Language of document : ECLI:EU:C:2004:366

Conclusions

SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS
PHILIPPE LÉGER
vom 10. Juni 2004(1)



Rechtssache C-467/02



Inan Cetinkaya

gegen

Land Baden-Württemberg


(Vorabentscheidungsersuchen des Verwaltungsgerichts Stuttgart [Deutschland])


„Assoziierungsabkommen EWG – Türkei – Artikel 7 Satz 1 des Beschlusses Nr. 1/80 des Assoziationsrates EWG – Türkei – Anwendungsbereich – Kind, das im Aufnahmemitgliedstaat geboren ist und stets dort gelebt hat – Aufenthaltsrecht des Kindes eines türkischen Arbeitnehmers nach seiner Volljährigkeit – Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe – Voraussetzungen einer Ausweisungsverfügung – Artikel 14 des Beschlusses 1/80 – Berücksichtigung einer nach der Ausweisungsverfügung eingetretenen positiven Entwicklung des Betroffenen durch das nationale Gericht“






1.       In der vorliegenden Rechtssache geht es darum, dass sich der in Deutschland geborene Sohn eines türkischen Arbeitnehmers, der auch stets dort gelebt hat, gegen das Ausweisungsverfahren zur Wehr setzt, das im Anschluss an verschiedene Verurteilungen zu Freiheitsstrafen insbesondere wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln von den deutschen Behörden gegen ihn eingeleitet wurde. Die Rechtssache betrifft somit die Auslegung des Beschlusses Nr. 1/80 vom 19. September 1980 über die Entwicklung der Assoziation (2) , der von dem durch das Assoziierungsabkommen zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Türkei (3) eingesetzten Assoziationsrat erlassen wurde.

2.       Das Verwaltungsgericht Stuttgart (Deutschland) legt mehrere Fragen nach dem Anwendungsbereich des Beschlusses Nr. 1/80, nach den Voraussetzungen, unter denen die durch diesen verliehenen Rechte aufgrund einer Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe wieder entzogen werden können, und danach, ob das mit der Klage gegen eine Ausweisungsverfügung befasste Gericht die nach Erlass der Ausweisungsverfügung eingetretene positive Entwicklung des Betroffenen berücksichtigen kann, zur Vorabentscheidung vor.

I – Gemeinschaftsrecht

3.       Ziel des Assoziierungsabkommens ist es, eine beständige und ausgewogene Verstärkung der Handels- und Wirtschaftsbeziehungen zwischen der Europäischen Gemeinschaft und der Türkei zu fördern, um den beschleunigten Aufbau der türkischen Wirtschaft sowie die Hebung des Beschäftigungsstandes und der Lebensbedingungen des türkischen Volkes zu gewährleisten (4) . Der Präambel des Assoziierungsabkommens zufolge wird die Hilfe, die in dieser Weise dem türkischen Volk bei seinem Bemühen um die Besserung seiner Lebenshaltung zuteil wird, später den Beitritt der Türkei zur Gemeinschaft erleichtern.

4.       Zur Erreichung dieser Ziele ist im Assoziierungsabkommen insbesondere die schrittweise Herstellung der Freizügigkeit der Arbeitnehmer sowie die Aufhebung der Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit und des freien Dienstleistungsverkehrs vorgesehen (5) . In Artikel 12 des Assoziierungsabkommens heißt es, dass die Vertragsparteien bei der schrittweisen Herstellung der Freizügigkeit der Arbeitnehmer untereinander vereinbaren, „sich von den Artikeln 48[ (6) ], 49[ (7) ] und 50[ (8) ] des Vertrages zur Gründung der Gemeinschaft leiten zu lassen“. Diese Freizügigkeit sollte zwischen dem Ende des zwölften und dem Ende des zweiundzwanzigsten Jahres nach dem Inkrafttreten des Assoziierungsabkommens nach den vom Assoziationsrat festgelegten Regeln hergestellt sein (9) .

5.       Der Assoziationsrat erließ sonach zunächst den Beschluss Nr. 2/76 vom 20. Dezember 1976, der sich als ein erster Schritt darstellte und zugunsten der Arbeitnehmer ein Recht auf schrittweisen Zugang zur Beschäftigung im Aufnahmestaat sowie zugunsten der Kinder dieser Arbeitnehmer das Recht auf Zugang zum allgemeinen Schulunterricht vorsah (10) .

6.       Danach erließ der Assoziationsrat den Beschluss Nr. 1/80, der seiner dritten Begründungserwägung zufolge im sozialen Bereich die Verbesserung der rechtlichen Stellung der Arbeitnehmer und ihrer Familienangehörigen gegenüber der mit dem Beschluss Nr. 2/76 eingeführten Regelung bezweckt. Die auf türkische Arbeitnehmer und ihre Familienangehörigen anwendbaren Bestimmungen stehen in den Artikeln 6 und 7 des Beschlusses Nr. 1/80.

7.       Artikel 6 des Beschlusses Nr. 1/80 bestimmt:

„(1)  Vorbehaltlich der Bestimmungen in Artikel 7 über den freien Zugang der Familienangehörigen zur Beschäftigung hat der türkische Arbeitnehmer, der dem regulären Arbeitsmarkt eines Mitgliedstaats angehört, in diesem Mitgliedstaat

nach einem Jahr ordnungsgemäßer Beschäftigung Anspruch auf Erneuerung seiner Arbeitserlaubnis bei dem gleichen Arbeitgeber, wenn er über einen Arbeitsplatz verfügt;

nach drei Jahren ordnungsgemäßer Beschäftigung – vorbehaltlich des den Arbeitnehmern aus den Mitgliedstaaten der Gemeinschaft einzuräumenden Vorrangs – das Recht, sich für den gleichen Beruf bei einem Arbeitgeber seiner Wahl auf ein unter normalen Bedingungen unterbreitetes und bei den Arbeitsämtern dieses Mitgliedstaats eingetragenes anderes Stellenangebot zu bewerben;

nach vier Jahren ordnungsgemäßer Beschäftigung freien Zugang zu jeder von ihm gewählten Beschäftigung im Lohn- oder Gehaltsverhältnis.

(2)    Der Jahresurlaub und die Abwesenheit wegen Mutterschaft, Arbeitsunfall oder kurzer Krankheit werden den Zeiten ordnungsgemäßer Beschäftigung gleichgestellt. Die Zeiten unverschuldeter Arbeitslosigkeit, die von den zuständigen Behörden ordnungsgemäß festgestellt worden sind, sowie die Abwesenheit wegen langer Krankheit werden zwar nicht den Zeiten ordnungsgemäßer Beschäftigung gleichgestellt, berühren jedoch nicht die aufgrund der vorherigen Beschäftigungszeit erworbenen Ansprüche.

...“

8.       Artikel 7 des Beschlusses Nr. 1/80 bestimmt:

„Die Familienangehörigen eines dem regulären Arbeitsmarkt eines Mitgliedstaates angehörenden türkischen Arbeitnehmers, die die Genehmigung erhalten haben, zu ihm zu ziehen,

haben vorbehaltlich des den Arbeitnehmern aus den Mitgliedstaaten der Gemeinschaft einzuräumenden Vorrangs das Recht, sich auf jedes Stellenangebot zu bewerben, wenn sie dort seit mindestens drei Jahren ihren ordnungsgemäßen Wohnsitz haben;

haben freien Zugang zu jeder von ihnen gewählten Beschäftigung im Lohn- oder Gehaltsverhältnis, wenn sie dort seit mindestens fünf Jahren ihren ordnungsgemäßen Wohnsitz haben.

Die Kinder türkischer Arbeitnehmer, die im Aufnahmeland eine Berufsausbildung abgeschlossen haben, können sich unabhängig von der Dauer ihres Aufenthalts in dem betreffenden Mitgliedstaat dort auf jedes Stellenangebot bewerben, sofern ein Elternteil in dem betreffenden Mitgliedstaat seit mindestens drei Jahren ordnungsgemäß beschäftigt war.“

9.       Artikel 14 des Beschlusses Nr. 1/80 legt Beschränkungen für die Ausübung dieser Rechte fest. Er sieht in Absatz 1 vor:

„Dieser Abschnitt gilt vorbehaltlich der Beschränkungen, die aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit und Gesundheit gerechtfertigt sind.“

II – Sachverhalt und Verfahren

10.     Herr Inan Cetinkaya ist ein türkischer Staatsangehöriger, der 1979 in Deutschland geboren wurde und stets in diesem Mitgliedstaat gelebt hat. Er schloss seine Schulausbildung im Jahr 1995 mit dem Hauptschulabschluss ab. Von 1996 bis Dezember 1999 übte er bei verschiedenen Arbeitgebern verschiedene Tätigkeiten kurzer Dauer aus. Seit dem 9. März 1995 besitzt Herr Cetinkaya eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis. Seine Eltern und seine Schwestern leben ebenfalls in Deutschland, wo sein Vater bis zur Erreichung des Rentenalters als Arbeitnehmer tätig war.

11.     Zwischen 1996 und 2000 wurde Herr Cetinkaya fünfmal verurteilt, davon viermal zu einer Freiheitsstrafe. Zuletzt wurde er am 26. September 2000 zu einer Jugendstrafe von drei Jahren wegen unerlaubten Handels mit Betäubungsmitteln verurteilt.

12.     Herr Cetinkaya verbüßte eine Freiheitsstrafe vom 7. Januar 2000 bis zum 22. Januar 2001, dem Tag, an dem er aus der Haft entlassen wurde, um sich einer Drogentherapie zu unterziehen. Diese schloss er im Sommer 2002 erfolgreich ab. Im August 2002 nahm er eine weitere schulische Ausbildung auf und übt seither eine Teilzeitbeschäftigung aus. Mit Beschluss vom 20. August 2002 setzte das Amtsgericht Schwäbisch Hall (Deutschland) die Vollstreckung seiner restlichen Freiheitsstrafe aus.

13.     Am 3. November 2000 verfügte das Regierungspräsidium Stuttgart (für Abschiebungen zuständige Verwaltungsbehörde) die sofortige Ausweisung von Herrn Cetinkaya aus Deutschland. Es sah die Ausweisung als geboten an, weil schwerwiegende Gründe der öffentlichen Sicherheit und Ordnung die gesetzliche Regelvermutung für diese Maßnahme begründeten. Die Ausweisung sei daher aus spezial- und generalpräventiven Gründen erforderlich. Herr Cetinkaya könne sich auch nicht auf das Aufenthaltsrecht aus Artikel 7 Satz 1 des Beschlusses Nr. 1/80 berufen, da er wegen seiner Haft und der Drogentherapie, der er sich anschließend unterziehen müsse, nicht mehr dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehe. Gegen diese Verfügung erhob Herr Cetinkaya am 8. Dezember 2000 Klage. Unter dem 3. September 2002 änderte das Regierungspräsidium Stuttgart seine Verfügung vom 3. November 2000 dahin gehend, dass Herrn Cetinkaya nunmehr eine Frist zur freiwilligen Ausreise bis zum 4. Oktober 2002 gesetzt wurde. Auch gegen diese Änderung erhob Herr Cetinkaya Klage. Die beiden von Herrn Cetinkaya betriebenen Verfahren wurden vom Verwaltungsgericht Stuttgart miteinander verbunden.

III – Vorlagefragen

14.     In seinem Vorlagebeschluss legt das Verwaltungsgericht dar, wenn Herr Cetinkaya nicht in den Anwendungsbereich des Beschlusses Nr. 1/80 fiele, müsste seine Klage gegen die Verfügung vom 3. November 2000 in deren Fassung vom 3. September 2002 nach dem nationalen Ausländerrecht abgewiesen werden. Zum einen ergebe sich nämlich aus der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, dass die nach dem 3. November 2000, dem Tag des Erlasses der Ausweisungsverfügung, eingetretene positive Entwicklung des Klägers nicht berücksichtigt werden könne. Für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage müsse das Verwaltungsgericht Stuttgart daher auf den 3. November 2000 abstellen. Zum anderen stelle sich die Ausweisung von Herrn Cetinkaya nicht als unverhältnismäßige Maßnahme im Sinne der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte dar, auch wenn er in Deutschland geboren worden sei und seine Eltern sowie seine Geschwister dort lebten. So verfüge Herr Cetinkaya über eine ausreichende Sprachkompetenz im Türkischen, er sei volljährig, unverheiratet und kinderlos, und der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte messe der Bekämpfung der Drogenkriminalität einen besonders hohen Stellenwert bei.

15.     Wenn hingegen Herr Cetinkaya in den Anwendungsbereich des Beschlusses Nr. 1/80 fiele und wenn dessen Artikel 14 dahin auszulegen wäre, dass für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage auf den Tag der mündlichen Verhandlung abzustellen sei, müsste der Klage aller Voraussicht nach stattgegeben werden. Nach dem Erlass der Verfügung vom 3. November 2000 sei nämlich der Strafrest von Herrn Cetinkaya zur Bewährung ausgesetzt worden, was die Annahme zulasse, dass von ihm keine gegenwärtige konkrete Gefährdung eines wichtigen Gemeinschaftsgutes mehr ausgehe.

16.     Das Verwaltungsgericht Stuttgart neigt der Auffassung zu, dass Herr Cetinkaya entgegen der Entscheidung der zuständigen Verwaltungsbehörde sehr wohl in den Anwendungsbereich des Beschlusses Nr. 1/80 falle und dass seine positive Entwicklung berücksichtigt werden könne. Es hat jedoch Zweifel hinsichtlich der zutreffenden Auslegung der einschlägigen Bestimmungen des Beschlusses Nr. 1/80. Angesichts dessen hat es das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

1.
Fällt das im Bundesgebiet geborene Kind eines türkischen Arbeitnehmers, der dem regulären Arbeitsmarkt angehört, in den Anwendungsbereich des Artikels 7 Satz 1 des Beschlusses Nr. 1/80, wenn seit seiner Geburt – jedenfalls bis zum Eintritt der Volljährigkeit – dessen Aufenthalt (zunächst) nur aus Gründen der Erhaltung der Familieneinheit erlaubt oder im Fall einer Erlaubnisfreiheit nur aus diesen Gründen nicht beendet wurde?

2.
Kann das Recht des Familienangehörigen auf Zugang zum Arbeitsmarkt sowie auf Gewährung des weiteren Aufenthalts nach Artikel 7 Satz 1 (zweiter Gedankenstrich) nur nach Maßgabe des Artikels 14 des Beschlusses Nr. 1/80 beschränkt werden?

3.
Führt eine Verurteilung zu einer Jugendstrafe von drei Jahren zu einem endgültigen Ausscheiden aus dem Arbeitsmarkt und damit zu einem Verlust der Rechte aus Artikel 7 Satz 1 (zweiter Gedankenstrich) auch dann, wenn konkrete Möglichkeiten bestehen, dass nur ein Teil der Strafe überhaupt zu verbüßen sein wird, andererseits aber im Anschluss an eine vorläufige Haftentlassung zunächst eine Drogentherapie durchgeführt werden muss und in dieser Zeit der oder die Betroffene nicht dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen wird?

4.
Führt der durch die Verurteilung zu einer zeitigen (nicht zur Bewährung ausgesetzten) Freiheitsstrafe bedingte Verlust des Arbeitsplatzes bzw. die Unmöglichkeit, sich im Fall einer aktuellen Arbeitslosigkeit um eine Beschäftigungsstelle zu bewerben, eo ipso zu einer verschuldeten Arbeitslosigkeit im Sinne des Artikels 6 Absatz 2 Satz 2 des Beschlusses Nr. 1/80, die den Verlust der Rechte aus Artikel 6 Absatz 1 und Artikel 7 Satz 1 des Beschlusses Nr. 1/80 nicht verhindert?

5.
Gilt dies auch dann, wenn in überschaubarer und angemessener Zeit mit einer Freilassung gerechnet werden kann, sich aber dann zunächst eine Drogentherapie anschließen wird und erst nach dem Abschluss eines höher qualifizierten Schulabschlusses die Aufnahme einer Beschäftigung möglich sein wird?

6.
Ist Artikel 14 des Beschlusses Nr. 1/80 in der Weise auszulegen, dass eine nach der letzten Behördenentscheidung eingetretene Veränderung zugunsten des oder der Betroffenen, die eine Beschränkung nach Artikel 14 des Beschlusses Nr. 1/80 nicht mehr zuließe, im gerichtlichen Verfahren noch zu berücksichtigen ist?

IV – Beurteilung

A – Zur ersten Vorlagefrage

17.     Mit seiner ersten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Herr Cetinkaya in den Anwendungsbereich der Bestimmungen des Artikels 7 Satz 1 des Beschlusses Nr. 1/80 fällt. Es legt diese Frage deshalb vor, weil Herr Cetinkaya, anders als es diese Bestimmung vorsehe, keine Genehmigung, zu seinen Eltern nach Deutschland zu ziehen, im eigentlichen Wortsinne erhalten habe, sondern dort geboren sei. Das vorlegende Gericht fragt deshalb im Kern, ob Artikel 7 Satz 1 des Beschlusses Nr. 1/80 dahin auszulegen ist, ob das im Aufnahmemitgliedstaat geborene volljährige Kind eines türkischen Arbeitnehmers, der dem regulären Arbeitsmarkt dieses Mitgliedstaats angehört, in den Anwendungsbereich dieser Bestimmung fällt.

18.     Vor einer konkreten Beantwortung dieser Frage ist darauf hinzuweisen, dass Artikel 7 Satz 1 des Beschlusses Nr. 1/80 nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes in den Mitgliedstaaten unmittelbare Wirkung hat, so dass sich türkische Staatsangehörige, die die Voraussetzungen dieser Bestimmung erfüllen, vor den nationalen Gerichten unmittelbar auf die ihnen von dieser verliehenen Rechte berufen können (11) . Artikel 7 Satz 1 des Beschlusses Nr. 1/80 verleiht, wie wir gesehen haben, allen Familienangehörigen eines dem regulären Arbeitsmarkt eines Mitgliedstaats angehörenden türkischen Arbeitnehmers, die die Genehmigung erhalten haben, zu ihm zu ziehen, das Recht auf Zugang zu einer Beschäftigung ihrer Wahl in diesem Staat, sofern sie dort seit drei Jahren ihren ordnungsgemäßen Wohnsitz haben, allerdings unter Vorbehalt des den Arbeitnehmern aus den Mitgliedstaaten der Gemeinschaft einzuräumenden Vorrangs, der entfällt, wenn dieser ordnungsgemäße Wohnsitz schon fünf Jahre besteht. Zudem ist entschieden worden, dass die praktische Wirksamkeit des durch diese Bestimmung verliehenen Rechts auf Zugang zur Beschäftigung zwangsläufig das Bestehen eines entsprechenden Aufenthaltsrechts voraussetzt (12) .

19.      Daraus folgt, dass das Recht auf Zugang zur Beschäftigung und das Aufenthaltsrecht nach Artikel 7 Satz 1 des Beschlusses Nr. 1/80 vier Voraussetzungen unterliegen: Erstens muss der Betreffende Familienangehöriger eines türkischen Arbeitnehmers sein, zweitens muss Letzterer dem regulären Arbeitsmarkt des Aufnahmemitgliedstaat angehören, drittens muss der Familienangehörige die Genehmigung erhalten haben, zu diesem Arbeitnehmer zu ziehen, und viertens muss er in diesem Mitgliedstaat seit mindestens drei Jahren seinen ordnungsgemäßen Wohnsitz haben. Um dem vorlegenden Gericht eine zweckdienliche Antwort zu erteilen, werde ich jede dieser Voraussetzungen einzeln prüfen.

20.     Was die erste Voraussetzung angeht, so ist das Kind eines türkischen Arbeitnehmers unstreitig und unbestreitbar dessen Familienangehöriger im Sinne von Artikel 7 Satz 1 des Beschlusses Nr. 1/80. Der Gerichtshof hat im Urteil Ergat überdies festgestellt, dass das Kind eines türkischen Arbeitnehmers diese Eigenschaft nach Artikel 7 Satz 1 nach Erreichung seiner Volljährigkeit behält, auch wenn es im Aufnahmemitgliedstaat ein von dem seiner Eltern unabhängiges Leben führt (13) . Herr Cetinkaya ist somit als Kind eines türkischen Arbeitnehmers eindeutig dessen Familienangehöriger im Sinne von Artikel 7 Satz 1 des Beschlusses Nr. 1/80.

21.     Die deutsche Regierung bezweifelt jedoch, dass Herr Cetinkaya die zweite Voraussetzung erfüllt, dass er nämlich das Kind eines „dem regulären Arbeitsmarkt ... angehörenden“ türkischen Arbeitnehmers ist. Sie meint, wenn der Vater von Herrn Cetinkaya seine Rentenansprüche vor Erlass der Ausweisungsverfügung am 3. November 2000 geltend gemacht hätte, würde er nicht mehr dem regulären Arbeitsmarkt angehören. Dann könnte sein Sohn seit dem Tag des Erlasses dieser Verfügung nicht mehr als in den Anwendungsbereich des Artikels 7 Satz 1 des Beschlusses Nr. 1/80 fallend angesehen werden. Die in dieser Bestimmung vorgesehenen Voraussetzungen seien nämlich strenger als die des Artikels 7 Satz 2, der diejenigen Kinder türkischer Arbeitnehmer betrifft, die im Aufnahmeland eine Berufsausbildung angeschlossen haben. Der vom Gerichtshof im Urteil Akman vom 19. November 1998 (14) vertretene Standpunkt, dass das Kind eines türkischen Arbeitnehmers, das im Aufnahmestaat eine Berufsausbildung abgeschlossen habe, seine Rechte aus Artikel 7 Satz 2 des Beschlusses Nr. 1/80 auch dann geltend machen könne, wenn der Arbeitnehmer, von dem er diese Rechte ableite, nicht mehr dem regulären Arbeitsmarkt dieses Staates angehöre, sei auf Artikel 7 Satz 1 dieses Beschlusses nicht übertragbar. Daher müsse der türkische Arbeitnehmer zu dem Zeitpunkt, zu dem sich seine Familienangehörigen auf die Rechte aus Artikel 7 Satz 1 berufen wollten, immer noch dem Arbeitsmarkt des Aufnahmemitgliedstaats angehören.

22.     Ich teile diese Auffassung nicht. Zwar bezieht sich der Ausdruck „dem regulären Arbeitsmarkt eines Mitgliedstaates angehörend“ in Artikel 7 Satz 1 des Beschlusses Nr. 1/80 auf eine gegenwärtige Situation, wie sich aus dem Gebrauch des Partizips Präsens „appartenant“ in der französischen Fassung ergibt. Eine entsprechende Formulierung enthalten auch die meisten anderen Sprachfassungen, in denen der Beschluss Nr. 1/80 ausgefertigt worden ist (15) . Ebenso steht fest, dass die vom Gerichtshof im Urteil Akman ausgelegte Voraussetzung der Zugehörigkeit des Arbeitnehmers zum Arbeitsmarkt in 7 Satz 2 des Beschlusses Nr. 1/80 im Imperfekt steht (16) . Aus dem Wortlaut der streitigen Voraussetzung des Artikels 7 Satz 1 ergibt sich jedoch nicht ausdrücklich, dass die Rechte, die diese Bestimmung den Familienangehörigen eines türkischen Arbeitnehmers verleiht, davon abhängen, dass dieser eine Tätigkeit im Lohn- oder Gehaltsverhältnis im Aufnahmestaat ausübt, und wieder verloren gehen, wenn dieser Arbeitnehmer endgültig jede Tätigkeit in diesem Staat aufgibt. Zudem sind nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofes bei der Auslegung einer Bestimmung des Beschlusses Nr. 1/80 nicht nur deren Wortlaut, sondern auch ihr Zusammenhang und ihre Zwecke zu berücksichtigen (17) . Die von der deutschen Regierung vorgenommene Auslegung der streitigen Voraussetzung würde meines Erachtens jedoch gegen die Systematik und die Zwecke des Artikels 7 Satz 1 verstoßen, wie sie in der Rechtsprechung ermittelt worden sind.

23.     So hat der Gerichtshof im Urteil Kadiman darauf hingewiesen, dass Artikel 7 Satz 1 des Beschlusses Nr. 1/80 einem doppelten Zweck diene. Erstens bezwecke er, die Beschäftigung und den Aufenthalt des türkischen Arbeitnehmers, der dem regulären Arbeitsmarkt eines Mitgliedstaates angehöre, dadurch zu fördern, dass ihm in diesem Staat die Aufrechterhaltung seiner familiären Bande garantiert werde (18) . In diesem Sinne bestimme er in einem ersten Schritt, dass die Familienangehörigen dieses Arbeitnehmers zum Zweck der Familienzusammenführung zu ihm ziehen könnten (19) . Aus dem Regelungszweck dieser Bestimmung hat der Gerichtshof abgeleitet, dass der Familienangehörige während dieser ersten drei Jahre grundsätzlich seinen Wohnsitz bei dem türkischen Arbeitnehmer haben müsse, indem er mit ihm in häuslicher Gemeinschaft tatsächlich zusammenlebe (20) . Zweitens wolle Artikel 7 Satz 1 die Integration dieses Arbeitnehmers im Aufnahmestaat zusätzlich noch dadurch fördern, dass er die Stellung seiner Familienangehörigen stärke, indem er ihnen in einem zweiten Schritt den Zugang zum regulären Arbeitsmarkt dieses Staates selbst gestatte (21) . Deshalb werde den Familienangehörigen der Zugang zur Beschäftigung zunächst nach drei Jahren des regelmäßigen Wohnsitzes unter Vorbehalt des den Angehörigen der übrigen Mitgliedstaaten einzuräumenden Vorrangs und sodann, nach fünf Jahren, ohne diesen Vorbehalt gewährt. Wie wir außerdem wissen, setzt die wirksame Ausübung des Rechts auf Zugang zur Beschäftigung zwangsläufig ein Aufenthaltsrecht im Aufnahmestaat voraus.

24.     Im Urteil Ergat hat der Gerichtshof den Umfang dieser den Familienangehörigen verliehenen Rechte präzisiert (22) . Er hat ausgeführt, nicht nur führe die unmittelbare Wirkung dieser Bestimmung von dem Zeitpunkt an, zu dem der in Artikel 7 Satz 1 des Beschlusses Nr. 1/80 bezeichnete türkische Staatsangehörige nach fünfjährigem ordnungsgemäßem Wohnsitz nach dem zweiten Gedankenstrich dieser Bestimmung ein Recht auf freien Zugang zur Beschäftigung im Aufnahmemitgliedstaat erworben habe, dazu, dass der Betroffene hinsichtlich der Beschäftigung ein individuelles Recht aus dem Beschluß Nr. 1/80 herleiten könne, sondern die praktische Wirksamkeit dieses Rechts setze darüber hinaus zwangsläufig die Existenz eines entsprechenden Aufenthaltsrechts voraus, das ebenfalls auf dem Gemeinschaftsrecht beruhe und vom Fortbestehen der Voraussetzungen für den Zugang zu diesen Rechten unabhängig sei (23) . Der Zweck des Beschlusses Nr. 1/80 würde nicht erreicht, wenn von einem Mitgliedstaat erlassene Beschränkungen den Familienangehörigen die Rechte, die ihnen Artikel 7 Satz 1 dieses Beschlusses gewähre, genau in dem Augenblick nehmen würden, in dem sie aufgrund des freien Zugangs zu einer von ihnen gewählten Beschäftigung die Möglichkeit hätten, sich dauerhaft in den Aufnahmemitgliedstaat zu integrieren (24) . Für diese Auffassung hat sich der Gerichtshof auf das Urteil Akman gestützt, in dem er, wir erinnern uns, entschieden hat, dass ein Elternteil dieses Kindes nicht mehr die Arbeitnehmereigenschaft zu besitzen oder in diesem Staat zu wohnen brauche, wenn das Kind seine Ausbildung abgeschlossen habe und unmittelbar aufgrund des Beschlusses das Recht auf Zugang zum Arbeitsmarkt des Aufnahmemitgliedstaats und damit einen Anspruch auf eine entsprechende Aufenthaltserlaubnis in diesem Staat erwerbe. Daraus hat er geschlossen, dass die Mitgliedstaaten nicht mehr befugt seien, den Aufenthalt eines Familienangehörigen eines türkischen Arbeitnehmers auch noch nach Ablauf dieser drei Jahre in dieser Weise von Voraussetzungen abhängig zu machen (25) , was erst recht gelte, wenn der ordnungsgemäße Wohnsitz schon fünf Jahre bestanden habe, da dann Arbeitnehmer aus den anderen Mitgliedstaaten nach Artikel 7 Satz 1 zweiter Gedankenstrich des Beschlusses 1/80 kein Vorrecht mehr gegenüber dem Betroffenen geltend machen könnten.

25.     Hieraus folgt meiner Ansicht nach, dass dem Recht auf Zugang zur Beschäftigung und dem Recht auf Aufenthalt, die den Familienangehörigen nach Artikel 7 Satz 1 des Beschlusses Nr. 1/80 zur Stärkung ihrer eigenen Integration in den Aufnahmemitgliedstaat verliehen werden, ein autonomer Charakter im Verhältnis zur Situation des türkischen Arbeitnehmers, von dem sie ihre Rechte ursprünglich ableiten, zuerkannt werden muss. Von diesen Rechten muss der Familienangehörige schon dann Gebrauch machen können, wenn er die Voraussetzungen des Artikels 7 Satz 1 erfüllt, auch wenn der Arbeitnehmer, von dem er seine Rechte ableitet, selbst nicht mehr dem Arbeitsmarkt dieses Mitgliedstaats angehört. Andernfalls könnte von einer echten Integrationsmöglichkeit dieser Familienangehörigen nicht gesprochen werden, da ihr Recht auf Zugang zur Beschäftigung weiter unsicher oder zeitlich begrenzt wäre, weil es immer noch vom Schicksal des türkischen Arbeitnehmers abhinge. So würde die Auffassung der deutschen Regierung dazu führen, dass das Kind eines türkischen Arbeitnehmers, das, wie Herr Cetinkaya, im Aufnahmemitgliedstaat eine Arbeit aufgenommen hat, sein Recht auf Zugang zur Beschäftigung mit Wirkung von dem Tag wieder verlieren könnte, an dem sein Vater seine Altersrente beantragt. Dieser Auffassung kann meines Erachtens nicht gefolgt werden. Meiner Ansicht nach kann die Voraussetzung der Zugehörigkeit des Arbeitnehmers zum regulären Arbeitsmarkt des Aufnahmestaats angesichts des Regelungszwecks von Artikel 7 Satz 1 des Beschlusses Nr. 1/80 nur während des Zeitraums von drei Jahren gelten, in dem der Familienangehörige ununterbrochen bei dem türkischen Arbeitnehmer wohnen muss und vor dessen Ende er die durch diese Bestimmung unmittelbar verliehenen Rechte noch nicht erlangt hat. Über diesen Zeitraum hinaus kann diese Voraussetzung jedoch nicht weitergelten, ohne dass die Tragweite dieser Rechte in Frage gestellt wird. Ich folgere daraus, dass Artikel 7 Satz 1 des Beschlusses Nr. 1/80 für den Fall, dass der Familienangehörige nach drei Jahren des ordnungsgemäßen Wohnsitzes in dem betreffenden Mitgliedstaat selbst Zugang zum Arbeitsmarkt erhalten will und ein Aufenthaltsrecht beansprucht, nicht verlangt, dass der türkische Arbeitnehmer immer noch dem regulären Arbeitsmarkt dieses Staates angehört.

26.     Ein türkischer Staatsangehöriger, der, wie Herr Cetinkaya, in Deutschland geboren wurde und stets dort gelebt hat, dem Land, in dem sein Vater in der Vergangenheit länger als drei Jahre eine Tätigkeit im Lohn- oder Gehaltsverhältnis ausgeübt hat, ist meines Erachtens als Kind eines dem regulären Arbeitsmarkt angehörenden türkischen Arbeitnehmers im Sinne von Artikel 7 Satz 1 des Beschlusses Nr. 1/80 anzusehen, auch wenn sein Vater bereits vor dem 3. November 2000, als die Ausweisungsverfügung erlassen wurde, eine Altersrente beantragt hatte.

27.     Nunmehr ist die dritte Voraussetzung zu prüfen, die darin besteht, dass der Familienangehörige die Genehmigung erhalten haben muss, zu dem türkischen Arbeitnehmer in den Aufnahmestaat zu ziehen. Mit dem vorlegenden Gericht und allen Beteiligten, die sich geäußert haben, meine auch ich, dass diese Voraussetzung nicht dahin ausgelegt werden kann, dass sie die Familienangehörigen dieses Arbeitnehmers, die im Hoheitsgebiet dieses Staates geboren wurden, vom Anwendungsbereich des Artikels 7 Satz 1 des Beschlusses Nr. 1/80 ausschließen wollte. Zum einen weist nichts im Wortlaut des Artikels 7 Satz 1 darauf hin, dass diese Voraussetzung aufgestellt worden ist, damit sie den Familienangehörigen eines türkischen Arbeitnehmers entgegengehalten werden kann, die im Hoheitsgebiet des betreffenden Mitgliedstaats geboren wurden und daher denknotwendig keiner „Genehmigung ..., zu ihm zu ziehen“, bedurften. Zum anderen wäre eine derart einschränkende Auslegung dieser Voraussetzung weder mit dem rechtlichen Rahmen, in den sie sich einfügt, noch – vor allem – mit dem Zweck des Artikels 7 Satz 1 des Beschlusses Nr. 1/80 vereinbar.

28.     Den Artikeln 6 und 7 des Beschlusses Nr. 1/80 ist nämlich zu entnehmen, dass dieser das Recht der Mitgliedstaaten unberührt lässt, den Zugang der türkischen Staatsangehörigen und denjenigen ihrer Familienangehörigen zu ihrem Hoheitsgebiet zu regeln (26) . So sieht Artikel 7 Satz 1 des Beschlusses Nr. 1/80 für die Familienangehörigen eines türkischen Arbeitnehmers von einer bestimmten Dauer des Wohnsitzes an ein Recht auf Zugang zur Beschäftigung vor, ohne dass dadurch die Befugnis des betreffenden Mitgliedstaates berührt wird, darüber zu unterscheiden, ob den Betroffenen die Genehmigung erteilt wird, zu dem in diesem Staat ordnungsgemäß beschäftigten türkischen Arbeitnehmer zu ziehen (27) . Die Sanktion für eine Verletzung der Vorschriften des Aufnahmestaats besteht nach der Rechtsprechung darin, dass Rechte auf Beschäftigung nur dann entstehen können, wenn der Betreffende das Recht zum Aufenthalt in diesem Staat nicht durch Täuschung erhalten hat (28) .

29.     Somit ist meines Erachtens die Voraussetzung, dass die Familienangehörigen des türkischen Arbeitnehmers „die Genehmigung erhalten haben, zu ihm zu ziehen“, so zu verstehen, dass damit diejenigen vom Anwendungsbereich des Artikel 7 Satz 1 des Beschlusses Nr. 1/80 ausgeschlossen werden sollen, die unter Verstoß gegen die Vorschriften des Aufnahmemitgliedstaats in diesen eingereist sind. Diese Voraussetzung kann mithin nur gegenüber Personen geltend gemacht werden, die nicht schon im Gebiet des Mitgliedstaats, in dem sich der türkische Arbeitnehmer befindet, wohnten, so dass diese Personen nur dann in diesen Staat einreisen können, um zu diesem Arbeitnehmer zu ziehen, wenn sie hierzu die Genehmigung der zuständigen Behörden dieses Staates erhalten haben. Folglich kann diese Voraussetzung nicht einem Familienangehörigen dieses Arbeitnehmers entgegengehalten werden, der einer solchen Genehmigung nicht bedurfte, weil er im Hoheitsgebiet des betreffenden Mitgliedstaats geboren wurde.

30.     Zudem verstieße der Ausschluss der im Aufnahmemitgliedstaat geborenen Familienangehörigen eines türkischen Arbeitnehmers, insbesondere wenn es sich dabei um seine Kinder handelt, vom Anwendungsbereich des Artikels 7 Satz 1 des Beschlusses Nr. 1/80 offensichtlich gegen dessen Zweck. Nach gefestigter Rechtsprechung soll nämlich Artikel 7 Satz 1 die Familienzusammenführung im Aufnahmemitgliedstaat fördern. Ich habe bereits darauf hingewiesen, dass dieser Artikel nach der Auslegung des Gerichtshofes bezweckt, die Beschäftigung und den Aufenthalt des türkischen Arbeitnehmers, der dem regulären Arbeitsmarkt des betreffenden Mitgliedstaats angehört, dadurch zu fördern, dass ihm in diesem Staat die Aufrechterhaltung seiner familiären Bande garantiert wird (29) . Unter Berücksichtigung dieses Zweckes hat der Gerichtshof im Urteil Kadiman befunden, dass die Familienangehörigen während des in Artikel 7 Satz 1 genannten Zeitraums von drei Jahren mit dem betreffenden Arbeitnehmer zusammenleben müssten. Es wäre daher, wie das vorlegende Gericht selbst ausführt (30) , „sinnwidrig“ und mit diesem Zweck „unvereinbar“, wenn die im Aufnahmemitgliedstaat geborenen Familienangehörigen des türkischen Arbeitnehmers, insbesondere wenn es sich dabei um seine Kinder handelt, vom Anwendungsbereich dieser Bestimmung ausgeschlossen wären, da ihre Geburt in diesem Staat doch gerade zur Verwirklichung des mit dieser Bestimmung verfolgten Zweckes beiträgt.

31.     Folglich schließt es der Umstand, dass der in Deutschland geborene Herr Cetinkaya nicht die förmliche Genehmigung erhalten hat, dorthin zu seinem Vater zu ziehen, nicht aus, dass er in den Anwendungsbereich des Artikels 7 Satz 1 des Beschlusses Nr. 1/80 fällt.

32.     Hinsichtlich der vierten Voraussetzung schließlich steht fest, dass Herr Cetinkaya zu dem Zeitpunkt, zu dem seine Ausweisung verfügt wurde, bereits über fünf Jahre in Deutschland ordnungsgemäß gewohnt hatte. Nach den Angaben des vorlegenden Gerichts hat er tatsächlich seit seiner Geburt ohne Unterbrechung in Deutschland gewohnt. Im Übrigen hatte er am 9. März 1995 eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis erhalten. Damit fällt er also in den Anwendungsbereich des Artikels 7 Satz 1 zweiter Gedankenstrich des Beschlusses Nr. 1/80, wonach er freien Zugang zu jeder von ihm in Deutschland gewählten Beschäftigung im Lohn- oder Gehaltsverhältnis hat.

33.     Folglich fällt ein türkischer Staatsangehöriger, der sich in der Lage von Herr Cetinkaya befindet, sehr wohl unter Artikel 7 Satz 1 des Beschlusses Nr. 1/80. Ich schlage deshalb dem Gerichtshof vor, auf die erste Vorlagefrage zu antworten, dass Artikel 7 Satz 1 des Beschlusses Nr. 1/80 dahin auszulegen ist, dass ein im Aufnahmemitgliedstaat geborenes volljähriges Kind eines türkischen Arbeitnehmers, der dem regulären Arbeitsmarkt dieses Mitgliedstaats angehört oder angehört hat, in den Anwendungsbereich dieser Bestimmung fällt.

B – Zur zweiten Vorlagefrage

34.     Mit seiner zweiten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Herr Cetinkaya seine Rechte aus Artikel 7 Satz 1 des Beschlusses Nr. 1/80 aufgrund seiner Haft und seiner Drogentherapie wieder verloren hat. Dazu führt es aus, nach der innerstaatlichen Rechtsprechung gälten die im Rahmen des Artikels 6 des Beschlusses Nr. 1/80 entwickelten Grundsätze, nach denen eine längere Abwesenheit vom Arbeitsmarkt zum Verlust der durch diese Bestimmung verliehenen Rechte führen könne, auch für Artikel 7 dieses Beschlusses. Diese Auffassung entspreche jedoch nicht dem Regelungszweck des Artikels 7. Sie stehe auch nicht mit der Rechtsprechung des Gerichtshofes im Einklang, die mit dem Urteil Ergat ein Verständnis dahin gehend nahe lege, dass die durch Artikel 7 Satz 1 des Beschlusses Nr. 1/80 verliehenen Rechte nur nach Maßgabe des Artikels 14 dieses Beschlusses beendet werden könnten.

35.     Das vorlegende Gericht fragt also im Wesentlichen, ob Artikel 7 Satz 1 des Beschlusses Nr. 1/80 dahin auszulegen ist, dass die Rechte, die dieser Artikel einem türkischen Staatsangehörigen in der Situation von Herr Cetinkaya verleiht, nach einer Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe, der sich eine Drogentherapie anschließt, nur nach Maßgabe des Artikels 14 des Beschlusses Nr. 1/80 oder ob sie auch wegen längerer Abwesenheit vom Arbeitsmarkt beschränkt werden können.

36.     Zum Verständnis der Bedeutung dieser Frage ist daran zu erinnern, unter welchen Umständen in der Rechtsprechung angenommen worden ist, dass ein türkischer Staatsangehöriger seine Rechte aus dem Beschluss Nr. 1/80 im Fall längerer Abwesenheit vom Arbeitsmarkt wieder verliert. Diese Rechtsprechung ist im Rahmen der Auslegung des Artikels 6 des Beschlusses Nr. 1/80 entwickelt worden. Artikel 6 findet auf türkische Arbeitnehmer Anwendung, die in einem Mitgliedstaat ein Arbeitsverhältnis begründet haben und dem regulären Arbeitsmarkt dieses Mitgliedstaats angehören. Um von diesem Recht auf Zugang zur Beschäftigung Gebrauch machen zu können, muss der Betreffende ein Aufenthaltsrecht haben (31) . Dieses Aufenthaltsrecht soll somit nur die praktische Wirksamkeit des Rechts auf Zugang zur Beschäftigung gewährleisten. Der Gerichtshof hat daraus im Urteil Bozkurt abgeleitet, dass sich ein türkischer Staatsangehöriger dann nicht mehr auf ein Aufenthaltsrecht im Aufnahmemitgliedstaat nach Artikel 6 des Beschlusses Nr. 1/80 berufen könne, wenn er das Rentenalter erreicht oder einen Arbeitsunfall erlitten habe, durch den er dauerhaft und gänzlich unfähig geworden sei, weiter eine Tätigkeit im Lohn- oder Gehaltsverhältnis auszuüben. In einem solchen Fall müsse davon ausgegangen werden, dass der Betroffene den Arbeitsmarkt dieses Mitgliedstaats endgültig verlassen habe, so dass das Aufenthaltsrecht, auf das er sich berufe, keinen Bezug mehr auf eine – auch künftige – Tätigkeit im Lohn- oder Gehaltsverhältnis aufweise (32) . Sodann hat der Gerichtshof im Urteil Tetik ausgeführt, dass ein türkischer Arbeitnehmer seine Rechte aus Artikel 6 verliere, wenn er beschließe, seinen Arbeitsplatz aufzugeben, und nicht die für die Begründung eines neuen Arbeitsverhältnisses notwendigen Schritte unternehme (33) . Er hat diese Auffassung im Urteil Nazli u. a. bestätigt (34) . Mit der Vorlagefrage will das vorlegende Gericht also Aufschluss darüber erhalten, ob sich diese Rechtsprechung auf den Fall eines türkischen Staatsangehörigen übertragen lässt, der in den Anwendungsbereich der Bestimmungen des Artikels 7 Satz 1 des Beschlusses Nr. 1/80 fällt und sich in der Situation von Herr Cetinkaya befindet.

37.     Mit der Kommission meine ich, dass die Antwort auf diese Frage dem Urteil Ergat zu entnehmen ist. Dieses Urteil betraf, wie wir gesehen haben, ein Kind türkischer Arbeitnehmer, das im Alter von acht Jahren die Genehmigung erhalten hatte, zu seinen Eltern nach Deutschland zu ziehen, wo es später selbst verschiedene Beschäftigungen ausübte und wo die Verlängerung seiner Aufenthaltsgenehmigung von den zuständigen Behörden abgelehnt wurde, weil diesen sein entsprechender Antrag verspätet zugegangen war. Wie wir gesehen haben, hat der Gerichtshof den Umfang der Rechte präzisiert, den Artikel 7 Satz 1 des Beschlusses Nr. 1/80 unmittelbar den Familienangehörigen eines türkischen Arbeitnehmers verleiht. Wie ich betont habe, hat der Gerichtshof ganz klar gesagt, dass die Mitgliedstaaten nicht mehr berechtigt seien, den Aufenthalt eines Familienangehörigen eines türkischen Arbeitnehmers über den in dieser Bestimmung vorgesehenen Zeitraum von drei Jahren hinaus, geschweige denn nach fünf Jahren des ordnungsgemäßen Wohnsitzes – wenn der Betreffende in den Anwendungsbereich von Artikel 7 Satz 1 zweiter Gedankenstrich des Beschlusses Nr. 1/80 fällt –, Voraussetzungen zu unterwerfen (35) . Zwar seien die Mitgliedstaaten nach wie vor befugt, sowohl Vorschriften über die Einreise von Familienangehörigen türkischer Arbeitnehmer in ihr Hoheitsgebiet zu erlassen als auch die Bedingungen des Aufenthalts dieser Personen während der ersten drei Jahre zu regeln, doch seien sie nicht mehr berechtigt, Bestimmungen über den Aufenthalt zu erlassen, die geeignet wären, die Ausübung der Rechte zu beeinträchtigen, die den Personen, die die in dem Beschluss Nr. 1/80 aufgestellten Voraussetzungen erfüllten und sich somit bereitsordnungsgemäß in den Aufnahmemitgliedstaat integriert hätten, durch diesen Beschluß ausdrücklich verliehen würden. Denn das Aufenthaltsrecht sei für die Aufnahme und die Ausübung jeder Beschäftigung im Lohn- oder Gehaltsverhältnis unerläßlich (36) .

38.     Des Weiteren hat der Gerichtshof im selben Urteil dargelegt, unter welchen Umständen ein Familienangehöriger eines in den Anwendungsbereich des Artikels 7 Satz 1 des Beschlusses Nr. 1/80 fallenden türkischen Arbeitnehmers die ihm durch diese Bestimmung verliehenen Rechte wieder verlieren kann. In seinen Schlussanträgen in dieser Rechtssache hatte Generalanwalt Mischo die Auffassung vertreten, dass das volljährige Kind eines solchen Arbeitnehmers dann, wenn es das Recht auf freien Zugang zu jeder entgeltlichen Beschäftigung erworben habe, denselben Regeln unterliegen müsse wie der türkische Arbeitnehmer, der seinen Wohnsitz in einem Mitgliedstaat als Erwachsener begründet habe. Das Kind verliere demgemäß seine Rechte, wenn es arbeitslos sei und diesen Zustand freiwillig in die Länge ziehe (37) . Ich hatte in meinen Schlussanträgen in der Rechtssache Akman einen vergleichbaren Standpunkt zu einem Kind eingenommen, das im Aufnahmeland eine Berufsausbildung abgeschlossen hatte und seine Rechte aus Artikel 7 Satz 2 des Beschlusses Nr. 1/80 herleitete. Im Interesse der Kohärenz hatte ich die Auffassung vertreten, dass es dem Kind eines türkischen Arbeitnehmers zwar freistehe, sich nach Abschluss seiner Berufsausbildung auf jede Stellenanzeige zu bewerben, und dass es ein korrelatives Aufenthaltsrecht habe, dass es sein Recht auf Zugang zur Beschäftigung jedoch in „angemessener Frist“ ausüben müsse (38) . Der Gerichtshof hat dieses Erfordernis im Urteil Akman jedoch nicht bestätigt. Außerdem hat er im Urteil Ergat darauf hingewiesen, dass die den Familienangehörigen durch Artikel 7 Satz 1 des Beschlusses Nr. 1/80 verliehenen Rechte nur in zwei Fällen beschränkt werden könnten: erstens, wenn Artikel 14 des Beschlusses anwendbar sei, und zweitens, wenn der betreffende Familienangehörige das Gebiet des Aufnahmemitgliedstaats für einen nicht unerheblichen Zeitraum ohne berechtigte Gründe verlassen habe (39) . Der Gerichtshof hat sich also dem Vorschlag von Generalanwalt Mischo hinsichtlich der dritten Fallvariante – Arbeitslosigkeit und freiwilliges In‑die‑Länge‑Ziehen dieses Zustands – nicht angeschlossen.

39.     Mithin lässt sich aus dem Urteil Ergat ableiten, dass der Betroffene, sofern nicht eine Ausweisungsverfügung des Mitgliedstaats nach Artikel 14 des Beschlusses Nr. 1/80 vorliegt, nur dann seine Rechte auf Zugang zur Beschäftigung und auf Aufenthalt aus Artikel 7 Satz 1 dieses Beschlusses wieder verliert, wenn er selbst entschieden hat, seine Verbindungen zu diesem Staat abzubrechen, indem er ihn während eines längeren Zeitraums ohne berechtigte Gründe verlässt. Dagegen kann der Familienangehörige, wenn er seine Verbindungen zum Aufnahmemitgliedstaat nicht abgebrochen hat, diese Rechte nur nach Artikel 14 des Beschlusses Nr. 1/80 verlieren.

40.     Diese Lösung muss erst recht für das volljährige Kind eines türkischen Arbeitnehmers gelten, das, wie Herr Cetinkaya, in dem Mitgliedstaat geboren wurde und stets mit seinen Eltern dort gelebt hat. Wie wir nämlich gesehen haben, wird mit Artikel 7 Satz 1 des Beschlusses Nr. 1/80 der zweifache Zweck verfolgt, die Integration des türkischen Arbeitnehmers in den Aufnahmemitgliedstaat dadurch zu ermöglichen, dass die Aufrechterhaltung seiner familiären Bande gefördert wird, und die eigene Stellung seiner Familienangehörigen zu stärken, indem diesen nach bestimmter Zeit selbst der Zugang zum Arbeitsmarkt erlaubt wird. Wie ich bereits hervorgehoben habe, hat der Gerichtshof im Urteil Ergat die Auffassung vertreten, dass die Mitgliedstaaten nicht mehr befugt seien, Maßnahmen zu treffen, die geeignet seien, das Aufenthaltsrecht der Familienangehörigen, die die Voraussetzungen des Artikels 7 Satz 1 des Beschlusses Nr. 1/80 erfüllten, zu beschränken, weil diese Familienangehörigen bereits wegen der Erfüllung dieser Voraussetzungen ordnungsgemäß in den Aufnahmemitgliedstaat integriert seien. Dies muss erst recht für das Kind eines türkischen Arbeitnehmers gelten, das im Aufnahmemitgliedstaat geboren wurde, dort zur Schule gegangen ist und stets dort gelebt hat. Es erscheint unbestreitbar, dass dieser türkische Staatsangehörige bereits in den Mitgliedstaat integriert ist. Daher können die ihm nach Artikel 7 Satz 1 zweiter Gedankenstrich des Beschlusses Nr. 1/80 zustehenden Rechte nicht beschränkter sein als die Rechte eines Familienangehörigen, der im Laufe seines Lebens zum Arbeitnehmer in den Aufnahmestaat gezogen ist. Außerdem hat Herr Cetinkaya, wie Herr Ergat, von seinem Recht auf Zugang zur Beschäftigung im Aufnahmemitgliedstaat Gebrauch gemacht, da er dort zwischen 1996 und Dezember 1999, d. h. praktisch bis zum Antritt seiner Freiheitsstrafe, verschiedene Tätigkeiten im Lohn- oder Gehaltsverhältnis ausgeübt hat, was es umso mehr rechtfertigt, die vom Gerichtshof im Urteil Ergat vertretene Auffassung auf die vorliegende Rechtssache zu übertragen.

41.     Aus den vorstehenden Erwägungen könnte mithin gefolgert werden, dass ein im Aufnahmemitgliedstaat geborener türkischer Staatsangehöriger, der nie seine Verbindungen zu diesem Staat abgebrochen hat, die ihm durch Artikel 7 Satz 1 des Beschlusses Nr. 1/80 unmittelbar verliehenen Rechte nur nach Artikel 14 Absatz 1 dieses Beschlusses, d. h. aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit und Gesundheit, verlieren kann. Dieses Ergebnis würde mit den von Artikel 7 Satz 1 des Beschlusses Nr. 1/80 verfolgten Integrationszielen in Einklang stehen. Denn die Integration der türkischen Arbeitnehmer würde in dem Maße gefördert, wie die Rechte ihrer im Aufnahmemitgliedstaat geborenen Kinder gestärkt würden. Ebenso würde die Integration der Familienangehörigen in dem Maße gestärkt, wie das Aufenthaltsrecht der im Aufnahmemitgliedstaat geborenen Kinder der zweiten Generation, die ihre Verbindungen zu diesem Staat nie abgebrochen haben, gleich für welche Generation nicht mehr vorläufig oder ungesichert wäre, da es nicht mehr von der Ausübung einer wirtschaftlichen Tätigkeit abhinge. Umgekehrt könnte aber eine Übertragung der Artikel 6 des Beschlusses Nr. 1/80 innewohnenden Beschränkungen auf diese Kinder zur Folge haben, dass sie aufgrund eines ihre endgültige Arbeitsunfähigkeit verursachenden Arbeitsunfalls oder nach Beantragung ihrer Rente kein Aufenthaltsrecht nach diesem Beschluss mehr in diesem Mitgliedstaat hätten, auch wenn sie immer dort gelebt haben.

42.     Diese Auffassung hätte zudem den Vorteil, dass mit ihr die bedeutende Entwicklung des Gemeinschaftsrechts auf dem Gebiet des Aufenthaltsrechts in den Mitgliedstaaten berücksichtigt würde. Wie wir wissen, ist das Aufenthaltsrecht der Gemeinschaftsangehörigen nicht mehr von der Ausübung einer wirtschaftlichen Tätigkeit abhängig. Seit den neunziger Jahren des letzten Jahrhunderts sind mehrere Richtlinien zugunsten der Personen erlassen worden, die keine wirtschaftliche Tätigkeit ausüben oder eine solche nicht mehr ausüben. Unter anderem hat der Gesetzgeber vorgesehen, unter welchen Bedingungen in den Ruhestand getretene Arbeitnehmer die Genehmigung zum Aufenthalt im Aufnahmemitgliedstaat erhalten können (40) . Diese Auffassung ist vor allem durch die mit dem Vertrag über die Europäische Union erfolgte Einführung der Unionsbürgerschaft in den EG‑Vertrag konkretisiert worden, die nunmehr jeder Person, die die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats besitzt, aufgrund einer unmittelbar anwendbaren Bestimmung das Recht verleiht, sich frei im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten aufzuhalten (41) , sofern die Betreffenden für sich und ihre Familienangehörigen über ausreichende Existenzmittel und eine Krankenversicherung, die die Risiken im Aufnahmemitgliedstaat abdeckt, verfügen (42) .

43.     Zwar sind diese Bestimmungen nicht auf unter den Beschluss Nr. 1/80 fallende türkische Staatsangehörige anwendbar, und beim gegenwärtigen Stand der Rechtsprechung gilt für das Recht eines Gemeinschaftsangehörigen auf Aufenthalt in einem Mitgliedstaat nach den Artikeln 39 EG und 41 EG – von denen sich die Parteien des Assoziierungsabkommens im Rahmen von Vereinbarungen leiten lassen wollten, um die Freizügigkeit der Arbeitnehmer zwischen den Mitgliedstaaten der Gemeinschaft und der Türkei herzustellen – weiterhin, dass der türkische Staatsangehörige die Eigenschaft als Arbeitnehmer oder gegebenenfalls als Arbeitssuchender haben muss (43) . Gleichwohl halte ich es für kaum möglich, dieser Entwicklung bei der Auslegung des Beschlusses Nr. 1/80 überhaupt nicht Rechnung zu tragen. Eine solche Berücksichtigung scheint mir angesichts der Bestimmungen, die auf dem Gebiet des Rechts auf Aufenthalt von Angehörigen von Drittstaaten in den Mitgliedstaaten erlassen worden sind, gerechtfertigt zu sein. So hat der Europäische Rat auf seiner Sondertagung in Tampere am 15. und 16. Oktober 1999 erklärt, dass die Europäische Union eine gerechte Behandlung von Drittstaatsangehörigen, die sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten rechtmäßig aufhielten, sicherstellen müsse und dass eine energischere Integrationspolitik darauf ausgerichtet sein sollte, ihnen vergleichbare Rechte und Pflichten wie EU-Bürgern zuzuerkennen (44) . In der Richtlinie 2003/109/EG (45) , die der Logik dieser Erklärung entsprechend erlassen wurde (46) , heißt es u. a., dass die Integration von Drittstaatsangehörigen, die in den Mitgliedstaaten langfristig ansässig sind, entscheidend zur Förderung des wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhalts beiträgt, der als eines der Hauptziele der Gemeinschaft im Vertrag genannt ist (47) . Sie führt für die Angehörigen von Drittstaaten, die sich fünf Jahre lang rechtmäßig im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats aufhalten, die Rechtsstellung eines langfristig Aufenthaltsberechtigten ein, sofern sie den Nachweis erbringen, dass sie über Einkünfte, die für ihren eigenen Lebensunterhalt und den ihrer Familienangehörigen ausreichen, und eine Krankenversicherung verfügen (48) .

44.     Angesichts dieser Entwicklung und insbesondere der Rechte, die in dieser Weise den Angehörigen aller Drittstaaten nach einer bestimmten Dauer des regelmäßigen Aufenthalts in einem Mitgliedstaat verliehen werden, wäre es daher nicht konsequent, wenn den volljährigen Kindern türkischer Arbeitnehmer, die in diesem Mitgliedstaat geboren wurden und stets dort gelebt haben, nach Maßgabe eines Assoziierungsabkommens, das vor über vierzig Jahren geschlossen wurde, um die Integration der Türkei in die Europäische Gemeinschaft zu ermöglichen, nur ein Aufenthaltsrecht zustände, das lediglich Ausfluss der Ausübung einer wirtschaftlichen Tätigkeit wäre. Auch ist insoweit darauf hinzuweisen, dass die den türkischen Staatsangehörigen durch den Beschluss Nr. 1/80 verliehenen Rechte beim gegenwärtigen Stand der Rechtsprechung nicht das Recht umfassen, sich innerhalb der Gemeinschaft frei zu bewegen, und auf das Hoheitsgebiet des Aufnahmemitgliedstaats beschränkt sind, in den diese Migranten rechtmäßig eingereist sind oder in dem sie ihren rechtmäßigen Wohnsitz haben (49) . Würde man akzeptieren, dass die den im Aufnahmemitgliedstaat geborenen türkischen Kindern, die ihre Verbindungen zu diesem Staat nie abgebrochen haben, durch Artikel 7 Satz 1 des Beschlusses Nr. 1/80 unmittelbar verliehenen Rechte nur nach Maßgabe des Artikels 14 dieses Beschlusses beschränkt werden können, so würden diese Migranten eine dem Sinn und Zweck des Assoziierungsübereinkommens entsprechende Zwischenstellung zwischen den Unionsbürgern und den Angehörigen aller Drittländer behalten.

45.     Ein türkischer Staatsangehöriger, der, wie Herr Cetinkaya, Verstöße gegen die Betäubungsmittelvorschriften begangen hat, die, wie im vorliegenden Fall, seine Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren rechtfertigen, dürfte daher nicht vom Anwendungsbereich des Beschlusses Nr. 1/80 ausgeschlossen werden und nicht die ihm durch dessen Artikel 7 Satz 1 verliehenen Rechte auf Zugang zur Beschäftigung und Aufenthalt automatisch verlieren. Mit dieser Auffassung soll nicht das legitime Recht der Mitgliedstaaten in Frage gestellt werden, gegenüber Angehörigen anderer Staaten, die die öffentliche Ordnung erheblich stören, Ausweisungsmaßnahmen zu treffen. Ich bestreite auch nicht, dass die Verübung von Straftaten gegen das Betäubungsmittelrecht, wie der Gerichtshof bereits wiederholt festgestellt hat (50) , eine schwere, tatsächliche Gefahr für die Gesellschaft darstellt, die besondere Maßnahmen gegen Ausländer rechtfertigt, die sich dieser Straftaten schuldig gemacht haben. Ich möchte nur sagen, dass die rechtliche Grundlage, auf der die Mitgliedstaaten diese Maßnahmen gegen in den Anwendungsbereich des Artikels 7 Satz 1 des Beschlusses Nr. 1/80 fallende türkische Staatsangehörige treffen können, Artikel 14 dieses Beschlusses ist, mit dem der Assoziationsrat den Vertragsstaaten des Assoziierungsabkommens das Recht, ihre berechtigten Interessen im Bereich der öffentlichen Ordnung zu wahren, in der Weise vorbehalten wollte, dass er es ihnen erlaubt, die durch diesen Beschluss verliehenen Rechte zu beschränken.

46.     Nach dieser Bestimmung hatte das vorlegende Gericht daher die Rechtmäßigkeit der Ausweisungsverfügung vom 3. November 2000 in der Fassung vom 3. September 2002 nachzuprüfen. In diesem Zusammenhang ist auf das Urteil Nazli u. a. hinzuweisen, wonach bei der Bestimmung des Umfangs der in Artikel 14 des Beschlusses Nr. 1/80 vorgesehenen Ausnahme der öffentlichen Ordnung darauf abzustellen ist, wie die gleiche Ausnahme im Bereich der Freizügigkeit der Arbeitnehmer, die Angehörige der Mitgliedstaaten sind, vom Gerichtshof ausgelegt worden ist (51) . Der Rechtsprechung ist zu entnehmen, dass der Begriff „öffentliche Ordnung“ als Rechtfertigung einer Ausnahme vom Recht auf Inanspruchnahme von durch den EG-Vertrag garantierten Grundfreiheiten eng auszulegen ist (52) . Er setzt außer der Störung der öffentlichen Ordnung, die jede Gesetzesverletzung darstellt, das Vorliegen einer tatsächlichen und hinreichend schweren Gefährdung voraus, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt (53) . In einem solchen Fall kann eine strafrechtliche Verurteilung eine Ausweisungsmaßnahme nur rechtfertigen, wenn die Umstände, die zu dieser Verurteilung geführt haben, ein persönliches Verhalten erkennen lassen, das eine gegenwärtige Gefährdung der öffentlichen Ordnung darstellt (54) . Daraus folgt, dass eine Ausweisungsmaßnahme nicht auf Gründe der Generalprävention (55) gestützt werden kann, wie es bei der im Ausgangsverfahren angefochtenen Verfügung wenigstens zum Teil der Fall zu sein scheint. Sie kann auch nicht ohne weiteres allein aufgrund einer strafrechtlichen Verurteilung verhängt werden (56) . Bei einer Ausweisungsmaßnahme muss stets eine Einzelfallbeurteilung des persönlichen Verhaltens des Straftäters und der von diesem Verhalten ausgehenden Gefährdung der öffentlichen Ordnung angestellt werden. Wie wir außerdem noch im Rahmen der Prüfung der sechsten Vorlagefrage sehen werden, müssen die nach dem Erlass der Ausweisungsverfügung eingetretenen tatsächlichen Umstände, die zeigen sollen, dass vom Betroffenen keine Gefährdung der öffentlichen Ordnung mehr ausgeht, von dem mit der Nachprüfung der Rechtmäßigkeit der Ausweisungsverfügung befassten Gericht berücksichtigt werden können. Und schließlich müssen die vom betreffenden Mitgliedstaat getroffenen Maßnahmen der öffentlichen Ordnung den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit dergestalt beachten (57) , dass sie geeignet sein müssen, die Verwirklichung des mit ihnen verfolgten Zieles zu gewährleisten, und nicht über das hinausgehen dürfen, was zur Erreichung dieses Zieles erforderlich ist.

47.     Bei dieser Beurteilung haben die zuständigen nationalen Behörden überdies das durch Artikel 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention garantierte Recht auf Achtung des Familienlebens zu berücksichtigen. Dieses Erfordernis, dessen Berücksichtigung der Gerichtshof im Rahmen der Freizügigkeit der Arbeitnehmer der Gemeinschaft und ihrer Familienangehörigen vorgeschrieben hat (58) , muss auch für die Beurteilung der Frage gelten, welche Grenzen den Rechten gesetzt werden können, die den türkischen Migranten durch den Beschluss Nr. 1/80 verliehen werden. Es ist unstreitig, dass es einen Eingriff in dieses Recht auf Achtung des Familienlebens darstellen kann, wenn eine Person aus dem Land ausgewiesen wird, in dem nahe Familienangehörige von ihr leben, und dass dieses Recht zu den Grundrechten gehört, die in der Gemeinschaftsrechtsordnung geschützt werden (59) . Im Urteil Orfanopoulos u. a. hat der Gerichtshof näher ausgeführt, dass ein solcher Eingriff dem Schutz der öffentlichen Ordnung angemessen sein müsse und dass bei dieser Verhältnismäßigkeitsprüfung insbesondere die Art und Schwere der vom Betroffenen begangenen Straftat, die Dauer seines Aufenthalts im Aufnahmemitgliedstaat, die Zeit, die seit der Begehung der Straftat verstrichen sei, die familiäre Situation des Betroffenen und das Ausmaß der Schwierigkeiten, denen sein Ehegatte und ihre möglicherweise vorhandenen Kinder im Herkunftsland des Betroffenen begegnen könnten, zu berücksichtigen seien (60) .

48.     Der Gerichtshof ist also bestrebt gewesen, die Rechte der Einzelnen im Rahmen der Ausübung der den Mitgliedstaaten im Bereich der öffentlichen Ordnung zustehenden Rechte zu schützen. Würde man es zulassen, dass ein türkischer Staatsangehöriger aufgrund einer Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe ohne weiteres vom Anwendungsbereich des Beschlusses Nr. 1/80 ausgeschlossen würde, weil er vorübergehend an der Ausübung einer Tätigkeit im Lohn- oder Gehaltsverhältnis gehindert ist, würde man es damit möglicherweise zugleich zulassen, dass die nationalen Verwaltungen die den Befugnissen der Mitgliedstaaten auf dem Gebiet der öffentlichen Ordnung gesetzten Grenzen umgehen, und somit Artikel 14 des Beschlusses Nr. 1/80 einen Teil seiner praktischen Wirksamkeit nehmen.

49.     Nach alledem schlage ich deshalb dem Gerichtshof vor, auf die zweite Vorlagefrage zu antworten, dass Artikel 7 Satz 1 des Beschlusses Nr. 1/80 dahin auszulegen ist, dass die Rechte, die er einem türkischen Staatsangehörigen in der Situation von Herrn Cetinkaya verleiht, der im Aufnahmemitgliedstaat geboren wurde und stets dort gelebt hat, nach einer Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe, der sich gegebenenfalls eine Drogentherapie anschließt, nur nach Maßgabe des Artikels 14 des Beschlusses Nr. 1/80 beschränkt werden können.

C – Zur dritten Vorlagefrage

50.     Für den Fall, dass die zweite Frage verneint und angenommen wird, dass der Betroffene, wenn er aus dem Arbeitsmarkt ausgeschieden ist, die durch Artikel 7 Satz 1 des Beschlusses Nr. 1/80 verliehenen Rechte wieder verlieren kann, möchte das vorlegende Gericht wissen, ob ein solcher Verlust dann eintritt, wenn der Betroffene, wie im vorliegenden Fall, zu einer Jugendstrafe von drei Jahren verurteilt worden ist. Hierzu fragt es sich, welche Tragweite dem Urteil Nazli u. a. beizumessen ist, in dem der Gerichtshof festgestellt hat, dass ein Arbeitnehmer, der dem regulären Arbeitsmarkt angehöre, die ihm durch Artikel 6 des Beschlusses Nr. 1/80 verliehenen Rechte nicht dadurch verloren habe, dass er dreizehn Monate lang in Untersuchungshaft gehalten und anschließend zu einer zur Bewährung ausgesetzten Freiheitsstrafe verurteilt worden sei.

51.     Das vorlegende Gericht fragt also im Wesentlichen, ob der Familienangehörige eines türkischen Arbeitnehmers das ihm durch Artikel 7 Satz 1 zweiter Gedankenstrich des Beschlusses Nr. 1/80 nach fünfjährigem ordnungsgemäßem Wohnsitz im Aufnahmemitgliedstaat verliehene Recht auf Zugang zu jeder von ihm gewählten Beschäftigung im Lohn- oder Gehaltsverhältnis verliert, wenn er zu einer Jugendstrafe von drei Jahren verurteilt worden ist, deren Dauer zwar verkürzt werden kann, der sich jedoch eine Drogentherapie anzuschließen hat, während deren er dem Arbeitsmarkt ebenso wenig zur Verfügung steht.

52.     Da ich vorgeschlagen habe, die zweite Frage zu bejahen, nehme ich zur dritten Vorlagefrage nur hilfsweise Stellung. Meiner Ansicht nach ist diese Frage auf der Grundlage des Standpunktes des Gerichtshofes im Urteil Nazli u. a. zu verneinen (61) .

53.     In diesem Urteil hat der Gerichtshof ausgeführt, die vorübergehende Unterbrechung des Beschäftigungszeitraums eines türkischen Arbeitnehmers während seiner Untersuchungshaft sei als solche nicht geeignet, diesem seine unmittelbar aus Artikel 6 des Beschlusses Nr. 1/80 hergeleiteten Rechte zu nehmen, sofern er innerhalb eines angemessenen Zeitraums nach seiner Haftentlassung wieder eine Beschäftigung finde (62) . Die vorübergehende Abwesenheit aufgrund einer solchen Haft stelle die weitere Teilnahme des Betroffenen am Erwerbsleben keineswegs in Frage (63) . Der Gerichtshof hat diese Beurteilung nicht auf die besonderen Umstände des damaligen Einzelfalls beschränkt, in dem Herr Nazli zu Ermittlungszwecken in Untersuchungshaft genommen und sodann zu einer zur Bewährung ausgesetzten Freiheitsstrafe verurteilt worden war. Diese Bewertung im Urteil Nazli u. a. ist im Urteil Orfanopoulos u. a. bestätigt worden (64) .

54.     Meines Erachtens ist die gleiche Bewertung in dem Fall geboten, dass der Betroffene unter Auflagen aus der Haft entlassen werden kann, um sich einer Drogentherapie zu unterziehen. Eine solche Maßnahme bezweckt gerade, der Abhängigkeit des Betroffenen von Betäubungsmitteln ein Ende zu setzen, um seine Resozialisierung zu ermöglichen, ihn also in die Lage zu versetzen, wieder in der Gesellschaft Fuß zu fassen, was voraussetzt, dass er einer Arbeit nachgehen kann und ihm das Aufenthaltsrecht nicht entzogen wird. Mit diesen Zielen wäre es daher unvereinbar, aus einer Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe als solcher ein Ausscheiden aus dem Arbeitsmarkt abzuleiten, mit dem der Verlust des Rechts auf Zugang zum Arbeitsmarkt und des entsprechenden Aufenthaltsrechts verbunden wäre. Dies wäre im vorliegenden Fall umso widersprüchlicher, als hier das mit dem deutschen Strafrecht verfolgte Ziel der Resozialisierung offenbar erreicht ist, da Herr Cetinkaya seine Drogentherapie mit Erfolg abgeschlossen hat, die Vollstreckung seiner restlichen Freiheitsstrafe zur Bewährung ausgesetzt worden ist und er seine schulische Ausbildung wieder aufgenommen und eine Teilzeitbeschäftigung gefunden hat. Die Tatsachen, auf denen die Verurteilung beruht, können hingegen im Rahmen von Artikel 14 des Beschlusses Nr. 1/80 bei der Prüfung der Frage berücksichtigt werden, ob von Herrn Cetinkaya im Sinne der Rechtsprechung eine gegenwärtige, tatsächliche und hinreichend schwere Gefährdung der öffentlichen Ordnung ausgeht.

55.     Ich folgere daraus, dass der Familienangehörige eines türkischen Arbeitnehmers die ihm durch Artikel 7 Satz 1 zweiter Gedankenstrich des Beschlusses Nr. 1/80 verliehenen Rechte auf Zugang zur Beschäftigung und auf Aufenthalt nicht verliert, wenn er zu einer Jugendstrafe von drei Jahren verurteilt worden ist, deren Dauer zwar verkürzt werden kann, der sich jedoch eine Drogentherapie anzuschließen hat, während deren er dem Arbeitsmarkt ebenso wenig zur Verfügung steht.

D – Zur vierten und zur fünften Vorlagefrage

56.     Mit der vierten und der fünften Frage, die zusammen zu prüfen sind, möchte das vorlegende Gericht wissen, ob der Verlust des Arbeitsplatzes oder die Unmöglichkeit, sich im Fall der Verurteilung zu einer zeitigen Freiheitsstrafe um eine Beschäftigung zu bewerben, zu einer verschuldeten Arbeitslosigkeit im Sinne von Artikel 6 Absatz 2 Satz 2 des Beschlusses Nr. 1/80 führt, die den Verlust der Rechte aus den Artikeln 6 Absatz 1 und 7 Satz 1 des Beschlusses Nr. 1/80 nicht verhindern würde. Das vorlegende Gericht fragt weiter, ob es einen Einfluss auf die Beantwortung der dritten Frage haben kann, dass diese Verurteilung zu einer Freilassung führen kann, der sich zunächst eine Drogentherapie anschließen wird, nach deren Abschluss erst die Aufnahme einer Beschäftigung möglich sein wird.

57.     Auch diese beiden Fragen prüfe ich nur hilfsweise, habe ich doch vorgeschlagen, auf die zweite Vorlagefrage zu antworten, dass ein türkischer Staatsangehöriger in der Situation von Herrn Cetinkaya die ihm unmittelbar durch Artikel 7 Satz 1 des Beschlusses Nr. 1/80 verliehenen Rechte nur nach Maßgabe des Artikels 14 dieses Beschlusses verlieren kann.

58.     Die vierte und die fünfte Frage gehen von der Prämisse aus, dass die Bestimmungen des Artikels 6 Absatz 2 des Beschlusses Nr. 1/80 als solche im Rahmen von Artikel 7 Satz 1 dieses Beschlusses entsprechend anwendbar sind. Wie alle Beteiligten meine auch ich, dass diese Prämisse irrig ist. Wir haben gesehen, dass Artikel 6 des Beschlusses Nr. 1/80 die Situation türkischer Arbeitnehmer betrifft. Er begründet in Absatz 1 für diese Arbeitnehmer abgestufte Rechte auf Zugang zur Beschäftigung (65) . Wie der Gerichtshof im Urteil Bozkurt (66) ausgeführt hat, regelt Artikel 6 in Absatz 2 die Folgen bestimmter Arbeitsunterbrechungen nur für die Zwecke der Berechnung der in seinem Absatz 1 genannten Zeiten der ordnungsgemäßen Beschäftigung. So bestimmt er, dass der Jahresurlaub sowie Abwesenheiten wegen Mutterschaft, Arbeitsunfall oder kurzer Krankheit den Zeiten ordnungsgemäßer Beschäftigung gleichzustellen sind. Weiter sieht er in einem zweiten Schritt vor, dass die von einem türkischen Arbeitnehmer nach Artikel 6 Absatz 1 des Beschlusses Nr. 1/80 bereits erworbenen Rechte durch die Zeiten unverschuldeter Arbeitslosigkeit und durch Abwesenheiten wegen langer Krankheit nicht in Frage gestellt werden. Wie der Gerichtshof im Urteil Tetik (67) ausgeführt hat, soll diese Bestimmung nur verhindern, dass ein türkischer Arbeitnehmer, der wieder zu arbeiten beginnt, nachdem er wegen Krankheit oder unverschuldeter Arbeitslosigkeit nicht arbeiten konnte, wieder von neuem – wie ein türkischer Arbeitnehmer, der im Aufnahmemitgliedstaat noch nie eine Beschäftigung im Lohn- oder Gehaltsverhältnis ausgeübt hat – die in Artikel 6 Absatz 1 vorgesehenen Zeiten ordnungsgemäßer Beschäftigung zurücklegen muss.

59.     Die Bestimmungen des Artikels 6 Absatz 2 des Beschlusses Nr. 1/80 sind daher im Rahmen von Artikel 7 Satz 1 dieses Beschlusses, der ihren Wortlaut nicht übernimmt und einer ganz anderen Systematik folgt, nicht anwendbar, da die Begründung von Rechten nach Artikel 7 Satz 1 nicht davon abhängt, dass der Familienangehörige während einer bestimmten Zeitspanne eine Tätigkeit im Lohn- oder Gehaltsverhältnis ausübt, sondern vom tatsächlichen Zusammenwohnen mit dem Arbeitnehmer während drei Jahren.

E – Zur sechsten Vorlagefrage

60.     Mit seiner sechsten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob es positive Änderungen berücksichtigen kann, die seit der Ausweisungsverfügung vom 3. November 2000 in der Situation von Herrn Cetinkaya eingetreten sind. Es legt dar, nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts müsse für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage im Fall einer Verfügung über die Ausweisung des Betroffenen auf den Zeitpunkt des Erlasses dieser Verfügung abgestellt werden. Das Gericht könne daher die nach dem 3. November 2000 eingetretene Änderung der Verhältnisse von Herrn Cetinkaya nicht berücksichtigen. Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes setze allerdings die Ausweisung eines Unionsbürgers nicht nur das Bestehen einer konkreten, sondern einer auch gegenwärtigen Gefährdung voraus (68) . Nach dieser Rechtsprechung seien die nationalen Behörden und Gerichte verpflichtet, in jedem Stadium des Verfahrens zu prüfen, ob von dem Betroffenen noch eine gegenwärtige Gefährdung der öffentlichen Ordnung ausgehe. Diese Rechtsprechung sei auch auf die Anwendung des Artikels 14 des Beschlusses Nr. 1/80 übertragbar. Infolgedessen müsse das nationale Gericht die Situation des Betroffenen berücksichtigen können, wie sie sich in der mündlichen Verhandlung darstelle.

61.     Das vorlegende Gericht fragt somit im Wesentlichen, ob Artikel 14 des Beschlusses Nr. 1/80 dahin auszulegen ist, dass er einer innerstaatlichen Praxis entgegensteht, nach der das mit einer Klage gegen eine Ausweisungsentscheidung befasste Gericht eine nach der letzten Behördenentscheidung eingetretene Änderung der Verhältnisse des Betroffenen nicht berücksichtigen kann, aufgrund deren eine Beschränkung seiner Rechte nach diesem Artikel nicht mehr zulässig wäre.

62.     Meiner Ansicht nach lässt sich die Antwort auf diese Frage dem Urteil Orfanopoulos u. a. entnehmen, in dem der Gerichtshof die gleiche Frage in einem Verfahren beantwortet hat, in dem es um die Anfechtung einer von einer deutschen Verwaltungsbehörde gegen einen Gemeinschaftsangehörigen erlassenen Ausweisungsverfügung ging (69) . Die Frage betraf somit die Auslegung von Artikel 3 der Richtlinie 64/221, der die Voraussetzungen festlegt, unter denen ein Mitgliedstaat Maßnahmen der öffentlichen Ordnung gegen Angehörige anderer Mitgliedstaaten treffen kann. Nach diesem Artikel darf, wie wir gesehen haben, bei Maßnahmen der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit ausschließlich das persönliche Verhalten der in Betracht kommenden Einzelpersonen ausschlaggebend sein und können strafrechtliche Verurteilungen allein diese Maßnahmen nicht ohne weiteres begründen. Im Urteil Orfanopoulos u. a. hat der Gerichtshof für Recht erkannt: „Artikel 3 der Richtlinie 64/221 steht einer innerstaatlichen Praxis entgegen, wonach die innerstaatlichen Gerichte nicht verpflichtet sind, bei der Prüfung der Rechtmäßigkeit der gegen einen Angehörigen eines anderen Mitgliedstaats verfügten Ausweisung einen Sachvortrag zu berücksichtigen, der nach der letzten Behördenentscheidung erfolgt ist und der den Wegfall oder eine nicht unerhebliche Verminderung der gegenwärtigen Gefährdung mit sich bringen kann, die das Verhalten des Betroffenen für die öffentliche Ordnung darstellen würde.“ (70) Dies sei vor allem dann der Fall, wenn ein längerer Zeitraum zwischen dem Erlass der Ausweisungsentscheidung und deren Beurteilung durch das zuständige Gericht liege.

63.     Diese Antwort lässt sich auf Artikel 14 des Beschlusses Nr. 1/80 übertragen. Zum einen enthält dieser Artikel nämlich, wie auch Artikel 3 der Richtlinie 64/221, keinen Hinweis darauf, auf welchen Zeitpunkt für die Beurteilung der Frage abzustellen ist, ob die Gefährdung der öffentlichen Ordnung, die von dem Verhalten des türkischen Staatsangehörigen ausgeht, gegen den eine Ausweisungsmaßnahme getroffen wurde, noch anhält. Zum anderen hat der Gerichtshof seine Auslegung von Artikel 3 der Richtlinie 64/221 auf seine Rechtsprechung gestützt, nach der Ausnahmen vom Grundsatz der Freizügigkeit der Arbeitnehmer eng auszulegen sind (71) . Außerdem wissen wir, dass die Grundsätze, die im Rahmen der die Freizügigkeit der Arbeitnehmer betreffenden Bestimmungen des EG-Vertrags gelten, so weit wie möglich auf die türkischen Arbeitnehmer übertragen werden sollen, die die durch den Beschluss Nr. 1/80 zuerkannten Rechte erworben haben, und dass bei der Bestimmung des Umfangs der in Artikel 14 dieses Beschlusses vorgesehenen Ausnahme der öffentlichen Ordnung darauf abzustellen ist, wie die gleiche Ausnahme im Bereich der Freizügigkeit der Arbeitnehmer, die Angehörige der Mitgliedstaaten sind, ausgelegt wird (72) . Daraus folgt, dass der Begriff „gegenwärtige Gefährdung der öffentlichen Ordnung“, die von dem persönlichen Verhalten der Person ausgehen muss, gegen die die Ausweisungsmaßnahme getroffen wurde, im Rahmen von Artikel 14 des Beschlusses Nr. 1/80 genauso auszulegen ist wie der gleiche Begriff, der vom Gerichtshof zu dem auf Angehörige der Mitgliedstaaten anwendbaren Artikel 3 der Richtlinie 64/221 entwickelt worden ist.

64.     Ich schlage daher dem Gerichtshof vor, auf die sechste Vorlagefrage zu antworten, dass Artikel 14 des Beschlusses Nr. 1/80 dahin auszulegen ist, dass er einer innerstaatlichen Praxis entgegensteht, nach der das mit einer Klage gegen eine Ausweisungsentscheidung befasste Gericht eine nach der letzten Behördenentscheidung eingetretene Änderung der Verhältnisse des Betroffenen, aufgrund deren eine Beschränkung seiner Rechte nach diesem Artikel nicht mehr zulässig wäre, nicht berücksichtigen kann.

V – Ergebnis

65.     Nach alledem schlage ich dem Gerichtshof vor, die Vorlagefragen des Verwaltungsgerichts Stuttgart wie folgt zu beantworten:

1.
Artikel 7 Satz 1 des Beschlusses Nr. 1/80 vom 19. September 1980 über die Entwicklung der Assoziation, der von dem durch das Assoziierungsabkommen zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Türkei eingesetzten Assoziationsrat erlassen wurde, ist dahin auszulegen, dass ein im Aufnahmemitgliedstaat geborenes volljähriges Kind eines türkischen Arbeitnehmers, der dem regulären Arbeitsmarkt dieses Mitgliedstaats angehört oder angehört hat, in den Anwendungsbereich dieser Bestimmung fällt.

2.
Diese Bestimmung ist außerdem dahin auszulegen, dass die Rechte, die sie einem türkischen Staatsangehörigen in der Situation von Herrn Cetinkaya verleiht, der im Aufnahmemitgliedstaat geboren wurde und stets dort gelebt hat, nach einer Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe, der sich gegebenenfalls eine Drogentherapie anschließt, nur nach Maßgabe des Artikels 14 des Beschlusses Nr. 1/80 beschränkt werden können.

3.
Artikel 14 des Beschlusses Nr. 1/80 ist dahin auszulegen, dass er einer innerstaatlichen Praxis entgegensteht, nach der das mit einer Klage gegen eine Ausweisungsentscheidung befasste Gericht eine nach der letzten Behördenentscheidung eingetretene Änderung der Verhältnisse des Betroffenen, aufgrund deren eine Beschränkung seiner Rechte nach diesem Artikel nicht mehr zulässig wäre, nicht berücksichtigen kann.


1
Originalsprache: Französisch.


2
Der Beschluss Nr. 1/80, der am 1. Juli 1980 in Kraft trat, ist in Assoziierungsabkommen und Protokolle EWG–Türkei sowie andere Basisdokumente, Amt für amtliche Veröffentlichungen der Europäischen Gemeinschaften, Brüssel, 1992, abgedruckt.


3
Von der Republik Türkei einerseits und den Mitgliedstaaten der EWG und der Gemeinschaft andererseits am 12. September 1963 in Ankara unterzeichnetes und durch den Beschluss 64/732/EWG des Rates vom 23. Dezember 1963 (ABl. 1964, Nr. 217, S. 3685) im Namen der Gemeinschaft geschlossenes, gebilligtes und bestätigtes Abkommen (im Folgenden: Assoziierungsabkommen).


4
Artikel 2.


5
Artikel 12 bis 14.


6
Nach Änderung jetzt Artikel 39 EG.


7
Nach Änderung jetzt Artikel 40 EG.


8
Jetzt Artikel 41 EG.


9
Artikel 36 des am 23. November 1970 in Brüssel unterzeichneten und im Namen der Gemeinschaft durch die Verordnung (EWG) Nr. 2760/72 des Rates vom 19. September 1972 (ABl. L 293, S. 1) geschlossenen, gebilligten und bestätigten Zusatzprotokolls.


10
Artikel 2 und 3 des Beschlusses Nr. 2/76.


11
Urteil vom 17. April 1997 in der Rechtssache C-351/95 (Kadiman, Slg. 1997, I-2133, Randnr. 28), vom 16. März 2000 in der Rechtssache C-329/97 (Ergat, Slg. 2000, I-1487, Randnr. 34) und vom 22. Juni 2000 in der Rechtssache C-65/98 (Eyüp, Slg. 2000, I-4747, Randnr. 25).


12
Urteil Ergat (Randnr. 40).


13
Randnr. 27.


14
Rechtssache C-210/97 (Slg. 1998, I-7519). In dieser Rechtssache hatte Herr Akman 1980 die Genehmigung erhalten, nach Deutschland, wo sein Vater einer ordnungsgemäßen Beschäftigung nachging, einzureisen, um dort ein Ingenieurstudium aufzunehmen. Nachdem er sein Studium 1993 mit Erfolg abgeschlossen hatte, beantragte er eine unbefristete Aufenthaltsgenehmigung. Diese wurde ihm verweigert, weil sein Vater 1986 in die Türkei zurückgekehrt sei. Nach Ansicht des Gerichtshofes erfüllte Herr Akman gleichwohl die beiden Voraussetzungen des Artikels 7 Satz 2 des Beschlusses Nr. 1/80, da er in Deutschland sein Studium abgeschlossen habe und da sein Vater dort länger als drei Jahre einer ordnungsgemäßen Beschäftigung nachgegangen sei.


15
„Die Familienangehörigen eines dem regulären Arbeitsmarkt eines Mitgliedstaates angehörenden türkischen Arbeitnehmers“ in der deutschen Fassung, „I familiari che sono stati autorizzati a raggiungere un lavoratore turco inserito nel regolare mercato del lavoro di uno Stato membro“ in der italienischen Fassung oder auch „Gezinsleden van een tot de legale arbeidsmarkt van een lidstaat behorende Turkse werknemer, die toestemming hebben gekregen om zich bij hem te voegen“ in der niederländischen Fassung.


16
„... sofern ein Elternteil in dem betreffenden Mitgliedstaat seit mindestens drei Jahren ordnungsgemäß beschäftigt war.“


17
Urteile Kadiman (Randnr. 37) und Akman (Randnr. 32); Urteile vom 8. Mai 2003 in der Rechtssache C-171/01 (Wählergruppe Gemeinsam, Slg. 2003, I-4301, Randnr. 78) und vom 21. Oktober 2003 in den Rechtssachen C-317/01 und C-369/01 (Abatay u. a., Slg. 2003, I–0000, Randnr. 90).


18
Randnr. 34.


19
Ibidem (Randnr. 35).


20
Ibidem (Randnrn. 41 und 47). Der Gerichtshof hat jedoch klargestellt, dass diese Auslegung nicht bedeute, dass sich der Familienangehörige nicht aus berechtigten Gründen für einen angemessenen Zeitraum vom gemeinsamen Wohnsitz entfernen dürfte, z. B. um Urlaub zu machen oder seine Familie im Heimatland zu besuchen, sofern diese Unterbrechungen nicht in der Absicht erfolgten, den gemeinsamen Wohnsitz mit dem Arbeitnehmer im Aufnahmemitgliedstaat in Frage zu stellen (Randnr. 48).


21
Ibidem (Randnr. 36).


22
In dieser Rechtssache ging es um die Weigerung der deutschen Behörden, die Aufenthaltserlaubnis von Herrn Ergat – einem 1967 geborenen türkischen Staatsangehörigen, der im Jahr 1975 die Genehmigung erhielt, nach Deutschland einzureisen, um zu seinen Eltern, beide Arbeitnehmer, zu ziehen, und der mit Unterbrechungen verschiedene Beschäftigungen ausgeübt hatte – zu verlängern, weil sein Verlängerungsantrag im Juli 1991 verspätet bei der zuständigen Ausländerbehörde gestellt worden sei. Der Gerichtshof wurde gefragt, ob ein türkischer Staatsangehöriger, der die Genehmigung erhalten hat, im Rahmen der Familienzusammenführung mit einem dem regulären Arbeitsmarkt eines Mitgliedstaates angehörenden türkischen Arbeitnehmer in diesen Mitgliedstaat einzureisen, und der dort über fünf Jahre rechtmäßig gewohnt und mit Unterbrechungen verschiedene Beschäftigungen ausgeübt hat, die ihm in Artikel 7 Satz 1 zweiter Gedankenstrich des Beschlusses Nr. 1/80 verliehenen Rechte und insbesondere das Recht auf Verlängerung der Genehmigung seines Aufenthalts im Aufnahmemitgliedstaat verliert, wenn seine Aufenthaltsgenehmigung bereits abgelaufen war, als er ihre Verlängerung beantragte, die ihm von den zuständigen nationalen Behörden versagt wurde.


23
Ibidem (Randnr. 40).


24
Ibidem (Randnr. 43).


25
Urteil Ergat (Randnr. 38).


26
Urteile vom 11. Mai 2000 in der Rechtssache C-37/98 (Savas, Slg. 2000, I-2927, Randnr. 58) und Abatay u. a. (Randnr. 63). Zu Artikel 6 des Beschlusses Nr. 1/80 siehe Urteile vom 16. Dezember 1992 in der Rechtssache C-237/91 (Kus, Slg. 1992, I-6781, Randnr. 25) und vom 23. Januar 1997 in der Rechtssache C-171/95 (Tetik, Slg. 1997, I-329, Randnr. 21).


27
Urteil Kadiman (Randnrn. 32 und 51).


28
Vgl. Urteil vom 5. Juni 1997 in der Rechtssache C-285/95 (Kol, Slg. 1997, I-3069, Randnr. 27). Vgl. in diesem Sinne auch Urteile vom 20. September 1990 in der Rechtssache C-192/89 (Sevince, Slg. 1990, I-3461, Randnr. 30), Kus (Randnrn. 12 und 22), vom 6. Juni 1995 in der Rechtssache C-434/93 (Bozkurt, Slg. 1990, I-1475, Randnr. 26) und vom 26. November 1998 in der Rechtssache C-1/97 (Birden, Slg. 1998, I-7747, Randnrn. 55 bis 59).


29
Urteil Kadiman (Randnr. 34).


30
Vorlagebeschluss (S. 11).


31
Urteile Sevince (Randnrn. 29 und 31), Kus (Randnr. 33) und Tetik (Randnrn. 26, 30 und 31). Siehe auch Urteil vom 10. Februar 2000 in der Rechtssache C-340/97 (Nazli u. a., Slg. 2000, I-957, Randnr. 28).


32
Urteil Bozkurt (Randnrn. 39 und 40).


33
Randnrn. 41, 42 und 46.


34
Randnrn. 44 und 49.


35
Urteil Ergat (Randnrn. 39 und 40).


36
Ibidem (Randnr. 42; Hervorhebung von mir).


37
Ibidem (Randnrn. 65 und 66 der Schlussanträge).


38
Nr. 61 meiner Schlussanträge in der Rechtssache Akman.


39
Randnrn. 45 bis 50.


40
Richtlinie 90/365/EWG des Rates vom 28. Juni 1990 über das Aufenthaltsrecht der aus dem Erwerbsleben ausgeschiedenen Arbeitnehmer und selbständig Erwerbstätigen (ABl. L 180, S. 28). Siehe auch Richtlinie 90/364/EWG des Rates vom 28. Juni 1990 über das Aufenthaltsrecht (ABl. L 180, S. 26).


41
Urteil vom 17. September 2002 in der Rechtssache C-413/99 (Baumbast und R, Slg. 2002, I-7091, Randnr. 87).


42
Zu beachten ist ferner, dass nach der derzeit im Erlassverfahren befindlichen Richtlinie, mit der die bestehenden Verordnungen und Richtlinien im Licht dieser neuen Unionsbürgerschaft kodifiziert und überarbeitet werden sollen, die Unionsbürger und ihre Familienangehörigen nach fünf Jahren des ordnungsgemäßen Wohnsitzes im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats ein Recht zum Aufenthalt in diesem Staat haben, das keiner Bedingung mehr unterworfen wird (17. Begründungserwägung und Artikel 16 des Gemeinsamen Standpunktes [EG] Nr. 6/2004, vom Rat festgelegt am 5. Dezember 2003, im Hinblick auf den Erlass der Richtlinie 2004/.../EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom ... über das Recht der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten, zur Änderung der Verordnung [EWG] Nr. 1612/68 und zur Aufhebung der Richtlinien 64/221/EWG, 68/360/EWG, 72/194/EWG, 73/148/EWG, 75/34/EWG, 75/35/EWG, 90/364/EWG, 90/365/EWG und 93/96/EWG [ABl. C 54 E, S. 12]).


43
Urteil vom 29. April 2004 in den Rechtssachen C-482/01 und C-493/01 (Orfanopoulos u. a., noch nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht, Randnr. 49).


44
Nr. 18 der Schlussfolgerungen des Vorsitzes.


45
Richtlinie des Rates vom 25. November 2003 betreffend die Rechtsstellung der langfristig aufenthaltsberechtigten Drittstaatsangehörigen (ABl. 2004, L 16, S. 44). Diese Richtlinie findet Anwendung vorbehaltlich günstigerer Bestimmungen der bilateralen und multilateralen Übereinkünfte zwischen der Gemeinschaft oder der Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten einerseits und Drittländern andererseits (Artikel 3 Absatz 3). Die Mitgliedstaaten haben alle erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen, um dieser Richtlinie spätestens ab dem 23. Januar 2006 nachzukommen (Artikel 26).


46
Zweite Begründungserwägung der Richtlinie 2003/109.


47
Vierte Begründungserwägung der Richtlinie 2003/109.


48
Artikel 4 und 5 der Richtlinie 2003/109.


49
Urteile Tetik (Randnr. 29) und Kadiman (Randnr. 30). Siehe auch Urteile vom 30. September 1997 in der Rechtssache C-36/96 (Günaydin u. a., Slg. 1997, I-5143, Randnr. 23) und in der Rechtssache C-98/96 (Ertanir, Slg. 1997, I-5179, Randnr. 22).


50
Urteil vom 19. Januar 1999 in der Rechtssache C-348/96 (Calfa, Slg. 1999, I-11, Randnrn. 22 bis 24) sowie Urteile Nazli u. a. (Randnr. 58) und Orfanopoulos u. a. (Randnr. 65).


51
Randnr. 56.


52
Urteil vom 28. Oktober 1975 in der Rechtssache 36/75 (Rutili, Slg. 1975, 1219, Randnr. 27) und Urteil Nazli u. a. (Randnr. 58).


53
Urteil vom 27. Oktober 1977 in der Rechtssache 30/77 (Bouchereau, Slg. 1977, 1999, Randnr. 35).


54
Urteil Calfa (Randnr. 24). Diese Rechtsprechung beruht auf der Richtlinie 64/221/EWG des Rates vom 25. Februar 1964 zur Koordinierung der Sondervorschriften für die Einreise und den Aufenthalt von Ausländern, soweit sie aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit gerechtfertigt sind (ABl. 1964, Nr. 56, S. 850), die in Artikel 3 vorsieht, dass „[b]ei Maßnahmen der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit ... ausschließlich das persönliche Verhalten der in Betracht kommenden Einzelpersonen ausschlaggebend sein [kann]“ und dass „[s]trafrechtliche Verurteilungen allein ... ohne weiteres diese Maßnahmen nicht begründen können“.


55
Urteil vom 26. Februar 1975 in der Rechtssache 67/74 (Bonsignore, Slg. 1975, 297, Randnr. 7).


56
So hat der Gerichtshof im Urteil Calfa festgestellt, dass die in den Artikeln 39 EG, 52 EG und 59 EG sowie im Artikel 3 der Richtlinie 64/221 genannten Grundfreiheiten einer nationalen Regelung entgegenstehen, die den Gerichten vorschreibt, Staatsangehörige eines anderen Mitgliedstaats, die für schuldig befunden wurden, Straftaten gegen die Betäubungsmittelvorschriften begangen zu haben, ohne weiteres auf Lebenszeit aus dem nationalen Hoheitsgebiet auszuweisen. Im Urteil Nazli u. a. hat der Gerichtshof aus der Rechtsprechung zu gegen Gemeinschaftsangehörige getroffenen Ausweisungsmaßnahmen abgeleitet, dass Artikel 14 des Beschlusses Nr. 1/80 nationalen Rechtsvorschriften entgegenstehe, nach denen ein Ausländer, der gegen das innerstaatliche Betäubungsmittelrecht verstößt, grundsätzlich ausgewiesen wird, ohne dass den zuständigen Behörden irgendein Ermessen zusteht. In jüngster Zeit hat der Gerichtshof im Urteil Orfanopoulos u. a. dargelegt, dass diese Bestimmungen einer nationalen Regelung entgegenstünden, die, wie die ausländerrechtliche Regelung Deutschlands, den nationalen Behörden vorschreibt, die Ausweisung von Angehörigen anderer Mitgliedstaaten anzuordnen, die wegen Verstoßes gegen die Betäubungsmittelvorschriften zu einer Jugendstrafe von mindestens zwei Jahren oder zu einer Freiheitsstrafe ohne Bewährung verurteilt wurden.


57
Urteil vom 26. November 2002 in der Rechtssache C-100/01 (Olazabal, Slg. 2002, I-10981, Randnr. 43).


58
Urteil vom 18. Mai 1989 in der Rechtssache 249/86 (Kommission/Deutschland, Slg. 1989, 1263, Randnr. 10).


59
Urteil vom 11. Juli 2002 in der Rechtssache C-60/00 (Carpenter, Slg. 2002, I-6279, Randnr. 41). Siehe auch Urteil vom 25. Juli 2002 in der Rechtssache C-459/99 (MRAX, Slg. 2002, I-6591, Randnr. 53).


60
Randnr. 99.


61
Im Urteil Nazli u. a. hatte sich der Gerichtshof mit der Frage auseinander zu setzen, ob ein türkischer Staatsangehöriger, der vier Jahre ununterbrochen eine ordnungsgemäße Beschäftigung in einem Mitgliedstaat ausgeübt hat, deshalb nicht mehr dem Arbeitsmarkt dieses Mitgliedstaats angehört und die ihm durch Artikel 6 Absatz 1 dritter Gedankenstrich des Beschlusses Nr. 1/80 verliehenen Rechte verloren hat, weil er länger als ein Jahr in Untersuchungshaft gehalten und anschließend zu einer zur Bewährung ausgesetzten Freiheitsstrafe verurteilt wurde.


62
Ibidem (Randnr. 41).


63
Ibidem (Randnr. 42).


64
Ibidem (Randnr. 50).


65
Nach Artikel 6 Absatz 1 des Beschlusses Nr. 1/80 hat der türkische Arbeitnehmer nach einem Jahr ordnungsgemäßer Beschäftigung Anspruch auf Erneuerung seiner Arbeitserlaubnis bei dem gleichen Arbeitgeber. Nach drei Jahren ordnungsgemäßer Beschäftigung kann er sich vorbehaltlich des den Gemeinschaftsangehörigen einzuräumenden Vorrangs auf ein Stellenangebot für den gleichen Beruf bewerben. Nach vier Jahren ordnungsgemäßer Beschäftigung erhält er schließlich das unbedingte Recht auf Zugang zu jeder beliebigen Beschäftigung im Lohn- oder Gehaltsverhältnis im Aufnahmestaat.


66
Randnr. 38.


67
Randnr. 39.


68
Unter Verweisung auf die Urteile Bouchereau und Calfa.


69
Die Frage stellte sich in der Rechtssache C-493/01, die eine Klage des italienischen Staatsangehörigen Oliveri gegen die Verfügung des Regierungspräsidiums Stuttgart vom August 2000 zum Gegenstand hatte, mit der die Ausweisung des Klägers angeordnet wurde, nachdem er mehrmals wegen Straftaten gegen das Betäubungsmittelrecht verurteilt worden war. Das vorlegende Gericht wollte geklärt wissen, ob es den Umstand berücksichtigen konnte, dass beim Kläger seit der Ausweisungsverfügung keine Wiederholungsgefahr mehr bestand, weil er schwer an Aids erkrankt war.


70
Ibidem (Nr. 3 des Tenors).


71
Urteil Orfanopoulos u. a. (Randnr. 79).


72
Urteil Nazli u. a. (Randnrn. 55 und 56).