Language of document : ECLI:EU:T:2013:8





Urteil des Gerichts (Vierte Kammer) vom 15. Januar 2013 –
Strack/Kommission

(Rechtssache T‑392/07)

„Zugang zu Dokumenten – Verordnung (EG) Nr. 1049/2001 – Dokumente in Bezug auf Zweitanträge auf Zugang zu Dokumenten und auf eine Rechtssache vor dem Gericht – Dokumentenregister – Nichtigkeitsklage – Stillschweigende Zugangsverweigerung – Rechtsschutzinteresse – Zulässigkeit – Teilweise Zugangsverweigerung – Ausnahme zum Schutz der Privatsphäre und der Integrität des Einzelnen – Ausnahme zum Schutz der geschäftlichen Interessen eines Dritten – Ausnahme zum Schutz des Entscheidungsprozesses – Begründungspflicht – Außervertragliche Haftung“

1.                     Gerichtliches Verfahren – Zulässigkeit der Klagen – Beurteilung nach der Lage zum Zeitpunkt des Eingangs der Klageschrift – Entscheidung, die während des Verfahrens die angefochtene Entscheidung ersetzt – Anpassung der ursprünglichen Anträge und Klagegründe – Keine Auswirkung auf die Beurteilung der Zulässigkeit der Klage (vgl. Randnrn. 39, 68‑70)

2.                     Nichtigkeitsklage – Anfechtbare Handlungen – Begriff – Handlungen mit verbindlichen Rechtswirkungen – Vorbereitende Handlungen – Ausschluss (Art. 263 AEUV) (vgl. Randnrn. 41, 42)

3.                     Organe der Europäischen Union – Recht der Öffentlichkeit auf Zugang zu Dokumenten – Verordnung Nr. 1049/2001 – Antrag, der eine sehr große Zahl von Dokumenten betrifft – Recht des Organs, die Frist für den Erlass der Entscheidung mit Zustimmung des Antragstellers zu verlängern – Ausnahmecharakter – Keine einvernehmliche Lösung – Anwendung der Frist, nach deren Ablauf die stillschweigende Entscheidung ergeht, den Zugang zu verweigern – Hemmung des Laufs der Frist zur Erhebung einer Klage gegen diese Entscheidung – Ausschluss (Verordnung Nr. 1049/2001 des Europäischen Parlaments und des Rates, Art. 6 Abs. 3) (vgl. Randnrn. 45‑47, 50‑52)

4.                     Nichtigkeitsklage – Natürliche oder juristische Personen – Rechtsschutzinteresse – Klage gegen eine stillschweigende Entscheidung eines Organs, mit der der Zugang zu Dokumenten abgelehnt wird – Entscheidung, die während des Verfahrens durch eine ausdrückliche ersetzt worden ist – Kläger, der gegen diese Entscheidung eine neue Klage erhoben hat – Wegfall des Rechtsschutzinteresses (Art. 263 AEUV; Verordnung Nr. 1049/2001 des Europäischen Parlaments und des Rates) (vgl. Randnrn. 54‑63)

5.                     Organe der Europäischen Union – Recht der Öffentlichkeit auf Zugang zu Dokumenten – Verordnung Nr. 1049/2001 – Nichteinhaltung der Fristen zur Beantwortung eines Antrags auf Zugang durch die Kommission – Stillschweigende ablehnende Entscheidung – Fortbestand der Befugnis der Kommission, den Antrag auf Zugang zu Dokumenten verspätet zu beantworten (Art. 296 AEUV; Verordnung Nr. 1049/2001 des Europäischen Parlaments und des Rates, Art. 7 und Art. 8 Abs. 1 und 2) (vgl. Randnrn. 64, 65)

6.                     Organe der Europäischen Union – Recht der Öffentlichkeit auf Zugang zu Dokumenten – Verordnung Nr. 1049/2001 – Unterscheidung zwischen Dokument und Information – Verpflichtung eines Organs, jedes Auskunftsersuchen eines Einzelnen zu beantworten – Ausschluss (Verordnung Nr. 1049/2001 des Europäischen Parlaments und des Rates, Art. 3 Buchst. a) (vgl. Randnrn. 74, 75)

7.                     Organe der Europäischen Union – Recht der Öffentlichkeit auf Zugang zu Dokumenten – Verordnung Nr. 1049/2001 – Begriff des Dokuments – Auszug aus dem Dokumentenregister des Organs – Einbeziehung (Art. 263 AEUV; Verordnung Nr. 1049/2001 des Europäischen Parlaments und des Rates) (vgl. Randnrn. 77, 78)

8.                     Nichtigkeitsklage – Anfechtbare Handlungen – Begriff – Entscheidung, den Zugang zu den Dokumenten zu verweigern, die damit begründet wird, dass das angeforderte Dokument nicht existiere – Einbeziehung (Art. 263 AEUV; Verordnung Nr. 1049/2001 des Europäischen Parlaments und des Rates) (vgl. Randnr. 79)

9.                     Organe der Europäischen Union – Recht der Öffentlichkeit auf Zugang zu Dokumenten – Verordnung Nr. 1049/2001 – Einschränkungen des Grundsatzes des Zugangs zu Dokumenten – Existenz der Dokumente, zu denen Zugang begehrt wird – Vermutung, dass die Dokumente nicht existieren, wenn sich das betreffende Organ dahin gehend einlässt – Einfache Vermutung, die aufgrund stichhaltiger und übereinstimmender Indizien widerlegt werden kann (Verordnung Nr. 1049/2001 des Europäischen Parlaments und des Rates) (vgl. Randnrn. 80, 81)

10.                     Nichtigkeitsklage – Befugnisse des Unionsrichters – Antrag auf Erlass einer Anordnung an ein Organ – Unzulässigkeit (Art. 264 AEUV und 266 AEUV) (vgl. Randnr. 90)

11.                     Gerichtliches Verfahren – Verteilung der Zuständigkeiten zwischen den verschiedenen Unionsgerichten – Antrag auf Schadensersatz wegen überlanger Dauer des Gerichtsverfahrens – Antrag des Klägers auf Weiterleitung des Antrags an den Gerichtshof – Erforderlichkeit einer eigenständigen Klage – Antrag auf Feststellung der Rechtswidrigkeit der Entscheidung des Präsidenten des Gerichts, eine Rechtssache einem anderen Spruchkörper zuzuweisen – Unzulässigkeit (Grundrechtecharta der Europäischen Union, Art. 47) (vgl. Randnr. 93)

12.                     Organe der Europäischen Union – Recht der Öffentlichkeit auf Zugang zu Dokumenten – Verordnung Nr. 1049/2001 – Hilfeleistungspflicht des Organs bei einem Antrag, der nicht hinreichend genau ist – Antrag auf Zugang zu einem Dokument, das nicht existiert – Verpflichtung des Organs, das Dokument zu erstellen – Ausschluss (Verordnung Nr. 1049/2001 des Europäischen Parlaments und des Rates, Art. 6 Abs. 2 und Art. 11) (vgl. Randnrn. 96, 98)

13.                     Organe der Europäischen Union – Recht der Öffentlichkeit auf Zugang zu Dokumenten – Verordnung Nr. 1049/2001 – Verpflichtung der Organe, ihre Tätigkeiten in einem Register zu dokumentieren und diese Dokumentation aufzubewahren – Nichtaufnahme bestimmter Dokumente – Verweigerung des Zugangs zu diesen Dokumenten – Rechtswidrigkeit der Verweigerung (Verordnung Nr. 1049/2001 des Europäischen Parlaments und des Rates, Art. 2 und Art. 11 Abs. 3) (vgl. Randnrn. 99‑102)

14.                     Organe der Europäischen Union – Recht der Öffentlichkeit auf Zugang zu Dokumenten – Verordnung Nr. 1049/2001 – Ausnahmen vom Recht auf Zugang zu Dokumenten – Begründungspflicht – Umfang – Schwärzung von in Dokumenten enthaltenen Daten – Fehlen einer Begründung – Rechtswidrigkeit (Art. 296 AEUV; Verordnung Nr. 1049/2001 des Europäischen Parlaments und des Rates, Art. 4 Abs. 1 und 2) (vgl. Randnrn. 108, 109, 116)

15.                     Organe der Europäischen Union – Recht der Öffentlichkeit auf Zugang zu Dokumenten – Verordnung Nr. 1049/2001 – Verpflichtung des Organs zu einer konkreten und individuellen Prüfung der Dokumente – Unverhältnismäßiger Arbeitsaufwand – Beweislast des Organs – Verpflichtung des Organs, sich mit dem Antragsteller zu beraten – Einseitige Beschränkung der Zahl der Dokumente – Unzulässigkeit (Verordnung Nr. 1049/2001 des Europäischen Parlaments und des Rates, Art. 4) (vgl. Randnrn. 141‑147)

16.                     Organe der Europäischen Union – Recht der Öffentlichkeit auf Zugang zu Dokumenten – Verordnung Nr. 1049/2001 – Ausnahmen vom Recht auf Zugang zu Dokumenten – Enge Auslegung und Anwendung – Verpflichtung zur konkreten und individuellen Prüfung der unter eine Ausnahme fallenden Dokumente – Umfang – Grundsatz der Verhältnismäßigkeit (Verordnung Nr. 1049/2001 des Europäischen Parlaments und des Rates, Art. 4) (vgl. Randnrn. 158‑164, 220, 235)

17.                     Organe der Europäischen Union – Recht der Öffentlichkeit auf Zugang zu Dokumenten – Verordnung Nr. 1049/2001 – Ausnahmen vom Recht auf Zugang zu Dokumenten – Schutz der Privatsphäre und der Integrität des Einzelnen – Tragweite – Name, E‑Mail-Adresse, Anschrift und Telefonnummer natürlicher Personen – Einbeziehung – Anwendbarkeit der Verordnung Nr. 45/2001 auf alle Anträge auf Zugang zu Dokumenten, die personenbezogene Daten enthalten – Verpflichtung des Organs, diese Daten zu codieren – Umfang dieser Verpflichtung – Anwendung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit (Art. 6 EU; Verordnungen des Europäischen Parlaments und des Rates Nrn. 45/2001 und 1049/2001, Art. 4 Abs. 1 Buchst. b) (vgl. Randnrn. 167, 173, 190‑212)

18.                     Organe der Europäischen Union – Recht der Öffentlichkeit auf Zugang zu Dokumenten – Verordnung Nr. 1049/2001 – Einschränkungen des Rechts auf Zugang zu Dokumenten – Dokumente, die von Dritten stammen – Unterschiedliche Behandlung der Anträge auf Zugang – Verpflichtung des Organs, die Dokumente nicht ohne vorherige Zustimmung zu verbreiten – Keine solche Verpflichtung, wenn klar ist, dass eine Ausnahme vom Recht auf Zugang greift (Verordnung Nr. 1049/2001 des Europäischen Parlaments und des Rates, Art. 4 Abs. 4) (vgl. Randnrn. 176‑178)

19.                     Organe der Europäischen Union – Recht der Öffentlichkeit auf Zugang zu Dokumenten – Verordnung Nr. 1049/2001 – Ausnahmen vom Recht auf Zugang zu Dokumenten – Schutz der geschäftlichen Interessen Dritter – Bezifferte Angaben zur Rentabilität, den Marktanteilen oder den Produktionskosten bestimmter Unternehmen – Einbeziehung – Erforderlichkeit, dass der Antragsteller ein überwiegendes öffentliches Interesse an der Verbreitung dieser Daten nachweist (Verordnung Nr. 1049/2001 des Europäischen Parlaments und des Rates, Art. 4 Abs. 2 erster Gedankenstrich) (vgl. Randnrn. 221, 226‑230)

20.                     Organe der Europäischen Union – Recht der Öffentlichkeit auf Zugang zu Dokumenten – Verordnung Nr. 1049/2001 – Ausnahmen vom Recht auf Zugang zu Dokumenten – Schutz des Zwecks von Inspektions-, Untersuchungs- und Audittätigkeiten – Tragweite – Ausnahme, die nur für die Dokumente eines Organs gilt, die Stellungnahmen zum internen Gebrauch im Rahmen von Beratungen und Vorgesprächen innerhalb des Organs enthalten – Verpflichtung des Organs, nachzuweisen, dass der Entscheidungsprozess ernstlich beeinträchtigt würde (Verordnung Nr. 1049/2001 des Europäischen Parlaments und des Rates, Art. 4 Abs. 3) (vgl. Randnrn. 235‑246)

21.                     Außervertragliche Haftung – Voraussetzungen – Rechtswidrigkeit – Schaden – Kausalzusammenhang – Kumulative Voraussetzungen – Rechtswidriges Verhalten in Form einer Untätigkeit in Bezug auf einen Rechtsetzungsakt – Hinreichend qualifizierte Verletzung einer höherrangigen, dem Schutz des Einzelnen dienenden Rechtsnorm – Fehlen eines hinreichend unmittelbaren Zusammenhangs zwischen dem behaupteten rechtswidrigen Verhalten und dem geltend gemachten Schaden – Keine Haftung (Art. 340 Abs. 2 AEUV) (vgl. Randnrn. 255‑267)

Gegenstand

Klage auf Nichtigerklärung aller im Anschluss an den Erstantrag von Herrn Strack vom 20. Juni 2007 auf Zugang zu Dokumenten ergangenen ausdrücklichen und stillschweigenden Entscheidungen der Kommission und Schadensersatz

Tenor

1.

Über die Rechtmäßigkeit der stillschweigenden Entscheidungen, den Zugang zu verweigern, ist nicht mehr zu entscheiden.

2.

Die Entscheidung der Kommission vom 25. Juli 2007, den Zugang zu einem Auszug aus dem Register zu verweigern, wird für nichtig erklärt.

3.

Die die Dokumente des OLAF betreffende Entscheidung vom 23. Oktober 2007 wird für nichtig erklärt, soweit sie sich auf Daten in Bezug auf juristische Personen erstreckt.

4.

Die die Dokumente der Kommission (außer OLAF) betreffenden Entscheidungen der Kommission vom 28. November 2007 und vom 15. Februar 2008 werden für nichtig erklärt.

5.

Die die Dokumente im Zusammenhang mit der Rechtssache T‑110/04 betreffenden Entscheidungen der Kommission vom 28. November 2007 und vom 9. April 2008 werden für nichtig erklärt, soweit sie erstens die nicht auf der Grundlage von Art. 4 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 1049/2001 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 30. Mai 2001 über den Zugang der Öffentlichkeit zu Dokumenten des Europäischen Parlaments, des Rates und der Kommission begründeten Schwärzungen von Daten in Bezug auf juristische Personen, zweitens die auf Art. 4 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 1049/2001 gestützte unterbliebene Offenlegung von Dokumenten und Daten, mit Ausnahme zum einen der Schwärzungen von Namen und Adressen der Beamten der Generaldirektion (GD) „Handel“ der Europäischen Kommission und zum anderen der vom Kläger in der Rechtssache T‑110/04 gegen diese Beamten erhobenen Beschuldigungen, und drittens die auf Art. 4 Abs. 3 Unterabs. 2 der Verordnung Nr. 1049/2001 gestützte unterbliebene Offenlegung von Dokumenten und Daten betreffen.

6.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

7.

Die Kommission trägt ihre eigenen Kosten und zwei Drittel der Kosten von Herrn Guido Strack.