Language of document : ECLI:EU:T:2020:313

URTEIL DES GERICHTS (Zweite erweiterte Kammer)

8. Juli 2020(*)

„Wirtschafts- und Währungspolitik – Beaufsichtigung von Kreditinstituten – Art. 18 Abs. 1 der Verordnung (EU) Nr. 1024/2013 – Von der EZB gegenüber einem Kreditinstitut wegen Verstoßes gegen Art. 77 Buchst. a der Verordnung (EU) Nr. 575/2013 verhängte Verwaltungsgeldbuße – Modalitäten der Veröffentlichung auf der Website der EZB – Art. 18 Abs. 6 der Verordnung Nr. 1024/2013 und Art. 132 Abs. 1 der Verordnung (EU) Nr. 468/2014“

In der Rechtssache T‑203/18,

VQ, Prozessbevollmächtigte: G. Cahill, Barrister,

Klägerin,

gegen

Europäische Zentralbank (EZB), vertreten durch E. Koupepidou, E. Yoo und M. Puidokas als Bevollmächtigte,

Beklagte,

unterstützt durch

Rat der Europäischen Union, vertreten durch I. Gurov und J. Bauerschmidt als Bevollmächtigte,

und

Europäische Kommission, vertreten durch L. Armati, A. Steiblytė, K.‑P. Wojcik und A. Nijenhuis als Bevollmächtigte,

Streithelfer,

betreffend einen Antrag gemäß Art. 263 AEUV auf Nichtigerklärung des nach Art. 18 Abs. 1 der Verordnung (EU) Nr. 1024/2013 des Rates vom 15. Oktober 2013 zur Übertragung besonderer Aufgaben im Zusammenhang mit der Aufsicht über Kreditinstitute auf die Europäische Zentralbank (ABl. 2013, L 287, S. 63) erlassenen Beschlusses ECB‑SSM‑2018‑ESSAB‑4, SNC‑2016‑0026 der EZB vom 14. März 2018, soweit darin zum einen eine Verwaltungsgeldbuße in Höhe von 1 600 000 Euro gegen die Klägerin verhängt wurde und zum anderen die Veröffentlichung dieser Verwaltungsgeldbuße ohne Anonymisierung des Namens der Klägerin auf der Website der EZB verfügt wurde,

erlässt

DAS GERICHT (Zweite erweiterte Kammer)

unter Mitwirkung des Präsidenten S. Papasavvas sowie der Richterin V. Tomljenović, des Richters F. Schalin, der Richterin P. Škvařilová-Pelzl und des Richters I. Nõmm (Berichterstatter),

Kanzler: E. Coulon,

folgendes

Urteil

 Vorgeschichte des Rechtsstreits

1        Die Klägerin, VQ, ist ein Kreditinstitut, das aufgrund seiner Bedeutung der Aufsicht der Europäischen Zentralbank (EZB) unterliegt.

2        Am 27. Dezember 2016 übermittelte die Untersuchungsstelle der EZB der Klägerin eine Mitteilung der Beschwerdepunkte gemäß Art. 126 Abs. 1 und 2 der Verordnung (EU) Nr. 468/2014 der EZB vom 16. April 2014 zur Einrichtung eines Rahmenwerks für die Zusammenarbeit zwischen der EZB und den nationalen zuständigen Behörden und den nationalen benannten Behörden innerhalb des einheitlichen Aufsichtsmechanismus (SSM-Rahmenverordnung, ABl. 2014, L 141, S. 1). Es wurde beanstandet, dass die Klägerin zwischen dem 1. Januar 2014 und dem 7. November 2016 Rückkäufe eigener Anteile getätigt habe, ohne zuvor die Erlaubnis der zuständigen Behörde eingeholt zu haben, und insoweit gegen Art. 77 Buchst. a der Verordnung (EU) Nr. 575/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 über Aufsichtsanforderungen an Kreditinstitute und Wertpapierfirmen und zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 648/2012 (ABl. 2013, L 176, S. 1, Berichtigungen im ABl. 2013, L 208, S. 68, und im ABl. 2013, L 321, S. 6) verstoßen habe. Gemäß Art. 521 Abs. 1 und 2 der Verordnung Nr. 575/2013 ist diese Bestimmung, die am 28. Juni 2013 in Kraft getreten ist, erst am 1. Januar 2014 anwendbar geworden.

3        Mit Schreiben vom 10. Februar 2017 nahm die Klägerin zu der Mitteilung der Beschwerdepunkte Stellung.

4        Am 29. Juni 2017 übersandte die Untersuchungsstelle der EZB der Klägerin einen Beschlussentwurf, um ihr die Möglichkeit zu geben, sich schriftlich zum Betrag der in Aussicht genommenen Verwaltungsgeldbuße in Höhe von 1 600 000 Euro zu äußern.

5        Am 17. und 18. Juli 2017 nahm die Klägerin zu diesem Beschlussentwurf schriftlich Stellung.

6        Am 23. November 2017 erließ die EZB einen Beschluss gemäß Art. 18 Abs. 1 der Verordnung (EU) Nr. 1024/2013 des Rates vom 15. Oktober 2013 zur Übertragung besonderer Aufgaben im Zusammenhang mit der Aufsicht über Kreditinstitute auf die EZB (ABl. 2013, L 287, S. 63), mit dem sie erstens feststellte, dass die Klägerin durch den Rückkauf eigener Anteile zwischen dem 1. Januar 2014 und dem 7. November 2016 gegen die in Art. 77 Buchst. a der Verordnung Nr. 575/2013 vorgesehene Verpflichtung zur Einholung der Erlaubnis der zuständigen Behörde vor dem Rückkauf von Instrumenten des harten Kernkapitals verstoßen habe, zweitens eine Verwaltungsgeldbuße in Höhe von 1 600 000 Euro gegen die Klägerin verhängte und drittens entschied, die Verwaltungsgeldbuße ohne Anonymisierung des Namens der Klägerin auf ihrer Website zu veröffentlichen.

7        Am 22. Dezember 2017 beantragte die Klägerin eine Überprüfung dieses Beschlusses gemäß Art. 24 Abs. 1, 5 und 6 der Verordnung Nr. 1024/2013 in Verbindung mit Art. 7 des Beschlusses 2014/360/EU der EZB vom 14. April 2014 zur Einrichtung eines administrativen Überprüfungsausschusses und zur Festlegung der Vorschriften für seine Arbeitsweise (ABl. 2014, L 175, S. 47). Am 25. Januar 2018 fand vor dem administrativen Überprüfungsausschuss eine mündliche Anhörung statt.

8        Am 21. Februar 2018 gab der administrative Überprüfungsausschuss eine Stellungnahme ab, in der er die Rechtmäßigkeit des Beschlusses der EZB feststellte.

9        Am 14. März 2018 erließ die EZB gemäß Art. 18 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1024/2013 den Beschluss ECB-SSM-2018-ESSAB-4, SNC-2016-0026, der den Beschluss vom 23. November 2017 gemäß Art. 24 Abs. 7 der Verordnung aufhob und ersetzte, jedoch den gleichen Inhalt hatte (im Folgenden: angefochtener Beschluss).

10      Als Erstes stellte die EZB das Vorliegen eines Verstoßes der Klägerin fest. Sie wies darauf hin, dass seit dem Inkrafttreten der Verordnung Nr. 575/2013 am 1. Januar 2014 Art. 77 Buchst. a der Verordnung sowie Art. 29 Abs. 1 und Art. 31 Abs. 1 der Delegierten Verordnung (EU) Nr. 241/2014 der Kommission vom 7. Januar 2014 zur Ergänzung der Verordnung (EU) Nr. 575/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates im Hinblick auf technische Regulierungsstandards für die Eigenmittelanforderungen an Institute (ABl. 2014, L 74, S. 8) vorsehe, dass ein Kreditinstitut, das Instrumente des harten Kernkapitals zurückkaufen wolle, zuvor die Erlaubnis der zuständigen Behörde einholen müsse. Seit dem 4. November 2014 sei die EZB die zuständige Behörde im Sinne der Verordnung. Zuvor sei diese Aufgabe in Bezug auf die Klägerin von der Banco de España wahrgenommen worden.

11      Die Klägerin habe Rückkäufe eigener Anteile getätigt, ohne zuvor die Erlaubnis der zuständigen Behörde im Sinne der Verordnung Nr. 575/2013 eingeholt zu haben. Am 16. März 2016 habe die Klägerin das gemeinsame Aufsichtsteam um eine Klarstellung hinsichtlich der Anwendbarkeit von Art. 77 der Verordnung Nr. 575/2013 auf Transaktionen mit eigenen Anteilen ersucht, woraufhin das gemeinsame Aufsichtsteam am 23. März 2016 die Anwendbarkeit bestätigt habe. Dennoch habe die Klägerin die Rückkäufe eigener Anteile zwischen dem 24. März und dem 7. November 2016 ohne Erlaubnis fortgesetzt.

12      Folglich habe die Klägerin zwischen dem 1. Januar 2014 und dem 7. November 2016 gegen Art. 77 Buchst. a der Verordnung Nr. 575/2013 in Verbindung mit Art. 29 Abs. 1 und Art. 31 Abs. 1 der Delegierten Verordnung Nr. 241/2014 verstoßen, und dieser Verstoß sei zwischen dem 1. Januar 2014 und dem 23. März 2016 zumindest fahrlässig sowie zwischen dem 24. März und dem 7. November 2016 vorsätzlich begangen worden.

13      Als Zweites verhängte die EZB aufgrund dieses Verstoßes eine Verwaltungsgeldbuße in Höhe von 1 600 000 Euro gegen die Klägerin. Sie wies darauf hin, dass sie gemäß Art. 18 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1024/2013 berechtigt sei, eine Verwaltungsgeldbuße zu verhängen, wenn gegen eine Anforderung aus direkt anwendbaren Rechtsakten der Union verstoßen werde und den zuständigen Behörden nach dem Unionsrecht wegen dieses Verstoßes die Möglichkeit zur Verfügung gestellt werde, Verwaltungsgeldbußen zu verhängen. Gemäß Art. 18 Abs. 3 der Verordnung müssten die Sanktionen „wirksam, verhältnismäßig und abschreckend“ sein.

14      Als mildernden Umstand berücksichtigte die EZB die Tatsache, dass die Klägerin selbst das gemeinsame Aufsichtsteam über das den Verstoß darstellende Verhalten informiert habe und sie nach dem 7. November 2016 ihre Verpflichtungen gemäß Art. 77 Buchst. a der Verordnung Nr. 575/2013 eingehalten habe. Darüber hinaus berücksichtigte sie den Umstand, dass die Klägerin während des Zeitraums der Zuwiderhandlung ihre Anteilsrückkäufe in ihren Meldungen über ihre Eigenmittelanforderungen korrekt abgezogen habe.

15      Sie war der Auffassung, dass eine Verwaltungsgeldbuße in Höhe von 1 600 000 Euro, die 0,03 % des Jahresumsatzes der Klägerin darstellte, eine verhältnismäßige Sanktion sei.

16      Als Drittes beschloss die EZB die Veröffentlichung der verhängten Verwaltungsgeldbuße ohne Anonymisierung des Namens der Klägerin auf der Website der EZB. Sie wies darauf hin, dass sowohl dem 38. Erwägungsgrund der Richtlinie 2013/36/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 über den Zugang zur Tätigkeit von Kreditinstituten und die Beaufsichtigung von Kreditinstituten und Wertpapierfirmen, zur Änderung der Richtlinie 2002/87/EG und zur Aufhebung der Richtlinien 2006/48/EG und 2006/49/EG (ABl. 2013, L 176, S. 338) als auch Art. 18 Abs. 6 der Verordnung Nr. 1024/2013 zu entnehmen sei, dass Verwaltungssanktionen grundsätzlich zu veröffentlichen seien, um den Abschreckungseffekt zu gewährleisten. Die Klägerin habe nicht nachgewiesen, dass sie die Voraussetzungen von Art. 132 Abs. 1 der SSM-Rahmenverordnung erfülle, wonach die anonymisierte Veröffentlichung einer Verwaltungsgeldbuße möglich sei.

17      Am 15. März 2018 teilte die Klägerin der EZB mit, dass sie beabsichtige, beim Gericht eine Nichtigkeitsklage einzulegen und einen Antrag auf einstweilige Anordnung in Bezug auf die Veröffentlichung der verhängten Sanktion zu stellen.

18      Am 20. März 2018 teilte die EZB der Klägerin mit, dass sie beabsichtige, die Verwaltungsgeldbuße zwischen Mittwoch, 21. März 2018, abends und Donnerstag, 22. März 2018, morgens zu veröffentlichen.

19      Am 22. März 2018 morgens setzte die Klägerin die EZB davon in Kenntnis, dass sie beabsichtige, eine Klage auf Nichtigerklärung des angefochtenen Beschlusses einzulegen und einen Antrag auf einstweilige Anordnung zu stellen. Am gleichen Tag setzte die EZB der Klägerin eine Frist bis zum 23. März 2018, 12 Uhr, um den Antrag zu stellen. Andernfalls werde die EZB die Sanktion am 26. März 2018 auf ihrer Website veröffentlichen.

20      Am 8. Mai 2018 wurde die gegen die Klägerin verhängte Verwaltungsgeldbuße auf der Website der EZB veröffentlicht.

 Verfahren und Anträge der Parteien

21      Mit Klageschrift, die am 23. März 2018 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen ist, hat die Klägerin die vorliegende Klage erhoben. Mit Schriftsatz, der am gleichen Tag bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen ist, hat die Klägerin die Anonymisierung beantragt.

22      Mit besonderem Schriftsatz, der am 26. März 2018 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen ist, hat die Klägerin einen Antrag auf einstweilige Anordnung nach den Art. 278 und 279 AEUV gestellt, mit dem sie im Wesentlichen beim Präsidenten des Gerichts die Aussetzung des Vollzugs von Rn. 5 des angefochtenen Beschlusses, die die Veröffentlichung der verhängten Verwaltungsgeldbuße betrifft, und, hilfsweise, die Aussetzung des Vollzugs von Rn. 5, soweit sie die Veröffentlichung der Verwaltungsgeldbuße ohne Anonymisierung des Namens der Klägerin vorsieht, beantragt hat.

23      Der Antrag der Klägerin wurde mit Beschluss vom 3. Mai 2018, VQ/EZB (T‑203/18 R, nicht veröffentlicht, EU:T:2018:261), unter Vorbehaltung der Kostenentscheidung zurückgewiesen.

24      Mit Beschluss vom 8. Juni 2018 hat der Präsident der Zweiten Kammer (frühere Besetzung) dem Antrag der Klägerin auf Anonymisierung stattgegeben.

25      Mit Schriftsätzen, die am 15. Juni bzw. am 9. Juli 2018 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen sind, haben der Rat der Europäischen Union und die Europäische Kommission beantragt, als Streithelfer zur Unterstützung der Anträge der EZB zugelassen zu werden. Mit Beschlüssen vom 27. Juli bzw. 17. August 2018 hat der Präsident der Zweiten Kammer (frühere Besetzung) des Gerichts den Rat und die Kommission zur Unterstützung der Anträge der EZB zugelassen.

26      Auf Vorschlag des Berichterstatters hat das Gericht im Rahmen prozessleitender Maßnahmen nach Art. 89 seiner Verfahrensordnung die EZB zur Beantwortung einer Frage und die anderen Parteien zur Stellungnahme aufgefordert. Die Parteien sind dieser Aufforderung fristgemäß nachgekommen.

27      Im Zuge einer Änderung der Zusammensetzung der Kammern des Gerichts ist die Rechtssache einem neuen Berichterstatter zugewiesen worden, der der Zweiten Kammer zugeteilt worden ist, an die die vorliegende Rechtssache demzufolge verwiesen worden ist.

28      Auf Vorschlag der Zweiten Kammer des Gerichts hat das Gericht die Rechtssache gemäß Art. 28 der Verfahrensordnung an einen erweiterten Spruchkörper verwiesen.

29      Die Parteien haben innerhalb der vorgesehenen Frist keinen Antrag auf mündliche Verhandlung gemäß Art. 106 der Verfahrensordnung gestellt.

30      Das Gericht (Zweite erweiterte Kammer) hat gemäß Art. 106 Abs. 3 der Verfahrensordnung beschlossen, ohne mündliche Verhandlung zu entscheiden.

31      Die Klägerin beantragt,

–        den angefochtenen Beschluss für nichtig zu erklären;

–        gemäß Art. 277 AEUV festzustellen, dass Art. 18 Abs. 6 der Verordnung Nr. 1024/2013 rechtswidrig ist, und daher den angefochtenen Beschluss für nichtig zu erklären;

–        der EZB die Kosten aufzuerlegen.

32      Die EZB und die Kommission beantragen,

–        die Klage abzuweisen;

–        der Klägerin die Kosten aufzuerlegen.

33      Der Rat beantragt im Wesentlichen, die von der Klägerin erhobene Einrede der Rechtswidrigkeit von Art. 18 Abs. 6 der Verordnung Nr. 1024/2013 als offensichtlich unbegründet zurückzuweisen.

 Rechtliche Würdigung

34      Vorab ist festzustellen, dass die Klägerin mit ihrem zweiten Klageantrag beantragt, gemäß Art. 277 AEUV die Rechtswidrigkeit von Art. 18 Abs. 6 der Verordnung Nr. 1024/2013 festzustellen und daher den angefochtenen Beschluss für nichtig zu erklären.

35      Der Antrag ist dahin gehend zu verstehen, dass er darauf gerichtet ist, inzident die Rechtswidrigkeit von Art. 18 Abs. 6 der Verordnung Nr. 1024/2013 festzustellen. Folglich ist die Einrede der Rechtswidrigkeit, die die Klägerin nach Art. 277 AEUV erhebt, nur im Rahmen der Prüfung des Antrags der Klägerin auf Nichtigerklärung des angefochtenen Beschlusses zu prüfen.

36      Die Klägerin stützt ihre Klage auf drei Klagegründe: erstens auf einen Verstoß gegen Art. 18 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1024/2013 und Art. 49 Abs. 1 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden: Charta) sowie gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, zweitens auf einen Verstoß gegen Art. 132 Abs. 1 Buchst. b der SSM-Rahmenverordnung und drittens auf einen Verstoß gegen Art. 263 Abs. 6 AEUV und Art. 47 der Charta. Im Rahmen des dritten Klagegrundes beruft sich die Klägerin auch auf die Rechtswidrigkeit von Art. 18 Abs. 6 der Verordnung Nr. 1024/2013 im Zusammenhang mit einer Rüge, mit der sie im Wesentlichen beanstandet, dass der angefochtene Beschluss keine Rechtsgrundlage habe.

 Zum ersten Klagegrund: Verstoß gegen Art. 18 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1024/2013 und Art. 49 Abs. 1 der Charta sowie gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit

37      Im Rahmen des ersten Klagegrundes macht die Klägerin im Wesentlichen zwei Rügen geltend: erstens Verstoß gegen Art. 18 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1024/2013 und Art. 49 Abs. 1 der Charta sowie zweitens Verletzung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit.

 Zur ersten Rüge: Verstoß gegen Art. 18 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1024/2013 und Art. 49 Abs. 1 der Charta

38      Im angefochtenen Beschluss stellte die EZB fest, dass die Klägerin gegen Art. 77 Buchst. a der Verordnung Nr. 575/2013 verstoßen habe, als sie bestimmte Instrumente des harten Kernkapitals ohne vorherige Erlaubnis der zuständigen Behörde zurückgekauft habe, und verhängte wegen dieses Verstoßes eine Verwaltungssanktion gemäß Art. 18 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1024/2013.

39      Die Klägerin macht im Wesentlichen geltend, sie sei nicht verpflichtet gewesen, Art. 77 Buchst. a der Verordnung Nr. 575/2013 einzuhalten, solange alle der in Art. 78 Abs. 1 der Verordnung genannten Eigenmittelanforderungen nicht anwendbar gewesen seien. Folglich habe sie, da das in der Richtlinie 2013/36 vorgesehene Erfordernis, Kapitalerhaltungspuffer vorzuhalten, auf das Art. 78 Abs. 1 der Verordnung Nr. 575/2013 verweise, in Spanien erst seit dem 1. Januar 2016 anwendbar sei, vor diesem Zeitpunkt keinen Verstoß gegen Art. 77 Buchst. a der Verordnung Nr. 575/2013 begehen können. Somit habe sich die EZB, als sie aufgrund dieses Verhaltens eine Verwaltungsgeldbuße gegen die Klägerin verhängt habe, auf Bestimmungen der Richtlinie 2013/36 gestützt, die noch nicht anwendbar gewesen seien, und sowohl gegen Art. 18 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1024/2013 als auch gegen den in Art. 49 Abs. 1 der Charta verankerten Grundsatz der Gesetzmäßigkeit im Zusammenhang mit Straftaten und Strafen verstoßen.

40      Die EZB, unterstützt von der Kommission, weist das Vorbringen der Klägerin zurück.

41      Art. 18 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1024/2013 bestimmt: „Wenn Kreditinstitute, Finanzholdinggesellschaften oder gemischte Finanzholdinggesellschaften vorsätzlich oder fahrlässig gegen eine Anforderung aus direkt anwendbaren Rechtsakten der Union verstoßen und den zuständigen Behörden nach dem Unionsrecht wegen dieses Verstoßes die Möglichkeit, Verwaltungsgeldbußen zu verhängen, zur Verfügung gestellt wird, kann die EZB für die Zwecke der Wahrnehmung der ihr durch diese Verordnung übertragenen Aufgaben Verwaltungsgeldbußen … verhängen.“

42      Somit müssen zwei kumulative Voraussetzungen erfüllt sein, damit die EZB eine Verwaltungsgeldbuße verhängen kann. Die erste Voraussetzung hängt mit dem Ursprung des Verstoßes zusammen, der einen direkt anwendbaren Rechtsakt der Union betreffen muss. Die zweite Voraussetzung betrifft den Umstand, dass die zuständigen Behörden aufgrund der maßgeblichen Bestimmungen des Unionsrechts befugt sein müssen, wegen dieses Verstoßes eine Verwaltungsgeldbuße zu verhängen.

43      Im Rahmen des vorliegenden Klagegrundes beschränkt sich die Klägerin darauf, das Vorliegen der ersten Voraussetzung von Art. 18 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1024/2013 auf der Grundlage der oben in Rn. 39 dargelegten Argumentation zu bestreiten.

44      Dieses Vorbringen kann nicht durchgreifen.

45      Zwischen den Parteien steht fest, dass die Klägerin zwischen dem 1. Januar 2014 und dem 7. November 2016 Rückkäufe eigener Anteile tätigte, die zu den Instrumenten ihres harten Kernkapitals zählten, ohne zuvor die Erlaubnis der zuständigen Behörde einzuholen, d. h. der Banco de España und ab dem 4. November 2014 der EZB.

46      Art. 77 der Verordnung Nr. 575/2013 („Bedingungen für die Verringerung der Eigenmittel“) bestimmt:

„(1)      Ein Institut sucht für folgende Handlungen zuvor um die Erlaubnis der zuständigen Behörde nach:

a)      Verringerung, Rückzahlung oder Rückkauf von Instrumenten des harten Kernkapitals, die das Institut begeben hat, in einer gemäß dem einzelstaatlichen Recht zulässigen Weise;

b)      Kündigung, Rückzahlung bzw. Tilgung oder Rückkauf von Instrumenten des zusätzlichen Kernkapitals oder des Ergänzungskapitals vor ihrer vertraglichen Fälligkeit.“

47      Somit ist Art. 77 der Verordnung Nr. 575/2013 ein direkt anwendbarer Rechtsakt der Union, der Kreditinstitute verpflichtet, vor der Rückzahlung oder dem Rückkauf von u. a. Instrumenten des harten Kernkapitals eine Erlaubnis der zuständigen Behörde einzuholen.

48      Außerdem ist der Wortlaut von Art. 77 der Verordnung Nr. 575/2013 unmissverständlich und verpflichtet Kreditinstitute, eine vorherige Erlaubnis der zuständigen Behörde einzuholen. Diese Verpflichtung entsteht bereits durch das Eintreten der in den Buchst. a und b der Vorschrift genannten Fälle und nicht erst durch Anwendung von Bestimmungen anderer Rechtsakte der Union.

49      Dieses Ergebnis wird nicht durch das Vorbringen der Klägerin in Frage gestellt, wonach die zuständige Behörde ihre Kontrollbefugnis nach Art. 78 der Verordnung Nr. 575/2013 nicht habe ausüben können.

50      Es ist zwar zutreffend, dass Art. 77 der Verordnung Nr. 575/2013 der zuständigen Behörde ermöglichen soll, die ihr nach Art. 78 der Verordnung übertragene Aufgabe wahrzunehmen, die Auswirkungen einer von einem Institut beabsichtigten Verringerung der Eigenmittel im Hinblick auf die Einhaltung der Eigenmittelmindestanforderungen zu überwachen. Entgegen dem Vorbringen der Klägerin war die zuständige Behörde jedoch in der Lage, diese Kontrolle in Bezug auf die Klägerin auszuüben, und zwar bereits vor dem Inkrafttreten der Bestimmungen der Richtlinie 2013/36 über Eigenkapitalpuffer.

51      Art. 78 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 575/2013 („Erlaubnis der Aufsichtsbehörden zur Verringerung der Eigenmittel“) bestimmt:

„(1)      Die zuständige Behörde gibt einem Institut die Erlaubnis zu Verringerung, Rückkauf, Kündigung oder Rückzahlung bzw. Tilgung von Instrumenten des harten Kernkapitals, des zusätzlichen Kernkapitals oder des Ergänzungskapitals, wenn

b)      das Institut der zuständigen Behörde hinreichend nachgewiesen hat, dass seine Eigenmittel nach der betreffenden Handlung die Anforderungen nach Artikel 92 Absatz 1 und die kombinierte Kapitalpufferanforderung im Sinne des Artikels 128 Nr. 6 der Richtlinie 2013/36/EU um eine Spanne übertreffen, die die zuständige Behörde auf der Grundlage des Artikels 104 Absatz 3 der Richtlinie 2013/36/EU gegebenenfalls für erforderlich hält.“

52      Somit erfolgt die Bewertung der Auswirkungen einer von einem Institut beabsichtigten Verringerung der Eigenmittel im Hinblick auf die Mindesthöhe an Eigenmitteln, die ein Kreditinstitut nicht nur auf der Grundlage der Richtlinie 2013/36, sondern auch aufgrund der Verordnung Nr. 575/2013 vorhalten muss.

53      Da die in Art. 92 Abs. 1 der Verordnung Nr. 575/2013 genannten Eigenmittelanforderungen seit Anwendung dieser Verordnung in Kraft waren, war die zuständige Behörde in der Lage, die Auswirkungen der Rückkäufe eigener Anteile der Klägerin im Hinblick auf die sich aus dieser Vorschrift ergebenden Eigenmittelmindestanforderungen zu überprüfen.

54      Nach alledem hat die EZB nicht gegen Art. 18 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1024/2013 und den in Art. 49 Abs. 1 der Charta niedergelegten Grundsatz der Gesetzmäßigkeit im Zusammenhang mit Straftaten und Strafen verstoßen.

 Zur Rüge der Verletzung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit

–       Zur Zulässigkeit der Rüge

55      Die EZB macht geltend, die Rüge der Verletzung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit sei als unzulässig zurückzuweisen, da sie erstmals im Stadium der Erwiderung erhoben worden sei.

56      Nach Art. 84 Abs. 1 der Verfahrensordnung ist das Vorbringen neuer Klage- und Verteidigungsgründe im Laufe des Verfahrens unzulässig, es sei denn, dass sie auf rechtliche oder tatsächliche Gesichtspunkte gestützt werden, die erst während des Verfahrens zutage getreten sind. Jedoch muss ein Vorbringen, das eine Erweiterung eines bereits unmittelbar oder mittelbar in der Klageschrift vorgetragenen Angriffsmittels darstellt und das in engem Zusammenhang mit diesem steht, für zulässig erklärt werden. Um als Erweiterung eines Klagegrundes oder einer Rüge, die bereits vorgetragen worden sind, angesehen werden zu können, muss ein neues Vorbringen mit den ursprünglich in der Klageschrift dargelegten Klagegründen oder Rügen einen so engen Zusammenhang aufweisen, dass es als Bestandteil der üblichen sich in einem streitigen Verfahren entwickelnden Erörterung angesehen werden kann (vgl. Urteil vom 20. November 2017, Petrov u. a./Parlament, T‑452/15, EU:T:2017:822, Rn. 46 und die dort angeführte Rechtsprechung).

57      In der Erwiderung macht die Klägerin geltend, die EZB habe durch die Verhängung der Verwaltungsgeldbuße den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verletzt, da zum einen Zweifel am Geltungsumfang von Art. 77 Buchst. a der Verordnung Nr. 575/2013 beständen, die Klägerin gutgläubig gehandelt habe, ihr Verhalten transparent gewesen sei, sie die Eigenmittelanforderungen eingehalten habe und der Rückkauf eigener Anteile in Spanien gängige Praxis sei und zum anderen weniger belastende Mittel zur Verfügung gestanden hätten.

58      In der Klageschrift hat die Klägerin erstens in Rn. 48 geltend gemacht, dass der EZB ein breites Spektrum an Möglichkeiten zur Verfügung stehe, zweitens u. a. in den Rn. 49, 59 und 60 darauf hingewiesen, dass Zweifel am Geltungsumfang von Art. 77 Buchst. a und Art. 78 der Verordnung Nr. 575/2013 beständen und nicht erläutert worden sei, wie diese Bestimmungen ausgelegt werden müssten, und drittens in Rn. 64 vorgebracht, dass die EZB bei der Verhängung einer Verwaltungsgeldbuße ihr gegenüber keiner Auslegung folgen könne, die für sie ungünstig sei.

59      Auch wenn die Klägerin in der Klageschrift nicht ausdrücklich geltend gemacht hat, dass der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit durch die Verhängung der Geldbuße verletzt sei, enthielt ihr Vorbringen im Kern bereits diese Kritik. Folglich ist die in der Erwiderung erhobene Rüge der Verletzung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit als Erweiterung einer in der Klageschrift erhobenen Rüge im Sinne der oben in Rn. 56 angeführten Rechtsprechung anzusehen.

60      Nach alledem ist die Rüge zulässig.

–       Zur Begründetheit der Rüge

61      Nach ständiger Rechtsprechung verlangt der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, der zu den allgemeinen Grundsätzen des Unionsrechts gehört, dass die Handlungen der Unionsorgane zur Erreichung der mit der betreffenden Regelung verfolgten legitimen Ziele geeignet sind und nicht über die Grenzen dessen hinausgehen, was zur Erreichung dieser Ziele erforderlich ist, wobei, wenn mehrere geeignete Maßnahmen zur Auswahl stehen, die am wenigsten belastende zu wählen ist und die dadurch bedingten Nachteile in angemessenem Verhältnis zu den angestrebten Zielen stehen müssen (vgl. Urteil vom 4. Mai 2016, Philip Morris Brands u. a., C‑547/14, EU:C:2016:325, Rn. 165 und die dort angeführte Rechtsprechung).

62      Zwar ist es zutreffend, dass die EZB nach Art. 18 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1024/2013 Verwaltungsgeldbußen verhängen „kann“ und somit nicht verpflichtet ist, dies zu tun. Folglich muss die EZB den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz nicht nur bei der Festlegung der Höhe der Sanktion beachten, um Art. 18 Abs. 3 der Verordnung einzuhalten, wonach die Sanktionen „verhältnismäßig“ sein müssen, sondern auch bei der Entscheidung darüber, ob die begangene Zuwiderhandlung das Verhängen einer Sanktion rechtfertigt.

63      Die Entscheidung der EZB, eine Verwaltungsgeldbuße zu verhängen, ist jedoch entgegen dem Vorbringen der Klägerin nicht unverhältnismäßig.

64      Als Erstes ist aus den oben in den Rn. 46 bis 54 dargelegten Gründen davon auszugehen, dass die Tragweite der Verpflichtungen der Klägerin dem Wortlaut von Art. 77 Buchst. a der Verordnung Nr. 575/2013 eindeutig zu entnehmen ist. Folglich bestanden bei der Auslegung der Rechtsvorschriften keine vernünftigen Zweifel, die dazu hätten führen können, dass die Verhängung der Verwaltungsgeldbuße durch die EZB angesichts der Zuwiderhandlung der Klägerin unverhältnismäßig war.

65      Als Zweites wird dieses Ergebnis durch den Umstand erhärtet, dass die Klägerin ihre Zuwiderhandlung aufrechterhalten hat, nachdem das gemeinsame Aufsichtsteam sie am 23. März 2016 über die Tragweite ihrer Verpflichtungen gemäß Art. 77 Buchst. a der Verordnung Nr. 575/2013 aufgeklärt hatte, woraus die EZB folgerte, dass die Zuwiderhandlung ab diesem Zeitpunkt nicht mehr fahrlässig, sondern vorsätzlich erfolgte.

66      Zudem hat die EZB in ihren Schriftsätzen zu Recht festgestellt, dass die von der Klägerin genannten Alternativen zur Verhängung einer Verwaltungsgeldbuße, wie z. B. die Ausübung der ihr gemäß Art. 16 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1024/2013 obliegenden Befugnisse, im Rahmen der vorliegenden Rüge nicht relevant sind, da sie keine geeigneten Maßnahmen im Sinne der oben in Rn. 61 angeführten Rechtsprechung darstellen können. Der Zweck, der mit der Übertragung dieser Befugnisse auf die EZB verfolgt wird, besteht nämlich darin, ihr zu ermöglichen, für die Einhaltung der Aufsichtsanforderungen durch die Kreditinstitute zu sorgen, und nicht darin, Kreditinstitute zu sanktionieren (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 13. Dezember 2017, Crédit mutuel Arkéa/EZB, T‑712/15, EU:T:2017:900, Rn. 212).

67      Somit hat die Kommission in der vorliegenden Rechtssache nicht gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verstoßen, als sie beschloss, eine Verwaltungsgeldbuße gegen die Klägerin zu verhängen.

68      Nach alledem sind die zweite Rüge und damit der erste Klagegrund zurückzuweisen.

 Zum zweiten Klagegrund: Verstoß gegen Art. 132 Abs. 1 Buchst. b der SSM-Rahmenverordnung

69      Die EZB vertrat im angefochtenen Beschluss die Auffassung, dass sie verpflichtet sei, die von ihr verhängten Verwaltungssanktionen ohne Anonymisierung zu veröffentlichen, es sei denn, die Voraussetzungen von Art. 132 Abs. 1 Buchst. a oder b der SSM-Rahmenverordnung lägen vor. Die Klägerin habe nicht nachgewiesen, dass der Schaden, der ihr durch die Veröffentlichung ihres Namens im Zusammenhang mit der gegen sie verhängten Sanktion entstehen könne, größer sei als der Schaden, der typischerweise mit einer solchen Veröffentlichung verbunden sei.

70      Die Klägerin macht geltend, die EZB habe durch ihre Entscheidung, die Verwaltungsgeldbuße ohne Anonymisierung ihres Namens zu veröffentlichen, gegen Art. 132 Abs. 1 Buchst. b der SSM-Rahmenverordnung verstoßen, da sie irrtümlicherweise davon ausgegangen sei, dass eine solche Veröffentlichung ihr keinen unverhältnismäßigen Schaden zufügen könne.

71      Die EZB, unterstützt von der Kommission, weist das Vorbringen der Klägerin zurück.

72      Art. 18 Abs. 6 der Verordnung Nr. 1024/2013 bestimmt: „Die EZB veröffentlicht jede Sanktion nach Absatz 1 unabhängig davon, ob gegen sie Beschwerde eingelegt worden ist oder nicht in den im einschlägigen Unionsrecht vorgesehenen Fällen und im Einklang mit den darin festgelegten Bedingungen.“

73      Art. 132 Abs. 1 der SSM-Rahmenverordnung sieht vor:

„(1)      Die EZB veröffentlicht alle Beschlüsse über die Verhängung von Verwaltungssanktionen im Sinne von Artikel 120 gegen ein beaufsichtigtes Unternehmen in einem teilnehmenden Mitgliedstaat unverzüglich und nachdem der betreffende Beschluss dem betroffenen beaufsichtigten Unternehmen bekannt gegeben wurde, auf ihrer Website unter Angabe von Art und Wesen des Verstoßes und Nennung des betroffenen beaufsichtigten Unternehmens, sofern eine derartige Veröffentlichung weder:

b)      dem betroffenen beaufsichtigten Unternehmen einen unverhältnismäßigen Schaden zufügen würde.

Unter diesen Umständen werden Beschlüsse über Verwaltungssanktionen anonymisiert veröffentlicht. Ist zu erwarten, dass diese Umstände in absehbarer Zeit nicht mehr bestehen, kann die in diesem Absatz vorgesehene Veröffentlichung auch verschoben werden.“

74      Als Erstes ist fraglich, wie die Voraussetzung zu verstehen ist, wonach die Veröffentlichung der Identität des Unternehmens, gegen das eine Sanktion verhängt wurde, dem Unternehmen einen „unverhältnismäßigen Schaden“ zufügen muss, damit die Veröffentlichung anonymisiert erfolgt, wie dies Art. 132 Abs. 1 der SSM-Rahmenverordnung vorsieht.

75      Die Klägerin macht geltend, diese Voraussetzung sei dahin gehend auszulegen, dass sie eine Abwägung zwischen der Schwere der fraglichen Zuwiderhandlung und den Auswirkungen der Veröffentlichung impliziere, wobei die repressive Natur einer solchen Veröffentlichung und das Ziel, die Vermutung der Unschuld des betreffenden Unternehmens zu respektieren, zu berücksichtigen seien.

76      Die EZB, unterstützt von der Kommission, macht geltend, die Schwere der Zuwiderhandlung sei kein Umstand, der für die Anwendung von Art. 132 Abs. 1 Buchst. b der SSM-Rahmenverordnung relevant sei.

77      Bei der Bestimmung der Bedeutung von Art. 132 Abs. 1 Buchst. b der SSM-Rahmenverordnung sind nicht nur sein Wortlaut zu berücksichtigen, sondern auch der Zusammenhang, in dem diese Vorschrift steht, und die Ziele, die mit der Regelung verfolgt werden, zu der sie gehört (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 7. Juni 2005, VEMW u. a., C‑17/03, EU:C:2005:362, Rn. 41 und die dort angeführte Rechtsprechung).

78      Außerdem ist nach ebenfalls ständiger Rechtsprechung eine Durchführungsverordnung nach Möglichkeit in Übereinstimmung mit der Grundverordnung auszulegen (Urteil vom 19. Juli 2012, Pie Optiek, C‑376/11, EU:C:2012:502, Rn. 34 und die dort angeführte Rechtsprechung). Somit ist die SSM-Rahmenverordnung, soweit sie auf der Grundlage von Art. 33 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1024/2013 erlassen wurde, im Licht dieser Verordnung auszulegen.

79      Was erstens die wörtliche Auslegung von Art. 132 Abs. 1 der SSM-Rahmenverordnung betrifft, ist seinem Wortlaut zu entnehmen, dass er grundsätzlich die Veröffentlichung jedes Beschlusses vorsieht, mit dem eine Verwaltungsgeldbuße verhängt wird, und zwar ohne Bezugnahme auf die Schwere der fraglichen Zuwiderhandlung, und dass die Nennung des betroffenen beaufsichtigten Unternehmens zu den Informationen zählt, die veröffentlicht werden. Somit wird die Veröffentlichung von Beschlüssen zu Verwaltungsgeldbußen nur ausnahmsweise in den zwei abschließend aufgezählten Fällen anonymisiert oder auf einen späteren Zeitpunkt verschoben.

80      Ferner enthält Art. 132 Abs. 1 Buchst. b der SSM-Rahmenverordnung keinen Hinweis darauf, dass der Grad der Schwere der Zuwiderhandlung einen Umstand darstellt, der für die Anwendung dieser Ausnahme maßgeblich sein könnte.

81      Folglich ist der wörtlichen Auslegung von Art. 132 Abs. 1 der SSM-Rahmenverordnung zu entnehmen, dass die Schwere der Zuwiderhandlung eines Kreditinstituts kein relevanter Umstand ist, wenn die EZB über die Anwendung der Ausnahme nach Art. 132 Abs. 1 Buchst. b der SSM-Rahmenverordnung zu entscheiden hat.

82      Zweitens wird dieses Ergebnis durch den Wortlaut von Art. 18 Abs. 6 der Verordnung Nr. 1024/2013 bestätigt, der bestimmt: „Die EZB veröffentlicht jede Sanktion nach Absatz 1 unabhängig davon, ob gegen sie Beschwerde eingelegt worden ist oder nicht …“. Daraus folgt zwangsläufig, dass jede Sanktion grundsätzlich veröffentlicht werden muss, unabhängig von der Schwere der fraglichen Zuwiderhandlung.

83      Drittens wird dieses Ergebnis auch durch die Richtlinie 2013/36 bestätigt.

84      Soweit nämlich die Richtlinie 2013/36 das System der Sanktionen festlegt, die für Verstöße gegen die Verordnung Nr. 575/2013 gelten, ist sie Teil des rechtlichen Kontextes, in den Art. 18 der Verordnung Nr. 1024/2013 eingebettet ist, wie die Bezugnahmen dieses Artikels auf das „einschlägige Unionsrecht“ bestätigen.

85      Der 38. Erwägungsgrund der Richtlinie 2013/36 bestimmt: „Um zu gewährleisten, dass die Verwaltungssanktionen abschreckend wirken, sollten sie abgesehen von bestimmten, genau festgelegten Fällen, in der Regel bekannt gemacht werden.“ Daraus folgt, dass der Gesetzgeber grundsätzlich wollte, dass jede Sanktion veröffentlicht wird, um die abschreckende Wirkung der Sanktion zu gewährleisten.

86      Darüber hinaus verfolgt Art. 68 der Richtlinie 2013/36, der die Modalitäten der Veröffentlichung von Verwaltungssanktionen durch die zuständigen Behörden betrifft, einen Ansatz, der demjenigen von Art. 132 Abs. 1 der SSM-Rahmenverordnung entspricht, da zum einen diese Vorschrift ebenfalls den Grundsatz der Veröffentlichung aller verhängten Sanktionen aufstellt, ohne auf den Schweregrad der fraglichen Zuwiderhandlung Bezug zu nehmen, und zum anderen der Schweregrad in den Ausnahmen zu diesem Grundsatz nicht erwähnt wird.

87      Nach alledem ist festzustellen, dass die Bewertung der in Art. 132 Abs. 1 Buchst. b der SSM-Rahmenverordnung genannten Voraussetzung, die die „Unverhältnismäßigkeit“ des Schadens infolge einer Veröffentlichung ohne Anonymisierung des Namens des fraglichen Unternehmens betrifft, allein auf der Grundlage der Bewertung der Auswirkungen, die eine unterlassene Anonymisierung auf die Situation des Unternehmens hat, vorzunehmen ist, ohne den Grad der Schwere der ihm zur Last gelegten Zuwiderhandlung zu berücksichtigen.

88      Dieses Ergebnis wird nicht durch das Vorbringen der Klägerin in Frage gestellt, wonach diese Vorschrift im Licht der Unschuldsvermutung auszulegen sei.

89      Zwar sind nach ständiger Rechtsprechung die Bestimmungen des Unionsrechts im Licht der Grundrechte auszulegen, die zu den allgemeinen Rechtsgrundsätzen gehören, deren Wahrung der Unionsrichter zu sichern hat und die nun in der Charta verankert sind (vgl. Urteil vom 25. Mai 2016, Meroni, C‑559/14, EU:C:2016:349, Rn. 45 und die dort angeführte Rechtsprechung).

90      Angesichts der völlig eindeutigen Bedeutung sowohl von Art. 132 Abs. 1 der SSM-Rahmenverordnung als auch von Art. 18 Abs. 6 der Verordnung Nr. 1024/2013 ist es jedoch nicht möglich, von der Auslegung abzuweichen, die sich aus den Rn. 79 bis 87 des vorliegenden Urteils ergibt. Andernfalls würde der Grundsatz der unionsrechtskonformen Auslegung des abgeleiteten Unionsrechts als Grundlage für eine Auslegung contra legem dienen, was nicht zugelassen werden kann (vgl. in diesem Sinne Beschluss vom 17. Juli 2015, EEB/Kommission, T‑685/14, nicht veröffentlicht, EU:T:2015:560, Rn. 31 und die dort angeführte Rechtsprechung). Eine Bestimmung, deren Bedeutung klar und eindeutig ist, hat das Gericht, falls eine Rechtswidrigkeitseinrede im Sinne von Art. 277 AEUV erhoben wird, lediglich auf ihre Vereinbarkeit mit dem Vertrag und den allgemeinen Grundsätzen des Unionsrechts zu prüfen.

91      Zwar hat die Klägerin die Einrede der Rechtswidrigkeit von Art. 18 Abs. 6 der Verordnung Nr. 1024/2013 erhoben, doch wird diese Einrede nicht darauf gestützt, dass die Vorschrift grundsätzlich, unabhängig von der Schwere der Zuwiderhandlung, die Veröffentlichung von Verwaltungsgeldbußen vorsieht, sondern – im Rahmen des dritten Klagegrundes – lediglich darauf, dass die Vorschrift die Veröffentlichung der Verwaltungsgeldbußen vor Ablauf der Frist für eine Klageerhebung vor dem Gericht vorsieht.

92      Als Zweites ist zu prüfen, ob die EZB im angefochtenen Beschluss zu Recht zu dem Ergebnis kam, dass die nicht anonymisierte Veröffentlichung der Sanktion der Klägerin keinen „unverhältnismäßigen Schaden“ im Sinne von Art. 132 Abs. 1 Buchst. b der SSM-Rahmenverordnung zufügen werde.

93      Insoweit vorab auszuschließen ist das Vorbringen der Klägerin, wonach dem Gericht die unbeschränkte Nachprüfung der Verhältnismäßigkeit der Veröffentlichung der gegen sie verhängten Sanktion obliege.

94      Selbst wenn man nämlich annimmt, wie die Klägerin geltend macht, dass das Gericht aufgrund von Art. 261 AEUV im Hinblick auf die von der EZB nach Art. 18 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1024/2013 verhängten Sanktionen eine Befugnis zu unbeschränkter Nachprüfung hat, ist der Umfang dieser Befugnis zu unbeschränkter Nachprüfung – im Gegensatz zu der in Art. 263 AEUV vorgesehenen Rechtmäßigkeitskontrolle – strikt auf die Festsetzung des Betrags der Sanktion beschränkt (vgl. entsprechend Urteil vom 21. Januar 2016, Galp Energía España u. a./Kommission, C‑603/13 P, EU:C:2016:38, Rn. 76 und die dort angeführte Rechtsprechung).

95      Das Gericht kann somit nur in Bezug auf die von der EZB vorgenommene Anwendung von Art. 132 Abs. 1 Buchst. b der SSM-Rahmenverordnung eine Rechtmäßigkeitskontrolle durchführen.

96      Die Klägerin ist der Auffassung, dass die Veröffentlichung der Sanktion angesichts der Bedeutung ihrer Folgen, des geringen Schweregrads der Zuwiderhandlung und ihrer kurzen Dauer unverhältnismäßig sei. Insoweit weist sie erstens auf ihre Gutgläubigkeit, die Transparenz ihres Handelns auf dem Markt und ihre Kooperation im Rahmen des Verwaltungsverfahrens hin. Zweitens sei der Betrag der Verwaltungsgeldbuße für sich genommen ausreichend, um seine Abschreckungswirkung zu gewährleisten. Drittens hebt sie die Schwere der Auswirkungen einer Veröffentlichung hervor, die zu einer Beschädigung ihres Rufs führen würde, wodurch der Marktwert ihrer Aktien sinken würde. Unter Bezugnahme auf eine Studie der Universität Oxford (Vereinigtes Königreich) zur Wirkung von Rufschädigungen, die durch eine Stichprobe von Maßnahmen zur Durchsetzung der Regelung hervorgerufen worden seien, macht die Klägerin geltend, die negativen Auswirkungen auf ihren Ruf überträfen den Betrag der Sanktion bei Weitem und ständen in keinem Verhältnis dazu. Folglich sei es unverhältnismäßig, eine Sanktion zu veröffentlichen, die auf 0,03 % des Umsatzes begrenzt sei. Die Klägerin bezieht sich außerdem auf die Auswirkungen, die die Veröffentlichung einer von der EZB gegen ein anderes Kreditinstitut verhängten Sanktion auf den Wert seiner Aktien hatte.

97      Das Vorbringen der Klägerin zu dem von ihr geltend gemachten geringen Schweregrad ihrer Zuwiderhandlung ist aus den oben in den Rn. 74 bis 91 dargelegten Gründen im Rahmen der Kontrolle der Rechtmäßigkeit der Weigerung der EZB, der Klägerin die Ausnahmeregelung von Art. 132 Abs. 1 Buchst. b der SSM-Rahmenverordnung zugutekommen zu lassen, nicht relevant.

98      Dem Vorbringen der Klägerin zu den Auswirkungen der Veröffentlichung der gegen sie verhängten Sanktion ist lediglich zu entnehmen, dass sich die Veröffentlichung von gegen Kreditinstitute verhängten Verwaltungssanktionen negativ auf deren Ruf auswirken könne. Aus den oben in Rn. 85 dargelegten Gründen ist jedoch anzunehmen, dass dieser Umstand, als der Gesetzgeber zur Sicherstellung der abschreckenden Wirkung den Grundsatz der Veröffentlichung der gegen Kreditinstitute verhängten Sanktionen festlegte, von ihm berücksichtigt wurde und sogar erwünscht war.

99      Für eine Verpflichtung der EZB, Art. 132 Abs. 1 Buchst. b der SSM-Rahmenverordnung anzuwenden, müssten daher die Auswirkungen einer Veröffentlichung ohne Anonymisierung geeignet sein, über die Auswirkungen hinauszugehen, die sich aus der mit der Veröffentlichung typischerweise verbundenen Rufschädigung ergeben. Die Klägerin hat jedoch keinen Umstand als Nachweis dafür vorgetragen, dass dies vorliegend der Fall gewesen sein könnte.

100    Somit ist der zweite Klagegrund zurückzuweisen.

 Zum dritten Klagegrund: Verstoß gegen Art. 263 Abs. 6 AEUV und Art. 47 der Charta

101    Die Klägerin macht geltend, durch Anordnung der Veröffentlichung des angefochtenen Beschlusses vor Ablauf der Klagefrist nach Art. 263 Abs. 6 AEUV habe die EZB gegen diese Vorschrift sowie gegen Art. 47 der Charta verstoßen. Sie erhebt insoweit zwei Rügen. Im Rahmen der ersten Rüge macht sie geltend, Art. 18 Abs. 6 der Verordnung Nr. 1024/2013 sei rechtswidrig, da er gegen Art. 263 Abs. 6 AEUV und Art. 47 der Charta verstoße. Im Rahmen der zweiten Rüge macht sie geltend, die EZB habe den Begriff „unverzüglich“ in Art. 132 Abs. 1 der SSM-Rahmenverordnung nicht so ausgelegt und angewandt, dass er mit Art. 263 Abs. 6 AEUV und Art. 47 der Charta vereinbar sei.

 Zur ersten Rüge: Einrede der Rechtswidrigkeit von Art. 18 Abs. 6 der Verordnung Nr. 1024/2013

102    Nach Auffassung der Klägerin stellt Art. 18 Abs. 6 der Verordnung Nr. 1024/2013, soweit er eine Regel beinhalte, wonach Verwaltungsgeldbußen obligatorisch zu veröffentlichen seien, unabhängig davon, ob das sanktionierte Kreditinstitut eine Klage erhebe oder nicht, einen Verstoß gegen Art. 263 Abs. 6 AEUV und das in Art. 47 der Charta verankerte Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf dar.

103    Die Weigerung der EZB, eine anonymisierte Veröffentlichung der Sanktion zuzulassen, müsse Gegenstand eines gerichtlichen Rechtsbehelfs sein können, und im Fall einer Veröffentlichung der Geldbuße vor Einlegung des Rechtsbehelfs werde der Rechtsbehelf gegenstandslos. Folglich könne die EZB die Geldbuße nicht vor Ablauf der in Art. 263 Abs. 6 AEUV festgelegten Klagefrist veröffentlichen.

104    Die EZB, unterstützt vom Rat und von der Kommission, weist das Vorbringen der Klägerin zurück.

105    Art. 18 Abs. 6 der Verordnung Nr. 1024/2013 bestimmt: „Die EZB veröffentlicht jede Sanktion nach Absatz 1 unabhängig davon, ob gegen sie Beschwerde eingelegt worden ist oder nicht …“

106    Soweit Art. 18 Abs. 6 der Verordnung Nr. 1024/2013 die Veröffentlichung der Sanktionsentscheidung sogar für den Fall vorsieht, dass die Entscheidung Gegenstand eines Rechtsbehelfs wird, beschränkt er sich darauf, Art. 278 Satz 1 AEUV anzuwenden, wonach „Klagen bei dem Gerichtshof der Europäischen Union … keine aufschiebende Wirkung“ haben.

107    Somit kann die von der Klägerin erhobene Einrede der Rechtswidrigkeit keinen Erfolg haben.

 Zur zweiten Rüge: Verstoß gegen Art. 18 Abs. 6 der Verordnung Nr. 1024/2013 und Art. 132 Abs. 1 der SSM-Rahmenverordnung, ausgelegt im Licht von Art. 263 AEUV und Art. 47 der Charta

–       Zur Zulässigkeit der Rüge

108    Die EZB und die Kommission machen geltend, die zweite Rüge sei gemäß Art. 84 Abs. 1 der Verfahrensordnung als unzulässig zurückzuweisen, da sie erstmals im Stadium der Erwiderung erhoben worden sei.

109    In der Klageschrift hat sich die Klägerin in ihren Ausführungen zum dritten Klagegrund nicht auf das Vorbringen beschränkt, Art. 18 Abs. 6 der Verordnung Nr. 1024/2013 verstoße gegen Art. 263 Abs. 6 AEUV und Art. 47 der Charta. In den Rn. 117 bis 122 der Klageschrift hat sie auch die von der EZB vorgenommene Auslegung und Anwendung des Begriffs „unverzüglich“ in Art. 132 Abs. 1 der SSM-Rahmenverordnung beanstandet.

110    Folglich sind die Ausführungen in der Erwiderung, mit denen die Klägerin einen Verstoß der EZB gegen Art. 18 Abs. 6 der Verordnung Nr. 1024/2013 und Art. 132 Abs. 1 der SSM-Rahmenverordnung, ausgelegt im Licht von Art. 263 AEUV und Art. 47 der Charta, geltend macht, als Erweiterung einer in der Klageschrift erhobenen Rüge im Sinne der oben in Rn. 56 angeführten Rechtsprechung anzusehen.

111    Die vorliegende Rüge ist daher zulässig.

–       Zur Begründetheit der Rüge

112    Die Klägerin macht geltend, Art. 18 Abs. 6 der Verordnung Nr. 1024/2013 und Art. 132 Abs. 1 der SSM-Rahmenverordnung seien im Licht von Art. 263 AEUV und Art. 47 der Charta auszulegen. Folglich müsse die EZB, wenn ein Kreditinstitut ihr mitteile, dass es eine Nichtigkeitsklage gegen ihren Beschluss erheben wolle, diesem ermöglichen, die Frist für die Einlegung der Nichtigkeitsklage vollumfänglich in Anspruch zu nehmen, bevor sie den Beschluss auf ihrer Website veröffentliche.

113    Die Klägerin habe die EZB am 15. März 2018, d. h. am Tag nach dem Erlass des angefochtenen Beschlusses, darüber informiert, dass sie eine Klage erheben und die Aussetzung des Vollzugs des Beschlusses beantragen wolle. Sie wirft der EZB vor, dass sie ihr zunächst, nämlich am 20. März 2018, mitgeteilt habe, die Veröffentlichung werde zwischen dem 21. März 2018 abends und dem 22. März 2018 erfolgen. Lediglich in einem zweiten Schritt habe die EZB beschlossen, dass die Veröffentlichung erst am 26. März 2018 erfolgen solle, sofern vor dem 23. März 2018 eine Klage vor dem Gericht erhoben werde. Durch die Beschränkung der Frist, in der die Klägerin eine Nichtigkeitsklage habe erheben können, und ihre widersprüchlichen Hinweise in Bezug auf den Zeitpunkt der Veröffentlichung der Verwaltungsgeldbuße habe die EZB gegen den Grundsatz des effektiven gerichtlichen Schutzes verstoßen, der in Art. 47 der Charta sowie Art. 263 Abs. 6 AEUV verankert sei.

114    In Nr. 5.10 des angefochtenen Beschlusses hat die EZB entschieden, dass die gegen die Klägerin verhängte Sanktion ohne Anonymisierung auf ihrer Website veröffentlicht werde, wie von Art. 132 Abs. 1 der SSM-Rahmenverordnung vorgesehen.

115    Wie oben in Rn. 73 dargelegt, bestimmt Art. 132 Abs. 1 der SSM-Rahmenverordnung: „Die EZB veröffentlicht alle Beschlüsse über die Verhängung von Verwaltungssanktionen … gegen ein beaufsichtigtes Unternehmen in einem teilnehmenden Mitgliedstaat unverzüglich … auf ihrer Website unter Angabe von Art und Wesen des Verstoßes und Nennung des betroffenen beaufsichtigten Unternehmens …“

116    Ferner – und wie oben in Rn. 72 dargelegt – bestimmt Art. 18 Abs. 6 der Verordnung Nr. 1024/2013: „Die EZB veröffentlicht jede Sanktion nach Absatz 1 unabhängig davon, ob gegen sie Beschwerde eingelegt worden ist oder nicht in den im einschlägigen Unionsrecht vorgesehenen Fällen und im Einklang mit den darin festgelegten Bedingungen.“

117    Wie oben in Rn. 89 ausgeführt, sind die Bestimmungen des Unionsrechts im Licht der Grundrechte auszulegen, die zu den allgemeinen Rechtsgrundsätzen gehören, deren Wahrung der Unionsrichter zu sichern hat und die nun in der Charta verankert sind.

118    Im vorliegenden Fall macht die Klägerin geltend, die EZB sei bei der Anwendung von Art. 18 Abs. 6 der Verordnung Nr. 1024/2013 und Art. 132 Abs. 1 der SSM-Rahmenverordnung im angefochtenen Beschluss verpflichtet gewesen, diese Vorschriften im Einklang mit dem Grundsatz des effektiven gerichtlichen Schutzes gemäß Art. 47 der Charta dahin gehend auszulegen, dass die nicht anonymisierte Veröffentlichung des gegen sie ergangenen Sanktionsbeschlusses auf der Website der EZB nicht vor Ablauf der in Art. 263 Abs. 6 AEUV vorgesehenen Frist für die Erhebung einer Nichtigkeitsklage gegen den genannten Beschluss erfolgen könne.

119    Aus Art. 18 Abs. 6 der Verordnung Nr. 1024/2013 in Verbindung mit Art. 132 Abs. 1 der SSM-Rahmenverordnung ergibt sich, dass der in ihnen enthaltenen Verpflichtung der EZB, Sanktionsentscheidungen – grundsätzlich ohne Anonymisierung – zu veröffentlichen, „unverzüglich“ nachzukommen ist, und zwar „unabhängig davon, ob gegen [die Sanktion] Beschwerde eingelegt worden ist oder nicht“, d. h. ungeachtet dessen, ob die Möglichkeit der Einlegung eines Rechtsbehelfs besteht.

120    Wie bereits oben in Rn. 106 festgestellt, beschränkt sich die Verpflichtung der EZB darauf, den Grundsatz der Vermutung der Rechtmäßigkeit anzuwenden, der im Allgemeinen für Rechtsakte der Organe und Einrichtungen der Union gilt, und die Bindungswirkung dieser Rechtsakte zu beachten.

121    Insoweit bestimmt Art. 297 Abs. 2 Unterabs. 3 AEUV, dass „die Beschlüsse, die an einen bestimmten Adressaten gerichtet sind, … denjenigen, für die sie bestimmt sind, bekannt gegeben und durch diese Bekanntgabe wirksam“ werden. In Anwendung der Vermutung der Rechtmäßigkeit der Rechtsakte der Unionsorgane und ‑einrichtungen, die sich im Grundsatz der fehlenden aufschiebenden Wirkung von Klagen gemäß Art. 278 Satz 1 AEUV manifestiert, entfalten diese Rechtsakte Rechtswirkungen, solange sie nicht zurückgenommen, im Rahmen einer Nichtigkeitsklage für nichtig erklärt oder auf ein Vorabentscheidungsersuchen oder eine Rechtswidrigkeitseinrede hin für ungültig erklärt worden sind (Urteile vom 15. Juni 1994, Kommission/BASF u. a., C‑137/92 P, EU:C:1994:247, Rn. 48, und vom 21. Dezember 2011, Frankreich/People’s Mojahedin Organization of Iran, C‑27/09 P, EU:C:2011:853, Rn. 74).

122    Die Verpflichtung der EZB, Sanktionsentscheidungen – grundsätzlich ohne Anonymisierung – unverzüglich und unabhängig von einer etwaigen Klageerhebung zu veröffentlichen, ergibt sich hinreichend klar und deutlich aus Art. 18 Abs. 6 der Verordnung Nr. 1024/2013 in Verbindung mit Art. 132 Abs. 1 der SSM-Rahmenverordnung sowie ganz allgemein aus der Vermutung der Rechtmäßigkeit und der Bindungswirkung von Rechtsakten der Organe und Einrichtungen der Union, so dass sie nicht Gegenstand einer unionsrechtskonformen Auslegung der Art, wie sie die Klägerin beantragt, sein kann, ohne zu einer von der Rechtsprechung verbotenen Auslegung contra legem zu führen (vgl. oben, Rn. 90).

123    Unter diesen Umständen kann der von der Klägerin vertretenen unionsrechtskonformen Auslegung, wonach die EZB den Ablauf der Frist für die Erhebung einer Nichtigkeitsklage abwarten müsse, bevor sie den gegen die Klägerin erlassenen Sanktionsbeschluss ohne Anonymisierung veröffentliche, nicht gefolgt werden, da sie gegen den klaren und deutlichen Wortlaut der Bestimmungen von Art. 18 Abs. 6 der Verordnung Nr. 1024/2013 in Verbindung mit Art. 132 Abs. 1 der SSM-Rahmenverordnung verstößt und diese Bestimmungen die Rechtsgrundlage des angefochtenen Beschlusses sind.

124    Folgte man der Auslegung, würde die bloße Androhung einer Nichtigkeitsklage im Sinne von Art. 263 AEUV gegen Beschlüsse, die die EZB gemäß Art. 18 Abs. 6 der Verordnung Nr. 1024/2013 in Verbindung mit Art. 132 Abs. 1 der SSM-Rahmenverordnung erlässt, dazu führen, dass der Vollzug der Beschlüsse erst nach Ablauf der in Art. 263 Abs. 6 AEUV vorgesehenen Frist stattfinden könnte, wodurch die Vermutung der Rechtswidrigkeit und die Bindungswirkung der Beschlüsse missachtet würden. Aus der Rechtsprechung geht hervor, dass das Recht auf Klageerhebung vor dem Unionsrichter grundsätzlich die Vermutung der Rechtmäßigkeit und die Bindungswirkung der Rechtsakte der Organe und Einrichtungen der Union nicht beeinträchtigt (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 27. Juni 2000, Kommission/Portugal, C‑404/97, EU:C:2000:345, Rn. 57; vom 22. März 2001, Kommission/Frankreich, C‑261/99, EU:C:2001:179, Rn. 26, und vom 13. Dezember 2001, Kommission/Frankreich, C‑1/00, EU:C:2001:687, Rn. 84).

125    Nach alledem sind die zweite Rüge und der dritte Klagegrund zurückzuweisen. Infolgedessen ist die Klage insgesamt abzuweisen.

 Kosten

126    Nach Art. 134 Abs. 1 der Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da die Klägerin unterlegen ist, ist sie antragsgemäß zur Tragung der Kosten der EZB einschließlich der Kosten des Verfahrens des vorläufigen Rechtsschutzes zu verurteilen.

127    Nach Art. 138 Abs. 1 der Verfahrensordnung tragen die Mitgliedstaaten und die Organe, die dem Rechtsstreit als Streithelfer beigetreten sind, ihre eigenen Kosten. Folglich tragen der Rat und die Kommission ihre eigenen Kosten.

Aus diesen Gründen hat

DAS GERICHT (Zweite erweiterte Kammer)

für Recht erkannt und entschieden:

1.      Die Klage wird abgewiesen.

2.      VQ trägt neben ihren eigenen Kosten die Kosten der Europäischen Zentralbank (EZB) einschließlich der durch das Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes entstandenen Kosten.

3.      Der Rat der Europäischen Union und die Europäische Kommission tragen ihre eigenen Kosten.

Papasavvas

Tomljenović

Schalin

Škvařilová-Pelzl

 

      Nõmm

Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 8. Juli 2020.

Unterschriften


Inhaltsverzeichnis



*      Verfahrenssprache: Englisch.