Language of document : ECLI:EU:T:2011:347

URTEIL DES GERICHTS (Rechtsmittelkammer)

12. Juli 2011

Rechtssache T‑80/09 P

Europäische Kommission

gegen

Q

„Rechtsmittel – Öffentlicher Dienst – Beamte – Anschlussrechtsmittel – Mobbing – Art. 12a des Statuts – Mitteilung zum Vorgehen bei Mobbing in der Kommission – Beistandspflicht der Verwaltung – Art. 24 des Statuts – Tragweite – Antrag auf Beistand – Vorläufige Maßnahmen, um zwischen den beteiligten Parteien Distanz zu schaffen – Fürsorgepflicht – Haftung – Antrag auf Schadensersatz – Unbeschränkte Nachprüfung – Anwendungsvoraussetzungen – Beurteilung der beruflichen Entwicklung – Anfechtungsklage – Rechtsschutzinteresse“

Gegenstand:      Rechtsmittel gegen das Urteil des Gerichts für den öffentlichen Dienst der Europäischen Union (Erste Kammer) vom 9. Dezember 2008, Q/Kommission (F‑52/05, Slg. ÖD 2008, I‑A‑1‑409 und II‑A‑1‑2235), wegen Aufhebung dieses Urteils

Entscheidung:      Das Urteil des Gerichts für den öffentlichen Dienst der Europäischen Union (Erste Kammer) vom 9. Dezember 2008, Q/Kommission (F‑52/05, Slg. ÖD 2008, I‑A‑1‑409 und II‑A‑1‑2235), wird aufgehoben, soweit in Nr. 2 des Tenors die Kommission verurteilt wird, an Q Schadensersatz in Höhe von 500 Euro sowie einen Betrag von 15 000 Euro zum Ausgleich des immateriellen Schadens zu zahlen, der Q aufgrund einer geltend gemachten Verspätung bei der Einleitung der Verwaltungsuntersuchung entstanden ist, und soweit in den Randnrn. 147 bis 189 der Urteilsgründe über „den Mobbingvorwurf von [Q]“ entschieden und in Randnr. 230 der Urteilsgründe festgestellt wird, dass über den Antrag auf Aufhebung der Beurteilungen ihrer beruflichen Entwicklung für die Zeit vom 1. Januar bis 31. Oktober und vom 1. November bis 31. Dezember 2003 nicht mehr entschieden zu werden brauche, und die Klage deshalb in Nr. 3 des Tenors im Übrigen abgewiesen wird. Im Übrigen werden das Rechtsmittel und das Anschlussrechtsmittel zurückgewiesen. Die Rechtssache wird zur Entscheidung über den Antrag auf Aufhebung der genannten Beurteilungen der beruflichen Entwicklung sowie über den Betrag, den die Kommission Q allein wegen des immateriellen Schadens schuldet, der dadurch entstanden ist, dass die Kommission es abgelehnt hat, eine vorläufige Maßnahme zu treffen, die zwischen den beteiligten Parteien Distanz schafft, an das Gericht für den öffentlichen Dienst zurückverwiesen. Die Kostenentscheidung bleibt vorbehalten.

Leitsätze

1.      Rechtsmittel – Gründe – Zulässigkeit – Rechtsfragen – Kontrolle der Auslösung der außervertraglichen Haftung der Union

(Art. 225a EG; Satzung des Gerichtshofs, Anhang I Art. 11 Abs. 1)

2.      Beamte – Klage – Verfahrensrechtlicher Rahmen – Art. 236 EG und Art. 90 und 91 des Beamtenstatuts

(Art. 236 EG; Beamtenstatut, Art. 90 und 91)

3.      Beamte – Statut – Zweck – Begründung wechselseitiger Rechte und Pflichten zwischen den Organen und ihren Beamten

(Beamtenstatut)

4.      Beamte – Außervertragliche Haftung der Organe – Voraussetzungen – Rechtswidrigkeit – Begriff – Unterscheidung zwischen der Regelung der Haftung der Union gegenüber ihren Beamten und der allgemeinen Regelung der Haftung der Union und der Mitgliedstaaten im Fall eines Verstoßes gegen das Unionsrecht

(Art. 288 Abs. 2 EG)

5.      Beamte – Klage – Befugnis zu unbeschränkter Nachprüfung – Umfang – Grenzen

(Beamtenstatut, Art. 24, 90 Abs. 2 und 91 Abs. 1)

6.      Beamte – Beistandspflicht der Verwaltung – Voraussetzungen – Umfang

(Beamtenstatut, Art. 24 Abs. 1)

7.      Beamte – Klage – Schadensersatzklage – Klage auf Erfüllung der Pflicht der Verwaltung, den einem Beamten durch einen Dritten zugefügten Schaden zu ersetzen – Zulässigkeit – Voraussetzung – Verpflichtung, sich zunächst an die nationalen Gerichte zu wenden

(Beamtenstatut, Art. 12a Abs. 3, 24 Abs. 2 und 91)

8.      Beamte – Beistandspflicht der Verwaltung – Geltungsbereich – Umfang – Gerichtliche Nachprüfung – Grenzen

(Beamtenstatut, Art. 24 Abs. 1)

9.      Beamte – Organisation der Dienststellen – Dienstliche Verwendung des Personals – Umsetzung – Ermessen der Verwaltung – Grenzen – Dienstliches Interesse – Berücksichtigung der Entsprechung zwischen Dienstposten und Besoldungsgruppe

(Beamtenstatut, Art. 7 Abs. 1 und 24 Abs. 1)

10.    Beamte – Beistandspflicht der Verwaltung – Umfang

(Beamtenstatut, Art. 24 Abs. 1)

11.    Verfahren – Fehlen unverzichtbarer Prozessvoraussetzungen – Gerichtliche Prüfung von Amts wegen – Beachtung des Grundsatzes des kontradiktorischen Verfahrens

(Verfahrensordnung des Gerichts, Art. 113; Beamtenstatut, Art. 90 und 91)

12.    Beamte – Klage – Beschwerende Maßnahme – Begriff – Entscheidungen, die auf der Grundlage eines Untersuchungsberichts im Anschluss an ein Verfahren nach Art. 86 des Statuts getroffen werden – Vorbereitende Maßnahme – Ausschluss

(Beamtenstatut, Art. 24 und 86 Abs. 3; Anhang IX Art. 3)

13.    Beamte – Klage – Zuständigkeit des Gerichts für den öffentlichen Dienst – Prüfung der Zulässigkeitsvoraussetzungen

14.    Beamte – Klage – Rechtsschutzinteresse – Beurteilung zum Zeitpunkt der Klageerhebung – Späterer Wegfall des Rechtsschutzinteresses – Erledigung

(Beamtenstatut, Art. 90 und 91)

15.    Beamte – Klage – Rechtsschutzinteresse – Klage auf Aufhebung einer Beurteilung der beruflichen Entwicklung – Während des gerichtlichen Verfahrens wegen dauernder Vollinvalidität in den Ruhestand versetzter Beamter – Fortbestand des Rechtsschutzinteresses – Grenzen

(Beamtenstatut, Art. 53, 78, 90 und 91; Anhang VIII Art. 13 bis 15)

16.    Gerichtshof – Urteile – Auslegung von Rechtsvorschriften

1.      Aus Art. 225a EG und Art. 11 Abs. 1 des Anhangs I der Satzung des Gerichtshofs ergibt sich, dass ein Rechtsmittel nur auf die Verletzung von Rechtsvorschriften gestützt werden kann, nicht aber auf die Würdigung von Tatsachen.

Im Rahmen eines Rechtsmittels vor dem Gericht ist es daher zulässig, wenn ein Verstoß gegen die das Vorliegen eines rechtswidrigen Verhaltens betreffende Voraussetzung für die Auslösung der außervertraglichen Haftung der Europäischen Union geltend gemacht wird.

(vgl. Randnrn. 24, 25, 27 und 28)

Verweisung auf: Gerichtshof, 4. Juli 2000, Bergaderm und Goupil/Kommission, C‑352/98 P, Slg. 2000, I‑5291, Randnrn. 43 und 44; Gericht, 12. März 2008, Rossi Ferreras/Kommission, T‑107/07 P, Slg. ÖD 2008, I‑B‑1‑5 und II‑B‑1‑31, Randnr. 29 und die dort angeführte Rechtsprechung; Gericht, 10. Dezember 2008, Nardone/Kommission, T‑57/99, Slg. ÖD 2008, I‑A‑2‑83 und II‑A‑2‑505, Randnrn. 162 bis 164

2.      Ein im Dienstverhältnis wurzelnder Schadensersatzprozess zwischen einem Beamten und dem Organ, dem er angehört oder angehörte, fällt in den Anwendungsbereich von Art. 236 EG und der Art. 90 und 91 des Statuts und fällt insbesondere hinsichtlich seiner Zulässigkeit weder in den Anwendungsbereich von Art. 235 EG und Art. 288 Abs. 2 EG noch in den des Art. 46 der Satzung des Gerichtshofs.

(vgl. Randnr. 40)

Verweisung auf: Gericht, 26. Juni 2009, Marcuccio/Kommission, T‑114/08 P, Slg. ÖD 2009, I‑B‑1‑53 und II‑B‑1‑313, Randnr. 12 und die dort angeführte Rechtsprechung

3.      Das Statut ist eigenständiges Rechtsinstrument, dessen alleiniger Zweck es ist, die Rechtsbeziehungen zwischen den Organen und ihren Beamten dadurch zu regeln, dass es wechselseitige Rechte und Pflichten zwischen diesen begründet. So hat das Statut in den Beziehungen zwischen den Organen und ihren Beamten ein Gleichgewicht zwischen den wechselseitigen Rechten und Pflichten geschaffen, das weder von den Organen noch von den Beamten gestört werden darf. Dieses Gleichgewicht zwischen den wechselseitigen Rechten und Pflichten dient im Wesentlichen dazu, das Vertrauensverhältnis aufrechtzuerhalten, das zwischen den Organen und ihren Beamten vorliegen muss, um den europäischen Bürgern die ordnungsgemäße Erfüllung der auf die Organe übertragenen Aufgaben des Allgemeininteresses zu gewährleisten.

(vgl. Randnr. 41)

Verweisung auf: Gerichtshof, 31. Mai 1988, Rousseau/Rechnungshof, 167/86, Slg. 1988, 2705, Randnr. 13; Gerichtshof, 6. März 2001, Connolly/Kommission, C‑274/99 P, Slg. 2001, I‑1611, Randnrn. 44 bis 47; Gericht, 18. April 1996, Kyrpitsis/WSA, T‑13/95, Slg. ÖD 1996, I‑A‑167 und II‑503, Randnr. 52; Gericht, 22. Februar 2006, Adam/Kommission, T‑342/04, Slg. ÖD 2006, I‑A‑2‑23 und II‑A‑2‑107, Randnr. 34

4.      In den die Beziehungen zwischen den Organen und ihren Beamten betreffenden Rechtsstreitigkeiten wird ein Schadensersatzanspruch anerkannt, sofern drei Voraussetzungen erfüllt sind, und zwar muss das den Organen vorgeworfene Verhalten rechtswidrig sein, es muss ein Schaden entstanden sein, und zwischen dem Verhalten und dem geltend gemachten Schaden muss ein Kausalzusammenhang bestehen.

Für die Voraussetzung der Rechtswidrigkeit des Verhaltens gilt nicht das Erfordernis des Nachweises eines hinreichend qualifizierten Verstoßes gegen eine Rechtsnorm, die bezweckt, dem Einzelnen Rechte zu verleihen. Dieses Erfordernis betrifft nämlich nur die außervertragliche Haftung der Gemeinschaft nach Art. 288 Abs. 2 EG sowie die Haftung der Mitgliedstaaten für Verstöße gegen das Gemeinschaftsrecht. In den die Beziehungen zwischen den Organen und ihren Beamten betreffenden Rechtsstreitigkeiten reicht hingegen allein die Feststellung einer Rechtswidrigkeit dafür aus, dass die erste dieser drei Voraussetzungen erfüllt ist.

Der Unterschied zwischen den Voraussetzungen für die Haftung der Gemeinschaft für Schäden, die ihren Beamten und ehemaligen Beamten durch einen Verstoß gegen statutsrechtliche Bestimmungen zugefügt wurden, und denen, die für die Haftung der Gemeinschaft gegenüber Dritten wegen Verstoßes gegen sonstige Bestimmungen des Gemeinschaftsrechts gelten, ist nämlich im Hinblick auf das Gleichgewicht zwischen den Rechten und Pflichten gerechtfertigt, das das Statut in den Beziehungen zwischen den Organen und ihren Beamten speziell geschaffen hat, um den europäischen Bürgern die ordnungsgemäße Erfüllung der auf die Organe übertragenen Aufgaben des Allgemeininteresses zu gewährleisten.

(vgl. Randnrn. 42 bis 45)

Verweisung auf: Gericht, 9. Februar 1994, Latham/Kommission, T‑82/91, Slg. ÖD 1994, I‑A‑15 und II‑61, Randnr. 72; Gericht, 24. April 2001, Pierard/Kommission, T‑172/00, Slg. ÖD 2001, I‑A‑91 und II‑429, Randnr. 34; Gericht, 12. September 2007, Combescot/Kommission, T‑249/04, Slg. ÖD 2007, I‑A‑2‑181 und II‑A‑2‑1219, Randnr. 49

5.      Der erste Satz von Art. 91 Abs. 1 des Statuts bestimmt den Geltungsbereich des zweiten Satzes; danach ist der Unionsrichter also nur in den Fällen zu unbeschränkter Nachprüfung befugt, in denen eine Streitsache über die Rechtmäßigkeit einer beschwerenden Maßnahme im Sinne von Art. 90 Abs. 2 des Statuts vorliegt.

Daher kann das Gericht für den öffentlichen Dienst, das von einer Person, auf die das Staut Anwendung findet, mit einer Streitsache über die Rechtmäßigkeit einer sie beschwerenden Maßnahme befasst wird, aufgrund der Befugnis zu unbeschränkter Nachprüfung dieser Person Schadensersatz auch von Amts wegen nur dann gewähren, wenn dieser auf den Ersatz eines Schadens gerichtet ist, der ihr aufgrund der Rechtswidrigkeit der den Gegenstand der Klage bildenden beschwerenden Maßnahme entstanden ist oder zumindest aufgrund eines Schadens, der auf eine Rechtswidrigkeit zurückzuführen ist, die mit dieser Maßnahme in engem Zusammenhang steht.

Insoweit kann zwischen einem Antrag auf Beistand gemäß Art. 24 des Statuts, mit dem ein Mobbing durch die Vorgesetzten des Betroffenen gerügt wird, auf der einen und einer stillschweigenden Ablehnung dieses Antrags sowie des Antrags auf Schadensersatz wegen Verletzung der Fürsorgepflicht durch das betreffende Organ auf der anderen Seite kein enger Zusammenhang bestehen. Während nämlich die in dem Antrag auf Beistand angezeigten Tatsachen als ihren Urhebern zuzurechnende Handlungen anzusehen sind, ist dies bei der stillschweigenden Zurückweisungsentscheidung nicht der Fall, die eine dem betreffenden Organ zuzurechnende Handlung darstellt. Der dem Organ angelastete Amtsfehler bestand jedoch bereits vor der stillschweigenden Zurückweisungsentscheidung und kann daher nicht als mit dieser in engem Zusammenhang stehend angesehen werden.

Unter diesen Umständen verstößt das Gericht für den öffentlichen Dienst gegen die Art. 90 und 91 des Statuts, wenn es über die Frage entscheidet, ob bestimmte in dem Antrag auf Beistand gerügte Tatsachen in ihrer Gesamtheit als Amtsfehler des Organs beurteilt werden können, der zu einem dem Kläger entstandenen immateriellen Schaden geführt hat, der zu ersetzen ist.

(vgl. Randnrn. 58, 63, 71 bis 73)

Verweisung auf: Gerichtshof, 14. Dezember 2006, Meister/HABM, C‑12/05 P, nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht, Randnrn. 112 bis 116; Gerichtshof, 20. Mai 2010, Gogos/Kommission, C‑583/08 P, Slg. 2010, I‑4469, Randnrn. 49 bis 53; Gericht, 1. Dezember 1994, Schneider/Kommission, T‑54/92, Slg. ÖD 1994, I‑A‑281 und II‑887, Randnr. 49 und die dort angeführte Rechtsprechung, und Ditterich/Kommission, T‑79/92, Slg. ÖD 1994, I‑A‑289 und II‑907, Randnr. 37 und die dort angeführte Rechtsprechung

6.      Gegenstand der Beistandspflicht nach Art. 24 Abs. 1 des Statuts ist die Verteidigung der Beamten durch das Organ gegen Angriffe Dritter, nicht aber gegen Handlungen des Organs selbst, für deren Überprüfung andere Bestimmungen des Statuts gelten. Obwohl Art. 24 Abs. 1 des Statuts vor allem geschaffen wurde, um die Beamten vor Angriffen und Misshandlungen Dritter zu schützen, besteht eine Beistandspflicht der Verwaltung danach auch dann, wenn der Urheber der von dieser Bestimmung erfassten Handlungen ein anderer Beamter ist.

(vgl. Randnr. 66)

Verweisung auf: Gerichtshof, 14. Juni 1979, V./Kommission, 18/78, Slg. 1979, 2093, Randnr. 15; Gerichtshof, 17. Dezember 1981, Bellardi-Ricci u. a./Kommission, 178/80, Slg. 1981, 3187, Randnr. 23; Gerichtshof, 25. März 1982, Munk/Kommission, 98/81, Slg. 1982, 1155, Randnr. 21; Gericht, 9. März 2005, L/Kommission, T‑254/02, Slg. ÖD 2005, I‑A‑63 und II‑277, Randnr. 85 und die dort angeführte Rechtsprechung

7.      Die Zulässigkeit der Schadensersatzklage, die ein Beamter gemäß Art. 24 Abs. 2 des Beamtenstatuts erhebt, setzt die Erschöpfung der innerstaatlichen Rechtsbehelfe voraus, soweit diese den Schutz des betroffenen Einzelnen wirksam gewährleisten und zum Ersatz des geltend gemachten Schadens führen können.

Die durch diese Bestimmung eingeführte besondere Haftungsregelung, die verschuldensunabhängige Haftung, ist insoweit auf die Verpflichtung der Verwaltung gestützt, die Gesundheit und die Sicherheit ihrer Beamten und Bediensteten vor Angriffen und Misshandlungen Dritter oder anderer Beamter zu schützen, deren Opfer sie bei der Wahrnehmung ihrer Aufgaben u. a. in Gestalt von Mobbing im Sinne von Art. 12a Abs. 3 des Statuts sein können.

(vgl. Randnrn. 67 und 68)

Verweisung auf: Gerichtshof, 5. Oktober 2006, Schmidt-Brown/Kommission, C‑365/05 P, nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht, Randnr. 78; Gericht, 26. Oktober 1993, Caronna/Kommission, T‑59/92, Slg. 1993, II‑1129, Randnrn. 25 und 68; L/Kommission, Randnr. 148 und die dort angeführte Rechtsprechung sowie Randnrn. 143 bis 146 und 147 bis 153

8.      Aufgrund der in Art. 24 Abs. 1 des Statuts vorgesehenen Beistandspflicht muss die Verwaltung beim Auftreten eines Zwischenfalls, der mit einem ordentlichen und ausgeglichenen Dienstbetrieb unvereinbar ist, mit aller notwendigen Energie eingreifen und mit der durch die Umstände des Falles gebotenen Schnelligkeit und Fürsorge handeln, um den Sachverhalt festzustellen und daraus in voller Kenntnis der Sachlage die geeigneten Schlussfolgerungen zu ziehen. Dazu genügt es, dass der Beamte, der den Schutz seines Beschäftigungsorgans verlangt, einen Anfangsbeweis dafür erbringt, dass die Angriffe, denen er angeblich ausgesetzt war, wirklich stattgefunden haben. Liegen solche Anhaltspunkte vor, hat das betreffende Organ die geeigneten Maßnahmen zu ergreifen, insbesondere eine Verwaltungsuntersuchung durchzuführen, um die der Beschwerde zugrunde liegenden Tatsachen in Zusammenarbeit mit dem Beschwerdeführer zu ermitteln; tut sie dies nicht, kann sie u. a. nicht abschließend Stellung zu der Frage nehmen, ob die Behandlung der Beschwerde einzustellen oder ob ein Disziplinarverfahren einzuleiten ist und ob gegebenenfalls Disziplinarstrafen zu verhängen sind.

Außerdem hat die Verwaltung, wenn sie mit dem Antrag eines Beamten auf Beistand nach Art. 24 Abs. 1 des Statuts befasst wird, aufgrund der ihr durch diesen Artikel auferlegten Schutzpflicht auch geeignete Präventivmaßnahmen wie die Umsetzung oder die vorläufige Versetzung des Opfers zu ergreifen, um es vor einer Wiederholung des beanstandeten Verhaltens während der gesamten für die Verwaltungsuntersuchung erforderlichen Dauer zu schützen. Entsprechend ihrem Schutzzweck dürfen diese Maßnahmen nicht davon abhängig gemacht werden, dass es innerhalb der Dienststellen eine freie Stelle gibt.

Die Verwaltung verfügt nämlich unter der Kontrolle des Unionsrichters über ein weites Ermessen bei der Wahl der nach Art. 24 des Statuts zu treffenden vorläufigen wie endgültigen Maßnahmen. Die Kontrolle des Unionsrichters beschränkt sich auf die Frage, ob sich das betreffende Organ innerhalb vernünftiger Grenzen gehalten und sein Ermessen nicht offensichtlich fehlerhaft ausgeübt hat.

(vgl. Randnrn. 84 bis 86 und 92)

Verweisung auf: Gerichtshof, 11. Juli 1974, Guillot/Kommission, 53/72, Slg. 1974, 791, Randnrn. 3, 12 und 21; Gerichtshof, 26. Januar 1989, Koutchoumoff/Kommission, 224/87, Slg. 1989, 99, Randnrn. 15 und 16; Gerichtshof, 9. November 1989, Katsoufros/Gerichtshof, 55/88, Slg. 1989, 3579, Randnr. 16; Gerichtshof, 12. November 1996, Ojha/Kommission, C‑294/95 P, Slg. 1996, 5863, Randnrn. 40 und 41 und die dort angeführte Rechtsprechung; Gericht, 5. Dezember 2000, Campogrande/Kommission, T‑136/98, Slg. ÖD 2000, I‑A‑267 und II‑1225, Randnr. 55; L/Kommission, Randnr. 84 und die dort angeführte Rechtsprechung

9.      Die nach Art. 7 Abs. 1 des Statuts getroffenen Entscheidungen über die Umsetzung im dienstlichen Interesse dienen auch dann einem reibungslosen Dienstbetrieb, wenn sie durch Schwierigkeiten in den innerdienstlichen Beziehungen gerechtfertigt sind, und unterliegen daher dem weiten Ermessen, über das die Organe bei der Organisation ihrer Dienststellen entsprechend den ihnen übertragenen Aufgaben und bei der Verwendung des ihnen dafür zur Verfügung stehenden Personals verfügen, sofern diese Verwendung unter Berücksichtigung der Entsprechung zwischen Dienstposten und Besoldungsgruppe erfolgt.

(vgl. Randnr. 92)

Verweisung auf: Ojha/Kommission, Randnrn. 40 und 41 und die dort angeführte Rechtsprechung

10.    Die Beistandspflicht nach Art. 24 Abs. 1 des Statuts verlangt von der Verwaltung, mit der durch die Umstände des Falles gebotenen Schnelligkeit zu handeln, insbesondere eine Verwaltungsuntersuchung durchzuführen, um die der Beschwerde zugrunde liegenden Tatsachen in Zusammenarbeit mit dem Beschwerdeführer zu ermitteln. Dies schließt jedoch nicht aus, dass es objektive Gründe gibt, die – insbesondere etwa im Zusammenhang mit den Erfordernissen der Organisation der Untersuchung – einen Aufschub der Einleitung dieser Untersuchung rechtfertigen können.

(vgl. Randnr. 105)

Verweisung auf: Campogrande/Kommission, Randnrn. 42, 53 und 56

11.    Das Gericht kann nach Art. 113 seiner Verfahrensordnung zu jeder Zeit von Amts wegen prüfen, ob unverzichtbare Prozessvoraussetzungen fehlen.

Da die Voraussetzungen der Art. 90 und 91 des Beamtenstatuts für die Zulässigkeit einer Klage zwingendes Recht sind, muss sie der Unionsrichter gegebenenfalls von Amts wegen prüfen, sofern er zuvor die Parteien zur Stellungnahme aufgefordert hat.

(vgl. Randnrn. 129 und 130)

Verweisung auf: Gerichtshof, 17. Dezember 2009, Überprüfung des Urteils M/EMEA, C‑197/09 RX‑II, Slg. 2009, I‑12033, Randnr. 57 und die dort angeführte Rechtsprechung; Gericht, 8. Juni 2009, Krcova/Gerichtshof, T‑498/07 P, Slg. ÖD 2009, I‑B‑1‑35 und II‑B‑1‑197, Randnr. 52 und die dort angeführte Rechtsprechung

12.    Ein Untersuchungsverfahren nach Art. 86 Abs. 3 des Statuts, das durchgeführt wird, um über den Antrag eines Beamten auf Beistand nach Art. 24 des Statuts entscheiden zu können, wird durch die abschließende Entscheidung der Anstellungsbehörde beendet, die – wie aus Art. 3 des Anhangs IX des Statuts hervorgeht – auf der Grundlage des Untersuchungsberichts ergeht. Die Rechtsstellung des Beamten wird zu dem Zeitpunkt beeinträchtigt, zu dem diese Entscheidung ergeht.

Soweit die abschließende Entscheidung der Anstellungsbehörde auf die Ergebnisse des Untersuchungsberichts der Verwaltung Bezug nimmt, der nach der stillschweigenden Ablehnung des Antrags auf Beistand fertiggestellt wurde und in dem das Vorbringen des betroffenen Beamten im Einzelnen geprüft wurde, ist sie nicht als eine die stillschweigende Entscheidung lediglich bestätigende Entscheidung, sondern als eine Entscheidung anzusehen, die nach einer erneuten Prüfung der Lage durch die Verwaltung an deren Stelle tritt.

(vgl. Randnrn. 137 und 138)

Verweisung auf: Guillot/Kommission, Randnrn. 21, 22 und 36; Gerichtshof, 1. Juni 1983, Seton/Kommission, 36/81, 37/81 und 218/81, Slg. 1983, 1789, Randnrn. 29 bis 31; L/Kommission, Randnr. 123; Gericht, 25. Oktober 2007, Lo Giudice/Kommission, T‑154/05, Slg. ÖD 2007, I‑A‑2‑203 und II‑A‑2‑1309, Randnrn. 47 und 48

13.    Dem Unionsrichter kann nicht vorgeworfen werden, im Rahmen der von Amts wegen vorgenommenen Prüfung der Zulässigkeitsvoraussetzungen eines Schadensersatzantrags, der im Rahmen einer nach den Art. 90 und 91 des Beamtenstatuts erhobenen Klage gestellt wird, Tatsachenfeststellungen zu treffen, sofern sich die entsprechenden Feststellungen aus den ihm von den Parteien zum Zwecke der Entscheidung über ihren Antrag zu den Akten gegebenen Unterlagen ergeben.

(vgl. Randnr. 150)

14.    Die nach den Art. 90 und 91 des Beamtenstatuts erhobene Klage einer diesem Statut unterliegenden Person auf Aufhebung einer sie beschwerenden Maßnahme im Sinne von Art. 90 Abs. 2 des Statuts ist nur zulässig, wenn der Betreffende zum Zeitpunkt der Klageerhebung ein bestehendes und gegenwärtiges, hinreichend qualifiziertes Interesse an der Aufhebung dieser Maßnahme hat, wobei ein solches Interesse voraussetzt, dass ihm die Klage im Ergebnis einen Vorteil verschaffen kann. Da es sich beim Rechtsschutzinteresse des Klägers um eine Zulässigkeitsvoraussetzung handelt, ist für seine Beurteilung auf den Zeitpunkt der Klageerhebung abzustellen. Um jedoch eine Klage auf Aufhebung einer Entscheidung der Anstellungsbehörde weiterverfolgen zu können, muss eine Person, auf die das Statut Anwendung findet, auch weiterhin ein persönliches Interesse an der Aufhebung dieser Entscheidung haben. Besteht insoweit kein gegenwärtiges Rechtsschutzinteresse, ist der Rechtsstreit in der Hauptsache erledigt.

(vgl. Randnr. 156)

Verweisung auf: Gericht, 24. April 2001, Torre u. a./Kommission, T‑159/98, Slg. ÖD 2001, I‑A‑83 und II‑395, Randnrn. 30 und 31 und die dort angeführte Rechtsprechung; Gericht, 28. Juni 2005, Ross/Kommission, T‑147/04, Slg. ÖD 2005, I‑A‑171 und II‑771, Randnr. 25 und die dort angeführte Rechtsprechung; Gericht, 29. November 2006, Agne-Dapper u. a./Kommission u. a., T‑35/05, T‑61/05, T‑107/05, T‑108/05 und T‑139/05, Slg. ÖD 2006, I‑A‑2‑291 und II‑A‑2‑1497, Randnr. 35 und die dort angeführte Rechtsprechung

15.    Zum Interesse eines Beamten oder ehemaligen Beamten an der Aufhebung der Beurteilung seiner beruflichen Entwicklung ist darauf hinzuweisen, dass diese Beurteilung ein Werturteil darstellt, das von den Vorgesetzten darüber abgegeben wird, wie der beurteilte Beamte in dem betroffenen Zeitraum die ihm übertragenen Aufgaben erfüllt und sich im Dienst verhalten hat, und, unabhängig von ihrem zukünftigen Nutzen, einen schriftlichen und förmlichen Beweis über die Qualität der Arbeit des Beamten darstellt. Eine solche Beurteilung ist keine reine Beschreibung der in dem fraglichen Zeitraum wahrgenommenen Aufgaben, sondern umfasst auch eine Wertung der menschlichen Qualitäten, die der Beurteilte bei der Ausübung seiner beruflichen Tätigkeit an den Tag gelegt hat. Somit hat jeder Beamte Anspruch darauf, dass seine Arbeit durch eine gerechte und angemessene Beurteilung gewürdigt wird. Folglich muss einem Beamten gemäß dem Anspruch auf einen effektiven gerichtlichen Rechtsschutz jedenfalls das Recht zugestanden werden, die Beurteilung seiner beruflichen Entwicklung wegen ihres Inhalts oder deshalb anzufechten, weil sie nicht nach den durch das Statut vorgeschriebenen Regeln erstellt wurde.

Außerdem behält ein vom Invaliditätsausschuss für dauernd voll dienstunfähig erklärter und gemäß den Art. 53 und 78 des Statuts von Amts wegen in den Ruhestand versetzter Beamter, da bei ihm die Möglichkeit besteht, dass er wieder auf einer Stelle bei einem Organ verwendet wird, ein Interesse daran, dass bei der Erstellung der Beurteilung seiner beruflichen Entwicklung gerecht, objektiv und im Einklang mit den Maßstäben einer ordnungsgemäßen Beurteilung vorgegangen wird. Die allgemeine Bestimmung des Art. 53 des Statuts ist insoweit in Verbindung mit den besonderen Bestimmungen der Art. 13 bis 15 des Anhangs VIII des Statuts zu lesen. Im Fall einer Wiedereinstellung wäre diese Beurteilung für die Entwicklung des Beamten in seiner Dienststelle oder bei den Unionsorganen nützlich.

Etwas anderes kann nur in Sonderfällen gelten, in denen die Prüfung der konkreten Situation des für dienstunfähig erklärten Beamten ergibt, dass es nicht mehr in Betracht kommt, dass er seinen Dienst bei einem Organ nicht mehr eines Tages wiederaufnehmen wird, in Anbetracht z. B. von Schlussfolgerungen des mit der Prüfung seiner Dienstunfähigkeit beauftragten Invaliditätsausschusses, wonach die Krankheit, die zur Dienstunfähigkeit geführt hat, unveränderlich ist und folglich keine medizinische Überprüfung erforderlich sein wird, oder von Erklärungen des betreffenden Beamten, aus denen hervorgeht, dass er seinen Dienst innerhalb eines Organs keinesfalls wiederaufnehmen wird.

(vgl. Randnrn. 157 bis 159)

Verweisung auf: Ross/Kommission, Randnrn. 9 und 32; Gerichtshof, 22. Dezember 2008, Gordon/Kommission, C‑198/07 P, Slg. 2008, I‑10701, Randnrn. 43 und 51; Combescot/Kommission, Randnrn. 27 und 29

16.    Durch die Auslegung einer Vorschrift des Unionsrechts, die der Gerichtshof vornimmt, wird erforderlichenfalls erläutert und verdeutlicht, in welchem Sinne und mit welcher Tragweite diese Vorschrift seit ihrem Inkrafttreten zu verstehen und anzuwenden ist oder gewesen wäre. Daraus folgt, dass die so ausgelegte Vorschrift auch auf vor Erlass des Urteils des Gerichtshofs entstandene und begründete Rechtsverhältnisse angewandt werden kann und muss, wenn im Übrigen die Voraussetzungen dafür, dass ein Rechtsstreit über die Anwendung dieser Vorschrift vor die zuständigen Gerichte gebracht wird, erfüllt sind. Angesichts dieser Grundsätze ist eine Beschränkung der Wirkungen der vom Gerichtshof vorgenommenen Auslegung nur ausnahmsweise möglich.

(vgl. Randnr. 164)

Verweisung auf: Gerichtshof, 27. März 1980, Denkavit italiana, 61/79, Slg. 1980, 1205, Randnrn. 16 und 17; Gerichtshof, 11. August 1995, Roders u. a., C‑367/93 bis C‑377/93, Slg. 1995, I‑2229, Randnrn. 42 und 43