Language of document : ECLI:EU:T:2021:162

URTEIL DES GERICHTS (Siebte Kammer)

24. März 2021(*)

„Öffentlicher Dienst – Beamte – Überlebender Ehegatte – Hinterbliebenenversorgung – Art. 18 und 20 des Anhangs VIII des Statuts – Voraussetzungen für die Gewährung – Ehedauer – Einrede der Rechtswidrigkeit – Gleichbehandlung – Grundsatz der Nichtdiskriminierung aufgrund des Alters – Verhältnismäßigkeit“

In der Rechtssache T‑374/20,

KM, Prozessbevollmächtigter: Rechtsanwalt M. Müller-Trawinski,

Klägerin,

gegen

Europäische Kommission, vertreten durch B. Mongin und T. Bohr als Bevollmächtigte,

Beklagte,

unterstützt durch

Europäisches Parlament, vertreten durch M. Windisch und U. Rösslein als Bevollmächtigte,

und

Rat der Europäischen Union, vertreten durch M. Bauer und M. Alver als Bevollmächtigte,

Streithelfer,

betreffend eine Klage nach Art. 270 AEUV auf Aufhebung der Entscheidung der Kommission vom 7. Oktober 2019, mit der der Antrag der Klägerin auf Gewährung von Hinterbliebenenversorgung abgelehnt wurde, sowie auf Anweisung der Kommission zum Erlass einer neuen Entscheidung und zur Gewährung von Hinterbliebenenversorgung

erlässt

DAS GERICHT (Siebte Kammer)

unter Mitwirkung des Präsidenten R. da Silva Passos, der Richterin I. Reine (Berichterstatterin) und des Richters L. Truchot,

Kanzler: E. Coulon,

folgendes

Urteil

 Rechtlicher Rahmen

1        Art. 79 Abs. 1 des Statuts der Beamten der Europäischen Union (im Folgenden: Statut) lautet:

„Der überlebende Ehegatte eines Beamten oder eines ehemaligen Beamten hat unter den in Anhang VIII Kapitel 4 vorgesehenen Bedingungen Anspruch auf Hinterbliebenenversorgung in Höhe von 60 v. H. des Ruhegehalts oder des Invalidengelds, das der Beamte bezogen hat oder das ihm zugestanden hätte, wenn er ohne die Voraussetzung einer Mindestdienstzeit oder eines Mindestalters zum Zeitpunkt seines Todes hierauf Anspruch gehabt haben würde.“

2        In Art. 18 des Anhangs VIII des Statuts heißt es:

„Der überlebende Ehegatte des ehemaligen Beamten, der ein Ruhegehalt bezog, hat vorbehaltlich des Artikels 22 [des vorliegenden Anhangs] und sofern die Ehe vor dem Ausscheiden aus dem Dienst geschlossen worden war und mindestens ein Jahr bestand, Anspruch auf eine Hinterbliebenenversorgung in Höhe von 60 v. H. des Ruhegehalts, das der ehemalige Beamte am Tag seines Todes bezog. …

Die Dauer der Ehe bleibt außer Betracht, sofern aus einer Ehe, die der Beamte vor seinem Ausscheiden aus dem Dienst eingegangen ist, ein oder mehrere Kinder hervorgegangen sind und der überlebende Ehegatte für diese Kinder sorgt oder gesorgt hat.“

3        Art. 20 des Anhangs VIII des Statuts lautet:

„Die in [Artikel 18 des Anhangs VIII des Statuts] vorgesehene Dauer der Ehe bleibt außer Betracht, sofern die Ehe mit dem Beamten, auch wenn sie nach seinem Ausscheiden aus dem Dienst geschlossen wurde, mindestens fünf Jahre gedauert hat.“

 Vorgeschichte des Rechtsstreits

4        Die Klägerin, KM, und ihr Ehegatte, Beamter der Europäischen Kommission, lebten ab 1984 zusammen. Am 25. Mai 2004 schlossen sie in Deutschland einen notariellen Partnerschaftsvertrag, den sie sodann am 27. Oktober 2009 in Brüssel (Belgien) als Erklärung über das gesetzliche Zusammenwohnen beurkunden ließen.

5        Am 1. März 2016 wurde der Ehegatte der Klägerin in den Ruhestand versetzt.

6        Die Klägerin und ihr Ehegatte heirateten am 6. Oktober 2017. Der Ehegatte verstarb am 10. September 2019.

7        Nach dem Tod ihres Ehemanns beantragte die Klägerin in ihrer Eigenschaft als überlebende Ehegattin eines ehemaligen Beamten die Gewährung einer Hinterbliebenenversorgung nach Kapitel 4 des Anhangs VIII des Statuts.

8        Mit Schreiben vom 7. Oktober 2019 lehnte die Leiterin des Referats „Ruhegehälter“ des Amtes für die Feststellung und Abwicklung individueller Ansprüche (PMO) der Kommission den Antrag der Klägerin auf Gewährung einer Hinterbliebenenversorgung ab (im Folgenden: angefochtene Entscheidung). Sie war im Wesentlichen der Auffassung, dass die Klägerin die in Art. 20 des Anhangs VIII des Statuts für die Gewährung einer Hinterbliebenenversorgung vorgesehenen Voraussetzungen in Bezug auf die Dauer der Ehe nicht erfülle, da ihre Ehe mit dem verstorbenen Beamten, die nach seinem Ausscheiden aus dem Dienst geschlossen worden sei, weniger als fünf Jahre gedauert habe.

9        Am 22. November 2019 legte die Klägerin Beschwerde gegen die angefochtene Entscheidung ein.

10      Mit Entscheidung vom 20. März 2020 wies die Anstellungsbehörde der Kommission die Beschwerde der Klägerin zurück (im Folgenden: Entscheidung über die Zurückweisung der Beschwerde).

 Verfahren und Anträge der Parteien

11      Mit Klageschrift, die am 15. Juni 2020 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen ist, hat die Klägerin die vorliegende Klage erhoben.

12      Mit gesondertem Schriftsatz, der am 30. Juni 2020 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen ist, hat die Klägerin gemäß Art. 66 der Verfahrensordnung des Gerichts beantragt, ihr Anonymität zu gewähren, die ihr mit Entscheidung des Gerichts vom 23. Juli 2020 gewährt worden ist.

13      Mit Schriftsätzen, die am 16. und 24. September 2020 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen sind, haben das Europäische Parlament und der Rat der Europäischen Union beantragt, als Streithelfer zur Unterstützung der Anträge der Kommission zugelassen zu werden.

14      Mit Entscheidungen des Präsidenten der Siebten Kammer des Gerichts vom 15. und 26. Oktober 2020 sind das Parlament und der Rat als Streithelfer zur Unterstützung der Anträge der Kommission zugelassen worden.

15      Mit Schriftsatz, der am 22. Dezember 2020 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen ist, hat der Rat mitgeteilt, dass er auf die Einreichung eines Streithilfeschriftsatzes verzichte.

16      Da die Hauptparteien keinen Antrag auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung gestellt haben, hat das Gericht, das sich für durch die Aktenstücke hinreichend unterrichtet hält, gemäß Art. 106 Abs. 3 der Verfahrensordnung beschlossen, ohne mündliches Verfahren zu entscheiden.

17      Die Klägerin beantragt im Wesentlichen,

–        die angefochtene Entscheidung und die Entscheidung über die Zurückweisung der Beschwerde aufzuheben;

–        die Kommission anzuweisen, eine neue Entscheidung zu treffen und ihr eine Hinterbliebenenversorgung zu gewähren;

–        der Kommission die Kosten aufzuerlegen.

18      Die Kommission beantragt,

–        die Klage abzuweisen;

–        der Klägerin die Kosten aufzuerlegen.

19      Das Parlament beantragt,

–        die Klage abzuweisen;

–        der Klägerin die Kosten aufzuerlegen.

 Rechtliche Würdigung

 Zum Klagegegenstand

20      Erstens ist festzustellen, dass die Klägerin mit ihrem ersten Klageantrag im Wesentlichen die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und der Entscheidung über die Zurückweisung der Beschwerde begehrt.

21      Nach ständiger Rechtsprechung hat ein Aufhebungsantrag, der sich förmlich gegen die Entscheidung über die Zurückweisung einer Beschwerde richtet, die Wirkung, dass die Maßnahme, gegen die die Beschwerde erhoben wurde, vor dem Gericht anhängig gemacht wird, wenn dieser Antrag als solcher keinen eigenständigen Gehalt hat (vgl. Urteil vom 13. Juli 2018, Curto/Parlament, T‑275/17, EU:T:2018:479, Rn. 63 und die dort angeführte Rechtsprechung).

22      Da im vorliegenden Fall die Entscheidung über die Zurückweisung der Beschwerde die angefochtene Entscheidung lediglich unter Angabe der diese tragenden Gründe bestätigt, ist festzustellen, dass der Antrag auf Aufhebung der Entscheidung über die Zurückweisung der Beschwerde keinen eigenständigen Gehalt hat, so dass nicht gesondert über ihn zu entscheiden ist. Jedoch ist bei der Prüfung der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Entscheidung die Begründung in der Entscheidung über die Zurückweisung der Beschwerde heranzuziehen, da diese Begründung mit der Begründung der angefochtenen Entscheidung zusammenfallen soll (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 30. April 2019, Wattiau/Parlament, T‑737/17, EU:T:2019:273, Rn. 43 und die dort angeführte Rechtsprechung).

23      Zweitens beantragt die Klägerin mit ihrem zweiten Antrag, die Kommission anzuweisen, eine neue Entscheidung zu erlassen und ihr die Hinterbliebenenversorgung zu gewähren, hinsichtlich deren sie sich anspruchsberechtigt sieht.

24      Hierzu genügt der Hinweis, dass das Gericht nach ständiger Rechtsprechung im Rahmen der Rechtmäßigkeitskontrolle nach Art. 91 des Statuts und Art. 270 AEUV nicht befugt ist, der Verwaltung Anweisungen zu erteilen. Nach Art. 266 Abs. 1 AEUV hat nämlich das Organ, dem das für nichtig erklärte Handeln zur Last fällt, die sich aus dem Urteil ergebenden Maßnahmen zu ergreifen (Urteile vom 5. Oktober 2016, CJ/ECDC, T‑370/15 P, nicht veröffentlicht, EU:T:2016:599, Rn. 109, und vom 5. Dezember 2017, Spadafora/Kommission, T‑250/16 P, nicht veröffentlicht, EU:T:2017:866, Rn. 48). Folglich ist der zweite Klageantrag wegen Unzuständigkeit zurückzuweisen.

 Zur Begründetheit

25      Die Klägerin stützt ihre Klage auf einen einzigen Grund, mit dem sie die Rechtswidrigkeit von Art. 20 des Anhangs VIII des Statuts rügt. Dieser Klagegrund umfasst im Wesentlichen zwei Rügen, mit denen erstens ein Verstoß gegen die Grundsätze der Gleichbehandlung und der Nichtdiskriminierung zwischen heterosexuellen und homosexuellen Paaren und zweitens ein Verstoß gegen die Grundsätze der Gleichbehandlung und der Nichtdiskriminierung aufgrund des Alters geltend gemacht werden.

26      Im Rahmen der zweiten Rüge des einzigen Klagegrundes bringt die Klägerin vor, dass nach Art. 18 des Anhangs VIII des Statuts ein Ehejahr als ausreichend angesehen werde, um eine gefestigte und nicht betrügerische Beziehung zwischen dem überlebenden Ehegatten und dem ehemaligen Beamten anzunehmen, wenn die Ehe vor dem Ausscheiden des Letzteren aus dem Dienst geschlossen worden sei. Dagegen werde nach Art. 20 dieses Anhangs für den Fall einer Eheschließung nach dem Eintritt des ehemaligen Beamten in den Ruhestand eine Mindestehedauer von fünf Jahren gefordert, um den Anspruch auf Hinterbliebenenversorgung zu eröffnen. Eine Versorgung überlebender Ehegatten, die nach der Pensionierung des ehemaligen Beamten in die Ehe eingetreten seien, solle nicht gänzlich ausgeschlossen werden.

27      Im Urteil vom 19. Dezember 2019, HK/Kommission (C‑460/18 P, EU:C:2019:1119), habe der Gerichtshof entschieden, dass die Voraussetzung einer Mindestehedauer von einem Jahr es ermögliche, sich des Bestehens tatsächlicher und beständiger Beziehungen zwischen den betroffenen Personen zu vergewissern, und daher weder diskriminierend noch offensichtlich unangemessen sei. Gleiches müsse, so die Klägerin, für zum Zeitpunkt der Eheschließung bereits pensionierte, also ältere, Beamte gelten.

28      Da den überlebenden Ehegatten von Beamten im Ruhestand gemäß Art. 20 des Anhangs VIII des Statuts eine fünfmal längere Wartefrist auferlegt werde, müssten sie zumindest die Möglichkeit haben, den Gegenbeweis der Dauerhaftigkeit ihrer Beziehung zu erbringen. Für die Betrugsbekämpfung sei keine Wartefrist von fünf Jahren erforderlich, da es andere, mildere Mittel zur Aufdeckung von Scheinehen gebe.

29      Zwar sei die statistische Versterbenswahrscheinlichkeit eines pensionierten Beamten höher als die eines aktiven Beamten. Gleichwohl könne auch ein Beamter im aktiven Dienst chronisch erkranken und eine geringere Lebenserwartung haben. Dennoch werde in diesem Fall eine Mindestehedauer von einem Jahr als ausreichend angesehen, obwohl der Beamte noch schnell heiraten könnte, um den Lebenspartner zu versorgen.

30      Die Kommission entgegnet, der Gesetzgeber verfüge über einen weiten Beurteilungsspielraum, wenn sein Handeln eine politische, wirtschaftliche und soziale Auswahl mit sich bringe, einschließlich dann, wenn es um die Hinterbliebenenversorgung gehe.

31      Die Hinterbliebenenversorgung solle nicht die Unfähigkeit des überlebenden Ehegatten ausgleichen, sich zu versorgen, sondern sei Ausdruck einer weiten Solidarität im Fall des Todes des Beamten. Diese Versorgung weise die Besonderheit auf, dass es sich im Vergleich mit staatlichen Versorgungssystemen um einen sehr hohen Betrag handle und sie an den Empfänger ohne jegliche Gegenleistung erbracht werde. Es bestehe eine reale Gefahr der Schließung einer Scheinehe oder Ehe mit dem alleinigen Ziel, in den Genuss der Hinterbliebenenversorgung zu kommen.

32      Aus dem Urteil vom 19. Dezember 2019, HK/Kommission (C‑460/18 P, EU:C:2019:1119), ergebe sich, dass das mit Art. 20 des Anhangs VIII des Statuts verfolgte Ziel der Betrugsbekämpfung legitim sei. Zudem sei die Betrugsgefahr aufgrund einer größeren Vorhersehbarkeit und einer größeren Nähe des Todes höher, wenn eine Ehe nach dem Ausscheiden des Beamten aus dem Dienst geschlossen werde. Eine Mindestehedauer von fünf Jahren sei eine geeignete Maßnahme zur Bekämpfung eines solchen Betrugs. Darüber hinaus sei diese Dauer lang genug, um sicherzustellen, dass eine Ehe aus anderen als finanziellen Gründen geschlossen worden sei, und habe abschreckende Wirkung.

33      Selbst wenn außerdem eine Regelung wie Art. 20 des Anhangs VIII des Statuts gewisse Nachteile mit sich bringe, könnten diese nicht dem Gesetzgeber entgegengehalten werden, der zur Erreichung des verfolgten Ziels ein nichtdiskriminierendes Kriterium gewählt habe.

34      Im Übrigen knüpfe Art. 20 des Anhangs VIII des Statuts an das Ausscheiden des Beamten aus dem Dienst an. Daher handle es sich nicht um eine unterschiedliche Behandlung aus Gründen des Alters. Die in Rede stehende unterschiedliche Behandlung beruhe auf dem Umstand, dass sich Beamte und ehemalige Beamte in unterschiedlichen Situationen befänden. So bestehe ein Unterschied darin, ob der Beamte eine Ehe während seines aktiven Dienstes geschlossen habe oder ob er sie nach seinem Ausscheiden aus dem Dienst eingegangen sei.

35      Das Parlament schließt sich dem Vorbringen der Kommission an. Es fügt hinzu, im Urteil vom 24. November 2016, Parris (C‑443/15, EU:C:2016:897), habe der Gerichtshof entschieden, dass eine nationale Bestimmung, die den Anspruch auf Hinterbliebenenversorgung an die Voraussetzung knüpfe, dass das Mitglied des Versorgungssystems vor Vollendung des 60. Lebensjahrs geheiratet oder eine eingetragene Lebenspartnerschaft geschlossen habe, keine Diskriminierung aufgrund des Alters darstelle.

 Vorbemerkungen

36      Der Grundsatz der Gleichbehandlung ist ein allgemeiner Grundsatz des Unionsrechts, der in Art. 20 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden: Charta) niedergelegt ist und im Diskriminierungsverbot des Art. 21 Abs. 1 der Charta eine besondere Ausprägung findet. Dieser Grundsatz verlangt, dass vergleichbare Sachverhalte nicht unterschiedlich und unterschiedliche Sachverhalte nicht gleich behandelt werden, es sei denn, dass eine solche Behandlung objektiv gerechtfertigt ist (vgl. Urteil vom 5. Juli 2017, Fries, C‑190/16, EU:C:2017:513, Rn. 29 und 30 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).

37      Nach der Rechtsprechung kann dem Unionsgesetzgeber die Verletzung des Gleichheitsgrundsatzes nur dann vorgeworfen werden, wenn vergleichbare Sachverhalte unterschiedlich behandelt und dadurch bestimmte Personen gegenüber anderen benachteiligt werden (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 14. Dezember 2018, FV/Rat, T‑750/16, EU:T:2018:972, Rn. 89 und die dort angeführte Rechtsprechung).

38      Was das Erfordernis der Vergleichbarkeit der Sachverhalte angeht, so ist dieses Erfordernis in Anbetracht aller die Sachverhalte kennzeichnenden Merkmale zu beurteilen. Diese Merkmale sind u. a. im Licht des Gegenstands und des Ziels der Unionsmaßnahme, die die fragliche Unterscheidung einführt, zu bestimmen und zu beurteilen. Außerdem sind die Grundsätze und Ziele des Regelungsbereichs zu berücksichtigen, in den diese Maßnahme fällt (vgl. Urteil vom 19. Dezember 2019, HK/Kommission, C‑460/18 P, EU:C:2019:1119, Rn. 67 und die dort angeführte Rechtsprechung).

39      Um festzustellen, ob die Behandlung der zu vergleichenden Sachverhalte durch das Statut gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz verstößt, ist zudem eine Prüfung vorzunehmen, in deren Mittelpunkt alle Rechtsvorschriften zur Regelung der jeweiligen Stellung bei jedem der zu vergleichenden Sachverhalte stehen, wobei insbesondere der Zweck der angefochtenen Bestimmung zu berücksichtigen ist (vgl. entsprechend Urteil vom 9. März 2017, Milkova, C‑406/15, EU:C:2017:198, Rn. 58).

40      Damit eine Ungleichbehandlung mit den allgemeinen Grundsätzen der Gleichbehandlung und der Nichtdiskriminierung vereinbar ist, muss sie anhand eines objektiven und angemessenen Kriteriums gerechtfertigt sein und in einem angemessenen Verhältnis zu dem mit dieser Differenzierung verfolgten Ziel stehen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 15. Februar 2005, Pyres/Kommission, T‑256/01, EU:T:2005:45, Rn. 61). In dieser Hinsicht muss nach Art. 52 Abs. 1 der Charta jede Einschränkung der Ausübung der in ihr anerkannten Rechte und Freiheiten gesetzlich vorgesehen sein und den Wesensgehalt dieser Rechte und Freiheiten achten. Unter Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit dürfen Einschränkungen nur vorgenommen werden, wenn sie erforderlich sind und den von der Union anerkannten dem Gemeinwohl dienenden Zielsetzungen oder den Erfordernissen des Schutzes der Rechte und Freiheiten anderer tatsächlich entsprechen.

41      Nach der Rechtsprechung verlangt der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, dass die Handlungen der Unionsorgane nicht die Grenzen dessen überschreiten, was zur Erreichung der mit der fraglichen Regelung verfolgten legitimen Ziele geeignet und erforderlich ist, wobei bei einer Wahl zwischen mehreren geeigneten Maßnahmen auf die am wenigsten einschränkende zurückgegriffen werden muss und die verursachten Nachteile nicht außer Verhältnis zu den verfolgten Zielen stehen dürfen (vgl. Urteil vom 26. Februar 2016, Bodson u. a./EIB, T‑240/14 P, EU:T:2016:104, Rn. 116 und die dort angeführte Rechtsprechung).

42      Allerdings ist hinzuzufügen, dass der Unionsgesetzgeber zur Bekämpfung von Missbrauch oder gar Betrug einen Gestaltungsspielraum bei der Schaffung des Anspruchs auf Hinterbliebenenversorgung hat (Urteil vom 19. Dezember 2019, HK/Kommission, C‑460/18 P, EU:C:2019:1119, Rn. 89). Die Anerkennung eines solchen Gestaltungsspielraums des Gesetzgebers impliziert eine Prüfungspflicht dahin, ob es nicht unvernünftig erscheint, dass der Unionsgesetzgeber die geschaffene Ungleichbehandlung für geeignet und erforderlich hält, um das verfolgte Ziel zu erreichen (vgl. in diesem Sinne und entsprechend Urteil vom 14. Dezember 2018, FV/Rat, T‑750/16, EU:T:2018:972, Rn. 114 und die dort angeführte Rechtsprechung).

43      Im Licht all dieser Grundsätze ist zu untersuchen, ob die in Art. 20 des Anhangs VIII des Statuts vorgesehene Mindestehedauervoraussetzung im Hinblick auf die damit verfolgten Ziele gegen die allgemeinen Grundsätze der Gleichbehandlung und der Nichtdiskriminierung aufgrund des Alters verstößt. Es ist daher zu prüfen, ob diese Voraussetzung gesetzlich vorgesehen ist und den Wesensgehalt des Rechts auf Gleichbehandlung sowie des Verbots jeglicher Diskriminierung beachtet, ob die Sachverhalte, auf die in den Art. 18 und 20 des Anhangs VIII des Statuts abgestellt wird, vergleichbar sind und, bejahendenfalls, ob die in Art. 20 des Anhangs VIII des Statuts vorgesehene Voraussetzung einer Mindestehedauer von fünf Jahren ein Ziel von allgemeinem Interesse verfolgt. Insoweit ist zu prüfen, ob es nicht unvernünftig erscheint, dass der Unionsgesetzgeber die eingeführte Ungleichbehandlung für geeignet und erforderlich hält, um ein solches Ziel zu erreichen.

 Zum Vorliegen einer Ungleichbehandlung

44      Der Gerichtshof hat in seinem Urteil vom 19. Dezember 2019, HK/Kommission (C‑460/18 P, EU:C:2019:1119, Rn. 68), befunden, dass das Ziel der Hinterbliebenenversorgung darin besteht, zugunsten des überlebenden Ehegatten ein Ersatzeinkommen zu gewähren, das den Verlust der Einkünfte des verstorbenen Ehegatten teilweise ausgleichen soll. Dem Gerichtshof zufolge setzt dieser Anspruch nicht voraus, dass der überlebende Ehegatte aufgrund seiner Einnahmen- und Vermögenssituation nicht in der Lage ist, seinen Lebensunterhalt zu bestreiten, und damit den Nachweis erbringt, dass er vom Verstorbenen finanziell abhängig war (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 19. Dezember 2019, HK/Kommission, C‑460/18 P, EU:C:2019:1119, Rn. 69).

45      Die Gewährung der Hinterbliebenenversorgung hängt vielmehr ausschließlich von der Rechtsnatur der Bindungen ab, die zwischen der betroffenen Person und dem verstorbenen Beamten bestanden (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 19. Dezember 2019, HK/Kommission, C‑460/18 P, EU:C:2019:1119, Rn. 70). Zu dieser Voraussetzung kommt die Voraussetzung der Mindestehedauer hinzu, im vorliegenden Fall ein Jahr gemäß Art. 18 des Anhangs VIII des Statuts und fünf Jahre gemäß Art. 20 des Anhangs VIII des Statuts.

46      Vor diesem Hintergrund ist festzustellen, dass die Art. 18 und 20 des Anhangs VIII des Statuts die überlebenden Ehegatten ehemaliger Beamter unterschiedlich behandeln, je nachdem, ob die Ehe vor oder nach dem Ausscheiden der Letztgenannten aus dem Dienst geschlossen wurde. Der Zeitpunkt der Eheschließung ist daher das vom Gesetzgeber gewählte Kriterium zur Unterscheidung der beiden Sachverhalte.

47      Die Rechtsnatur der Bindungen zwischen dem überlebenden Ehegatten und dem verstorbenen Beamten ist indessen identisch, ganz gleich ob die Ehe vor dessen Ausscheiden aus dem Dienst geschlossen wurde oder danach. Diese Rechtsnatur unterscheidet sich nicht danach, ob der Beamte in einem Beschäftigungsverhältnis stand oder nicht.

48      Außerdem soll die in den Art. 18 und 20 des Anhangs VIII des Statuts geregelte Hinterbliebenenversorgung dem überlebenden Ehegatten den durch den Tod des ehemaligen Beamten entstandenen Einkommensverlust ausgleichen. Es handelt sich also um die Gewährung eines Ersatzeinkommens an den überlebenden Ehegatten. Der Umstand, dass der verstorbene Beamte vor oder nach seinem Ausscheiden aus dem Dienst geheiratet hat, ist mithin nicht geeignet, die Situation des überlebenden Ehegatten in Bezug auf seine Vermögensrechte wesentlich zu verändern. Zudem hat der Gerichtshof, wie aus obiger Rn. 44 hervorgeht, befunden, dass die Höhe der finanziellen Bedürfnisse des überlebenden Ehegatten und seine etwaige finanzielle Abhängigkeit von dem verstorbenen aktiven oder ehemaligen Beamten keine zu berücksichtigenden Kriterien sind.

49      Somit ist festzustellen, dass für die Zwecke der Gewährung einer Hinterbliebenenversorgung nach Art. 18 oder Art. 20 des Anhangs VIII des Statuts kein Unterschied besteht zwischen der Situation des überlebenden Ehegatten eines ehemaligen Beamten, der vor seinem Ausscheiden aus dem Dienst die Ehe geschlossen hat, und derjenigen des überlebenden Ehegatten eines ehemaligen Beamten, der nach seinem Ausscheiden aus dem Dienst die Ehe geschlossen hat.

50      Nach alledem liegt eine Ungleichbehandlung vergleichbarer Sachverhalte je nach dem Zeitpunkt der Eheschließung vor, da nur dieser für die Anwendung der unterschiedlichen Mindestehedauervoraussetzungen nach den Art. 18 bzw. 20 des Anhangs VIII des Statuts maßgeblich ist.

51      Diese Ungleichbehandlung führt dazu, dass die überlebenden Ehegatten ehemaliger Beamter, die nach deren Ausscheiden aus dem Dienst die Ehe geschlossen haben und für die die Regelung des Art. 20 des Anhangs VIII des Statuts gilt, gegenüber den überlebenden Ehegatten ehemaliger Beamter, die vor deren Ausscheiden aus dem Dienst geheiratet haben und die unter Art. 18 dieses Anhangs fallen, im Sinne der oben in Rn. 37 angeführten Rechtsprechung benachteiligt werden.

52      In diesem Zusammenhang ist ferner darauf hinzuweisen, dass das in Art. 20 des Anhangs VIII des Statuts aufgestellte Erfordernis einer Mindestehedauer von fünf Jahren überlebende Ehegatten, die einen ehemaligen Beamten geheiratet haben, in besonderer Weise benachteiligt, weil Letzterer angesichts dessen, dass das Ausscheiden eines Beamten aus dem Dienst in den allermeisten Fällen der Versetzung in den Ruhestand in dem im Statut festgelegten Alter entspricht, älter ist als ein Beamter im aktiven Dienst. So haben ehemalige Beamte, auf die sich Art. 20 des Anhangs VIII des Statuts bezieht, im Allgemeinen in einem höheren Alter geheiratet als ehemalige Beamte, auf die sich Art. 18 des Anhangs VIII des Statuts bezieht und die vor ihrem Ausscheiden aus dem Dienst geheiratet haben. Folglich haben überlebende Ehegatten, die einen ehemaligen Beamten geheiratet haben, in der Regel größere Schwierigkeiten, die in dem besagten Art. 20 vorgesehene Voraussetzung der Mindestehedauer – die fünf Jahre beträgt – zu erfüllen, als überlebende Ehegatten, die einen Beamten vor dem Ausscheiden aus dem Dienst geheiratet haben und für die Art. 18 des Anhangs VIII des Statuts nur eine Mindestehedauer von einem Jahr vorsieht.

53      Somit ist die in Art. 20 des Anhangs VIII des Statuts vorgesehene Behandlung der überlebenden Ehegatten, die einen ehemaligen Beamten nach dessen Ausscheiden aus dem Dienst geheiratet haben, wegen der dort vorgeschriebenen Mindestehedauer von fünf Jahren ungünstiger als die in Art. 18 dieses Anhangs vorgesehene Behandlung der überlebenden Ehegatten, die geheiratet haben, als der Beamte noch im aktiven Dienst stand und im Allgemeinen jünger war als ein ehemaliger Beamter.

54      Es ist also auch eine mittelbar auf dem Alter des ehemaligen Beamten zum Zeitpunkt der Eheschließung beruhende Ungleichbehandlung vergleichbarer Sachverhalte gegeben.

55      Das vom Parlament angeführte Urteil vom 24. November 2016, Parris (C‑443/15, EU:C:2016:897), vermag dieses Ergebnis nicht in Frage zu stellen. Vielmehr bejahte der Gerichtshof in jenem Urteil eine unmittelbar auf dem Kriterium des Alters beruhende Ungleichbehandlung durch die in Rede stehende nationale Regelung, die im Rahmen eines betrieblichen Versorgungssystems den Anspruch überlebender eingetragener Lebenspartner von Mitgliedern auf eine Hinterbliebenenrente davon abhängig machte, dass die eingetragene Lebenspartnerschaft vor Vollendung des 60. Lebensjahrs des Mitglieds geschlossen wurde (Urteil vom 24. November 2016, Parris, C‑443/15, EU:C:2016:897, Rn. 68). Jenes Urteil spricht somit tendenziell für das Vorliegen einer Ungleichbehandlung aufgrund des Alters.

 Zur Erfüllung der in Art. 52 Abs. 1 der Charta genannten Kriterien und zur Rechtfertigung der Ungleichbehandlung

56      Vorab ist darauf hinzuweisen, dass die durch Art. 20 des Anhangs VIII des Statuts eingeführte Ungleichbehandlung „gesetzlich“ vorgesehen im Sinne von Art. 52 Abs. 1 der Charta ist, da die fragliche Bestimmung ihren Ursprung im Statut hat.

57      Zur Rechtfertigung der streitigen Ungleichbehandlung trägt die Kommission im Übrigen vor, die Voraussetzung einer Mindestehedauer von fünf Jahren diene der Vorbeugung von Betrug, dessen Gefahr im dem Maße steige, wie der Tod absehbarer werde. Es gehe im Wesentlichen darum, den Beamten zu schützen, der Opfer einer unehrlichen Person geworden sei, die darauf aus sei, eine reine Scheinehe allein zu dem Zweck zu schließen, die Hinterbliebenenversorgung zu beziehen.

58      Vorab ist darauf hinzuweisen, dass der Grundsatz des Verbots von Betrug und Rechtsmissbrauch nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs einen allgemeinen Grundsatz des Unionsrechts darstellt, der von den Rechtsunterworfenen zu beachten ist (Urteil vom 19. Dezember 2019, HK/Kommission, C‑460/18 P, EU:C:2019:1119, Rn. 88 und 89). Die Betrugsbekämpfung ist somit ein im Allgemeininteresse liegendes Ziel.

59      Insoweit ergibt sich aus dem Urteil vom 19. Dezember 2019, HK/Kommission (C‑460/18 P, EU:C:2019:1119, Rn. 89 und 90), im Wesentlichen, dass eine Voraussetzung einer Mindestehedauer von einem Jahr, wie sie in Art. 17 des Anhangs VIII des Statuts vorgesehen ist, sicherstellen soll, dass die Beziehungen zwischen den betreffenden Personen tatsächlich gegeben und beständig waren, und insoweit im Hinblick auf das Ziel der Betrugsbekämpfung nicht offensichtlich unangemessen erscheint.

60      Es erscheint daher nicht unvernünftig, den Anspruch des überlebenden Ehegatten eines Beamten oder eines ehemaligen Beamten auf Hinterbliebenenversorgung davon abhängig zu machen, dass die Ehe die Voraussetzung einer Mindestdauer erfüllt hat. Durch eine solche Voraussetzung kann sichergestellt werden, dass die Eheschließung nicht ausschließlich auf Erwägungen beruht, die nichts mit einem gemeinsamen Lebensentwurf zu tun haben, wie z. B. rein finanziellen Erwägungen oder Erwägungen im Zusammenhang mit der Erlangung eines Aufenthaltsrechts.

61      Allerdings ist darauf hinzuweisen, dass Art. 20 des Anhangs VIII des Statuts, der für den Fall gilt, dass die Ehe nach dem Ausscheiden des Beamten aus dem Dienst geschlossen wurde, eine fünfmal längere Mindestehedauer vorgibt, als sie in Art. 18 des Anhangs VIII des Statuts für den Fall vorgesehen ist, dass die Ehe vor dem Ausscheiden des Beamten aus dem Dienst geschlossen wurde.

62      Insoweit ist unstreitig, dass der Unionsgesetzgeber bei der Festlegung einer Schwelle wie derjenigen einer Mindestehedauer von fünf Jahren im Rahmen von Art. 20 des Anhangs VIII des Statuts über einen weiten Beurteilungsspielraum verfügt. Wie die Klägerin im Wesentlichen geltend macht und wie sich aus der oben in den Rn. 40 bis 42 angeführten Rechtsprechung ergibt, ist dieser Spielraum jedoch nicht grenzenlos und muss unter Beachtung der allgemeinen Grundsätze des Unionsrechts wie der Grundsätze der Gleichbehandlung und der Verhältnismäßigkeit ausgeübt werden.

63      Somit bleibt zu prüfen, ob die nach Art. 20 des Anhangs VIII des Statuts geforderte Voraussetzung hinsichtlich der Mindestehedauer, die ohne jede mögliche Ausnahme gilt, nicht offensichtlich über das hinausgeht, was erforderlich ist, um einen Betrug auszuschließen.

64      Hierzu ist zunächst festzustellen, dass die Akte keine überzeugenden Erläuterungen oder Beweise für die von der Kommission aufgestellte Prämisse enthält, dass die Wahrscheinlichkeit der Schließung einer betrügerischen Ehe nach dem Ausscheiden von Beamten aus dem Dienst zunimmt, so dass es z. B. bei einem Beamten, der am Tag vor dem Ausscheiden aus dem Dienst heiratet, weniger wahrscheinlich wäre, dass er eine betrügerische Ehe schließt, als bei einem Beamten, der am Tag nach dem Ausscheiden aus dem Dienst heiratet. Die Kommission hat auch nicht erklärt, warum sich ein aus dem Dienst ausgeschiedener Beamter weniger als ein noch im Dienst befindlicher Beamter gegen die betrügerischen Absichten einer Person, die ihn heiraten will, wappnen könnte, so dass es notwendig wäre, eine fünfmal längere Mindestehedauer vorzugeben, wenn die Ehe nach dem Ausscheiden des Beamten aus dem Dienst geschlossen wird.

65      Außerdem ist festzustellen, dass Art. 20 des Anhangs VIII des Statuts, wie die Klägerin im Wesentlichen geltend macht, faktisch bei Ehen, deren Dauer weniger als fünf Jahre beträgt, eine allgemeine Betrugsvermutung aufstellt. Diese Vermutung kann nicht entkräftet werden, so dass sie unwiderlegbar ist.

66      Daraus folgt, dass für die Anwendung von Art. 20 des Anhangs VIII des Statuts Ehen, auch wenn sie in gutem Glauben eingegangen wurden, als betrügerisch gelten, wenn sie weniger als fünf Jahre bestanden haben.

67      Nach gefestigter Rechtsprechung kann aber eine allgemeine Betrugsvermutung nicht eine Maßnahme rechtfertigen, die die Ziele des AEU‑Vertrags beeinträchtigt (vgl. Urteil vom 19. Dezember 2012, Kommission/Belgien, C‑577/10, EU:C:2012:814, Rn. 53 und die dort angeführte Rechtsprechung).

68      Außerdem ist die Dauer der Ehe nicht notwendigerweise der einzige Aspekt, der für deren Ernsthaftigkeit spricht (vgl. entsprechend Urteile vom 20. Juni 2013, Giersch u. a., C‑20/12, EU:C:2013:411, Rn. 72 und 73 sowie die dort angeführte Rechtsprechung, und vom 18. Juli 2013, Prinz und Seeberger, C‑523/11 und C‑585/11, EU:C:2013:524, Rn. 36 und 37 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).

69      Art. 20 des Anhangs VIII des Statuts verwendet jedoch ausschließlich die Voraussetzung einer Mindestehedauer von fünf Jahren, ohne irgendeine Ausnahme vorzusehen, so dass es für den überlebenden Ehegatten, der eine Ehe nach dem Ausscheiden des ehemaligen Beamten aus dem Dienst geschlossen hat, unmöglich ist, geltend zu machen, dass die Ehe in gutem Glauben geschlossen wurde, ganz gleich welche objektiven Beweise er dafür vorlegen könnte. Damit begründet diese Vorschrift eine allgemeine und unwiderlegbare Betrugsvermutung für Ehen, die weniger als fünf Jahre bestanden.

70      Dagegen sieht Art. 18 Abs. 2 des Anhangs VIII des Statuts objektive Umstände vor, unter denen keine Mindestehedauer erforderlich ist, nämlich die Geburt eines Kindes aus der Ehe des Beamten vor seinem Ausscheiden aus dem Dienst, sofern der überlebende Ehegatte für dieses Kind sorgt oder gesorgt hat. Der Gesetzgeber ging somit im Fall einer vor dem Eintritt des ehemaligen Beamten in den Ruhestand geschlossenen Ehe davon aus, dass es objektive Umstände gebe, die es ermöglichten, die Betrugsvermutung zu widerlegen.

71      Die vorstehend in Rn. 70 genannten objektiven Umstände stellen eindeutige Kriterien für eine effiziente Verwaltung der Hinterbliebenenversorgung unter Beachtung des Grundsatzes der Rechtssicherheit dar.

72      Im vorliegenden Fall gibt es, auch wenn die Ehe der Klägerin mit dem ehemaligen Beamten nach dem Ausscheiden ihres Ehegatten aus dem Dienst geschlossen wurde, objektive Anhaltspunkte, die belegen können, dass es sich nicht um eine betrügerische Ehe handelte. Die Klägerin lebte nämlich fast 20 Jahre mit dem ehemaligen Beamten zusammen, bevor sie 2004 eine notarielle Partnerschaft mit diesem in Deutschland schloss. Auf diese in der Folge im Jahr 2009 in Belgien beurkundete Partnerschaft folgte im Jahr 2017 eine Ehe. Mithin gab es durchaus einen gemeinsamen Lebensentwurf, der mehr als 35 Jahre Bestand hatte. Im Übrigen haben weder die Kommission noch das Parlament vorgetragen, dass dem vorliegenden Fall ein Betrug anhafte.

73      Darüber hinaus ist das Erfordernis einer Mindestehedauer von fünf Jahren angesichts des allgemein höheren Alters der von Art. 20 des Anhangs VIII des Statuts erfassten ehemaligen Beamten für überlebende Ehegatten, die einen solchen ehemaligen Beamten geheiratet haben, besonders schwer zu erfüllen. Es ist daher geeignet, eine erhebliche Anzahl dieser Ehegatten, auch wenn sie das Nichtvorliegen von Betrug hätten nachweisen können, vom Anspruch auf Hinterbliebenenversorgung auszuschließen.

74      Insoweit entschied zwar der Gerichtshof im Urteil vom 24. November 2016, Parris (C‑443/15, EU:C:2016:897), dass eine nationale Regelung, die im Rahmen eines betrieblichen Versorgungssystems den Anspruch überlebender eingetragener Lebenspartner von Mitgliedern des Systems auf eine Hinterbliebenenversorgung an die Voraussetzung knüpfte, dass die eingetragene Lebenspartnerschaft vor Vollendung des 60. Lebensjahrs des Mitglieds geschlossen worden war, obwohl es diesem nach nationalem Recht vor Erreichen dieser Altersgrenze nicht möglich gewesen war, eine eingetragene Lebenspartnerschaft zu schließen, keine Diskriminierung aufgrund des Alters darstellte (Urteil vom 24. November 2016, Parris, C‑443/15, EU:C:2016:897, Rn. 78).

75      Allerdings hatte der Gerichtshof, wie oben in Rn. 55 ausgeführt, in einem ersten Schritt eine Ungleichbehandlung aufgrund des Alters in jener Rechtssache festgestellt. In einem zweiten Schritt prüfte er, ob eine solche Ungleichbehandlung im Hinblick auf Art. 2 und Art. 6 Abs. 2 der Richtlinie 2000/78/EG des Rates vom 27. November 2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf (ABl. 2000, L 303, S. 16) gerechtfertigt werden konnte.

76      So wies er darauf hin, dass die Mitgliedstaaten nach Art. 6 Abs. 2 der Richtlinie 2000/78 vorsehen können, dass bei den betrieblichen Systemen der sozialen Sicherheit die Festsetzung von Altersgrenzen als Voraussetzung für die Mitgliedschaft oder den Bezug von Altersrente oder von Leistungen bei Invalidität keine Diskriminierung wegen des Alters darstellt. Auf der Grundlage dieser speziellen Bestimmung gelangte der Gerichtshof zu dem Ergebnis, dass die durch die fragliche nationale Regelung begründete Ungleichbehandlung wegen des Alters keine solche Diskriminierung darstellte. Das Parlament hat jedoch in keiner Weise erläutert, inwiefern diese Bestimmung in einem Fall wie dem vorliegenden, der die Durchführung einer Bestimmung des Statuts betrifft, Anwendung finden könnte.

77      Schließlich ist darauf hinzuweisen, dass der Gesetzgeber im Statut nicht immer jede individuelle Beurteilung ausgeschlossen hat. So sieht Art. 1 Abs. 2 Buchst. d des Anhangs VII des Statuts vor, dass ein Beamter, der die Voraussetzungen für die Gewährung der Haushaltszulage nicht erfüllt, jedoch tatsächlich Familienlasten zu tragen hat, die Zulage „auf Grund einer besonderen, mit Gründen versehenen und auf beweiskräftige Unterlagen gestützten Verfügung der Anstellungsbehörde“ erhalten kann.

78      Nach alledem ist es unvernünftig, anzunehmen, dass die in Art. 20 des Anhangs VIII des Statuts vorgesehene Voraussetzung einer Mindestehedauer von fünf Jahren, also einer fünfmal längeren Dauer als in Art. 18 des Anhangs VIII des Statuts vorgesehen, die ungeachtet der vorgelegten objektiven Beweise keine Ausnahme zulässt, die es ermöglichen würde, das Nichtvorliegen von Betrug festzustellen, erforderlich sein könnte, um das Ziel der Betrugsbekämpfung zu erreichen.

79      Folglich begründet Art. 20 des Anhangs VIII des Statuts eine Ungleichbehandlung von überlebenden Ehegatten ehemaliger Beamter, die nicht durch das Ziel der Betrugsbekämpfung gerechtfertigt ist, da sie zu dessen Erreichung nicht erforderlich ist.

80      Außerdem missachtet Art. 20 des Anhangs VIII des Statuts, indem er eine allgemeine und unwiderlegbare Betrugsvermutung gegenüber Paaren einführt, deren Ehe weniger als fünf Jahre gedauert hat, obwohl eine allgemeine Betrugsvermutung nicht eine Maßnahme rechtfertigen kann, die die Ziele des AEU-Vertrags beeinträchtigt, den Wesensgehalt des Rechts auf Gleichbehandlung und des Verbots jeder Diskriminierung.

81      Mithin verstößt Art. 20 des Anhangs VIII des Statuts gegen den allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatz und gegen den Grundsatz der Nichtdiskriminierung aufgrund des Alters. Der von der Klägerin erhobenen Einrede der Rechtswidrigkeit ist daher stattzugeben.

82      Damit wird der angefochtenen Entscheidung, die auf der Grundlage von Art. 20 des Anhangs VIII des Statuts erlassen wurde, die Rechtsgrundlage entzogen, so dass sie aufzuheben ist, wobei die andere in der Klageschrift erhobene Rüge dahinstehen kann.

 Kosten

83      Nach Art. 134 Abs. 1 der Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da die Kommission im Wesentlichen unterlegen ist, sind ihr gemäß dem Antrag der Klägerin die Kosten aufzuerlegen.

84      Im Übrigen tragen nach Art. 138 Abs. 1 der Verfahrensordnung die Organe, die dem Rechtsstreit als Streithelfer beigetreten sind, ihre eigenen Kosten. Daher sind dem Parlament und dem Rat jeweils ihre eigenen Kosten aufzuerlegen.

Aus diesen Gründen hat

DAS GERICHT (Siebte Kammer)

für Recht erkannt und entschieden:

1.      Die Entscheidung der Europäischen Kommission vom 7. Oktober 2019, mit der der Antrag von KM auf Gewährung von Hinterbliebenenversorgung abgelehnt wurde, wird aufgehoben.

2.      Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

3.      Die Kommission trägt neben ihren eigenen Kosten die Kosten von KM.

4.      Das Europäische Parlament und der Rat der Europäischen Union tragen jeweils ihre eigenen Kosten.

da Silva Passos

Reine

Truchot

Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 24. März 2021.

Unterschriften


*      Verfahrenssprache: Deutsch.