen und sie bei der Bewertung der Angebote der Konsortien IBI IUS und STEEL unberücksichtigt zu lassen, die folglich die in den Vergabebedingungen aufgestellten Anforderungen an die technischen Kapazitäten nicht mehr erfüllten und somit abgelehnt werden mussten.

72      Demnach rechtfertigt jeder der beiden vom Parlament in den angefochtenen Entscheidungen angeführten Gründe für sich allein die Ablehnung der Angebote der Konsortien IBI IUS und STEEL, zu denen die Klägerin gehörte, für die Lose Nrn. 2 und 3.

73      Da die Klägerin das Ergebnis, zu dem das Parlament im Rahmen des zweiten Grundes in Bezug auf das Kriterium „technische Kapazitäten“ gekommen ist, nicht bestreitet, genügt für die Zurückweisung des ersten Teils des einzigen Klagegrundes die fehlerfreie Anwendung des Art. 158 Abs. 3 Unterabs. 1 der Delegierten Verordnung oder aber des Art. 107 Abs. 1 Buchst. b der Haushaltsordnung durch das Parlament.

74      Deshalb ist zunächst der zweite Grund, auf den die angefochtenen Entscheidungen gestützt sind, nämlich der Verstoß gegen Art. 107 Abs. 1 Buchst. b der Haushaltsordnung, zu prüfen.

75      Dort hat das Parlament nicht behauptet, dass tatsächlich ein Interessenkonflikt oder ein Verstoß gegen Art. 107 Abs. 1 Buchst. a der Haushaltsordnung vorgelegen habe. Wie sich aus den Nrn. 31 bis 34 dieser Entscheidungen ergibt, wirft es der Klägerin lediglich vor, es unter Verletzung des Art. 107 Abs. 1 Buchst. b der Haushaltsordnung nicht über eine Situation unterrichtet zu haben, die zu einem Interessenkonflikt führen konnte.

76      Nach Art. 107 Abs. 1 Buchst. b der Haushaltsordnung werden Bewerber oder Bieter von der Auftragsvergabe ausgeschlossen, die während des Vergabeverfahrens für diesen Auftrag die vom öffentlichen Auftraggeber verlangten Auskünfte nicht erteilt haben.

77      Zur Prüfung der Rechtmäßigkeit des zweiten Grundes der angefochtenen Entscheidungen ist erstens zu untersuchen, ob im vorliegenden Fall Umstände vorlagen, die – auch im Lichte des in den Vergabebedingungen ausgesprochenen Verbots, Angebote für unvereinbare Lose abzugeben – zu einem Interessenkonflikt führen konnten. Gegebenenfalls ist zweitens zu untersuchen, von welchem Zeitpunkt an die Klägerin verpflichtet war, das Parlament gemäß Art. 107 Abs. 1 Buchst. b der Haushaltsordnung davon zu unterrichten.

–       Zum Vorliegen von Umständen, die zu einem Interessenkonflikt führen konnten

78      Nach der Rechtsprechung soll Art. 107 der Haushaltsordnung, der den Zweck verfolgt, Interessenkonflikte zu verhindern, die Unabhängigkeit der Bieter gegenüber anderen potenziellen Teilnehmern im weiten Sinne sowohl in struktureller als auch in funktionaler Hinsicht sicherstellen (vgl. in diesem Sinne entsprechend Urteil vom 14. Februar 2006, TEA-CEGOS u. a./Kommission, T‑376/05 und T‑383/05, EU:T:2006:47, Rn. 53, 58 und 59).

79      Ferner ist davon auszugehen, dass mit dem an ein und denselben Wirtschaftsteilnehmer gerichteten Verbot, direkt oder indirekt Angebote für unvereinbare Lose abzugeben, eine Verfälschung des Wettbewerbs verhindert und der Begriff des Interessenkonflikts in Art. 107 der Haushaltsordnung konkretisiert werden soll (vgl. in diesem Sinne den Beschluss vom 20. April 2007, TEA-CEGOS und STG/Kommission, C‑189/06 P, nicht veröffentlicht, EU:C:2007:242, Rn. 28).

80      Nach Buchst. g des Formulars Nr. 4 im Anhang der Vergabebedingungen kann sich ein Interessenkonflikt aus wirtschaftlichen oder anderen relevanten Verbindungen oder aus gemeinsamen Interessen ergeben. Nach dem Abschnitt über die Beweismittel betreffend die Ausschlusskriterien gemäß Nr. I.13.1 der Vergabebedingungen war jeder Bieter verpflichtet, dieses Formular zu unterschreiben und einzusenden.

81      Im Rahmen des Ausschreibungsverfahrens besteht die Aufgabe des Zuschlagsempfängers für das Los Nr. 4 in der Beurteilung der Dienstleistungen, die zur Durchführung der mit den Losen Nrn. 2 und 3 verbundenen Aufträge erbracht wurden. In diesem Zusammenhang steht das in Nr. I.3 in Verbindung mit Anhang II der Vergabebedingungen ausgesprochene Verbot, Angebote für unvereinbare Lose, nämlich die Lose Nrn. 2 und 3 einerseits und das Los Nr. 4 andererseits, abzugeben.

82      Wie erinnerlich hielt die Klägerin am 5. September 2014 90,52 % des Kapitals und 89,41 % der Stimmrechte der Groupe Steria; zu diesem Zeitpunkt war Steria Benelux eine Tochtergesellschaft, die zu 99,99 % von Steria gehalten wurde, die ihrerseits zu 100 % im Eigentum der Groupe Steria stand.

83      Für den Fall, dass Steria Benelux im Rahmen der Erbringung der Dienstleistungen, die Gegenstand des Loses Nr. 4 waren, als Mitglied des Konsortium TEPting die von der Klägerin zur Durchführung der Lose Nrn. 2 und 3 erbrachten Dienstleistungen zu beurteilen gehabt hätte, hätte die ordnungsgemäße Erfüllung ihrer Aufgabe beeinträchtigt werden können, da sie aufgrund ihrer strukturellen Verbindungen mit der Klägerin und ihrer gemeinsamen Interessen möglicherweise ein Interesse daran gehabt hätte, die von dieser erbrachten Dienstleistungen parteiisch zu beurteilen.

84      Das Bestehen enger Verbindungen zwischen der Klägerin und der Muttergesellschaft von Steria Benelux bzw. gemeinsamer Interessen im Sinne des Buchst. g des Formulars Nr. 4 im Anhang der Vergabebedingungen wird durch weitere Tatsachen belegt.

85      Erstens wurden die Pressemitteilungen vom 8. April und vom 6. August 2014, worauf das Parlament hingewiesen hat, im Namen der beiden Konsortien Sopra Group und Groupe Steria veröffentlicht und enthielten zwei verschiedene Kontaktadressen, während die Pressemitteilung vom 5. September 2014 nur eine einzige Kontaktadresse nannte und die Pressemitteilung vom 3. Dezember 2014 allein im Namen von Sopra Steria veröffentlicht wurde und nur eine Kontaktadresse enthielt.

86      Zweitens wurde die Sopra Group im Rahmen der Annäherung der beiden wirtschaftlichen Einheiten und der Begründung gemeinsamer Interessen am 5. September 2014 gemäß den in der Generalversammlung der Klägerin vom 27. Juni 2014 eingegangenen Verpflichtungen in Sopra Steria Group umbenannt.

87      Drittens trat am 5. September 2014 gemäß den in der Generalversammlung der Klägerin vom 27. Juni 2014 eingegangenen Verpflichtungen das Mandat der Präsidentin und Vorstandsvorsitzenden der Steria Benelux Group als Verwalterin der Sopra Steria Group in Kraft, was ein Indiz für relevante Verbindungen zwischen der Klägerin und Steria Benelux oder für gemeinsame Interessen darstellt.

88      Nach alledem gab es genug Umstände, die zu einem Interessenkonflikt im Sinne des Buchst. g des Formulars Nr. 4 im Anhang der Vergabebedingungen und der oben in Rn. 78 angeführten Rechtsprechung führen konnten. Diese Umstände mussten vom Parlament im Stadium des Ausschreibungsverfahren berücksichtigt werden, auch wenn sich der Interessenkonflikt letztlich nicht konkretisiert hat, da das Konsortium TEPting sein Angebot für das Los Nr. 4 zurückgenommen hat (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 18. April 2007, Deloitte Business Advisory/Kommission, T‑195/05, EU:T:2007:107, Rn. 67 und 75).

89      Das Vorbringen der Klägerin, das Verbot, Angebote für unvereinbare Lose zu abzugeben, gelte nur genau zum Zeitpunkt der Abgabe der Angebote, vermag diese Erwägung nicht zu entkräften.

90      Das oben in Rn. 89 bezeichnete Verbot, das durch das Bestreben gerechtfertigt ist, Interessenkonflikte zu verhindern, sollte nämlich, wie das Parlament dargelegt hat, auch verhindern, dass ein Bieter in Unkenntnis dieses Verbots zugleich für die Lose Nrn. 2 oder 3 einerseits und für das Los Nr. 4 andererseits Vertragspartner oder Mitglied der vertragsschließenden Konsortien wird.

91      Eine Beschränkung des Geltungsbereichs des oben in Rn. 89 bezeichneten Verbots auf den Augenblick der Abgabe der Angebote würde ihm seine praktische Wirksamkeit nehmen, denn dann könnte sein Zweck umgangen und die korrekte Durchführung des Auftrags beeinträchtigt werden (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 28. November 2002, Scan Office Design/Kommission, T‑40/01, EU:T:2002:288, Rn. 87, und vom 26. September 2014, B&S Europe/Kommission, T‑222/13, nicht veröffentlicht, EU:T:2014:837, Rn. 85). Die praktische Wirksamkeit dieses Verbots ist nämlich nur dann sichergestellt, wenn es während des gesamten Verfahrens anwendbar ist, so dass es auch nach der Angebotsabgabe eintretende Ereignisse erfasst, die dazu führen könnten, dass einem Wirtschaftsteilnehmer unvereinbare Lose zugeschlagen werden.

92      Deshalb ist das oben in Rn. 89 bezeichnete Verbot während des gesamten Vergabeverfahrens anwendbar.

93      Folglich ist unerheblich, dass sich die strukturellen Verbindungen zwischen der Klägerin und Steria Benelux oder ihre gemeinsamen Interessen erst nach Abgabe der Angebote herausgebildet haben. Dasselbe gilt für den Umstand, dass der Zusammenschluss der Sopra Group und der Groupe Steria erst am 1. Januar 2015 wirksam wurde, da ja nachgewiesen worden ist, dass schon vorher relevante Verbindungen zwischen ihnen bestanden, die zu einem Interessenkonflikt führen konnten.

94      Auch hat die Klägerin nicht dargetan, dass die internen Anweisungen, die die Sopra Group und die Groupe Steria ihren jeweiligen Angestellten am 23. April 2014 erteilt hatten, nach dem Erwerb von 90,52 % der Anteile an dieser letzteren am 5. September 2014 weiter anwendbar waren.

95      Aus alledem ergibt sich, dass dem Parlament bei seiner Einschätzung, dass ab 5. September 2014 Umstände vorlagen, die zu einem Interessenkonflikt führen konnten, kein Fehler unterlaufen ist.

96      Somit ist zu prüfen, ob und gegebenenfalls zu welchem Zeitpunkt die Klägerin verpflichtet war, dies dem Parlament gemäß Art. 107 Abs. 1 Buchst. b der Haushaltsordnung mitzuteilen.

–       Zu der Verpflichtung, die vom öffentlichen Auftraggeber verlangten Auskünfte zu erteilen

97      Wie schon in Rn. 76 dargelegt, werden nach Art. 107 Abs. 1 Buchst. b der Haushaltsordnung Bewerber oder Bieter, die während des Vergabeverfahrens für diesen Auftrag die vom öffentlichen Auftraggeber verlangten Auskünfte nicht erteilt haben, von der Auftragsvergabe ausgeschlossen.

98      Die Bieter verpflichteten sich in Buchst. h des Formulars Nr. 4 im Anhang der Vergabebedingungen, den öffentlichen Auftraggeber unverzüglich über jeden bestehenden Interessenkonflikt oder jede Situation, die zu einem Interessenkonflikt führen konnte, zu informieren. Wie oben in Rn. 80 dargelegt, waren die Bieter gehalten, dieses Formular zu unterschreiben und einzusenden.

99      Demnach betraf die den Bietern im Ausschreibungsverfahren obliegenden Auskunftspflicht namentlich die Gefahr, dass eines ihrer Mitglieder sich in einer Situation befand, die zu einem Interessenkonflikt führen konnte.

100    Deshalb gehörten unter Berücksichtigung der in Rn. 95 gezogenen Schlussfolgerung die Informationen über die Annäherung der Klägerin und der Groupe Steria, deren Tochtergesellschaft Sopra Benelux war, zu den „vom öffentlichen Auftraggeber für die Teilnahme am Vergabeverfahren verlangten Auskünften“ im Sinne des Art. 107 Abs. 1 Buchst. b der Haushaltsordnung.

101    Aus allen diesen Gründen war die Klägerin nach Art. 107 Abs. 1 Buchst. b der Haushaltsordnung wie auch nach Buchst. h des Formulars Nr. 4 im Anhang der Vergabebedingungen verpflichtet, direkt oder über das Konsortium, zu dem sie gehörte, unter Anwendung der gebotenen Sorgfalt dem Parlament aus eigenem Antrieb und unverzüglich mitzuteilen, dass die Sopra Group am 5. September 2014 Anteile der Groupe Steria, deren Tochtergesellschaft Steria Benelux war, erworben hatte, um ihm alle notwendigen Anhaltspunkte für die Beurteilung ihrer Situation und erforderlichenfalls den Erlass zweckdienlicher Maßnahmen an die Hand zu geben. Von dem Erwerb der Groupe Steria durch die Sopra Group wurde das Parlament jedoch erst am 21. November 2014 durch die Konsortien IBI IUS und STEEL, zu denen die Klägerin gehörte, informiert, also nach der Ankündigung der Aussetzung des Vergabeverfahrens durch das Parlament am 19. November 2014. Die völlig ungerechtfertigte verspätete Information des Parlaments über diese Umstände ist ungeachtet des Vorbringens der Klägerin vor dem Gericht nicht hinnehmbar.

102    Erstens wird dieses Ergebnis nicht durch den Vorschlag des Konsortiums TEPting vom 15. Dezember 2014, sein Angebot für das Los Nr. 4 zurückzunehmen, in Frage gestellt, denn die Klägerin musste die vom öffentlichen Auftraggeber verlangten Auskünfte gleich nach dem 5. September 2014 erteilen, d. h. sobald sie 90,52 % des Kapitals und 89,41 % der Stimmrechte der Groupe Steria hielt. Denn wenn ein Mitglied eines Konsortiums betreffende Umstände, die zu einem Interessenkonflikt führen können, trotz des entsprechenden Auskunftsverlangens des öffentlichen Auftraggebers diesem nicht mitgeteilt worden sind, muss dieser das betreffende Mitglied von der Auftragsvergabe ausschließen, sobald er die fehlende Auskunftserteilung bemerkt (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 26. September 2014, Flying Holding u. a./Kommission, T‑91/12 und T‑280/12, EU:T:2014:832, Rn. 75).

103    Was zweitens das in der Aufforderung zur Abgabe von Angeboten für das Ausschreibungsverfahren enthaltene Verbot angeht, während des Verfahrens mit dem Parlament Kontakt aufzunehmen, trifft es zwar zu, dass die Kontaktaufnahme zwischen den Bietern und dem Parlament außer in den in der Aufforderung genannten Ausnahmefällen untersagt ist. Dieses Verbot muss jedoch vernünftig ausgelegt werden. Sein wesentlicher Zweck besteht darin, jede Einflussnahme auf die Bewertung der Angebote sowie deren Änderung zu verhindern. Dies ergibt sich daraus, dass jede Kontaktaufnahme seitens der Bieter nach der Öffnung der Angebote untersagt ist, während dasselbe nicht für Kontaktaufnahmen seitens des Parlaments gilt.

104    Informationen wie die, um die es in der vorliegenden Rechtssache geht, nämlich die Mitteilung, dass die Klägerin Anteile an einer Gesellschaft erworben hatte, die Mitglied eines Konsortiums war, das ein Angebot für ein Los unterbreitet hatte, das unvereinbar war mit anderen Losen, für die die Konsortien, zu denen sie gehörte, ebenfalls Angebote gemacht hatten, beziehen sich eindeutig auf Ausnahmefälle, die nicht unter das Verbot, während des Verfahrens mit dem Parlament Kontakt aufzunehmen, fallen. Dies gilt umso mehr, als diese Umstände die Erfüllung der in den Vergabebedingungen festgelegten wesentlichen Bedingungen betreffen. Wie oben in Rn. 98 dargelegt, war in dem Formular Nr. 4 im Anhang der Vergabebedingungen klar bestimmt worden, dass alle Umstände, die zu einem Interessenkonflikt führen konnten, unverzüglich von den Bietern bekannt gegeben werden mussten.

105    Deshalb wäre es bei einer Kontaktaufnahme mit dem Parlament mit dem Ziel, dieses über Umstände zu informieren, die für ein Mitglied mehrerer Konsortien zu einem Interessenkonflikt führen konnten, nicht darum gegangen, die Angebote dieser Konsortien zu deren Gunsten zu ändern oder das Parlament bei der konkreten Bewertung der Angebote zu beeinflussen. Ganz im Gegenteil hätten es diese Auskünfte dem Parlament gerade ermöglicht, in Kenntnis der Sachlage zu prüfen, ob die Angebote den in den Vergabebedingungen aufgestellten Anforderungen entsprachen. Die Behauptung der Klägerin, dass es ihr wegen des Verbots der Kontaktaufnahme mit dem Parlament während des Verfahrens unmöglich gewesen sei, mit dem Parlament in Kontakt zu treten, geht daher ins Leere.

106    Was das dritte Argument der Klägerin angeht, dass die Konsortien IBI IUS und STEEL, zu denen sie gehöre, das Parlament rechtzeitig über die Situation informiert hätten, ist darauf hinzuweisen, dass die Konsortien IBI IUS und STEEL sowie Steria Benelux das Parlament erst in Beantwortung seiner Mitteilung vom 19. November 2014 über die Aussetzung des Vergabeverfahrens mit Schreiben vom 21. November 2014 über die Annäherung der Sopra Group und der Groupe Steria informiert und noch dazu darauf hingewiesen haben, dass sie diese Auskunft nur deshalb erteilten, weil ihnen zugetragen worden sei, dass diese Annäherung wahrscheinlich der Grund für die Aussetzung sei.

107    Unter diesen Umständen kann die Klägerin nicht behaupten, dass die Konsortien, zu denen sie gehöre, rechtzeitig und aus eigenem Antrieb gehandelt hätten, um ihr Versäumnis, dem Parlament zum entscheidenden Zeitpunkt die verlangten Auskünfte zu erteilen, wiedergutzumachen.

108    Viertens weist die Klägerin darauf hin, dass sie erst im Oktober und November von der Teilnahme von Steria Benelux am Vergabeverfahren für das Los Nr. 4 Kenntnis erlangt habe. Dazu genügt die Feststellung, dass sie ihr Versäumnis, die vom öffentlichen Auftraggeber verlangten Auskünfte zu erteilen, nicht damit rechtfertigen kann, dass sie selbst es an der notwendigen Sorgfalt hat fehlen lassen. Die Nichterteilung dieser Auskünfte erfasst sowohl ein vorsätzliches als auch ein fahrlässiges Verhalten (vgl. entsprechend Urteil vom 26. September 2014, Flying Holding u. a./Kommission, T‑91/12 und T‑280/12, EU:T:2014:832, Rn. 75).

109    Was fünftens die Pressemitteilung vom 8. April 2014 betrifft, in der ein eventueller Zusammenschluss der Sopra Group und der Groupe Steria angekündigt wurde, sowie das Vorbringen, dass das Parlament seiner Verpflichtung, die Angebote und die Bieter im Einzelnen zu bewerten, nicht nachgekommen sei, geht eindeutig aus Buchst. h des Formulars Nr. 4 im Anhang der Vergabebedingungen und aus Art. 107 Abs. 1 Buchst. b der Haushaltsordnung hervor, dass es Sache der Klägerin war, das Parlament von der Annäherung der Sopra Group und der Groupe Steria zu unterrichten. Die genannte Pressemitteilung war jedoch nicht für das Parlament bestimmt und wurde ihm weder von der Klägerin noch von den Konsortien, zu denen sie gehört, zur Kenntnis gebracht. Im Übrigen informierten diese Konsortien, wie in Rn. 106 dargelegt, das Parlament erst am 21. November 2014 in Beantwortung der Schreiben des Parlaments vom 19. November 2014 über diese Annäherung.

110    Diese Rüge der Klägerin greift demnach nicht durch.

111    Sechstens macht die Klägerin geltend, auch die Einleitung des Verhandlungsverfahrens PE/ITEC‑NPE‑15.8 durch das Parlament zeige, dass keine Gefahr eines Interessenkonflikts bestanden habe, was dem öffentlichen Auftraggeber auch nicht habe bekannt gegeben werden müssen. Dazu ist zu bemerken, dass dieses Verfahren teilweise denselben Gegenstand hatte wie die Ausschreibung der in dem Los Nr. 3 bezeichneten Dienstleistungen. Nach dem Vorbringen der Klägerin war in diesem Verhandlungsverfahren keine Unvereinbarkeitsklausel vorgesehen.

112    Nach der Rechtsprechung bildet das Verhandlungsverfahren, obwohl es vom öffentlichen Auftraggeber nur in bestimmten Situationen eingeleitet werden kann – beispielsweise gemäß Art. 135 Abs. 1 Buchst. a der Delegierten Verordnung dann, wenn nach Abschluss eines offenen Verfahrens nicht ordnungsgemäße oder unannehmbare Gebote vorliegen –, dennoch ein eigenständiges Verfahren, das sich von allen anderen Vergabeverfahren unterscheidet (vgl. entsprechend Urteil vom 29. Oktober 2015, Direct Way und Direct Way Worldwide/Parlament, T‑126/13, EU:T:2015:819, Rn. 67 und die dort angeführte Rechtsprechung). Unter Berücksichtigung dieser Rechtsprechung besteht also zwischen der Ausschreibung und dem Verhandlungsverfahren PE/ITEC‑NPE‑15.8 kein Zusammenhang. Sonach haben die in diesem Verfahren vorgesehenen Bedingungen keinen Einfluss auf das Ausschreibungsverfahren. Folglich konnte die Klägerin sich nicht auf dieses Verfahren berufen um darzutun, dass im vorliegenden Fall keine Gefahr eines Interessenkonflikts bestand und dass es nicht nötig war, dies dem öffentlichen Auftraggeber mitzuteilen.

113    Demnach hat das Parlament die Klägerin zu Recht von der Vergabe des Auftrags ausgeschlossen und folglich die Angebote des Konsortien IBI IUS und STEEL abgelehnt, da die Klägerin die in Art. 107 Abs. 1 Buchst. b der Haushaltsordnung vorgesehene Verpflichtung verletzt hat, ihm Auskünfte über Umstände zu erteilen, die für sie zu einem Interessenkonflikt führen konnten.

114    Sonach ist der erste Teil des einzigen Klagegrundes zurückzuweisen, ohne dass es erforderlich wäre, den ersten Grund, auf den die angefochtenen Entscheidungen gestützt werden, zu untersuchen.

 Zum zweiten Teil: Verstoß gegen die in Art. 102 Abs. 1 der Haushaltsordnung verankerten Grundsätze der Transparenz, der Verhältnismäßigkeit und der Gleichbehandlung

115    Nach Auffassung der Klägerin hat das Parlament gegen Art. 102 Abs. 1 der Haushaltsordnung verstoßen. Dies ergebe sich aus mehreren Feststellungen.

116    Erstens seien im vorliegenden Fall eine detaillierte Begründung und eine gründliche Untersuchung erforderlich gewesen, da weder in der Haushaltsordnung noch in den Vergabebedingungen ein automatischer Ausschluss im Fall eines potenziellen Interessenkonflikts vorgesehen gewesen sei. Außerdem hätte das Parlament gemäß Art. 142 der Delegierten Verordnung die Situation unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes beurteilen müssen.

117    Zweitens hätten die Konsortien IBI IUS und STEEL in der Anlage zu den ihnen vom Parlament am 18. September 2014 und am 30. Oktober 2014 übersandten Schreiben zwei Kopien von Verträgen gefunden, die sie unterzeichnen und ihm zurückschicken sollten. Dies hätten sie im Vertrauen darauf getan, dass das Parlament die Angebote gründlich geprüft habe. Deshalb habe das Parlament gegen die Grundsätze der Verhältnismäßigkeit und des guten Glaubens verstoßen.

118    Ferner sei das Parlament nach Nr. I.13 der Vergabebedingungen und Art. 107 Abs. 2 der Haushaltsordnung verpflichtet gewesen zu prüfen, ob bestimmte Bieter ausgeschlossen werden mussten. Unter Berücksichtigung der Verpflichtung des Parlaments, die Situation gründlich zu prüfen, bilde die Vergabe der Aufträge an die Konsortien IBI IUS und STEEL eine Bestätigung dafür, dass kein Interessenkonflikt vorgelegen habe. Also habe das Parlament dadurch gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz verstoßen, dass es zunächst bestätigt habe, dass kein Ausschlussgrund vorliege.

119    Drittens weist die Klägerin darauf hin, dass das Konsortium TEPting am 15. Dezember 2014 vorgeschlagen habe, sein Angebot für das Los Nr. 4 zurückzunehmen, und dass das Parlament es mit Schreiben vom 9. Februar 2015 aufgefordert habe, der Verlängerung der Geltungsdauer dieses Angebots bis zum 18. Februar 2015 zuzustimmen. Gleichwohl habe das Parlament diese Rücknahme am 13. Februar 2015 akzeptiert.

120    So habe das Parlament erst nach sehr langer Zeit die Rücknahme des Angebots des Konsortiums TEPting akzeptiert und darüber hinaus zwischen der Bekanntgabe der Aussetzungsentscheidungen am 19. November 2014 und dem Erlass der angefochtenen Entscheidungen viel zu viel Zeit verstreichen lassen. Dadurch habe es gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verstoßen.

121    Auch hätte das Parlament, falls ein Verstoß gegen die Vergabebedingungen vorgelegen hätte, ebenso wie bei den Entscheidungen betreffend die Lose 2 und 3 eine Entscheidung über den Ausschluss des Konsortiums TEPting für das Los Nr. 4 erlassen müssen, statt dessen Vorschlag, sein Angebot für dieses Los zurückzunehmen, zu akzeptieren. Diese Entscheidungen seien widersprüchlich und verstießen gegen den Grundsatz der Transparenz.

122    Viertens behauptet die Klägerin, das Parlament habe durch die Einleitung des Verhandlungsverfahrens PE/ITEC‑NPE‑15.8 aktiv einen potenziellen Interessenkonflikt geschaffen, während es zugleich die Konsortien IBI IUS und STEEL wegen eines ähnlichen Interessenkonflikts von der Auftragsvergabe ausgeschlossen habe. Dies verstoße offenkundig gegen Art. 102 Abs. 1 der Haushaltsordnung.

123    Das Parlament und die Streithelferinnen treten dem Vorbringen der Klägerin entgegen.

124    Nach Art. 102 Abs. 1 der Haushaltsordnung gelten für öffentliche Aufträge, die ganz oder teilweise aus dem Haushalt finanziert werden, die Grundsätze der Transparenz, der Verhältnismäßigkeit, der Gleichbehandlung und der Nichtdiskriminierung. Der Grundsatz der Transparenz, der im Wesentlichen bezweckt, die Gefahr der Günstlingswirtschaft und der Willkür seitens des öffentlichen Auftraggebers auszuschließen, verlangt, dass alle Bedingungen und Modalitäten des Vergabeverfahrens in der Auftragsbekanntgabe oder in den Vergabebedingungen klar, genau und eindeutig formuliert werden (vgl. Urteil vom 26. September 2014, Evropaïki Dynamiki/Kommission, T‑498/11, nicht veröffentlicht, EU:T:2014:831, Rn. 119 und die dort angeführte Rechtsprechung; vgl. in diesem Sinne auch Urteil vom 22. September 2011, Evropaïki Dynamiki/Kommission, T‑86/09, nicht veröffentlicht, EU:T:2011:515, Rn. 63).

125    Dazu ist erstens darauf hinzuweisen, dass die Klägerin in diesem Teil des einzigen Klagegrundes eine Reihe von Argumenten vorbringt, die sie bereits zur Begründung des ersten Teils geltend gemacht hat, namentlich betreffend das Fehlen eines potenziellen Interessenkonflikts, die Verpflichtung des Parlaments, die Angebote und die Bieter im Einzelnen zu bewerten und den Umstand, dass angesichts der Einleitung des Verhandlungsverfahrens PE/ITEC‑NPE‑15.8 durch das Parlament kein Interessenkonflikt vorgelegen habe. Dieses Vorbringen ist oben in den Rn. 95, 109 und 112 zurückgewiesen worden und ist hier aus den gleichen Gründen zurückzuweisen.

126    Zweitens hatte das Parlament, was den automatischen Ausschluss der Klägerin von der Auftragsvergabe wegen Nichterteilung der vom öffentlichen Auftraggeber verlangten Auskünfte angeht, wie bereits in Rn. 102 dargelegt, keine andere Wahl, als Art. 107 Abs. 1 Buchst. b der Haushaltsordnung anzuwenden und das fehlbare Mitglied des Konsortiums von der Auftragsvergabe auszuschließen, sobald es die Nichterteilung dieser Auskünfte festgestellt hatte (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 26. September 2014, Flying Holding u. a./Kommission, T‑91/12 und T‑280/12, EU:T:2014:832, Rn. 75). Hätte das Parlament diese Maßnahme nicht ergriffen, so hätte es sich dem berechtigten Vorwurf einer Begünstigung der Konsortien, zu denen die Klägerin gehörte, ausgesetzt.

127    Drittens vermag das Vorbringen der Klägerin, das Parlament habe durch die Vergabe des Loses Nr. 2 an das Konsortium IBI IUS und des Loses Nr. 3 an das Konsortium STEEL bestätigt, dass keine Unregelmäßigkeit vorgelegen habe, nicht zu überzeugen. Das Parlament hat nämlich auf der Grundlage der gegebenen unvollständigen Informationen gehandelt und seine Entscheidung später aufgrund zusätzlicher Auskünfte korrigiert, die die Klägerin, wie oben in Rn. 101 dargelegt, zu erteilen verpflichtet war.

128    Was viertens den Umstand, dass keine Entscheidung über den Ausschluss des Konsortiums TEPting erlassen wurde, und den angeblichen Verstoß gegen die Grundsätze der Verhältnismäßigkeit und der Transparenz angeht, genügt der Hinweis darauf, dass dieses Konsortium vorgeschlagen hat, sein Angebot für das Los Nr. 4 zurückzunehmen, und dass dieser Vorschlag vom Parlament angenommen wurde. Deshalb greift dieses Vorbringen nicht durch.

129    Fünftens wies das Parlament in seinen Schreiben vom 19. November 2014 ausdrücklich darauf hin, dass das Ausschreibungsverfahren ausgesetzt worden sei, um notwendige Auskünfte einzuziehen. Folglich kann die Klägerin nicht behaupten, sie habe den Eindruck gehabt, dass das Verfahren normal weitergehen werde.

130    Sechstens kann dem Parlament nicht vorgeworfen werden, dass es vor dem Erlass der angefochtenen Entscheidungen viel zu viel Zeit habe verstreichen lassen. Es hat nämlich am 12. November 2014 einschlägige Informationen von den Streithelferinnen erhalten und das Verfahren sieben Tage später ausgesetzt. Weniger als drei Monate nach der Aussetzung des Verfahrens hat es eine mehrere Wirtschaftsteilnehmer betreffende Untersuchung durchgeführt und die angefochtenen Entscheidungen erlassen. Auch hat die Tatsache, dass die Klägerin oder die Konsortien IBI IUS und STEEL, zu denen sie gehörte, die notwendigen Auskünfte nicht rechtzeitig erteilt haben, die Aufgabe des Parlaments erschwert. Deshalb ist das Vorbringen der Klägerin zurückzuweisen.

131    Nach alledem ist der zweite Teil des einzigen Klagegrundes zurückzuweisen und die Klage insgesamt abzuweisen.

 Kosten

132    Nach Art. 134 Abs. 1 der Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da die Klägerin mit ihrem Vorbringen unterlegen ist, sind ihr ihre eigenen Kosten sowie die Kosten des Parlaments gemäß dessen Antrag aufzuerlegen.

133    Außerdem kann das Gericht nach Art. 138 Abs. 3 der Verfahrensordnung entscheiden, dass ein anderer Streithelfer als die in den Abs. 1 und 2 genannten seine eigenen Kosten trägt. In der vorliegenden Rechtssache haben die Streithelferinnen ihre eigenen Kosten zu tragen.

Aus diesen Gründen hat

DAS GERICHT (Vierte Kammer)

für Recht erkannt und entschieden:

1.      Die Klage wird abgewiesen.

2.      Die Sopra Steria Group SA trägt außer ihren eigenen Kosten die Kosten des Europäischen Parlaments.

3.      Die CGI Luxembourg SA und die Intrasoft International SA tragen ihre eigenen Kosten.

Kanninen

Calvo-Sotelo Ibáñez-Martín

Reine

Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 9. April 2019.

Unterschriften


Inhaltsverzeichnis


Sachverhalt

Verfahren und Anträge der Parteien

Gründe

Zur Zulässigkeit des zweiten Klageantrags

Zur Begründetheit

Zum ersten Teil: Verstoß des Parlaments gegen die in Art. 107 Abs. 1 Buchst. a und b der Haushaltsordnung festgelegten Ausschlusskriterien, gegen Art. 158 Abs. 3 der Delegierten Verordnung und gegen die Vergabebedingungen

– Vorbemerkungen

– Zum Vorliegen von Umständen, die zu einem Interessenkonflikt führen konnten

– Zu der Verpflichtung, die vom öffentlichen Auftraggeber verlangten Auskünfte zu erteilen

Zum zweiten Teil: Verstoß gegen die in Art. 102 Abs. 1 der Haushaltsordnung verankerten Grundsätze der Transparenz, der Verhältnismäßigkeit und der Gleichbehandlung

Kosten


*      Verfahrenssprache: Englisch.