Language of document : ECLI:EU:T:2010:312

BESCHLUSS DES GERICHTS (Erste Kammer)

14. Juli 2010(*)

„Nichtigkeitsklage – Staatliche Beihilfen – Anordnung zur Auskunftserteilung – Unanfechtbare Handlung – Unzulässigkeit“

In der Rechtssache T‑571/08

Bundesrepublik Deutschland, Prozessbevollmächtigte: M. Lumma und B. Klein,

Klägerin,

gegen

Europäische Kommission, Prozessbevollmächtigter: B. Martenczuk,

Beklagte,

betreffend einen Antrag auf Nichtigerklärung der Entscheidung, die in dem Schreiben der Kommission vom 30. Oktober 2008 enthalten sein soll, mit dem im Verfahren über die Staatliche Beihilfe an die Deutsche Post AG (C 36/2007 [ex NN 25/2007]) die Erteilung von Auskünften angeordnet wurde,

erlässt

DAS GERICHT (Erste Kammer)

unter Mitwirkung der Präsidentin I. Wiszniewska-Białecka sowie der Richter F. Dehousse (Berichterstatter) und H. Kanninen,

Kanzler: E. Coulon,

folgenden

Beschluss

 Rechtlicher Rahmen

1        Art. 10 der Verordnung (EG) Nr. 659/1999 des Rates vom 22. März 1999 über besondere Vorschriften für die Anwendung von Artikel [88 EG] (ABl. L 83, S. 1) sieht vor:

„(1)      Befindet sich die Kommission im Besitz von Informationen gleich welcher Herkunft über angebliche rechtswidrige Beihilfen, so prüft sie diese Informationen unverzüglich.

(2)      Gegebenenfalls verlangt die Kommission von dem betreffenden Mitgliedstaat Auskünfte. In diesem Fall gelten Artikel 2 Absatz 2 und Artikel 5 Absätze 1 und 2 entsprechend.

(3)      Werden von dem betreffenden Mitgliedstaat trotz eines Erinnerungsschreibens nach Artikel 5 Absatz 2 die verlangten Auskünfte innerhalb der von der Kommission festgesetzten Frist nicht oder nicht vollständig erteilt, so fordert die Kommission die Auskünfte durch Entscheidung an (nachstehend ‚Anordnung zur Auskunftserteilung genannt‘). Die Entscheidung bezeichnet die angeforderten Auskünfte und legt eine angemessene Frist zur Erteilung dieser Auskünfte fest.“

2        Art. 13 Abs. 1 der Verordnung Nr. 659/1999 lautet:

„Nach Prüfung einer etwaigen rechtswidrigen Beihilfe ergeht eine Entscheidung nach Artikel 4 Absätze 2, 3 oder 4. Bei Entscheidungen zur Eröffnung eines förmlichen Prüfverfahrens wird das Verfahren durch eine Entscheidung nach Artikel 7 abgeschlossen. Bei Nichtbefolgung der Anordnung zur Auskunftserteilung wird die Entscheidung auf der Grundlage der verfügbaren Informationen erlassen.“

 Vorgeschichte des Rechtsstreits

3        Am 12. September 2007 leitete die Kommission der Europäischen Gemeinschaften das förmliche Verfahren im Sinne des Art. 88 EG Abs. 2 bezüglich der staatlichen Beihilfe an die Deutsche Post AG (C 36/2007 [ex NN 25/2007]) ein. Eine Zusammenfassung dieser Entscheidung ist im Amtsblatt der Europäischen Union (C 245, S. 21) veröffentlicht.

4        Am 17. Juli 2008 übermittelte die Kommission der Klägerin, der Bundesrepublik Deutschland, ein Auskunftsersuchen, das einen Fragebogen zu den Erträgen und Kosten der Deutschen Post für den Zeitraum 1989 bis 2007 enthielt. Am 12. und am 21. August 2008 sandte die Kommission der Klägerin Erinnerungsschreiben, mit denen sie diese erneut aufforderte, ihr die erbetenen Auskünfte zu übermitteln.

5        In ihren Antwortschreiben vom 5. August, 14. August und 29. September 2008 bestätigte die Bundesrepublik Deutschland, dass sie die Übermittlung der Daten zu den Kosten und Erlösen der Deutschen Post für die Zeit nach 1995 ablehne. Sie führte u. a. aus, dass sich die Prüfung durch die Kommission auf den Zeitraum 1989 bis 1994 beschränken müsse und dass die Beantwortung des Fragebogens einen unverhältnismäßigen Zeit- und Arbeitsaufwand erfordere.

6        Mit Schreiben vom 30. Oktober 2008 forderte die Kommission die Bundesrepublik Deutschland gemäß Art. 10 Abs. 3 der Verordnung Nr. 659/1999 auf, innerhalb von 20 Tagen alle für die Beantwortung des fraglichen Fragebogens erforderlichen Informationen zu übermitteln (im Folgenden: angefochtene Handlung). Sollten die deutschen Behörden die erbetenen Auskünfte trotz dieser Anordnung nicht fristgerecht erteilen, werde die Kommission die Entscheidung im vorliegenden Fall gemäß Art. 13 Abs. 1 der Verordnung Nr. 659/1999 auf der Grundlage der verfügbaren Informationen erlassen.

 Verfahren und Anträge der Parteien

7        Mit Klageschrift, die am 22. Dezember 2008 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen ist, hat die Bundesrepublik Deutschland die vorliegende Klage erhoben.

8        Die Bundesrepublik Deutschland beantragt,

–        die angefochtene Handlung für nichtig zu erklären;

–        der Kommission die Kosten aufzuerlegen.

9        Mit gesondertem Schriftsatz, der am 19. März 2009 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen ist, hat die Kommission eine Einrede der Unzulässigkeit gemäß Art. 114 § 1 der Verfahrensordnung des Gerichts erhoben, mit der sie beantragt,

–        die Klage als unzulässig abzuweisen;

–        der Bundesrepublik Deutschland die Kosten aufzuerlegen.

10      In ihrer am 7. Mai 2009 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangenen Stellungnahme zur von der Kommission erhobenen Einrede der Unzulässigkeit erhält die Bundesrepublik Deutschland die Anträge aus ihrer Klageschrift aufrecht.

 Rechtliche Würdigung

11      Nach Art. 114 § 1 der Verfahrensordnung, kann das Gericht auf Antrag einer Partei vorab über die Unzulässigkeit, die Unzuständigkeit oder einen Zwischenstreit entscheiden. Gemäß Art. 14 § 3 wird über den Antrag mündlich verhandelt, sofern das Gericht nichts anderes bestimmt.

12      Im vorliegenden Fall ist das Gericht in der Lage, aufgrund des Akteninhalts ohne mündliche Verhandlung über den Antrag zu entscheiden.

 Vorbringen der Parteien

13      Unter Berufung auf die Rechtsprechung macht die Kommission geltend, bei der angefochtenen Handlung handele es sich um eine für sich genommen grundsätzlich nicht anfechtbare vorbereitende Handlung, die keine zur Beeinträchtigung der Interessen der Bundesrepublik Deutschland geeigneten Rechtswirkungen hervorbringe und deren Rechtmäßigkeit nur im Rahmen einer Klage gegen die endgültige Entscheidung angefochten werden könne. Nach ständiger Rechtsprechung werde ein Rechtsakt nicht schon deswegen anfechtbar, weil er als Entscheidung bezeichnet sei. Es komme vielmehr auf den Inhalt des Akts an.

14      Hinsichtlich der Wirkungen der angefochtenen Handlung weist die Kommission darauf hin, dass die Verordnung Nr. 659/1999 ihr – anders als im Fall von Anordnungen der Aussetzung oder der Rückforderung einer staatlichen Beihilfe – nicht die Befugnis verleihe, die Nichtbefolgung der Anordnung zur Auskunftserteilung zu ahnden. Die angefochtene Handlung sei somit nur ein Instrument, das der Vorbereitung ihrer endgültigen Entscheidung diene, jedoch keinerlei rechtliche Pflichten für die Verfahrensbeteiligten begründe. Im Fall der Nichtbefolgung sei die Kommission nämlich lediglich befugt, auf der Grundlage der verfügbaren Informationen zu entscheiden. Mit der angefochtenen Handlung werde keine Sanktion angedroht, aus der sich eine eigenständige Rechtspflicht der Bundesrepublik Deutschland ableiten ließe.

15      Zudem präjudiziere die angefochtene Handlung in keiner Weise die endgültige Entscheidung der Kommission, die zu dem Ergebnis kommen könne, dass keine Beihilfe vorgelegen habe, dass die fragliche Beihilfe mit dem Gemeinsamen Markt vereinbar sei oder dass sie mit diesem nicht vereinbar sei. Solange die endgültige Entscheidung nicht klar sei, blieben die rechtlichen Interessen des möglichen Beihilfeempfängers unberührt.

16      Die Kommission fügt hinzu, dass der Bundesrepublik Deutschland durch die Möglichkeit, gegebenenfalls die endgültige Entscheidung anzufechten, ausreichender Rechtsschutz gewährleistet sei.

17      Die Bundesrepublik Deutschland teilt die Auffassung der Kommission, dass es sich bei der angefochtenen Handlung nicht um eine endgültige Maßnahme zum Abschluss des förmlichen Beihilfeprüfverfahrens handele. Sie ist jedoch der Ansicht, die Anfechtbarkeit der angefochtenen Handlung stehe außer Zweifel, und stützt sich hierzu auf verschiedene Urteile des Gerichtshofs, in denen die Anfechtbarkeit vorläufiger Maßnahmen wie etwa einer Aussetzungsanordnung anerkannt worden sei. Nach ständiger Rechtsprechung könne die Entscheidung über die Eröffnung eines Beihilfeprüfverfahrens vor dem Richter angefochten werden, obwohl auch sie die endgültige Entscheidung der Kommission nicht präjudiziere und nur ein Baustein in dem Verfahren sei. Nach der Rechtsprechung seien die rechtlichen und tatsächlichen Auswirkungen der angefochtenen Handlung zu analysieren, um deren Anfechtbarkeit zu bestimmen.

18      Die angefochtene Handlung sei kein bloßer Hinweis auf die Verpflichtung zur Zusammenarbeit nach Art. 10 EG. Sie rufe erhebliche rechtliche und tatsächliche Wirkungen hervor.

19      Zum einen bedeute die angefochtene Handlung eine Zäsur im Ablauf des Verfahrens, da sie die Phase der kooperativen Zusammenarbeit zwischen Mitgliedstaat und Kommission sowie die Verpflichtung der Kommission beende, den Sachverhalt in eigener Verantwortung aufzuklären. Die Zuwiderhandlung durch den Mitgliedstaat räume der Kommission also eine Befugnis ein, die sie andernfalls nicht hätte. Zum anderen verschlechtere sich die Situation des Mitgliedstaats erheblich, da dieser befürchten müsse, dass die endgültige Entscheidung auf einer unvollständigen Tatsachengrundlage ergehe, wenn er der Anordnung nicht nachkomme. Die Berufung auf die Unvollständigkeit der Tatsachengrundlage sei ihm bei einer Klage gegen die endgültige Entscheidung verwehrt. Dies führe zu einer Verringerung des Beweismaßes, das die Kommission für den Nachweis ihrer Behauptungen erfüllen müsse.

20      Dass Art. 10 Abs. 3 der Verordnung Nr. 659/1999 ausdrücklich von einer Entscheidung spreche und hierdurch die Auskunftsanordnung vom bloßen Auskunftsersuchen abgrenze, sei ein starkes Indiz dafür, dass es sich bei der angefochtenen Handlung um einen anfechtbaren Rechtsakt handele. Der aus dem Beschluss des Gerichts vom 21. November 2005, Tramarin/Kommission (T‑426/04, Slg. 2005, II‑4765), gezogene Umkehrschluss bestätige diese Beurteilung, anders als die Kommission vortrage, die sich auf diesen Beschluss berufe, um ihre These zu stützen.

21      Schließlich sei die Möglichkeit der Erhebung einer Klage gegen die endgültige Entscheidung kein erheblicher Faktor für den Nachweis der Anfechtbarkeit eines Zwischenakts.

 Würdigung durch das Gericht

22      Nach ständiger Rechtsprechung ist die Nichtigkeitsklage gegen alle Handlungen der Organe gegeben, die dazu bestimmt sind, Rechtswirkungen zu erzeugen, ohne dass es auf ihre Rechtsnatur oder ‑form ankäme (Urteil des Gerichtshofs vom 24. November 2005, Italien/Kommission, C‑138/03, C‑324/03 und C‑431/03, Slg. 2005 I‑10043, Randnr. 32).

23      Ferner sind bei Handlungen oder Entscheidungen, die in mehreren Phasen ausgearbeitet werden, u. a. nach Beendigung eines internen Verfahrens, nur diejenigen Maßnahmen anfechtbar, die den Standpunkt des Organs bei Beendigung des Verfahrens endgültig festlegen, nicht hingegen Zwischenmaßnahmen, die nur der Vorbereitung der endgültigen Entscheidung dienen (Urteil des Gerichtshofs vom 11. November 1981, IBM/Kommission, 60/81, Slg. 1981, 2639, Randnr. 10; Urteil des Gerichts vom 18. Dezember 1992, Cimenteries CBR u. a./Kommission, T‑10/92 bis T‑12/92 und T‑15/92, Slg. 1992, II‑2667, Randnr. 28, und Beschluss Tramarin/Kommission, oben in Randnr. 20 angeführt, Randnr. 25).

24      Um festzustellen, ob es sich bei einer Handlung im Bereich staatlicher Beihilfen um eine „Entscheidung“ im Sinne von Art. 4 der Verordnung Nr. 659/1999 handelt, ist demnach zu prüfen, ob die Kommission, wenn man das Wesen der Handlung und die Absicht dieses Organs betrachtet, mit der untersuchten Handlung am Ende der Vorprüfungsphase ihren Standpunkt zu der angezeigten Maßnahme endgültig festgelegt hat (Urteil des Gerichtshofs vom 17. Juli 2008, Athinaïki Techniki/Kommission, C‑521/06 P, Slg. 2008, I‑5829, Randnr. 46).

25      Aus den vorstehend dargestellten Grundsätzen ergibt sich, dass es für die vorliegende Beurteilung nicht darauf ankommt, ob sich die angefochtene Handlung, wie die Kommission vorträgt, in Form einer einfachen Anordnung zur Auskunftserteilung darstellt, oder in der einer Entscheidung, wie die Bundesrepublik Deutschland meint. Im vorliegenden Fall ist anhand des Inhalts der angefochtenen Handlung zu prüfen, ob diese, wie von der Kommission behauptet, eine Zwischenmaßnahme darstellt, die der Vorbereitung der endgültigen Entscheidung dient und keine Rechtswirkungen erzeugt.

26      Wie sich aus der Rechtsprechung ergibt, darf die Kommission eine Entscheidung auf der Grundlage der verfügbaren Informationen erlassen, wenn sie sich einem Mitgliedstaat gegenübersieht, der seiner Mitwirkungspflicht nicht genügt und ihr die Informationen, die sie von ihm verlangt hat, um die Vereinbarkeit einer Beihilfe mit dem Gemeinsamen Markt zu prüfen, nicht vorlegt. Bevor die Kommission eine solche Entscheidung trifft, muss sie jedoch bestimmte Verfahrenserfordernisse beachten. Insbesondere muss sie dem Mitgliedstaat aufgeben, ihr innerhalb der von ihr gesetzten Frist alle Unterlagen, Informationen und Daten vorzulegen, die notwendig sind, um die Vereinbarkeit der Beihilfe mit dem Gemeinsamen Markt zu prüfen. Nur wenn der Mitgliedstaat trotz der Anordnung der Kommission die verlangten Auskünfte nicht erteilt, ist die Kommission befugt, das Verfahren abzuschließen und die Entscheidung, mit der die Vereinbarkeit oder Unvereinbarkeit der Beihilfe mit dem Gemeinsamen Markt festgestellt wird, auf der Grundlage der ihr vorliegenden Informationen zu erlassen. Diese Erfordernisse sind in Art. 5 Abs. 2, Art. 10 Abs. 3 und Art. 13 Abs. 1 der Verordnung Nr. 659/1999 übernommen und dort konkretisiert worden (vgl. Urteil des Gerichts vom 19. Oktober 2005, Freistaat Thüringen/Kommission, T‑318/00, Slg. 2005, II‑4179, Randnr. 73 und die dort angeführte Rechtsprechung).

27      Bei rechtswidrigen Beihilfen sollte die Kommission zudem nach dem zwölften Erwägungsgrund der Verordnung Nr. 659/1999 das Recht haben, alle für ihre Entscheidung sachdienlichen Auskünfte einzuholen und gegebenenfalls sofort den unverfälschten Wettbewerb wiederherzustellen, so dass es angezeigt ist, dass sie gegenüber dem betreffenden Mitgliedstaat einstweilige Maßnahmen erlassen kann. Bei diesen einstweiligen Maßnahmen kann es sich um Anordnungen zur Auskunftserteilung sowie zur Aussetzung oder Rückforderung einer Beihilfe handeln. Die Kommission sollte bei Nichtbefolgung einer Anordnung zur Auskunftserteilung ihre Entscheidung auf die ihr vorliegenden Informationen stützen und bei Nichtbefolgung einer Aussetzungs- oder Rückforderungsanordnung den Gerichtshof nach Art. 88 Abs. 2 Unterabs. 2 EG unmittelbar anrufen können.

28      Die angefochtene Handlung, die eine Anordnung zur Auskunftserteilung darstellt, ist daher von einer Aussetzungs- oder Rückforderungsanordnung zu unterscheiden. Die Anordnung zur Auskunftserteilung lässt zwar eine Verpflichtung des Mitgliedstaats entstehen, dieser Anordnung nachzukommen, es ist jedoch keine Sanktion für die Nichtbefolgung vorgesehen. Wie in der Rechtssache, in der der Beschluss Tramarin/Kommission, oben in Randnr. 20 angeführt (Randnrn. 25 bis 36), erlassen wurde, und soweit eine Parallele zwischen jener Rechtssache und der vorliegenden gezogen werden kann, kann die Kommission die Bundesrepublik Deutschland hier nicht dazu zwingen, ihr die geforderten Auskünfte zu erteilen. Das Urteil des Gerichtshofs vom 14. Februar 1990, Frankreich/Kommission (C‑301/87, Slg. 1990, I‑307), auf das sich die Bundesrepublik Deutschland beruft und das eine Aussetzungsanordnung betrifft, ist somit für den vorliegenden Fall nicht relevant.

29      Mit der Anordnung zur Auskunftserteilung wird der Kommission ein zusätzliches Instrument geboten, um sich die erforderlichen Informationen zu verschaffen, wenn ein Mitgliedstaat die Mitarbeit verweigert. Im Rahmen der Anwendung des Grundsatzes des rechtlichen Gehörs handelt es sich um eine Verpflichtung oder ein Verfahrenserfordernis, das die Kommission erfüllen muss, um ihre Entscheidung auf der Grundlage der ihr verfügbaren Informationen erlassen zu können (vgl. in diesem Sinne Urteil Freistaat Thüringen/Kommission, oben in Randnr. 26 angeführt, Randnr. 90, und Schlussanträge der Generalanwältin Trstenjak zum Urteil des Gerichtshofs vom 17. September 2009, Kommission/MTU Friedrichshafen, C‑520/07 P, noch nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht, Randnrn. 47 und 48).

30      Die angefochtene Handlung fügt sich daher zwischen der Eröffnung des förmlichen Prüfverfahrens und der endgültigen Entscheidung in das Verwaltungsverfahren der Prüfung der fraglichen Beihilfemaßnahme ein. Sie präjudiziert nicht die endgültige Entscheidung, da die Kommission in diesem Stadium noch zu dem Ergebnis gelangen kann, dass eine Beihilfe nicht vorliegt, dass die fragliche Beihilfe mit dem Gemeinsamen Markt vereinbar ist oder dass sie mit diesem unvereinbar ist.

31      Wie die Kommission vorträgt und die Bundesrepublik Deutschland einräumt, stellt die angefochtene Handlung eine Zwischenmaßnahme dar, die der Vorbereitung der endgültigen Entscheidung dient. Die Vorläufigkeit der angefochtenen Handlung wurde im Übrigen vom Gerichtshof in seinem Urteil vom 13. April 1994, Deutschland und Pleuger Worthington/Kommission (C‑324/90 und C‑342/90, Slg. 1994, I‑1173, Randnr. 28), bestätigt. In diesem Urteil hat der Gerichtshof nämlich ausgeführt, dass die Kommission der Bundesregierung, anders als sie es hätte tun müssen, nicht „vorläufig“ aufgegeben hat, ihr alle Informationen über die gewährten Beihilfen vorzulegen.

32      Die Bundesrepublik Deutschland vertritt jedoch die Auffassung, die Anfechtbarkeit der angefochtenen Handlung stehe trotz ihrer Einstufung als lediglich vorläufige Maßnahme außer Zweifel. Sie stellt in diesem Zusammenhang eine Parallele mit der Entscheidung über die Eröffnung des förmlichen Prüfverfahrens her.

33      Zwar kann eine Entscheidung über die Einleitung des förmlichen Prüfverfahrens nach ständiger Rechtsprechung unter bestimmten Umständen eine anfechtbare Handlung sein, da sie insbesondere hinsichtlich der Aussetzung der fraglichen Maßnahme eigenständige Rechtswirkungen erzeugen kann (vgl. in diesem Sinne Urteil des Gerichts vom 23. Oktober 2002, Diputación Foral de Álava u. a./Kommission, T‑346/99 bis T‑348/99, Slg. 2002, II‑4259, Randnr. 33 und die dort angeführte Rechtsprechung).

34      Nach der Rechtsprechung ändert nämlich eine Entscheidung, über eine in der Durchführung begriffene und von der Kommission als neue Beihilfe eingestufte Maßnahme das förmliche Prüfverfahren einzuleiten – insbesondere im Hinblick auf die Fortführung der fraglichen Maßnahme –, zwangsläufig deren rechtliche Bedeutung sowie die Rechtslage der beihilfebegünstigten Unternehmen. Bis zum Erlass einer solchen Entscheidung können der Mitgliedstaat, die beihilfebegünstigten Unternehmen und die anderen Wirtschaftsbeteiligten davon ausgehen, dass die Maßnahme als allgemeine Maßnahme, die nicht unter Art. 87 Abs. 1 EG fällt, oder als bestehende Beihilfe durchgeführt werden darf. Dagegen bestehen nach Erlass einer solchen Entscheidung zumindest erhebliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Maßnahme, die unbeschadet der Möglichkeit, eine gerichtliche einstweilige Anordnung zu beantragen, den Mitgliedstaat veranlassen müssen, die Maßnahme auszusetzen, da die Einleitung des förmlichen Prüfverfahrens es ausschließt, dass eine sofortige Entscheidung ergeht, mit der die Vereinbarkeit mit dem Gemeinsamen Markt festgestellt würde und die es erlauben würde, die Durchführung der Maßnahme fortzusetzen. Eine solche Entscheidung könnte auch vor einem nationalen Gericht geltend gemacht werden, das alle Konsequenzen aus dem Verstoß gegen Art. 88 Abs. 3 Satz 3 EG zu ziehen hätte. Schließlich kann sie zudem die von der Maßnahme begünstigten Unternehmen veranlassen, neue Zahlungen oder Vorteile zurückzuweisen oder Rückstellungen vorzunehmen, die für etwaige spätere Ausgleichszahlungen erforderlich sind. Auch die Geschäftskreise werden in ihren Beziehungen zu den Beihilfeempfängern deren geschwächte Rechts- und Finanzlage berücksichtigen (vgl. Urteil Diputación Foral de Álava u. a./Kommission, oben in Randnr. 33 angeführt, Randnr. 34 und die dort angeführte Rechtsprechung).

35      Die angefochtene Handlung kann im vorliegenden Fall jedoch nicht zur Aussetzung der geprüften Beihilfemaßnahme führen, sie stellt deren Rechtmäßigkeit nicht in Frage und verändert damit nicht die Lage von Beihilfeempfängern oder von Dritten, die zu den Beihilfeempfängern in Beziehungen stehen. Die Wirkungen der Entscheidung über die Eröffnung des förmlichen Prüfverfahrens und die der angefochtenen Handlung sind nicht vergleichbar.

36      Auch wenn daher die Tatsache, dass die Entscheidung über die Eröffnung des förmlichen Prüfverfahrens lediglich eine Stufe des Beihilfeprüfverfahrens darstellt, nach der Rechtsprechung nicht ausschließt, dass diese Entscheidung als anfechtbare Handlung angesehen werden kann, kann hieraus nicht geschlossen werden, dass dies für die angefochtene Handlung ebenfalls gilt.

37      Im Übrigen ist festzustellen, dass auch die Prüfung der konkreten Rechtswirkungen der angefochtenen Handlung auf die Lage der Bundesrepublik Deutschland deren These nicht zu stützen vermag.

38      Was nämlich erstens den behaupteten Abschluss des Verwaltungsverfahrens betrifft, der die Verpflichtung der Kommission beendet, den Sachverhalt in eigener Verantwortung aufzuklären, ist festzustellen, dass die angefochtene Handlung nicht den Abschluss des förmlichen Prüfverfahrens bewirkt und dass nach der oben in Randnr. 26 angeführten Rechtsprechung allein die Weigerung des Mitgliedstaats, der Anordnung zur Erteilung der erbetenen Auskünfte nachzukommen, der Kommission erlaubt, dieses Verfahren abzuschließen.

39      Was zweitens die behauptete Verschlechterung der prozessualen Situation der Bundesrepublik Deutschland im Fall der Nichtbeachtung der angefochtenen Handlung angeht, enthält die Entscheidung über die Eröffnung des förmlichen Prüfverfahrens nach Art. 6 Abs. 1 der Verordnung Nr. 659/1999 eine Zusammenfassung der wesentlichen Sach- und Rechtsfragen, eine vorläufige Würdigung des Beihilfecharakters der geplanten Maßnahme durch die Kommission und Ausführungen über ihre Bedenken hinsichtlich der Vereinbarkeit mit dem Gemeinsamen Markt. Durch diese Entscheidung und ihre Veröffentlichung im Amtsblatt werden die Mitgliedstaaten und die übrigen Beteiligten über die Tatsachen unterrichtet, auf welche die Kommission ihre Entscheidung zu stützen beabsichtigt. Halten die Beteiligten bestimmte Tatsachen in der Entscheidung über die Eröffnung des förmlichen Prüfverfahrens für unzutreffend, so müssen sie dies daher der Kommission im Verwaltungsverfahren mitteilen, da sie die betreffenden Tatsachen andernfalls nicht mehr im Rahmen des gerichtlichen Verfahrens angreifen können (vgl. in diesem Sinne bzgl. des Mitgliedstaats Urteil des Gerichtshofs vom 14. September 1994, Spanien/Kommission, C‑278/92 bis C‑280/92, Slg. 1994, I‑4103, Randnr. 31). Die Kommission darf sich jedoch, wenn die betreffenden Beteiligten keine gegenteiligen Informationen vorlegen, auf die – auch unzutreffenden – Tatsachen stützen, die ihr zum Zeitpunkt des Erlasses der abschließenden Entscheidung vorliegen, sofern die fraglichen Tatsachen Gegenstand einer an den Mitgliedstaat gerichteten Anordnung der Kommission waren, ihr die erforderlichen Informationen vorzulegen. Gibt die Kommission dem Mitgliedstaat dagegen nicht auf, ihr Informationen zu den Tatsachen, die sie zu berücksichtigen beabsichtigt, zu übermitteln, so kann sie anschließend etwaige fehlerhafte Sachverhaltsfeststellungen nicht damit rechtfertigen, dass sie befugt gewesen sei, bei Erlass der das förmliche Prüfverfahren abschließenden Entscheidung nur jene Informationen zu berücksichtigen, die ihr zu diesem Zeitpunkt vorlagen (Urteil Freistaat Thüringen/Kommission, oben in Randnr. 26 angeführt, Randnr. 88).

40      Die Kommission ist jedoch nicht jeder gerichtlichen Kontrolle der Sachverhaltsfeststellung entzogen. Ist der Mitgliedstaat nämlich seiner Verpflichtung, alle von der Kommission verlangten Informationen zu übermitteln, in vollem Umfang nachgekommen, so wird es ihm besonders leicht fallen, mit Hilfe der von ihm im Verfahren übermittelten Informationen nachzuweisen, dass etwaige fehlerhafte Sachverhaltsfeststellungen in der endgültigen Entscheidung nicht ihm zuzurechnen sind. Zudem kann das Gericht, wenn die Kommission eine Entscheidung hinsichtlich bestimmter Tatsachen auf die verfügbaren Informationen stützt, ohne dabei die von der Rechtsprechung aufgestellten und in die Verordnung Nr. 659/999 übernommenen Verfahrenserfordernisse zu beachten, die Frage prüfen, ob die Berücksichtigung dieser Tatsachen geeignet war, zu einem Beurteilungsfehler zu führen, der die endgültige Entscheidung rechtswidrig macht (Urteil Freistaat Thüringen/Kommission, oben in Randnr. 26 angeführt, Randnr. 89).

41      Aus dem Vorstehenden ergibt sich, dass der Anspruch der Beteiligten und der Bundesrepublik Deutschland darauf, dass die endgültige Entscheidung nicht auf der Grundlage unzutreffender oder unvollständiger Tatsachen erlassen wird, anders als die Bundesrepublik Deutschland behauptet, im Rahmen des Verwaltungsverfahrens umfassend gewährleistet wird, sofern der betroffene Mitgliedstaat seiner Verpflichtung zur Zusammenarbeit mit der Kommission insbesondere dadurch nachkommt, dass er ihr alle erforderlichen Informationen übermittelt. Die Kommission kann nicht für die Nichtberücksichtigung von Tatsachen verantwortlich gemacht werden, deren Mitteilung der Mitgliedstaat verweigert hat (vgl. in diesem Sinne Schlussanträge von Generalanwältin Trstenjak in der Rechtssache Kommission/MTU Friedrichshafen, Urteil oben in Randnr. 29 angeführt, Randnr. 49).

42      Folglich nimmt nicht die angefochtene Handlung der Bundesrepublik Deutschland gegebenenfalls die Möglichkeit, sich auf die Lückenhaftigkeit der Tatsachengrundlage der endgültigen Entscheidung zu berufen, sondern deren Weigerung, der Kommission die mit der angefochtenen Handlung angeforderten Auskünfte zu erteilen. Halten die deutschen Behörden die von der Kommission erbetenen Auskünfte nicht für erforderlich, um den Sachverhalt zu ermitteln, oder die erbetenen Nachforschungen gemessen am erwarteten Ergebnis für zu zeit- und kostenaufwendig, können sie sich dafür entscheiden, die an sie ergangene Anordnung zur Erteilung dieser Auskünfte zu ignorieren. Die Entscheidung der Bundesrepublik Deutschland, nicht mit der Kommission zusammenzuarbeiten, bewirkt die Verringerung des Beweismaßes, ab dem die Kommission zutreffend davon ausgehen darf, dass die fraglichen Umstände erwiesen sind.

43      In diesem Zusammenhang ist jedoch darauf hinzuweisen, dass Art. 13 Abs. 1 Satz 3 der Verordnung Nr. 659/1999 nicht so verstanden werden darf, dass er die Kommission vollständig von der Verpflichtung entbindet, ihre Entscheidungen auf einigermaßen tragfähige und schlüssige Anhaltspunkte zu stützen, die geeignet sind, die Schlussfolgerungen, zu denen sie gelangt, zu untermauern. Die Kommission muss sich zumindest vergewissern, dass die Informationen, über die sie verfügt, auch wenn sie unvollständig und fragmentarisch sind, eine hinreichende Grundlage für die Annahme bilden, dass einem Unternehmen ein Vorteil zugeflossen ist, der eine staatliche Beihilfe darstellt. Sie darf nicht einfach von der Annahme ausgehen, dass einem Unternehmen ein Vorteil zugeflossen ist, der eine staatliche Beihilfe darstellt, indem sie sich, weil sie nicht über Informationen für eine mögliche gegenteilige Schlussfolgerung verfügt, in Ermangelung anderer Anhaltspunkte für die positive Feststellung eines solchen Vorteils auf eine negative Vermutung stützt (Urteil Kommission/MTU Friedrichshafen, oben in Randnr. 29 angeführt, Randnrn. 55, 56 und 58). Es kann daher nicht davon ausgegangen werden, dass die angefochtene Handlung die Verpflichtung der Kommission beendet, ihre endgültige Entscheidung ausreichend zu untermauern, und der Bundesrepublik Deutschland jedes Vorgehen gegen deren Begründung versagt.

44      Im Übrigen ist – auch wenn dies für die Beurteilung der Anfechtbarkeit einer Handlung im Sinne der oben in den Randnrn. 22 und 23 angeführten Rechtsprechung nicht entscheidend ist – darauf hinzuweisen, dass die Verteidigungsrechte der Bundesrepublik Deutschland durch die Möglichkeit gewahrt worden sind, die von der Kommission behaupteten Tatsachen während des gesamten Verwaltungsverfahrens anzugreifen. Sie bleiben auch weiterhin gewahrt durch die Möglichkeit, gegen die endgültige Entscheidung Klage zu erheben.

45      Nach alledem erzeugt die angefochtene Handlung neben der Tatsache, dass sie den Standpunkt der Kommission nicht endgültig festlegt, auch keine zwingenden Rechtswirkungen. Sie stellt daher keine anfechtbare Handlung im Sinne der oben in Randnr. 22 angeführten Rechtsprechung dar.

46      Somit ist die vorliegende Klage als unzulässig abzuweisen, ohne dass es erforderlich wäre, über die weiteren Klagegründe und Argumente zu entscheiden, die die Kommission im Rahmen ihrer Einrede der Unzulässigkeit geltend gemacht hat.

 Kosten

47      Nach Art. 87 § 2 der Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da die Bundesrepublik Deutschland unterlegen ist, ist sie entsprechend dem Antrag der Kommission zur Tragung der Kosten zu verurteilen.

Aus diesen Gründen hat

DAS GERICHT (Erste Kammer)

beschlossen:

1.      Die Klage wird als unzulässig abgewiesen.

2.      Die Bundesrepublik Deutschland trägt die Kosten.

Luxemburg, den 14. Juli 2010

Der Kanzler

 

      Die Präsidentin

E. Coulon

 

      I. Wiszniewska-Białecka


* Verfahrenssprache: Deutsch.